An verteilungspolitischer Gerechtigkeit mangelt es nicht nur zwischen Renten- und Pensionsempfängern, zwischen den heute Berufstätigen und den kommenden Generationen, die unter der von uns aufgehäuften Schuldenlast und den staatlichen Verpflichtungen leiden werden. Auch innerhalb des Öffentlichen Dienstes wachsen die Konflikte. Es rumort unüberhörbar. Es knirscht zwischen denjenigen, die den begehrten Beamtenstatus haben, und jenen, die ihn unter den gegebenen Umständen nicht mehr erreichen werden. Rivalität zwischen den Angestellten und den Beamten im Öffentlichen Dienst gab es immer schon. Seit der Verlagerung der Personalkompetenzen vom Bund auf die Länder durch die Föderalismuskommission I hat dieser Konflikt aber neuen Zündstoff bekommen. Ausgerechnet im Klassenzimmer wird er ausgetragen.
Der Flächentarif, den es bis dahin im übertragenen Sinn auch im Beamtenbesoldungsrecht gegeben hat, ist zugunsten von länderspezifischen Einzellösungen aufgehoben worden. Das Hauptmotiv der handelnden Politiker, vor allem der mächtigen Ministerpräsidentenkonferenz, bei der Neuordnung der föderalen Beziehungen zwischen dem Bund und den Bundesländern, war Folgendes: Wenn wir auf Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte bei der Bundesgesetzgebung im Bundesrat verzichten, müssen wir an anderer Stelle dafür entschädigt werden. Deshalb wurde – beginnend mit dem Jahr 2006 – vereinbart, dass die Länder wieder für ihre eigenen Mitarbeiter zuständig sein sollten. Damit kehrt man zurück zu einer Verfassungslage, wie es sie vor dem Jahr 1971 gegeben hatte. Damals hatte man das Beamtenrecht zentralisiert und der Bund hatte sich die Rahmengesetzgebungskompetenz übertragen lassen. Die Erfordernis einer bundeseinheitlichen Regelung wurde seinerzeit mit der Vermeidung eines ruinösen Wettlaufs zwischen den Ländern, also mit einer Begrenzung von Besoldungserhöhungen, begründet. Mit wachsender Wirtschafts- und Leistungskraft in Deutschland war das Gefühl vorherrschend geworden, dass nunmehr alle Beamten überall gleich verdienen sollten. Das Geld dafür schien vorhanden oder würde sich schon irgendwie auftreiben lassen, und sei es in Form von neuen Schulden. An Finanzmärkte und Ratingagenturen dachte niemand. Und so stieg – zusammen mit dem rasanten Ausbau und der föderalen Egalisierung des Öffentlichen Dienstes parallel die Verschuldung Deutschlands an.
Dreißig Jahre später stellte sich heraus, dass die Vorteile einer Zentralisierung im Öffentlichen Dienst in ihr Gegenteil umgeschlagen waren. Der Bund, der relativ wenig Beamte bezahlen muss, war nämlich stets ein großzügiger Arbeitgeber gewesen und hatte in der Vergangenheit selten etwas gegen hohe Tarifabschlüsse einzuwenden gehabt. Ganz anders sah es bei den Ländern aus. In deren Etats wuchs, wie wir gesehen haben, der Personalkostenanteil über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich an. So kam es, dass die Länder in der Föderalismuskommission beschlossen, sich vom Bund zu »emanzipieren«. Die Mehrheit von ihnen wollte für ihre Beamtenschaft landesangepasste Lösungen verwirklichen und nicht länger über den Bundesrat Kompromisse und Öffnungsklauseln in der Rahmengesetzgebung des Bundes erzwingen. Sie wollten über Grundgehalt und Urlaubsgeld, Beförderungspraxis und Altersversorgung ihrer Landesbediensteten in Zukunft selber entscheiden. Nicht zuletzt wollte man so auch flexibler auf ein regionales Kostengefälle reagieren: Die Lebenshaltungskosten sind in Hamburg oder München nun mal eben erheblich höher als etwa in der Oberpfalz oder in Brandenburg. Die finanzschwächeren Länder warnten zwar in der Föderalismuskommission I ausdrücklich vor zu viel Wettbewerb bei den Einkommen, aber letztlich war die Vereinbarung auch in ihrem Interesse. Denn nur so konnten sie sich von einer Gehaltsentwicklung abkoppeln, die sich zuletzt nur noch der Bund und die stärksten Bundesländer leisten konnten. Wie man sieht, lassen sich mit Sparzielen für öffentliche Haushalte sowohl Zentralisierungen als auch Föderalisierungen des Dienstrechts in Deutschland begründen.
Die zurückgewonnene Personalkompetenz der Länder für ihre Beamten war ein wichtiger Markstein der föderalen Neuordnung: Zugrunde lag die aus der Not gewonnene Einsicht der Politik, dass es so wie bisher mit der Ausgabenentwicklung im Öffentlichen Dienst nicht mehr weitergehen durfte. Die Neuregelung hatte wiederum weitreichende Folgen. Schon lange litten Millionen Deutsche in der freien Wirtschaft unter dem Standortwettbewerb, der zu Niedriglöhnen und unsicheren Arbeitsplätzen führte. Nun traf es auch den Öffentlichen Dienst. Bildung ist »Ländersache«. Ob die Lehrer und Lehrerinnen, die sie anstellen, Beamte oder Angestellte sind, ist eine Entscheidung der Bundesländer. Bei Angestellten werden in ihrer aktiven Zeit Sozialversicherungskosten auch vom Arbeitgeber abgeführt, bei Beamten nicht. Deren Pensionskosten trägt ja der Steuerzahler der nächsten Generation.
Was sind die Konsequenzen dieser Einsparmethoden? In vielen Lehrerzimmern – besonders in Ostdeutschland, aber mittlerweile nicht mehr nur dort – ist der eine Lehrer ein Beamter, der andere aber ein Angestellter. Der Beamte verdient bei gleichen Voraussetzungen netto mehr als sein Kollege und hat zudem erhebliche zukünftige Ansprüche. Kein Wunder, dass das für Unfrieden sorgt. Im Jahr 2010 hat das Fernsehmagazin ›Kontraste‹ des Rundfunks Berlin-Brandenburg unter dem Titel »Gleiche Arbeit, ungleicher Lohn – Beamte kontra Angestellte« einen Beitrag dazu ausgestrahlt. Es ging unter anderem um zwei Lehrer in Nordrhein-Westfalen.[1] Beide unterrichteten an einer Gesamtschule in Bochum, beide sind gleich alt, haben die gleiche Ausbildung und leisten die gleiche Arbeit. Aber der eine ist Studienrat, also Beamter, und verdient netto circa 400 Euro mehr. Der Studienrat hat zwar ein niedrigeres Bruttogehalt, muss aber keine Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung zahlen, denn das übernimmt der Staat. »Ja, dann ist man schon sauer«, meint der Angestellte und auch der Beamte findet es nicht gerecht:
»Gleiche Arbeit, gleiches Gehalt – das gilt woanders auch. Das müsste hier eigentlich auch gelten.« Um Gerechtigkeit herzustellen, müsste man entweder den angestellten Lehrern ein wesentlich höheres Bruttogehalt zahlen oder auch die angestellten Lehrer verbeamten, damit alle den gleich hohen Nettolohn bekommen. Dann aber multiplizieren sich die Pensionskosten. Um dies zu finanzieren, müssten die Beamtenpensionen, wie Bernd Raffelhüschen zitiert wird, erheblich gekürzt werden. Diese Machtprobe mit der Beamtenlobby wagt niemand. Die verantwortlichen Politiker gehen lieber den Weg des geringsten Widerstands.
Eskaliert ist dieses Nebeneinandervon beamteten und angestellten Lehrern nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern vor allem auch in Berlin, das keine Lehrer mehr verbeamtet. Im benachbarten Brandenburg findet das noch statt – allerdings auf sehr niedrigem Niveau. Deswegen will der brandenburgische Finanzminister Helmut Markov von den »Linken« auch wieder in Teilbereichen der Verwaltung die »Buschprämie für Beamte«, eine Art »Ausgleichszulage«, für alle diejenigen einführen, die aus einem westdeutschen Bundesland nach Brandenburg wechseln.[2] Wo zwei Gehältersysteme aufeinanderstoßen, regt sich Widerstand – und es entstand in Berlin die Initiative »Verbeamtung jetzt!«, der sich mittlerweile mehr als 400 Gleichgesinnte angeschlossen haben.[3] Es gibt eine eigene Internetseite, auf der alle Argumente für eine schnelle Verbeamtung aufgeführt werden. Es gäbe in Berlin zwischen Beamtensold und Angestelltenlohn »einen Nettounterschied von 500 bis 700 Euro« für dieselbe Arbeit, steht dort zu lesen. Das sei ein Motivationskiller. Auch die unterschiedliche Versorgung im Krankheitsfall und die Krankenversicherungsmöglichkeit unter den Lehrkräften spielen eine wesentliche Rolle. Angestellte Lehrkräfte sind nicht nur im Krankheitsfall deutlich schlechter abgesichert als die verbeamteten Kollegen, sondern sie besitzen nicht die gleiche Wahlfreiheit bei der Entscheidung für eine Krankenversicherung. Abgesehen davon, dass sie nicht beihilfeberechtigt sind, erreichen sie in einigen Laufbahnen die Beitragsbemessungsgrenze nicht. Während die angestellten Lehrer klagen, gehen dem Land Berlin die Lehrer aus. Die Abschaffung der Verbeamtung 2004 macht sich erst jetzt richtig bemerkbar: Der Lehrermangel wird immer schlimmer. Es sind mehr Stellen offen, als es Bewerber gibt. Mehr als tausend neue Pädagogen werden an den Berliner Schulen benötigt. Und mehr als hundert Lehrer, die derzeit noch in Berlin unterrichten, haben Anfang des Jahres 2011 ihre Freistellung beantragt.[4] Es hat sich herumgesprochen, dass im benachbarten Brandenburg oder in Hamburg freie Stellen locken. Beamtenstellen. So wird Berlin gestraft für den Mut, den Beamtenstatus an den Schulen abzuschaffen.
Im März 2011 griff die zuständige Senatsverwaltung deshalb zum äußersten Mittel: Mit Anzeigen in Tageszeitungen suchte sie nach neuen Lehrern. »Gesucht wird für jede Schulart und nahezu jede Fächerkombination«, heißt es in einem Inserat, das in der ›Berliner Zeitung‹ erschien. Und der Senat warb auch offen damit, dass »Lehrer aus anderen Ländern im Beamtenverhältnis übernommen werden«.[5] Schon vorher hatte er das Einstiegsgehalt für angestellte Nachwuchslehrer erhöht und gruppierte sie in die höchste Gehaltsstufe ein. Ein neu eingestellter Lehrer erhält dann 3846 Euro brutto statt wie zuvor 2600 Euro. Doch diese Vereinbarung ist jährlich kündbar und weitere Gehaltssteigerungen sind nicht vorgesehen. Bei den verbeamteten Lehrern steigt hingegen mit zunehmendem Alter das Gehalt, so dass sie netto einige hundert Euro mehr verdienen. Im Sommer 2011 wusste sich die Berliner Schulverwaltung nicht anders zu helfen, als Referendare gleich auf voll bezahlte Lehrerstellen zu setzen. Bislang war von dieser Möglichkeit nur in extremen Einzelfällen Gebrauch gemacht worden.[6]
Berlin ist eines von lediglich drei Bundesländern, das seinen Lehrern keinen Beamtenstatus gibt. Auch Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern halten zurzeit noch an ihrer Auffassung fest, dass die Lehrertätigkeit keine hoheitliche Aufgabe sei und deshalb auch von Angestellten geleistet werden könne – allerdings mit höheren Gehältern. Alle anderen 13 Bundesländer bieten ihren Lehrern den Beamtenstatus mitsamt allen Privilegien an.[7] In etwa der Hälfte der Bundesländer wird das Personal auch im Forschungs-, Universitäts- und Bildungsbereich sowie im öffentlichen Gesundheitswesen nicht verbeamtet.[8]
Vor rund zwanzig Jahren sah es so aus, als sei ein Systemwechsel möglich: In der Wendezeit gab es in einigen Bundesländern die Überlegung, generell auf den Beamtenstatus bei Lehrern zu verzichten bzw. ihn in den ostdeutschen Ländern gar nicht erst einzuführen. Neben Berlin gehörte Schleswig-Holstein zu den Bundesländern, die sich klar positionierten – in der Annahme, dass andere Länder folgen würden. Genau dies geschah aber nicht. Der Angestelltenstatus ist kurz- und mittelfristig für die Landeshaushalte erheblich teurer, und deshalb blieben alle anderen alten Bundesländer bei der Verbeamtung.
Die Folge spürte Schleswig-Holstein zuerst: Die Nachbarländer Hamburg und Niedersachsen warben Lehrer ab. Berlin und die neuen Länder hatten dieses Problem zunächst nicht, weil der Geburtenrückgang nach der Wende einen komfortablen Lehrerüberschuss bescherte. Ob Berlin aber seine Haltung auf die Dauer durchhalten kann, darf bezweifelt werden. Der Hauptstadt laufen die Lehrer weg: Nach einer Befragung der Vereinigung der Oberstudiendirektoren in der Hauptstadt wollen 530 von 1400 angestellten Lehrern an Gymnasien das Land Berlin verlassen, wenn sie in einem anderen Bundesland eine Anstellung mit sofortiger Verbeamtung bekämen. Jeder dritte Lehrer will also weg. In manchen Schulen haben achtzig Prozent einen Antrag auf Freistellung von ihrem mit Berlin geschlossenen Beschäftigungsverhältnis gestellt, um so schnell wie möglich gehen zu können – zum Beispiel ins benachbarte Brandenburg, wo Ministerpräsident Platzeck (SPD) weiter fleißig verbeamtet.
Dabei wäre bundesweit Handlungsbedarf dringend geboten. Deshalb fordert der 2011 wiedergewählte Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auch eine einheitliche bundesweite Besoldung für Lehrer. Wowereit geht sogar noch ein Stück weiter und will eine Deckelung. Berlin steht in harter Konkurrenz zu anderen, wirtschaftlich stärkeren Ländern. Durch eine einheitliche Regelung hofft man in Berlin, etwas Chancengleichheit herstellen zu können. Zurzeit werben vor allem wohlhabendere Länder wie Baden-Württemberg und Hessen Lehrer ab.
Im Saarland ist die Situation ähnlich wie in Berlin. »Wir leben seit Jahren in harter Konkurrenz zu anderen Bundesländern und können auch finanziell da nicht mitziehen«, sagt Torsten Rott, Sprecher des Bildungsministeriums. »Einheitliche Rahmenbedingungen und Spielregeln wären schon wichtig, um ein sinnloses Wettbieten zu verhindern.«[9] Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Rheinland- Pfalz und Schleswig-Holstein hegen ebenfalls Sympathie für einheitliche Regeln. Allerdings wollen sich die dortigen Kultusminister nicht zu optimistisch über ein abgestimmtes Vorgehen äußern. Kaum jemand glaubt, dass der Berliner Vorstoß Aussicht auf Erfolg hat.
Warum auch? Schließlich ist sich jeder selbst der Nächste. Das gilt auch und gerade für den Föderalismus in unserem Land. Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) hat im Frühsommer 2010 angekündigt, bis zum Jahr 2020 neu eingestellte Lehrer wieder zu verbeamten. Laut Personalentwicklungskonzept sollen von 2012 bis 2020 insgesamt 2734 neue Lehrer eingestellt werden – als Beamte. Der DBB-Bundesvorsitzende Peter Heesen, ursprünglich selbst Lehrer, begrüßte die Ankündigung natürlich – was sollte er auch anderes tun.[10] Um beim Werben um Lehrernachwuchs wettbewerbsfähig zu bleiben, sei dies ein richtiger Schritt und eine vernünftige Politik, sagte Heesen. Bildungspolitisch gehe es vor allem um die Deckung des Bedarfs. Es gäbe bereits in einer ganzen Reihe von Schulformen nicht mehr genug Lehrkräfte. Außerdem habe die Verbeamtung, so die alte Logik, auch für Landeshaushalte Vorteile. Ein Grundschullehrer koste im Beamtenverhältnis das Land im Jahr rund 5100 Euro weniger als sein angestellter Kollege, so Heesen. Dennoch käme beim Beschäftigten netto mehr an. Es handele sich also um eine Win-win-Situation. Wer da was gewinnt – und wer vor allem verliert –, verschweigt der DBB-Chef.
Auch in Nordrhein-Westfalen – neben Berlin das zweite Land, das nicht gerade durch großartige Leistungsergebnisse in den Schulen glänzt – regt sich der Widerstand in den Lehrerzimmern und die Kluft zwischen angestellten und verbeamteten Lehrern weitet sich aus. Das sorgt für viel böses Blut. Die Initiative »SchaLL-NRW«, die »Schutzgemeinschaft angestellter Lehrer und Lehrerinnen«, will, so die eigene Aussage, »der Stachel im Fleisch der anderen Lehrerverbände sein und ausschließlich sowie kompromisslos die Interessen der 38 000 tarifbeschäftigten Lehrerinnen und Lehrer in NRW vertreten«.[11] Ihnen stehen 140 000 verbeamtete Lehrkräfte gegenüber. »Wir fordern die Ministerpräsidentin Kraft auf, endlich für Gerechtigkeit in den Lehrerzimmern in NRWzu sorgen und den angestellten Lehrerinnen und Lehrern ihre Würde zurückzugeben. Es muss Schluss sein mit der unerträglichen Lohndiskriminierung, die sich auch im Alter auf die Rente auswirkt«, so Rainer Lummer, Landesvorstandsmitglied und Gründungsmitglied von SchaLL. Darüber hinaus fordert SchaLL die TDL (Tarifgemeinschaft deutscher Länder) und die Gewerkschaften (ver.di, GEW, DBB) auf, ihre Tarifverhandlungen öffentlich zu führen. Es sei nicht weiter hinzunehmen, dass Tarifverhandlungen, geradezu vordemokratisch, hinter verschlossenen Türen als Geheimverhandlungen geführt und die Betroffenen im Nachhinein auf Interpretationen des angeblich Verhandelten verwiesen werden. Die Betroffenen wollen transparente Strukturen während der Verhandlungen.
Denn das kommt noch erschwerend hinzu: Über die Bezahlung angestellter Lehrerinnen und Lehrer entscheiden nach wie vor die Arbeitgeber alleine. Die GEW konnte ihr Ziel, die Bezahlung der Lehrkräfte per Tarifvertrag zu regeln, nicht durchsetzen. Noch immer fehlt eine Entgeltordnung zum Tarifvertrag der Länder (TV-L). Angestellte Lehrkräfte bekommen zwar ein Entgelt nach TV-L. Aber die Kernfrage, welche Tätigkeit welcher Entgeltgruppe zugeordnet ist, ist bis heute nicht tarifvertraglich geregelt. In der Vergütungsordnung des früheren Bundesangestelltentarifvertrages bestimmte eine Vorbemerkung, dass diese »nicht für Lehrkräfte« gilt. Stattdessen legt der Arbeitgeber die Eingruppierung alleine fest. Er orientiert sich dabei am Beamtenrecht und darüber hinaus an weiteren Richtlinien. Die Folge: Lehrkräfte werden vielfach schlechter eingruppiert als andere Akademiker im Öffentlichen Dienst. Und so stehen sich angestellte und verbeamtete Lehrer gegenüber und alle wissen, dass die jetzigen und zukünftigen angestellten Lehrer im Alter viel schlechtergestellt sein werden als alle, die heute verbeamtet sind. So verbeamtet das eine Land, das andere will nur angestellte Lehrer. Auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) verfolgt übrigens bei dieser Frage keine einheitliche Linie. In Thüringen spricht sie sich für die Verbeamtung von Lehrern aus, in Sachsen votiert sie für das Angestelltenverhältnis, seitdem der ehemalige sächsische Kultusminister Wöller angekündigt hat, er wolle beamtete Lehrer aus Bayern in Mangelfächern nach Sachsen locken, das bisher seine Lehrer aus gutem Grund nicht verbeamtet hat, und so eine Zweiklassengesellschaft in den Schulen verhindern.
Im Oktober 2011 erlebte dieser Konflikt seine Fortsetzung im Bereich der Hochschulen, als ein Marburger Chemieprofessor vor dem Bundesverfassungsgericht ein höheres Gehalt einforderte.[12] Er hielt die seit einigen Jahren geltende Regelung mit einem Grundgehalt von unter 4000 Euro und Leistungszulagen von etwa 24 Euro nicht für angemessen. Schuld daran ist die 2005 eingeführte W-Besoldung für Professoren. Sie hat die frühere C-Besoldung abgelöst: Der unaufhaltsame Aufstieg über die Stufen des Dienstalters wurde beendet, stattdessen wurden Leistungszulagen eingeführt – auf der Basis eines deutlich abgesenkten Grundgehalts, das nichts mehr mit dem zu tun hat, was dienstältere Kollegen zurzeit noch verdienen. Bei der mündlichen Anhörung – das Urteil steht noch aus – wiesen die Fragen der Richter allerdings darauf hin, dass sie das neue System für unvereinbar mit den hergebrachten Regeln des Berufsbeamtentums erklären könnten. Verfassungshüter Udo Di Fabio sprach sogar von einer »Kannibalisierung nach unten« – zwischen den Generationen, wie es sie bereits in deutschen Schulen gibt, seitdem die Länder für die Besoldung und Bezahlung ihrer Beschäftigten zuständig sind. In Baden-Württemberg und Bayern erhalten dabei Professoren das höchste Grundgehalt, ihre Hochschulkollegen in Berlin und Hessen das niedrigste. Inzwischen ist das Urteil gesprochen: Der Zweite Senat unter Vorsitz von Andreas Voßkuhle hat klar und deutlich gesagt, dass die derzeitige W-Besoldung verfassungswidrig und nicht ausreichend und vor allem nicht »amtsangemessen« sei und dem Alimentationsprinzip nicht genüge. »Die gewährte Besoldung ist evident unzureichend«, heißt es in dem Urteilsspruch, der weitreichende Folgen haben könnte. Standesvertretungen der Beamten sollten aber nicht zu früh jubeln. Im Zweifelsfall kann der Karlsruher Urteilsspruch für sie auch höchst unangenehme Folgen haben: Mittelfristig wird sich nämlich vielleicht angesichts der klammen Finanzkassen in den Länderhaushalten durchsetzen, dass auch Professoren nicht mehr wie in früheren Jahren verbeamtet werden. Das jedenfalls deutete die hessische Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) als eine erste mögliche Konsequenz aus dem Urteil an. Für öffentliche Angestellte, die netto weniger verdienen und auch im Ruhestand schlechtergestellt sind, gelten die »hergebrachten Grundsätze des Beamtentums«, das Alimentationsprinzip und eine »amtsangemessene Besoldung« nämlich nicht.
So ist der Konflikt mittlerweile auch im Öffentlichen Dienst genau dort angelangt, wo ihn keiner haben wollte – am Arbeitsplatz. In Not leidenden Branchen bieten Gewerkschaftler übrigens – regional unterschiedlich – seit langem von sich aus Öffnungsklauseln an, um Arbeitsplätze zu sichern. Sie fordern dabei ihren eigenen Gewerkschaftsmitgliedern mitunter schmerzhafte Opfer ab. Und im Öffentlichen Dienst darf so etwas nicht passieren? Warum nicht? Weil man glaubt, der Staat könne und werde immer weiterzahlen? Man müsste es mittlerweile besser wissen.