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Persona-Management
Linda McKinney blickte über die Straße auf ein gesichtsloses vierstöckiges Bürogebäude nahe dem Palm River in East Tampa, Florida – eins jener Gebäude, an denen man jahrelang vorbeifahren konnte, ohne sie wahrzunehmen. In der Gegend gab es vor allem Alkoholläden und Scheckeinlöseschalter. McKinney trug eine Baumwollbluse zu Business-Slacks und über der Schulter eine Lederhandtasche. Odin ging in Khakihosen, grünem Polohemd und Lederslippern neben ihr her. Es waren angenehme einundzwanzig Grad, und die Sonne schien. Sie überquerten den rissigen, verunkrauteten Bürgersteig und betraten durch eine Glastür mit dem verblassten Aufkleber BETTELN UND HAUSIEREN VERBOTEN eine muffige Lobby.
Odin überflog den heruntergekommenen Lobby-Wegweiser und tippte auf die schwarz-weißen Steckbuchstaben von «Zion Strategies» im vierten Stock. Er führte McKinney zu einem schäbigen, mit Ritzbotschaften verzierten Lift.
Als die Tür sich mit einem Rums geschlossen hatte, sagte McKinney: «Bräuchten wir diesen Jemand, wenn Hoov noch da wäre?»
«Vermutlich. Hoov kannte Skupel.»
«Woher kennst du diesen Typen?»
«Hab früher mal mit ihm gearbeitet. Sein Spezialgebiet sind Daten – dranzukommen und sie zu missbrauchen.»
Sie betrachtete den schäbigen Aufzug. «Scheint nicht sonderlich erfolgreich.»
«Er fliegt unterm Radar. Das macht ihn nützlich für uns. Apropos: Glaub nichts, was er dir sagt. Er hat Talente, die wir brauchen, aber dieser Mann ist ein manipulativer Soziopath.»
«Klingt nach einer tollen Ergänzung für das Team.»
Die Tür ging auf, und Odin führte sie einen schimmligen Gang entlang, vorbei an billigen Furniertüren mit schmucklosen schwarzen Schildern von Einwanderungsanwälten und Versandfirmen. Dann kamen sie an eine Tür ganz ohne Schild, nur mit einem Spion und einem stabilen Zylinderschloss. Die Nachbartüren hatten keins von beidem.
Odin begutachtete das Schloss. «Ein altes Medeco-Biaxialschloss. Müsste ich knacken können.» Er zog ein kleines Lederetui aus der Tasche und klappte es auf. Es enthielt ein Sortiment an handlichen Gerätschaften. Er nahm einen kleinen Messingschlüssel heraus, dann seine kleine Stabtaschenlampe mit dem isolierbandumwickelten Griff. «Falls jemand kommt, huste.»
McKinney zog die Augenbrauen hoch. «Du willst wirklich –»
«Behalte den Gang im Auge.» Er arbeitete so schnell, dass sie es kaum mitbekam, steckte etwas, das wie ein simpler abgefeilter Schlüssel aussah, in das Schloss, zog es wieder ein wenig heraus und schlug einmal kurz mit dem umwickelten Ende der Taschenlampe dagegen. Dann öffnete er das Schloss, als ob er den passenden Schlüssel hätte. Ein kurzer Blick in den Raum, und er bedeutete ihr, ihm hineinzufolgen.
Ehe McKinney etwas zum Thema Einbruch sagen konnte, gingen sie schon durch einen schäbigen unbeaufsichtigten Empfangsbereich, nur mit einem Rezeptionstisch, auf dem sich FedEx- und UPS-Päckchen stapelten. Sie hörte Stimmen und Tastaturgeklapper, als sie einem mittigen Gang folgten. Der Gang mündete in ein bescheidenes Großraumbüro, wo aus PC-Lautsprechern blecherne christliche Rockmusik kam.
«… my savior! Savior! Say-vii-ooorr!»
Odin ging zielstrebig weiter; den Schlüssel und die Taschenlampe hatte er weggesteckt. Er steuerte auf die geschlossene Tür am anderen Ende zu. McKinney konnte es sich nicht verkneifen, einen der Beschäftigten zu mustern – ein weißes Bürschchen um die zwanzig mit Piercings und blauem Haar. Sie nickte ihm zu und ging weiter. Der Junge wandte sich sofort wieder seiner Tastatur zu, desinteressiert.
Ehe sie die Tür am anderen Ende erreichten, kam eine untersetzte, schon etwas ältere blonde Frau in Jeans und einem knallrosa Wohltätigkeitslauf-T-Shirt um eine Ecke, in den Händen einen Aktenordner, aus dem jede Menge bunte Post-it-Markierungen blühten. Sie verlangsamte ihren Schritt. «Kann ich Ihnen helfen?»
Odin schüttelte den Kopf. «Er hat mir einen Schlüssel gegeben. Sind Sie sein Admin?»
«Die Büroleiterin.»
«Nein, dann können Sie mir nicht helfen.» Er marschierte weiter, die Büroleiterin im Gefolge, und öffnete die Tür am anderen Ende. Dahinter lag ein recht geräumiges Eckbüro, bestückt mit Ikea-Möbeln, einem Flachbildfernseher und Spielkonsolen. Das Büro war ein einziger Stilmischmasch. Überall stapelten sich dicke Aktenordner, und an den Wänden waren Regale, vollgestopft mit dicken Programmierhandbüchern – Dutzende von Sprachen und Methoden, von Perl über Java bis Hadoop, von Penetrationstests bis zum Hacken von Online-Spielen.
Der Inhaber des Büros saß in einem braunen Ledersessel, mit dem Rücken zu ihnen und mit Blick auf Downtown-Tampa in der Ferne. Er telefonierte, die silberbeschlagenen Cowboystiefel auf einem Sideboard. McKinney folgte Odin in den Raum, noch immer ohne klare Vorstellung, wie sie sich verhalten sollte.
Überrascht, dass jemand sein Büro betrat, nahm der Mann die Füße herunter und drehte sich mit seinem Stuhl um, sprach aber weiter ins Telefon. «… gealterte Accounts – mindestens ein Jahr. Je älter desto besser.» Er sah stirnrunzelnd seine Büroleiterin und McKinney an – dann weiteten sich seine Augen, als sein Blick auf Odin fiel. Er sagte ins Telefon: «Hey, ich muss mich hier kümmern. Simsen Sie mir, wenn Sie alles haben, okay?»
Er legte auf und starrte Odin nur stumm an.
Odin nickte. «Wie sieht’s aus, Mordecai?»
Die Büroleiterin sah ihn irritiert an. «Da muss ein Irrtum vorliegen. Mister James ist –»
«Raus, Maggie.» Als sie nicht sofort reagierte, wedelte er sie mit beringten Fingern weg. «Los! Und Tür zu.»
Sie nickte und gehorchte mit verkniffenem Gesicht.
McKinney musterte den Mann. Er war Mitte zwanzig und sah recht gut aus – allerdings auf eine ziemlich schmierige Art. Er trug ein Jeanshemd mit bestickten Brusttaschen. An den Fingern hatte er mehrere Ringe mit ähnlichem Dekor. Sein Haar war bereits ziemlich schütter, was er durch Koteletten à la Isaac Asimov kompensierte. Er starrte Odin immer noch fassungslos an.
Odin ließ sich auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch fallen. «Kein Wort der Begrüßung?»
«Danke, dass Sie meinen richtigen Namen genannt haben, Arschloch. Wie ich sehe, haben Sie sich von diesem Bin-Laden-Bart getrennt. Hätte Sie kaum erkannt. Was zum Teufel wollen Sie hier?»
Odin bedeutete McKinney, sich neben ihn zu setzen. «Wie heißen Sie denn jetzt – Ryan James? Ganz schön fade für jemanden wie Sie.» Odin machte eine Handbewegung zu dem Mann hin. «Professor, das war einst der weit interessantere Mordecai Elijah Evans – überaus talentiertes Mitglied einer Wurm-Truppe des US Cyber Command – Teil des Network Warfare Joint Functional Component Command. Unser Mort hier war ihr Black-Hat-Schoßhündchen. An der kurzen Leine gehalten durch drohende – wie viel war es noch mal, Mort? – fünfundsechzig Jahre Knast und zwei Millionen Dollar Geldstrafe.»
«Ich habe meine Schuld der Gesellschaft gegenüber beglichen.»
«Aber nicht Ihre Schuld mir gegenüber.»
«Sie wollen doch nicht – es wäre sehr unklug, sich mit mir anzulegen, Odin. Ein Telefonat, und das war’s für Sie. Ich habe jetzt nämlich Freunde. Mächtige Freunde an offizieller Stelle.»
«Ich brauche Ihre Fähigkeiten.»
«Ich arbeite nicht mehr fürs Verteidigungsministerium. Ich habe meinen Deal bekommen, Arschloch. Begnadigung. Ein neues Leben.» Er wies auf das Büro. «Ich bin jetzt ein legaler Geschäftsmann.»
Odin nickte anerkennend. «Ja, sieht ungemein danach aus.»
Evans quittierte den Sarkasmus mit einer näselnden Imitation: «Mm-hm … sieht ungemein danach aus. Arschloch. Ich bin nicht mehr der, der ich damals war.»
«Dem Namen nach vielleicht, aber dass Sie sich geändert haben, glaube ich nicht. Sie vergessen, wie viel ich über Sie weiß.»
«Gehen Sie, oder ich greife zum Telefon.»
Odin sagte zu McKinney, ohne den Blick von Evans abzuwenden: «Unser Morty hier hat Zero-Day-Exploits an internationale Kriminellengangs verkauft – was dazu geführt hat, dass avancierteste Technologie weiß der Teufel wohin abgeflossen ist. Was wir jetzt am Hals haben, verdanken wir möglicherweise ihm.»
«Ich habe meinen Deal gekriegt. Sie brauchen Leute wie mich, Odin, so einfach ist das. Türeintreter wie Sie sind ersetzbar – oder vielleicht sogar entbehrlich? Ich bin es nicht.» Er runzelte die Stirn. «Wie sind Sie überhaupt hier reingekommen?»
«Ich habe die Tür eingetreten.»
«Hören Sie, das ist alles völlig irrelevant. Sie können mir nicht mehr den Arm verdrehen. Ich bin jetzt Teil des Systems. Und das System will, dass Sie gehen.» Er machte eine theatralische Armbewegung zur Tür hin. «Also gehen Sie.»
«Ich brauche Information. Und Sie werden mir helfen, sie zu bekommen.»
Evans lachte nur. «Sind Sie taub? Ich habe mächtige Leute an meiner Seite, und ich arbeite nicht für Sie.» Er ließ die Hand über dem Systemtelefon auf seinem Schreibtisch schweben. «Noch ein Wort, und ich rufe an.»
Odin beugte sich vor und zog eine schwarze Automatikpistole hinten aus seinem Hosenbund. Er hielt sie so, dass Evans sie deutlich sehen konnte. McKinney erkannte ein kurzes vorstehendes Laufstück mit einem Gewinde. Auf der Seite stand, gerade groß genug, um lesbar zu sein, USP Tactical.
Evans betrachtete die Waffe nur stirnrunzelnd. «Hey, soll das ein Witz sein?»
Odin zog einen Metallzylinder aus der Tasche und schraubte ihn auf das Ende des Laufs.
Evans lachte. «Ich fühle mich durch diese Drohgebärden beleidigt.»
McKinney packte Odin an der Schulter. «Was zum Teufel tust du da?»
Odin prüfte den Sitz des Schalldämpfers. «Ich tue, was nötig ist, Professor. Ich versichere dir, es gibt kein anderes Mittel, Mordecai zur Kooperation zu bewegen.»
«Aber wir brauchen diesen Mann doch wohl nicht so dringend, dass wir zu solchen Mitteln greifen müssen.»
«Hören Sie auf die Dame, Odin.»
Odin schüttelte den Kopf, sah aber weiter Evans an. «Mort, würden Sie unter irgendwelchen anderen Umständen kooperieren als unter Androhung physischer Gewalt?»
Evans lachte leise und schüttelte bedauernd den Kopf. «Sie wissen, dass ich darauf nein sagen muss – und ich sage auch nein unter der Androhung physischer Gewalt.» Er nahm den Hörer seines Schreibtischtelefons ab. «Wenn ich verschwände – all die Zeugen hier. So viele Kameras. Sie würden Sie kriegen. Es wäre Selbstmord, mir auch nur ein Haar zu krümmen.»
Odin lud durch. «Gut, dass mir das scheißegal ist.»
«Oh, Ihr Team ist Ihnen nicht egal. Die Mächtigen können sich an Ihre Leute halten, um Sie zu kriegen.»
«Mein Team ist tot. Verraten von jemandem innerhalb des Systems. Des Systems, zu dem Sie jetzt anscheinend gehören.»
Evans Lächeln schwand.
«Und wenn Sie sich mal umhören, dürften Sie herausfinden, dass man bereits Jagd auf mich macht. Sie zu töten hätte keinerlei Auswirkungen auf meinen Nachmittag, geschweige denn auf mein Leben.»
McKinney sah die Veränderung auf Evans’ Gesicht – zum ersten Mal schien er Odin ernst zu nehmen. Es fühlte sich schrecklich an, daran beteiligt zu sein, dass dieser Mann, den sie gar nicht kannte, auf diese Weise bedroht wurde, aber sie versuchte, nicht auf Odins Lüge zu reagieren.
Evans war blass geworden. «Wer ist Ihre hübsche Freundin, Odin?», sagte er mit einem matten Grinsen.
«Nennen Sie sie ‹Professor›.»
Evans streckte die Hand aus. «Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Professor.»
McKinney nickte und schüttelte seine feuchte Hand.
Evans ließ ihre Hand nicht gleich wieder los, sondern inspizierte sie. «Keine Spezialkräfte-Soldatin.» Er zeigte auf Odin und sagte, an McKinney gerichtet: «Sehen Sie die Schwielen an Odins Schusshand? Die kriegt man, wenn man fünfzigtausend Schuss im Jahr abgibt. Das Training gewöhnt einen an Ballerei. Und an die Schreie unschuldiger Menschen.»
Odin hielt die Pistole immer noch an die abgehängte Decke gerichtet.
Evans behielt Odin wachsam im Auge. «Ahnen Sie überhaupt, Professor, wie viele Leute er getötet hat?»
Unwillkürlich blickte McKinney Odin betroffen an.
«Wissen Sie noch, Odin, dieser Ladenbesitzer in Dushanbe? Wie er um sein Leben gefleht hat und Sie ihn einfach vor seinem Jungen abgeknallt haben? Ich bin ja so froh, dass ich Ihnen helfen konnte, ihn aufzuspüren. Macht mich stolz, Amerikaner zu sein.»
Odin sagte nur emotionslos: «Wenn es Sie so schockiert hat, warum haben Sie dann seine Zigaretten mitgenommen?»
«Weil es französische Zigaretten waren.» Evans schwitzte jetzt. «Was passiert Ihrer Erfahrung nach mit Zeugen, Professor, wenn gnadenlose Typen wie er gekriegt haben, was sie wollen? Ich würde sagen, diese Typen töten die Zeugen, um ihre Spuren zu verwischen. Das würde ich sagen.»
McKinney sah Odin ungehalten an und bedeutete ihm, dass er die Waffe weglegen sollte. «Mr. Evans, wir wollen nur Informationen. Wenn Sie uns helfen, werde ich nicht zulassen, dass Odin Ihnen etwas tut, das verspreche ich Ihnen.»
Evans lachte. «Oh, Sie werden nicht zulassen, dass er mir etwas tut. Das würde ich gern sehen. Was für Informationen?»
McKinney sah wieder zu Odin hinüber und führte die Verhandlungen weiter. «Kommunikationsdaten.»
Er blickte zwischen ihnen hin und her und seufzte schließlich resigniert. «Okay, dann eben auf die mühsame Tour: Was für Kommunikationsdaten?»
McKinney zögerte. «Wir brauchen Zugang zu Daten aus der Vergangenheit – wir wollen herausfinden, wer im Geheimdienstsektor Drohnenangriffsopfer herausgefiltert haben könnte, kurz bevor sie umkamen.»
Evans sah Odin ungläubig an. «Meint sie das ernst?»
Odin nickte.
Evans wandte sich wieder an McKinney. «Ah. Okay. Wenn’s weiter nichts ist …»
«Mr. Evans –»
«Nein, lassen Sie mich kurz rekapitulieren: Sie wollen die Lauscher belauschen – habe ich das richtig verstanden? Was im Klartext heißt, Sie brauchen Root-Zugriff auf alles, was die NSA mittlerweile aus Project Thin Thread gemacht hat, plus solcher Kleinigkeiten wie der Aurora-Datenbank von AT&T – sehr wahrscheinlich das größte Datenarchiv der Welt.»
McKinney hob die Hände. «Hören Sie, ich weiß –»
«Kein Problem. Das kriegen wir sicher in ein paar Minütchen hin.»
Odin mischte sich ein. «Mort, das ist kein Witz. Meine Mission bestand darin herauszukriegen, wer hinter den Drohnenangriffen steckt – und als wir eine Spur hatten, hat jemand innerhalb des Systems Drohnen auf uns losgelassen.»
Evans rieb sich die Schläfen und hielt sich die Ohren zu. «La-la-la … Ich höre das alles gar nicht …»
«Es spricht manches dafür, dass jemand im Establishment hinter den Drohnen steckt. Ich muss herausfinden, wer.»
«Scheiße! Warum zum Teufel sind Sie gerade hierhergekommen? Verdammt, Mann! Ich habe endlich mein Leben auf die Reihe bekommen.»
Odin richtete die Pistole auf Evans. «Dann war’s das wohl …»
Evans hob abwehrend die Hände. «Und falls ich es durch irgendein Wunder schaffen würde? Was dann – werden Sie mich töten und in den Everglades versenken?»
«Lässt irgendwas in meinem bisherigen Verhalten darauf schließen, dass ich grundlos töten würde? Sie wissen verdammt genau, dass der Ladenbesitzer in Dushanbe ein Bombenbastler war. Dass er Kindern Bomben umgeschnallt hat.»
Sie starrten sich sekundenlang schweigend an; Evans atmete schwer.
«Es geht hier um sehr schwerwiegende Dinge – nicht nur um die nationale Sicherheit, sondern um die Zukunft der Menschheit, und ich bin fest davon überzeugt, dass Sie uns weiterhelfen können. Jemand hat zumindest einen Teil des nationalen Sicherheitsapparats gehijackt, und ich nehme an, es hat mit dem Gesetz über die Milliardenmittel für autonome Drohnen zu tun, das momentan durch den Kongress gepeitscht wird. Wie können wir herausfinden, wer es ist?»
Evans machte ein entsetztes Gesicht. «O Mann! Das sind Leute, mit denen ich mich nicht anlegen will.»
Odin hob die Pistole wieder. «Ich werde Sie dazu bringen, das Richtige zu tun. Auch wenn es Ihr Tod ist.»
McKinney schob die Pistole beiseite. «Er wird uns ja helfen.»
«Das ist der Grund, warum man sich nicht mit der Unterwelt einlassen sollte, Mort. Was hält mich davon ab, diese Leute wissen zu lassen, dass Sie uns geholfen haben, selbst wenn es nicht stimmt? Ich könnte jetzt Ihr Telefon da abnehmen und mit meiner Stimme in die Leitung sprechen. Das müsste reichen.» Odin langte nach dem Hörer.
«Nicht!» Evans schob das Telefon weg. «Was Sie verlangen, ist unmöglich. Trotzdem, ich werde sehen, was ich tun kann. Aber hier geht es nicht. Ich brauche richtiges Equipment.»
McKinney sah sich in der riesigen Eigentumswohnung mit den hohen Fenstern und dem Bay-Blick um. Es war eine Penthouse-Wohnung in einem pseudomediterranen zwanzigstöckigen Hochhaus am Bayshore Boulevard. Sie war neu und wirkte ziemlich unbewohnt – keine Unordnung, kein dreckiges Geschirr. Die Einrichtung war in sich kohärent, wenn auch ein bisschen dick aufgetragen. Da waren ein L-förmiges Segmentsofa auf einem Zebrateppich, weite Parkettflächen, eine vollausgestattete Bar, Spiegel, Lampen aus gebürstetem Stahl, Bodenvasen, kühne moderne Kunst, die nichts sagte, das aber laut, sowie Regale mit einem getrockneten Kugelfisch und anderem Nippes, den McKinney nicht ohne weiteres mit dem Großstadtcowboy zusammenbrachte, dem er angeblich gehörte.
Nachdem er sich einmal geschlagen gegeben hatte, beschwerte sich Evans nicht mehr sonderlich darüber, von Odin quasi gekidnappt worden zu sein. Er schien sich in sein Schicksal zu ergeben. McKinney war in ihrem Mietwagen hinter Evans’ Jaguar hergefahren und hatte ihn die ganze Zeit auf Odin, der auf dem Beifahrersitz saß, einschwatzen sehen. Jetzt wirkte Evans fast schon gut gelaunt: Er summte vor sich hin, während er sich an der Bar einen Drink machte.
«Möchten Sie irgendwas, Professor?»
Sie schüttelte den Kopf.
«Ich mixe einen legendären Mai Tai.»
«Ich sagte nein. Danke.»
«Wie Sie möchten. Ich muss sagen, Sie sind ziemlich schnuckelig, auf Ihre burschikose Art. Welches Mädel geht denn überhaupt zur CIA?»
«Ich bin nicht bei der CIA. Bleiben wir einfach beim Geschäftlichen, Mr. Evans.» Sie ging zu Odin, der an der Glasfront mit Blick auf das glitzernde Wasser der Bucht stand. «Glaubst du wirklich, dieser Gangster kann uns Zugang zu irgendwas verschaffen?»
Odin behielt sein Pokerface bei. «Nein, aber er kann uns zu den Leuten führen, die es können. Ich warte nur, dass er seinen Move macht.»
Das verblüffte sie. Sie blickte über ihre Schulter.
Evans schüttelte einen silbernen Martini-Shaker, klopfte dann mit dem oberen Teil auf die Kante der Bar und zog die Hälften gekonnt auseinander. Er goss sich durch ein Sieb ein gekühltes Martiniglas voll.
Odin sagte mit dem Gesicht zum Fenster: «Ganz schöner Aufstieg, Mordecai. Was hat Sie diese Wohnung gekostet?»
«Eineinhalb Millionen – nur eine halbe Million mehr, als sie jetzt wert ist, was im Immobiliengeschäft in Florida heutzutage schon als genialer Deal gilt. Aber das kratzt mich nicht. Zion boomt.» Er trank einen Schluck und machte befriedigt «Aaaahhh.»
«Interessant, dass Ihre Firma gar keine Website hat – bei Ihren Fähigkeiten auf diesem Gebiet.» Odin drehte sich um. «Was genau macht die Zion Group?»
«Auftragsarbeit für Public-Relations-Firmen. Langweiliges Zeug, aber gut bezahlt.»
Odin sah ihn durchdringend an. «Ich habe nicht die Absicht, zweimal zu fragen.»
«Mann, Odin. Immer mit der Ruhe. Ich wollte nur Ihre scharfe kleine Freundin nicht langweilen.»
«Schluss mit dem blöden Gequatsche. Sie hat mehr auf dem Kasten als Sie. Raus damit, wofür ist Zion die Fassade?»
Evans hob die Hände. «Es ist überhaupt keine Fassade. Wir –»
Odin packte die Kante eines Mangoholzregals, bestückt mit Vasen und kleinen Skulpturen.
«Oh. Nicht doch, Odin –»
Er kippte das Regal, und es krachte zu Boden, wobei es den Rand eines Glascouchtischs zerschmetterte.
«Was soll das, Mann? Das habe ich für gutes Geld kaufen lassen.»
Odin stieg über den Trümmerhaufen und ging zur Bar. «Wenn ich Ihnen eine Frage stelle, will ich eine prompte, ausführliche und präzise Antwort.»
«Wie wär’s mit geschicktem Entlocken? Das ist doch der erste Schritt, Herrgott noch mal.»
«Ich habe keine Zeit, auf Samtpfoten um Sie herumzutänzeln. Sie sind ein Drecksack. Sie waren immer einer und werden immer einer sein. Also, was macht Zion wirklich?»
Evans musterte sein verwüstetes Wohnzimmer. «Verdammt.» Er sah Odin an. «Okay. Wir machen Persona-Management. Versteht ein Gorilla wie Sie garantiert nicht.»
«Versuchen Sie’s.»
Evans suchte nach Worten. «Wir machen soziale Medien für multinationale Klienten nutzbar – helfen, Marken zu pushen.»
«Sie machen Geheimdienstarbeit? Beeinflussungsoperationen für das Verteidigungsministerium?»
Evans zuckte die Achseln. «Woher soll ich das wissen?»
«Wer sind die Freunde ‹an offizieller Stelle›, von denen Sie im Büro gesprochen haben? Die, die angeblich hinter Ihnen stehen?»
«Ich weiß es nicht. Ich habe eine Nummer, die ich anrufen soll, wenn es irgendwelche Probleme gibt. Hatte noch nie Veranlassung dazu.»
Odin musterte ihn. «Ich übersetze das mal in etwas, wovon ich mir vorstellen kann, dass Mordecai damit zu tun hat. Also … Sie manipulieren soziale Medien, damit sie Lügen verbreiten. Trifft es das in etwa?»
«Ein bisschen komplizierter ist es schon, und es verlangt technisches Können. Wir arbeiten mit sogenannten Sockenpuppen – erschaffen Heerscharen gefakter Online-Personas. Benutzeraccounts, die Meinungen verbreiten, an deren Verbreitung bestimmte Leute ein Interesse haben. Wir überschwemmen Foren, Kommentarbereiche von Websites, soziale Medien. Es braucht gute Software, um das alles zu managen – um die Posts zu automatisieren und gleichzeitig individuell zu gestalten. Ich habe die Logik von meiner Bot-Herding-Software übernommen – von der Goldfarming-Operation in China.»
«Woher kriegen Sie Ihre Aufträge?»
«Sagte ich doch, von Public-Relations-Firmen – oder jedenfalls deren heimlichen ‹Flüstermarketing›-Ablegern. Früher hat man ganze Armeen von bezahlten Deppen im Netz Loblieder auf Produkte und Anliegen singen lassen, aber Menschen sind unzuverlässig. Wir sind kosteneffizienter. Sie wollen, dass eine Million ‹Leute› an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit im Netz etwas Bestimmtes sagen? Dann bin ich Ihr Mann.»
«Politische Sachen?»
«Klar. Wir haben Klienten aus der Politik. Washingtoner Lobbyfirmen – aber das sind alles Public-Relations-Töchter viel größerer Mütter. Die unterhalten Scharen von Tarnfirmen.»
McKinney konnte ihre Empörung kaum im Zaum halten. «Sie unterminieren die Demokratie im Internet, das tun Sie.»
«Oh, bitte. Wir benutzen unser Know-how, um eine Meinung zu promoten. Das ist nicht illegal. Und wir haben ein paar ganz schön populäre Personas geschaffen – Sockenpuppen mit Hunderttausenden Followern. Einige meiner Personas haben regelrechte Fans.»
«Wie viele Leute hat Ihr Unternehmen?»
«Es ist viel größer als das, was Sie gesehen haben. Ich bin kein Niemand, Odin. Wir haben Mitarbeiter auf der ganzen Welt.» Bei diesem Gedanken lächelte Evans. «Ich weiß noch, wie geil ich es fand, in Regierungsnetzwerke einzudringen, aber das hier … Mann, es gibt nichts Geileres als den Gang der Dinge zu beeinflussen. Ist verblüffend, was ein paar Leute und ein bisschen Geld im Internet bewirken können. Unsere Sockenpuppen haben schon ganze Wahlen herumgerissen. Vor allem, wenn uns die Gegnerbeobachtungsleute etwas geben, was wir öffentlich machen können. Dann upvoten unsere Puppen es bis zum Gehtnichtmehr, selbst wenn es läppisch ist. Wir können praktisch aus nichts öffentliche Empörung generieren.»
McKinney zeigte auf Evans. «Wie können Sie darauf stolz sein? Sie erzeugen gefakten Konsens. Eine ‹Volksbewegung›, die es gar nicht gibt.»
«Das nennt sich Astroturfing, und, ja, es ist eine spannende Aufgabe.»
Odin bremste McKinney mit einer leichten Berührung, als sie aus der Haut zu fahren drohte. «Es geht um die Mission, Professor.»
Evans lachte amüsiert, während er von seinem Mai Tai trank. «Regt sie das wirklich auf?»
«Die Leute müssen erfahren, was diese Kerle tun.»
«Pfff! Dass ich nicht lache. Das ist doch kein Geheimnis. Was glauben Sie denn, warum jeder ein Stück vom Kuchen abhaben will? Opposition aufzuspüren und zu neutralisieren oder die eigene Agenda zu promoten – dafür sind soziale Medien da.»
«Ursprünglich waren sie dazu gedacht, die Informationshoheit der etablierten Medien zu umgehen.»
Er winkte ab. «Ja, und schauen Sie, was daraus geworden ist. Im Internet reden alle übers Fernsehen, und im Fernsehen reden alle übers Internet. Das ist alles ein einziges sich selbst fütterndes System, und Sie geben mir die Schuld? Die großen Jungs haben längst übernommen. Sie zäunen das ach so freie Internet ein. Teufel noch mal, selbst die CIA hat eine Social-Media-Abteilung mit hippen jungen Nachrichtenanalysten, die das Bedrohungs-/Chancenprofil im Auge behalten und in 140-Zeichen-TWITINT-Tweets berichten.»
Odin ging jetzt dazwischen. «Wer sind diese PR-Firmen, die Sie beauftragen?»
«Groß. Im Besitz von Washingtoner Kanzleien. Mächtig. Mit Zugriff auf alles – all die Daten, die in der Gesellschaft unterwegs sind. Handyortung. Einkaufsdaten. E-Mail, Instant Messaging, soziale Netzwerke. Sie schürfen überall in Echtzeit, um Sachen zu finden, die den Interessen ihrer Klienten zuwiderlaufen. Um Probleme und Chancen auszumachen. Wenn irgendwo über etwas geredet wird, was ihre Interessen tangiert – sie wissen es. Und sie können den öffentlichen Diskurs notfalls verändern, können die öffentliche Wahrnehmung modifizieren – die Realität in Echtzeit umschreiben. Es ist wirklich beeindruckend. Sie könnten Mutter Teresa zum Satan machen und Hitler zum heiligen Franziskus.»
McKinney sah ihn mit abgrundtiefer Verachtung an.
Er begann, sich einen weiteren Drink zu mixen. «Verabscheuen Sie nicht den Spieler, Professor, verabscheuen Sie das Spiel. Immerhin bin ich keiner von diesen miesen kleinen Datenkosmetikern und Trash-Consultants, die Promiklatsch steuern, um eine konsistente ‹Markenstory› zu erzählen. Alles, was die Öffentlichkeit sieht, ist gemanagt. Wo immer es eine wertvolle Marke zu schützen gibt, egal ob eine Person oder ein Spülmittel, sind diese Leute da draußen und schützen sie, formen die Geschichte. Ich bitte Sie … wer zum Teufel folgt denn einem Spülmittel auf Twitter? Wie kann irgendjemand diesen Käse für echt halten?»
In dem Moment sah McKinney einen von Odins Raben draußen auf der Brüstung der Dachterrasse landen. Er wirkte aufgeregt, krächzte lautlos hinter den Isolierglasfenstern und hüpfte nervös das Geländer entlang.
Odin stutzte, wandte sich dann Evans zu. «Sie enttäuschen einen nie, was?»
Evans schien verdutzt. «Wie meinen Sie das?»
Odin zog wieder die Pistole. «Sie haben Alarm gegeben.»
«Wovon reden Sie?»
Odin packte ihn am Kragen und zog ihn über die Bar. Barhocker flogen um, und Evans landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden. «Wann haben Sie dort angerufen, Morty? Wann!» Odin presste dem Kerl das Knie ins Genick, nagelte sein Gesicht auf dem Parkett fest.
«Au! Scheiße noch mal! Ich hab’s nicht getan! Odin!»
McKinney rief: «Odin, um Himmels willen –»
«Wen haben Sie angerufen, Morty?»
Evans rang noch einen Moment nach Luft, hob dann kapitulierend die Hand. «Meinen Kontaktmann. Vorhin im Büro – als Sie eingebrochen sind. Mir gehört das ganze Haus. Ich bekomme ein Signal, wenn mein Etagenknopf gedrückt wird. Ich habe Sie auf den Aufnahmen der Fahrstuhlkamera erkannt, Bart hin oder her. Herrgott, Odin, wir saßen eineinhalb Jahre lang zusammen am Arsch der Welt – glauben Sie wirklich, Sie wären nicht in mein Gedächtnis eingebrannt? Ich hätte lieber in den Knast gehen sollen.»
Odin warf McKinney einen Sagte-ich’s-doch-Blick zu, presste Evans dann wieder auf den Boden. «Sie werden gleich merken, warum das dumm war.»
McKinney sah, dass der Rabe weggeflogen war. «Genug jetzt! Was es auch ist, es wird jeden Moment hier sein!»
Odin erhob sich und zog Evans auf die Beine. «Wo ist Ihr Fluchtweg?» Er langte hinter die Bar und zog Schubladen auf, bis er eine vernickelte Colt .45er zutage förderte. «Wie ich sehe, hatten Sie nicht mal den Mumm, es selbst zu versuchen. Wen oder was schicken die?»
Evans deutete mit dem Kinn auf die Pistole. «Die ist zur Selbstverteidigung.»
Odin prüfte, ob die Waffe geladen war, und sicherte sie dann. Er reichte sie McKinney. «Hier. Falls er irgendwas Krummes versucht, erschieß ihn.»
McKinney nahm die Pistole, schüttelte aber den Kopf. «Ich töte keinen Menschen.»
«Kannst du mit einer Pistole umgehen?»
Sie nickte. «Ich war mal mit einem Polizisten zusammen. Er hat –»
«Meine Güte, mit wie vielen Typen warst du denn zusammen?»
«Ach, wollen wir jetzt eine Doppelmoraldiskussion anfangen?»
Er hob die Hände. «Vergiss es.»
Evans sah sie an. «Was ist das denn? Sind Sie beide etwa ein Paar?»
Odin packte Evans an der Schulter. «Hinterausgang. Wo?»
«Was heißt hier Hinterausgang? Wer bin ich denn – Pablo Escobar? Das hier ist eine Eigentumswohnung in Florida. Hören Sie, ich kann die Leute anrufen. Kann ich. Versprochen. Ich blase die Sache ab. Ich schwör’s.»
Odin sah sich nach irgendetwas Brauchbarem um. «Sie kapieren anscheinend wirklich nichts, Morty. Die werden Sie nicht dafür belohnen, dass Sie uns verpfiffen haben. Dafür wissen Sie jetzt viel zu viel.»
«Ach was.»
McKinney mischte sich ein. «Was glaubst du, wie viel Zeit uns noch bleibt?»
Odin tigerte auf und ab. «Das Führungskommando Spezialkräfte sitzt hier in Tampa. Diese Leute haben wahrscheinlich damit gerechnet, dass ich mich da um Unterstützung bemühen würde – weshalb ich’s nicht getan habe. Aber das heißt auch, dass sie wahrscheinlich Einsatzmittel in der Nähe haben.»
In diesem Moment starrte Evans mit geweiteten Augen zum Fenster. «Was zum Teufel ist das?»
McKinney und Odin drehten sich um und sahen einen Schwarm von schwarzen Punkten – wie ein Vogelschwarm, der auf die Fensterfront zuflog.
Evans zeigte hin. «Was ist das, Himmelherrgott?»
«Das ist die Zukunft, Morty. Und der ist es scheißegal, auf welcher Seite Sie sind.» Er sah McKinney an. «Erkennst du deinen Algorithmus, Professor?»
Sie musterte das Verhalten der sich verdichtenden Wolke. «Weiß noch nicht.»
Evans blickte ebenfalls auf den nahenden Schwarm. «Sie wollen mich verarschen! Das ist Ihr Job? Schwärme von Robotervögeln zu entwickeln?»
Plötzlich knallte einer der flatternden Bots gegen die Scheibe und explodierte mit der Wucht einer Schrotladung. Das Sicherheitsglas zersprang in eine Million winziger Bruchstücke, die ins Zimmer fielen und sich auf dem Fußboden verteilten. Was blieb, war eine zwei Meter breite und vier Meter hohe Öffnung. Eine frische Brise und das Schwirren Tausender mechanischer Flügel drangen herein. Die Kreaturen ergossen sich durch die Öffnung ins Zimmer, versperrten den Weg in Richtung Wohnungstür.
«Hier lang!», rief Evans und winkte sie mit sich zu einem Gang ins Innere der geräumigen Wohnung, während immer mehr Vogel-Bots durch die Fensteröffnung hereinströmten. Evans rannte den Gang entlang, vorbei an teuer aussehenden, aber sterilen Bildern und geschlossenen Türen. «Was sind das für Dinger, verdammt?»
Odin schob McKinney in den Gang und folgte als Letzter. «Das ist eine Schwarmwaffe.»
«Das kann doch nicht –»
«Lassen Sie sie nicht in Ihre Nähe kommen. Es sind fliegende Schusswaffen. Sie versuchen, einen aus nächster Nähe zu erwischen. Wenn die Dinger Sie in die Enge treiben, sind Sie tot.»
«Scheiße, was haben Sie mir angetan! Endlich lief es mal gut!»
McKinney boxte Evans in die Schulter, als sie am Ende des Flurs waren. «Das haben Sie sich selbst angetan, Mr. Evans. Sie wollten uns umbringen lassen.»
Evans kämpfte mit einem Schlüsselring, um eine Tür zu öffnen. Sie hatte seltsamerweise ein Sicherheitsschloss, obwohl sie dem Aussehen nach nicht nach draußen führte.
«Achtung!» Odin richtete seine HK-Pistole den Gang entlang und feuerte auf Vogel-Bots, die am anderen Ende auftauchten. Ohne Schalldämpfer mussten die Schüsse ohrenbetäubend laut sein, aber McKinneys Herz pumpte so schnell, dass sie nichts hörte. Mehrere Bots zersprangen, ohne zu explodieren, und fielen in Stücken zu Boden – um dort erst wie eine Schrotladung zu bersten. Doch der Schwarm drang unbeirrt weiter vor.
Evans kämpfte immer noch mit den Schlüsseln.
«Verdammt, Morty, machen Sie die Tür auf!»
«Versuche ich ja.»
«Beeilung! Linda! Schieß!»
Sie hob die .45er und hielt sie im beidhändigen Griff, wie ihr Ex es ihr damals gezeigt hatte. Drückte ab. «Mist!» Sie löste den Sicherungshebel und feuerte mehrere krachende Schüsse ab. Es war lange her, dass sie mit einer Pistole geschossen hatte, und sie hatte keine Ahnung, ob sie irgendetwas traf.
Der Schwarm war jetzt schon auf der Hälfte des Gangs – das Schwirren wurde immer lauter.
«Hab’s!» Evans schloss die Tür auf und stürzte hindurch. McKinney und Odin folgten, wobei Odin noch ein paar letzte Schüsse abgab. Evans knallte die Tür zu, als sie alle drei in einer Art Computerlabor standen: einem Serverraum mit Serverracks und Dutzenden großer Flatpanelmonitore über zwei separaten Tischen. Überall waren technische Whitepapers und farbige Hentai-Poster von halbnackten japanischen Schulmädchen und fangarmbewehrten Monstern.
McKinney nahm sich trotz allem einen Moment, um ihrem Ekel Ausdruck zu verleihen: «Gott, sind Sie pervers!»
Evans schloss die Tür ab. «Wir haben dringendere Probleme als meine erotischen Vorlieben.»
Odin inspizierte den Raum: Ein anderer Ausgang war nicht zu entdecken. «Verdammt, Morty, hier sitzen wir in der Falle.»
Evans hastete umher, klapperte auf Tastaturen. «Stimmt nicht. Muss nur noch Festplatten löschen und mir ein paar Sachen schnappen, bevor wir abhauen.»
«Wohin denn?» Odin musterte die Racks an den Wänden des kleinen Raums. Eine Explosion wie ein Schrotschuss fetzte ein daumenbreites Stück aus der furnierten Tür. Odin hob die Pistole, feuerte aber nicht. «Sie brechen durch! Evans, Sie blöder –»
«Würden Sie mir einen Moment Zeit lassen?» Er klapperte immer noch auf Tastaturen herum.
McKinney hatte den Eindruck, dass er eine Wipe-Sequenz startete, und auf mehreren Bildschirmen scrollte ein Shellscript durch.
Nachdem er noch eine letzte Enter-Taste gedrückt hatte, schnappte sich Evans eine Laptoptasche, die über einer Stuhllehne hing. «Kann losgehen!»
«Wohin denn, Arschloch?»
Es krachte mehrmals an der Tür, und jetzt waren zwei schreibblattgroße Stücke herausgesplittert. Odin feuerte einige Male auf Vogel-Bots, die durch die Löcher zu flattern versuchten.
Evans packte McKinney an der Schulter und zerrte sie zu einem Computerrack. Er zog an dem Rack und es schwang an Scharnieren von der Wand ab, gab die Öffnung zu einem engen Gang frei.
McKinney atmete erleichtert auf, drehte sich um und rief Odin zu: «Odin! Hier lang!»
Odin verschoss den Rest des Clips seiner HK auf die Tür und sprengte noch mehrere künstliche Vögel in Stücke, aber die Bots sprengten ihrerseits weitere Löcher in die Tür. «Warum verdammt noch mal haben Sie nichts gesagt?», fuhr er Evans ärgerlich an, bevor er hinter McKinney in den Gang eintauchte.
«Weil ich wusste, dass Sie mich zwingen würden zu verschwinden, bevor ich so weit war.» Evans blieb in der Gangöffnung stehen. Im Serverraum flatterten bereits einzelne Vogel-Bots umher. Evans nahm einen militärgrünen runden Metallbehälter aus einem Halter an der Wand und zog einen Splint.
McKinney rief: «Was machen Sie denn da? Lassen Sie uns endlich verschwinden!»
«Muss hier aufräumen, sonst kriege ich später Probleme mit dem Gesetz …» Er warf den jetzt rauchenden Metallbehälter in den Serverraum, und ein blendend weißes Gleißen breitete sich aus, gefolgt von einer Welle von Gluthitze. Nachdem er die Geheimtür mit einem lauten Schlag hinter ihnen zugezogen hatte, zwängte Evans sich an ihnen vorbei und rannte vorneweg. Durch eine vorhin noch unsichtbare Ritze unter der Geheimtür drang das grelle Licht. Sie hörten ein Tosen wie von einem Hochofen.
Sie rannten hintereinander den engen Geheimgang entlang, bis zu einer schmalen Tür am anderen Ende. Evans drehte sich um und legte den Zeigefinger auf die Lippen. «Im Wäscheraum links halten, zum Dienstboteneingang. Von da über den Hausflur ist eine Feuertreppe.»
Odin nickte. «Pablo Escobar …»
«Ich habe mir nur alle Optionen offengehalten, Mann.»
McKinney und Odin nickten.
Evans schlüpfte durch die Tür und verschwand nach links. Sie folgten ihm schleunigst. McKinney sah sich kurz um: Dieser Kerl hatte wirklich eine Wohnung mit allen Schikanen. Hier waren keine Vogel-Bots, und sie erreichten den Dienstboteneingang. Evans entriegelte die Tür, steckte den Kopf hinaus, winkte, und sie rannten schräg über den Hausflur zur Feuertreppe. Sobald Evans die Druckstange berührte, schrillte der Feueralarm. Sie rannten die Treppe hinunter, und die Brandschutztür fiel hinter ihnen zu.
Odin rief: «Gleich werden Feuerwehr und Polizei hier sein.»
Evans nickte. «Gut so. Irgendein Arschloch hat da drinnen Feuer gelegt.» Er bog um den nächsten Treppenabsatz, und die anderen beiden folgten ihm auf den Fersen. «Diesmal haben Sie mich wirklich in die Scheiße geritten, Odin! Was zum Teufel soll ich jetzt machen?»
«Uns helfen, diese Dinger zu stoppen.»
«Oh, klar. Das würde Ihnen so passen!»
«Sie haben jetzt keine andere Wahl mehr. Die Leute, die dahinterstecken, haben Zugriff auf Nachrichtendienst- und Überwachungssysteme. Wir wissen ja beide, was diese Systeme können. Die finden Sie, egal, wo Sie hingehen.»
«Verdammt!» Evans drehte sich im Weiterrennen mit grimmiger Miene zu Odin um. «Ich kann es gar nicht leiden, wenn man mir meine Loyalität damit dankt, dass man mir einen Schwarm Roboterhornissen auf den Hals hetzt.»
«Liefern Sie mir einen Namen, Mort.»
«Oh, keine Bange. Ich liefere Ihnen mehr als nur einen Namen. Ich liefere Ihnen eine ganze Person mit allem Drum und Dran.»