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21

Kriegsmaske

McKinney bekam nur dunkel mit, dass um sie herum Leute brüllten und sich auf den Boden warfen, denn die Welt schrumpfte auf einen winzigen Fokuspunkt auf ihren Schuhen zusammen – Schuhen, die rot von Blut waren. Hoovs zuckender Körper lag zu ihren Füßen. Sie starrte ins Innere seines Schädels, aus dem in diesem Moment Blut strömte und eine Lache auf dem Boden bildete. Auch aus mehreren Löchern in Hoovs Oberkörper quoll Blut; sein blaues Ancile-Polohemd war ganz rotbraun.

Da packte sie jemand an den Schultern und riss sie über die Sofalehne. Sie spürte den Aufprall auf dem Boden gar nicht, aber er brachte sie offenbar wieder zur Besinnung. Sie blickte auf und sah, wie sich Geschosse systematisch in die Stirnpartien sämtlicher Porträts und Fotos von Menschen an der Wand gegenüber der Fensterseite bohrten. Glas- und Holzsplitter flogen, während Kugeln mit der Geschwindigkeit und Präzision einer Nähmaschinennadel über die Wand tackerten.

«Unten bleiben!» Derjenige, der McKinney gepackt hatte, schleifte sie jetzt über den Boden. Sie fühlte Odins kratzigen Bart auf der Stirn, als er sie hinter die Bar zog. Sein Arm war so hart wie ein Baseballschläger, und in der anderen Hand hielt er eine .45er Pistole.

Jemand rief: «Sniper, Schwarz, Alpha, Zwei!»

Odin brüllte zurück: «Automatisierte Sniperstellung. Vermutlich SAR – bleibt weg von den Außenwänden!»

Foxys Stimme: «Hoov ist tot, Odin.»

«Ich weiß.»

Eine Stimme rief aus der Halle: «Odin! Laut Boomerang kamen die Schüsse von zwei Punkten nahe der Mitte der Kammlinie. Steilfeuer aus sechshundertdreiundachtzig und sechshundertzwanzig Meter Entfernung.»

«Womit haben wir’s zu tun?»

«Aus diesem Winkel ist das Modell schwer zu identifizieren – akustische Signatur sieht in beiden Fällen nach .338 aus. Sie sind in guter Deckung und beschießen uns per Zielradar.»

Foxy schlug hinterm Sofa mit der Faust auf den Boden. «Sie müssen schon die ganze Zeit da gewesen sein – haben nur auf die Bestätigung gewartet, dass das Team vollzählig hier ist.»

Odin nickte. «Standort markieren. Und, Mooch, sofort einen GPS-Jammer anschalten! Ich will nicht, dass wir eine Lenkbombe auf den Kopf kriegen.»

«Schon dabei!»

McKinney sah Ripper mit dem Rücken zur Bar neben ihnen hocken. Die Frau wirkte cool und konzentriert, als sie einen zylindrischen Metallbehälter aus ihrer Combatweste zog.

Odin rief: «MM-Radar-Rauch zünden!»

Ripper zog den Splint und warf den jetzt entzündeten Behälter über die Bar ins Zimmer.

Odin übertönte das Zischen des hervorquellenden Rauchs. «Okay, alle mal herhören! Wir haben die Maßnahmen gegen diese Waffensysteme hundertmal trainiert. Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Alle in die Halle, in voller Antidetektionsausrüstung, zwei Minuten! Auf mein Zeichen!»

McKinney sah an sich herab und bemerkt, dass sie ganz mit blutiger Gehirnmasse bespritzt war. Als sie sich die Hände an der Kleidung abwischen wollte, blieben Klümpchen an ihren Fingern hängen. Die unwillkürliche Reaktion erfolgte prompt. Sie kotzte auf den Parkettboden hinter der Bar, rang zwischendurch nach Luft. «O Gott …»

Leute redeten von irgendwoher auf sie ein, aber ihr Körper ließ nichts zu ihrem Verstand durch. Sie würgte trocken, auf den Ellbogen kauernd.

Jemand riss sie grob hoch. Odin. Er schlug ihr mit der flachen Hand schmerzhaft auf den Kopf. «Reißen Sie sich zusammen, Professor. Ich brauche Sie an Deck.»

Der Schmerz brachte McKinney zu sich, machte sie aber wütend. «Arschloch! Ich versuch’s ja.» Sie kam in die Hocke.

Inzwischen war fast das ganze Zimmer voll Rauch, und das Atmen wurde mühsam.

Odin rief: «Los jetzt!»

Die anderen reagierten sofort und begannen, sich zügig zur Tür vorzuarbeiten.

Ripper warf McKinney ein Barhandtuch zu. «Los, Professor!» Sie machte eine auffordernde Bewegung mit ihrem Gewehr, und McKinney lief, sich Blut und Gehirnmasse von Hals und Gesicht wischend, an ihr vorbei – in eine erstickende Rauchwolke. Als sie in die vergleichsweise klare Luft der großen Eingangshalle hinaustaumelte, fasste Mooch sie am Arm. «Sind Sie verletzt?»

«Nein. Ist nicht von mir.»

Foxy und Tin Man waren schon dabei, große an der Wand stehende Pelicases zu öffnen, während Ripper mit ihrem Sturmgewehr dastand und alle Türen und Fenster beobachtete. Mooch aktivierte elektronische Geräte, die in robusten Rucksäcken steckten.

«COMJAM an.»

Odin schleppte Hoovs Leichnam in die Halle – den Kopf bedeckte ein kleiner Teppich. «Trauern werden wir später. Das Haus ist wahrscheinlich von höchstklassigen Sniperstellungen umgeben – die mit Sicherheit noch dickere Dinger auf uns feuern werden. Ich will einen Plan für die sofortige Exfiltration.»

Mooch antwortete als Erster. «Ich würde sagen, wir schlagen uns zur Landepiste durch und nehmen die Caravan.»

Foxy und die anderen zogen seltsame Waffen, Schutzwesten und sonstige Ausrüstungsgegenstände aus den Cases. «Was ist mit diesen düsengetriebenen Stealth-Drohnen? Die können uns doch einfach abschießen, wenn wir rausfliegen.»

Odin schüttelte den Kopf. «Ich glaube, die haben sie nur für ihre große Show aufgefahren. Gibt es mit Sicherheit noch nicht in größerer Stückzahl. Dafür sind ja die Sondermittel.»

Ripper sagte: «Und eine hat Odin abgeschossen.»

Foxy zog aus einem der Cases etwas, das aussah wie ein Römerschild mit verspiegelter Oberfläche. Er hatte eine Art flexibles Fiberskop an einem Kabel zur Innenseite. «Hey, lasst uns einfach zusehen, dass wir an den Sniperstellungen vorbeikommen und uns zu Fuß ins Hinterland absetzen.»

«Zu Fuß durchs Gelände sind es zwei Tage bis zur nächsten Zivilisation, und je länger wir hier in der Gegend sind, desto mehr Zeug können sie uns draufbrennen. Mit TRACER-Radar kriegen sie uns noch in der dichtesten Deckung. Wir müssen so schnell wie möglich weg aus dieser Gegend. Wir nehmen das Flugzeug.»

Smokey nickte. «Er hat recht, Foxy. Die Cessna hat genug Treibstoff für mindestens fünfzehnhundert Meilen.»

«Aber wohin?»

«Das klären wir, wenn wir in der Luft sind. Jetzt müssen wir erst mal raus aus dieser Falle.»

«Ihr wollt in diesen Bergen hier unter Radarhöhe fliegen?»

Ripper nickte. «Ich fliege die Kiste.» Für McKinney passte das Auftreten der Frau überhaupt nicht zu ihrem Aussehen – sie wirkte nicht gerade taff. Sie sah aus wie die nette Nachbarin, die einen sagenhaften Auflauf macht. Aber hier stand sie und schnallte sich eine Spezialschutzweste um.

Foxy musterte sie. «Schon mal eine geflogen, Ripper? Das ist keine Hundertzweiundsiebzig.»

«Fuck, klar hab ich schon mal eine geflogen. Erinnert ihr euch noch an Caqueza?»

Mooch zog eine Grimasse. «Da haben wir hinterher Zweige aus dem Fahrwerk gepult.»

«Und? Ist euch das tief genug?»

«Dann wäre das also geklärt.» Odin zeigte auf Foxy. «Falls Ripper was abkriegt, fliegst du, Foxy. Dann ich.»

McKinney bemerkte, dass die anderen während dieser Diskussion schwarzen Körperschutz mit seltsamen Außenformen und -mustern – grünen und braunen Klecksen, Texturen – anlegten. Zudem setzten sie bizarre Helme auf, die fast wie Karnevalsmasken von Picasso aussahen – furchterregend und extrem asymmetrisch.

Odin griff sich eine dicke Combat-Schrotflinte aus Kunststoff und rammte ein Plastik-Trommelmagazin hinein. Er lud durch. «Sie haben Gesichtserkennung. Sieht aus, als ob sie auf alles schießen, was wie ein Mensch aussieht, unabhängig von der Wärmeintensität – also will ich volle Gesichtsbedeckung. Mooch, hilf ihr, Hoovs Kühlanzug anzuziehen.»

«Oh …» McKinney blickte auf Hoovs partiell zugedeckten Leichnam hinab. «Ich –»

«Nicht verhandelbar, Professor. Mooch!»

«Schon dabei.»

Mooch zog aus einem Case einen schwarzen Overall und riss die Klettverschlüsse auf, ehe er ihn McKinney reichte. Das Ding sah fast aus wie ein Tauchanzug, nur dass es auf der gesamten Oberfläche Rippen hatte. Die anderen trugen ihre Anzüge bereits unter ihrem seltsamen Körperschutz. Sie wirkten wie ein Team von Kampftauchern, das sich für eine Performance kostümierte.

«Kühlanzug – unterdrückt Ihre Wärmesignatur», erklärte Mooch, während er sich an ihr zu schaffen machte. «Durch die Rippen fließt ein Kühlmittel. Wenn Sie sich nicht bewegen, wird Ihnen kalt, also sagen Sie mir Bescheid, wenn Ihre Finger taub werden.» Er war schon dabei, ihr seltsam geformte Arm- und Beinschützer umzuschnallen.

Das alles war offenbar dazu gedacht, die Menschengestalt zu verfremden – insbesondere das Gesicht. Mooch zog ihr eine engsitzende Sturmhaube über den Kopf.

«Headset auch. Ich will, dass sie am Teamfunk hängt.» Odin drehte sich um. «Foxy, Tin Man, geht rauf nach Weiß, Bravo, Zwo und zieht Feuer auf euch. Ich will einen Lageplan von jeder Sniperstellung zwischen uns und der Landepiste.»

«Und wenn sie mobil sind? Dann wäre das nur Zeitverschwendung.»

Mooch schüttelte den Kopf. «Schau dir die bodenbasierten Überwachungsbilder an. Die sitzen da draußen wie Zecken. Rühren sich nicht vom Fleck.»

«Stimmt.» Foxy holte ein unaufgeblasenes Poolspielzeug aus einem Case und zog es auf eine Druckluftdose. Es blähte sich rasch zu einer Menschenhalbfigur auf – einem Mann im Anzug. Er befestigte die Halbpuppe an einer Plastikstange, und er und Tin Man rannten damit die Treppe hinauf.

«Ohren zuhalten … es knallt!»

Odin zielte mit der Flinte auf das Oberlicht am anderen Ende der Eingangshalle. BUMM! BUMM! BUMM! Drei Meter weiter regnete es Glas auf die Dielen. Da war jetzt eine Öffnung zum Himmel. Odin beugte sich zu den Raben hinab, die die Schüsse gelassen hingenommen hatten. Er hob den Zeigefinger. «Hugin. Aufklären. Aufklären. Munin. Aufklären. Aufklären. Los!»

Sie krächzten laut, schwangen sich dann durch das Oberlicht in den blauen Himmel.

McKinney sah ihnen nach. «Wenn sie erschossen werden, Odin!»

Er legte den Rest seines asymmetrischen Körperschutzes an. «Wir kennen das Betriebssystem so ziemlich aller autonomen Sniperstellungen auf dem Markt, Professor. Die sind dafür gemacht, Menschen zu töten, nicht Vögel.» Er verfolgte auf seinem Rover Tablet Aufnahmen der Kamera eines der Vögel. «Die beiden werden im Ein-Meilen-Radius kreisen, dann sehen wir, was zwischen uns und der Landepiste ist.»

In der Ferne knallten mehrere Schüsse. Das von den Bergen widerhallende Geräusch gab Odin sichtlich zu denken, aber die Videobilder auf seinem Tablet liefen ruhig weiter, und gleich darauf kamen Smokey und Tin Man mit der erschlafften Aufblaspuppe wieder herunter.

«Schießwütige Mistdinger. Wir waren noch nicht mal an der Außenwand, als sie schon losgelegt haben – geradewegs durchs Holz.»

Mooch deutete mit dem Kopf auf eine Reihe von Monitoren auf einem nahen Tisch. «Da hast du deine Vektor-Map, Odin.»

Odin beugte sich an den Monitor. Der zeigte auf den Berg projizierte Punkte und leuchtende Linien; die Bahnen der feindlichen Geschosse. «Okay, zwei auf der Kammlinie, achthundert und neunhundert Meter, eine näher hier am Hang – circa siebenhundertachtzig. Foxy, was meinst du – Lapua Magnum?»

«Die würde ich nehmen.»

«Okay.» Odin klickte auf dem Bildschirm herum. «Dann haben die Geschosse eine Flugzeit von einer Sekunde, plus minus.» Er stand auf. «Selbst wenn sie uns eingabeln, ist das für sie zu weit, um ein flüchtiges Ziel zu treffen. Foxy!»

«Ja?»

«Nimm den Tarnspiegel und markiere die Ziele mit Rotnah. Smokey, Tin Man, baut den M224 in Sichtdeckung auf – hinter den SUVs am besten. Feuert nach Foxys Zielmarkierung ein paar 720er auf diese beiden Sniperstellungen. Räumt uns den Weg zur Landepiste frei.» Er sah sich um. «Irgendwelche Einwände?»

Alle nickten und murmelten zustimmend.

«Also dann. Los.»

Sie griffen sich augenblicklich ein anderes Equipmentcase und schleppten es zur Eingangstür.

McKinney sah Odin forschend an. «Sie haben schon mit diesen Dingern zu tun gehabt?»

Er nickte. «Wir leuchten sie zur Zielmarkierung mit rotnahem Laser an – wärmelosem Licht. Basiert übrigens auf Insekten-Biolumineszenz. Hilft uns, nicht geortet zu werden. Diese Maschinen sehen Infrarotlicht so wie wir sichtbares Licht, deshalb benutzen wir keins.»

Foxy und die anderen gingen in ihren Kühlanzügen zur Haustür und öffneten sie schnell, wobei Foxy den verspiegelten, gewölbten Schild vor sich hielt. Alle anderen beobachteten sichtlich angespannt, wie er, Smokey und Tin Man hinausrannten, doch die Kühlanzüge und der bizarre Körperschutz machten die drei offenbar für die Autosniper auf den Höhen unsichtbar.

McKinney ging zu den Überwachungsmonitoren hinüber und verfolgte über Moochs Schulter, wie Foxy sich in der Einfahrt im Schutz des Spiegelschilds hinkniete. Hinter den SUVs öffneten Smokey und Tin Man schnell das Pelicase und bauten etwas auf, das wie ein leichter Mörser aussah. Nach nicht einmal einer Minute meldete sich Tin Man über Sprechfunk.

«Okay, Foxy, Ziel eins beleuchten.»

«Beleuchtet.»

Smokey blickte auf ein elektronisches Gerät und hielt dieses dann an ein Mörsergeschoss, das ihm Tin Man präsentierte.

«Geschoss programmiert. Feuern.»

Tin Man führte die Granate ins Rohr ein, und sie duckten sich beide mit geöffnetem Mund.

Der Mörser zündete mit einem SCHUUUM, das im Haus zu hören war.

Mooch blickte auf einen anderen Monitor, der die ferne Sniperstellung zeigte. Sie sah aus wie ein immergrüner Busch, aus dem ein schwarzes Rohr ragte. Doch gleich darauf explodierte der Busch und entblößte eine zerschmetterte optische Linse und einen umkippenden Dreifuß.

Mooch sagte über Sprechfunk: «Ziel eins ausgeschaltet.»

«Verstanden, Mooch.»

Sie erfassten schnell das zweite Ziel und wiederholten den Prozess, brauchten diesmal allerdings zwei Granaten, um sicher zu sein, dass es ausgeschaltet war. Das ganze Team in der Halle atmete auf, als Foxy sich meldete.

«Ziele eliminiert.»

Odin nickte. «Okay, also dann. Schaffen wir alles zu den SUVs.»

Doch plötzlich kam ein Summen von irgendwo draußen – weiter weg in den Bergen. Sie sahen sich an.

McKinney sagte als Erste etwas. «Was ist das?»

Es klang wie tausend Rasenmäher auf eine Meile Entfernung.

Mooch inspizierte die Monitore. «Ich sehe nichts. Und wir stören die üblichen Drohnen-Funkfrequenzen. Und GPS-Signale.»

Foxys Stimme kam über Sprechfunk. «Odin, wir haben hier draußen ein merkwürdiges Geräusch. Irgendwas auf den Sensoren?»

Das Geräusch wurde lauter. Odin musterte das Rover-Display. «Foxy, rein mit deinem Team. Sofort!»

Auf dem Videomonitor griffen sie sich ihr Equipment und schleppten es zur Haustür.

Für McKinney klang das Geräusch wie das Summen von Bienen. Sehr großen Bienen.

Ripper schwenkte mit ihrem Gewehr die Türen auf der Galerie ab. «Was zum Teufel ist das?»

Odin studierte das Display des Rover Tablets. «Wir brauchen wohl einen neuen Plan.» Er drehte das Display zu ihnen. Es zeigte die Perspektive eines Raben, der über die bewaldeten Hügel flog – hinter etwas her, das aussah wie ein riesiger Schwarm von schwarzen Vögeln, Tausende. Nur, dass sie sich nicht bewegten wie Vögel; sie schwärmten tief zwischen den Bäumen hindurch, dicht überm Boden. Irgendetwas folgend. Die Rabenperspektive zeigte, dass die schwarze Wolke sich wogend aufs Haus zu bewegte.

Foxy runzelte die Stirn. «Was in aller Welt …?»

McKinney musterte das Bild. «O mein Gott …»

Foxy, Tin Man und Smokey kamen durch die zweiflüglige Tür wieder herein. Foxy senkte den Spiegelschild. «Was ist das?»

Odin studierte den Rover. «Schotten dichtmachen, Leute. Wir werden gleich attackiert, und wenn es das ist, wofür ich es halte, heißt das, wir werden auf alles schießen, was sich bewegt.»

Die Teammitglieder nahmen sich eilig Reservemunition aus den Pelicases.

Ripper nahm ihren kleineren, leichteren Munitionsclip heraus und schob ein schweres, durchscheinendes Doppeltrommelmagazin in ihren Karabiner. «Smokey, hast du noch Trommeln für eine HK416?»

«Nein, ich habe nicht für einen Sturmangriff gepackt.»

«Mooch! Pack Hoovs Leichnam ein. Wir nehmen ihn mit.»

«Okay.» Mooch kramte einen Leichensack aus seinem Rucksack.

«Foxy!»

«Welcher Raum im Haus ist am besten gegen einen Schwarm zu verteidigen?»

«Wahrscheinlich die Garage. Steinwände. Auf zwei Seiten vom Hang geschützt. Da drin steht ein Jeep – allerdings ohne Verdeck. Und ich habe keine Schlüssel.»

Das Summen hüllte jetzt das Haus ein, zwang sie zu schreien. Oben klirrte Glas – vorn, hinten, auf beiden Seiten. Alle rissen die Waffen hoch.

Smokey beäugte die Galerie. «Oh, Scheiße …»

«Wir ziehen uns in die Garage zurück. Sofort!» Odin packte McKinney und zog sie mit sich durch die Halle. «Irgendeinen Expertenrat, Professor?»

McKinney starrte furchtsam nach oben wie alle Übrigen. «Ja. Tun Sie irgendwas, damit sie uns nicht finden.»

Smokey bildete die Nachhut. «Danke für den Tipp.»

In diesem Moment krachte eine Serie von Schüssen draußen vor der hohen Haustür: Um Schloss und Angeln herum splitterte Holz. Kugeln pfiffen durch die Halle, zerschmetterten eine Vase und das Glas einer Vitrine.

«Bewegung! Schneller!»

Dutzende weiterer Kugeln fetzten durch die Tür.

Als sie die Öffnung zu einem Gang erreichten, zeigte Ripper mit dem Finger und richtete ihre Waffen nach oben. «Da!»

Sie blickten hoch: Dutzende surrender schwarzer Objekte strömten aus verschiedenen Richtungen über die Galerie. Sie sahen aus wie Spielzeug: halbmetergroße Quadrocopter mit einer Art Drahtrahmen und einem runden Körper in der Mitte – wie seltsame geflügelte Insekten.

Sie schienen auf Rippers Bewegung oder Stimme zu reagieren, denn sie ergossen sich sofort in einer sich verdichtenden Wolke herab.

Ripper reagierte sofort; ein Feuerstoß fuhr aus ihrer HK, und um sie herum sprangen Patronenhülsen über den Boden. McKinney stellte erstaunt fest, dass ihre Kopfhörer das Rattern der Waffe minimierten und sie ihre Teamgefährten über den Intrateamfunk immer noch hören konnte.

Odin brüllte: «Ripper, hierher!»

Plastikstücke und ganze Quadrocopter hagelten jetzt um Ripper herab, während sie zu den anderen lief und dabei eine ununterbrochene Garbe emporfeuerte. Smokey und Tin Man jagten ebenfalls kurze Garben aus ihren HKs in die Decke.

Foxy rannte jetzt, Hoovs Leichensack an einem Gurtgriff hinter sich herziehend, an ihnen vorbei und den Gang entlang.

Als Ripper die Gangöffnung erreichte, schwebte eine der Drahtdrohnen neben ihr herab, und ein Schuss knallte aus nächster Nähe. Ripper fasste sich ans Bein und fiel in die Gangöffnung, blutend. «Verdammt!»

Mooch packte sie am Kragen und schleifte sie in den Gang, während Tin Man und Smokey die Dielen beharkten, die verwundeten Drohnen am Boden erledigten.

«Diese Scheißdinger …»

Von oben schwärmten bereits Hunderte weiterer Drohnen herab. Das Brummen war ohrenbetäubend.

Und dann gab die Haustür nach, und Dutzende Drohnen strömten von draußen herein.

Odins Stimme: «Zurück! Zurück! Tin Man, Smokey, Rückzug decken. Ich werde eine Rauchgranate werfen.»

McKinney rannte den von geschlossenen Türen gesäumten Gang entlang, während Odin kurz hinter Foxy und Tin Man zurückblieb. Sie schnupperte, roch einen pfeffrigen Geruch um sie herum, lief aber weiter.

Mooch schleifte die verwundete Ripper mit – die fluchte und um sich schlug.

«Verdammt noch mal, Mooch, ich kann laufen! Lass mich los, Mann!»

Foxy stand mit erhobenem Gewehr in einer Tür am Ende des Gangs links und winkte sie dort hinein. «Los! Schnell!»

Hinter ihnen ließen sich Smokey und Tin Man überschlagend zurückfallen, zersiebten mit ihrem wilden Feuern Wände und Türen, leerten ihre großen Trommelmagazine.

Die Drohnen folgten ihnen, aber die enge Gangöffnung machte die Verteidigung leichter. Fluggeräte zersprangen in der Luft, purzelten über den Boden, Trümmerteile häuften sich. Doch die Gestelle schienen aus dickem Metalldraht oder -rohr zu bestehen, denn sie behielten im Großen und Ganzen die Form, auch wenn der Kernkörper herausgeschossen war. Sie lagen wie tote Insekten auf dem Rücken, die spillerigen Beine nach oben.

Smokey drehte sich kurz um. «Was zum Teufel riecht da so? Riecht ihr’s?»

Tin Man nickte. «Wie schwaches Pfefferspray. Es brennt mir in den Augen.»

Odin schleuderte eine Rauchgranate in die Halle: dichte Wolken quollen aus dem Behälter. Er rief den Gang entlang: «Foxy! Wie sieht’s aus mit dem Jeep?»

Eine gedämpfte Stimme antwortete: «In Arbeit!»

Smokey warf sein Trommelmagazin aus und rief: «Muss nachladen!»

In dem Moment sah Odin die erste Welle des Schwarms durch den Rauch dringen.

Tin Man ließ sich eine Tür weiter zurückfallen. «Verdammt!»

Odin nickte. «Das ist Antimillimeterwellenradarrauch, und er bremst sie nicht mal.» Er nahm seine Flinte hoch und belegte die Gangöffnung mit Schrot, was besonders effektiv schien. Er rief den anderen zu: «Unsere Munition reicht nicht, um auch nur die Hälfte dieses Schwarms auszuschalten.»

Tin Man kniete sich hin. «Achtung! 40er-Granate. Deckung!» Er feuerte aus dem Granatwerfer unter dem Lauf seiner HK in die rauchgefüllte Halle. Ein gedämpfter Blitz und das Geräusch umherspritzender Drohnentrümmer – aber gleich darauf schwärmten die Dinger schon wieder durch den Rauch heran.

Tin Man schwenkte das Rohr aus und schob eine weitere Vierzig-Millimeter-Granate hinein, während Odin weiter Schrot in die Gangöffnung feuerte. FUUM! Die zweite Granate flog in die Halle, mit ähnlichem Ergebnis.

«Wie viele Scheißdinger sind das?»

«Achtung, hinter euch!»

Odin und Smokey drehten sich um: Foxy zeigte auf eine Zimmertür gleich hinter ihnen. Kugeln fetzten nahe der Klinke durchs Holz, rissen Stücke heraus. Krachten in die Wand.

«Rückzug! Smokey, Tin Man, zurück!»

Sie rannten, auf die Holzfüllung feuernd, an der Tür vorbei, und der Schwarm ergoss sich hinter ihnen in den Gang. An den Wänden der Halle leckten jetzt Flammen empor.

McKinney witschte durch die offene Tür in eine Zweiergarage mit Steinwänden, wo Foxy unter dem Armaturenbrett eines krokusgelben Jeeps neueren Modells herumwerkelte. Der Jeep hatte kein Dach, nur gepolsterte Überrollbügel. «Das ist nicht Ihr Ernst …»

«Was anderes haben wir nicht, Professor. Es sei denn, Sie glauben, wir hätten eine Chance, zu den SUVs vor dem Haus zu kommen.»

«Nein, das glaube ich nicht.» McKinney sah Hoovs Leichensack in dem kleinen Gepäckraum liegen. Ripper saß in der Tür des Jeeps, und Mooch untersuchte und verband ihr Bein.

«Kleinkaliberkugel. Wird schon gehen.»

«Sage ich doch die ganze Zeit.» Sie lud ihr Gewehr nach.

«Hast du gesehen, was es war?»

«Sah aus wie eine Batterie von Zip Guns. Sie versuchen, einen aus der Nähe zu erwischen. Sie haben so was wie Insektenaugen …»

McKinney schnupperte wieder. «Riecht das noch jemand außer mir?»

Ripper nickte. «Wie Cayennepfeffer?»

Mooch schnitt die Binde ab. McKinney spähte vorsichtig in den Gang hinaus.

Odin drehte sich zu ihr um. Obwohl sie seinen Gesichtsausdruck hinter der asymmetrischen Maske nicht sehen konnte, sagte doch seine Körpersprache, dass sie nicht mehr lange standhalten konnten. Hinter ihm war die Hölle los: Tin Man und Smokey gaben pausenlos Schnellfeuergarben ab und warfen Granaten.

Odin drehte sich wieder nach vorn und feuerte auf eine Drohne, die durch die seitliche Tür kam. Sein Schrothagel brachte sie zur Explosion: Alle drei Männer wurden zu Boden geworfen, und Splitter zersiebten die Wände.

McKinney rannte zu Odin.

Er drückte ihr die automatische Schrotflinte in die Hände. «Schießen Sie!» Und robbte dann zu Smokey, der am schreienden Tin Man zerrte. Tin Mans Beine waren voll Blut, und aus seinem Oberschenkel ragte ein Metallstachel. Auch Smokey blutete aus mehreren Wunden.

McKinney nahm die schwere taktische Flinte hoch, als eine Welle von Drohnen auf eine Art und Weise auf sie zukam, die sie aus ihrer Forschungsarbeit nur zu gut kannte. Sie hätte nie gedacht, dass sie einmal Weberameisen auf gleicher Ebene gegenüberstehen würde, aber jetzt, da dieser Fall eingetreten war, empfand sie eine Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen. Sie feuerte, und der Rückschlag der automatischen Schrotflinte war nicht so schlimm, wie sie gefürchtet hatte. Sie hielt den Abzug durchgezogen und schwenkte den Gang ab, über die Köpfe von Odin und Smokey hinweg, die den schreienden Tin Man in Richtung Garage zogen.

Dutzende Drohnen zersprangen, während sie sich unablässig feuernd zurückfallen ließ. Es war ein verblüffend befriedigendes Gefühl.

Dann stand Smokey wieder aufrecht und feuerte aus seiner HK. «Ich mache weiter, Professor.»

McKinney senkte die qualmende Flinte und bückte sich, um Odin zu helfen, Tin Man in die Garage zu ziehen. Dort übernahm Mooch.

Tin Man schimpfte und fluchte. «Verdammte Scheißdinger! Bin auf eins draufgefallen, und dieses Teil hat sich durch mein Bein gebohrt. Ihre Beine sind Aluspieße oder so was.»

Das spitze Teil war offenbar schon herausgezogen, und Mooch drückte Gefäße ab.

McKinney blickte auf und sah, dass Odin wieder draußen im Gang war, sich aber jetzt mit Smokey zur Garage zurückfallen ließ, wobei Smokey mit seiner HK feuerte und Odin mit einer Pistole. Gleich darauf zogen sie die Tür hinter sich zu. Odin hieb mit der Faust dagegen. Es klang massiv. «Feuerschutztür. Müsste uns ein paar Minuten Zeit geben.»

Beide bluteten aus mehreren Wunden.

Nur Sekunden später begann sich die Tür unter dumpfen Aufschlaggeräuschen an mehreren Stellen zu wölben – sie wurde von der anderen Seite beschossen.

«Vielleicht doch nicht so lange.» Odin blickte in die andere Richtung, auf das dicke hölzerne Garagentor. Es bebte unter dem Anprall von Drohnen.

McKinney hielt Odin die Flinte hin, und er nahm sie. «Danke, Professor. Jetzt sind wir wohl quitt.»

«Riechen Sie das?»

«Den Pfeffer?»

«Ja. Ich glaube, sie legen eine Pheromonmatrix – wie Weberameisen. Sie sondern den Duftstoff vermutlich als Angriffssignal ab.»

Odin nickte. «Interessant.»

Mooch blickte von Tin Mans Bein auf. «Wie schlimm bist du verletzt, Odin?»

«Geschosssplitter. Nichts Ernstes. Foxy!»

«Was?»

«Wenn du den Jeep nicht bald gestartet kriegst, sind wir geliefert.»

«Ich weiß die Ermunterung zu schätzen, aber die Batterie war leer. Ich bastle da gerade was mit dem Funkgerät.»

Odin zog den Rover Tablet aus einer Hülle; er zeigte das Haus aus der Rabenperspektive – aus mehreren hundert Fuß Höhe.

McKinney schaute über seine Schulter. Der schwarze Schwarm verdeckte das Haus fast komplett. Sie hatten ihn kaum dezimiert.

«Was wird jetzt aus Hugin und Munin?»

«Raben können Adlern davonfliegen. Ich wette, sie entkommen auch diesen Dingern.» Odin tippte aufs Display. «Ihr Computermodell scheint jedenfalls zu funktionieren, Professor.»

«Ich hätte gern eins von den Dingern. Um es zu untersuchen.»

Die Teammitglieder stöhnten.

Ripper knurrte: «Sie können es ja studieren, während es Ihre verflixten Augäpfel frisst.»

Plötzlich drehte der Anlasser des Jeeps, und der Motor sprang an.

Erleichterte Ausrufe. Da erschien plötzlich in der Tür zum Gang ein Durchschussloch. Das Projektil streifte pfeifend die Garagenwand.

Odin gestikulierte. «Einsteigen! Professor, Sie sind ja am Steuer durch nichts aufzuhalten. Sie fahren.»

«Ich weiß nicht, wohin –»

«Bergab. Wir übernehmen die Verteidigung. Machen Sie schon! Los!»

McKinney kletterte auf den Fahrersitz und schnallte sich an.

Odin griff sich einen Aluminiumbaseballschläger, der an der Wand lehnte. «Schnappt euch alle eine Schlagwaffe. Wenn sie nah rankommen, können wir nicht schießen.»

Smokey nahm mehrere Hämmer von einem Werkzeugbrett über einer Werkbank und warf sie den Teamkameraden zu. «Da.» Mooch griff sich ein Montiereisen.

Alle quetschten sich in den Jeep: Zu siebt war es eng. Foxy saß auf dem Beifahrersitz, Ripper, Mooch und Tin Man auf dem Rücksitz. Hinter ihnen klammerten sich Odin und Smokey an den Überrollbügel und versuchten, sich nicht auf Hoovs Leichensack zu knien.

Die auf den regulären Sitzen schnallten sich an, zogen Gurte und Gewehrriemen stramm.

«Helme nicht abnehmen. Da draußen sind immer noch Autosniper.» Odin nickte Smokey und Mooch auffordernd zu, als er die Gurte seiner Combat-Weste um den Überrollbügel zog. «Und wer keinen Sicherheitsgurt hat – schnallt euch an irgendwas fest. Wir fahren querfeldein, und es wird holprig werden.»

Kugeln sprengten den Türgriff aus der Innentür der Garage.

«Okay, Professor?»

Sie inspizierte die Bedienelemente. Zum Glück hatte der Jeep Automatik. Eine Sache weniger, auf die sie sich konzentrieren musste. «Wohin soll ich fahren?»

«Einfach bergab, egal wie. Die Landepiste können Sie nicht verfehlen. Dann müssen wir zum Hangar am Südende.»

«Wer öffnet das Garagentor?»

«Donnern Sie einfach durch. Und was auch passiert: Fahren Sie schnell, und geben Sie immer weiter Gas. Selbst wenn wir in Flammen stehen und tot sind, geben Sie weiter Gas. Verstanden?»

«Das ist ja eine ziemlich klare Instruktion.»

Die Innentür knackte und wackelte.

Er klopfte ihr auf die Schulter. «Jetzt!»

McKinney legte den Fahrgang ein und gab Gas. Offenbar war der Jeep ein Sechszylinder, denn die Beschleunigung war kräftig, als sie auf das grüne Holzgaragentor zuschossen.

Die Stahlstoßstange des Jeeps sprengte die Torflügel auf und pflügte einen Teil einer brodelnden schwarzen Wolke beiseite, ein paar Drohnen knallten gegen die Steinwand des Hauses. Es war regelrecht dunkel hier draußen von den Massen von Drohnen, die so laut summten, dass das Geräusch in McKinneys Ohren dröhnte – unangenehm und beängstigend.

Sie konnte kaum etwas von der Umgebung erkennen. Rechts parkten die beiden Ranger-SUVs hinter wirbelnden Drohnenschwaden und blockierten die Zufahrt. McKinney jagte den Jeep einfach geradeaus in die Wolke hinein und visierte die Lücke zwischen zwei großen Bäumen am Rand des geschotterten Parkbereichs an.

Foxy neben ihr und mehrere Teammitglieder hinter ihr feuerten mit Schnellfeuergewehren und Flinten, putzten die Drohnen vor ihnen weg, die im Nu durch neue ersetzt wurden.

Sie krachten in die Wolke von halbmetergroßen Fluggeräten, die von Kotflügeln und Windschutzscheibe abprallten. Den Kollisionen folgten augenblicklich das Knallen von Schüssen und beißender, schwefliger Rauch. Schmerzensschreie. Blutspritzer. Die Windschutzscheibe überzog ein Spinnennetz von Rissen, und sie hörte Kugeln direkt an sich vorbeipfeifen. Mehrfaches lautes Twack, als Plastik- und Schaumstofffetzen aufspritzten. Die Lenkung fühlte sich plötzlich schwammig an, als ob ein Reifen geplatzt wäre – oder mehrere.

Aber sie ließ den Fuß auf dem Gas, und der Jeep preschte weiter. Und dann plötzlich schossen sie ins Leere, fielen.

Mit einem Rums landete der Jeep auf dem Hang. Nachdem sie über den Rand des ebenen Parkbereichs gesprungen waren, rasten sie jetzt mit vierzig, fünfzig Meilen durch lockeren Nadelbaumbewuchs bergab. Sie riss das Lenkrad nach links, um einem großen Steinbrocken auszuweichen, musste aber feststellen, dass auf Tannennadeln zu lenken ungefähr so war, als schwämme man durch geschmolzene Marshmallows. Die Vorderräder schlackerten, und sie musste ihre ganze Kraft aufwenden, um den Jeep unter Kontrolle zu halten.

Doch McKinney blieb auf dem Gas, während sie im Slalom zwischen den Bäumen hindurchkurvte. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel und sah eine schwarze Wolke durch den Wald hinter ihnen herwirbeln – dahinter standen die oberen Stockwerke des Hauses in Flammen. Doch als sie nach rechts und links schaute, war da nur leere Luft – ohne Drohnen. Das Team stieß Rufe aus – ob Erleichterungs-, Anfeuerungs- oder Warnrufe konnte sie nicht erkennen.

Odins Stimme in ihrem Ohr: «Weiter bergab.»

Schnellfeuergarben hinter ihr.

«Wenn Sie an einen Fahrweg kommen, links. Der führt direkt hin.»

«Die Vorderreifen sind platt.»

«Fahren Sie einfach weiter!»

Und McKinney fuhr weiter, um Bäume herum, während die Wolke jetzt siebzig, achtzig Meter hinter ihnen blieb. Warum? Hielt es sie auf, den anderen Drohnen die Verfolgungsbotschaft zu übermitteln? Was auch der Grund sein mochte, es hatte ihnen erst mal einen Vorsprung verschafft.

Viel Spielraum hatten sie allerdings nicht. Wenn sie stecken blieben oder an einem Baum landeten, waren sie alle so gut wie tot. Sie konzentrierte sich darauf, den Jeep zwischen den Bäumen durchzumanövrieren, jetzt auf fast ebenem Terrain. Und dann sah sie durch die Bäume ein Stück weiter einen Fahrweg, fast senkrecht zu ihrer Fahrtrichtung. McKinney wollte nach links halten, weil sie neben dem Weg einen Graben erkannte und sich sagte, dass es sicherer sei, ihn im spitzen Winkel anzugehen.

Doch dichtes Gebüsch ließ ihr keine andere Wahl, als direkt auf den Weg zuzufahren, den Graben frontal zu nehmen. Ein Ruck, ein Satz, und sie landeten auf dem Fahrweg, schlingerten zu weit auf die andere Seite hinüber. Sie lenkte gegen, und jetzt rasten sie den Weg entlang, bergab – und auf ein hohes, fensterloses Wellblechgebäude zu.

Foxy klopfte ihr auf den Arm. «Da vor uns, Professor.»

Odin rief: «Fahren Sie auf die andere Seite des Hangars. Dort ist eine Tür. Foxy, kannst du dich bewegen?»

McKinney blickte kurz hinüber und sah jetzt erst, dass Foxy offenbar in die Seite getroffen worden war. Sein Handschuh war voll Blut.

«Hier draußen bleibe ich garantiert nicht.»

«Okay, spring raus, noch bevor der Jeep hält, und mach die Tür auf. Wir kommen mit den übrigen Verwundeten direkt hinterher.»

McKinney raste bereits zum anderen Ende des Hangars. Er war zwanzig, dreißig Meter lang. Eine ebene Graslandepiste erstreckte sich vor ihnen. Sie blickte in den Rückspiegel: Der Drohnenschwarm war jetzt vielleicht zwei-, dreihundert Meter hinter ihnen.

«Weiter Gas geben!»

McKinney lenkte den auf platten Reifen dahinrumpelnden Jeep auf die Rückseite des Hangars, wo eine Stahltür war. Sie brachte ihn rutschend zum Stehen und schnallte sich los. Das Summen des Schwarms wurde bereits lauter.

«Raus! Raus!» Odin blickte empor und pfiff nach den Raben, die bereits steil zu ihnen herabstießen.

Smokey hievte den Leichensack mit Hoov aus dem Laderaum, während McKinney Odin half, Tin Man aus dem Jeep zu bugsieren. Tin Man biss die Zähne zusammen und humpelte, von ihnen gestützt, auf eigenen Beinen zu der Tür, die Foxy bereits aufschloss. Die anderen folgten ihnen rasch. Alle bluteten aus größeren oder kleineren Wunden.

Als sie durch die Tür in einen geräumigen Hangar mit Betonboden schlüpften, wurde McKinney von einer Woge der Erleichterung erfasst – obwohl das Geräusch von Drohnen, die gegen das Wellblech schlugen wie Hagel, bereits von der gegenüberliegenden Wand die Längsseite entlangwanderte.

«Tür zu!»

Odin wartete, bis die Raben an ihm vorbeigeflogen waren, und zog dann die Stahltür mit einem hallenden Knall zu. Das Summen wurde ein paar Dezibel leiser.

Das Team eilte bereits zu einem großen einmotorigen Flugzeug – einer Cessna Grand Caravan. Diese Maschinen kannte McKinney als Buschfrachtflugzeuge. Die hier war weiß mit grünen und gelben Streifen und sah ziemlich neu aus.

«Smokey, sperr die Raben ein. Im Frachtraum ist ein Käfig.»

«Wird gemacht.»

Ripper hatte bereits die Frachtraumtür geöffnet und humpelte zur Pilotentür herum. Ihr Unterschenkelverband war blutgetränkt.

«Kannst du fliegen, Ripper?»

Sie bedachte Odin mit einem Blick. «Steigt einfach nur in die verdammte Kiste.»

Smokey hievte Hoovs Leichensack in den Frachtraum und kletterte hinterher.

McKinney stieg in dem Moment durch die breite Frachtraumtür ein, als die Raben an ihr vorbei in die Maschine flogen. Boden und Sitzpolster waren bereits mit Blut vollgetropft. Sie setzte sich auf einen der Sitze vor dem Frachtraum, während Smokey die Raben in einen schwarzen Sicherheitsnetzkäfig bugsierte. Da waren ein paar Kisten und Equipmentcases, aber ansonsten war der Frachtraum leer.

Smokey blickte auf. «Sollen wir die Fracht rausschmeißen?»

Ripper betätigte mit aufgesetztem Headset diverse Schalter. Sie schüttelte den Kopf. «Keine Zeit.»

Foxy nahm den Kopilotensitz ein und setzte sich ebenfalls ein Headset auf. «Wie kriegen wir das Hangartor auf?»

Ripper zeigte mit dem Finger.

Odin stand neben dem Hangartor, die Hand an einem Schalter. Er hob den anderen Arm, gab mehrere Zeichen, die Ripper offenbar verstand.

«Hoffen wir, dass dieser verflixte Hangar lange genug hält.»

Das Turboproptriebwerk erwachte.

McKinney beugte sich vor. «Sie starten das Triebwerk – in einem geschlossenen Hangar?»

«Wie gesagt, Professor. Drücken Sie die Daumen.»

Das Triebwerk dröhnte auf, und Odin drückte den Schalter. Entsetzt beobachtete McKinney, wie er die zehn, zwölf Meter auf sie zurannte, während das Tor immer weiter aufging.

Foxy rief: «Renn, verdammt!»

Drohnen quollen durch die Toröffnung herein. Ehe der Schwarm sich orientieren konnte, erreichte Odin die offene Frachtraumtür und sprang in die Maschine.

«Tür zu!»

Smokey langte hinaus, um die Tür zuzuziehen, während die Drohnen auf das Flugzeug zuschwärmten. Einige der vordersten zerschellten in einem Funkenregen im wirbelnden Propeller, aber zwei flitschten im starken Propellerwind vorbei und torkelten in die Kabine, ehe Smokey die Tür zubekam.

Odin griff sich ein Equipmentcase als Waffe. «Achtung! Macht sie alle!»

Die insektenähnlichen Quadrocopter fingen sich schnell und surrten durch die Kabine, eine direkt auf Smokeys Gesicht zu. Er drosch sie mit dem Schaft seiner HK416 weg.

Die andere kam genau auf McKinney zu, die angeschnallt auf ihrem Sitz saß. Sie schlug sie mit der Hand weg, in dem Moment, als die Drohne mit einem ohrenbetäubenden Knall eine Kugel abfeuerte, die McKinneys Handgelenk streifte. Einen Sekundenbruchteil später, und die Kugel hätte sie genau zwischen den Augen getroffen. Sie duckte sich und schnallte sich los, unsicher, wo die Drohne abgeblieben war. «Wo ist sie?»

Ripper rief: «Festhalten!» Sie rammte den Gashebel nach vorn, und die Maschine setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Smokey, Odin, Mooch und die beiden Drohnen taumelten heckwärts, während Dutzende anderer Drohnenkörper von außen gegen den Rumpf klackten oder funkensprühend im Propeller verschwanden.

Smokey setzte den Stiefel auf einen Propellerarm der einen Drohne, nagelte sie am Boden fest. Dann rammte er den Gewehrkolben mehrmals mit Wucht in ihren Elektronikkern – zermalmte ihre Optik. «Stirb, Scheißding!»

Während er auf das kleine Gerät einstieß, feuerte es aus Rohren an seinem Metallgestell mehrere Kleinkalibergeschosse. Mindestens eins traf Smokey am Fußgelenk, bevor das Ding tot war.

«Verdammt!» Er wankte rückwärts.

Sie bretterten jetzt schon mit fast achtzig Meilen die Piste entlang. Die Bäume am Rand des Landeplatzes rasten vorbei, und der Drohnenschwarm blieb zurück.

Hugin und Munin krächzten zornig in ihrem Käfig, als Odin ein schweres Equipmentcase nach der anderen Drohne schleuderte, die zum vorderen Kabinenende surrte. «Tin Man, mach sie fertig!»

Inzwischen war die ganze Kabine blutverschmiert, da die verwundeten Teammitglieder Jagd auf die letzte Drohne machten.

Doch das Ding flog geradewegs auf McKinney zu. Sie wehrte es mit dem von Traumaplatten geschützten Arm ab, aber es flog immer wieder mit surrenden Rotorblättern auf sie los.

Es so nah vor sich zu sehen war schrecklich und faszinierend zugleich. Es war ein simpler Helikopter mit vier Rotoren, doch der Rahmen schien aus stabilem Draht zu bestehen, der in spitzen Beinen endete. Das Gehäuse in der Mitte des Rahmens enthielt eine Serie dichtgepackter Platinen und eine Reihe von vier optischen Linsen – die «Augen». Daneben steckte in Halterungen etwas, das aussah wie Druckluftspraydosen – wie die Dinger mit Fertigschlagsahne. Aber diese hier schienen irgendeine Chemikalie zu versprühen, die schwach nach Pfeffer roch – ein Pseudopheromon, mit dem die Drohne sie jetzt markierte. Und dann war da zu beiden Seiten des Körpers noch das, was sich als eine Art Pistolenläufe entpuppt hatte.

Die knallten jetzt, als sie das Ding wegzuschlagen versuchte. Kugeln prallten von ihren Traumaplatten ab, aber dann fühlte sie einen stechenden Schmerz im Oberschenkel, genau in dem Moment, als Odin die Drohne zu Boden schmetterte und Mooch den Kernkörper mit seinem Gewehrkolben zertrümmerte.

«Verdammt!» Sie hatte noch nie solchen Schmerz verspürt. McKinney wand sich auf dem Kabinenboden in einer sich schnell ausbreitenden Blutlache. Sie nahm die behandschuhte Hand weg und sah arterielles Blut aus einem Loch an der Innenseite ihres Oberschenkels spritzen.

«O mein Gott …»

Mooch war neben ihr. «Sie ist getroffen!»

Odin kniete sich ebenfalls neben sie.

Landschaft raste draußen vorbei, dann fühlte McKinney, wie die Gravitationskraft sie auf den Boden presste und die Bäume am Rand ihres Gesichtsfelds verschwanden. «Haben wir’s geschafft?»

Odin beugte sich dicht an ihr Gesicht. «Das wird schon wieder.»

Der Schmerz war unbeschreiblich. «O Gott, ich will es sehen!»

«Nein, bleiben Sie liegen.»

Sie fühlte, wie etwas ihr Hosenbein aufschnitt.

Odin drehte den Kopf. «Mooch, wie sieht’s aus?»

«Femoralarterie – nah am Becken. Tourniquet geht nicht. Immer weiter drücken. Hier.»

Sie fühlte einen anderen Schmerz, als etwas in ihr Bein gestochen wurde. Und dann überkam sie ein tröstliches Gefühl. Warm. Ruhig.

Odins Gesicht war direkt vor ihrem. Auch er wirkte ruhig. Normal. Sie driftete weg.

«Gib mir das Hespan.» Das Geräusch von reißendem Plastik.

Foxys Stimme. «Wie geht’s ihr?»

Ein ernster Ausdruck trat in Odins Gesicht.

McKinneys Gesichtsfeld schrumpfte. Dunkel strömte ein, als ob steigendes Wasser ihr Gesicht überspülte. Hände in ihrer Seite. Dann in ihrem Rücken.

«Wir müssen die Blutung stoppen. Sonst schafft sie’s nicht.»

Jetzt verschwamm auch der letzte Rest. Sie versuchte etwas zu sagen, war aber zu müde. Sie sank unter Wasser. Ins Schwarz. In die Stille.

Kill Decision
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