43. Monster gegen Monster
Die Pans sprinteten aufs Geratewohl los und hielten panisch nach einem Gang Ausschau.
Am Ende der Höhle taten sich fünf Löcher auf.
»Welchen Weg nehmen wir?«, schrie Tobias mit vor Angst überschnappender Stimme.
»Den, in dem es am stärksten zieht!«, antwortete Ben und holte eine Packung Streichhölzer aus der Tasche.
Er zündete eins an und hielt es vor einen der Ausgänge. Die Flamme zitterte, ging aber nicht aus. Er wiederholte die Aktion vor den anderen Löchern, doch das Ergebnis war immer dasselbe.
»In dieser Höhle zieht es überall!«, jammerte Tobias.
Die Hunde versammelten sich vor einem Loch und knurrten.
»Die Schattenfresser kommen!«, warnte Chen.
»Dann müssen wir also hier lang!«, meinte Matt. »In der Nacht lauern sie alle an den Ausgängen. Die Schattenfresser, die hier auf uns zufliegen, kommen bestimmt von oben. Los, versteckt euch in dem Gang daneben, schnell!«
Kaum kauerten sie in dem dunklen Loch, rauschten gleich neben ihnen etwa fünfzehn Schattenfresser in die Höhle.
Tobias verbarg seinen Leuchtpilz mit den Händen und ließ nur einen schwachen Lichtschimmer durch, der kaum seine Füße erhellte.
Matt beugte sich zu Chen:
»Sie schwärmen aus!«, murmelte er. »Sobald uns ein Einziger bemerkt, werden alle anderen es wissen. Kannst du an die Decke klettern und den Ersten abschießen, der hier reinkommt?«
»Ich werd’s versuchen.«
»Du darfst ihn auf keinen Fall verfehlen! Er muss sterben, bevor er uns sieht, sonst sind wir verloren!«
Chen zog sich die Schuhe aus, legte die Hände auf den feuchten Felsen und kletterte hoch.
Die Schattenfresser flogen in alle Richtungen. Einer von ihnen näherte sich dem Tunnel, in dem die Pans sich versammelt hatten.
Kaum war er vor dem Loch angelangt, da sausten zwei Bolzen von der Decke herab und bohrten sich in seinen Schädel.
Die Kreatur plumpste mausetot zu Boden.
Matt richtete sich auf und lugte vorsichtig in die Höhle. Kein Laut. Die Schattenfresser sahen und dachten dasselbe, aber den Tod eines der Ihren schienen sie nicht unmittelbar zu spüren.
Matt bedeutete seinen Freunden, ihm zu folgen. Sie rannten in den Tunnel, aus dem die Schattenfresser soeben geflogen waren. Kaum hatten sie zweihundert Meter zurückgelegt, da ertönte hinter ihnen ein furchtbarer Schrei. Die Monster waren ihnen auf die Spur gekommen.
Matt zog sein Schwert und bat Tobias, seinen Pilz höher zu halten. So sah er den Schattenfresser, der mit gebleckten Zähnen aus einem Nebengang auf sie zuschoss, gerade noch rechtzeitig.
Matt empfing ihn mit einem gewaltigen Hieb und schlug ihm die Kiefer und einen Flügel ab. Der Schattenfresser schwankte und wich in die Dunkelheit zurück.
Dafür sprangen urplötzlich zwei weitere hervor. Der eine feuerte mit seinem dritten Auge auf der Stirn einen Blitz ab, doch Matt spaltete ihm den Schädel, bevor er den nächsten Blitz abgeben konnte. Der andere Schattenfresser versuchte, ihn in den Arm zu beißen, aber Tobias packte ihn brüllend am Kopf und knallte ihn gegen die Wand. Matt schlitzte dem Monster den Bauch auf, und schwarzes Blut quoll aus seinen Eingeweiden.
Matt schlug wie entfesselt zu. Sollten diese widerwärtigen Ungeheuer ruhig dafür büßen, dass Plusch sich geopfert hatte!
Sie wussten, dass sie auf dem richtigen Weg waren, denn der Gang stieg stetig an und wurde immer steiler. Drei weitere Schattenfresser scheiterten an Matts erbitterter Abwehr. Die Hunde, die am Ende der Kolonne liefen, schalteten vier Ungeheuer aus. Sie knurrten und bissen gnadenlos zu, als wollten auch sie sich für die arme Plusch rächen.
Je höher die Pans kamen, desto mehr Schattenfresser fielen über sie her. Zehn weitere starben. Die Jugendlichen waren am Ende ihrer Kräfte, ihre Beine brannten, und vor ihren Augen begann es zu flimmern.
Als Matt nicht mehr konnte, schoss Chen zwei ihrer Verfolger ab.
Und plötzlich tat sich die dunkelblaue Nacht vor ihnen auf. Die Sterne und der Wald, das Leben an der Oberfläche, eine Wirklichkeit, von der sich die Pans innerlich schon fast verabschiedet hatten. Sie warfen sich keuchend ins Gras.
Da sprangen etwa zwanzig Schattenfresser aus ihren Nischen und sausten auf sie zu.
Gus stupste Matt an und duckte sich, um ihn aufzufordern, sich auf seinen Rücken zu setzen.
Die Pans sprangen auf ihre Hunde und rasten so schnell den Hang hinab, dass die Schattenfresser die Jagd bald aufgaben und kehrtmachten, um sich nicht zu weit von ihrem Bau zu entfernen.
Als Matt das Gefühl hatte, dass die Gefahr gebannt war, zupfte er an Gus’ Hals, um ihn zum Anhalten zu bewegen.
In der Ferne stakten die Schattenfresser frustriert und verärgert den Hang hinauf. Die Mahlzeit war ihnen durch die Lappen gegangen. Da fiel Matt auf, dass sie eine eigenartige Formation gebildet hatten, eine Art Netz, das sich um das Loch schloss, aus dem die Pans soeben herausgekommen waren.
Sekunden später kam eine vierbeinige Gestalt zum Vorschein und stürzte geradewegs auf die Formation der Jäger zu.
Matts Herz machte einen Sprung.
Plusch! Das ist sie! Sie hat überlebt!
Aber seine Hündin war in einer gefährlichen Lage. Gut zwanzig Schattenfresser versperrten ihr den Weg, und mindestens genauso viele tauchten hinter ihr auf.
Diesmal würde Matt nicht tatenlos zusehen. Nicht noch einmal.
Er wollte Gus schon antreiben, um Plusch zu Hilfe zu eilen, da flogen mehrere Schattenfresser völlig zerfetzt in die Luft.
Die Horde war da.
Sechs Geisterwesen, die den Boden abschnüffelten und nach Spuren der Jugendlichen suchten, die sie jagten.
Die Schattenfresser bildeten sogleich einen Kreis, der sich langsam um die Horde und Plusch zusammenzog.
Da rannte die Hündin los und setzte zu einem unfassbaren Sprung an.
Ihr Körper streckte sich in der Luft und flog über die Köpfe der überraschten Kreaturen hinweg. Im nächsten Moment wetzte sie den Hang hinab und zog dabei eine Staubwolke hinter sich her.
Plusch hatte es geschafft.
Die Schattenfresser sammelten sich um die Horde. Mehrere helle Blitze zuckten durch die Nacht, während die Seelenlosen sich drohend aufrichteten.
Zwei Schattenfresser stürzten sich auf den Schatten eines Seelenlosen, der einen grauenhaften Klageschrei ausstieß.
Die übrigen Seelenlosen, die nicht begriffen, mit welchen Gegnern sie es hier zu tun hatten, drehten sich hin und her und schlugen mit ihren stahlbewehrten Krallen um sich. Auf einmal wurde ein zweiter Seelenloser von den Schattenfressern angeleuchtet, und als sich sein Schatten auf dem Boden abzeichnete, fielen die Fledermausgestalten darüber her, um ihn zu trinken.
Innerhalb weniger Sekunden warfen sich etwa vierzig Schattenfresser auf die Horde, und der Himmel wurde von ihren schrecklichen Blitzen erhellt, während die Klagen der Seelenlosen von den schroffen Bergwänden widerhallten.
Nach nur fünf Minuten kehrte wieder Stille ein, und die Schattenfresser zogen sich satt und zufrieden in ihre unterirdischen Gänge zurück.
Die Rüstungen der Horde lagen im Gras.
Reglos.
Denn diesmal konnte keine elektrische Kraft diese gefallenen Krieger wiederauferstehen lassen. Sie hatten keinen Schatten mehr.
Und jedes Lebewesen ist zur Hälfte Licht, zur Hälfte Schatten.
Anders ist es von der Natur nicht vorgesehen.