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20

Unterschlupf

Sie fuhren auf dem Interstate 70 nach Osten, Richtung Colorado. McKinney und Odin trugen jetzt Forstschutz-Ranger-Uniformen mit Dienstmarke und allem Drum und Dran. Die Raben spazierten in einem großen Drahtkäfig herum, den Odin zusammengeklappt im Kofferraum liegen gehabt hatte, nebst Futter und Wasser für die Vögel.

Das bisschen Verkehr auf dem Highway bestand aus einzelnen LKWs. Die Landschaft gehörte zum Kargsten, das McKinney je gesehen hatte: eine kalte, verlassene Felswüste mit eisbedeckten Bergen im Norden.

Odin hatte auf Polizeifunk geschaltet, hörte mit, wie dann und wann ein Utah State Trooper bei einer Verkehrskontrolle Meldung machte. Sie waren jetzt mindestens siebzig Meilen vom Ort des Drohnenabsturzes entfernt, also offenbar unentdeckt entkommen.

Sie sagten beide nichts. McKinney war zu müde, und Odin schien über irgendetwas nachzudenken. Irgendwann wurde sie von der Erschöpfung übermannt und sank in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Als sie aufwachte, waren sie immer noch auf dem Highway, der sich jetzt einen Fluss zwischen schneefleckigen Hügeln entlangschlängelte. Sie blickte im Nachmittagslicht um sich.

«Wo sind wir?»

«Kurz vor Grand Junction, Colorado. Essen Sie was. Wer weiß, wann Sie das nächste Mal Gelegenheit dazu haben.»

Sie inspizierte eins der Sandwichs und riss die Verpackung mit den Zähnen auf. «Irgendwas im Polizeifunk?»

Er schüttelte den Kopf. «Nicht über uns.»

Bald darauf kamen sie aus den Hügeln ins eigentliche Grand Junction hinab, ein wohlhabend wirkendes Ölstädtchen mit verspiegelten Glasgebäuden und einem älteren Zentrum. Aber Odin blieb auf dem Interstate und fuhr auf der anderen Seite der Stadt wieder hinaus. Ein paar Minuten später nahm er eine Abfahrt auf eine Landstraße, die in Berge mit schneebedeckten Nadelbäumen führte. In der Ferne waren die Rockies als blau-weiße Schemen sichtbar.

Sie fuhren etwa fünfzehn Meilen in steile, bewaldete Berge hinein und trafen unterwegs nur zwei andere Fahrzeuge. Am Abzweig eines zerfurchten Waldwegs bremste Odin. Ein Metalltor versperrte die Zufahrt. Odin bog ein, hielt vor dem Tor.

«Sind wir da?» McKinney sah sich um.

«Gehen Sie mal rum auf die Fahrerseite. Ich mache das Tor auf.» Odin stieg aus und setzte militärisch exakt seinen Ranger-Hut auf.

McKinney tat es ihm etwas weniger exakt nach. Es war ein komisches Gefühl, Naturpark-Ranger zu spielen. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie eine Uniform getragen und merkte jetzt, wie sie auch die zugehörige Persona übernahm. Sie fühlte sich regelrecht als das, was sie darstellte. Die Autoritäten wussten das wahrscheinlich immer schon, dachte sie.

Statt das Tor aufzuschließen, zählte Odin Schritte nach rechts ab. Etwa sieben Meter den Straßenrand entlang blieb er stehen und drehte mit der Stiefelspitze einen flachen Stein um, der zwischen zwei Bäumen lag. Er kniete sich hin, wühlte ein wenig herum und förderte etwas zutage, das wie ein Walkie-Talkie und eine automatische Pistole in einem verschlossenen Gefrierbeutel aussah. Er kam zum Wagen zurück und kippte den Inhalt des Beutels auf die Motorhaube. Die Pistole steckte er schnell in eine Innentasche seiner Rangerjacke.

McKinney erkannte einen Packen Zwanzigdollarscheine, einen US-Reisepass und noch ein paar andere Dinge.

«Sie haben ja überall Zeug verteilt.»

«Wenn etwas schiefgeht, sitzt man ohne anständige Vorbereitung böse in der Scheiße.» Odin tippte jetzt auf der Vorderseite des Sprechfunkgeräts Zahlen ein. «Crypto-Code – Augenblick.» Dann drückte er die Sprechtaste und blickte den Waldweg entlang. «Safari-eins-sechs, Safari-eins-sechs. Hier Odin. Hört ihr mich?»

Sie sahen sich über die Haube des SUVs hinweg an, hörten Funkrauschen.

Dann eine krächzende Stimme: «Odin, hier Safari-eins-sechs. Ich verstehe dich sehr gut. Himmel ist klar. Willkommen zu Haus.»

Odin war sichtlich erleichtert. «Wir kommen jetzt rein. Ende.» Er steckte das Sprechfunkgerät weg. «Nichts wie runter von der Straße.» Er zog auf dem Weg zum Tor einen Schlüssel aus dem Gefrierbeutel.

McKinney ging auf die Fahrerseite und stieg ein. Odin öffnete ein massives Vorhängeschloss, stieß das Tor auf und bedeutete ihr durchzufahren. Dann schloss er das Tor hinter ihnen, stieg auf der Beifahrerseite ein und schob den Sitz zurück. «Sind noch ein paar Meilen.»

McKinney kutschierte sie einen Hohlweg entlang, der dann in einen etwas breiteren Canyon mündete, wo sie einem zugefrorenen Bachlauf folgten. Im Nadelwald um sie herum waren Schneeflecken, aber der Weg selbst war nur stellenweise vereist. Sie holperten eine Weile mit zwanzig Meilen dahin, bis sich hinter einer Kurve plötzlich aus dem Nichts ein Mann materialisierte. McKinney brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es ein Soldat war, der einen Ghillie-Tarnanzug trug und eine Art verspiegelten Schild senkte. Die Kombination von beidem hatte ihn praktisch unsichtbar gemacht. Der Soldat hielt ein großes weißes Scharfschützengewehr in der Armbeuge und bedeutete ihr mit der anderen Hand anzuhalten.

McKinney hielt und sah Odin an.

«Wir sind’s.» Er stieg aus, und sie folgte ihm.

Ein Polaris-Quad kam den Fahrweg entlang, gefahren von einem weiteren Scharfschützen mit dem Gewehr auf dem Rücken. Der erste Mann hatte jetzt die Maske seines Tarnanzugs beiseitegeschoben: Es war Foxy, der sich grinsend die langen Haare aus dem Gesicht strich. Er klopfte Odin auf den Rücken. «Haben uns langsam schon Sorgen gemacht.»

«Sind alle da?»

Er nickte. «Jetzt ja. Aber es gibt Neuigkeiten: Hoov sagt, die Mission ist beendet. Task Force Ancile soll sofort alle Operationen einstellen und nach FB zurückkehren.»

«Einstellen? Auf wessen Befehl?»

Der Fahrer des Quads hatte angehalten und klappte jetzt ebenfalls seine Tarnkapuze zurück. Es war Smokey. Er nickte McKinney grüßend zu.

Foxy schulterte sein Gewehr. «Nachricht vom Colonel über JWICS. Du sollst dich melden, wenn du da bist.»

Odin atmete aus, während er das auf sich wirken ließ: Eine Dampfwolke verhüllte seinen Bart.

Foxy sah mürrisch drein. «Sie schießen uns in mehrfacher Hinsicht ab.»

«Die Mission besteht weiter …» Odin wandte sich zum SUV.

«Was? Wie meinst du das?»

Odin stapfte auf den Wagen zu. «Fahren wir zum Haus.»


Smokey und Foxy fuhren mit dem Quad voraus, etwa eine Meile den Fahrweg entlang, bis sich die Schlucht zu einem kleinen Tal zwischen bewaldeten Hängen weitete. Hier gabelte sich der Fahrweg; der rechte Abzweig führte auf den Talgrund hinab, aber sie folgten dem Quad auf dem linken bergauf, zu einem großen Chalet am Hang, umgeben von lichtem Nadelwald. Das Erdgeschoss hatte Feldsteinmauern, die Außenwände der beiden oberen Stockwerke waren aus dickem Rundholz. Unter dem mit Tannennadeln bedeckten Dach befanden sich Mansarden. Vor einer geschlossenen Garage stand ein weiteres Ranger-SUV.

McKinney blickte durch die Windschutzscheibe hinauf, als sie hielt.

Odin erklärte im Aussteigen: «Ehemaliges sicheres Haus des FBI. Hier haben sie in den sechziger und siebziger Jahren russische und kubanische Überläufer vernommen.» Odin öffnete den Kofferraum und holte den Rabenkäfig heraus.

Smokey und Foxy traten bereits durch die hohe Eichenholztür ins Innere des alten Chalets. «Hoov!»

McKinney und Odin folgten ihnen in eine muffig riechende, drei Stockwerke hohe Eingangshalle mit Elch- und Hirschköpfen, Galeriegeländern und einer breiten Treppe. In der gegenüberliegenden Wand war ein riesiger Kamin, in dem jedoch trotz der Kälte im Haus kein Feuer brannte. An den Wänden standen etwa ein Dutzend grüne Pelicases.

McKinney starrte zu einem an Ketten hängenden Geweihstangen-Kronleuchter hinauf. «Der Albtraum jedes Veganers.»

«Wer ist hier Veganer?» Hoov kam durch eine Innentür und nickte ihnen zu.

Odin machte dem Scherzen ein Ende. «Stell mir eine Verbindung zum Colonel her, so schnell wie möglich.»

«Schon dabei.» Hoov ging, während gleichzeitig Ripper und Mooch durch eine andere Tür in die Halle kamen. «Hey, Sarge.» Ripper trug jetzt ein Flanellhemd, Jeans und Trekkingstiefel. «Stimmt es, dass wir die Operation einstellen?»

«Nein. Wie sieht’s mit unseren Sicherheitsvorkehrungen aus?»

«Wir haben Krankameras auf dem Dach und einen Funksensorengürtel auf der Kammlinie, aber da war nichts. Keinerlei Überflug.»

«Habt ihr das Haus gecheckt?»

Sie nickte. «Nichts.»

«Gut.» Odin warf gekonnt seinen Rangerhut auf eine Geweihstange. Dann stellte er den Vogelkäfig ab und öffnete ihn. «Hugin. Munin. Sondieren.» Sie hüpften heraus.

McKinney konnte nicht umhin zu bemerken, dass alle bewaffnet waren: Pistole im Nylon-Oberschenkelholster, abwärts zeigendes Sturmgewehr mit Zielgerät über der Schulter und Kampfweste mit Reservemagazinen. «Erwarten wir Ärger?»

Odin sagte, ohne aufzublicken: «Den erwarten wir immer.»

McKinney hörte ein lautes Krächzen und sah die Raben auf dem Geweihstangenleuchter sitzen. «Wenigstens einer mag das Dekor.»

Hoov kam wieder herein. «Colonel ist dran, Odin.»

«Danke.» Er folgte Hoov. «Ich will, dass es aufgezeichnet wird.»

«Läuft schon.»

McKinney folgte ihnen in eine Art Aufenthaltsraum. Hier gab es ebenfalls einen großen Feldsteinkamin, und die Wände waren mit authentisch aussehender Jagdhausdeko gepflastert: Schneeschuhen, Musketen, Kerosinlaternen, gerahmten Porträts und Fotos von Männern, die mit großen toten Tieren posierten. Außerdem gab es eine ansehnliche Bar, mehrere Sofas und einen Schreibtisch, auf dem Hoov seine Elektronik aufgebaut hatte. Wie im gesamten übrigen Haus waren die schweren Vorhänge zugezogen und die Decken- und Stehlampen an. Hoovs Workstation bestand aus mehreren Flatpanelmonitoren, zwei Outdoor-Laptops, Funkequipment und Kabeln, die unter die Vorhänge führten – durch eine Schiebetür vielleicht. Auf einem der Monitore klemmte eine kleine Videokamera, an der ein rotes LED leuchtete.

Vom zentralen Monitor blickte sie ein streng aussehender Mann in den Sechzigern an, stiernackig, in Sportsakko und Button-down-Hemd, von der Taille aufwärts im Bild. Die Falten in seinem Gesicht sahen aus wie die Wüste von Utah, aus dem Weltall betrachtet.

Odin salutierte. «Colonel.»

Der Mann nickte. «Ich bin froh, dass Ihre Truppe vollzählig ist, Master Sergeant. Ist Professor McKinney noch am Leben?»

«Ja, Sir. Sie ist bei uns.»

«Gut. Task Force Ancile hat ihre Operation sofort einzustellen. Sie kehren alle nach Fort Bragg zurück, mit Ihren sämtlichen Aufklärungserkenntnissen.»

«Warum wurde mein Flugzeug abgeschossen, Sir?»

«Nennen wir es ein Missverständnis, Master Sergeant.»

«Ich möchte gern wissen, was –»

«Sie kehren jetzt auf die Basis zurück. Was war, spielt keine Rolle; jetzt, da die Öffentlichkeit von den Drohnen weiß, ist alles auf Reset. Der Generalstab überlässt der Luftwaffe die Führung. Wir haben uns herauszuhalten. Das kommt von ganz oben.»

Odin starrte ihn einen Moment lang nur an. «Colonel, ich denke, Sie sollten –»

«Es ist nicht Ihr Job zu denken, Master Sergeant. Ihr Job ist es, Befehle auszuführen. Also tun Sie’s.»

Das Bild erlosch.

Odin starrte auf den dunklen Bildschirm.

Foxy setzte sich in seinem weiten Ghillie-Anzug auf die Sofalehne. «So läuft das also? Die Air Force schießt uns ab, und jetzt stehen wir unter ihrer operativen Führung?»

Odin schüttelte langsam den Kopf. «Hoov.»

Hoov blickte von seinem Laptop-Display auf und zog sein Funk-Headset herunter. «Ja?»

Odin zeigte auf den Bildschirm. «Lass das durch Visualistics laufen.»

Hoov sah ihn perplex an und warf sein Headset auf den Schreibtisch. «Im Ernst?»

Foxy sah Hoovs schockierte Miene. «Was ist los, Odin? Wie kannst du dem Colonel misstrauen? Ich meine, es ist doch der Colonel. Mouse und er –»

«Ich misstraue dem Colonel nicht.»

«Dann verstehe ich gar nichts.»

«Tu’s einfach.»

Foxy sah immer noch verwirrt drein.

Hoov wandte sich einem anderen Laptop zu. «Das war eine JWICS-Übertragung – über unseren eigenen Satelliten.»

«Muss ich es selbst machen?»

McKinney sah von einem zum anderen. «Worum geht es?»

Foxy zuckte die Achseln. «Odin glaubt, das ist irgendeine IO.»

«Heißt?»

Hoov öffnete jetzt das Video vom Colonel auf einem anderen Bildschirm. «Influence Operation – eine Beeinflussungsoperation. Er glaubt, das Video ist manipuliert – was verdammt unwahrscheinlich ist.»

«Aber wie könnten Sie das erkennen?»

«Digitale Forensik – Software, die wir anwenden, um Fotos oder Videos, die uns Informanten schicken, auf ihre Echtheit zu prüfen. Manchmal fügen die Leute die Gesichter von wichtigen Zielpersonen in anderes Bildmaterial ein, weil sie Kapital daraus schlagen wollen.» Beim Reden klickte Hoov vor sich hin. «Funktioniert wie ballistische Waffenbestimmung: Jede kommerzielle Kameramarke hat eine elektronische Signatur – subtile Charakteristika in Sachen Auflösungs- und Kompressionsmuster. Diese Software sagt mir fast sofort, welche Kameramarke und welches Modell für ein bestimmtes Bild benutzt wurde.»

«Aber was nützt es, die Kamera zu kennen?»

«Wenn ich das weiß, kann ich feststellen, ob irgendein Teil des Bilds verändert wurde. Wenn mir auch unklar ist, wie irgendjemand das in Echtzeit schaffen sollte …» Hoov klickte weiter, hielt dann inne. Er richtete sich auf. «Hm.»

Odin, Foxy und McKinney beobachteten ihn gespannt.

Odin fragte als Erster. «Was ist?»

Hoov drehte sich um. «Es ist nicht verändert worden.»

Odin schien erleichtert. «Gut.»

«Ich bin noch nicht fertig.» Er zeigte auf den Bildschirm. «Es ist nicht verändert worden, weil es gar nicht von einer Kamera stammt. Es wurde mit Image Metrics produziert. Er ist ein Vocaloid.»

«Ein was?»

Odin antwortete: «Eine Computeranimation.»

Die Gruppe scharte sich um den Monitor. Das Bild des Colonels war fotorealistisch.

Foxy schüttelte den Kopf. «Unfassbar …»

Hoov fuhr sich durchs kurze blonde Haar. «Muss per Motion-Capture gemacht worden sein. Ein Schauspieler vor einem Greenscreen oder so was. Und gesampelte Stimmproben vom Colonel. In Japan wurde diese Technik angewandt, um virtuelle Popstars zu erzeugen, aber so echt hab ich’s noch nie erlebt. Das ist …» Seine Stimme verlor sich.

«Das ist technologisch absolute Spitze, Boss. Und die sind in unserem Satellitennetzwerk?»

Odin starrte auf den Bildschirm. «Wir müssen davon ausgehen, dass diejenigen, die da dahinterstecken, tiefer im System drin sind als wir. Und wir müssen auch davon ausgehen, dass sie wissen, wo wir sind. Das hat ihnen das Satelliten-Uplink gesagt.»

Hoov checkte jetzt Radarbilder auf einem seiner Bildschirme. «Der NORAD-Feed zeigt nichts im Fünfzig-Meilen-Radius um uns herum.»

Foxy schüttelte den Kopf. «Aber wie soll man dem vertrauen?»

Hoov drehte sich mit seinem Stuhl um. «Im Moment gehen sie davon aus, dass wir die Videobotschaft des Colonels schlucken, Odin. Also erwarten sie wohl, dass wir nach Fort Bragg zurückkehren.»

«Wir würden niemals lebend dort ankommen.»

Foxy rieb sich die Schläfen. «Ich würde es nicht glauben, wenn ich’s nicht gesehen hätte.»

Ripper und Tin Man kamen herein, und Foxy sagte zu ihnen: «Behaltet die Perimetersensoren im Auge.»

Ripper sah ihn irritiert an. «Was hat der Colonel gesagt?»

«Der Colonel ist ein gottverdammter Cartoon. Behaltet die Sensoren im Auge.»

Als sie mit verwirrten Gesichtern wieder hinausgingen, flog einer der Raben auf ein hohes Bücherregal und klaubte einen großen, zappelnden Käfer aus einer dunklen Ecke. Dann flog der Vogel herab und setzte sich auf den Lampenschirm neben McKinney, den strampelnden Käfer im Schnabel.

Foxy betrachtete den Raben. «Fette Beute, Hugin.»

McKinneys Blick blieb an dem Käfer hängen.

Hugin sah sie mit schiefgelegtem Kopf an, machte aber keine Anstalten, den großen, schwarzen Käfer zu fressen.

«Was hast du denn da?»

Foxy blickte wieder vom Laptop auf. «Abendessen, wie’s aussieht.»

McKinney wollte sich dem Vogel nähern, aber der verzog sich auf die andere Seite des Lampenschirms. «Warte mal.»

Odin sah sie an. «Was ist?»

«Das ist ein südamerikanischer Blumenkäfer – sein Verbreitungsgebiet endet viertausend Meilen südlich von hier.» Sie pflückte dem Raben den Käfer aus dem Schnabel, ohne dass Hugin allzu empört reagierte. Der Käfer schlug wild mit den Flügeln, als sie ihn inspizierte. Doch McKinney war erfahren im Umgang mit lebenden Insekten. Die anderen drängten sich um sie, und sie zeigte auf etwas, das aussah wie ein großes drittes Auge in der Mitte des Käferkopfs. «Wie ist der hierhergekommen?»

Odin beugte sich über ihre Hände.

«Kann mir mal jemand ein Messer geben …»

McKinney ging mit dem Käfer zur Bar hinüber, während Foxy in Schubladen kramte.

«Und eine Pinzette und ein paar Stecknadeln, wenn Sie so was finden.»

«Okay.» Er reichte ihr eine lose Rasierklinge, die er in einer Krimskramsschublade gefunden hatte, und suchte weiter. McKinney hielt den großen Käfer ins Licht, während Odin sich auf den Barhocker neben ihr setzte.

Es war sofort offensichtlich, dass der Käfer «manipuliert» worden war. McKinney deutete mit einer Ecke der Rasierklinge auf zwei kleine Plastikobjekte unter den Flügeln. «Das habe ich schon mal gesehen.»

«Was heißt, schon mal gesehen? Wo?»

«Auf einem Entomologenkongress vor ein paar Jahren. Das sind winzige Generatoren, die die Flügelbewegung nutzen, um Mikroelektronik zu speisen.»

Odin sah sie ungläubig an.

«Es war nicht geheim. Gehirnforschung. Sie suchten Fördermittel.»

Foxy gab ihr ein paar Nähnadeln in einer Tasse und eine Pinzette.

«Danke.» Sie legte die Rasierklinge hin, nahm eine Nadel und stach sie mitten durch den Käferkopf, um das Insekt zu töten und gleichzeitig auf der Oberseite der Bar festzunageln. Die Beine des Käfers scharrten allerdings auch im Tod noch über das Holz.

«Hardcore, Professor.»

«Abwarten …» Sie nahm die Rasierklinge und begann den Käfer zu sezieren, die Chitinschale abzuklappen, um ans Gehirn zu kommen. Schnell entdeckte sie feine Faseroptikfäden, die von einer winzigen Kameralinse in ein reiskorngroßes elektronisches Gerätchen führten. Mit der Pinzette zupfte sie dieses aus dem Gehirn und hielt es ins Licht.

Es sah aus wie eine winzige Funkkamera mit Antenne und aufgedruckten asiatischen Schriftzeichen. Odin musterte es: «Wir sind in Science-Fiction-Land, Leute.»

«Chinesisch.»

Odin stand auf. «Das ist nur der Kamerahersteller, Foxy.»

McKinney nickte. «Die Präsentation auf dem Kongress war über ‹Brainjacking›. Man setzt den Transmitter direkt ins Gehirn des Insekts ein – im Larvenstadium, damit sich das Insekt drum herum entwickelt. Man bedient sich eines existierenden Nervensystems, um aus einem Lebewesen eine ferngesteuerte Minidrohne zu machen. Man muss nur die Neuronen aktivieren, die fürs Fliegen, Drehen, Krabbeln oder sonst was zuständig sind, und den Rest macht das Nervensystem des Käfers. Wir dachten alle, der Typ sei pervers. Anscheinend hat er im Militär ein geneigteres Publikum gefunden.»

Odin nahm ihr die Kamera ab, hielt sie ins Licht, riss die Antenne heraus. Er sah sich um. «Wer weiß, wie viele von den Dingern hier im Haus sind.»

Er warf die Kamera auf den Boden und zertrat sie. «Dieses Versteck ist verbrannt. Wir müssen sofort weg. Was steht unten an der Landepiste?»

Foxy antwortete: «Ein Heli MD500 und eine Cessna Grand Caravan.»

«In Deckung?»

«Die Cessna steht im Hangar.»

«Aufgetankt?»

Er nickte. «Tragflächentanks auch.»

«Okay. Hoov …»

Hoov drehte sich mit dem Stuhl um. «Ja?»

«Uplink-Equipment zerstören und fertigmachen zum Absetzen.»

«Du –»

Es machte mehrmals dumpf twack, als Löcher in den schweren Vorhängen erschienen und faustgroße Stücke aus Hoovs Brust barsten. Dann flog sein halber Kopf weg, und blutige Gehirnmasse spritzte auf McKinney und das Sofa. Hoovs Körper kippte vornüber, warf den Couchtisch um.

«Sniper!»

Kill Decision
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