Die Routenmethode
Bei Ihrem ersten kleinen Erfolgserlebnis haben Sie diese Methode, ich nenne sie liebevoll Wundertechnik, ja schon kennen gelernt. Sie erinnern sich doch an Ihre erste Route am Anfang dieses Buches. Schiff, Socken, Sonnenhut? Vielleicht haben Sie diese Worte noch im Kopf! Aber das Entscheidende ist, dass Sie sich mithilfe der Routentechnik nicht nur an die einzelnen Begriffe erinnern können, sondern auch noch genau an die richtige Reihenfolge.
Diese bereits in der Antike entwickelte Routenmethode basiert, wie Sie wissen, auf der Erkenntnis, dass man sich neue Informationen in Verbindung mit bereits Bekanntem besser merken kann. In diesem Fall |94|stellen die Routenpunkte die aufeinander folgenden Stationen in einem Raum das Altbekannte dar. Alle Begriffe, die Sie sich einprägen wollen, verknüpfen Sie gedanklich mit den Punkten der Route zu einem Bild. In dem Moment, in dem Sie sich wieder an diese Begriffe erinnern wollen, gehen Sie einfach in Gedanken die Routenpunkte wieder in derselben Reihenfolge ab und alle Begriffe werden wieder vor Ihrem geistigen Auge erscheinen.
Sicherlich werden Sie nun denken, dass der Zeitaufwand, Routen aufzustellen, um sich mit ihrer Hilfe weitere Informationen zu merken, viel zu groß ist. Aber das täuscht, wie Sie selbst feststellen werden, sobald Sie etwas Erfahrung mit dieser Technik haben. Der Einsatz der Routentechnik kann Ihnen das Leben in vielfacher Hinsicht wirklich erheblich erleichtern.
Um sich viele Dinge merken zu können, brauchen Sie natürlich auch sehr viele Routenpunkte. Man kann zwar die Routen immer wieder verwenden, aber nicht in kurzen Abständen. Denn dann besteht die Gefahr, dass Sie die abgelegten Bilder miteinander verwechseln.
Um das zu vermeiden, ist es auch möglich, neue Informationen mit den alten, bereits mit dem Routenpunkt verknüpften Daten zu verbinden. Aber das macht die Sache sehr kompliziert und ist eigentlich nur etwas in Notfällen für Fortgeschrittene. Sicherer ist es auf jeden Fall, genügend Routenpunkte zur Verfügung zu haben.
Wie Sie eine Route machen
Bevor Sie Ihre Routen festlegen und notieren, möchte ich Ihnen nun genauer erklären, was man beim Routen machen beachten muss. Die Ratschläge basieren auf meinen Erfahrungen, die ich im Laufe der Zeit mit über 2500 Routenpunkten gewonnen habe. Da jeder seine Routen jedoch auf eine andere Art und Weise entwickelt, werden Sie mit der Zeit für sich selbst herausfinden, wie Sie Ihre Routen am günstigsten anlegen.
Sicherlich denken Sie am Anfang, dass die einzelnen Routen nicht sehr lang sein müssen, da man sich ja doch nicht soviel hintereinander |95|merken kann. Doch mit etwas Übung werden Sie schnell Fortschritte machen und nach neuen Routenpunkten suchen. Daher sollten Ihre Routen von Anfang an nicht zu kurz sein, sondern meiner Erfahrung nach mindestens eine Länge von 40 Punkten haben.
Erstellen Sie eine Testroute
Erweitern Sie Ihre erste Route zu einer Testroute, mit der Sie prüfen, wie eng oder weit die Routenpunkte auseinander liegen müssen, damit Sie Ihre Bilder gut abspeichern können. Experimentieren Sie einfach ein bisschen herum. Denn wie ich aus Gesprächen weiß, ist hier die Bandbreite sehr groß. Bei manchen müssen die einzelnen Punkte extrem weit auseinander liegen; möglicherweise haben Sie dann aber die Schwierigkeit, genügend Routenpunkte zu finden. Anderen ist es lieber, dicht nebeneinander liegende Punkte zu wählen.
Als Anhaltspunkt hilft Ihnen vielleicht, auf keinen Fall mehr als drei Routenpunkte auf einen laufenden Meter auszuwählen. Sonst besteht die Gefahr, dass Sie aus Versehen Punkte auslassen, was nicht ›im Sinne des Erfinders‹ ist. Denn irgendwann liegt auch dem besten Gehirn einfach zu viel nebeneinander und es hat keine Lust mehr und blockiert. Zumindest ist das meine Erfahrung.
Anlegen neuer Routen
Verschaffen Sie sich zunächst einen Überblick über die Räumlichkeiten, bevor Sie eine Route machen wollen, egal ob in einer Wohnung, in einem Haus oder in einer Stadt. Überlegen Sie zunächst, in welcher Reihenfolge und Richtung Sie durch die Räume gehen wollen, bevor Sie anfangen, die Routenpunkte zu notieren.
Es ist egal, ob Sie in den Räumen links oder rechts herumgehen. Das ist Ihre persönliche Entscheidung. Oft hängt es allerdings auch vom Raum ab, in dem Sie die Route beginnen möchten. Sie müssen sich keineswegs festlegen. Aber ändern Sie niemals in einem Raum die Richtung der aufeinander folgenden Routenpunkte, das bringt Sie nur durcheinander.
|96|Bei den Routen gilt meistens ›weniger ist mehr‹. Also nicht krampfhaft versuchen, möglichst viele Routenpunkte zu finden. Der eine wählt in einem Raum nur fünf Routenpunkte, in dem ein anderer zwanzig aussucht. Das ist individuell verschieden, also einfach ausprobieren!
Jedes Jahr, einige Monate vor den Meisterschaften beginnen die Überlegungen, wo und wie ich meine Routen verlängern kann. Da man eigentlich jedes Jahr seine potenzielle Leistungs- beziehungsweise Merkfähigkeit steigert, braucht man natürlich auch neue Routenpunkte. So wird mir in regelmäßigen Abständen immer wieder bewusst, wie sehr es hilft hinzuschauen, auf Kleinigkeiten zu achten und sich nicht mit dem ersten Eindruck zufrieden zu geben. Schließlich merke ich spätestens an den Leistungen im Wettkampf, dass sich diese Mühe lohnt.
Auswahl der Routenpunkte
Wählen Sie nur Punkte, die möglichst auf gleicher Höhe liegen, allerdings nicht in dem Sinne, dass alle Punkte zum Beispiel genau einen Meter hoch liegen müssen. Vielmehr sollten Sie bei den aufeinander folgenden Punkten darauf achten, dass es keine zu großen Höhensprünge zwischen ihnen gibt, da sonst die Gefahr besteht, dass Sie einen Routenpunkt vergessen.
Suchen Sie nur markante und Ihnen vertraute Gegenstände als Routenpunkte aus, die wirklich einen festen Platz in der Wohnung haben. Also zum Beispiel keine Taschentuchpackung, die gerade auf dem Tisch liegt, denn diese wird nicht dauerhaft dort liegen. Sie müssen immer bedenken, dass Sie den Gegenstand noch mit einer neuen Information verknüpfen wollen. Kleiner Schnickschnack kann oft sein Ziel verfehlen, da man sich an diesen nur schlecht erinnert, es sei denn, Sie haben eine emotionale Beziehung zu diesem speziellen Gegenstand. Ein kleines Porzellanbärchen, das Sie vielleicht von einer Freundin zum Geburtstag geschenkt bekommen und ins Regal gestellt haben, obwohl sie es eigentlich hässlich finden, eignet sich dagegen perfekt. Denn mit dem Routenpunkt verbinden Sie die Gefühle für Ihre Freundin wie auch vielleicht die Abneigung gegen den Porzellanbären. Solche Gefühle fließen oft unbewusst in die Bilder ein, und die Chance, |97|das Bild zu diesem Routenpunkt zu vergessen, sinkt dadurch enorm. Bauen Sie aber nicht zu viele kleine Gegenstände in die Route ein, da man sie leicht auslässt oder vergisst. Diesen Fehler habe ich früher selbst oft gemacht.
Scheuen Sie sich auch nicht davor, eine Sache zweimal in Ihrer Route vorkommen zu lassen, zum Beispiel einen Schrank. Es darf natürlich nicht derselbe sein. Sie werden sicherlich denken, dass man die Dinge, mit denen die Schränke verbunden sind, sehr leicht verwechselt, aber das ist nicht so. In meinen Routen kommen über vierzig Fernseher, Stereoanlagen und Lampen und über hundert Schränke, Tische, Stühle, Betten und Regale vor. Die vielen Toiletten und Waschbecken kann ich schon gar nicht mehr zählen. Aber das lässt sich nun mal nicht vermeiden, denn das sind einfach die Gegenstände, die wohl jeder in seiner Wohnung hat. Sicher stellen Sie sich die Frage, ob man da nicht durcheinander kommt. Aber komischerweise ist das überhaupt nicht so. Denn jeder Gegenstand, auch wenn er mit dem gleichen Begriff (zum Beispiel: ›Schrank‹) bezeichnet wird, unterscheidet sich ja vom anderen. Und da man die Routenpunkte im Geiste wirklich vor Augen hat und jeder in einer anderen Umgebung steht, bereitet der Faktor der vielen Schränke oder Tische eigentlich keine Probleme. Außerdem kann man später immer noch den einen oder anderen Routenpunkt auswechseln.
Entdecken Sie Ihr Kinderzimmer wieder
Wählen Sie zunächst nur Ihnen vertraute Räume. Sie können zum Beispiel auch Räume Ihrer Jugendzeit für den Aufbau von Routen verwenden. Sicher werden Sie dabei auf viele alte, vielleicht in Vergessenheit geratene Erinnerungen stoßen. Ich habe mittlerweile von vielen Leuten gehört, dass ihre Routen, die in alten Häusern, Wohnungen oder Zimmern, also in ihren früheren Umgebungen liegen, oft die besten sind.
Nutzen Sie Ihre Reisen
Sie können sich Ihre ›Wege‹, also Routen, auch im Freien suchen, es müssen nicht unbedingt innen liegende Räume sein. Man kann Reisen |98|nutzen, um Routen anzulegen, ebenso auch Kaufhäuser, Hotels oder Schulen. Selbst die Spaziergänge, die Sie in einem fremden Stadtteil oder in einer fremden Stadt unternommen haben, können zum Memorieren genutzt werden. Eigentlich kann man überall Routenpunkte finden, wenn die Atmosphäre Sie anspricht und Sie angenehme Erinnerungen mit der Situation verbinden.
Eine weitere Möglichkeit ist, Ihre Urlaubreisen als Routenpunkte zu nutzen. Dies hat mehrere Vorteile. Zum einen verbinden Sie mit Ihrem Urlaub wahrscheinlich sehr positive Gefühle. Zum anderen haben Sie die Möglichkeit, wenn Sie diese Routenpunkte in Gedanken mit Bildern belegen, Ihren Urlaub immer wieder zu erleben.
Wenn Routen sich ändern ...
Sicher werden sich die Räume, in denen Sie Ihre Routenpunkte festgelegt haben, mit der Zeit verändern. Aber auch das ist eigentlich kein Problem, wenn Sie die Route wirklich gut kennen. Meine erste Route in der Wohnung meiner Eltern ist immer noch eine meiner besten. Das Lustige daran ist, dass mittlerweile – nach sechs Jahren – nichts mehr da steht, wo es sich früher einmal befand. Doch benutze ich immer noch diese alte Route. Ob Sie Ihre Route in so einem Fall behalten wollen oder die Route nach der neuen Situation umstellen, bleibt Ihnen überlassen.
Wenn Sie Ihre Routen nachträglich verlängern, dann achten Sie darauf, dies nur in Zehnerschritten zu tun, denn dann können Sie später, wenn Sie Ihre Leistung steigern, Ihre verschiedenen Routen problemlos aneinander hängen, ohne den Überblick zu verlieren. Hilfreich ist auch, sich zur Kontrolle jeweils die runden Routenpunkte zu merken.
Routen lernen – einfacher und schneller als Sie denken
Trainieren Sie die Abfolge Ihrer Routen bei allen Gelegenheiten, in denen Ihre Aufmerksamkeit nicht gefordert ist, zum Beispiel beim U-Bahn fahren oder abends kurz ein bisschen vor dem Einschlafen. Falls Sie gerne Joggen gehen, memorieren Sie dabei Ihre Routen im Kopf und Sie werden sich wundern, wie schnell die Zeit vergeht.
|99|Das habe ich festgestellt, als wir in der Schule einmal 3 000 Meter laufen mussten. Ich konnte schon nach den ersten paar hundert Metern nicht mehr. Um durchzuhalten, ging ich einfach alle Routen, die ich kannte, im Kopf durch, und auf einmal waren die drei Kilometer geschafft. Als ich später eine Freundin fragte, ob sie beim Joggen auch an irgendetwas denke und ich ihr von den Routen erzählte, hat sie mich ausgelacht. Doch ich hielt beim Joggen immer länger durch als sie, bis sie selbst anfing, ihre Routen im Kopf durchzugehen.
Falls Sie mit einzelnen Punkten Ihrer Route Probleme haben und die abzuspeichernden Informationen immer wieder vergessen, lassen Sie die Routenpunkte einfach weg oder schmücken Sie sie mit mehr Details aus. Geben Sie ihnen mehr ›Leben‹, damit sie Ihnen besser in Erinnerung bleiben. Sie werden sehen, dass Sie mit relativ wenig Training sehr schnell Fortschritte erzielen.
Sie werden mit der Zeit selbst feststellen, dass das Durchgehen einer Route vor dem inneren Auge eine sehr fließende Bewegung ist. Stellen Sie sich einen Kameraschwenk durch Ihre Wohnung vor. Je öfter sie die Route benutzen, desto schneller werden die Bilder aufeinander folgen.
Wenn Sie einmal auf die Schnelle keine Route parat haben sollten, können Sie auch Ihren Körper als Route benutzen (Kopf, Arm, Finger, usw.) oder die Punkte in dem Raum ablegen, indem Sie sich gerade befinden.
Eine fiktive Route zu Trainingszwecken
Um Ihnen später zum Beispiel beim Zahlen-Memorieren einen Lösungsvorschlag geben zu können, werden wir nun noch eine kleine Route in einem fiktiven Wohnzimmer einrichten. Am besten versuchen Sie, sich nicht an Ihrem eigenen Wohnzimmer zu orientieren, sondern die hier beschriebene Anordnung im Kopf zu sehen.
Sie betreten das Wohnzimmer, beginnen links und gehen im Uhrzeigersinn durch den Raum. Links von Ihnen befindet sich die Couch (Punkt 1), mit dem Couchtisch (Punkt 2), der auf einem Teppich steht (Punkt 3). An der Wand befindet sich ein Sessel (Punkt 4), daneben |100|ein Zeitschriftenständer (Punkt 5) und eine Stehlampe (Punkt 6). An dieser Wand steht außerdem noch ein Bücherregal (Punkt 7). An der der Eingangstür gegenüberliegenden Wand liegt das große Fenster (Punkt 8) mit dem Esstisch (Punkt 9). Neben ihm stehen eine große Pflanze (Punkt 10) und der Fernsehapparat (Punkt 11). Daneben befindet sich der letzte Punkt der Route, ein Papierkorb (Punkt 12).
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