Freitag, 4. Oktober
Etwa 50 Meilen südlich von Kisumu liegt Homa Bay, eine träge kleine Stadt mit Schlaglöcherfahrbahnen, glühender Sonne und einer Atmosphäre, als befinde sie sich unentrinnbar am falschen Ende einer langen Straße. Von Kisumu aus fährt man die meiste Zeit über eine extrem unebene, holprige Schotterfahrbahn, die jedoch in allen Karten als Landstraße ausgewiesen wird. Vor einigen Jahren hat die Weltbank auch Geld dafür gegeben, dass sie befestigt wird. Aber ein Regierungsbeamter beziehungsweise eine Gruppe von Regierungsbeamten befanden, man solle den kenianischen Arbeitern die mühsame Plackerei, unter einer heißen Sonne eine Straße zu asphaltieren, lieber ersparen, und steckten das Geld ein.
So etwas passiert in Kenia nicht selten. Einst ein Musterbeispiel an Ordnung und Korrektheit, herrschen nach 23 Jahren Regierung Daniel arap Moi Missmanagement und Korruption in Reinkultur. Transparency International, eine Organisation, die weltweit Korruption untersucht, stuft es nun als die Nation ein, der man am sechstwenigsten trauen kann.
Nach Kenia kommen nur noch Bangladesh, Nigeria, Paraguay, Madagaskar und Angola. Die BBC behauptet, in einem Jahr seien in Kenia zehn Milliarden Dollar öffentlicher Gelder verschüttgegangen. Zehn Milliarden Dollar! In einem Jahr! Und damit war es nicht einmal an der Spitze der Liste.
Warum Institutionen wie die Weltbank oder der IWF, ganz zu schweigen von unseren eigenen schlafmützigen Regierungen, so etwas durchgehen lassen, ist mir ein ewiges Rätsel, aber es hat unselige Konsequenzen für Gruppen wie CARE. Zunächst einmal bedeutet es, dass sie für viele der Dienstleistungen sorgen müssen, die jede anständige Regierung selbst bereitstellen würde. Des weiteren ist es schwerer, Spenden für die Aufrechterhaltung dieser Dienstleistungen zu beschaffen, denn viele Leute glauben, dass alles Geld, das nach Afrika geschickt wird, doch nur in die Taschen von Despoten wandert. Wenn Ihnen das irgend jemand irgendwann einmal zu sagen wagt, müssen Sie ihm etwas ins Auge rammen, das mindestens so groß wie ein Billard-Queue ist. Denn es stimmt nicht. Geld, das man CARE – und Oxfam und Save the Children und unzähligen anderen Organisationen – gibt, geht nicht über korrupte Mittelsmänner. Es fließt direkt in die Projekte.
Im übrigen sind im Dezember Wahlen und Moi muss abtreten. Offenbar hofft man allenthalben, dass mit einer neuen Regierung alles besser wird. »Schlechter kann es jedenfalls nicht werden«, wurde mir mehrfach gesagt.
»Es geht gar nicht darum, riesige Geldsummen auszuschütten, sondern darum, kleine Beträge intelligent zu verteilen«, sagte mir Phillip Makutsa, einer von CAREs Projektleitern in der Provinz Nyanza im Westen Kenias, als wir über unvermindert holprige Straßen in das Dorf Ogongo Tir am Rand des Lambwe-Tals fuhren. Er erklärte mir CAREs neue Richtlinien, die im wesentlichen zweierlei beinhalten. Wenig muss viel bewirken und Hilfe zur Selbsthilfe führen.
»Manchmal geht es um Banalitäten wie die Verkleinerung der Öffnungen von Gemeinschaftswassercontainern, damit die Leute die Hände nicht mehr ins Wasser stecken und es aus Versehen verseuchen«, sagte Phillip. »Allein diese kleine Maßnahme hat dafür gesorgt, dass die Durchfallerkrankungen um 85 Prozent zurückgegangen sind«, fuhr er strahlend fort. Und als wir in Ogongo Tir ankamen, sagte er: »Hier werden Sie sehen, was ich meine.«
Ogongo Tir ist ein weit auseinander gezogenes Dorf in einem grünen Tal, das sich dank CARE eines neuen Brunnens rühmen kann. Den wollten wir uns anschauen. Sicher, er war kein Weltwunder, sondern eine einfache Pumpe mit langem Schwengel, wie man sie immer noch auf vielen Campingplätzen findet. Mein Großvater hatte so eine auf seiner Farm in Iowa und sie stammte ungefähr aus dem Jahr 1900. Der Brunnen hier war also kaum auf dem neuesten Stand der Technik. Was aber hat er nicht alles für die 321 Haushalte in Ogongo Tir bewirkt!
Wenn die Frauen nämlich bisher, erzählte mir einer der Dorfältesten, bei Trockenheit oder in der Trockenzeit Wasser holen wollten, mussten sie zu einer Quelle auf einem steilen, weit entfernten Berg, sieben Stunden hin- und zurücklaufen. Sie brachen um drei Uhr nachts im Dorf auf, damit sie rechtzeitig wieder zurück waren, um ihre sonstigen Aufgaben zu erledigen. Weil es so weit war, konnte keine Frau mehr als einen Kanister mit knapp 20 Litern tragen.
Jetzt müssen die Dörfler nur noch zu einer Lichtung am Dorfrand, um sich ausreichend gesundes, sauberes Wasser zu holen. Das ist eine so tolle Sache für sie, dass sie alle kamen, um uns zu begrüßen. Kinder sangen Lieder und die Alten hielten Reden. Lange Reden. Flammende Reden. Reden in Swahili und Reden in Englisch. Diese Menschen nahmen es mit der Dankbarkeit sehr ernst.
»In unserer Vorgehensweise hat sich viel geändert«, erzählte Nick bei einer Besichtigungstour durch einen Gartenbaubetrieb in der Nähe, in dem dank des Wassers aus dem Brunnen sogar jetzt in der Trockenzeit Gemüse wuchs.
»Früher haben wir für ein Dorf einen Brunnen gebaut oder sonst eine Verbesserungsmaßnahme durchgeführt und sind dann woanders hingegangen. Wenn irgendwann die Pumpe kaputtging oder etwas anderes nicht funktionierte, wussten die Leute nicht, was sie machen sollten. Sie kamen zu uns und baten uns, es zu reparieren, weil sie den Brunnen als unseren betrachteten. Jetzt helfen wir ihnen zwar, das Ding zu bauen, dann aber übernimmt das Dorf die gesamte Verantwortung dafür. Es bildet ein Komitee und betreibt ihn wie ein Geschäft. Man erhebt von jedem, der sich Wasser holt, eine kleine Gebühr, sodass man Rücklagen hat, wenn man ihn reparieren oder schließlich sogar einen neuen Brunnen graben muss.«
»Und klappt es?«,fragte ich.
»Überall, wo wir so vorgegangen sind, hervorragend. Es ist schon erstaunlich, wie lange die Hilfsorganisationen gebraucht haben, um zu kapieren, dass die Leute tatsächlich nicht abhängig sein wollen. Sie wollen sich selbst helfen.«
»Das ist ja nur normal«, bemerkte ich altklug.
»So ist es«, stimmte er mir zu.
Wir gingen zu unseren Fahrzeugen zurück und fuhren tiefer in das anmutige, breite Lambwe-Tal hinein. Schließlich hielten wir an einer kleinen Farm, wo wir einen liebenswürdigen, fleißigen jungen Farmer kennen lernten. William Gumbo besitzt vier Morgen gutes, aber semi-arides Land in einer herrlichen Umgebung mitten im Tal. Sie erinnerte einen geradezu gespenstisch an die Toskana oder die Provence – eine trockene, warme Landschaft voll schimmernder Schönheit. Jammerschade, dass Sie William Gumbo nicht auch kennengelernt haben, denn es war eine Freude, ihm zuzuhören.
Bis 1999 erwarb er sich einen kümmerlichen Lebensunterhalt mit dem Anbau von Mais und Hirse und dem Züchten von ein paar Hühnern. Dann traten CARE in sein Leben und das Dak Achana-Programm (Swahili für »gesundes Wirtschaften«). Man brachte ihn mit ein paar Agrarexperten zusammen, die ihm zeigten, wie er seine Ernteerträge steigern und seine Anbaufrüchte diversifizieren konnte. Heute betreibt er eine Musterfarm, ein vier Morgen großes, üppiges grünes Paradies inmitten eines großteils trockenen, kahlen Tals. Er zieht Erbsen, Tomaten, Bananen, Ananas, Maracujas, Mangos und vieles andere mehr. Lediglich mit Süßkartoffeln hatte er kein Glück. Vieh brach durch einen Zaun und futterte sie auf.
William Gumbo liebt seine Farm. Er hat immer eine dicke Kladde bei sich, in die er jedes Detail aus dem Leben seiner Pflanzen einträgt. Fragt man ihn nach seinen Bananenstauden, blättert er die Kladde durch, sagt, dass er 310 am 20. April 2001 gepflanzt hat, und zeigt einem wöchentliche Aufzeichnungen über ihre Entwicklung. Alles züchtet er aus Samen oder Ablegern. Nichts kommt vorgezogen aus einem Topf. Er macht alles selbst.
Auch ein Eukalyptuswäldchen, insgesamt 1200 Bäume, hat er aus Samen gezogen. Nach eineinhalb Jahren sind sie schon 4,50 Meter hoch. In weiteren eineinhalb Jahren hat er hervorragendes Nutz- und Bauholz. Wenn er auf der Fläche Mais angebaut hätte, hätte er in drei Jahren etwa 16.000 kenianische Shilling erlöst. Mit dem Eukalyptus kann er in der gleichen Zeitspanne bis zu 200.000 Shilling Einnahmen erzielen – mehr als 2.500 $, eine für die meisten kenianischen Farmer utopische Summe.
Der Verkauf von frischen Fischen aus dem Viktoriasee auf dem Markt in Kisumu wurde ebenfalls durch das Wedco-Programm ermöglicht
Die von CARE angeschaffte Pumpe bringt sauberes Trinkwasser in das Dorf bei Homa Bay.
William Cumbo, Landwirt
Ziel des Projekts war es, dass CARE zunächst Gumbo hilft, eine Musterfarm zu errichten, und dann woanders tätig wird. Gumbo wiederum sollte seinen Nachbarn beibringen, was er gelernt hat. Bisher hat er 300 anderen Farmern im Distrikt geholfen.
Dabei ist es nicht leicht, im Lambwe-Tal zu leben und zu arbeiten. Es ist schon lange berüchtigt, weil es zu den schlimmsten Tsetsefliegen-Gebieten in Ostafrika gehört. Die Fliegenpopulationen haben zwar in den letzten Jahren deutlich abgenommen, doch es fallen ihnen immer noch eine erkleckliche Anzahl Tiere zum Opfer. Außerdem gibt es im Tal immer wieder schreckliche Dürreperioden. Damals, Anfang Oktober, hatte es schon seit mehr als fünf Monaten nicht mehr geregnet, die Landwirtschaft ist hier also immer ein mühsames Geschäft. Auch wenn alles gut läuft, bleibt William Gumbo arm. Sein Haus hat einen Lehmboden, und bis er sich den Luxus von Florteppichen leisten kann, wird es eine Weile dauern. Aber wahrscheinlich wird er genug verdienen, um seinen Kindern Schuluniformen zu kaufen – unabdingbare Voraussetzung zum Besuch selbst staatlicher Schulen in Kenia – und Schulbücher, Bleistifte oder ein Geburtstagsgeschenk.
In einem Satz: William Gumbo ist glücklich, und er hat eine Zukunft. Darauf hat doch sicher jedes Menschenwesen ein Anrecht.