Donnerstag, 3. Oktober

 

Und nun ging’s in den Westen Kenias. Frohgemut brachen wir in aller Frühe auf nach Kisumu, Kenias drittgrößter Stadt, am Ufer des Victoriasees. Sie liegt nur etwa 300 Kilometer westlich von Nairobi, doch über weite Strecken sind die Straßen mit Schlaglöchern übersät und so langsam, dass wir mit fünf Stunden Fahrzeit rechneten. Mir war das egal. Uns allen war das egal. Wir waren einen Meter zwanzig über dem Erdboden und voll und ganz damit zufrieden.

Die Landschaft war grandios: grasbewachsen und grün mit weiten Blicken auf den zerklüfteten Mau Escarpment in der einen Richtung und auf die grünen Hügel des Aberdare Nationalparks und des zentralen Hochlands zur anderen und das alles unter einem unendlichen blauen Himmel und glühender Sonne.

An den Hängen zum Ostafrikanischen Graben hin befanden sich in Abständen geräumige Rastplätze, an denen man anhalten und die Aussicht genießen konnte und auf denen fünfzehn, zwanzig trostlose Kitsch- und Andenkenbuden auf Kunden warteten, die jetzt fast nie mehr kommen. Aber die Tiere der Wildnis tummelten sich dort: Pavianfamilien verspeisten totgefahrenes Viehzeugs am Straßenrand, überall in der Savanne sahen wir Impala- und Zebraherden und die Salzseen waren besetzt von Tausenden leuchtend rosafarbener Flamingos. Kein Zweifel, wir waren in Afrika.

Kisumu zeichnet sich dadurch aus, dass es die ärmste Stadt Kenias ist. Fast die Hälfte der Menschen dort lebt von fünfzig Cents am Tag und noch weniger. Komischerweise sah es wohlhabender aus als viele andere Orte, an denen wir gewesen waren. Es hatte ein schickes, modernes Geschäftszentrum und ziemlich viele hübsche Häuser. Und man sah mehr Fahrräder und weniger Straßenkinder.

Wir wollten uns die Arbeit von Wedco anschauen, einer kleinen Bank – Mikrofinanzinstitut ist der offizielle Begriff –, deren Tätigkeit in der Region zu den großen Erfolgsgeschichten von CARE gehört. Seit 1989 gibt Wedco Kleinkredite an Gruppen von Frauen, meist Markthändlerinnen, die bis dahin so gut wie keine Chancen hatten, Darlehen zu bekommen. Ungefähr ein halbes Dutzend Händlerinnen schließen sich zu einem Verein zusammen, leihen sich eine geringe Summe, teilen sie unter sich auf und können ihr Geschäft auf die eine oder andere Weise ausbauen. Durch die Konstruktion mit dem Verein soll das Risiko gestreut werden. Viele Leute fanden es ein bisschen verrückt, sich ausschließlich auf Frauen zu beschränken, doch es war ein Riesenerfolg.

»Unsere Frauen sind sehr pfiffig und arbeiten sehr hart«, lachte Peres Oyugi, Kisumus Zweigstellenleiterin, als wir zum Jubilee Market in der Stadt fuhren, um etwas von dem Wedco-Geld in Aktion zu sehen. Vor zehn Jahren, erzählte sie mir, verzeichnete Wedco in seinen Büchern Kreditvergaben von 18 Millionen kenianischen Shilling – etwa 250.000 US-$. Heute beträgt das Volumen fast das zehnfache, 175 Millionen Shilling; allein in Kisumu hilft die Bank mehr als 200 Gruppen und in der Region gibt es weitere sieben Zweigstellen.

Der Jubilee Market ist fantastisch: voll, laut, kunterbunt, mit großen offenen Hallen, die sich auf frischen Fisch, getrockneten Fisch, Gemüse, Nüsse und andere landwirtschaftliche Produkte spezialisieren. Ich habe noch nie solch köstliche Waren so schön dargeboten gesehen. Jeder Stand war ein Bild des Wohllebens und der Opulenz, jede Erdnuss, jede Tomate und jede Chilischote einzigartig hübsch arrangiert und farbenprächtig. Unglaublich, dass so arme Menschen in solcher Hülle und Fülle schwelgten. Ich fragte Adam Koons, den CARE-Beauftragten in Westkenia, ob es so gut war, wie es aussah.

»Oja«,erwiderte er. »Meine Frau und ich kaufen auch hier ein. Kenianer haben nicht viel Geld, aber beim Essen sind sie sehr pingelig.«

Hinter den Haupthallen für Lebensmittel befand sich eine Art Basar mit winzigen Läden – eigentlich nur Kabuffs in dunklen Gassen, in denen, von Stoffballen bis zu kleinen Elektrogeräten, alles feilgeboten wurde. Dort lernte ich einige von Wedcos munter prosperierenden Klienten kennen, unter anderem eine freundliche, aber müde aussehende Frau namens Consolata Ododa. Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Restposten, kleinen Dingen: Batterien, Taschenlampen, Plastikbrieftaschen, Schlüsselringen, Spielkarten. Wie alle Frauen in ihrer Gruppe arbeitet sie sieben Tage die Woche, zwölf Stunden am Tag und geht dann nach Hause und kocht das Abendessen für die Familie. Also nicht gerade ein Luxusdasein. Alle zwei Wochen fährt sie mit dem Nachtbus nach Nairobi, kauft neue Waren und kommt rechtzeitig zurück, um ihren Stand am nächsten Morgen ein wenig später als sonst wieder aufzumachen. An dem Tag war sie gerade von der Fahrt zurück und deshalb, erzählte sie mir, »ein bisschen müde«. Mit der ganzen Arbeit macht sie einen durchschnittlichen Umsatz von 3000 Shilling am Tag – ungefähr 30 $ –, von denen sie Miete, Strom, Steuern sowie Raten plus Zinsen für den Kredit bezahlen muss. Für ihren Zwölfstundentag verdient sie normalerweise sechs bis sieben Dollar – wohl kaum ein fürstliches Salär, aber mehr, als sie je zu träumen gewagt hätte, bevor Wedco in ihr Leben trat. Durch solche Maßnahmen wird das Leben der Menschen Schritt für Schritt besser.