Schwerhörigkeit

Silence comes and silence is

The quiet place

True thinking lives

Das war also mein Leben in Sunnyvale: gute Freunde, ein rosa Haus, ein purpurner Mercedes, mit dem ich einmal pro Woche zu einer guten Bibliothek fuhr, Kleider aus dem Mervyn-Store. Ich konnte zwar nicht wirklich etwas hören, aber ich konnte perfekt Lippenlesen und hatte unbegrenztes Lesematerial. Nach etlichen Versuchen trug ich mein Hörgerät nur noch selten, weil es mir ohne besser ging. Im Grunde verursachte es nur Kopfschmerzen, sonst nichts. Solange ich gut in der Schule war und hart arbeitete, war die Gefahr der „Schule für Taube“ gebannt. Ich erhielt so viel sonderpädagogische Betreuung in der Schule wie überhaupt möglich. Gottlob war ich in Sunnyvale.

In den frühen 1970ern gab es weit schlimmere Orte für ein Kind mit Hörschwäche als Silicon Valley, Kalifornien. Viele der dort ansässigen Ärzte, die mich zunächst behandelten, so auch Dr. Mansfield Smith und Dr. Rodney Perkins, gehörten damals zur Spitzenliga der Ohrenärzte. Ich ging sehr ungern zu all den audiologischen Testzentren, aber Dr. Smith und Dr. Perkins besuchte ich immer gerne. Sie machten mir und meiner Mutter Mut und äußerten sich immer positiv. Sie waren wirklich meine Stütze und halfen mir enorm, mit meiner Schwerhörigkeit zurechtzukommen. Sie halfen mir, das Beste aus dieser Situation zu machen. Ohne sie und ihren positiven Einfluss wäre ich heute wer weiß wo. Das klingt sehr nach Klischee, ist aber so.

Bücher waren meine Rettung, auch wenn mir das damals noch nicht klar war. Das Fernsehen strahlte in den frühen 1970ern kaum gute Kinderprogramme aus, und wegen meiner Schwerhörigkeit verstand ich die Worte ohnehin nicht. Obwohl ich damals schon extrem gut Lippenlesen konnte, reichte das nicht für die Lippenbewegungen von Bugs Bunny oder der Muppets in der Sesamstraße. Fernsehen stellte damals bereits ein großes Problem für mich dar. War es laut genug für mich eingestellt, hielt es sonst niemand im selben Raum aus. Ich war also vor die Wahl gestellt, vor dem Gerät zu sitzen und mir den Text selber auszudenken oder zu lesen. Also las ich – und wie.

Ich las jedes Buch, das man in der Bibliothek für meine Altersgruppe ausleihen konnte, und wenn ich alle fertig hatte, las ich sie noch einmal, bevor ich zu Büchern für die nächste Altersgruppe griff. Schon als Kind half mir die Sunnyvale-Bibliothek, und sie spielte auch in meinem späteren Leben eine entscheidende Rolle. Sie hatte auch eine Abteilung, in der man die in den USA ausgestellten Patente für die neuesten Erfindungen einsehen konnte. In dieser Abteilung verbrachte ich später noch viel Zeit.

Der durchschnittliche Mensch denkt nie an Gehörverlust. So sind die meisten sehr erstaunt, wenn sie von der Dimension des Problems erfahren. Sensorisch-neuraler Gehörverlust (bekannt als Taubheit) betrifft elf Prozent der Bevölkerung. Vielen dieser Leute könnte mit einem Hörgerät geholfen werden, aber das lehnen die meisten aus den unterschiedlichsten Gründen ab. Für viele ist das Tragen eines Hörgeräts mit dem sozialen Stigma der Taubstummheit verbunden, obwohl das eine veraltete Vorstellung ist. Moderne Geräte können die meisten Patienten sehr gut unterstützen, wenn man nur bereit ist, sie lange genug zu tragen, um sich daran zu gewöhnen. Fast allen Patienten mit geringem oder mittlerem Hörverlust hilft eine akustische Verstärkung. Aber man muss natürlich lernen, auch mit den Unannehmlichkeiten umzugehen, dem Ohrenschmalz, dem Unbehagen, der Resonanz, die im Ohr entstehen kann. Viele probieren zwar Hörgeräte, geben es aber rasch wieder auf oder tragen sie nur selten. Sie meinen: „Es klingt nicht natürlich“. Hörverlust betrifft alle Altersstufen, ist aber bei Senioren häufiger verbreitet. Da wir heute länger leben, wird das Problem sich verstärken.

Ungefähr ein Prozent der Bevölkerung ist auch von kombiniertem oder Schallleitungshörverlust betroffen. Bei diesem Leiden bietet die Chirurgie oft die Möglichkeit, das Trommelfell zu reparieren oder einen bzw. alle drei Gehörknöchelchen zu ersetzen, die den Schall ins Innenohr übertragen. Leider bringen die Versuche, durch Verstärkung oder operativen Eingriff die Gehörfunktion wiederherzustellen, oft schlechte und nur kurz anhaltende Resultate. Hörverlust ist eine medizinische Anomalie. Sensorisch-neurale Schwerhörigkeit stellt die am weitesten verbreitete chronische Krankheit dar, die nicht behandelt wird. In den Vereinigten Staaten sind derzeit ca. 30 Millionen Menschen betroffen, von denen sich ca. 80 Prozent nicht behandeln lassen. Eine echtes Versäumnis der Gesundheitsvorsorge. Viele Gründe sind dafür ausschlaggebend. Meist erkennen die Betroffenen gar nicht oder können nicht erkennen, wie stark sie eingeschränkt sind. Heute schicken meist die Partner Gehörlose zur Untersuchung, da sie es satthaben, alles dauernd zu wiederholen, oder sie können das Wort „Was?“ einfach nicht mehr hören. So ziehen, tragen oder schieben sie ihre Partner in die Ambulanz, um Hilfe zu suchen. Daher lautet ein gängiger Witz der Hörbehelfe-Industrie auch: „Wer verkauft die meisten Hörgeräte? Die Ehefrauen.“

Viele schätzen den einfachen Vorgang des Hörens nicht genug. Da wir weder denken müssen, um zu hören, noch es bewusst versuchen, halten wir diesen passiven Sinneseindruck für selbstverständlich. Hören passiert einfach. Wir haben vielleicht in der Schule einmal von den winzigen Gehörknöchelchen gehört, aber wir sind uns kaum bewusst, was für ein Wunder an Funktionen und biomechanischen Vorgängen den Hörvorgang bestimmt. Würde man jemanden fragen, ob er eher auf das Hören oder das Sehen verzichten könnte, wäre die Antwort wahrscheinlich „das Hören“. Das ist meiner Meinung nach die falsche Antwort.

Die Menschen sind so stark visuell orientiert, dass wir uns ein Leben ohne zu sehen nicht vorstellen können. Daher würden die meisten von uns den Sehsinn bewahren wollen. Das Gehör aber erlaubt uns, mit Freunden und Familie zu kommunizieren, Musik zu hören und ausgiebige Diskussionen zu führen. Ohne Gehör verliert man die Fähigkeit, effektiv zu kommunizieren. Wenn man daher die Auswirkungen eines Gehörverlustes bedenkt, wird rasch klar, wie wichtig das Hören für das psycho-soziale Wohlergehen und die Teilnahme am alltäglichen Leben ist. Hörverlust verursacht soziale Isolation.

Totaler Hörverlust führt zu einer markanten Abnahme der Sprechfähigkeit, und mit der Zeit wird diese immer schlechter, da es nicht möglich ist, Lautstärke und Intonation zu kontrollieren oder eine klar verständliche Sprache zu produzieren. Ich habe selbst Patienten beobachtet, die durch einen plötzlichen Gehörverlust erschreckend schnell auch die Kontrolle über ihr Sprechen einbüßten. Bei völligem Gehörverlust geht auch die Kontrolle über die Stimme verloren.

Gehörspezialisten im Gesundheitswesen wissen, dass es von äußerster Wichtigkeit ist, ein gehörgeschädigtes Kind so früh und so sorgfältig wie möglich zu behandeln. Wenn die Gehörbahnen nicht früh und gut stimuliert werden, laufen sie Gefahr, sich schlecht oder gar nicht zu entwickeln. Ohne angemessene Stimulation des Gehörs bleibt das Kind in seiner Fähigkeit, gesprochene Sprache zu verstehen, beeinträchtigt. Ist diese Fähigkeit gestört, hat das dauerhafte Auswirkungen auf das Verständnis der geschriebenen Sprache oder des Lesens. Bei schwacher Lesefähigkeit kann sich der schriftliche Ausdruck nur schlecht und nicht altersgemäß entwickeln. Für die Bildung der wesentlichen Kommunikationsfertigkeiten sind eine frühe Intervention und bestmögliche Behandlung entscheidend. Man könnte zum falschen Schluss kommen, dass taube Menschen besonders gut im Lesen oder Schreiben seien, da sie sich ja auf diese nicht auditiven Fertigkeiten konzentrieren können. Doch das Gegenteil ist der Fall. Leider findet man oft hörgeschädigte Schüler, deren Lese- und Schreibfertigkeiten weit unter dem Durchschnitt liegen.

Noch dazu erschwert die Erlernung der Zeichensprache anstelle der Muttersprache als primäres Kommunikationsmittel gutes Lesen und Schreiben. Das hängt mit der Zeichensprache zusammen. Wirkungsvolle Kommunikation in der Zeichensprache lebt von Geschwindigkeit und Abkürzungen. Meiner Meinung nach sollten Kinder möglichst die Regeln des gesprochenen Wortes lernen. Heutzutage gibt es kaum Hörschäden bei Kindern oder Jugendlichen, die nicht mit guter Gehörtechnologie behandelt werden können, daher wird die Zeichensprache noch seltener werden. Für manche ist sie freilich noch immer das einzige effektive Kommunikationsmittel. Das gilt nicht nur für Schwerhörige, sondern auch für Personen mit stimmlichen oder anderen Entwicklungsstörungen. Einerseits finde ich es eine gute Sache, dass aufgrund der Technologie die Zeichensprache immer weniger benötigt wird, andererseits ist es aber von Nachteil, wenn sie von immer weniger Leuten verwendet wird. Heute sieht man kaum noch Personen, die sich in Zeichensprache unterhalten. Wann haben Sie das letzte Mal jemanden gesehen, der Gebärdensprache gebrauchte? Wahrscheinlich im Fernsehen oder bei irgendeiner großen öffentlichen Veranstaltung. Ich denke, aufgrund des technologischen Fortschritts wird die Übersetzung in Gebärdensprache bei Medienübertragungen bald der Vergangenheit angehören.

Die gute Nachricht ist, dass es heutzutage wesentlich mehr Behandlungsmöglichkeiten für Hörgeschädigte gibt als in meiner Jugend in Sunnyvale. Cochlea-Implantate gehören mittlerweile zur Standardbehandlung und bieten vielen Menschen Hilfe. Neugeborene werden in fast allen Industrienationen auf Gehörschäden untersucht, um früher mit gezielter Behandlung einsetzen zu können. Es gibt viele Möglichkeiten des Implantierens. Neue Systeme werden entwickelt, die erstaunliche Verbesserungen sogar in schweren Fällen erzielen. Für mittleren Hörverlust gibt es wesentlich kleinere und diskretere Hörgeräte, und die Verarbeitung von digitalen Signalen und Reizen erlaubt eine bessere Behandlung als früher. Trotzdem werden Menschen mit Hörverlust immer noch stigmatisiert, und die meisten Betroffenen unternehmen nichts dagegen.

Hörverlust hat überraschenderweise aber auch seine guten Seiten. Für mich war das die Entwicklung des kreativen Ausdrucks durch Zeichnen oder Malen. Meine Mutter schrieb mich in zahlreiche Zeichen- und Kunstkurse im Sunnyvale-Community-Center ein, um meine zeichnerischen Fähigkeiten zu fördern. Zwei Jahre lang unterrichtete mich Mr. Kirov, der dann von seinem Sohn abgelöst wurde. Mr. Kirov unterrichtete Zeichnen mit Kreide und Tinte sowie Karikatur. Unter seiner Anleitung arbeitete ich drei Mal in der Woche zwei Stunden lang mit Feder, Tinte und Kreide auf meinem Block. Zeichnen und Malen fördert bei Kindern die Entwicklung des dreidimensionalen, konzeptuellen Denkens und die Vorstellungskraft. Ich zeichne seit damals, noch heute beginnt jede neue Erfindung für mich auf dem Zeichenblock. Diese künstlerische Begabung, die später durch Kurse in technischem Zeichnen, Design und Architektur erweitert wurde, war ein wesentliches Kapital für mich.