Andreas Baader & Co.
Wo: Jordanien, Jemen
Wann: Siebziger Jahre
Warum: Ausbildung zum Terroristen
Es gibt tausend Dinge, für die man sich hobbymäßig interessieren kann: Modelleisenbahn und Salsatanz, Gleitschirmfliegen und Salzteigbasteln. Doch selbst unter den ausgefallenen Hobbys ist das »politisch motivierte Handgranatenwerfen« eines der ungewöhnlichsten. Was bei der Bundeswehr zum Pflichtprogramm gehört, ist als privater Zeitvertreib in den eigenen vier Wänden selbst mit äußerst toleranten Nachbarn kaum zu bewältigen. Also wohin zum heimlichen Üben? In einen Steinbruch? Da treffen sich Rudel von Jugendlichen zum Saufen, Rauchen und Knutschen. Zum Oktoberfest? Das wäre immerhin anonym, im Biernebel von sechs Millionen Lederhosenträgern würde man vielleicht gar nicht auffallen. Doch in den Schießbuden auf der Wiesn gibt es eben nur verbeulte 6-Schuss-Spaßkarabiner und keine terrortaugliche Militärausrüstung. Gekillt werden da nur Plastikrosen und Luftballons, keine »faschistisch-imperialistischen Politikerschweine«.
Also reist man als angehender Terrorist der siebziger Jahre in die Wüste. Da ist Platz, und in den staubigen Dünen stört es nicht weiter, wenn ein paar Skorpione in ihre Einzelteile gebombt werden. Außerdem hatte der deutsche Anarchieliebhaber damals in der Wüste gute Freunde: Palästinenser. Seit der Gründung des Staates Israel sitzen Flüchtlinge aus Palästina in fast allen arabischen Ländern. Das haben die Gastländer zwar nicht gern, aber sie nutzen die Situation genüsslich aus.
Die Palästinenser werden instrumentalisiert. Für die täglichen Weltnachrichten gibt es Pressetermine und Parolen: »Schaut her, Völker dieser Erde, diese armen Vertriebenen.« Doch sobald die Weltpresse wieder außer Sichtweite ist, werden die Palästinenserlager wieder abgeriegelt, und Wasser und Strom werden ihnen von ihren arabischen Gastgebern rationiert. Es bleibt den Ausgegrenzten keine Wahl, und die Flüchtlingslager werden zwangsläufig zu Staaten im Staate. Im tiefsten Nachkriegsbayern wurden ostpreußische Kriegsflüchtlinge schneller im Tegernseer Trachtenverein integriert als ein Palästinenser bei seinem arabischen Bruder. So diskutiert der Libanon erst im Jahr 2010 darüber (da ist der Staat Israel bereits 62 Jahre alt), den palästinensischen »Flüchtlingen«, das heißt den Urenkeln der einstigen Flüchtlinge, nun vielleicht doch Bürgerrechte zu geben. Nur nichts überstürzen.
Frühjahr 1970: Die arabische Jugend absolviert ein straffes militärisches Training, ist bewaffnet bis an die Zähne und hat die Befreiung Palästinas zum Ziel, also die Auslöschung Israels. Dazu werden Flugzeuge entführt und gesprengt, Geiseln genommen, unbeteilige Menschen erschossen. Dieser Weg interessiert die Truppe um Andreas Baader. Von denen kann man lernen! Bei den Palästinensern ist das bittere Gefühl der Vertreibung und Heimatlosigkeit dem Hass gewichen, der in Presseerklärungen und Flugblättern lautstark und weltweit hinausgeschrien wird:
»In München [bei den Olympischen Spielen 1972] sind die Palästinenser, Verdammte dieser Erde, Kinder eines weltweiten Unrechts, in das Fest der anständigen und gut genährten Leute eingedrungen.«
Wer genau Palästina befreien sollte, darüber sind sich die Palästinenser allerdings nicht so richtig einig. Es kommt zur Gründung verschiedener Gruppen, die aufzudröseln heute noch Heerscharen von Akademikern beschäftigt: die PLO, die PFLP, die PFLP-SC, die PDFLP, die Fatah, »Der Schwarze September«, die GUPA und die GUPS, das »Politbüro der Bewegung für die nationale Befreiung Fateh«, natürlich alle ausgestattet mit einem militärischen Flügel, einem politischen Flügel, einer Aktionsbrigade, Sympathisanten, flugblattkopierenden und schönen Frauen. Und alles umwabert von einem Wasserkopf an Ideologie und unverständlichem Bürokratengewäsch, wovon ein deutsches Kreisverwaltungsreferat nur träumen kann.
Hätten die deutschen Terroristen etwas Arabisch gesprochen, wäre der deutschen Geschichte womöglich viel erspart geblieben. »Das sind einfach Schweine, aber nützliche Schweine.« So charakterisiert ein arabischer Schießlehrer seine deutschen Schützlinge. Andreas Baader versteht kein Wort. Wenige Wochen zuvor sitzt er noch, verurteilt wegen Brandstiftung, in einem deutschen Gefängnis. Bei der Flucht wird geschossen, zurückbleibt ein schwer verletzter Mann. Jetzt geht es nicht mehr um Brandstiftung, sondern um versuchten Mord. Man taucht unter, besorgt sich falsche Pässe, wechselt in lächerlicher Verkleidung von West- nach Ostberlin, und die Reisegruppe von über 20 deutschen Terroristen fliegt nach Jordanien. Horst Mahler ist dabei, Baader, Meinhof, Ensslin, so ziemlich alle, deren Köpfe man kurz danach auf den Fahndungsplakaten studieren kann.
Aber aus der RAF-Reise wird kein Besuch bei jordanischen Freunden. Bereits bei der Ankunft ist der bunt gemischte Terrorhaufen aus Westdeutschland heillos zerstritten. Es geht zu wie beim Schulausflug: Wer ist der Chef? Wer geht mit wem? Wann gibt’s Essen? Der Umgangston wird rauer. Es gibt Grüppchenbildung. So gerne man sich in endlosen Diskussionen totredet, RAF-Kollege Peter Homann soll diskussionslos gleich erschossen werden. Er ist vielleicht ein Spion aus Israel, aber eben nur vielleicht, eher sogar nicht. Das Erschießen wird erst mal aufgeschoben.
All das, was man mit ideologischem Eifer in Deutschland ablehnt, flammenden Militarismus, dumpfe Befehlsstrukturen, Wiederbewaffnung, will Andreas Baader in Jordanien lernen. Aber die Palästinenser sind genervt von den »deutschen Idioten«. Die deutschen Terroristen unterscheiden sich kein bisschen von den deutschen Touristen späterer Jahre, die in Adiletten, weißen Socken und abgegriffenen Bermudashorts an der Hotelrezeption penetrant nach dem Geschäftsführer verlangen. Die Baader-Meinhof-Mädels bemäkeln das Essen aus der Konservendose, eine verlangt nach einem Coca-Cola-Automaten. Doch nach getaner Schießübung räkeln sie sich nackt auf dem Dach der Unterkunft. Das wiederum verwirrt die palästinensischen Jungs, die nebenan im Wüstenstaub den echten Kampf üben sollen. Abgesehen davon, dass die armen Buben noch nie eine nackte Frau gesehen haben, ist ein palästinensischer Truppenübungsplatz schließlich kein FKK-Gelände. Man sagt, die Tiefflüge der israelischen Kampfbomber in jenen Tagen über das Trainingsgelände dienten nicht der Abschreckung, sondern der Aufklärung, im wahrsten Sinn des Wortes.
Bald gibt es Ärger im Kommandostab. Als die Deutschen anfangen, sinnlos in der Gegend herumzuballern, wird ihnen die Munition gekürzt. Nur schauen, nicht schießen, heißt es. Jetzt sind sie ganz beleidigt. Andreas Baader verweigert beim Kampftraining sogar die Tarnuniform und robbt sich in seiner Satinhose über den steinigen Boden. Deutschlands gefährlichste Verbrecher sind ein unerträglicher Zickenhaufen. Aber letztendlich doch lernwillig. Schließlich soll der bewaffnete Kampf nach Deutschland getragen werden. Um ein Haar ohne Ulrike Meinhof. Beim ersten Üben mit der Handgranate zündet sie das Ding, aber schmeißt es nicht weit von sich, sondern fragt nach geraumer Weile: »Und jetzt?«
Andreas Baader und Gudrun Ensslin sind die Chefs der Gruppe. Baader ist erst 27 Jahre, cholerisch, gewalttätig und arrogant. Er hat Autos und Motorräder gestohlen und verschoben, sich auch mal falsche Wimpern angeklebt und geschminkt, um anderntags für eine Schwulenzeitschrift zu posieren. Rein politische Aktionen sind ihm eher fad. Während Gleichaltrige gegen den Schah, die Nazis, soziale Ungerechtigkeit und Atomwaffen demonstrieren, erfindet er im schrillen Sakko abstruse sexuelle Abenteuer, um seine Zuhörer zu schockieren.
Die Stimmung im Lager ist extrem angespannt. In Jordanien naht unweigerlich ein Krieg. Deshalb wird das Ausbildungslager straff militärisch geführt. Die palästinensischen Anführer haben Erfahrung aus vielen Gefechten, unter anderem aus dem Algerienkrieg, doch der deutsche Zivilist Andreas Baader möchte mit ihnen unbedingt gleichgestellt werden. Schließlich ist er ja auch ein Guerillaführer und Anführer einer Truppe! Das bringt das Fass zum Überlaufen. Die Palästinenser entwaffnen die Deutschen, stellen Wachen vor ihre Unterkunft und schmeißen sie bald darauf aus dem Lager.
Das empfinden die deutschen Terroristen als nicht sonderlich schlimm. Schließlich können jetzt alle schießen. Beim Knall einer echten Waffe zuckt niemand mehr zusammen. Auch mit Sprengstoff hat man hantiert, die wichtigsten Handgriffe sitzen. Darüber hinaus wurden taktisches Kampfverhalten und Geldbeschaffung geübt. Mitten in der Wüste wurde ihnen beigebracht, wie man eine Bank überfällt. Angekommen in der Realität, hat man dann wohl überrascht festgestellt, dass um deutsche Banken herum Großstädte gebaut sind und man sich nicht durch die Steinwüste zurückziehen kann. So bleiben bei den Aktionen der nächsten Jahre immer wieder zusammengeschossene Unschuldige zurück.
Im jordanischen Camp packt Andreas Baaders Terrorgruppe ihre Sachen. Es geht heim. Sie fliegen von Jordanien in die DDR. Die U-Bahn bringt sie wieder von Ost- nach Westberlin, pausenlos beobachtet von der Stasi, die bis zu den einzelnen Schießübungen der Deutschen im Palästinensercamp hin genau Buch geführt hat. Viele wussten, was kommt.
Es beginnen Deutschlands Terrorjahre.
Die nächste Generation der RAF erinnert sich wieder an die Ausbildung der Gründergeneration in Arabien. Wieder fliegt man in den Orient. Diesmal allerdings nicht nach Jordanien, dort gibt es keine palästinensischen Militärcamps mehr. Dafür kann man jetzt im Jemen gut schießen lernen. Der Jemen ist damals noch getrennt in Nord- und Südjemen, der Süden ist kommunistisch. Wer sich aus dem Gefängnis freipressen lassen will, gibt als Zielflughafen dessen Hauptstadt Aden an. Inzwischen sind die Terrorcamps international besetzt. Der deutsche Terrorist trifft lernwillige Kollegen aus Irland und Italien, Holländer und Basken sind da.
Die Lager scheinen sich auch nach der Wiedervereinigung von Nord- und Südjemen bewährt zu haben. Heute dienen die Camps als Rückzugspunkte von Al-Qaida. Schließlich braucht jede Terrorgeneration ihre Lager. Sprengstoff explodiert nicht von alleine, jemand muss es einem beibringen. Allerdings wird das Treiben nicht mehr von der Stasi beobachtet, sondern von amerikanischen Satelliten.