Emmas Schrei drang in meinen Schlaf: »Lemmer!«
Ich war auf den Beinen und lief ins Wohnzimmer, bevor ich ganz wach war. Ich war nicht einmal sicher, dass der Schrei wirklich gewesen war.
»Lemmer!« Reine Panik.
Ich eilte zu ihrer Tür, prallte dagegen. Abgeschlossen. »Ich bin hier«, sagte ich, heiser vor Schlaf.
»Da ist etwas im Zimmer«, kreischte sie.
»Machen Sie die Tür auf.«
»Nein!«
Ich bearbeitete die Tür mit der Schulter, ein dumpfes Krachen, aber sie blieb verschlossen. Ich hörte ein merkwürdiges, unscharfes Geräusch aus dem Innern.
»Ich glaube, es ist eine … Lemmer!« Mein Name war ein verängstigter Schrei.
Ich ging einen Schritt zurück und trat nach der Tür. Sie splitterte auf. Im Zimmer war es stockdunkel. Emma kreischte wieder, ich schlug mit der Hand dorthin, wo der Lichtschalter sein musste. Plötzlich war es hell, und die Schlange griff mich an, ein großes, graues Zischen, ein Monster mit weit aufgerissenem Maul, das Innere schwarz wie der Tod. Ich zog mich ins Wohnzimmer zurück, Emma schrie wieder nach mir. Für einen flüchtigen Augenblick sah ich sie auf dem Doppelbett – Kissen und Decke, aus Angst alles vor sich zum Schutz aufgetürmt. Die Schlange stieß nach mir, wieder und wieder, ihr hohles Zischen reine Wut. Ich stolperte über einen Sessel, die Fänge des Biests schlugen Millimeter von meinem Bein entfernt in den Stoff. Als sie sich losriss, spritzte Gift in einem hellen Nebel, und ich rollte vom Sessel herunter über den Boden. Ich |63|brauchte eine Waffe, einen Schlagstock. Ich riss die Lampe vom Ecktisch, holte aus und schlug daneben.
Die Schlange war unglaublich lang, drei Meter, vielleicht mehr, sie war gerade wie ein Pfeil und absolut tödlich. Ich sprang hinter den anderen Sessel und versuchte, ihn zwischen uns zu halten. Die Schlange glitt über die Lehne, den Kopf hoch erhoben. Die Lampe war zu schwer, zu unbeweglich, ich schlug sie gegen die Mauer, um den Schirm loszuwerden, traf ein Gemälde. Glas und Holz splitterten, Emma schrie. Die Schlange stieß zu, und ich schlug. Ich traf sie am Hals und sprang nach rechts, um ihr zu entgehen. Sie schwang mir elegant hinterher, unbeeindruckt und beängstigend entschlossen, als hätte mein Schlag eine noch größere Wut freigesetzt; die schwarzen Augen gnadenlos, das Maul aggressiv aufgesperrt.
Ich zitterte vor Adrenalin. Die Schlange stieß zu, mein Fuß schmerzte, ich schlug mit der Lampe nach ihr. Das Metall, wo die Glühbirne gewesen war, traf das Reptil am Hals, ließ seinen Kopf gegen die Wand schlagen. Für einen Augenblick geriet das Tier aus dem Gleichgewicht, und ich hieb hinterher. Der Lampenfuß war lang und schwer. Ich traf den Körper, wo er über den gefliesten Boden glitt, mit aller Kraft, und etwas zerbarst unter den grauen Schuppen. Die Schlange zog sich zurück, wand sich um sich selbst. Ich schlug wieder und wieder nach ihr. Der Kopf wich mir aus, ich sah eine Blutspur am Boden. Mein Fuß. Das Gift würde meine Sinne schwächen.
Ich musste es zu Ende bringen.
Da kam die Schlange schon wieder.
Ich hob die Lampe hoch über die Schultern und ließ sie brutal niedersausen. Daneben! Ich packte sie wie einen Baseballschläger, schwang, traf, schwang, streifte den Kopf, verfehlte ihn. Die Schlange zog sich zurück. Ich hielt den Lampenfuss wie ein Schwert und versuchte, den Kopf zu Boden zu zwingen. Einmal, zweimal, erfolglos! Der dritte Stoß traf das Reptil knapp hinter dem Kopf, und ich durchbohrte die Schuppen. Der lange Schlangenkörper ringelte sich um die Lampe und meinen Arm. Mit meinem blutenden Fuß trat ich den Hals zu |64|Boden, ich hob die Lampe erneut und stach mit all meiner Angst und meinem Ekel nach dem Kopf. Die Schlange hatte sich jetzt um mein Bein geschlungen, die langen geschmeidigen Muskeln zogen sich ein letztes Mal zusammen. Als sie locker ließ, riss ich meinen Fuß weg und stieß noch einmal zu.
Emma saß auf dem Toilettendeckel in meinem Badezimmer. Ich hockte auf dem Boden, immer noch in meinen Schlaf-Shorts. Mein Fuß ruhte in ihrem Schoß. Vorsichtig zog sie den Glassplitter heraus.
»Halten Sie still!«, sagte sie streng, dieselbe Lehrerin, die mir vor ein paar Minuten befohlen hatte: »Hinsetzen, Lemmer!« Ich sah, dass ihre Hände immer noch zitterten. Sie zog den Splitter mit den Fingern heraus und legte ihn vorsichtig auf die Fensterbank. Es waren doch nicht die giftigen Zähne der Schlange gewesen. Emma riss Papier von der Toilettenpapierrolle ab und drückte es gefaltet gegen die Schnittwunde. Blut sickerte hindurch.
»Drücken Sie das fest darauf!«, sagte sie und schob meinen Fuß zurück. Sie erhob sich und ging hinaus. Ich konnte nicht anders: Mir fiel der Abdruck ihrer Nippel unter dem großen T-Shirt auf, das sie als Pyjama trug. Es hing bis über ihre Knie. Sie hatte wohlgeformte Waden. Ich drückte das Toilettenpapier auf den Schnitt. Meine Hände zitterten nicht.
Emma blieb eine Weile fort, dann hörte ich ihre nackten Füße durch das verwüstete Wohnzimmer gehen. Die Schlange lag draußen auf der Veranda. Ihr langer schuppiger Körper war immer noch geschmeidig und glatt gewesen, als ich sie hinausgezerrt hatte. Trotz der Umstände hatte ich ein schlechtes Gewissen wegen ihres würdelosen, grausamen Todes.
Emma brachte eine kleine Ledertasche mit. Sie setzte sich wieder, öffnete den Reißverschluss und holte eine Schere heraus. Sie griff nach einem der weißen Waschlappen und begann zu schneiden.
»Jemand hat die Schlange in meinem Zimmer ausgesetzt, Lemmer«, sagte sie leise.
|65|Ich schaute die Schere und den Waschlappen an.
»Davon bin ich aufgewacht. Das Fenster … als es zuklappte. Ich habe mir das gerade angesehen. Das Fenster ist geschlossen, aber nicht verriegelt.«
Rasch schnitt sie ein Stück aus dem Waschlappen. »Geben Sie mir Ihren Fuß!« Ich legte ihn wieder in ihren Schoß. Sie nahm das blutige Papier herunter und betrachtete den Schnitt. »Zumindest scheint es aufgehört zu haben zu bluten.« Sie nahm den Waschlappen und wickelte ihn um meine Ferse. »Irgendwer muss gestern Abend, während wir beim Essen waren, das Fenster von innen geöffnet haben. Anders kann es nicht gewesen sein. Man kann das Fenster von außen nicht öffnen.«
Ich sagte nichts. Emma würde nicht hören wollen, wie unglaublich ihre Theorie war. Wie sollte man solch ein Reptil herumschleppen? Wie stopfte man es durch den Schlitz eines halboffenen Fenster? Woher wussten »sie«, dass wir hier schliefen? Wie waren sie mitten in der Nacht mit einer drei Meter langen Giftschlange von der Hauptstraße hierher gelangt, und woher hatten sie genau gewusst, welches Fenster Emma gehörte?
Emma zog eine kleine silberne Sicherheitsnadel aus der Ledertasche und befestigte den Verband. Sie tippte mit ihrer Handfläche gegen meine Zehen. »So«, sagte sie, zufrieden mit ihrer Arbeit.
Ich nahm meinen Fuß von ihrem Schoß. Wir standen beide auf. In der Badezimmertür blieb sie stehen und wandte sich mir mit ernsthaftem Gesichtsausdruck zu.
»Danke, Lemmer. Ich weiß nicht, was ich ohne Sie getan hätte.«
Ich hatte nichts zu sagen. Ich wartete, dass sie ging.
»Wie schaffen Sie das Lemmer? Laufen Sie?«
»Wie bitte?«
»An Ihnen ist kein Gramm Fett.«
»Oh.« Das hatte ich nicht erwartet. »Ja … Ich laufe. Und … solche Sachen.«
|66|»Sie müssen mir irgendwann mal von ›solchen Sachen‹ erzählen«, sagte Emma und verschwand mit einem zarten Lächeln auf den Lippen.
Als ich wieder im Dunkeln auf meinem Bett lag und vergebens auf den Schlaf wartete, dachte ich darüber nach, dass Emma diese angebliche Verschwörung mit derart ruhiger Zuversicht betrachtete. Für sie war das alles absolut wirklich, eine echte Tatsache, eine unglückliche Realität, mit der sie nun einmal leben musste. Es ließ sie nicht hysterisch werden, sie war bloß pragmatisch. Jemand will mich umbringen – ich engagiere einen Bodyguard. Problem gelöst.
Irgendwie war das auch schmeichelhaft, ihr kindisches Vertrauen, ihr Glaube an meine Fähigkeiten. Aber mich stellte das nicht zufrieden, immerhin war es dieselbe Frau, die sich in imaginäre Geschichten verstrickte. Anfangs hatte ich vermutet, dass sie log. Jetzt ging ich davon aus, dass sie es sich einbildete, dass die Illusionen ihrer Sehnsucht entsprangen.
Ich lag lange in der Dunkelheit und lauschte den Geräuschen des Buschs, den Nachtvögeln, einer Hyäne. Einmal glaubte ich, einen Löwen brüllen zu hören. Gerade als ich einzuschlafen begann, war da noch ein Geräusch: die leisen Schritte Emmas nackter Füße im Wohnzimmer, an mir vorbei zu dem Einzelbett neben mir. Es folgte ein Rascheln von Leinen, dann war alles still.
Ich hörte Emma langsam ausatmen, als fühlte sie sich wohl – oder als wäre sie erleichtert.