4. KAPITEL

Stretching: In den Körper investieren

Stretching kann einiges für Sie tun:

  • Ihren Bewegungsumfang vergrößern. Das bewirkt eine Leistungssteigerung und ein allgemein besseres Laufgefühl.
  • Die Muskelfunktion und die Schrittlänge optimieren.
  • Am Ende eines Laufs einen entspannenden Übergang schaffen.
  • Müden Muskeln zu einem besseren Gefühl verhelfen.

Stretching kann aber nicht:

  • Ihnen ein Läuferleben ohne Verletzungen garantieren.

Es stimmt. Trotz all der Hinweise von Experten, wie wichtig Stretching für einen Läufer ist, haben Untersuchungen nie ohne jeden Zweifel bestätigt, dass Stretching die Verletzungshäufigkeit reduzieren kann. Viele Leute führen Verletzungen auf die Tatsache zurück, dass kein Stretchingprogramm befolgt wurde, sagt Physiotherapeut und Ganganalytiker Tim Hilden. Aber heute wissen wir, dass Stretching kein Allheilmittel für alle Läuferbeschwerden ist. Die Tatsache bleibt, dass – wie in den vorangegangenen Kapiteln besprochen – unangemessenes Training und die individuelle Biomechanik eines Läufers die Hauptursachen für Verletzungen sind.


RUND UM STRETCHING

Stretching sollte nicht als Aufwärmprogramm betrachtet werden. Es ist viel wirksamer als Teil des Auslaufens oder „Cool downs“.

Stretchen Sie …
Zuerst aufwärmen

Ein „kalter“ Muskel neigt mehr zu Überdehnungen oder Zerrungen als ein warmer. Wenn Sie sich auf einen Dauerlauf begeben, joggen Sie zuerst ein paar Minuten ganz langsam, bevor Sie einige sanfte Stretchingübungen durchführen. Dann beginnen Sie den eigentlichen Trainingslauf. Vor einem Wettkampf oder Bahntraining joggen Sie zuerst ein paar Kilometer, dann stretchen Sie ein wenig und beginnen mit der Trainingseinheit beziehungsweise begeben sich an die Startlinie. Nach der harten Trainings- oder Wettkampfbelastung laufen Sie, wenn möglich, nochmals ein paar langsame Kilometer („Cool down“) und danach machen Sie ein paar Minuten Stretchingübungen. Sparen Sie das umfassende Stretchingprogramm für die Zeit nach dem Lauf auf.

Eine angenehme Anspannung

Wenn Sie Ihre Muskeln zu sehr stretchen, kann es zu einer Überdehnung kommen. Gehen Sie nur bis zu dem Punkt, wo Sie eine noch angenehme Anspannung spüren. Halten Sie diese Position. Mit der Zeit wird sich Ihr Bewegungsumfang vergrößern.

Halten Sie eine statische Dehnposition

Statisches Stretching ist sicher, solange Sie keinen Schmerz verspüren. Wenn Sie eine Position 20 s problemlos halten können, können Sie stufenweise auf 30 s und später 60 s erhöhen.

Stretchen Sie nicht …
Wippen Sie nicht

„Ballistisches Stretching“, wie es auch genannt wird, kann zu Muskelverletzungen führen.

Stretchen Sie keinen verletzten Muskel

Wenn Sie eine Verletzung haben, kann Stretching die Situation verschlimmern und den Heilungsprozess verlängern. Stretchen Sie die Umgebung und die Gegenmuskeln (Antagonisten), aber vermeiden Sie jegliches Dehnen des beschädigten Körperbereichs.


Heißt das, Sie können darauf verzichten, Ihre Beweglichkeit zu verbessern? Überhaupt nicht. Stretching kann in gewissen Fällen helfen, Verletzungen zu verhüten. „Vor allem bei Läufern, die von Natur aus weniger beweglich sind“, sagt Hilden. Und Stretching kann insbesondere dann wirksam sein, wenn man seine Schwachstelle(n) kennt und sich bemüht, die Wiederholung einer Verletzung zu vermeiden.

Abgesehen davon gibt es einige Zeichen, die klar für die Wirksamkeit von Stretching sprechen. Nehmen wir an, Sie bewältigen ein verhältnismäßig großes Trainingsprogramm. Wenn Sie nun plötzlich aufs Stretching verzichten, werden Sie einen deutlichen Unterschied feststellen. Der Bewegungsumfang reduziert sich, das Training wirkt beschwerlicher. Schließlich können in der Arbeitsmuskulatur knotige, schmerzende Verhärtungen entstehen, vor allem in der hinteren Oberschenkelmuskulatur, den Waden und im Gesäß. Wenn Ihr Körper derart steif und unbeweglich ist, können Sie unmöglich Ihren eigentlichen Fähigkeiten entsprechend laufen. Mit anderen Worten: Eine Stretchingroutine bleibt ein wichtiger Teil eines umfassenden Trainingsprogramms.

Die realistische Einstellung zum Stretching

Sie müssen nicht jeden Tag eine Stunde aufwenden, um sich durch ein rigoroses Stretchingprogramm zu kämpfen. Die meisten von uns haben ja schon genügend Mühe, immer Zeit zum Laufen zu finden. Hilden, der mit Läufern aller Leistungsstufen und Altersklassen in Sachen Beweglichkeit, Kraft und Biomechanik gearbeitet hat, weiß, dass der Durchschnittsläufer nur gerade ein paar Minuten fürs Stretching investiert. Tatsächlich nehmen sich viele Läufer überhaupt keine Zeit zum Stretchen, weil sie der Meinung sind, dass es beim Beweglichkeitstraining um alles oder nichts geht – wenn man keine halbe Stunde am Tag dafür aufwenden kann, lässt man’s lieber ganz bleiben.

Vor diesem Hintergrund hat Hilden speziell für dieses Buch zwei Stretchingprogramme entwickelt. Das eine legt den Schwerpunkt auf die unentbehrlichsten Übungen und verlangt etwa 5 min – ein Aufwand, der für jeden möglich ist und für den es keine Ausrede gibt. Das Programm bringt in diesen wenigen Minuten einen maximalen Nutzen und konzentriert sich auf die Bereiche des Körpers, die beim Laufen besonders beansprucht werden, zu Verkürzungen neigen und den Laufstil beeinträchtigen.

Das zweite Programm ist umfassender und verlangt etwa 20-25 min. Bei diesem Programm wiederholen Sie alle Strechingübungen 3 x anstatt 2 x. Es hat auch zusätzliche Muskeln im Visier, die beim Laufen indirekt beansprucht werden: die Hüften, das Gesäß und den Rumpf.

DAS KURZPROGRAMM

  • Vier Stretchingübungen
  • Zeitaufwand: 7 min
  • Halten Sie jede Stretchingposition auf beiden Seiten je 20 s und führen Sie die Übung 2 x durch.

Obere und untere Wadenmuskulatur

Diese Übung ist vor allem wichtig für Läufer, die zu Plantarfaszien (Fersenschmerzen) neigen.

Ausgangsstellung: Stellen Sie sich hinter einen Stuhl und halten Sie die Lehne mit beiden Händen fest. Nun machen Sie mit dem rechten Fuß einen Schritt zurück und vergewissern sich, dass das Bein gestreckt ist. Lehnen Sie sich leicht nach vorne, bis Sie einen Zug in der rechten Wade spüren. Achten Sie auf den Fuß; wenn Ihr linker Fuß nach innen zeigt, kommt es nicht zu einer korrekten Dehnung der Wadenmuskulatur.

Schluss: Beugen Sie das rechte Bein im Knie. Nun sollten Sie den Zug im unteren Bereich der Wadenmuskulatur spüren.

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Hintere Oberschenkelmuskulatur (Hamstrings)

Ausgangsstellung: Stellen Sie Ihre rechte Ferse auf einem Gegenstand ab, der mindestens 30 cm vom Boden entfernt ist, aber tiefer als Hüfthöhe. (Wenn der Fuß zu hoch ist, stretchen Sie Ihren Rücken und nicht den Hamstring.) Beugen Sie das Knie leicht.

Schluss: Strecken Sie das Bein langsam und beugen Sie den Oberkörper leicht nach vorne in Richtung des gestreckten Beins. Achten Sie darauf, dass der Rücken gerade und stabil bleibt, sodass die Dehnung in der Hamstringgegend erfolgt.

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Quadrizeps

Ausgangsstellung: Stehen Sie gerade und halten Sie sich mit der linken Hand an einer Stuhllehne fest, um das Gleichgewicht zu halten.

Schluss: Beugen Sie das rechte Knie, halten Sie den Fuß und ziehen Sie ihn in Richtung Ihres Gesäßes, bis Sie im Oberschenkel einen angenehmen Zug spüren. Machen Sie kein Hohlkreuz und lehnen Sie nicht zur Seite.

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Hüftbeuger

Ausgangsstellung: Knien Sie auf den Boden und stellen Sie Ihren linken Fuß vor Ihrem Körper auf den Boden. (Legen Sie ein Tuch oder etwas anderes unter das linke Knie, falls die Stellung für Sie unbequem ist.)

Schluss: Mit geradem Rücken schieben Sie das Becken leicht nach vorne, sodass Ihr rechter Oberschenkel nicht mehr senkrecht zum Boden zeigt. Sie sollten die Dehnung im oberen Bereich des rechten Beins spüren.

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DAS UMFASSENDE PROGRAMM

  • Sieben Stretchingübungen (das Kurzprogramm plus die drei folgenden zusätzlichen Übungen)
  • Zeitaufwand: 20 min
  • Halten Sie jede Stretchingposition auf beiden Seiten 20-30 s und führen Sie die Übung 3 x durch.

Iliotibialband

Das Iliotibialband dient als Sehne und verläuft auf der Außenseite des Beins von der Hüfte bis knapp unterhalb des Knies. Das Iliotibialband an sich kann nicht gestretcht werden. Die Bereiche, wo es mit dem Knie und der Hüfte verbunden ist, gehören aber zu den Hauptproblemzonen für Läufer. Eine Massage des Iliotibialbandes mit dieser Übung hilft, den Bereich zu lockern und etwaige Knoten zu entfernen. In den meisten Fitnesszentren finden Sie die abgebildete Schaumgummirolle. Sie können sie auch in einem Sportshop kaufen. Sie ist nützlich zum Stretchen und Massieren verschiedenster Körperstellen.

Ausgangsstellung: Legen Sie sich auf die Seite und stützen Sie Ihren Oberkörper mit den Armen. Platzieren Sie die Rolle unter Ihre linke Hüfte.

Schluss: Halten Sie den Rücken gerade und rollen Sie mit dem ganzen Oberschenkel vom Knie bis zur Hüfte über die Rolle. Stellen Sie den rechten Fuß auf den Boden, um das Gleichgewicht zu halten oder halten Sie beide Füße in der Luft. Beginnen Sie, indem Sie den Körper langsam über die Rolle schieben; wenn Sie sich dabei gut fühlen, können Sie auch flottere Bewegungen ausführen.

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Gesäß

Legen Sie sich auf den Rücken, beugen Sie Ihr linkes Knie und heben Sie das Bein an. Mit der rechten Hand umfassen Sie das linke Fußgelenk und mit der linken Hand das rechte Knie. Ziehen Sie das Fußgelenk sanft nach rechts und stoßen Sie das Knie gegen Ihre rechte Schulter, bis Sie ein angenehmes Ziehen spüren.

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Rumpf

Legen Sie sich mit dem Rücken auf den Boden, der linke Arm auf die linke Seite ausgestreckt, das Gesicht zeigt nach links. Beugen Sie das linke Knie und ziehen Sie es mit der rechten Hand auf die rechte Seite. Drücken Sie das Knie mit der Hand sanft gegen den Boden. Heben Sie die linke Schulter nicht an; der Rücken sollte sich möglichst nicht vom Boden abheben.

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