10 Sieben Königreiche

Roter Nebel, Nebelwelten, Enchrome
30397/2/4 SGC
24. November 2014

 

 

Kooi

 

Die Kommunikationsdrohne kam nahezu zeitgleich mit den beiden langgestreckten Objekten aus dem abgewandten Ende des Dimensionsschiffes, nur ein Wimpernschlag war vergangen, seitdem der Langstreckenaufklärer aus ihrer Sicht verschwunden war.

Hoffentlich war alles gut gegangen, dachte sie angespannt.

Die Schiffs-KI der T3 ließ die Disruptoren in zehn Lichtsekunden Entfernung unverzüglich die beiden riesigen Kampfmaschinen anvisieren, die sich vor ihren Augen in der Form zu verändern begannen. Die Kampfdrohnen reagierten augenblicklich und veränderten das dynamische Geflecht ihrer Feuerleitsysteme, bis sich beide Objekte im Zentrum ihrer vereinten Feuerkraft befanden.

Sie bremsten stark ab und verharrten zehn Kilometer vom Dimensionsschiff entfernt, überschütteten die Aufklärungsdrohnen und die T3 mit Sensorstrahlen.

»Wir empfangen keinerlei Signale von Hud Keraas oder Ruf Astroon, Hightenent«, deutete der Schlacht-Certeer die ersten Auswertungen der eingehenden Daten. »Dafür scannen sie uns mit der kompletten Sensorbreite. Unsere Kommunikationsdrohne war für siebenundzwanzig Sekunden drüben.«

»Schattentruppen, Certeer Astroon meldet sich zurück. Status Blau!«, hörte Kooi erleichtert Rufs vertraute Stimme im Ohrhörer ihres Visiers, begleitet von einem Identifikationssignal, das die T3 sogleich verifizierte. »Wir haben den Kontakt zu den Sole-Sourcern hergestellt, ich habe den Paramount gesprochen – es gibt fantastische Neuigkeiten.«

Kooi betrachtete verblüfft die beiden Objekte, die im Moment riesigen Kampfanzügen glichen. Ad Rogue und die anderen Tempi auf Enchrome waren bereits sehr beeindruckend gewesen – doch die hier – wo war Ruf?

»Certeer, ich brauche fünf Freiwillige, die jetzt schnellstens durch das Tor gehen, Hud Keraas ist drüben geblieben, er ist in einem regen wissenschaftlichen Austausch, will von den Sole-Sourcern lernen, aber wir benötigen weitere von ihnen in unserer Dimension, um auf Tektor die Maschinen zu bauen, mit denen wir die Potentialkatastrophe für den Roten Nebel aufhalten können!«

Kooi strich sich über ihr ungewohnt kurzes Haar, starrte aus braunen Augen nachdenklich auf das lächelnde Gesicht Ruf Astroons, das ihr aus dem Inneren eines der Tempi entzückt entgegenblickte, realisierte, dass etwas geschehen sein musste, was ihren langjährigen Kameraden gezwungen hatte, seinen Zerstöreranzug gegen dieses Ein-Mann-Raumschiff zu tauschen.

Sie hörte die Kommandos des Schlacht-Certeers, die nach fünf Offizieren unter den Schattentruppen rief.

»Siir, wenn Ihr in dem einen Anzug steckt und Hud Keraas nicht mit zurückgekommen ist, wer begleitet Euch dann?«

Die Frau neben ihr unterbrach ihren Befehlsstrom, als sie das Schweigen Rufs auf die Frage bemerkte.

»Siir? Wer ist der zweite Tempus?«

»Kooi! Schön, Euch wohlauf zu sehen. Es ist Kaan, einer der führenden Wissenschaftler der Sole-Sourcer – er muss Hud Chitziin treffen.«

Sie sah nachdenklich auf die virtuelle Alarmtaste auf ihrem persönlichen Holodisplay. Der Schlacht-Certeer isolierte mit einem Fingerzeig die Kommunikation auf der Brücke der T3 und wandte sich ihr zu.

»Was ist los, Hightenent?«

Sie schüttelte langsam den Kopf. Für sie war er eigentlich nicht weg gewesen, Ruf war in diesen Bruchteilen von Sekunden um eineinhalb Jahre gealtert, hatte sicherlich unglaubliche Dinge erlebt und gesehen – durfte sie ihm ihr Misstrauen so deutlich vorhalten – wenn es nur auf Gefühlen basierte?

»Etwas stimmt nicht, Certeer. Er ist irgendwie verändert, so euphorisch – nicht der besonnene Kommandant der Alstortruppen, den ich kenne. Bevor wir andere schicken, sollten wir zuerst seine Aufzeichnungen und die der Drohne genauer ansehen.«

Die kommandierende Offizierin der Schattentruppen ließ ihren Blick unter ihrem Visier hindurch einige Sekunden auf Kooi verharren, entdeckte ihre innere Unruhe und Zerrissenheit zwischen instinktivem Pflichtgefühl und Zuneigung zu ihrem Kommandanten. Dann traf sie ihre Entscheidungen und öffnete die Kommunikation erneut.

»T3: Eindringlinge isolieren und Dimensionsschiff aus dem Sprungpunkt heraus manövrieren!«

»Certeer, Kooi! Was macht Ihr? Ich –«

»Siir, Ihr befindet euch unter Quarantäne. Deaktiviert alle Systeme bis auf die Lebenserhaltung. Bitte überspielt uns die vollständigen Aufzeichnungen Eures Besuchs bei den Sole-Sourcern. Dies ist eine routinemäßige Vorsichtsmaßnahme – Euch ist das bekannt – ich meine auch die Konsequenzen, solltet Ihr den Befehlen nicht sofort Folge leisten!«

»Aber Certeer!« Rufs Stimme wurde ärgerlich. »Lasst das Schiff in Position, wir dürfen keine Zeit verlieren, wir können den Sole-Sourcern uneingeschränkt trauen – ich war für mehr als ein Jahr dort, sie haben mein Leben gerettet, als uns der Wechsel in ihre Dimension beinahe umgebracht hatte. Schickt die Offiziere!«

»Bitte, Siir!« Koois Stimme hatte einen flehenden Unterton angenommen. »Gebt uns Zeit, die Informationen zu analysieren. Ihr würdet an meiner Stelle nicht anders verfahren!«

Ruf Astroon verstummte. Seine Augen wanderten unruhig über die Anzeigen seines Visiers.

»Na gut, Hightenent. Ihr habt vielleicht recht – aber beeilt Euch, es ist so ungeheuer wichtig, keine Zeit zu verlieren.«

Drei Tage waren vergangen. Der Schlacht-Certeer und Kooi hatten ohne Unterbrechung und mit Unterstützung der Schiffs-KI das Datenmaterial angesehen und auf Plausibilität geprüft.

Was sie sahen, war hochwertig, logisch und zeichnete ein extrem faszinierendes und hilfreiches Bild, wie der Rote Nebel vor der herannahenden Potentialkatastrophe bewahrt werden konnte – es war nur unmöglich, eineinhalb Jahre Aufzeichnungen in drei Tagen inhaltlich zu überprüfen – selbst wenn die Schiffs-KI der T3 das Material spielend in ein paar Sekunden sichten konnte.

Die Länge sämtlicher Gespräche Rufs mit dem Herrscher der Sole-Sourcer, dem Paramount, betrug allein siebenundvierzig Tage.

»Es ist zu viel!«

Kooi nickte. »Er war elf Monate und neununddreißig Tage dort. Warum so lange? Was musste er alles erfahren, nur um zurückzukommen und uns zu sagen, wir hätten keine Zeit zu verlieren, wir müssten einen Sole-Sourcer in seiner Begleitung nach Tektor bringen und weitere fünf Menschen dorthin schicken, um Fahrkarten für weitere Sole-Sourcer in unsere Dimension zu übergeben?«

»Möglicherweise haben die Sole-Sourcer Certeer Astroons Erinnerungen manipuliert oder er war wirklich verletzt und sein Heilungsprozess hat so lange gedauert?«

Auf dem zentralen Holodisplay der Brücke liefen zum wiederholten Male die Aufzeichnungen der Kommunikationsdrohne, zeigten den Aufklärer mit Ruf und Hud Keraas an Bord und entfernt die Signale von drei Objekten, die sich ihnen mit hoher Geschwindigkeit näherten, dabei die Konturen von Anzügen annahmen, wie sie jetzt dort draußen schwebten.

Koois Blick verharrte müde auf dem Display. Sie spürte die drückenden Zweifel des Schlacht-Certeers über die vorgebliche Dringlichkeit von Rufs Mission in ihrem Nacken.

»Er sagte doch, er sei durch den Transfer schwer verletzt worden?«

Die große Frau ging zum umlaufenden Geländer des zentralen Navigationsholodisplays, stützte sich darauf, ließ die Aufzeichnungen der Kommunikationsdrohne langsam rückwärts laufen, bis der Aufklärer das Display ausfüllte.

»Das Schiff sieht vollkommen intakt aus, die Drohne hat von der KI des Aufklärers einen vollständigen Satz der Lebenserhaltungssystemdaten bekommen – keinerlei … und ich meine, überhaupt nichts – was kritische Strahlungsemissionen oder Systemdefekte auch nur vermuten ließe.«

Kooi aktivierte die Kommunikationsverbindung zu Ruf. »Siir, warum befindet Ihr Euch nicht mehr in dem Zerstöreranzug?«

»Kooi, wie kommt Ihr mit der Auswertung voran? Es wird langsam langweilig. Auch wenn dieser Anzug hier sehr komfortabel ist, ist mein Auslauf doch begrenzt«, begrüßte er sie gutgelaunt.

»Siir, welcher Art waren die Verletzungen nach Eurem Transfer?«

Sein Blick flackerte kurz, wurde niedergeschlagen.

»Wie vor langer Zeit im Kommunikationszentrum von Enchrome bei Zaguun und Speer. Es waren harte Gammastrahlen, Kooi, wirklich nicht sehr angenehm, wir wurden geröstet, der Körper war defekt. Nur die Hochtechnologie der Sole-Sourcer konnte mich retten – das, was übrig war. Die Regeneration war sehr kompliziert.«

Kooi starrte in sein Gesicht, spürte den immensen Druck der Verantwortung. Tränen stiegen ihr in die Augen.

»Wieso ist dann nichts davon in den Aufzeichnungen der Kommunikationsdrohne zu finden, Siir?«

Rufs Blick wurde ärgerlich.

»Kooi, verdammt nochmal, das weiß ich auch nicht, ich war außer Gefecht nach unserer Ankunft. Ich weiß nur, dass ich den Sole-Sourcern mein Leben verdanke und sie es ehrlich meinen.«

Der Schlacht-Certeer sah zu ihr hinüber, schaltete auf einen internen Kommunikationskanal.

»Er glaubt, was er sagt, Hightenent. Ich bin sicher, seine Erinnerungen wurden manipuliert, wenn das da drinnen überhaupt noch etwas gemein hat mit dem Certeer, der losgeflogen ist!«

Nebenanzeigen im zentralen Navigationsholodisplay dokumentierten unerwartet steile Anstiege verschiedener Emissionswerte in der Nähe des Dimensionsschiffes.

»Ich muss nach Tektor, Kooi!«

Die Schiffs-KI der T3 gab stillen Alarm.

»Ruf – du lügst«, sagte sie leise, Tränen auf den hohen Wangen. Etwas durchbrach seinen wütenden Blick, sie sah mit einem Mal die versteckte Qual in seinen Augen. Ihre Finger berührten die Alarmtaste.

Die Disruptoren feuerten.

Eine Wolke einseitig geladener Teilchen von zwanzig Kilometern Durchmesser begann mit Lichtgeschwindigkeit auf den Sprungpunkt zuzurasen. Die Sensoren der Tempi konnten sie nicht sehen, da die Geschwindigkeit ihrer lichtbasierten Scanner nicht höher als die der herannahenden Teilchen sein konnte.

Kooi verfolgte mit tränenverschleierten Blick den Countdown bis zum Eintreffen der Wolke.

»Kooi! Nein – lasst das Schiff in Position! Was soll das? Wir können helfen, wir …«

In dem Moment reagierten die Tempi. Sie konnten die heranrasende Wolke nicht sehen – sie reagierten auf eine Auswertung der Gesamtsituation, der Stressanzeichen in Koois Stimme, folgten logisch basierten Verhaltensmustern der Anzug-KI.

Die Marker von Ruf und seinem Begleiter verschwanden von allen Displays. Zwei Sekunden später löste sich das letzte Schiff der Coruumer in einer gewaltigen Explosion in seine kleinsten Bestandteile auf.