Susanne Osthoff

Wo: Irak

Wann: Winter 2005

Warum: Geisel

Wenn wir schnell mal Bargeld brauchen, gehen wir zum nächsten EC-Automaten und holen es uns. Dazu braucht man eine EC-Karte, eine PIN und einen Automaten, der ausnahmsweise nicht »Außer Betrieb« ist. Im Irak funktioniert die Geldbeschaffung auch ohne Geldautomat. Zu jeder passenden Gelegenheit kann man dort ein Auto anhalten, eine fremde Person aus dem gestoppten Wagen in den eigenen Kofferraum umladen und Lösegeld dafür verlangen. Wenn die gekaperte Person aus Europa ist, geht es dabei nicht um Kleinbeträge, sondern um Millionen. Das funktionierte im Irak meistens ganz gut.

Als die Münchner Archäologin Susanne Osthoff im November 2005 im Kofferraum eines irakischen Autos verschwand, war der Irak bereits zweieinhalb Jahre von amerikanischen Truppen besetzt. »Unsere Armeen kommen nicht in eure Städte und euer Land als Eroberer oder als Feind, sondern als Befreier. Einwohner Bagdads, vergesst nicht: Seit 26 Generationen leidet ihr unter fremden Tyrannen, die alles dafür taten, dass ein arabisches Haus gegen ein anderes stand, damit sie von eurer Uneinigkeit profitieren konnten. Diese Politik ist abscheulich für Großbritannien und seine Alliierten, denn es kann weder Frieden noch Wohlstand geben, wo Feindschaft oder eine schlechte Regierung herrscht.« Diese Worte stammen natürlich nicht von George Bush, sondern von dem britischen General Maude, der im Jahr 1917 Bagdad eroberte. Am 7. April 2003 kamen die nächsten Befreier nach Bagdad. Als erste amerikanische Truppeneinheit marschiert die 3. US-Infanteriedivision in die Stadt ein. Sie blickt auf eine lange Tradition im Wüstenkampf zurück, im Zweiten Weltkrieg kämpfte sie in Tunesien gegen Rommel.

Seit 2003 herrscht im Irak aber nicht Friede, Freude, Eierkuchen, sondern Angst vor dem nächsten Sprengstoffanschlag. Die Söhne des Diktators sind bereits tot, Saddam Hussein selbst wird im Januar 2004 aus einem Erdloch gezerrt und vor Gericht gestellt. Er ist unbewaffnet, Massenvernichtungswaffen hat er keine dabei.

Das Land von Euphrat und Tigris trudelt ins Chaos. Sunniten, Schiiten und Kurden mögen sich nicht. Die Saddam-Anhänger mögen alle nicht. Die Amerikaner mag sowieso keiner.

Seit Kriegsende kamen etwa 100 000 Iraker gewaltsam ums Leben, drei Millionen sind heimatlos und auf der Flucht. Es ist ein Elend, wohin man schaut.

Deshalb die Frage an Susanne Osthoff: Muss man dahin?

Die deutschen Medien stürzen sich hinterher auf Susanne Osthoff. Das hatte zwei Gründe: Endlich sind auch Deutsche in die langsam immer öder gewordenen Irak-Nachrichten verwickelt. Zweitens lieben wir Gruselgeschichten.

Doch Susanne Osthoff ist eine Spielverderberin.

Sie sitzt als Gast bei Kerner und Beckmann, die taz, der Stern und die FAZ rufen an, und alle wollen nur eines hören: »Der Schock ist zu groß. Ich gehe da nie wieder hin.«

Im Umgang mit Medien ist Susanne Osthoff nicht geübt. Sie ist von Beruf Archäologin, gräbt alte Dinge aus, sucht Geldgeber für die Ausgrabungen und versucht sich für die gebeutelten irakischen Kriegsüberlebenden einzusetzen. In einem gut ausgeleuchteten Fernsehstudio zu hocken, angestarrt von hunderttausenden unsichtbaren Fernsehzuschauern, die auf eine blutrünstige Schauergeschichte hoffen, das kann Susanne Osthoff nicht gut.

Susanne Osthoff sagt, natürlich gehe sie wieder zurück in den Irak. Aha! Wir haben es gleich gewusst, sie spinnt. Wahrscheinlich steckt sie mit den Entführern unter einer Decke. Dieses Gerücht macht sich dann auch in Windeseile breit. Man habe bei ihrer Freilassung Geld bei ihr gefunden, das aus dem Lösegeld stamme.

Nichts davon ist wahr. Aber das interessiert uns nicht.

Deutsche Geiseln haben sich so zu benehmen, wie wir das wollen. Doch Susanne Osthoffs Verhalten ist uns von vorneherein suspekt.

Sie reiste immer wieder in den Irak, als es schon sehr gefährlich war. Sie hat einen Araber geheiratet und von ihm ein Kind bekommen. Dann hat sie ihn wieder verlassen.

Alleinerziehende Mütter gibt es bei uns zuhauf, aber die sind anständig und waren wenigstens bloß mit dem Säufer aus der Nachbarschaft verheiratet, nicht mit einem Araber.

Susanne Osthoffs Lebensweg ist krumm. Sie träumte nie von Doppelhaushälften und dem Sohn, den sie jeden Samstag zum Fußballplatz fährt, sie wird auch nie Salzteigfiguren basteln und Salsakurse belegen. Sie ist leidenschaftlicher als andere.

Wir lernten uns an der Ludwig-Maximilians-Universität in München kennen. Jede freie Zeit zwischen den Semestern nutzte sie für eine Orientreise. Meistens zu einer Ausgrabung in den Irak. Dann Liebschaft, Ehe, Kind. Aus der Ausgrabungsstätte ist ihr Lebensmittelpunkt geworden.

Wir verloren uns aus den Augen, bis ich sie in der Tagesschau wiedersah. Auf dem Boden sitzend. Drei vermummte Entführer um sie herum. BILD titelt: »Deutsche Geisel: wird sie geköpft?«

Wir lieben Geiselgeschichten. Die Bankräuber Rösner und Degowski gaben der Presse schon Interviews, als die Polizei noch gar nicht vor Ort war. Leider starb im weiteren Verlauf eine Geisel, aber wir waren wenigstens live dabei. Oder Jolo: Die Urlauberfamilie Wallert wurde während der Geiselhaft interviewt. Deutsche Journalisten waren noch vor der internationalen Konkurrenz und den Unterhändlern im Lager der Entführer aufgetaucht. SAT.1 durfte die Wallerts dann exklusiv bis nach Hause begleiten. Toll! Es war übrigens Gaddafi, der dieses Geiseldrama beendete; da war er noch unser Freund.

Der Hochschullehrer Thomas Rothschild präsentiert in seinem Buch Investigative Kriminalität einen Vorschlag, was die Medien bei Entführungen noch besser machen könnten. Es geht um das Lösegeld, das die Angehörigen oft erst durch den Verkauf der Exklusivrechte der Story an einen Verlag oder einen Sender aufbringen können:

»Wäre es nicht einfacher, die Entführer ließen sich das Geld direkt von den Illustrierten auszahlen? […] Noch einfacher wäre es freilich, wenn man auf die Entführer verzichtete. Warum inszeniert die Illustrierte die Entführung nicht selbst? […] Und der Leser muß sich nicht mehr mit ein, zwei Entführungen pro Jahr begnügen.«

Und die hübsche Entführte müsste auch nicht mehr von Laien dargestellt werden, sondern von Maria Furtwängler.

Die Angst um Susanne Osthoff, von der es drei Tage kein Lebenszeichen gab, verwandelte sich blitzschnell in totale Ablehnung. Spätestens seit sie in einem Interview mit der Moderatorin Marietta Slomka verschleiert vor die Kamera trat. Dabei hatte sie nur schnell ihr Tuch übers Gesicht geworfen, weil sie ihr durch die Entführung ramponiertes Gesicht nicht der deutschen Öffentlichkeit präsentieren wollte.

In den Leserbriefen der folgenden Tage und Wochen wurde gefordert, man soll der Osthoff ihren deutschen Paß entziehen und sie solle gefälligst das Geld zurückzahlen, das wir für sie bezahlt hätten.

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt Jürgen Chrobog hält ihr »Vollkaskomentalität« vor, in diesen Ländern müsse man besser aufpassen und sich eben vorher überlegen, wohin man fahre. Zehn Tage nach der Freilassung Susanne Osthoffs wird Herr Chrobog selbst entführt. Seine drei Söhne sind auch dabei.

Der glückliche Ausgang einer Entführung ist ein Grund zu feiern. Angehörige, Krisenstab und BND lassen die Korken knallen. Die Entführer auch, sie haben das Geld. Und die Freigelassene muss vor laufenden Kameras den Familienangehörigen tränenreich in die Arme fallen.

Susanne Osthoff verdirbt uns die Party. Sie sagt, sie hat gerade nicht so ein tolles Verhältnis zu Mutter und Tochter.

Uns stockte der Atem!

Aber sie war eben in einem Kofferraum eingesperrt und wollte nur eines: überleben. Sie wurde misshandelt und hatte ständig Todesangst. Doch anstatt mit ihr behutsam umzugehen, hat sie gleich nach der Befreiung der BND verhört.

Irgendwie ist Susannes Verhältnis zu unserem Geheimdienst gestört. Als Studenten der arabischen Sprache war einer der uns angebotenen Ferienjobs der, für den BND zu arbeiten. Harmlose Dinge, Pressearbeit. Einer unserer Professoren steht noch heute auf der »payroll des Dienstes«.

Susanne Osthoff entschied sich aber für Archäologie und für humanitäre Dienste.

Sie lebt heute in Deutschland. Wenn es ihre Arbeit zulässt, fährt sie »runter«. Ab und zu sehen wir uns. Das Verhältnis zu ihrer Mutter ist gut. Susanne und ihre Tochter lieben und necken sich. Und wenn ihre Tochter mal sagt: »Meine Mutter ist total durchgeknallt«, meint sie es so wie alle Jugendlichen.

Den Pass würde sie ihr deswegen nicht entziehen.

Na ja, manchmal doch. Sie lachen.