18
Feuersturm
Im Frachtraum einer C-130 schlafen zu wollen war in etwa so, als versuchte man, auf dem Fahrgestell eines Hochgeschwindigkeitszugs ein Nickerchen zu machen. Nach drei Stunden hatte McKinney immer noch kein Auge zugetan. Sie starrte aus einem der wenigen Bullaugen, das am Rand mit Eiskristallen bedeckt war. Unter sich sah sie weites, kahles Canyon-Land aus Erosionsschluchten und braunen Tafelbergen im Mondschein liegen. Wie es aussah, flog die Maschine etwa zwanzigtausend Fuß hoch. Es war eine kalte, klare Winternacht.
Odin blickte zu ihr herüber und sagte in sein Headsetmikro: «Wir warten noch zwölf Stunden und wechseln dann auf der Hill Air Force Base die Crew.» Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er stutzte, fasste sich an sein Headset, horchte auf etwas, das sie in ihren Ohrhörern nicht hören konnte.
Sie forschte in seinem Gesicht. «Was ist?»
«Irgendwas ist da.» Odin wandte sich den anderen zu und machte eine kreisende Handbewegung. «Alle Einheiten. Alle Einheiten. Unbekanntes Flugobjekt nähert sich White-Sands-Basis von drei Uhr.»
Funkknistern. Dann war da Foxys Stimme; sie kam von weiter vorn im Frachtraum. «Kein nichtidentifizierter Radarkontakt, Odin. Himmel und Boden sind sauber.»
Odin blickte über die Paletten und die Länge des Frachtraums zu Foxy hinüber; sie verständigten sich über Funk, obwohl sie sich sehen konnten. «Negativ. Hugin hat mich gerade angefunkt. Er hat einen Kontakt.»
McKinney wurde jetzt erst bewusst, dass sie Odins Raben an Bord nicht gesehen hatte. Sie sah ihn ungläubig an. «Hugin und Munin sprechen mit Ihnen.»
«Ja.» Odin holte seinen Rucksack von einer Ablage über ihnen herunter, kramte darin und zog einen Outdoor-Tablet heraus. «Sie sind seit über einem Tag unten auf der White-Sands-Basis. Ich habe über Satellitenfunk Verbindung mit ihnen.»
«Sie sprechen mit Ihren Raben über Funk?»
Er nickte, während er den Tablet bootete. «Training. Sie melden Richtung, Entfernung und Art des Kontakts. Was auch immer das hier ist, es fliegt, und es kommt von Osten. Navy-SEAL-Teams befehligen Kampfhunde über Headsetkommandos – der einzige Unterschied ist, dass Raben intelligenter sind.» Er loggte sich ein. «Und meilenweit sehen und hören und große Räume über jeder Art von Terrain abdecken können, ohne bemerkt zu werden.»
Foxys Stimme kam wieder über Funk. Er studierte jetzt vorn an der Tür zum Cockpit ebenfalls einen Tablet. «Die einzigen Radarkontakte, die die Techs im Osten haben, sind viel weiter weg. American-Airlines-Flug 733 von Denver nach Salt Lake City, vierzig Meilen entfernt auf achtunddreißigtausend Fuß, und zwei Privatmaschinen, eine achtzehn Meilen entfernt mit Steuerkurs Nord auf viertausend Fuß und die andere zweiundzwanzig Meilen entfernt mit Steuerkurs Südwest auf fünftausend Fuß. Sicher, dass es nicht unsere MQ-1 war, die sie gesehen haben?»
Odin blickte wieder durch den Frachtraum. «Negativ. Wie oft hat Hugin sich bisher geirrt, Foxy?»
Foxy sagte nichts.
McKinney stand auf und hielt sich an einer Gepäckablage fest, als die Maschine von Turbulenzen durchgeschüttelt wurde. Sie schaute Odin über die Schulter. «Sie rufen auf die Meldung eines Vogels hin den Alarmzustand aus?»
«Hugin und Munin benehmen sich nicht so, wenn nicht etwas wirklich faul ist.» Er sah zu den Aufklärungsoffizieren hinüber, die ihre Radarkonsole studierten. «Diese Sensoren zeigen alles an.» Odin drehte jetzt seinen Tablet so zu ihr, dass sie schwarz-weiße Wärmebildaufnahmen der Kamera eines der Raben sehen konnte. Die Vögel verfolgten etwas in geringer Höhe. Felsen und Gesträuch sausten durchs Bild.
McKinney musterte das Display. «Die Perspektive eines Raben.»
Hugin folgte der schwarzen Silhouette eines Raubvogels, der in etwa fünfzig Metern Höhe dahinglitt. Der zweite Rabe, Munin, kam manchmal ins Bild: Sie waren also gemeinsam unterwegs.
McKinney studierte das schwarze Etwas. «Sieht aus wie ein Habicht.»
Odin sagte über Funk: «Seht ihr das, Foxy, Hoov?»
«Yeah, Odin, Professor hat recht. Sieht aus, als hätten die beiden wegen eines anderen Vogels Alarm geschlagen.»
Odin musterte das Display. «Bei diesem Habicht gibt es ein Problem: Er hat keine Wärmesignatur.» Er zeigte mit dem behandschuhten Finger auf das Wärmebild, und McKinney sah den Unterschied zwischen der Wärmeintensität des zweiten Raben und der des Eindringlings.
Odin aktivierte nebenbei ein Satellitenfunkgerät an seinem Gurtzeug. «An alle Einheiten. Alarmstufe Rot. Unbekanntes Flugobjekt tausend Meter östlich offenbar im Anflug auf White-Sands-Basis. Unbekanntes Flugobjekt als Ziel eins designieren. Sieht aus wie eine Mikrodrohne in Vogelform. Lasst sie die Predator auf das Ding ansetzen. Ich will stabile, detaillierte Aufnahmen davon. Und übertragt das Video zum Team im Lagezentrum.»
Eine andere Stimme kam, vielleicht Hoovs. «Bin dran, Odin.»
Odin setzte einen Gefechtshelm mit integriertem Kommunikationssystem und einem rechtsseitigen Okular auf und reichte dann den Tablet McKinney. Er schien im Okular Aufnahmen zu sehen. «Verdammt raffiniert. Selbst wenn das Ding vom Radar erfasst würde, wäre es von Geschwindigkeit und Profil her ein Vogel.»
«Eine Spotterdrohne.»
«Meine Vermutung, ja. Es ist zu klein, um Munition abzufeuern.»
Wieder Foxys Stimme. «Stimmt, Boss.»
Odin regulierte die Kanaleinstellung des Satellitenfunkgeräts. «Okay, wir haben den Predator-Feed. Gebt ihnen Hugins Koordinaten, dann müssten sie von da aus das unbekannte Flugobjekt finden.»
«Verstanden.»
Er regulierte wieder am Funkgerät. «Die Kampfdrohne ist wahrscheinlich noch hinterm Horizont und zeigt sich erst, wenn diese hier gefunden hat, was sie sucht.»
«Mich.»
«Ja. Hoffen wir, dass sie auf unseren Köder anbeißt.» Er gab mit einem Handteil seinem Okular irgendwelche Befehle, und plötzlich erschienen auf ihrem Tablet Überwachungsbilder von … ihr selbst, wie sie irgendwo in einem hellerleuchteten, umfunktionieren Hangar vor einem großen Fenster saß, bewegungslos bis auf ihre Finger, die eine Laptoptastatur bearbeiteten.
McKinney setzte sich wieder hin, den Tablet auf den Knien, den Blick auf die Überwachungsbilder geheftet. Es war gespenstisch.
Odin klickte sich offenbar durch irgendwelche anderen Screens. «Wir haben eine Predator, die auf zehntausend Fuß im Ein-Meilen-Radius über der White-Sands-Basis kreist. Ich wollte deutliche Videobilder von einer separaten Plattform. Wir sind viel weiter weg und doppelt so hoch, aber wir haben Aufklärungsbehälter für eigene Wärmebildaufnahmen.»
«Aufklärungsbehälter.»
«Behälter unter den Tragflächen, die hochauflösende Infrarotoptik enthalten. Hier …»
Odin hatte jetzt auf dem Tablet andere Wärmebildaufnahmen aufgerufen. Diese hier waren wesentlich deutlicher und stabiler als die der Rabenkamera. Sie zeigten etwas, das ganz eindeutig ein künstlicher Vogel mit einem kleinen Propeller am Schwanz war. Odins Raben waren im Bild, verschwanden, erschienen wieder, verfolgten den Eindringling hartnäckig.
«Wahrscheinlich elektrisch. Leise.» Odin sprach in sein Headset. «Hugin, Munin. Zurück. Zurück. Bestätigen.»
Zweimal kam so etwas wie ein bestätigendes Krah über Funk, und auf dem Tablet brachen die Raben die Verfolgung des künstlichen Vogels ab.
McKinney sah ihn an. «Sie verarschen mich.»
«Ich sagte doch, sie sind intelligent. Ich will nicht, dass sie mittendrin sind, wenn das Feuerwerk losgeht.»
Funkknistern. «Odin, das Aufklärungsteam sagt, das Ding ist gerade in eine Kreisbahn über der White-Sands-Basis gegangen. Sieht aus, als hätte es entweder Professors Handy oder die Bluetooth ID ihres Laptops aufgespürt.»
Hoovs Stimme schaltete sich ein. «Jetzt identifiziert es vermutlich ihr Äußeres.»
Odin sagte: «Aufpassen, Leute. Wenn es die Kampfdrohne ruft, bleibt uns nicht viel Zeit, um sie abzufangen.»
Hoovs Stimme: «Am besten nach Osten halten. Dort sind die wahrscheinlichsten Radarspuren.»
McKinney und Odin wechselten im Halbdunkeln Blicke, während sie warteten.
«Achtung.»
Odin fragte in sein Mikro: «Was?»
«Sie gibt Signale.»
Die FLIR-Aufnahmen zeigten jetzt einen pulsenden Laser auf der vogelförmigen Minidrohne. Er blinkte schnell eine komplizierte Sequenz.
«Okay, das ist das Angriffssignal.»
Foxys Stimme: «Ja, wir sehen es.»
«Könnten die Signale an einen Satelliten gehen? Welche Satelliten sind momentan drüber?»
«Hab gerade alle Hände voll zu tun. Checke es später.»
Odin sagte in sein Mikro: «Tailhook. Hier Odin. Verstehen Sie mich?»
«Hier Tailhook. Sprechen, Odin.»
«Wo sind wir gerade?»
«Wir sind … etwa fünfzehn Kilometer südöstlich der White-Sands-Basis.»
«Verstanden. Sehen Sie die beiden Radarechos östlich von uns? Nehmen Sie Kurs auf einen Punkt mitten dazwischen. Es ist wahrscheinlich, dass die Hauptdrohne von Osten kommt.»
«Verstanden, Odin.»
Foxy winkte von der Elektronikkonsole am anderen Ende des Frachtraums herüber. Seine Stimme kam über Funk: «Odin. Wir haben hier was Interessantes. Der Radarkontakt mit Steuerkurs Nord ist gerade nach Westen abgebogen, auf einem Vektor, der genau über White Sands führt.»
«Privatmaschine?»
«Positiv. VFR. Kein Flugplan angemeldet. Sie ist fünfzehn Meilen von der Basis entfernt und nähert sich mit knapp zweihundert Knoten. Flughöhe eintausend Fuß.»
Odin sah McKinney an, sprach aber in das Funkmikro. «Es geht los. Auf die Gefechtsstationen. Tailhook, Sie wissen, was Sie zu tun haben: das Flugobjekt von hinten oben einfangen, sobald Sie sicher sind, dass es eine Drohne ist.»
«Wilco, Odin. Schon unterwegs.»
McKinney klammerte sich am Sitz fest, als die C-130 in eine steile Linkskurve und einen ebenso steilen Sinkflug ging. Die G-Kräfte waren so stark, dass die Fracht vermutlich auch ohne die Arretierung an ihrem Platz geblieben wäre. Odin blieb eisern stehen, ohne sich auch nur festzuhalten. Er war Luftoperationen offenbar gewohnt.
«Foxy, richte unseren Aufklärungsbehälter auf das Flugobjekt und besorg mir schnellstmöglich Bilder. Leg sie auf Kanal vier.»
«Verstanden.»
«Hoov, lass die Techs das Flugobjekt auf den Radaraufzeichnungen zurückverfolgen und sorge dafür, dass wir ein Ranger-Team in der Luft haben. Vielleicht können wir diejenigen, die dieses Ding gestartet haben, erwischen, bevor sie allzu weit kommen.»
«Schon dabei. Wir haben gerade die Info von der Flugbehörde über diesen Kontakt gekriegt. Wie’s aussieht, ist er vor fünfzehn Minuten von Steuerkurs West scharf nach Norden abgeschwenkt. Auf dem Radar ist er über dem Großraum Denver aufgetaucht. Das ist zweihundertsechsunddreißig Meilen von hier.»
«Verdammt. Wer auch immer das Ding gestartet hat – die sind längst verschwunden. Gebt die Info an das lokale FBI. Die sollen mit der Flugbehörde zusammen die genauen GPS-Koordinaten des Punkts herausfinden, wo es erstmals Radarhöhe erreicht hat. Vielleicht können wir ja irgendwelche Überwachungsaufnahmen kriegen, die zeigen, wo die Maschine gestartet ist.»
«Eine Großstadt. Macht Sinn. Muss sich zwischen all dem privaten Flugverkehr versteckt haben.»
Gleich darauf richtete sich die C-130 wieder horizontal aus. Die Triebwerke gaben Schub, und McKinney sah mehrere Teammitglieder geschäftig umhereilen und die Paletten bereit machen. Odin kramte am Rand des Frachtraums in Pelicases und Ablagen.
Sie sah ihn an. «Was passiert jetzt?»
«Wir hoffen, dass es eine Drohne ist. Wenn ja, sacken wir sie ein, bevor sie sich selbst zerstören kann.» Er zog eine schwarze Fliegerkombi und einen Fallschirm aus einem Pelicase und warf sie ihr zu.
Sie fing sie mit beiden Händen auf. Der Anzug war so schwer wie ein trockener Tauchanzug, aber aus dickerem Synthetikmaterial. «Was ist das?»
«Kaltwetterkombi. Wenn es unsere Drohne ist, öffnen wir die Frachtraumtür, und dann hat es hier drin schnell minus sechzig Grad. Machen Sie alles richtig zu.»
Sie legte den Tablet hin und begann, die Kombi überzuziehen. Zweifellos ein Produkt für militärische Spezialeinsätze. Sie wollte gar nicht wissen, was so was kostete. Sie sah Odin auch eine solche Kombi anziehen. «Und wie wollen Sie diese Drohne einsacken?»
«Wir entfalten eine Art überdimensionalen Windsack. NASA-Technologie, Spezial-Kevlar, Nomex und Keramikstoff – eigentlich dafür entwickelt, aufblasbare Teile von Raumstationen gegen Mikrometeoriteneinschläge zu schützen. Extrem druckresistent. Müsste ziemlich explosionsfest sein. Wir werden diesen Windsack zweihundert Meter hinter unserer Maschine herschleppen, dann die Drohne von hinten oben einsacken. Wenn sie explodiert – was wir glauben –, müsste fast alles im Sack bleiben.»
Sie nickte. «Und dann haben Sie eine vollständige Drohne.»
«Jedenfalls die Trümmerteile.» Er zeigte auf die Palette mit dem Beton, die mit Stahlseilen an der ersten Palette befestigt war. «Wenn wir sie haben, werfen wir dieses Gewicht durch die Hecktür ab, und dann zieht es das Ganze zum Boden.»
Jetzt war das Rätsel der seltsamen Fracht gelöst, doch nach kurzem Überlegen musterte sie ihn kritisch. «Wir fangen eine fliegende Bombe ein. Musste ich da wirklich mitkommen?»
Er setzte seine Kapuze auf, dann darüber einen Sprunghelm mit integriertem Headset. «Nach Ihrem letzten Stunt lasse ich Sie nicht mehr aus den Augen. Außerdem wären Sie beim Anflug einer Drohne am Boden auch nicht gerade sicher.»
Sie nickte zögernd und nahm ihre In-Ears heraus und merkte plötzlich, was für einen ohrenbetäubenden Lärm die Triebwerke machten. Sie setzte ihre eigene angeschnittene Kapuze auf, und schnell war ihr trotz der Kälte warm. McKinney inspizierte das Textilmaterial und rief: «Was ist das?»
Er rief zurück: «Klassifiziert. Hier …» Er kam mit einer hightechmäßig aussehenden Gesichtsmaske, Sprunghelm und -brille auf sie zu. «Sauerstoff. Für den Fall, dass wir schnell steigen müssen, um das Ding zu kriegen.» Er reichte ihr zuerst die Brille.
Sie nickte und setzte sie auf.
Er setzte ihr den Helm auf, nahm ihn wieder ab, verstellte einiges daran und setzte ihn ihr wieder auf. Der Helm war dick gepolstert und hatte ebenfalls ein integriertes Headset. Sie hörte wieder seine Stimme über Funk. «Schon mal ein PHAOS-Atemsystem benutzt?»
Sie schüttelte den Kopf.
Er klipste die aerodynamische Atemmaske an ihren Helm und verstaute die Sauerstoffflasche in ihrer Kombi. Hielt ihr dann ihr Fallschirmpack hin.
«Sie haben also eine Fallschirmjägerausbildung.»
Er beäugte sie. «Ich habe einige Sprünge auf dem Buckel …» Dann hielt er ihr noch die Beinschlaufen eines gelben Gurts hin. Sobald sie hineingestiegen war, schnallte er ihr rasch den Gurt um. McKinneys Hand fand eine Leine, die vom Gurt an die Decke führte.
Odin sagte, während er noch mit dem Gurt beschäftigt war: «Sicherungsleine. Damit Sie nicht aus dem Flugzeug fallen.»
Sie nickte. «Kenne ich.»
Er klatschte ihr auf die Schulter und gab das Daumenzeichen. «Jetzt sind Sie bereit. Bleiben Sie schön aus dem Weg, wenn das ganze Zeug da durch die Luke geht.» Er deutete auf die Fracht.
McKinney sah jetzt, dass die anderen auch ihre Extremhöhen- und Sprungausrüstung einschließlich Helm und Sicherungsleine angelegt hatten.
Die Stimme des Piloten kam über Funk. «Odin, hier Tailhook. Wir haben jetzt visuellen Kontakt zu dem Zyklopen. Wiederhole, haben visuellen Kontakt zum Zyklopen. Senden die Aufnahmen auf Kanal vier. Over.»
«Verstanden, Tailhook.» Odin klipste seinen eigenen Sicherungsleinengurt zu, nahm den Tablet und ging auf Kanal vier.
McKinney beugte sich hinzu und sah ein sehr detailliertes schwarz-weißes Wärmebild.
Odin nickte, drückte dann die Funksprechtaste: «Wir haben lange drauf gewartet, dieses Mistding zu sehen zu kriegen. Tango Yankee, Tailhook.»
«Gern geschehen.»
Dort auf dem Display war das Bild eines deltaförmigen unbemannten Fluggeräts im Nachtdunkel über dem Ödland – Grautöne in Grau. Es unterschied sich deutlich von der Drohne, die sie in Afrika zu töten versucht hatte: ein Nurflügler mit einem Propeller an der hinteren Kante. Die Flügeloberseite sah patchworkartig aus – jedenfalls auf dem Wärmebild. Als wäre diese Drohne irgendwie zusammengeschustert worden.
Odin sagte ins Mikro: «Foxy, wir brauchen so viel Videomaterial wie möglich, solange wir uns dem Ding nähern. Wenn es sich selbst zerstört, ist das alles, was wir haben. Also will ich Aufnahmen von allen Seiten, während wir es einsacken. Von oben, unten, rechts, links. Verstanden?»
«Odin, hier Tailhook. Wir sind eine Meile hinter diesem Ding und holen schnell auf, aber es wird trotzdem knapp, wenn wir es einsacken wollen, bevor es seine Fracht abwirft.»
Odin wechselte Handzeichen mit Foxy. «Verstanden, Tailhook. Bringen Sie uns hin, Mann.»
Das Flugzeug bockte jäh in einer Turbulenz. McKinney packte Odins Arm, um sich festzuhalten. Sie konzentrierte sich auf die Kamerabilder. Sie waren jetzt fast über der Drohne, und sie konnte die Textur der zusammengestückelten Oberfläche erkennen.
Eine andere Stimme kam über Bordfunk. «Wegbleiben von der Frachtraumtür. Öffnen auf drei, zwo, eins …»
Ein lautes Sauggeräusch, dann ein gewaltiges Tosen, als sich die obere Frachtraumluke hob. Gleich darauf senkte sich die untere Luke in die Horizontale, gehalten vom Hydraulikgestänge rechts und links. McKinney sah Foxy und Tin Man bei der Fracht Position beziehen, während der Lademeister und der Bordingenieur mit Infrarot-Nachtsichtferngläsern durch die offene Hecktür in den gähnenden Abgrund blickten. Die weite Wildnis von Utah dort unten im kalten Wintermondlicht war wunderschön.
Odin ging zur Rampe. McKinney stand auf, blieb aber, wo sie war, als das Flugzeug dicht über die mysteriöse Drohne hinwegflog. Die war jetzt gut dreißig Meter unter und etwas hinter ihnen, und das ganze Team war wie gebannt – das erste Mal, dass sie den Feind mit bloßem Auge sahen.
Odins Stimme kam über McKinneys Kopfhörer. «Hoffen wir mal, dass es so ist, wie Eins sagt, und diese Dinger wirklich keine Augen am Hinterkopf haben.»
Zur Antwort kam Singletons Stimme über Funk. Sie hatte ihn im Camp nicht gesehen, aber offenbar war er dort. «Die Konstruktion ist maximal reduziert. Die Dinger sind nur für einen Einsatz gebaut. Ihre Ziele liegen immer unter ihnen. Wenn sie auch oben Augen hätten, bräuchten sie Software, um zu interpretieren, was sie in verschiedenen Kontexten sehen. Das wäre unangemessen.»
Odin nickte. «Danke, Eins.»
Hinter ihnen machte der Lademeister die erste Palette mit dem gefalteten zeltartigen Ding bereit.
Foxys Stimme: «Tailhook, hier Foxy. Wir öffnen jetzt den Abfangsack. Wird gleich einigen Luftwiderstand geben.»
«Verstanden.»
Odin bedeutete McKinney zurückzutreten und stellte sich neben sie an die Wand. Gleich darauf ging der kleine Zugfallschirm auf und zog die Palette mit dem gefalteten Sack auf die Frachtraumtür zu. Sie kippte über den Rand und begann, ein an der Betonplatte befestigtes Stahlseil zu entrollen, das sich rasch straffte. Die Halteseile der Betonplatte gerieten schlagartig unter Zug.
McKinney sah, wie der Lademeister die Stahlseile checkte. Er gab das Daumen-hoch-Zeichen. Auf Odins Handheld zeigten Nachtsichtaufnahmen, wie sich der Abfangsack am Ende eines leicht gekrümmten, hundert Meter langen Stahlseils hinter der C-130 öffnete, ähnlich einem Fallschirm.
Der Lademeister rief den Piloten über Funk. «Abfangsack geöffnet. Tailhook, Abfangmanöver frei.»
Die Stimme des Piloten antwortete: «Einsatzzentrale, Abfangsack erfolgreich geöffnet. Gehen jetzt ran und fangen sie ein.»
«Verstanden.»
Auf diese Entfernung wirkte der Sack jämmerlich klein. McKinney beschloss, sich näher an die Rampe zu wagen, und stellte sich neben Odin. Er sah sie kurz an, aber sie war ganz von der phantastischen Aussicht gefangen genommen. Von hier aus konnte sie auch die Drohne deutlicher erkennen. Sie war höchstens dreißig Meter hinter ihnen und wirkte jetzt noch weniger imposant. Sie hatte gerade mal sechs, sieben Meter Spannweite. McKinney konnte kaum glauben, dass dieser ganze Aufruhr von so einem Hobbybastlerflieger ausgelöst worden war.
Die Drohne schien sich langsam zum geblähten Abfangsack hin zu verschieben. Der Pilot brachte den Sack in Position. Er war aerodynamisch stabil, offenbar dank kleiner Seitenflossen. Hoov beobachtete die Szene konzentriert, während er einen kleinen Handheld-Joystick bediente. McKinney begriff, dass er den Sack steuerte.
Das ganze Team sah gespannt zu.
Die Stimme des Piloten sagte: «Fünfzig Meter.» Pause. «Dreißig Meter.»
Auf den grünen Nachtsichtkamerabildern driftete die Drohne immer näher an den Sack heran.
Die Stimme des Piloten kam über Funk: «Odin, wir sind noch drei Meilen von Ziel eins. Höhe zehntausend Fuß.»
«Einfach weiter so.»
Auf dem Display zog die Drohne leicht aufwärts, und über Funk kam eine Stimme: «Bombe unterwegs! Bombe unterwegs! Ziel zwo hat Lenkmunition abgegeben.»
Odin sagte: «Lagezentrum, Lenkmunition im Anflug. Alle Mann in Deckung.»
Singletons Stimme antwortete, während im Hintergrund eine Sirene heulte. «Verstanden, Odin.»
Die Drohne zog steil hoch.
Die Stimme des Piloten: «Gehen in Steigflug. Haltet sie im Kasten. Das Mistding steigt schnell.»
Odin bedeutete McKinney, ins Innere der Maschine zurückzugehen, und folgte ihr zu ihren Plätzen. Sie hörte seine Stimme über ihre Kopfhörer: «Wir müssen sie einsacken, Tailhook. Die Zeit wird knapp.»
«Wir kriegen sie.»
Die Männer im Frachtraum suchten Halt, als das Flugzeug steil emporzog, der Drohne hinterher in den Nachthimmel. Plötzlich war durch die offene Frachtraumtür nur noch das dunkle Ödland zu sehen. Tin Man kam ins Rutschen, und Foxy zog ihn an seiner Sicherungsleine wieder heran.
Die C-130 hatte an Höhe aufgeholt, und es gelang, die Drohne wieder vor die Öffnung des Sacks zu kriegen. Das Team im Frachtraum starrte gespannt hin – dann verschwand die Drohne in der Auffangkonstruktion.
«Bingo, Einsatzzentrale! Flugobjekt ist eingetütet! Wiederhole, Flugobjekt eingetütet!»
McKinney und Odin sahen sich an.
Der Sack verschob sich seitwärts, und plötzlich startete die Drohne hektische Ausweichmanöver. McKinney wurde klar, dass nichts die wildgewordene Drohne daran hindern konnte, zweihundert Meter vorwärts in den Frachtraum zu schießen und zu explodieren – was ihrer aller Ende wäre.
Die Stimme des Piloten kam über Funk: «Das Ding dreht durch!»
Odin gestikulierte zur Crew hin. «Gewicht abwerfen!»
«Aus dem Weg!»
Sie sah den Lademeister den Schnellausklinkhebel der Betonpalette betätigen. Unter dem Zug des Abfangsacks raste die Palette die Schienen zur Hecktür entlang. Der mächtige Betonblock kippte in die Nacht hinaus, und der Sack fiel hinterher.
«Abfangaktion erfolgreich. Das Ganze geht runter.»
Augenblicke später zerriss ein weißer Blitz das Nachtdunkel über der Wüste von Utah, und Feuerschein und Rauch füllten den Sack. Der Knall folgte kurz darauf.
Foxy richtete eine Art Nachtsichtfernglas auf das ferne Objekt. «Drohne hat sich soeben selbst zerstört, Sack sieht aber intakt aus.»
McKinney hörte Jubelrufe über Funk, und sie und Odin lächelten sich erleichtert an. Er zeigte mit dem Finger hinaus, und sie sahen den glühenden Abfangsack fallen; er hatte noch immer ein paar tausend Fuß vor sich. «Hoffentlich enthält er die Antworten, die wir suchen.»
Wieder kam die Stimme des Piloten: «Einsatzzentrale, Rakete aufgeschaltet! Beleuchtet mich da jemand von euch?»
Hoovs Stimme: «Negativ, Tailhook.»
Dann stieg plötzlich von irgendwo tief am östlichen Horizont eine Rakete in den Nachthimmel, kam wie ein Leuchtgeschoss im Bogen auf sie zu. McKinney fühlte den Adrenalinschub der Angst wie Hitze in ihre Beine strömen. Selbst für eine Zivilistin war der Anblick einer auf sie zuschießenden Rakete ein sehr schlechtes Zeichen.
«Rakete von sechs Uhr tief! Flares ausstoßen.»
McKinney sah verblüfft, wie plötzlich eine Fontäne von grellem Licht in den Himmel barst: Dutzende von Leuchtkörpern, die von unter dem Rumpf der C-130 kamen. Salve um Salve bildeten sie ein Engelsflügelmuster aus Rauch und grünweißem Licht hinter ihnen. Die Maschine machte eine jähe Bewegung nach rechts, die McKinney gegen die Frachtraumwand warf. Dann nach links. Sie hielt sich an der Gepäckablage fest und blickte durch die offene Hecktür hinaus.
Odins Stimme kam über Funk. «Verdammt, Hoov, was geht da draußen vor sich?»
Die Rakete raste links an ihnen vorbei und detonierte mit einem Blitz und einem mächtigen Bump, das der Maschine einen Schlag versetzte.
Die Stimme des Piloten. «Scheiße, wir sind getroffen.»
Odin zog sich an seiner Sicherungsleine zum vorderen Ende des Frachtraums.
McKinney sah mit Entsetzen, wie Feuerschein die Bullaugen auf der linken Seite füllte. Der Boden begann merklich zu vibrieren. Die C-130 gierte von einer Seite auf die andere, spuckte noch immer alle paar Sekunden Flares. Die Männer im Frachtraum erschienen ihr immer noch unfassbar cool, wie sie ihre Monitore checkten und sich Feuerlöscher griffen. McKinney war ein einziges Nervenbündel und wusste nicht so recht, was sie tun sollte.
Die Stimme des Piloten kam knisternd über die Intercom, als kündete sie den Bordfilm an. «Triebwerk eins ausgefallen. Versuche die Basiscamp-Landepiste zu erreichen.»
Foxys Stimme: «Wo kam die Rakete her?»
Hoovs Stimme: «Nichts auf dem Radar.»
Odin zog Sachen aus einem Pelicase. «Kam sie vom Boden?»
«Wir haben ein uneindeutiges Echo auf unserer sechs. Ah … jetzt ist es wieder weg.»
«Rechne mit weiterem Beschuss. Wie weit weg?»
«Drei Meilen.»
«Okay. Team Ancile. Durchführen, Durchführen, Durchführen!» Odin drehte sich zu McKinney und löste ihren Sicherungsleinengurt. «Checken Sie Ihren Fallschirm, aber nicht springen, bis ich’s sage.»
«Bis Sie’s sagen? Wollte der Pilot nicht landen?»
«Planänderung. An die Arbeit, Professor!»
Sie legte das Gurtzeug ihres Fallschirms an. Es war offensichtlich ein HALO-Militärfallschirm für Sprünge aus großer Höhe. Sie hielt sich mit einer Hand fest, um sich in dem bockenden Flugzeug mit der Lage von Auslöse- und Cutawaygriff vertraut zu machen.
Der Pilot rief wieder: «Rakete aufgeschaltet!»
McKinney sah durch die offene Frachtraumtür eine weitere Rakete in flachem Bogen aus dem Dunkel emporschießen. Odin blickte mit einem Nachtsichtfernglas hinaus. «Ich sehe zwei Flugobjekte, sechs Uhr, tief, viertausend Meter. Ich glaube, wir haben unsere Antwort, Foxy.»
«Sieht so aus.»
Odin gab jetzt auf einem Handgelenkcomputer Zahlen ein.
Die C-130 spuckte wieder Flares und machte so jähe Ausweichmanöver, dass McKinney auf dem Boden landete. An einer Gepäckablage zog sie sich wieder hoch.
Was zum Teufel tue ich hier? Die Frage war immer wieder in ihrem Kopf. Sie blickte zu den Bullaugen auf der linken Seite und stellte erleichtert fest, dass der Feuerschein so gut wie weg war. Sie spürte die Versuchung, die Rampe hinabzurennen und zu springen, widerstand ihr aber. Sie musste beim Team bleiben. Sie sah wieder Ritters schreckliche Augen vor sich.
Die ist bereits tot, und das wissen Sie.
Odins Stimme kam über den Funkkanal. «Tailhook: Evakuieren Sie Ihre Leute.»
«Verstanden, Odin.»
Odin kramte wieder in Equipment-Cases. Die übrigen Teammitglieder griffen sich hastig Waffen und schnallten sich Zubehör um. «Beeilung, Leute!»
McKinney ließ die Rakete nicht aus den Augen, als diese durch die Flares sauste und an ihnen vorbeischoss, ohne zu explodieren. «Guter Gott …»
Die Stimme des Piloten kam über Funk: «Stelle Autopilot auf dreiundzwanzigtausend. Alle raus! Raus!»
Die Maschine ging in den Steigflug, während Foxy und ein halbes Dutzend Crew- und Teammitglieder auf Odin zustapften. Foxy hielt seine Kora am Hals und betrachtete sie traurig. «Tja, noch eine, die ins Gras beißt.» Er warf sie durch die Hecktür in den Abgrund.
Odin machte zu Foxy hin eine Schneidegeste über seiner Kehle, während er mit der anderen Hand den Mikrophonarm von seinem Helm abzog. Dann brüllte er Foxy mehrere Sekunden lang etwas direkt ins Ohr. Sie konnte es wegen des Dröhnens der Maschine nicht verstehen, doch Foxy nickte und winkte die anderen mit sich.
Die ganze Gruppe ging im Gänsemarsch zur Hecktür. Einer nach dem anderen sprang ins Mondlicht über der Wüste von Utah hinaus. McKinney sah ihre Silhouetten im Leeren entschwinden. Sie hatte den Impuls hinterherzuspringen.
Odin packte sie an den Schultern. «Noch nicht, Professor.»
«Sind Sie verrückt? Jemand feuert Raketen auf uns.»
«Erinnern Sie sich an unser Gespräch über Ihre Köderrolle?» Er fummelte an einem kleinen Nylonpack herum, drückte rote Knöpfe. «Ein paar Sachen habe ich da nicht gesagt.»
«Warum zum Teufel lügen Sie mich immer wieder an?»
«Weil alles, was Sie wissen, jetzt die wissen.»
Die restliche Flugzeugcrew kam aus dem Cockpit herab und durch die Trennwandtür in den Frachtraum. Der Navigator und der Copilot salutierten zu Odin hin und sprangen nacheinander von der Rampe. Der Pilot blieb stehen und legte Odin die Hand auf die Schulter. «Alle Mann von Bord. Viel Glück, Sergeant.»
Odin zeigte nur mit dem Daumen nach draußen. Der Pilot nickte und sprang mit Anlauf ins Leere.
Odin sah auf seinen Rover-Tablet und zeigte ihn McKinney.
Es waren Bilder der Kamera, die ihren Dummy überwachte. Wo «sie» gesessen hatte, waren jetzt nur noch brennende Trümmer und Körperteilattrappen. Ihr Stuntdouble war verkohlt.
«Mein Gott.»
Odin warf eine Tasche mit einem blinkenden roten Licht daran durch die Tür zum Cockpit. «Was auch immer das für Dinger sind, sie haben gerade auch unsere Predator abgeschossen.»
McKinney hielt sich an der Gepäckablage fest und funkelte ihn wütend an. «Warum zum Teufel sind wir dann noch hier in diesem Flugzeug?»
Er nahm Helm und Brille ab und zog aus einem der Pelicases einen aerodynamisch geformten schwarzen Vollvisierhelm mit integrierter getönter Schutzbrille und Atemmaske. Das Ding sah aus, als stammte es von einer Star Wars Celebration. Er zog noch so einen Helm heraus, drückte ihn, nachdem er einen daran befindlichen Schalter betätigt hatte, McKinney in die Arme und deutete auf seine Kehle.
Sie zog sich Helm, Brille und Atemmaske herunter. Die Kälte schlug ihr ins Gesicht wie Feuer. Sie setzte schnell den neuen Helm auf und merkte, dass die integrierte Brille zugleich ein Nachtsichtgerät war. Sie fühlte seine Hand an irgendwelchen Schaltern an ihrem Hals herumfummeln, hatte dann plötzlich das Zischen von Sauerstoff und seine Stimme in den Ohren.
«– abhörsichere Funkverbindung. Hören Sie mich?»
«Ja, ich höre Sie. Was passiert denn jetzt?»
Er zeigte zur Frachtraumtür hinaus. Sie konnte jetzt im Dunkeln viel besser sehen, was den Anblick einer weiteren auf sie zuschießenden Rakete umso erschreckender machte. Doch in einiger Entfernung sah sie auch noch zwei winzige glühende Punkte – ferne Fluggeräte, die sie verfolgten.
Sie wollte gerade auf die Frachtraumtür zustürzen, als Odin ihre Schulter packte.
«Denken Sie mal darüber nach.»
«Worüber? Lassen Sie mich los!»
«Wer wusste, dass wir hier sind?» Er hängte sich jetzt etwas um, das wie ein Maschinengewehr mit Gurtmunition aussah, und zurrte es vor seiner Brust fest. Es hatte ein großes kastenförmiges Magazin. Er sah sie an, während er sich auch noch ein Doppel-Pistolenholster umschnallte.
Sie konnte den Blick nicht von der heransausenden Rakete wenden. «Wir müssen springen! Jetzt!»
«Sie wird ein Triebwerk treffen.»
«Und wenn die Treibstofftanks explodieren? Wenn eine Tragfläche abreißt?»
Er konzentrierte sich auf seine Bewaffnung. «Ich habe eine Talon schon Schlimmeres wegstecken sehen …»
«Odin!» Sie wollte ihn zum Rand der Rampe und zu der weiten Leere unter ihnen ziehen.
Er hielt sie zurück. «Noch nicht, Professor.»
Die Maschine vibrierte immer noch vom ersten Treffer, und die beiden noch verbliebenen Paletten mit plastikverhülltem Equipment hüpften umher. McKinney wurde zu Boden geschleudert, als die Rakete heranschoss und irgendwo rechts von ihnen detonierte.
Das Flugzeug bockte und zog nach rechts, verfiel dann in eine höchst beunruhigende Wellenbewegung. Durchdringende Alarmsirenen heulten los. McKinney rappelte sich hoch und sah hinter der Backbordtragfläche eine Schleppe aus Zehn-Meter-Flammen und dunklem Rauch – alles im phosphoreszierenden Schwarz-Weiß ihres integrierten Nachtsichtgeräts.
«Ruhig …» Er fasste sie am Arm und führte sie langsam zum Rand der Rampe. In der Schwarz-Weiß-Welt ihres Helmsichtgeräts scrollte die Wüste von Utah mindestens fünfzehntausend Fuß unter ihnen durch. Sie blickte in den Frachtraum zurück.
Flammen fraßen sich durch die vordere Trennwand.
McKinney zerrte gegen seinen Griff an, versuchte es dann mit einem Selbstverteidigungstrick, den sie in einem eigens für Wissenschaftlerinnen bestimmten Kurs zur Vorbereitung auf Forschungsaufenthalte in entlegenen Weltgegenden gelernt hatte – einem Tritt in die Eier.
Odin wehrte ihn mühelos ab und nahm sie in den Schwitzkasten. «Lassen Sie das, Professor. Wir sind noch nicht ganz auf Zielhöhe.» Er hielt durch die Frachtraumtür Ausschau nach eventuellen weiteren Raketen, tippte dann in einen integrierten Handgelenkcomputer seines HALO-Anzugs Zahlen ein.
Sie merkte, dass das Flugzeug tatsächlich immer noch stieg.
«Zwei Minuten freier Fall dürften es wohl werden. Bei drei Meilen Entfernung und einer Geschwindigkeit von dreihundert Knoten dürften sie uns nah genug kommen.»
«Nah genug wofür?»
Sie sah den reflektierten Schein ihrer Flammenschleppe in den Insektenaugen seines Helms. Wie der leibhaftige Teufel stand er da inmitten von Feuer und Chaos; seine Stimme war ruhig, seine Beine federten das inzwischen heftige Beben des Flugzeugs ab. Er rammte den Verschlussbolzen des Maschinengewehrs zurück.
«Sie sind wahnsinnig! Sie bringen uns beide um!»
«Hören Sie, ich mische mich auch nicht in Ihre Arbeit ein und sage Ihnen, wie Sie Ameisen erforschen sollen.»
Er deutete mit dem Kinn nach draußen, und sie sah eine weitere Luft-Luft-Rakete im Bogen auf sie zuschießen, konnte jetzt aber klarer erkennen, wo sie herkam. Zwei schnittige Nurflügler waren nicht mehr weit hinter und unter ihnen – nur wenige Meilen entfernt.
«Die Leute, die da dahinterstecken, müssen glauben, dass wir tot sind, Professor, sonst werden wir permanent damit beschäftigt sein, über unsere Schulter zu schauen. Dann werden wir nie etwas finden.» Er hob die behandschuhte Hand und zeigte ihr ein handtellergroßes Fernzündegerät. Die Flammen in seinen Plastikaugen lohten jetzt heller. «Sind Sie bereit?»
«O mein Gott …»
«Wir bleiben in enger Formation. Fallschirm erst auf mein Zeichen öffnen.»
«Scheiß auf die Formation! Da draußen ist es stockdunkel! Wenn wir kollidieren –»
«Hey!» Er packte sie am Helm und zog ihr Gesicht dicht an seins. «Sie haben hundertundzwei USPA-Sprünge auf dem Buckel und das beste Nachtsichtgerät, das es gibt – kein Grund also, nicht lebend unten anzukommen. Wir müssen deutlich unter Radarhöhe sein, bevor wir die Schirme öffnen. Wenn Sie’s zu früh tun, wissen die, dass wir vor dem Crash ausgestiegen sind. Was heißt, sie werden weiter Jagd auf Sie machen. Können wir?»
Sie stand schwankend da.
Ein weiterer Blitz und ein weiterer Knall. Die Maschine gierte wieder weg und rumpelte.
«Sie verdammter …»
«Jetzt!» Er ließ ihren Arm los.
McKinney drehte sich im Sprung gegen den relativen Wind und breitete Arme und Beine aus, um in eine stabile Freifallposition zu kommen. Odin war direkt hinter ihr. Der Wind traf sie mit voller Wucht, aber die High-Tech-Springerkombi und der Helm schirmten sie ab. Noch nie hatte sie etwas getragen, das so effizient den Wind abhielt. Sie konzentrierte sich auf ihre Körperhaltung, und das beruhigte sie. Der Blick von hier oben war selbst durch das Nachtsichtgerät phantastisch.
Odin glitt langsam auf sie zu und hob die behandschuhte Hand mit der Fernzündung. Er drückte auf den Knopf: Das schwer angeschlagene Flugzeug über ihnen explodierte mit einem gleißenden Blitz, gefolgt von einer Druckwelle. Es zerbrach in einem Feuerball. Odin warf die Fernzündung weg, bedeutete ihr gelassen, sich um hundertachtzig Grad zu drehen, und driftete an sie heran.
Sie hörte seine Stimme aus ihren Kopfhörern. «Nicht vergessen: Fallschirm erst auf mein Kommando öffnen.» Er mühte sich, das straff umgeschnallte Gewehr gegen den Druck des Winds vorwärtszurichten, und suchte den östlichen Himmel ab.
Indem er eine Hand geschickt wie eine Flosse einsetzte, schwenkte er zehn Meter von ihr weg, während sie sich noch immer im freien Fall befanden und der kalte Wind ihnen mit hundertzwanzig Meilen pro Stunde entgegenschlug. Sieben-, achttausend Fuß unter sich sah sie zwei Flugobjekte mit hoher Geschwindigkeit näher kommen. Sie ahmte Odins Bewegungen nach, das Ausbreiten und Zurücknehmen der Arme, mit dem er sich schneller oder langsamer machte, nach rechts oder links steuerte, sich auf Abfangkurs brachte.
«Das ist Wahnsinn. Sie werden uns töten!»
Seine Stimme kam über ihre Kopfhörer. «Das sind autonome Drohnen, Professor. Ich wette, sie benutzen Visuelle-Intelligenz-Software, um zu erkennen, was sie sehen.»
«Und?»
«Menschen können nicht fliegen. Was heißt, wir können nicht hier sein. Sie können uns garantiert nicht deuten …»
Als sie ungefähr zwölftausend Fuß erreicht hatten, waren die Drohnen etwa zweihundert Meter rechts unter ihnen. McKinney sah mehr, als dass sie es hörte, wie Odins Maschinengewehr zu feuern begann. Leuchtspurgeschosse sausten aus dem Lauf, die in ihrer Nachtsichtbrille wie gleißend weiße Funken aussahen. Sie perforierten den Himmel um die Drohnen herum, und obwohl sie weit danebengingen, reagierten die Drohnen sofort mit Ausweichmanövern. Eine donnerte an ihnen vorbei, mit Kurs auf das abstürzende brennende Wrack der C-130, die andere aber machte im Bogen kehrt, um den Angriff mitten aus der Luft näher zu untersuchen.
Einen flüchtigen Augenblick lang konnte McKinney die Drohne deutlich erkennen, als sie an ihnen vorbeischoss, gefolgt von einem Donnern, das sie trotz ihres Helms und des tosenden Winds hörte. Das waren keine Propellerflugzeuge, sondern Kampfjets, die aussahen wie fliegende schwarze Mantas, mit lohendem Hitzeausstoß am Heck. Und was sie da sah, war eindeutig unbemannt. Es hatte kein Cockpit – und es sah ganz und gar nicht nach Hobbykeller aus.
Sie hörte seine Stimme über das Headset: «Haben Sie das gesehen? Do-it-yourself-Drohne, ha! Wir haben die eingefangen, die wir einfangen sollten.»
«Warum haben sie dann diese hier auch noch geschickt?»
«Da ist irgendwas anderes im Gang. Etwas, das ich noch nicht durchschaue.»
Sie war abgelenkt durch sein MG-Feuer, die Leuchtspurgeschosse, die wild in die Nacht hinausspritzten. «Glauben Sie wirklich, dass Sie die Dinger bei diesem Tempo und auf solche Distanz treffen können?»
Er feuerte weitere Garben auf die Drohne. «Wenn ich sie nahe genug herankriege.»
«Höhe!» Sie sah den Boden rapide näherkommen – keine neuntausend Fuß mehr. Sie blickte nach oben und merkte, dass sie schon weit unter der Flughöhe der Jetdrohnen waren. Aber die, die umgekehrt war, folgte ihnen jetzt im Sturzflug.
Sie würde sie kriegen.
«Komm runter, Scheißding …»
«Sie sind verrückt!» Sie fasste an ihren Auslösegriff, widerstand aber im letzten Moment der Versuchung. Ein Blick nach oben sagte ihr, dass die Drohne genau durch ihren Schirm pflügen könnte.
Odin feuerte auf die Drohne, die von oben auf sie herabstieß. Seine Leuchtspurgeschosse stoben empor wie eine Funkenfontäne, als das Ding herandonnerte, nur wenige hundert Meter über ihnen und immer näher, und mit seinem Array von Insektenaugen auf sie herabstarrte.
Mehrere Meilen entfernt falteten Foxy, Ripper, Hoov und die anderen ihre Fallschirme auf dem Wüstenboden zusammen und blickten hinauf zu dem Feuerwerk – Leuchtspurgeschosse, die in den Sternenhimmel spritzten, während Jet-Triebwerke donnerten und etwas weiter weg brennende Trümmer herabregneten.
Foxy schüttelte den Kopf. «Großes Kino, Boss.»
Hoov tippte ihm auf die Schulter und zeigte ihm etwas auf dem Display des Rover Tablets. «Sie stürmen das Camp.»
Foxy sah Dutzende und Aberdutzende FBI- und Homeland-Security-Fahrzeuge mit blinkenden Lichtleisten auf das Lagezentrumscamp zurollen. Er nickte Hoov zu. «Zeit, sich neu zu gruppieren.»
Ripper gab einem nahenden Hubschrauber Signale.
Noch immer im freien Fall durch den Nachthimmel, zeigte Odin mit zwei behandschuhten Fingern auf seine Augen. «Bei mir bleiben, Professor …» Dann drehte er sich um und feuerte wieder auf die von oben herabstoßende Drohne. Fallende Patronenhülsen sammelten sich um sie herum in der Luft, und McKinney schlug sie weg.
Sie sah ein Aufglühen, als etwas aus dem Bug der Drohne schoss. Ihr blieb kaum Zeit zu reagieren, bevor das, was eine Rakete sein musste, nur wenige Meter an ihnen vorbeisauste, aber ein ganzes Stück unter ihnen detonierte. Sie fühlte die Druckwelle, als eine weißglühende Lichtexplosion in ihrer Nachtsichtbrille erschien, doch die Phosphorschicht der Spitzennachtsichtbrille erholte sich schnell, anders als bei den älteren Modellen, die sie gelegentlich bei der Forschungsarbeit benutzt hatte. Dann fielen sie durch eine beißende Rauchwolke und wieder ins Dunkel. Die Drohne verwischte die Rauchwolke, als sie eine halbe Sekunde später hindurchschoss.
Sie war nur noch hundert Meter entfernt, und Odins Leuchtspurgeschosse trafen ihren Bug. Flammen brachen daraus hervor, und die Drohne trudelte, eine Rauchfahne hinter sich herziehend, weg.
McKinney blickte nach unten, und plötzlich schoss ihnen das dunkle Wüstenterrain entgegen. «David! Boden!»
Er löste das Maschinengewehr von seinem Körper und warf es weg, damit es sich nicht in seinen Fallschirmleinen verheddern würde. Es trudelte ins Dunkel davon. «Noch nicht, Professor.»
Die brennende Jetdrohne kreiselte an ihnen vorbei, stürzte auf die dunkle Landschaft hinab. Einen Augenblick fielen sie durch die schwarze Rauchfahne der Drohne. Sie war so dicht, dass McKinney sogar durch ihre Sauerstoffmaske verbrannten Kunststoff und Flugzeugkraftstoff roch.
McKinney sah die Horizontlinie jetzt fast schon in waagerechter Blicklinie. «Wir sind praktisch unten!»
«Ruhig … ganz ruhig …»
Eine flammende Explosion in der Wüste unter ihnen erhellte das Terrain und offenbarte, wie tief sie waren – nicht viel über fünfzehnhundert Fuß.
«Wir gehen drauf!»
Durch das Vollvisier konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber seine Stimme klang ruhig. «Warten Sie.»
Wieder schloss sie die behandschuhte Hand um den Auslösegriff. Sie waren in Base-Jumping-Höhe. Keine Chance, einen Reservefallschirm zu öffnen. Sie sah Odin mit erhobener Hand signalisieren: Warten … warten …
Er machte das Handzeichen für Ziehen und rief: «Jetzt!»
Sie zog den Auslösegriff und schloss die Augen, als der Hilfsschirm sie mit einem Ruck bremste. Als sie hochschaute und über sich den voll entfalteten Hauptschirm sah, fühlte sie einen neuerlichen Adrenalinschub, kombiniert mit Erleichterung – die berauschende Mischung, die sie überhaupt zum Fallschirmspringen gebracht hatte. Dann ein Blick hinab: Der Wüstenboden schlug ihr entgegen.
McKinney zog die Steuerleinen und schaffte es gerade noch, in eine Seitwärtsbewegung zu kommen, stolpernd aufzusetzen und sich auf dem Sandboden und den Salbeibüschen abzurollen. Sie kam fluchend auf die Beine und löste den Gurt.
«Sind Sie noch bei Trost?», schrie sie ins Headset.
Sie sah sich um: Etwa zwanzig Meter weiter war Odin dabei, seinen Fallschirm zusammenzulegen. «Nehmen Sie Ihren Schirm.»
McKinney starrte ihn einen Augenblick an, machte sich dann daran, die Luft aus ihrem Schirm zu rollen. «Ist Ihnen klar, dass Sie uns beinah umgebracht hätten?»
«Zweihundertdreiunddreißig.»
«Zweihundertdreiunddreißig was?»
«HALO-Nachtsprünge.» Sein behelmter Kopf wandte sich ihr zu. «Beeilen Sie sich, wir müssen los. Und stellen Sie Ihren Sauerstoff ab. Hier ist Feuer in der Nähe.»
Leise fluchend tastete McKinney nach dem Ventil ihrer kleinen grünen Sauerstoffflasche und drehte es zu. Nahm dann den Freifallhelm ab und atmete die klare Wüstenluft. Sie versuchte, ihren immer noch schnell gehenden Atem unter Kontrolle zu bekommen. Eigentlich war es wunderschön hier draußen. Sie blickte in ein weites Sternenfunkeln am Winterhimmel. Sie fühlte sich unglaublich lebendig.
Du bist okay. Alles ist okay.
Sie legte die Fallschirmseide zu einem Bündel zusammen und ging zu ihm. Jetzt erst bemerkte sie ganz in der Nähe verstreute Flammennester am Boden.
«Kommen Sie.» Odin führte sie durch vereinzelte Kreosotbüsche und Wüstengesträuch.
Sie erreichten die ersten immer noch brennenden Wrackteile. Odin warf seinen Fallschirm direkt in die Flammen und bedeutete ihr, dasselbe zu tun. Sie warf ihren Schirm hinterher.
«Sollten wir nicht abhauen oder so was?»
Er kickte ein kleines Wrackteil aus dem Feuer: irgendeine inwendige mechanische Komponente, verrußt und verbogen.
«Odin.»
Er schleuderte mit dem Fuß Sand auf das Teil, um die Flammen zu ersticken. «Ich muss noch etwas überprüfen.» Er hob das Teil mit den behandschuhten Händen auf, drehte und wendete es.
Dann nahm er den Helm ab und zog aus einer Tasche seiner Kombi eine kleine taktische Taschenlampe. Sie war am Griff mit Isolierband gepolstert. Er hielt sie zwischen den Zähnen und inspizierte in ihrem Licht ein Metallplättchen mit Zahlen und einem Logo darauf. McKinney sah ihm über die Schulter.
Er nahm die Taschenlampe aus dem Mund. «VisStar Inertialgyroskop …» Odin sah sie an, warf das Wrackteil weg. «Klassifizierte US-Technologie. Militärstandard. Heißt nicht, dass die das Ding losgeschickt haben, aber definitiv, dass wir es mit Insidern zu tun haben.»
«Aber warum sollten sie auf den Teilen praktisch ihren Namen hinterlassen?»
«Weil sie’s nicht drauf anlegen, unerkannt zu bleiben. Hier geht irgendwas Größeres vor sich, was ich nicht durchblicke. Und das heißt im Zweifel Politik.» Er kramte in seinen Reißverschlusstaschen.
«Ritter hat doch gesagt, ‹alle wollen es›. Wer sind ‹alle›?»
«Ritter weiß es garantiert nicht. Er ist nur ein Laufbursche. Sie haben Zigtausende wie ihn. Wir müssen die Punkte hinter Ritter verbinden.»
Sie suchte den Nachthimmel ab: Trotz der Flammen am Boden sah sie die Sterne funkeln. «Was ist mit der anderen Drohne?»
Es waren keine Düsentriebwerke mehr zu hören. Abgesehen vom Lodern der Flammen und einem gelegentlichen Knacken war es vollkommen still.
«Das waren Luft-Luft-Raketen mit geringer Reichweite – wahrscheinlich AIM-92.» Auf ihre fragende Miene hin sagte er: «Sie waren auf fliegende Ziele aus, nicht auf Bodenziele.»
«Und die erste Drohne? Die, die wir in dem Sack gefangen haben?»
Er zog ein GPS-Gerät aus seiner Kombi und fuhr es hoch. «Weiß ich noch nicht. Könnte von jemand anderem losgeschickt worden sein. Haben Sie zufällig auf eventuelles Schwarmverhalten dieser Drohnen geachtet?»
«Wollen Sie mich verarschen?»
«Haben Sie irgendwelche Verhaltensweisen aus Ihrem Weberameisenmodell wiedererkannt?»
McKinney überlegte. «Sie sind in Zweierformation geflogen. Zwei Drohnen würde ich noch nicht als Schwarm bezeichnen. Irgendein weberameisenähnliches Rekrutierungsmuster haben sie jedenfalls nicht gezeigt, falls Sie das meinen. Es waren zu wenige, und die Zeit war zu kurz.» Sie deutete auf die Trümmer. «Glauben Sie, da ist irgendwo eine Blackbox?»
«Wahrscheinlich, aber die werden schnell hier sein, um sie zu bergen. Wir können hier nicht länger bleiben.» Er blickte auf das GPS. «Wir müssen zum Treffpunkt.»
«Wo ist der?» McKinney blickte in die eisige, bergige Wüste um sie herum.
«Nicht hier in der Nähe.» Er zeigte auf die Silhouetten der Mesas. «Das meiste da drüben ist nackter Fels. Da hinterlassen wir keine Spuren. Wir gehen über die Höhen und halten uns immer in der Nähe von Deckungsmöglichkeiten. Für den Fall, dass UAVs auftauchen.» Er zog ein Nachtsichtfernglas heraus und suchte den Horizont ab. Steckte das Glas wieder weg. «Im Moment sind wir sicher. Und etwa zehn Meilen nordwestlich von Green River, Rabenfluglinie. Es ist unwegsames Gelände, und wir müssen uns beeilen.»
McKinney musterte immer noch die brennenden Wrackteile.
«Glückwunsch zu Ihrem ersten Nachtsprung übrigens.»
Sie musste lachen und sagte kopfschüttelnd: «War nicht gerade vergnüglich.»
«Trotzdem.» Er zeigte zum Horizont. «Süden. Südosten ist da, hinter diesem Höhenzug. Sind etwa achtzehn Meilen zu Fuß nach Green River; wird eine ganz schöne Schinderei.»
«Sind Sie schon mal eine Meile durch peruanischen Dschungel marschiert?»
«Wenn Sie’s wissen wollen, ja.» Er ging los. «Hier wird es bald von regulärem Militär und Polizei wimmeln. Bis dahin müssen wir weit weg sein.»
Er arbeitete sich einen glatten, schräg ansteigenden Felsausläufer hinauf und winkte sie mit sich. Der Fels erstreckte sich so weit, wie sie im Mond- und Sternenlicht sehen konnte. Er stapfte weiter aufwärts, auf ferne Lichter zu, die vor einer zerklüfteten Bergsilhouette glitzerten.
McKinney holte tief Luft und folgte ihm.