9 - Pakt mit dem Teufel

Und sie tat, was sie sagte.

In kaum wahrnehmbarer Zeit versetzte sie uns vom Opial auf den Mars. Was ihr zuvor nicht möglich gewesen war, gelang ihr nun ohne Schwierigkeiten. Scheinbar hatte Möbius sein Wort gehalten und ihre Fähigkeiten erweitert.

Der Übergang von der Schwerelosigkeit an Bord der Dilisa zur Anziehungskraft des blutroten Planeten, so gering sie auch war, riss uns unbarmherzig zu Boden. Der Rest der Gruppe fiel entweder auf den Hintern oder auf die Nase. Als sie sich wieder gesammelt hatten, schnatterten sie aufgeregt durcheinander.

Zek kam zu uns.

»Ihr seid plötzlich verschwunden gewesen. Ari? Du siehst anders aus.«

»Es geht mir besser. Viel besser.«

Zek öffnete den Mund und sagte nichts, während die anderen abrupt schwiegen und Aristea anstarrten.

»Was ist denn überhaupt geschehen?«, fragte Zek.

Ich schüttelte den Kopf. »Das spielt jetzt keine Rolle. Hast du die Teile, die ihr demontiert habt?«

Sie nahm ihren Rucksack ab und hielt einen Zweiten in der Hand. »Alles dabei.«

»Sind wir wieder auf dem Mars?«, fragte Darius, blass aufgrund seiner Schulterwunde.

»Ja. Wir werden Tomasi geben, was er will und dann kehren wir zurück«, sagte ich und hob Sieraas toten Körper auf.

»Ich habe uns zunächst auf die Oberfläche versetzt, weil ich sichergehen wollte, dass wir bereit sind, mit Tomasi zu sprechen«, sagte Ari, allmählich die volle Kontrolle über ihr Sprechorgan zurückerlangend.

Ich nickte. »Wenn er uns nicht gibt, was wir haben wollen, reiße ich ihm höchstpersönlich den Arsch auf.«

»Sollten wir nicht lieber zunächst auf die Temborg zurück?«, fragte Zek und blickte auf den verhüllten Körper in meinen Armen. »Dann können wir in Ruhe planen, wie wir den Handel mit Tomasi abschließen. Ich habe Angst, dass wir einen Fehler machen, wenn wir jetzt übereilt handeln.«

Ich sah Aristea an. »Kannst du uns denn direkt zur Temborg bringen?«

Sie sah einen Moment in unbestimmte Ferne. »Ja. Ich kann es tatsächlich. Alles ist so leicht ...«, sagte sie und blickte verwirrt in ihre Hände, als ob sie etwas vollkommen Neues darin entdeckte.

»Händchenhalten ist nicht mehr?«, fragte Paul.

»Nein«, sagte Aristea und einen Lidschlag später standen wir auf dem Flugdeck der Temborg, deren Schwerkraft höher eingestellt war und unsere Sohlen unbarmherzig auf die Bodenplatte presste.

Unser unvermitteltes Auftreten sorgte in kurzer Zeit dafür, dass sich eine große Anzahl Leute einfanden und uns mit Fragen bestürmten. Als sie das Bündel in meinen Armen und meinen Gesichtsausdruck sahen, schwiegen sie jedoch und bald kamen Sanitäter mit einer Bahre. Man nahm mir Sieraas Körper ab und ich machte ihnen klar, dass ich eine Bestattung zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen gedachte.

Man verstand mich.

Plötzlich mit leeren Armen dastehend, fühlte ich mich hohl und einsam zwischen zu vielen Leuten, die zu viel sprachen.

Minuten später tauchte Maya atemlos auf und Zek fiel ihr in die Arme. Maya hörte von Sieraas Schicksal und sah mich an, Verständnis und Mitgefühl in den Augen. Sie sagte jedoch kein Wort, wofür ich ihr sehr dankbar war.

»Wir haben das verdammte WBE-Zeugs. Gib uns ein paar Stunden, dann besprechen wir unser weiteres Vorgehen«, sagte ich, ohne Rücksicht auf irgendwelche Befehlsketten zu nehmen.

Maya nickte und erteilte Befehle, uns das Gepäck abzunehmen und Darius auf die Krankenstation zu bringen. Naomi und Paul wurden ebenfalls dahin gebracht, aber ich winkte ab.

»Kannst du uns Kabinen geben?«, fragte ich Maya.

»Sicher. Ich lasse euch hinbegleiten.«

So geschah es.

Ari und ich bezogen getrennte Kabinen und Maya ließ uns mehr als ein paar Stunden in Ruhe.

Stunden voller Zweifel, Schmerz und quälender Fragen.

Am nächsten Tag kam Truktock an Bord und wir besprachen knapp und sachlich unser weiteres Vorgehen und die Übergabe der WBE-Komponenten und Daten an Tomasi. Wir sandten eine entsprechende Nachricht an ihn, über die Kanäle, die wir vereinbart hatten. Ein Termin zur Übergabe in einigen Tagen wurde abgesprochen und Tomasi zeigte sich quengelig, weil wir ihm nicht sagen wollten, wie wir anzureisen gedachten.

Da wir beschlossen hatten, mit den Schiffen erst dann in das Sol-System zurückzukehren, wenn Tomasi alles vorbereitet hatte, um uns zurückzubringen, würden Aristea und ich zum Mars teleportieren.

Ein Offizier schlug vor, Tomasi zu entführen und ihn zu zwingen. Truktock setzte seine Autorität ein und umging damit die Erklärung hinsichtlich der Bedeutung unserer Handlungen und auch, was Tomasis Arbeit an den Nefilim für die Zukunft betraf, in die wir zurückzukehren vorhatten. Nicht jeder musste alles wissen, schon gar nicht, was die Entstehung der Nefilim anbelangte.

Um diesen Punkt kreisten meine Gedanken immer häufiger, wohl auch, weil ich mich nicht mit meiner Trauer und meiner Wut auseinandersetzen wollte, die mich abwechselnd in übermannten.

Die Überlegung, Sieraa aus der Reinkarnationskammer zu holen, beschäftigte mich mehrmals, so irrational es auch war. Verblendet von meinen Gefühlen, platzte ich mitten in der Nachtphase einfach in Aristeas Kabine hinein. Sie saß im Halbdunkel auf einem Sessel und starrte aus dem Kabinenfenster in den kalten, endlosen Weltraum.

»Du kommst, um mich darum zu bitten, sie zurückzuholen, nicht wahr?«

»Warum nicht?«

Sie blickte mich an, Sternenlicht tauchte eine Hälfte ihres Gesichts in graues Zwielicht. Feuchtigkeit glitzerte unter dem Auge, das ich erkennen konnte.

»Glaubst du nicht, ich würde das am liebsten tun? Aber was dann? Willst du nicht verstehen, was das bedeutet? Sie würde jetzt wiedererweckt werden, nicht in der Zukunft. Sie könnte dich also nicht aus Aureols Gefangenschaft befreien. Ihr wäret beide nicht hier! Und denke einen Schritt weiter: Wie entstehen die Nefilim ohne die WBE-Technologie? Wir bleiben in diesem Kausalitätsgefängnis oder wir zerstören beim Ausbruch daraus alles, was unser Leben bis zu diesem Punkt bewegt hat.«

»Warum kann ich weiterleben und sie nicht?«, flüsterte ich.

Ari stand auf und legte unsicher eine Hand an mein Gesicht, zog sie wieder zurück. »Ich weiß es nicht, aber ich bin froh, dass ich dich nicht auch noch verlieren musste.«

Ich legte die Arme um sie und ließ den angestauten Gefühlen freien Lauf. Worte fand ich keine und sie hielt mich fest, gab mir Halt.

Später saßen wir zusammen und stellten Verknüpfungen her, redeten über die Zusammenhänge, als ob das Sieraas Tod erträglicher machen könnte und ihm einen Sinn gäbe.

Dann, als die Schiffszeit sich dem Morgen näherte, sprachen wir über die Zukunft.

»Sobald uns Tomasi zurückgebracht hat, müssen wir die Nefilim aus Gerans Kontrolle befreien. Mit deinen Fähigkeiten sollte uns das auch gelingen«, sagte ich.

»Und dann?«

»Werden wir das Kontrollgerät vernichten. Wir werden Odin aufsuchen und uns mit ihm absprechen.«

»Wenn es uns gelingt, in die Zeit zurückzukehren, aus der wir gekommen sind.«

»Zweifelst du daran?«

»Unabhängig vom Paradoxon deiner Existenz, können wir durch unbedachtes Handeln den Weg in eine Parallelzeit nehmen, die nicht dem entspricht, was wir glauben, vorzufinden.«

»Werden wir es merken?«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wenn die Abweichungen gering sind, spielt es keine Rolle, oder?«

»Du magst damit recht haben, aber der Gedanke ist ungemütlich. Als ob man ...«

»... keinen Platz mehr hat, an den man gehört?«

»So komme ich mir im Moment vor.«

»Das verstehe ich«, sagte Ari und ich wusste mit einem Mal, wie sie sich ihr ganzes Leben lang gefühlt hatte.

Nachdem wir geduscht und frische Kleidung organisiert hatten, fanden wir uns im Besprechungsraum mit Maya, Zek und Truktock ein. In einer Stunde würde die Übergabe der WBE-Technologie auf dem Mars stattfinden und wir mussten uns noch einmal absprechen.

Sieraas Abwesenheit fühlte sich seltsam an.

Truktock fragte nach unseren Wünschen hinsichtlich der Bestattung. Man hatte uns die Wahl überlassen, in welcher Form wir Sieraa zur letzten Ruhe betten wollten, und wann das sein sollte. Ari und ich waren uns einig, dass sie nicht in dieser Zeit bestattet werden sollte, und baten darum, sie in der Kryostasis zu belassen, bis wir zurückgekehrt waren.

Danach besprachen wir die Übergabe der WBE-Technologie an Tomasi, was aufgrund seines zweifelhaften Charakters zu einer kritischen Operation werden konnte. Ich vertraute jedoch auf Aristeas Fähigkeiten.

»Warum nur ihr beiden? Sollten nicht wenigstens ein paar unserer Leute dabei sein?«, fragte Truktock zweifelnd, als wir noch einmal die Details durchgingen.

Aristea beugte sich vor. »Wozu?«

»Sie hat recht. Wir werden Tomasi klarmachen, was mit ihm passiert, wenn er sich nicht an die Abmachung hält«, sagte ich.

»Ist das weise?«, fragte Maya.

»Es ist mir scheißegal, was es ist. Es wird einfach geschehen.«

Niemand sagte etwas, bis Truktock sich räusperte.

»Iason, du bist nicht du selbst. Vielleicht sollte jemand anderes ...«

Ich unterbrach ihn barsch. »Falsch. Dies ist, was ich bin. Dies ist der Iason, dem es reicht, der Spielball fremder Mächte zu sein. Aristea und ich werden Ordnung in einige Dinge bringen. Nach unserer Rückkehr werden wir die Nefilim und die Terraner unter Geran befreien. Ich will einen Platz, an den ich gehöre. Einen Ort, an den jeder kommen kann, der so verloren ist, wie wir.«

»Du meinst die Erde?«, fragte Maya überrascht.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Diese endlose Flucht muss bloß endlich aufhören.«

Truktock rieb sich das Kinn. »Mit dieser Idee stehst du nicht allein. Es scheint, ich sollte dich mit jemandem bekannt machen, der seit langer Zeit darauf wartet, dich kennenzulernen.«

Er konnte nur Erebos meinen, doch ich wollte im Moment nicht weiter darauf eingehen. Wenn die Zeit gekommen war, musste ich mich damit beschäftigen. Jetzt galt es, die akuten Probleme zu meistern.

Zek blickte auf ihr Datenarmband. »Der vereinbarte Zeitpunkt des Treffens rückt näher. Ich habe die Geräte und alle Daten in diese Kiste verpackt«, sagte sie und stellte eine stabile Transportbox auf den Tisch. Wir standen auf und ich ergriff die Kiste.

»Dann viel Glück!«, sagte Zek.

»Wir brauchen kein Glück. Wir werden dafür sorgen, dass die Dinge sich so ergeben, wie wir es wollen.«

»Ein bisschen Glück hat noch nie jemandem geschadet«, sagte Maya lächelnd.

Truktock nickte uns zu. »Passt auf euch auf!«

Aristea versetzte uns in Tomasis Büro.

Einfach so.

Er erschrak heftig und eine zweite anwesende Person tat es ihm gleich.

Ich stellte die Kiste mit einem Knall auf seinen Schreibtisch, einigen dekorativen Plunder wegschiebend, doch Tomasi hatte nur Augen für die Transportbox und kümmerte sich nicht darum.

Er räusperte sich und stellte uns seinen Begleiter vor, einen kleinen Mann mit schwarzen Haaren. »Dies ist Dr. Musashi Otsuka. Er ist Spezialist für Whole-Brain-Emulation und leitet unter meiner Aufsicht die Entwicklung der Nefilim KI.«

Ich nickte und ergriff die Hand des nervösen Mannes, der uns zaghaft anlächelte.

Aristea verneigte sich und sprach in einer Sprache, die ich nicht verstand. Dr. Otsuka war überrascht und erfreut und verneigte sich seinerseits.

Tomasi warf die Stirn in Falten und musterte Aristea mit neuem Interesse. Ich konnte förmlich hören, wie die Zahnrädchen hinter seiner Stirn heiß liefen. Ich wunderte mich ebenfalls eine Sekunde lang, woher Aristea diese eigenartige terranische Sprache kannte, doch sie hatte einige Jahre unter Terranern verbracht, die bei den Floit in einer Gemeinschaft gelebt hatten, wie ich sie nie kennengelernt hatte. Wahrscheinlich hatte sie eine entsprechende Gelegenheit wahrgenommen und eine der alten terranischen Sprachen von einem Muttersprachler gelernt.

»Zum Geschäftlichen«, brummte Tomasi und gestikulierte Otsuka.

Gemeinsam öffneten sie die Kiste und holten die darin befindlichen Teile hervor.

»Vorsicht, es könnte Blut daran kleben«, sagte ich.

Tomasi lachte. »Haben Sie den Kalimbari etwas eingeheizt?«

Ich hatte Schwierigkeiten, meine Miene - und meine Fäuste - unter Kontrolle zu halten und ich nehme an, die Temperatur im Raum sank schlagartig, als meine Körpersprache meine Gefühle verdeutlichte.

Dr. Otsuka sah Ari und mich an und verneigte sich eilig.

»Verzeihen Sie bitte meinem Kollegen ...«

»Vorgesetzten«, warf Tomasi ein, der nicht das geringste Interesse daran zu haben schien, sich beliebt zu machen.

»Meinem Vorgesetzten. Haben Sie große Schwierigkeiten gehabt?«

»Wir haben jemanden verloren, der uns sehr viel bedeutet hat«, sagte Aristea zu ihm und Dr. Otsuka verneigte sich tief und lang.

»Wer Rührei macht, muss ein paar Eier zerschlagen. Das ist Ihr Problem, nicht unseres.« Otsuka warf Tomasi einen wütenden Blick zu, der jedoch an einem Ego abprallte, das größer war, als die Porträts, welche die Qunoi in die Berge ihrer Heimat gemeißelt hatten.

In diesem Augenblick verpuffte meine Wut. Tomasi war ein bemitleidenswertes Geschöpf. Nicht mehr. Er war nicht schuld an dem, was passiert war, er war auch nicht verantwortlich für Sieraas Tod. Dass er nicht zu würdigen wusste, welche Opfer wir erbracht hatten, war die Folge seines defekten Charakters und darüber konnte ich mich nun nicht mehr aufregen. Meine Gefühle beruhigten sich, sobald mich diese Erkenntnis ereilt hatte und ich war eine Sekunde lang überrascht, wie einfach sie gekommen war.

Dr. Otsuka untersuchte die Teile und fragte uns nach Anleitungen und Daten. Ich überreichte ihm eine Speicherkarte, die wir so gefertigt hatten, dass sie mit terranischen Systemen kompatibel war.

»Das ist alles, was sie von uns bekommen. Jetzt sind sie dran. Ich rate Ihnen dazu, uns nicht zu lange warten zu lassen, Tomasi.«

»Sie haben doch ein paar Jahrhunderte Zeit, oder etwa nicht?«, sagte er und lachte keckernd, sich wohl witzig findend.

»Wenn Sie nicht wollen, dass ich mich in diesen Jahrhunderten mit Ihrer Anatomie auseinandersetze, sorgen Sie ganz schnell dafür, dass Sie uns den Rückweg ermöglichen«, erwiderte ich lächelnd.

»Rückweg?«, fragte Dr. Otsuka.

Tomasi hatte ihn offenbar nicht eingeweiht und setzte eine ausdruckslose Miene auf, als ich ihn ansah.

Interessant.

»Beeilen Sie sich! Wir werden Sie täglich hier aufsuchen und Ihre Fortschritte beobachten. Wir werden uns nicht immer zu erkennen geben, aber machen Sie nicht den Fehler, uns für desinteressiert zu halten, haben Sie mich verstanden?«

Tomasi beäugte mich und lächelte ohne Freude. »Sie setzen mich zu früh zu sehr unter Druck. Seien Sie vorsichtig, sonst gehen Ihnen die Mittel aus.«

»Sie machen sich gar keinen Begriff davon, welche Mittel mir zur Verfügung stehen«, flüsterte ich und eine Sekunde lang sah ich ein Glitzern in Tomasis Augen, das mich davon überzeugte, dass meine Botschaft angekommen war.

Dennoch mussten wir vorsichtig sein und ich beabsichtigte tatsächlich, unangekündigt täglich Besuche auf dem Mars zu machen. Aristeas Fähigkeiten machten das möglich - also warum nicht tun, was man konnte, um dem Fortschritt Beine zu machen?

Ich sah Aristea an und unseren nächsten Atemzug taten wir wieder an Bord der Temborg.

»Und?«, bellte Truktock, der mit den Fingern nervös auf der Tischplatte getrommelt hatte.

»Iason hat Eindruck gemacht«, sagte Ari.

»Ich hoffe. Wenn nicht, machen wir Ihnen Feuer unter dem Hintern. Ich habe angekündigt, dass wir täglich Ihre Fortschritte beobachten.«

»Hast du es auch vor?«, fragte Maya.

»Allerdings. Ich traue Tomasi nicht.«

Truktock beugte sich vor. »Wir haben die Temborg wieder angedockt und in den Tarnschild integriert. Wir können in diesem System in der Nähe der Heliopause verbleiben, bis wir ins Sol-System zurückkehren müssen.«

»Die Tarnvorrichtung hat uns sogar im Motaxun-System geschützt. Sollten wir nicht einfach ein Versteck im Sol-System suchen und dort bleiben?«, fragte Maya.

Der Admiral zuckte mit den Schultern. »Im Motaxun-System wusste niemand, dass wir überhaupt da waren. Im Sol-System hat einer der fähigsten terranischen Forscher ein deutliches Interesse an Iasons Reisemittel bekundet. Ich bin mir sicher, dass im Moment aktiv im ganzen System nach uns gesucht wird. Ich habe unsere schlauen Köpfe darauf angesetzt und sie haben die Möglichkeit errechnet, uns durch hochgenaue Gravitationsmessungen anzupeilen. Es ist nicht leicht, aber auch nicht unmöglich, einfach weil die Koron Ji so ein verdammt großer Brocken ist.«

»Verstehe«, sagte Maya und schürzte die Lippen.

»Es ist einerlei«, meinte ich. »Aristea kann uns problemlos ins Sol-System bringen und wenn es so weit ist, brechen wir mit den Schiffen auf.«

»So machen wir es!«, sagte Truktock und Maya nickte.

Mit einiger Genugtuung spürte ich, dass mein Wort Gewicht hatte. Offiziell unterlag die Führung der Schiffe zwar Truktock und Maya, doch sie hörten auf meine Meinung. Ich wollte mich nicht mit den alltäglichen Widrigkeiten der Befehlsgewalt über ein großes Schiff beschäftigen und war froh, nicht mehr Kapitän der Temborg zu sein. Aber was unser Schicksal anbelangte, würde ich mich in die Entscheidungen von Truktock und Maya einmischen, wann immer ich es für gerechtfertigt hielt.

Dann zuckte ich zurück.

Nicht um ihrer selbst willen wollte ich diese ... Macht haben. Doch jemand musste Verantwortung übernehmen. Aristea vertraute mir in meinen Entscheidungen und ich vertraute ihr jetzt. Wir konnten gemeinsam vieles erreichen. Ihre Handlungsweise bezüglich Möbius' Preis hatte ich ihr verziehen, denn sie hatte um ihr Leben gekämpft und war erpresst worden. Innerhalb ihrer Möglichkeiten hatte sie mir dennoch eine Wahl gelassen, auch wenn Möbius sich schließlich einfach genommen hatte, was er haben wollte. Ich nehme an, er hätte es ohnehin getan.

Aristea und ich hatten zu viele Dinge gemeinsam durchgestanden. Wir mussten zusammenhalten, doch ich würde mich nicht zurückhalten, sie um einen Gefallen zu bitten, denn der Preis für ihre Fähigkeiten war auch von mir bezahlt worden.

Die Grimmigkeit meiner Gedanken erschreckte mich einen Moment und dann erkannte ich, dass ich nicht anders konnte. Die ganze Situation ... die Verluste nagten an mir. Ich musste versuchen, meine innere Balance zu halten, aber das würde nicht so leicht werden.

Nachdem wir die Besprechung beendet hatten und den Raum verließen, suchten Aristea und ich die Messe auf. Wir hatten seit einer Ewigkeit nichts gegessen und mussten unseren Körpern geben, was sie brauchten.

Wir aßen hungrig, doch schweigsam und genusslos, was uns der Küchenchef empfahl. Er kam an den Tisch und fragte, ob es uns schmeckte. Unser Herumstochern und einige halbherzige Worte der Anerkennung ließen ihn mit trauriger Miene von dannen ziehen.

»Hätte nie gedacht, dass ich es vermissen würde, einen Happen vor die Lippen gehalten zu bekommen«, murmelte ich.

Aristea lachte und lehnte sich schließlich zurück, verschränkte die Arme und blinzelte einige Tränen fort. Sie sah elend aus.

»Wenn ich meine Waffe nicht im Rucksack gehabt hätte, würde sie noch leben.«

»Falsch. Sie hätte nie gelebt. Und du auch nicht.«

Wir sagten danach nichts mehr und zogen uns auf unsere Kabinen zurück.

Dort lag ich auf meinem Bett, starrte die Decke und die Rohrleitungen an, versuchte das Summen des Schiffes um mich herum als beruhigend zu empfinden, während mir Erinnerungen an Sieraa wieder und wieder durch den Kopf gingen.

Ich verfluchte mich, die TQ eingesteckt zu haben und fluchte auch auf Zek, obwohl es ungerecht war, denn es war meine Entscheidung gewesen.

Und es war alles so verdammt surreal.

Hätte ich die Waffe nicht im Rucksack gehabt ... sie würde mich in der Zukunft nicht befreien können, wir würden nie gemeinsam hier landen und die WBE-Technologie an Tomasi übergeben.

Mein Verstand sagte mir, dass es nicht anders sein durfte, doch mein Gefühl ...

Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, und als ich erwachte, flogen mir diverse Kleidungsstücke ins Gesicht.

»Zieh dir mal was Vernünftiges an, du siehst aus wie einer, der Maschinen putzt«, rief Zek in bestem Kasernenton.

»Wer hat dich in meine Kabine gelassen?«

»Die Gewohnheit.«

»Sehr witzig.«

»Komm hoch! Und ich meine nicht die Beule in deiner Hose.«

»Was? Herrje, Zek, das ist ganz normal für einen Mann. Ich stehe gerade auf.«

»Das ist offensichtlich. Geh duschen! Kaffee in der kleinen Offiziersmesse oben.«

»Ja-ja-ja! Jetzt lass mich machen!«

Zek warf mir einen Blick zwischen Mitgefühl und Reue zu und lächelte unsicher, als sie die Kabine verließ. Ich war ihr jedoch dankbar für den verbalen Tritt in den Hintern, ich hatte ihn gebraucht.

Nachdem ich geduscht und die neue Kleidung angezogen hatte - die Sachen waren dunkelblau, praktisch und passten mir perfekt - suchte ich Aristeas Kabine auf. Es stellte sich heraus, dass sie nicht da war. Ich fragte über das Interkom, doch niemand konnte mir sagen, wo sie sich aufhielt.

Also ging ich zur kleinen Offiziersmesse, einem gemütlichen Raum weit oben in der Temborg und versuchte, das nagende Gefühl in meinem Bauch zu ignorieren. Alles fühlte sich fremd und seltsam an, ohne Sieraa ...

In der Messe waren einige Leute anwesend und ich traf auf Zek. Sie drückte mir einen Becher Kaffee in die Hand und bemerkte meinen suchenden Blick.

»Ari war nicht auf ihrer Kabine«, sagte sie schulterzuckend.

Ich krauste die Stirn, erwiderte allerdings nichts.

Zek schlürfte aus einem Becher. »Hast du sie gesehen?«

»Nein.«

Ich nippte an meinem Kaffee und ignorierte die verstohlenen Blicke der Offiziere.

»Sie ging gestern Abend auf ihre Kabine, dann hörte ich nichts mehr von ihr.«

»Sie wird wohl wieder auftauchen, wenn ihr zum Mars aufbrecht, um Tomasi über die Schulter zu gucken.«

»Ja. Wahrscheinlich.«

Ich schnappte mir einen Happen vom Büffet, würgte das trockene, süße Zeug herunter, kippte noch eine Tasse Kaffee hinterher und verabschiedete mich.

Nach einem Marsch durch die mehr oder minder schäbigen Gänge der Temborg hatte ich sämtliche Aufenthaltsorte abgesucht, an denen man Aristea antreffen könnte.

Nach zwei Stunden weiterer Lauferei und Fragerei hatte ich die Nase voll und rief Maya über das Interkom.

»Ich kann Ari nicht finden. Lass bitte eine Mitteilung rausgeben, dass sie sich bei mir melden soll.«

Maya bestätigte und ich kehrte auf meine Kabine zurück, dem Bedürfnis nach Abgeschiedenheit nachkommend, das ich verspürte.

Allein auf der Kabine war ich auch wieder allein mit meinen Gedanken. Sie wanderten unvermeidlich zu Erinnerungen und meinen Gefühlen. Es mussten gute zwei Stunden vergangen sein, als Ari plötzlich und unvermittelt in meiner Kabine auftauchte.

»Verdammt!«, fluchte ich. Und dann nochmal: »Verdammt!«

Aristea blieb ausdruckslos und setzte sich mir gegenüber.

»Ich war auf dem Mars, habe mich mal umgesehen.«

Ich hielt inne. »Das wollten wir gemeinsam machen, oder täusche ich mich?«

»Ich konnte nicht schlafen und du hast laut geschnarcht.«

»Du warst in meiner Kabine?«

»Ja.«

»Jeder kommt hier einfach rein, wie es ihm passt. Was hast du auf dem Mars gesehen?«

»Es war gut, dass ich dort war. Sie haben weit mehr vorbereitet, als wir ahnten. Dr. Otsuka wird von Tomasi enorm unter Druck gesetzt. Er hat ein Experiment in Angriff genommen, mit dem das WBE-Gerät von Ranupa getestet werden soll. Tomasi hat uns ganz bewusst vorenthalten, dass sie so weit sind. Der Mann verfolgt mehr Ziele, als ich zu erkennen in der Lage bin. Deine Ankündigung unserer Inspektionen hat übrigens dazu geführt, dass eine ganze Menge Raumschiffe von der Erde zum Mars unterwegs sind. Überall sind Soldaten auf Wache.«

»Manche Leute sind so berechenbar. Hast du dich irgendjemand zu erkennen gegeben?«

»Nein. Niemand konnte mich sehen«, sagte Aristea, ein schmales Lächeln auf den Lippen.

Ich hob die Augenbrauen. »Hm. Dann werden wir unsere offizielle Stippvisite noch machen. Ich komme mit. Lassen wir ihn in dem Glauben, dass er die Dinge unter Kontrolle hat, während wir ihn kontrollieren.«

»Du wirst ja richtiggehend verschlagen«, sagte Aristea überrascht.

»Es ist auch mehr als überfällig«, murmelte ich und rieb mir das Kinn, auf dem die Stoppeln zu lang und zahlreich wurden. »Hast du Otsuka beobachtet?«

»Eine ganze Weile. Er scheint vollkommen in seiner Aufgabe aufzugehen. Ich glaube, er hat eine Motivation in der Sache, die nichts mit den Nefilim und Tomasi zu tun hat.«

»Was meinst du?«

»Irgendwas mit seiner Familie. Ein Mitarbeiter machte eine Bemerkung.«

»Könnte nicht schaden, mehr darüber herauszufinden.«

»Ich ...«

»Wir ...«, warf ich betont ein.

»Wir könnten ihn beobachten. Seine Familie wohnt allerdings auf der Erde.«

»Zu riskant.«

»Hm.«

»Unternimmt Tomasi irgendetwas, um uns zurück in die Zukunft zu schicken?«

»Er hat einen kleinen Stab von Mitarbeitern damit betraut. Sie arbeiten womöglich schon länger an der Sache. Die Leute wirken eigenartig.«

»Definiere eigenartig

Ari überlegte. »Ich glaube, sie gehören zum Militär oder zu einer geheimen Organisation.«

»Geheimdienst?«

»Was ist das?«

»Paranoide Neurotiker mit einer Handvoll rechtswidriger Befugnisse, die man ihnen besser nicht gegeben hätte.«

Ari warf ihre Stirn in Falten. »Ich verstehe nicht ganz ...«

»Egal. Kenne es auch nur aus Filmen.«

»Ah. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass sie mit der neuen Technologie eine Menge anfangen können.«

»Hauptsache, nicht zu viel.«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Dann lass uns unsere Stippvisite durchziehen.«

»In Ordnung. Bereit?«

Ich stand auf. »Ja.«

Aristea ergriff meine Hand.

»Ich dachte, das wäre nicht mehr nötig?«

»Vielleicht will ich es aber«, sagte sie und versetzte uns auf den Mars.

Wir tauchten in Tomasis Büro auf, der hinter seinem Schreibtisch zusammenzuckte.

»Sie haben mich erschrocken!«, rief er verärgert aus.

Ich lächelte. »Guten Tag. Wie weit sind Sie?«

»Ich bin schwer beschäftigt. Es wäre auch in Ihrem Interesse, wenn Sie sich vorher anmelden würden.« Er gestikulierte übertrieben. »Haben Sie wenigstens den Anstand, sich kurz anzumelden!«

»Wird nicht passieren. Wie ist denn der Stand der Dinge?«

»Wir fangen gerade erst an. Es gibt eine Menge zu tun, Wissenschaft erfordert Geduld. Sie müssen uns Zeit und Raum geben. Dabei fällt mir etwas ein. Könnten Sie nicht eine Kleinigkeit besorgen, die wir dringend benötigen?«

»Sie haben alles von uns erhalten, was sie jemals erhalten werden. Stellen Sie keine weiteren Forderungen mehr! Ich warne Sie, Tomasi!«

Er lehnte sich zurück, vermied es, uns eine Sitzgelegenheit anzubieten und musterte mich mit versteinertem Gesichtsausdruck.

»Sie vergessen wohl, dass ich bereits bekommen habe, was ich haben wollte. Wenn Sie nicht ein bisschen mehr Benehmen zeigen, werde ich ...«

Sein letztes Wort blieb ihm im Halse stecken. Aristea war in einem Lidschlag hinter seinem Stuhl manifestiert und ergriff seinen Hals in einem Würgegriff.

»Sie haben immer noch eine Sache zu verlieren«, sagte ich und grinste ihn freudlos an.

Ich nickte Aristea an und sie brachte uns zurück an Bord der Temborg.

»Ich glaube, es bildete sich ein Fleck auf seiner Hose«, sagte Ari, als wir zurück auf meiner Kabine waren.

»Wohl kaum. Egal, wie viel Angst wir ihm auch machen, seine eigenen Ängste sind größer.«

»Dann können wir nicht viel mehr Druck auf ihn ausüben.«

»Nein, dann müssten wir schon anfangen, Dinge von ihm abzuschneiden.«

Ari sah mich mit großen Augen an.

»Das war ein Witz. Wofür hältst du mich?« Sie zog eine Grimasse und ich fuhr fort. »Morgen sprechen wir mit Otsuka. Und wir sollten es vermeiden, mehrmals und vorhersehbar an einem Ort zu erscheinen. Wer weiß, was Tomasi sich einfallen lässt?«

»Eine Falle?«

»Vielleicht ...«

»Wenn du einverstanden bist, werde ich mich zur Erde begeben und Otsukas Familie suchen.«

»Wenn du etwas herausfindest, was uns nützt, wäre das nicht schlecht.«

»Ich breche gleich auf.«

»Warte! Komm spätestens in drei Stunden zurück!«

»Einverstanden.«

Wir sahen uns einen Moment an.

»Pass auf dich auf!«, sagte ich und Ari verschwand mit einem Lächeln, wie eine bestimmte Katze, von der mir meine Großmutter mal etwas erzählt hatte.

Ich sah mich in der Kabine um und stellte fest, dass ich kein Zuhause mehr hatte. Ich besaß, was ich am Leibe trug und selbst das war mir erst heute geschenkt worden. Ich hob den rechten Arm und betrachtete den Ring der Skylla an meiner Prothese. Mit Aristeas Fähigkeiten würde ich dieses Schiff, das eigentlich mir gehörte, spielend in meine Gewalt bringen. Aber ich musste mit Bedacht vorgehen. Eventuell nutzte mir diese Kontrollmöglichkeit über die Skylla noch, wenn die Zeit gekommen war, um Geran ins Nirvana zu schicken. Der Gedanke daran, dass Leute auf seiner Seite stehen mochten, betrübte mich. Es würde sich zudem noch herausstellen müssen, welche Rollen Susannah und Simeon spielten. Und wie ich mit ihnen umgehen musste, wenn die Zeit gekommen war.

Das könnte ungemütlich werden.

Und wo war Demi Tomasi abgeblieben? Ob sie immer noch den Plan verfolgte, irdische Pflanzen und Tiere an veränderte Lebensbedingungen anzupassen? Jedenfalls konnte sie uns helfen, mehr über Aristeas Fähigkeiten zu erfahren und was Möbius jetzt mit ihr gemacht hatte.

Über die Nefilim machte ich mir ebenfalls Gedanken. Sobald das Gerät, mit dem Geran die Kontrolle über sie ausübte, vernichtet war, müssten Sargon, Zurvan und all die anderen, die inzwischen reaktiviert worden waren, eigentlich in ihre normale Verhaltensnorm zurückfallen.

Oder?

Was, wenn die neuen Verhaltensmuster unter Gerans Willen eine Art Prägung über das kollektive Gedächtnis hervorgerufen hätten? Hatte Geran endgültig die Monster, die erbarmungslosen Kriegsmaschinen aus ihnen gemacht, als die sie ursprünglich erschaffen worden waren?

Es war unvermeidlich, diesen Punkt mit Odin und Musashi zu besprechen. Doch wenn solch eine Prägung einmal möglich gewesen ist, musste man sie auch wieder rückgängig machen können. Nur die Vernichtung des Kontrollgerätes dürfte dann nicht übereilt geschehen.

Ich begriff mehr und mehr, dass ich meine Schritte sorgfältig planen musste.

Dann lachte ich und setzte mich auf die Bettkante.

Iason Spyridon, Schatzsucher.

Ich hatte einen weiten Weg zurückgelegt.

Die Veränderungen meiner Zielsetzungen und meines Verhaltens waren unumgänglich, wollte ich in dieser Situation überleben. Mein impulsiver Aufbruch nach Fergoi war mir teuer zu stehen gekommen, als ich in Aureols Gefangenschaft endete. Das war zum letzten Mal der alte Iason gewesen, der einfach drauflos marschierte und dann reagierte. Ich würde mir den Luxus dieses spontanen Verhaltens in nächster Zeit nicht mehr erlauben können, so viel stand fest.

Doch erstmal mussten wir in unsere Zeit zurückkehren.