KAPITEL 56
In den nächsten paar Tagen überschwemmten die Polizei und das FBI East Winds geradezu, trugen Beweise zusammen, sammelten Leichen ein und versuchten ganz allgemein herauszufinden, was geschehen war, obwohl das selbst unter den besten Umständen noch eine ganze Weile dauern würde. Sehr bedrückt war die Stimmung, als man in einem Grab tief in den Wäldern von East Winds die Leiche des Jungen fand, der in der Gasse gegen Kevin ausgetauscht worden war. Der Junge wurde als ein Ausreißer aus Ohio identifiziert, der irgendwie das ausgesprochene Pech gehabt hatte, Nemo Strait und Clyde Macy über den Weg zu laufen und zweifellos der Aussicht auf etwas schnell verdientes Geld erlegen war.
Als Web über das Gelände ging, konnte er nur den Kopf darüber schütteln, wie schnell sich das pastorale Anwesen in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Bates hatte seinen Urlaub abgebrochen und überwachte die Ermittlungen. Romano war im Krankenhaus und ließ seine Beinverletzung versorgen, doch die Kugel hatte weder den Knochen noch eine große Arterie getroffen, und die Ärzte sagten bei jemandem, der so fit war wie Paul Romano, eine schnelle und vollständige Erholung voraus. Doch Web war überzeugt, dass Angie ihrem Mann wirklich einheizen würde, weil er fast ums Leben gekommen war. Falls jemand Romano dazu bringen konnte, seinen Job aufzugeben, wollte sie zweifellos diese Ehre beanspruchen.
Als Web die Auffahrt zur Villa entlangging, sah er, wie Bates aus der Haustür kam. Billy Canfield stand auf der Veranda und sah anscheinend ins Leere. Dem Mann ist nichts geblieben, dachte Web. Bates sah Web und kam zu ihm hinüber.
»Verdammt, was für ein Schlamassel«, sagte Bates.
»Tja, jetzt ist ziemlich klar, dass es schon seit geraumer Weile
ein Schlamassel war.«
»Ja, da haben Sie Recht. Wir haben in Straits Haus Unterlagen gefunden und seine Lieferanten ausfindig gemacht. Die Kugel, die Antoine Peebles getötet hat, konnten wir zu einer Pistole zurückführen, die wir bei Macy gefunden haben. Ed O'Bannon ist auch aufgetaucht, auf einer Müllkippe. Er wurde mit derselben Waffe getötet. Und das Gewehr, das Macy bei sich hatte, als Sie ihn erschossen haben, wurde auch bei den Anschlägen auf Richter Leadbetter und Chris Miller benutzt.«
»Die Ballistiker haben mal wieder das Kaninchen aus dem Hut gezogen. Sind Sie nicht einfach begeistert, wenn sich die einzelnen Teile so wunderschön zusammenfügen?«
»Ach ja, und wir haben auch das Videoband mit dem Schusswechsel in Richmond überprüft, genau, wie Sie uns gebeten haben.«
Web warf ihm einen Blick zu. »Was haben Sie herausgefunden?«
»Sie hatten Recht, da war etwas. Ein klingelndes Telefon.«
»Es war kein Klingelton. Es war eher ein...«
»Ein Pfeifen? Stimmt. Es war ein Handy. Sie wissen ja, Sie können ja fast jedes Klingelzeichen programmieren, das Sie haben wollen. In diesem Fall war es das Pfeifen eines Vogels. Niemand hat groß darüber nachgedacht. Wir haben es ja schließlich nicht als Beweis gebraucht, um Ernie Free festzunageln.«
»Wessen Telefon war es?«
»David Canfields. Ein Handy, das seine Mutter ihm für Notfälle gegeben hatte.«
Noch während Web fassungslos dreinschaute, nickte Bates traurig. »Gwen hat ihn angerufen. Er hat den Anruf nicht entgegengenommen. Wahrscheinlich dachte sie, das sei die einzige Möglichkeit, überhaupt mit ihm zu sprechen. Sie hat sich nur den schlechtesten Zeitpunkt dafür ausgesucht. Sie hat natürlich nicht gewusst, wann das HRT reingehen würde.«
»Dann glauben Sie, deshalb wurden bei den Morden Telefone benutzt?«
»Tja, das werden wir nie genau wissen, aber es sieht so aus. Weil sie nicht mehr mit ihrem Sohn sprechen konnte, wollte sie vielleicht, dass die Telefone das Letzte waren, was diese drei Männer je sahen. Sie hat auch ein schriftliches Geständnis hinterlassen, das Billy entlastet. Gwen hat wohl befürchtet, dass sie diese Sache nicht überlebt, und sie hat Recht behalten.
Wir konnten auch ein paar von Straits Männern festnageln, die an jenem Abend nicht auf der Farm waren. Sie haben nur allzu gern ausgepackt.«
»Gut. Der Mann hat genug gelitten.«
Bates schüttelte den Kopf. »Diese Typen haben bestätigt, dass Gwen nichts mit dem Drogenhandel zu tun hatte. Aber sie hat es wohl später herausgefunden und ihren Anteil verlangt. Mein Gott, und sie sah so normal aus.«
»Sie war normal«, fauchte Web. »Aber was mit ihrem Sohn passiert ist, hat ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt.« Er seufzte schwer. »Wissen Sie, ich habe jeden Grund, die Frau zu hassen, aber sie tut mir nur Leid. Und ein Teil von mir denkt, hätte ich ihren Sohn gerettet, wäre nichts von alldem passiert. Vielleicht habe ich mehr Schaden angerichtet als Gutes getan.«
»Sie können nicht für alles die Verantwortung übernehmen, Web. Das wäre nicht fair.«
»Tja, das Leben war auch nicht sehr fair zu Gwen Canfield, oder?«
Die beiden Männer gingen weiter.
»Wenn Sie ein paar gute Nachrichten hören wollen.. Das FBI hat Sie wieder eingestellt, und wenn Sie wollen, wird Buck Winters sich persönlich bei Ihnen entschuldigen. Und ich zähle
darauf, dass Sie es wünschen.«
Web schüttelte den Kopf. »Ich brauche etwas Zeit, um darüber nachzudenken, Perce.«
»Über Bucks Entschuldigung?«
»Ob ich zum FBI zurückkehre.«
Bates sah ihn mit offenem Mund an. »Sie machen Witze. Jetzt hören Sie aber auf, Web, Ihr ganzes Leben steckt doch im FBI.«
»Ich weiß, und genau das ist das Problem. Ich habe da noch etwas zu erledigen, das ich mir vorgenommen habe.«
»Tja, lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen. Nach dieser Sache werden Sie vom FBI alles bekommen, was Sie wollen.«
»Herrje, das ist ja richtig nett von ihnen.«
»Wie geht es Romano?«
»Er meckert und beklagt sich, also geht es ihm gut.«
Sie blieben stehen und schauten zu der Villa zurück, wo Billy Canfield sich gerade umdrehte und ins Haus ging.
Bates zeigte auf ihn. »Dieser Bursche tut mir wirklich Leid. Er hat alles verloren.«
Web nickte zustimmend.
»Erinnern Sie sich daran, was er auf der Party gesagt hat? Dass der beste Platz, wo man seine Feinde haben sollte, direkt vor einem ist, wo man sie ständig sehen kann?« Bates schüttelte den Kopf und schaute sich um. »Tja, seine Feinde waren überall um ihn herum, und der arme Kerl hat es nicht mal gewusst.«
»Ja.«
»Soll ich Sie mit zurücknehmen?«
»Ich werde noch eine Weile hier herumhängen.«
Bates und Web wechselten einen Händedruck. »Danke für alles, Web.«
Bates drehte sich um und ging davon, während Web
weiterschlenderte. Und dann blieb er stehen, drehte sich um, sah in Bates' Richtung und dann zur Villa. Web spurtete plötzlich zum Steinhaus los, stürmte durch die Tür und hinab zum Untergeschoss, in dem er schnurstracks zu Billys Taxidermieraum lief. Die Tür war abgeschlossen. Web brach das Schloss problemlos auf, ging hinein und fand sofort, was er suchte. Er nahm den kleinen Topf in eine Hand und lief zum Waffenschrank. Er suchte das verborgene Schnappschloss und drückte darauf, und die Tür schwang auf. Er nahm die Taschenlampe von der Wand und ging hinein. Die Puppe starrte ihn an. Web hing die Lampe so an einen Haken an der Wand, dass der Lichtstrahl auf die Puppe fiel. Er nahm ihr die Perücke ab und entfernte vorsichtig den Backenbart. Dann öffnete er den Kopf und trug den Farbentferner auf das Gesicht auf. Die Farbe löste sich schnell. Web machte weiter, bis die dunkle Haut weiß geworden war. Als die ursprüngliche Hautfarbe vollständig zum Vorschein gekommen war, trat Web zurück. Er hatte das Gesicht so oft gesehen, dass er es auch im Schlaf erkannt hätte, und doch hatten die wenigen Hilfsmittel, mit denen Canfield es getarnt hatte, perfekt funktioniert. Der Mann hatte zu seinem Wort gestanden. Er hatte seinen wirklichen Feind genau dorthin gestellt, wo er ihn immer finden konnte.
Web wusste, dass er zum ersten Mal seit dem Schusswechsel in Richmond Ernest B. Free betrachtete.
»Erinnern Sie sich an die Italiener, von denen ich Ihnen erzählt habe?«
Web wirbelte herum, und dort stand Billy Canfield.
»Diese Mafiosi«, fuhr Billy fort, »die mir so viel Geld angeboten haben, wenn ich ihr Diebesgut transportiere? Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen von ihnen erzählt habe?«
»Ich erinnere mich.«
Canfield schien völlig verwirrt zu sein. Er sah Web nicht einmal an, sondern betrachtete Ernie, bewunderte vielleicht
seine gute Arbeit, dachte Web.
»Tja, im Gegensatz zu dem, was ich Ihnen erzählt habe, habe ich eins dieser Angebote akzeptiert und wirklich gute Arbeit für sie geleistet. Nachdem das dann mit meinem Sohn und so weiter passiert ist, kamen sie vor etwa vier Monaten plötzlich zu mir und boten mir an, mir in Anerkennung für meine langjährige Treue gegenüber der Familie einen Gefallen zu tun.«
»Ernest Free aus dem Gefängnis zu holen und an Sie auszuliefern?«
»Tja, diese Italiener haben einen starken Familiensinn, und was dieser Mann meinem Sohn angetan hat...« Billy hielt inne und rieb sich die Augen. »Wie dem auch sei, Gwen hat Ihnen wahrscheinlich das kleine Haus auf dem Farmgelände gezeigt, das im Bürgerkrieg ein Hospital war.«
»Ja.«
»Tja, dort habe ich ihn umgebracht. Ich schickte Strait und seine Männer los, ein paar Pferde abzuholen, und setzte Gwen in ein Flugzeug zu ihrer Familie nach Kentucky, damit ich ungestört arbeiten konnte. Ich habe einige der chirurgischen Instrumente benutzt, die auch schon die Leute im Bürgerkrieg verwendet haben.« Er ging zu Free und berührte dessen Schulter. »Hab ihm zuerst die Zunge rausgeschnitten, weil er solch einen Rabatz machte. Genau das hab ich von einem kleinen Wurm wie ihm erwartet. Liebt es, andere leiden zu lassen, kann aber nicht den geringsten Schmerz ertragen. Und wissen Sie, was ich dann getan habe?«
»Sagen Sie es mir.«
Billy lächelte stolz. »Ich habe ihn ausgenommen, wie man einen Hirsch ausnimmt. Zuerst hab ich ihm die Eier abgeschnitten. Ich dachte mir, wer so was einem kleinen Jungen antut, der darf sich nicht Mann nennen, und wofür braucht er dann noch Eier? Können Sie diesen Gedankengang nachvollziehen?«
Web sagte nichts, doch obwohl Billy nicht bewaffnet zu sein schien, glitt Webs Hand an den Griff seiner Pistole. Canfield schien es nicht zu bemerken, und wenn doch, schien es ihm egal zu sein.
Er legte den Kopf auf die Seite und betrachtete seine Arbeit aus verschiedenen Winkeln. »Ich bin kein gebildeter Mensch oder so, lese nicht viele Bücher, aber es kam mir wie ausgleichende Gerechtigkeit vor, so sagt man wohl dazu, dass der alte Ernie B. Free in einem kleinen Raum hockt, durch den früher Sklaven auf dem Weg in die Freiheit gegangen sind. Aber seine wird er nie kriegen. Freiheit, meine ich. Und ich wusste jeden Tag, jede Minute, ganz genau, wo das Arschloch war, und konnte anderen Leuten mit ihm einen Schrecken einjagen, als wäre er ein kleiner Freak aus dem Kuriositätenkabinett.« Er sah Web mit dem Ausdruck eines Mannes an, der nicht mehr Teil der geistig gesunden Welt war. »Kommt Ihnen das nicht richtig vor?«
Noch immer sagte Web nichts.
Billy starrte ihn an und nickte. »Wissen Sie, ich würde es wieder tun. Jederzeit.«
»Sagen Sie, Billy, wie fühlt man sich, wenn man einen Menschen tötet?«
Canfield betrachtete ihn sehr lange. »Beschissen«, sagte er dann.
»Hat es Ihnen etwas von dem Schmerz genommen?«
»Kein verdammtes Bisschen. Und jetzt habe ich gar nichts mehr.« Er hielt inne, und seine Lippen zitterten stark. »Wissen Sie, ich habe sie aus meinem Leben ausgeschlossen. Meine eigene Frau. Habe sie in Straits Bett getrieben. Sie hat gewusst, dass ich es weiß, und ich habe nichts dazu gesagt, und das hat ihr wahrscheinlich mehr wehgetan, als hätte ich sie deshalb verprügelt. Als sie mich am dringendsten brauchte, war ich nicht für sie da. Wäre ich für sie da gewesen, hätte sie diese Sache vielleicht verkraftet.«
Web sah ihn an. »Vielleicht, Billy. Aber das werden wir jetzt niemals wissen.«
Sie hörten Schritte die Treppe hinabkommen, und beide Männer verließen den Raum. Es war Bates. Er wirkte überrascht, Web zu sehen.
»Ich hab ganz vergessen, dass ich Ihnen noch ein paar Fragen stellen muss, Billy.« Bates betrachtete Webs bleiches Gesicht. »Alles in Ordnung?« Er sah zu dem verstörten Billy und dann wieder zu Web. »Was geht hier vor?«
Web sah Billy an. »Alles bestens«, sagte er dann. »Warum stellen Sie Billy die Fragen nicht später? Ich glaube, er möchte eine Weile allein sein.« Web warf Canfield noch einen Blick zu, legte dann den Arm um Bates und führte ihn die Treppe hinauf.
Sie hatten gerade das Erdgeschoss erreicht, als sie den Schuss hörten. Es war das schöne Churchill-Schrotgewehr.
Web wusste es einfach.
KAPITEL 57
Web schaute zwei Tage, nachdem Billy Canfield Selbstmord begangen hatte, bei Kevin Westbrook vorbei. Der Junge war dank seines Vaters wieder bei Jerome und seiner Oma. Ein Teil von Web hoffte, Francis »Big F« Westbrook würde es in den Ruhestand schaffen. Wenigstens hatte er seinen Sohn aus der Sache herausgehalten. Die Großmutter, die Rosa hieß, wie Web erfuhr, war bester Laune und kochte ein Mittagessen für sie. Wie versprochen, hatte Web das Foto von Kevin mitgebracht und gab es ihr, gab auch die Skizzenblöcke zurück, die er zuvor Claire überlassen hatte, und unterhielt sich lange mit Jerome.
»Hab den Mann gar nicht gesehen«, sagte Jerome über Big F. »Kevin war einfach wieder da, als wär nichts gewesen.«
»Wie geht's mit dem großen Cookie voran?«, fragte Web.
Jerome lächelte. »Er ist schon im Ofen, und ich werde bald die Hitze einschalten.«
Bevor Web ging, schenkte Kevin ihm eine Zeichnung, die er gemacht hatte. Sie zeigte Seite an Seite einen kleinen Jungen und einen großen Mann.
»Sind das du und dein Bruder?«, fragte Web.
»Nein, das sind Sie und ich«, erwiderte Kevin und umarmte Web dann.
Als Web zu seinem Wagen zurückging, erlitt er einen ziemlichen Schock. Unter dem Scheibenwischer steckte ein Zettel. Was darauf stand, ließ Web eine Hand auf den Pistolengriff legen und sich in alle Richtungen umschauen. Doch der Mann war schon längst weg. Web sah wieder auf den Zettel. Darauf stand lediglich: »Bin Ihnen was schuldig. Big F.«
Eine andere gute Nachricht war, dass Randall Cove gefunden worden war. Ein paar Kinder, die im Wald spielten, waren praktisch über ihn gestolpert. Da er keine Ausweise bei sich trug, war er als »unbekannte Person« in ein örtliches Krankenhaus eingeliefert worden. Er war mehrere Tage lang bewusstlos gewesen, schließlich aber zu sich gekommen, und man hatte das FBI benachrichtigt.
Nachdem Cove nach Washington zurückgeflogen worden war, stattete Web ihm einen Besuch ab. Der Mann war mit Verbänden umwickelt, hatte eine Menge Gewicht verloren und war nicht in bester Stimmung, aber er lebte. Das war etwas, worüber man sich freuen konnte, sagte Web zu ihm und bekam zur Antwort ein Knurren.
»Ich war genau dort, wo Sie jetzt sind«, sagte Web zu ihm, »aber ich habe mein halbes Gesicht verloren. Sie sind viel besser davongekommen.«
»Ich fühle mich aber nicht besser. Kein verdammtes bisschen.«
»Es heißt, Schusswunden wären gut für den Charakter.«
»Dann habe ich genug Charakter für den Rest meines Lebens.«
Web sah sich in dem Raum um. »Wie lange müssen Sie hier bleiben?«
»Verdammt, keine Ahnung. Ich bin nur der Patient. Aber wenn sie mich mit noch mehr Nadeln stechen, wird demnächst hier außer mir noch jemand über Schmerzen klagen.«
»Ich mag Krankenhäuser auch nicht besonders.«
»Tja, hätte ich nicht meine Kevlarweste getragen, wäre ich jetzt in der Leichenhalle. Habe zwei Prellungen an der Brust, die wohl nie mehr weggehen werden.«
»Die erste Regel bei Kampfhandlungen: Immer eine Kugel in den Kopf schießen!«
»Ich bin froh, dass sie Ihr Regelbuch nicht gelesen haben. Sie haben also den Oxy-Ring zerschlagen?«
»Ich würde sagen, wir haben ihn zerschlagen.«
»Und Sie haben Strait abgeknallt?«
Web nickte. »Und dann hat Billy Canfield noch eine Ladung Schrot hinzugefügt. Das war wahrscheinlich nicht nötig, aber er fühlte sich danach wohl besser. Na ja... so viel besser nun auch wieder nicht.«
Cove nickte. »Ich verstehe, was Sie meinen.« Web stand auf, um zu gehen. »He, Web, ich bin Ihnen was schuldig. Ich meine, ich habe Ihnen wirklich viel zu verdanken.«
»Nein, haben Sie nicht. Verdammt, niemand ist mir etwas schuldig.«
»He, Mann, Sie haben das ganze Kartenhaus einstürzen lassen.«
»Das war mein Job. Und um ganz ehrlich zu sein, ich werde dieses Jobs allmählich etwas müde.« Die beiden Männer wechselten einen Händedruck. »Nehmen Sie 's nicht so schwer, Cove. Und wenn man Ihnen die Schläuche hier abnimmt, lassen Sie sich vom FBI einen schönen, sicheren Schreibtischjob geben, bei dem man Ihnen höchstens hausinterne Kurzmitteilungen um die Ohren ballert.«
»Hausinterne Kurzmitteilungen? Hört sich ziemlich spannend an.«
»Ja, nicht wahr?«
Web stellte den Mach am Straßenrand ab und ging den Straßenrand entlang. Claire Daniels trug an diesem warmen Abend kein schlichtes Kostüm wie zur Arbeit, sondern ein hübsches Sommerkleid und Sandalen. Das Menü war schmackhaft, der Wein eine ausgezeichnete Ergänzung dazu, das Licht war gedämpft und einladend, und Web hatte keine Ahnung, warum er hier war, als Claire sich ihm gegenüber auf die Couch neben dem Kamin setzte und die Beine unterschlug.
»Voll erholt?«, fragte er.
»Das werde ich wohl niemals sein. Geschäftlich geht es mir gut. Ich habe gedacht, diese Sache mit O'Bannon würde meine Praxis ruinieren, aber das Telefon klingelt ununterbrochen.«
»He, viele Leute brauchen einen guten Seelenklempner - Verzeihung, Psychiater.«
»Eigentlich habe ich mir ziemlich viel freigenommen.«
»Andere Prioritäten?«
»So was in der Art. Ich habe Romano gesehen.«
»Er ist jetzt aus dem Krankenhaus. Haben Sie ihn zu Hause besucht?«
»Nein. Er kam mit Angie in meine Praxis. Sie hat ihm wohl gesagt, dass sie einen Psychiater konsultiert. Ich helfe ihnen dabei, gemeinsam ein paar Probleme anzugehen. Sie haben gesagt, sie hätten nichts dagegen, dass Sie es wissen.«
Web trank einen Schluck Wein. »Tja, jeder hat Probleme, nicht wahr?«
»Es würde mich nicht überraschen, wenn Romano das HRT verlässt.«
»Wir werden sehen.«
Sie musterte ihn eingehend. »Und, werden Sie das HRT verlassen?«
»Wir werden sehen.«
Sie stellte das Weinglas ab, das sie in der Hand gehalten hatte. »Ich wollte Ihnen danken, dass Sie mir das Leben gerettet haben, Web. Das ist einer der Gründe, weshalb ich Sie heute zum Abendessen eingeladen habe.«
Er versuchte, es flapsig zu handhaben. »He, das ist mein Job, Geiseln retten.« Aber dann verblich seine joviale Art. »Gern geschehen, Claire. Ich bin nur froh, dass ich an Ort und Stelle war.« Er sah sie neugierig an. »Einer der Gründe. Und was sind
die anderen?«
»Verrät mich meine Körpersprache? Lesen Sie zwischen den Zeilen?« Sie weigerte sich, seinen Blick zu erwidern, und Web spürte die Nervosität unter ihrem lockeren Gehabe.
»Was ist los, Claire?«
»Ich werde bald meinen Bericht für das FBI abgeben. Den Bericht, der beschreibt, was meines Erachtens mit Ihnen passiert ist, als Sie in dieser Gasse erstarrten. Ich wollte ihn zuerst mit Ihnen besprechen.«
Web beugte sich vor. »Okay, lassen Sie hören.«
»Ich glaube, O'Bannon hat Ihnen einen posthypnotischen Befehl erteilt. Gewissermaßen eine Anweisung, die Sie davon abhielt, Ihren Job zu erledigen.«
»Aber Sie haben doch gesagt, man könne niemanden zwingen, etwas zu tun, was er nicht will oder normalerweise nicht tun würde, während man unter Hypnose ist.«
»Das stimmt, aber es gibt immer Ausnahmen, die solch eine Regel bestätigen. Wenn die Person, die hypnotisiert wird, eine sehr starke Beziehung zu der Person hat, die sie hypnotisiert, oder der Hypnotiseur eine starke Autoritätsfigur ist, könnte die Person etwas tun, was außerhalb ihres normalen Handlungsspektrums liegt, ja sogar jemanden verletzen. Als rationale Erklärung dafür könnte dienen, dass der Hypnotisierte der Ansicht ist, diese Autoritätsfigur würde niemanden veranlassen, etwas Böses zu tun. Es läuft wirklich auf eine Frage des Vertrauens hinaus. Und seinen Unterlagen zufolge hatte O'Bannon ein ausgesprochenes Vertrauensverhältnis mit Ihnen aufgebaut.«
»Wie kommen Sie von >Vertrauen< zu >erstarren<? Hat er mich einer Gehirnwäsche unterzogen?«
»Gehirnwäsche ist etwas ganz anderes als Hypnose. Sie braucht Zeit und ist eher eine Indoktrination, bei der man die
Persönlichkeit eines Menschen verändert, ihn zu einem ganz anderen macht, seinen Willen und Geist bricht und dann so neu zusammensetzt, wie man es gern hätte. O'Bannon hat einen Befehl in Ihr Unterbewusstsein eingebaut. Als Sie das Wort >Donnerhall< hörten, setzte die Reaktion ein.
Diese Reaktion wurde gewissermaßen mit einem Sicherheitsventil gekoppelt, für den Fall, dass Sie diese oder eine ähnliche Redewendung woanders hören. In Ihrem Fall bestand dieses Sicherheitsventil wohl aus den Kommunikationen, die Sie in der Gasse über Ihren drahtlosen Empfänger mitgehört haben. Unter O'Bannons Unterlagen fand sich ein Bericht über diese Geschichte mit dem Taser, die Sie auch mir erzählt haben. Also hat er eine körperliche Reaktion programmiert, von der er wusste, dass sie Sie lahmen würde. >Donnerhall< und die Kommunikationen über Funk würden Sie erstarren lassen, als wären Sie von einem Taserpfeil getroffen worden.«
Web schüttelte den Kopf. »Und O'Bannon konnte mir das alles antun?«
»Ich glaube, dass Sie ein natürliches Medium sind, Web«, sagte Claire, »ein Mensch, der für eine hypnotische Suggestion besonders empfänglich ist. Aber Sie waren fast imstande, diesen Befehl zu überwinden. Sie sollten bestimmt nicht aufstehen und auf diesem Hof herumlaufen können. Da kam Ihre reine Willenskraft durch, falls Sie sich deshalb etwas besser fühlen. Das war wahrscheinlich Ihre bemerkenswerteste Leistung an diesem Abend, ungeachtet aller Maschinenpistolen.«
»Und man hat das Wort >Donnerhall< benutzt, um die >Freie Gesellschaft< zusätzlich zu belasten, denn das war ja der Name ihres Rundbriefs.«
»Ja. Als ich ihn auf ihrer Webseite sah, ergab vieles allmählich einen Sinn.«
»Das ist nicht ganz leicht zu verdauen, Claire.«
Sie beugte sich vor, die Hände im Schoß verschränkt. Plötzlich hatte Web den Eindruck, wieder in ihrer Praxis zu sitzen und eine weitere Sitzung über sich ergehen zu lassen. »Web, ich muss Ihnen noch etwas sagen, etwas noch Verstörenderes. Ich hätte es Ihnen vorher sagen sollen, war mir aber nicht sicher, ob Sie schon bereit waren, sich damit zu befassen, und bei allem, was passiert ist... nun ja, hatte ich wohl auch Angst davor. Im Vergleich zu Ihnen bin ich nicht sehr tapfer. Im Vergleich zu Ihnen ist eigentlich niemand tapfer.«
Er ignorierte das Kompliment und sah sie einfach an. »Was müssen Sie mir sagen?«
Sie sah ihm in die Augen. »Als ich Sie hypnotisiert habe, habe ich viel mehr erfahren als nur die Tatsache, dass Ihr Vater während der Party für Ihren sechsten Geburtstag verhaftet wurde. Aber damals konnte ich Ihnen das nicht sagen«, fügte sie schnell hinzu. »Es wäre zu traumatisch gewesen.«
»Mir was sagen? Ich erinnere mich an nichts anderes als an die Party, und selbst das war ein wenig verschwommen.«
»Web, hören Sie mir bitte ganz genau zu.«
Er stand in seiner Besorgnis auf. »Ich dachte, Sie hätten gesagt, ich hätte die völlige Kontrolle. Es wäre ein erhöhter Bewusstseinszustand. Verdammt, das haben Sie gesagt, Claire. Haben Sie mich angelogen?«
»Normalerweise ist es auch so, Web, aber ich musste anders vorgehen. Aus einem sehr guten Grund.«
»Der einzige Grund, wieso ich Sie in meinem Verstand herumspielen ließ, Lady, ist der, dass Sie gesagt haben, ich würde bestimmen, wie der Hase läuft.« Web setzte sich und ballte die Hände zu Fäusten, damit sie nicht mehr zitterten.
»Es gibt Zeiten, Web, da muss ich die Entscheidung treffen, dem unter Hypnose stehenden Patienten nicht zu erlauben, sich an die Ereignisse zu erinnern. Ich nehme solch einen Schritt nicht auf die leichte Schulter und habe das ganz bestimmt auch
nicht bei Ihnen getan.«
Er musste sie bewundern. Ihre Stimme und ihr Auftreten verrieten, dass sie die Kontrolle hatte. Er wusste nicht, ob er sich vorbeugen und sie küssen oder ihr eine Ohrfeige geben sollte.
»Was genau, Claire, haben Sie mit mir gemacht?«
»Ich habe Ihnen einen posthypnotischen Befehl erteilt.« Sie schlug den Blick nieder. »Dieselbe Technik, die O'Bannon bei Ihnen angewandt hat, damit Sie in der Gasse erstarren. Ich wollte, dass Sie sich an keine Einzelheiten unserer HypnoseSitzung erinnern.«
»Toll, Claire, ich bin leicht zu hypnotisieren, ein natürliches Medium, also ist es kein Problem, mit meinem Verstand herumzupfuschen, was?«
»Web, ich tat, was ich für das Beste hielt... «
»Sagen Sie es mir einfach, Claire!«, fauchte Web ungeduldig.
»Es hat mit Ihrer Mutter und Ihrem Stiefvater zu tun. Eigentlich damit, wie er gestorben ist.«
Sein Gesicht lief einen Augenblick lang rot an. Web bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Plötzlich hasste er sie geradezu. »Ich habe Ihnen schon erzählt, wie er gestorben ist. Er ist gestürzt. Es steht in Ihrer kostbaren kleinen Akte. Lesen Sie sie noch mal.«
»Sie haben Recht. Er ist gestürzt. Aber er war nicht allein. Sie haben mir von einem Kleiderstapel neben dem Eingang des Dachbodens erzählt?«
Er starrte sie an. »Der ist weg, der ist schon lange weg.«
»Das war ein hervorragendes Versteck für einen verängstigten und misshandelten jungen Mann.«
»Was? Meinen Sie mich?«
»Ein tolles Versteck auf Geheiß Ihrer Mutter. Sie wusste, dass Stockton auf den Dachboden ging, um seine Drogen zu holen.« »Na und? Das wusste ich auch. Ich habe Ihnen das gesagt, als ich nicht hypnotisiert war.«
»Sie haben mir auch von ein paar alten Teppichrollen erzählt. Und dass sie hart wie Eisen waren«, fügte sie sehr leise hinzu.
Web stand auf und wich wie ein verängstigtes Kind vor ihr zurück. »Okay, Claire, das ist absolut verrückt.«
»Sie hat Sie dazu gebracht, es zu tun, Web. Das war ihre Art, sich um den prügelnden Vater zu kümmern.«
Web setzte sich auf den Boden und schlug die Hände vor den Kopf. »Ich verstehe nichts davon, Claire. Überhaupt nichts!«
Claire atmete tief durch. »Sie haben ihn nicht getötet, Web. Sie haben ihn mit dem Teppich geschlagen, und er ist gestürzt. Aber Ihre Mutter... «
»Hören Sie auf!«, brüllte er. »Hören Sie einfach auf! Das ist die größte Scheiße, die ich je gehört habe.«
»Web, ich sage Ihnen die Wahrheit. Woher sollte ich das sonst wissen?«
»Ich weiß es nicht!«, schrie er. »Ich weiß überhaupt nichts!«
Claire kniete vor ihm nieder, griff nach ihm und nahm seine Hand. »Nach allem, was Sie für mich getan haben, fühle ich mich deshalb ganz schrecklich. Aber bitte glauben Sie mir, dass ich es nur getan habe, um Ihnen zu helfen. Es war auch für mich sehr schwer. Können Sie das verstehen? Können Sie das glauben? Können Sie mir vertrauen?«
Er stand so abrupt auf, dass sie vor Überraschung fast zurückgestürzt wäre. Web lief zur Tür.
»Web, bitte!«, rief sie ihm nach.
Er stürmte hinaus, und sie folgte ihm, wobei ihre Tränen jetzt ungehindert flossen.
Web setzte sich in den Wagen und ließ den Motor an. Claire ging unsicher den Bürgersteig entlang zu ihm. »Web, wir können es nicht einfach dabei bewenden lassen.«
Er drehte die Fensterscheibe herunter und sah sie an, noch während Claires Blick den seinen suchte.
»Ich hab mir etwas vorgenommen, Claire. Und genau das werde ich jetzt tun.«
Sie schaute verwirrt drein. »Vorgenommen? Was?«
»Ich werde meinen Vater besuchen. Meinen Vater, der immer an mich geglaubt hat. Warum analysieren Sie das nicht, während ich weg bin?«
Er gab Gas, und der Wagen fuhr unter einem Himmel davon, der von einem sich zusammenbrauenden Sturm beherrscht wurde, fort in die Dunkelheit.
Web schaute einmal zurück, sah Claire Daniels dort stehen, erhellt von dem Licht, das aus ihrem behaglichen Haus fiel. Und dann sah er nach vorn und fuhr weiter.
DANKSAGUNG
An meine guten Freunde Philip Edney und Neal Schiff beim FBI für all ihre Hilfe und Ratschläge. Danke, dass ihr immer für mich da seid.
Dank an Special Agent W. K. Walker für seine Unterstützung und seinen Rat.
An Dr. Steve Sobelman für seine unschätzbare Hilfe bei den psychologischen Aspekten des Romans, und dafür, dass er ein toller Kerl und lieber Freund ist. Steve, wir würden dich sowieso mögen, auch wenn du nicht mit deiner fabelhaften Frau Sloane Brown verheiratet wärest.
An meine wunderbaren Freunde Kelly und Scott Adams für ihre Tipps zu allem, was in diesem Roman mit Pferden und der Pferdefarm zu tun hat, und dafür, dass sie mit mir durch ein paar tausend Morgen Schnee gestapft sind. Kelly, danke auch dafür, dass du mir beigebracht hast, Boo zu reiten! Ich komme gern für die nächsten Lektionen zurück.
An meinen neuen Freund Dr. Stephen P. Long für die Informationen über alles, was in diesem Buch mit Oxycodon zu tun hat. Steve, deine Kommentare waren kenntnisreich und trafen immer genau den Punkt.
An Lisa Vance und Lucy Childs, weil sie mein literarisches Leben in Ordnung halten.
An Art und Lynette, für alles, was sie für uns tun.
An Steve Jennings, weil er auch diesmal jede Seite mit seinen Adleraugen gelesen hat.
An Dr. Catherine Broome, weil sie mir geduldig komplizierte medizinische Themen erklärt hat, und zwar auf eine Art und Weise, dass sogar ich es verstand.
An Aaron Priest, für all deine tollen Ratschläge zu diesem
Buch. Ich bin dir was schuldig.
An Frances Jalet-Miller, für ein weiteres erstklassiges Lektorat. Diesmal hast du dich selbst übertroffen, Francie. Und an Rob McMahon für seine gut durchdachten Kommentare.
An Deborah Hocutt, weil sie mein Leben um so vieles besser macht. Und an ihren Ehemann Daniel, weil er eine unglaubliche Website entworfen hat.
An Michelle, weil sie unsere verrückte Welt auf geradem Kurs hält.
An all diese wunderbaren Seelen bei der Warner-BooksFamilie, unter anderem Larry, Maureen, Jamie, Tina, Emi, Martha, Karen, Jackie Joiner und Jackie Meyer, Bob Castillo, Susanna Einstein, Kelly Leonard und Maja Thomas: Ihr seid die besten.
Und schließlich an meinen Freund Chris Whitcomb vom Hostage Rescue Team, der zufällig auch ein wunderbarer Autor und einer der außergewöhnlichsten Individualisten ist, den ich je kennen gelernt habe. Chris, ich hätte diesen Roman ohne dich nicht schreiben können. Du bist weit über den Ruf der Pflicht hinausgegangen, um mir zu helfen, und das werde ich nie vergessen. Ich wünsche dir allen Erfolg bei deiner Karriere als Schriftsteller, du hast es verdient.