XIV

Die Besatzer flüchten – Die Alliierten bleiben aus – Die Eisenbahner streiken – Rhein-Übergang misslingt – Wieder unter deutscher Gewalt

4. bis 24. September 1944

Wie nie zuvor in den vergangenen viereinhalb Besatzungsjahren ist Amsterdam am Abend des 4. September 1944 eine geteilte Stadt. Die Amsterdamer hängen am Radio und können gar nicht genug bekommen von den optimistischen Berichten aus London über die Offensive der Alliierten im Süden. In den dunklen Straßen rufen sich die Menschen die guten Nachrichten zu. Die Journalisten in den Amsterdamer Redaktionen der illegalen Zeitungen schreiben unter Hochdruck die Texte für die Extrablätter zur Befreiung. Währenddessen verhängt der oberste deutsche Besatzer, Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart, über Amsterdam den Ausnahmezustand. Jeder muss weiterhin seine Arbeit tun; auf feindliche Aktionen stehen schwere Strafen; das Ausgangsverbot wird auf 20 Uhr vorgezogen. Und »Flüchten ist verboten.«

Was für eine absurde Umkehrung der aktuellen Verhältnisse. Es sind die Amsterdamer, die darauf brennen, endlich wieder ihre Stadt in Besitz zu nehmen, und im Traum nicht ans Flüchten denken. Es sind die Besatzer, die am Abend des 4. September, einem Montag, fluchtartig die Hauptstadt verlassen. Die Mitarbeiter in den Amsterdamer Büros der deutschen militärischen und zivilen Institutionen raffen hastig die Aktenbestände zusammen, Lastwagen und Autos werden vollgeladen und fahren kolonnenweise in Richtung Osten, von Wagen mit Geschützen begleitet. Kein »grüner« deutscher Polizist zeigt sich mehr auf den Straßen.

5. September – Amsterdam ist wie ein Bienenhaus. Dass die verhassten Besatzer fliehen und sich dafür auch noch städtische Busse nehmen, kümmert die Amsterdamer nicht. Sie strömen, Blumen im Arm, niederländische Flaggen in den Händen und überall die Farbe Orange, auf die Straßen und in Richtung Westen, denn aus Haarlem sollen die Alliierten in die Stadt marschieren. In den Auslagen der Geschäfte liegen Fotos von Königin Wilhelmina. Die Flugblätter der illegalen Zeitungen, die an diesem Morgen in Amsterdams Straßen verteilt werden, feuern die Hochstimmung der Bevölkerung weiter an und geben konkrete Empfehlungen für einen festlichen Empfang der Befreier. Es ist in vieler Hinsicht ein »doller« (verrückter) Dienstag.

»Die Befreiungsarmeen haben die Grenze überschritten!« heißt der Titel des Flugblattes von Het Parool. »Breda, Tilburg, Roosendaal und Maastricht sind schon befreit! Die glorreiche Deutsche Wehrmacht ist geschlagen und auf der Flucht.« Es sei der Augenblick gekommen, eine binnenländische Armee zu formen: »Waffen bekommen wir von unseren Bundesgenossen; die Flugzeuge der RAF (die britische Luftwaffe) werfen Gewehre, Munition, Geschütze im ganzen Land ab. Als allgemeines Erkennungszeichen gilt ein Band am Handgelenk mit der Aufschrift »Oranje«. Ausdrücklich wird vor »wilden Rachemaßnahmen« gewarnt: »Über alle Verräter, Spione, Nazi-Helfer und Handlanger des Feindes wird streng Recht gesprochen werden.« Wenn die Tanks der Bundesgenossen in die Stadt einfahren, sollen die Bewohner ihnen Flankendeckung geben, damit sie sicher sind vor zurückgebliebenen Nazi-Truppen: »Und sobald sie hereinfahren, hängt überall die Fahnen raus!« Im letzten Absatz wird gewarnt: »Passt auf die NSBler auf, die Verräter und heimtückischen Leute …«

Nicht nur die deutschen Besatzer, auch ihre niederländischen Handlanger und Gesinnungsgenossen fühlten sich in Amsterdam ihres Lebens nicht mehr sicher. Nur weg, hieß an diesem Dienstag die Devise derer, die in der Hauptstadt als NSBler bekannt waren. Sie wussten, dass der Wunsch der allermeisten Amsterdamer, die niederländischen Nazis am höchsten Baum aufzuhängen, kein Witz war. Am Morgen machten erste Gerüchte die Runde: In der Prinsengracht seien Amsterdamer Nationalsozialisten ertränkt worden; NSBler würden belastendes Material in die Grachten werfen und in ihren Parteibüros verbrennen.

Was kein Gerücht war: Tausende von Frauen, durch ihre Ehemänner oder als Parteifunktionärinnen mit der NSB verbunden, machten sich am Dienstagmorgen mit Sack und Pack, die Kinder an ihrer Seite, auf zum Amsterdamer Hauptbahnhof. Die Besatzer hatten 25 Züge versprochen, mit denen Frauen und Kinder – nicht die Männer – aus der Stadt und in Sicherheit gebracht werden sollten.

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5. September 1944: am »dollen Dienstag« flüchten deutsche Soldaten und NSBler aus der Stadt

Am Bahnhof mussten sich die Flüchtenden den Weg durch eine johlende Menge bahnen; der Hass war mit Händen greifbar. Nach stundenlangem Warten auf dem Bahnsteig wurde klar: Heute kommt kein Zug mehr. Es galt, irgendwo in Bahnhofsnähe eine Schlafgelegenheit zu suchen. Am nächsten Tag, dem 6. September, fuhren die Sonderzüge in die Centraal Station ein und wurden gestürmt. Zurück auf dem Bahngleis blieben Schreibmaschinen, Büromaterial, Hausrat und sogar Hühnerkäfige. Unterwegs auf dem platten Land Richtung Osten wurden einige Züge, in denen uniformierte deutsche Soldaten für Ordnung sorgten, von alliierten Flugzeugen im Tiefflug beschossen. Stopp, alle raus, neben den Gleisen in Deckung gehen. Man zählte dreißig Tote.

Insgesamt brachten 31 Züge bis zum 9. September rund 6500 Familienmitglieder von NSBlern aus Amsterdam heraus: die Hälfte von ihnen in den »Gau Osthannover«, in die Lüneburger Heide, die andere Hälfte nach Nord- und Ost-Holland. Viele Züge fuhren ohne Halt direkt an ihr Ziel. Doch in den ersten Tagen der Flucht machten rund 5000 Menschen aus dem Umkreis der Amsterdamer Nationalsozialisten einen makabren Zwischenstopp. Sie landeten im Lager Westerbork, wo es noch einige hundert jüdische Gefangene gab, die man in einem kleinen Teil hinter Stacheldraht zusammengedrängt hatte. Die »Sternträger«, immer noch von Deportation in den Osten bedroht, mussten Platz machen für die »Herrenmenschen« auf der Flucht.

Zurück zum 5. September, der als »verrückter Dienstag« (dolle dinsdag) in die niederländischen Geschichtsbücher eingegangen ist. Die Amsterdamer standen an den Ausfallstraßen Richtung Haarlem, versammelten sich am Dam in der Innenstadt und warteten geduldig, Stunde um Stunde. Die Gerüchte über die Ankunft der ersehnten alliierten Soldaten jagten sich: Sie sind schon in Den Haag, um halb drei Uhr angeblich in Leiden. Zur gleichen Zeit wurden in den Straßen Amsterdams immer noch Möbel und Archive von den Deutschen in Wagen geschleppt und eilends weggefahren. Irgendwann ließen die Begrüßungsblumen für die Befreier ihre Köpfe hängen. Die Nationalflaggen spendeten auch keinen Trost. Die Soldaten der Alliierten, ihre Panzer und Geschützwagen, blieben aus.

Was die Menschen um diese Zeit nicht wussten: Die optimistischen Nachrichten von Radio Oranje über den Kriegsverlauf am Montagabend entsprachen nicht den Realitäten. Das Flugblatt von Het Parool am Dienstagmorgen verbreitete falsche Nachrichten: Die niederländischen Städte Tilburg, Roosendaal und Maastricht waren von den Alliierten nicht erobert worden, die deutsche Wehrmacht noch nicht geschlagen. Das Hochgefühl der Widerstandskämpfer und die sehnsüchtige Erwartung der Amsterdamer, endlich von den Besatzern erlöst zu werden, ist nachvollziehbar. Zumal die Entfernung Amsterdam-Antwerpen, wo die Amerikaner am 3. September einmarschiert waren, gerade mal 160 Kilometer beträgt.

Doch dies war ein Krieg wie keiner zuvor, und die Flucht der Deutschen aus Amsterdam täuschte. So sehr die Gesamtkonstellation an den Fronten im Osten und Westen Europas eine militärische Niederlage der Deutschen mit Gewissheit vorhersagen ließ, Hitler und seine Mitstreiter, auch die Generäle der Wehrmacht, waren entschlossen, weiterzukämpfen bis zum Letzten. Und, wenn es dahin käme, die besetzten Gebiete mit in den Untergang zu ziehen. Außerdem war die geografische Situation sehr kompliziert. Zwischen Amsterdam und den Armeen der Westmächte an der Grenze zwischen Belgien und den Niederlanden lagen die großen Flüsse Waal und Lek, hinter denen sich die deutschen Soldaten wie in einer Festung eingeigelt hatten. Die Befreier konnten nicht einfach übers platte Land nach Norden durchmarschieren.

6. September – Die widersprüchlichen Szenen in der Stadt nehmen zu. Unter dem Schutz der Amsterdamer Polizei treffen sich in der Polizeizentrale in der Marnixstraat drei Widerstandskämpfer als Vertreter der unterschiedlichen Organisationen – ein Gärtnereiarbeiter, den seine streng calvinistische Überzeugung in den Widerstand führte, ein ehemaliger Spanienkämpfer, ein Jude, und ein früherer höherer Polizeibeamter. Ernüchtert stellen sie fest, dass sie sich auf gerade einmal vierzig bewaffnete Männer verlassen können, falls man den alliierten Soldaten die Aufgabe erleichtern und die Deutschen selber aus der Hauptstadt vertreiben will.

Derweilen halten die Reste der Wehrmacht zusammen mit der niederländischen Landwehr in den Straßen Amsterdams weiterhin Autos, Lastwagen und Fahrradfahrer an; die Besitzer müssen aussteigen beziehungsweise absitzen und zu Fuß weitergehen. Den Besatzern mangelt es offensichtlich an Fortbewegungsmitteln aller Art. Wenig später werden von den Deutschen die Unterstellräume in Amsterdam aufgebrochen und alle Fahrräder mitgenommen. Sportveranstaltungen und Festivitäten sind abgesagt.

Die Situation ist unklar, schwer durchschaubar. Viele Amsterdamer geben die Hoffnung nicht auf, dass es nur eine Sache von Tagen sein kann, und die Stadt, allen Verzögerungen zum Trotz, befreit wird. Der Lehrer Hendrik Jan Smeding gehört nicht zu den Optimisten. In seinem Grachtenhaus schreibt er am 6. September, es ist ein Donnerstag, ins Tagebuch: »Was für ein entsetzlicher Kater – wieder einmal ist nichts von allem wahr! Können wir denn selbst dem Englischen Rundfunk und seiner Berichterstattung nicht mehr trauen? … Alles war wieder nur ein Märchen: die Befreiung durch die amerikanischen Panzer, die wie Gondeln über die Flüsse kommen sollten; die angeblich befreiten Gefangenen in den Lagern; die Fahnen und die Stimmung wie am Königinnen-Tag. Stattdessen sitzen wir abends wieder ab acht Uhr zuhause, hören die Stiefel auf das Pflaster knallen, und bekommen das beängstigende Gefühl, dass es sehr wohl noch viele Wochen dauern kann.«

Am Wochenende nach dem hoffnungsvollen verrückten Dienstag patrouilliert schon wieder deutsche Polizei, fahren die »Grünen« mit ihren Wagen wieder durch die Straßen von Amsterdam. Die Besatzer sind in ihre Büros zurückgekehrt, die deutschen Soldaten in ihre Unterkünfte. Über die gleichgeschalteten Zeitungen rufen die städtischen Energiebetriebe dazu auf, Gas und Elektrizität äußerst sparsam zu nutzen. Die Straßen werden nicht mehr mit Wasser gesäubert. Die Straßenbahnen fahren morgens von halb sieben bis um zehn Uhr und nachmittags von vier bis sieben Uhr. Das Rijksmuseum und andere Museen müssen schließen. Resignierender Tagebucheintrag am Montag, dem 11. September: »Niedergang, Schrumpfen, der Weg in die Düsternis, Stillstand, Stille und Tod.« Nach der Hochstimmung, dem Aufschwung der Gefühle wieder ein Absturz. So viele Male haben es die Amsterdamer schon erlebt, und doch löst das radikale Auf und Ab immer von Neuem tiefe Enttäuschung aus. Jedes Mal fällt der Pegel der Hoffnung.

Was nicht nach außen dringt: Am 11. September erhält der deutsche Sicherheitsdienst (SD) aus Berlin den ausdrücklichen Befehl, beim Aufspüren von Widerstandskämpfern und illegalen Treffen die »Zusammenkünfte rücksichtslos zu sprengen und die Teilnehmer niederzumachen«. Der Amsterdamer SD-Chef Willy Lages jedoch darf gemäß seiner Strategie weiterhin Widerständler bei ihrer Entdeckung nicht »niedermachen«, sondern als Gefangene in der Weteringschans festhalten, um sie »bei Bedarf« erschießen zu lassen.

Bei ihrem alltäglichen Terror hingegen machen die deutschen Kommandos zunehmend kurzen Prozess. Am 11. September werden drei Amsterdamer, der Widerstandsarbeit verdächtigt, am Stadtrand nahe dem südlichen Amsteldijk am Zuidelijke Wandelweg erschossen. Als ein Überfalltrupp der deutschen Polizei zwei Tage später in der Reformierten Kirche an der Keizersgracht Waffen findet, werden der dienstälteste Prediger, 68 Jahre, und der Küster, 49 Jahre, auf der Stelle erschossen. Am 14. September wird zwar Maastricht im südöstlichen Zipfel der Niederlande von den Alliierten befreit, in Amsterdam jedoch haben sich die Besatzer endgültig wieder festgesetzt. Ihre Jagd nach Fahrrädern wird immer hektischer. Und auch die Jagd auf Menschen nimmt noch zu.

Am 16. September gibt Hanns Albin Rauter der deutschen und der niederländischen Polizei den Befehl, alle »herumlungernden jungen Männer« aufzugreifen und zum Arbeitsdienst abzuführen. Die Besatzer brauchen dringend Arbeitskräfte, um auch in den Niederlanden den sogenannten »Westwall« auszubauen. An dieser Festungslinie aus Bunkern und Betonhindernissen entlang der Nordsee-Küste soll eine weitere mögliche Invasion der Westmächte scheitern. In verschiedenen Stadtteilen Amsterdams erscheint massiv deutsche Polizei und niederländische Landwehr, sperrt Straßen ab, und macht Razzien auf arbeitstüchtige Männer.

17. September, Sonntag – Am Vormittag breitete sich in den Amsterdamer Gottesdiensten Panikstimmung aus. Das Gerücht ging um, die Polizei werde die Kirchen absperren, um von den Kirchenbänken weg junge Männer für den Arbeitsdienst zu verhaften. Doch nichts dergleichen geschah. Plötzlich am frühen Nachmittag wieder eine Neuigkeit, die wie ein Lauffeuer durch die Stadt eilte. Und sie wischte augenblicklich alle Ängste fort: »Operation Market Garden« hieß die Aktion der Alliierten, die am Mittag dieses Tages buchstäblich aus heiterem Himmel zur Befreiung der westlichen Niederlande begonnen hatte.

Soldaten britischer Fallschirmtruppen sprangen zu Tausenden bei Arnhem, Eindhoven und Nijmwegen aus den Flugzeugen der Royal Airforce. Ihre Aufgaben: die Brücken über Maas, Waal und Rhein zu erobern, Brückenköpfe zu bilden und zu halten, bis britische und amerikanische Soldaten auf dem Landweg von Süden her dazustoßen konnten. Strategisches Ziel war es, den Rhein zu überschreiten, in einer schnellen Offensive ins Ruhrgebiet vorzustoßen und so die 15. Deutsche Armee in den Niederlanden von allen Verbindungen ins Reich abzuschneiden, einzukesseln und zur Aufgabe zu zwingen.

Gegen 19 Uhr am Abend des 17. September gelang es Amsterdamer Widerstands-Experten, ein Telegramm vom niederländischen Nachrichtendienst in London zu entschlüsseln: »Die Kinder von Versteeg können unter die Decke.« Zeitgleich hörten die Amsterdamer über die BBC einen Aufruf der niederländischen Exilregierung an alle niederländischen Eisenbahner, sofort in den Streik zu treten, um die neue militärische Offensive der Anti-Hitler-Koalition zu stützen. Um 20 Uhr folgte der gleiche Aufruf über Radio Oranje. Und nichts anderes signalisierte die verschlüsselte Meldung des Nachrichtendienstes, denn »Versteeg« war das Pseudonym für den Direktor der Niederländischen Eisenbahn, dessen »Kinder« – die Eisenbahner – sich von ihrer Arbeit zurückziehen, also streiken, sollten. Und es bedeutete zugleich: unterzutauchen, denn auf Streik stand nach den Verordnungen der Besatzer die Todesstrafe.

Der Streikaufruf war ein voller Erfolg. In Amsterdam verließen noch in der Nacht 3000 Eisenbahner ihre Familien und ihre Wohnungen und tauchten unter; im ganzen noch besetzten Holland waren es insgesamt 30000 Mann. Die Besatzer sorgten dafür, dass umgehend keine Gehälter, Zahlungen und Zuschüsse an die Beschäftigten der Eisenbahn und ihre Familien mehr ausgezahlt wurden. Wieder einmal erwies sich Wally van Hall mit seinen Verbindungen im Untergrund, seinen Ideen und seiner unerschütterlichen Zuversicht als eine der wichtigsten Stützen im Widerstandskampf. Obwohl der Streik als Überraschung kam, konnte er nach wenigen geheimen Sitzungen in Amsterdam dem Koordinierungs-Komitee schon am 21. September mitteilen, dass für die illegalen Zahlungen an die Eisenbahner im Untergrund und ihre Familien sofort 100000 Gulden zur Verfügung standen. Der Nationale Unterstützungsfonds würde die Finanzierung des Streiks in den kommenden Wochen übernehmen.

Aber den Zerstörungen, mit denen die Besatzer mögliche Angriffe der Alliierten auf die Hauptstadt erschweren und die Moral der Amsterdamer brechen wollten, mussten die Widerständler ohnmächtig zusehen. Am 18. September machten die Deutschen in Schiphol die Start- und Landebahnen unbrauchbar; wichtige technische Installationen des Flughafens wurden gesprengt und in Brand gesteckt. Am 20. und 21. dröhnten den Amsterdamern die Sprengungen im Ohr, mit denen im Hafen über 200 Kräne und die Kaimauern zerstört wurden. Die Rauchwolken waren weithin sichtbar. Die Werften wurden zertrümmert. Was noch brauchbar und nicht längst geraubt war, wurde in Eile nach Deutschland abtransportiert.

Neben dem Ortskommandanten für Amsterdam wurde zusätzlich ein Kampfkommandant eingesetzt. Am Museumsplein, ohnehin seit Frühjahr 1943 verbarrikadiert, erweiterten die Deutschen den Bunker, und alle Absperrungen wurden verdoppelt. Die Menschen in der Hauptstadt sollten sehen, dass die Deutschen die »Festung Amsterdam« auf Biegen und Brechen verteidigen werden. Die Operation Market Garden hatte einen dramatischen Wettlauf um die Zeit ausgelöst.

Wir wissen aus dem Rückblick: Während die Deutschen in Amsterdam demonstrativ eine Politik der verbrannten Erde praktizierten, war dieser Wettlauf schon verloren – für die Alliierten. Die militärische Offensive in Arnhem war in den Anfängen stecken geblieben. Einmal gelandet, kämpften die britischen Fallschirmjäger gegen die deutschen Truppen auf verlorenem Posten, denn die zu ihrer Verstärkung eingeplanten Panzer aus dem Süden trafen nicht ein. Am 21. September ergaben sich die ersten britischen Soldaten. Die wichtige Brücke bei Arnhem konnte nicht erobert werden. Am 24. September, als die Deutschen rund 95000 Bewohner von Arnhem zwangen, die Stadt zu verlassen, weil sie mit den Alliierten sympathisiert hatten, wussten alle Beteiligten: Operation Market Garden war eine katastrophale Niederlage für die Armeen der Westmächte. Beide Seiten hatten in den wenigen Tagen je 1500 gefallene Soldaten zu betrauern.

Wie viel zerstörte Hoffnungen verträgt der Mensch? Wie viel ohnmächtige Wut kann sich ansammeln, bevor es zur Explosion kommt? Wieder sackte die Stimmung der Amsterdamer innerhalb weniger Tage von erwartungsvoller Freude ab in tiefe Resignation. Unterdessen ging der Streik der Eisenbahner weiter. Und auf den Litfaßsäulen der Hauptstadt sprangen den Vorübergehenden in großen Buchstaben die Drohungen der Besatzer in die Augen, falls die Eisenbahner nicht wieder an ihre Arbeit gingen: »Eisenbahnerstreik? Die Folge: Keine Steinkohle – kein Gas – keine Elektrizität – keine Lebensmittel.«