12 - »Home, Sweet Home«

Wir hatten die Gravitationskräfte des Wurmlochs mit Mühe zurückgelassen, als die ersten Warnmeldungen eintrafen.

Truktock brüllte Befehle.

Maya brüllte Befehle.

Ich brüllte Flüche.

In dem ganzen Geschrei und dem Geheul der Alarmsirenen trafen die ersten Geschosse ein und erschütterten die Schilde der Koron Ji.

Ich warf einen Blick auf den Taktikschirm und befürchtete den Verlust meines Blaseninhalts.

»Das muss die ganze verdammte Claifex-Flotte sein«, murmelte ich und starrte entsetzt auf die Myriaden von Punkten, die sich auf dem Schirm rund um das Zeichen, welches die Koron Ji symbolisierte, ausbreiteten.

Die Fernsichtanlage warf ein Mosaik von Ansichten auf den Hauptschirm, das ein Bild von jedem Typ Schiff der Angreifer zeigte. Es schien, dass alles vom kleinen Jäger, über Korvetten bis hin zu einigen gewaltigen Schlachtschiffen vorhanden war.

Die geballte Wut der Großen Drei.

»Vielleicht rechnen sie auch mit mehr Schiffen! Was, wenn sie denken, dass wir einen Angriff der terranischen Flotte vorbereiten?«, fragte ich niemand im Speziellen.

Musashi meldete sich über Funk.

»Unsere Aktivitäten sind offenbar nicht unbemerkt geblieben. Ich schlage vor, dass wir sofort das Wurmloch zerstören, bevor ... einen Augenblick!«

»Was geht da vor?«, rief Truktock zu einem der Offiziere an der Sensorstation.

Er antwortete verwirrt. »Das Wurmloch wurde soeben geschlossen. Wir orten eine enorme Masse.«

»Sie haben es dichtgemacht, der Planet ist wieder da!«, rief ich.

»Viel zu klein! Das ist kein Planet, es ist ein Torus!«, rief der Offizier.

»Schild achtern partiell aufgelöst«, rief jemand anderes.

Erschütterungen durchliefen den Boden und zahlreiche Meldungen von allen getroffenen Decks am Heck der Koron Ji trafen auf der Brücke ein. Truktock ließ das Feuer einstellen und gab Befehle aus, die Mannschaft von den beschädigten Bereichen und äußeren Teilen der Koron Ji abzuziehen, um die Verluste möglichst gering zu halten.

Er fluchte und ließ sich die taktischen Berechnungen anzeigen, dann schüttelte er den Kopf. »Wir können diesem Beschuss nicht lange standhalten, geschweige denn, uns überhaupt wirkungsvoll zur Wehr setzen. Solch einer Übermacht ist die Koron Ji schlichtweg nicht gewachsen. Ich werde unsere Kapitulation verkünden müssen oder sie vernichten uns.«

»Ich stimme der Einschätzung zu«, teilte Musashi per Funk mit.

»Warte!«, rief Aristea. »Lass die Mannschaft auf dem Flugdeck zusammenfinden. Ich kann uns von hier fortbringen!«

»Das dauert doch viel zu lange«, sagte ich und ergriff ihren Arm. »Selbst wenn du sie in großen Gruppen wegbringst, ist der Zeitaufwand zu hoch.«

»Wer sagt, dass ich es so machen will?«

»Du willst alle auf einmal fortschaffen? Bist du sicher, dass du das schaffst?«

Sie nickte. »Ich muss es versuchen.«

Ich sah Truktock an. »Besser, als in Gefangenschaft zu geraten ... wenn sie überhaupt vorhaben, Gefangene zu machen. Aber wohin?«

»Zur Erde. Von dort können wir immer noch ein neues Ziel suchen«, sagte Aristea.

»Ich stimme zu«, meldete Musashi. »Wir können hier nicht gewinnen. Jedoch bietet sich eine einmalige Gelegenheit, das Torusobjekt, das offenbar für das Wurmloch verantwortlich ist, zu zerstören. Wir müssen jedoch sofort handeln, bevor wir der eintreffenden Streitmacht unterliegen.«

Truktock schüttelte den Kopf. »Mit den Waffen der Koron Ji können wir gegen ein Objekt dieser Größe nichts ausrichten.«

Musashi meldete sich erneut. »Ich werde die Temborg und meinen GME benutzen. Gebt mir Deckung und lasst Aristea die Evakuierung an diese Koordinaten durchführen! Wir müssen uns beeilen!«, sagte er und übermittelte die Daten.

Sie verwiesen auf einen bestimmten Ort auf der Erde und Aristea nickte, als ihr die Position auf einer globalen Karte gezeigt wurde.

Truktock gab Befehle und der Hauptschirm zoomte auf die Temborg ein, die jetzt von Musashi auf den kolossalen Ring gelenkt wurde. Der Torus schälte sich scheinbar aus diffusen Wolken irgendeiner Substanz, die aussah wie eine Mischung aus Plasma und einem bösen Gewitter.

Mit einem Mal beschleunigte die Temborg enorm und Musashis Gestalt fing an zu glühen. Was auch immer er tat, er setzte offenbar seinen GME ein, um die Wirkung des Angriffs zu verstärken.

Das Feuer der Claifex-Flotte konzentrierte sich jetzt auf die Temborg und nicht alles davon konnte von den Verteidigungsmaßnahmen der Koron Ji abgelenkt werden. Teile der Schiffshülle des alten Frachters brachen ab und mehrere Explosionen erschienen auf der Oberfläche des unbemannten Schiffs. Doch das solide Frachtschiff, das von den Piraten mit einer dicken Schicht Panzerung ausgestattet worden war, hielt noch immer irgendwie zusammen. Dann fing es an zu glühen, was nur auf Musashis Wirken zurückzuführen war.

Je dichter die Temborg an den Torus herankam, je riesenhafter wurde seine Form. Ich zweifelte daran, dass die Temborg ernsthafte Beschädigungen an dem Koloss hervorrufen konnte, doch dann nahm das Glühen zu, verschluckte die Form des Schiffes vollständig und ein neues Alarmsignal ertönte. Eine Frau rief mit heller Stimme eine Meldung.

»Neue Gravitationsquelle entdeckt. Wir müssen kompensieren!«

»Was geschieht da?«, fragte ich ratlos, was die Ereignisse zu bedeuten hatten.

Truktock schnippte mit den Fingern. »Musashi beeinflusst durch seinen GME und die Masse der Temborg irgendwie das Gravitationszentrum des Torus.« Er rief eine analytische Ansicht von der Sensorstation ab und deutete darauf. »Diese gigantische Konstruktion ist sicherlich davon abhängig, ein ausgewogenes Verhältnis der eigenen Schwerkraft einzuhalten. Wenn es gestört wird ...«, mutmaßte er geradezu begeistert. »Genial! Das ganze Teil wird einfach auseinanderreißen.«

Ich räusperte mich. »Sollten wir dann nicht zusehen, dass wir von hier verschwinden?«

»Der Feind hat das Feuer eingestellt!«, rief jemand hinter meinem Rücken und der Taktikschirm zeigte, dass die Claifex-Flotte den Rückzug antrat.

Schnell.

»Könnte vorteilhaft sein«, meinte Truktock, plötzlich etwas blasser. »Bringt uns weg von hier!«, schrie er.

Auf dem Hauptschirm wurde offenbar, was Musashi angerichtet hatte. Der Torus begann, an mehreren Stellen aufzubrechen, wodurch seine Innereien zum Vorschein kamen - ein Haufen Rohre, so weit ich es erkennen konnte. Aber jedes davon musste mehrere Kilometer im Durchmesser betragen. Jetzt schien das gigantische Konstrukt sich zu verwerfen! Die gesamte Form näherte sich einer Ellipse an, dann gab es eine unschöne Explosion.

»Scheiße«, sagten Truktock und ich unisono.

Dann fasste er sich. »Projektion!«

»Zwölf Minuten bis uns die Schockwelle erreicht, 23 Minuten bis zum Eintreffen der ersten Trümmerstücke«, antwortete jemand mit vor Nervosität schriller Stimme.«

»Wie weit ist die Evakuierung aufs Flugdeck fortgeschritten?«

»Etwa siebzig Prozent«

»Ich werde alle, die bereits auf dem Flugdeck sind, zur Erde versetzen«, sagte Aristea.

Ich schluckte. »Bist du sicher, dass du den Trick dann noch mal wiederholen kannst?«

Sie nickte. »Irgendwie weiß ich es. Vertrau mir! Ich hole euch ab, bevor es zu spät ist.«

Dann war sie weg.

»Bevor es zu spät ist? Hervorragend«, murmelte ich.

Truktock gab in aller Ruhe Befehle an das Brückenpersonal und versuchte, dafür zu sorgen, dass niemand zurückblieb. Er ließ Scans durchlaufen und stellte fest, dass eine Gruppe von Leuten am Achterdeck durch verschiedene Druckverluste eingesperrt war.

Er fluchte. »Die sitzen fest. Kann Aristea sie da raus holen?«

Ich eilte zum Interkom und bellte eine Durchsage zum Flugdeck. Als niemand antwortete, wiederholte ich meine Frage, doch nichts tat sich und ich eilte zu einer Überwachungsstation. Die Kamerabilder zeigten mir, dass Aristea erfolgreich gewesen war, aber jetzt hetzten erneut Leute auf das Flugdeck. Ich wartete, da sie bald wieder zurückkehren musste.

Minuten vergingen, während immer mehr Leute in die Halle strömten und mir brach der Schweiß aus, als jemand sagte, dass die Schockwelle in zwei Minuten eintreffen würde.

Ich fluchte. »Verdammt Ari! Jetzt mach schon! Warum muss immer alles plötzlich den Bach runtergehen? So eine- Aristea?«

Sie erschien inmitten der Versammlung auf dem Flugdeck und hörte meinen Ruf über die Lautsprecher. Einen Lidschlag später stand sie auf der Brücke, sich eine Hand vor das blasse Gesicht haltend. Ich eilte zu ihr hin.

»Du siehst nicht gut aus.«

Sie hustete. »Könnte schlimmer sein.«

»Da sind Leute eingesperrt.«

»Wo?«

Ich zeigte ihr die Position, doch sie schien einen Moment abwesend, als ob sie auf etwas horchte, das nur sie hören konnte.

»Hab sie!«

Dann war sie wieder weg.

»Achtung Schockwelle!«, rief jemand.

Die Faust eines wütenden Riesen schlug mit Macht auf die Koron Ji. Die Notfallauslösung nagelte uns über die Schwerefelder auf den Boden, während um uns herum alles durcheinanderging. Das Licht fiel aus, elektrische Entladungen waren hörbar und alles stank kurz darauf nach Rauch und Feuer.

Die Notfallautomatik konnte das Schleudern des Schiffes nicht vollständig kompensieren und mir wurde wegen der auftretenden Kräfte kurzzeitig schwarz vor Augen. Mein Gleichgewichtssinn spielte verrückt und Übelkeit drohte, mich zu übermannen.

Plötzlich war es wieder vorbei.

Notbeleuchtung ging an, Leute stöhnten.

Überall beißender Rauch und das Knistern elektrischer Entladungen.

»Ari!«, rief ich aus und stolperte mit Sternen von den Augen zum Interkom.

Ich hieb auf den Schalter, aber die Anlage meldete einen Systemfehler. Ich versuchte es noch ein paar Mal, doch irgendetwas war defekt.

Angst um Aristea rief ein hohles Gefühl in meinen Bauch, dann piepste die Interkomanlage und ich drückte den Schalter erneut.

»Ari?«

»Ich war nicht schnell genug. Es tut mir leid. Ich konnte sie nicht retten.«

Ich atmete erleichtert aus, dann wurde mir bewusst, dass wir soeben etliche Leute verloren hatten. »Bring die anderen raus, in den nächsten Minuten fliegen uns die Reste von dem verdammten Ring um die Ohren!«

»Ich komme zur Brücke, wenn ich fertig bin.«

»Verstanden.«

Truktock kam mit Mühe wieder auf die Beine und rief Befehle. Ich stolperte zu Maya und Zek, die sich gegenseitig aufhalfen.

»Wir müssen sichergehen, dass alle verbliebenen Mannschaftsmitglieder auf das Flugdeck eilen«, sagte ich mit Nachdruck.

In den folgenden Minuten versuchten wir, alle Decks mit Durchsagen aus der Interkomanlage zu erreichen, aber es gab überall Verbindungsprobleme.

Schließlich meldete jemand von der Sensorstation, dass wir noch drei Minuten hatten, bis das erste große Trümmerstück in unsere Richtung flog. Es war ungefähr dreimal so groß wie die Koron Ji und würde uns zerschmettern, wenn es uns auch nur streifen würde. Kleinere Bruchstücke schlugen nun überall in die Hülle und die Erschütterungen fuhren durch den Rumpf.

»Wir haben überall Druckverluste. Wie sieht es auf dem Flugdeck aus?«, fragte Truktock.

»Aristea hat die letzte Gruppe weggebracht. Wenn niemand mehr nachkommt.«

»Werden wir noch abgeholt?«, fragte einer der Offiziere nervös.

Keiner sagte etwas.

»Was ist eigentlich mit Musashi?«, fragte Truktock.

»Wahrscheinlich surft er auf einem Trümmerstück durchs All und pfeift ein Liedchen«, witzelte ich, doch meine Stimme verriet meine Nervosität, als ich ihn über Funk rief.

»Das ist zwecklos«, sagte eine Offizierin. »Zu viele Interferenzen.«

Tatsächlich war kein Funkempfang möglich.

Mit einem Mal tauchte Aristea auf.

»Ihr seid die Letzten«, sagte sie und schwankte. Blut tropfte aus ihrer Nase und sie wischte es mit einem wenig überraschten Ausdruck fort. »Jetzt kenne ich meine Grenzen. Verabschiedet euch von dem Schiff!«

»Sind alle von Bord?«, fragte Truktock.

Aristea schloss die Augen. »Ich hoffe es. Ich habe noch einige isolierte Personen und kleinere Gruppen fortgeschafft.«

»Können wir bitte sofort weg?«, rief Zek nervös und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Hauptschirm.

»Haltet euch alle fest, dann fällt es mir leichter!«, rief Aristea.

Dann schlug das Trümmerstück auf den Rumpf ...