6

Mayas Gefühle waren vollkommen durcheinandergeraten. Innerhalb von wenigen Minuten war sie erst frustriert, dann erregt, als Nächstes mitfühlend und schließlich verärgert gewesen. Und jetzt gerade versuchte sie, ihre Angst in den Griff zu bekommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach war das Feuer in ihrem Motel nichts weiter als ein dummer Zufall. Vermutlich hatten ein paar betrunkene Bootsausflügler, die zu viel Sonne und Alkohol getankt hatten, noch ein paar Joints geraucht, waren dann weggedöst und hatten die glühenden Stummel dabei versehentlich auf den Teppich fallen lassen.

Trotzdem musste sie sich die Frage stellen, ob Logan etwas damit zu tun haben könnte. Die gut zehn Minuten, die sie nach ihrem Besuch der Hotshot-Einsatzzentrale alleine mit Joseph verbracht hatte, reichten aus, um von der Wache zum Motel zu gelangen, Feuer zu legen und ihr dann nachzufahren.

Doch von welchem Standpunkt aus sie die Sache auch betrachtete, sie durfte nicht außer Acht lassen, dass Logan ein Hotshot war. Er gehörte zu den besten. Sie wünschte sich verzweifelt, er möge unschuldig sein.

Doch was, wenn dem nicht so war?

»Ich steige hier aus, danke«, sagte sie und zog am Griff, doch dank der automatischen Verriegelung blieb die Tür verschlossen. Sie hielten gerade an einer roten Ampel, und obwohl sie noch einen ganzen Häuserblock vom Motel entfernt waren, wollte sie unbedingt aus diesem Wagen raus. Sofort. Sie hatte mehr als genug Adrenalin im Körper, um die restliche Strecke zu rennen.

»Warte noch, wir sind in dreißig Sekunden da«, lautete seine Antwort.

Als sie auf den Parkplatz fuhren, drückte sie auf jeden einzelnen Knopf an der Beifahrertür, bis das Schloss schließlich aufschnappte. Sie griff sich ihre Tasche und ihre Ausrüstung und war bereits aus dem Truck gesprungen, noch bevor er vollständig zum Stehen gekommen war. Nur Sekunden später war auch Logan ausgestiegen und heftete sich ihr an die Fersen.

Mehrere rot-gelbe Feuerwehrwagen versperrten ihnen die Sicht auf das Motel; sie schloss daraus, dass es sich um ein Feuer der Alarmstufe drei handelte. Vielleicht sogar vier. Das alles stürmte auf sie ein, und einen Moment lang wünschte sie sich, sie könnte dem Feuer für immer den Rücken kehren. Es hatte ihr Leben zerstört, und trotzdem musste sie sich ihm immer wieder stellen.

Einer der Feuerwehrmänner drehte sich gerade um und wurde auf sie aufmerksam. »Hey, Logan, dich hätte ich hier nicht erwartet. Draußen in der Desolation Wilderness tobt doch ein Flächenbrand.«

»Den wird meine Mannschaft bis heute Abend unter Kontrolle haben, Bob. Was ist denn hier los?«

Maya stockte der Atem, während sie auf die Antwort wartete. Sie musste unbedingt wissen, ob es sich um einen zufälligen Brand handelte.

Oder ob sie das Ziel eines Anschlags gewesen war.

»Wir haben vor zwanzig Minuten die Nachricht erhalten, dass unter einer der Zimmertüren Rauch hervordringt.«

Maya trat einen Schritt vor. »Welches Zimmer?«

Bob verzog verärgert das Gesicht, weil Maya ihn unterbrochen hatte. Er zeigte mit dem Daumen in ihre Richtung. »Gehört die zu dir?«

Logan nickte. »Cal Fire

Bob riss die Augen auf. »So eine Kacke! Wenn da etwas im Argen liegt, würden wir das gerne erfahren.«

Maya konnte kaum einen frustrierten Aufschrei zurückhalten. »Welches Zimmer?«

Der städtische Feuerwehrmann sah Logan fragend an. »Soll ich es ihr sagen?«

Logan nickte wieder. »Wir müssen es beide wissen.«

»Zimmer 205.«

Sie wurde leichenblass, und jegliches Gefühl wich aus ihren Lippen.

Logan fasste sie am Ellbogen, um ihr Halt zu geben. »Ist 205 dein Zimmer?«

Sie zitterte. Verdammt, sie musste sich zusammenreißen! Und einen Schritt von Logan weggehen. Dann noch einen.

Sie entwand sich ihm und rannte zwischen den Löschfahrzeugen entlang zu der einzigen Person, die nicht in voller Montur war, sondern ein Klemmbrett und ein Funkgerät in Händen hielt. Das musste der Einsatzleiter sein.

»Maya Jackson aus 205. Das ist mein Zimmer, das da gerade brennt. Ich muss wissen, was geschehen ist.«

In dem Moment war ein lautes Krachen aus der Richtung des Gebäudes zu hören, und sie fuhr gerade noch rechtzeitig mit dem Kopf herum, um mit anzusehen, wie das Dach einstürzte. Es fiel direkt auf die Decke des ersten Stocks. Die Feuerwehrmänner gingen weiter ruhig ihrer Arbeit nach, und Maya wünschte sich, sie könnte die Zerstörung, die das Feuer anrichtete, ebenfalls mit mehr Gelassenheit hinnehmen. Aber ihre Arbeit hatte bislang die meiste Zeit vor dem Computer stattgefunden, mit einem Telefon in der Hand oder in geschlossenen Räumen, in denen sie Verdächtige und Zeugen befragte.

Sie konnte den Blick kaum von den Flammen abwenden. Von dem lodernden Chaos.

Der Einsatzleiter musterte sie einen Moment lang prüfend. »Sind Sie mit Tony Jackson verwandt?«

Grundgütiger, wie hatte sie auch nur eine Sekunde lang vergessen können, dass das hier Tonys Einsatzgebiet gewesen war? Er hatte zum Lake Tahoe Fire Department gehört, Einheit drei, und der Einsatzwagen dieser Wache stand nur wenige Meter von ihr entfernt. Tonys Platz wäre eigentlich hier bei diesen Männern gewesen, auf dem Parkplatz oder auch auf dem Dach, auf dem er nach Brandherden gesucht hätte.

Sie nickte, um sich etwas Zeit zu verschaffen; diese Frage hatte sie nicht erwartet. »Ja, das bin ich.«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, was mit Ihrem Bruder passiert ist.« Er streckte die Hand aus. »Patrick Stevens. Ich bin der neue Chief. Ich muss mich entschuldigen, dass ich Ihre letzten E-Mails und Anrufe nicht erwidert habe. In den letzten Wochen war ich vollauf damit beschäftigt, immer auf dem Laufenden zu bleiben. Da Sie gerade in der Stadt sind, könnten wir uns doch mal treffen und über die ganze Situation sprechen?«

Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, das Chaos in ihrem Kopf zu entwirren. Auch das in ihrem Herz. »Ja. Danke! Ich bin nach Lake Tahoe gekommen, um das Feuer in der Desolation Wilderness zu untersuchen«, sagte sie dann um Fassung ringend, und jedes Wort hörte sich in ihren Ohren mechanisch und gestelzt an, »aber sobald das erledigt ist, werde ich gerne bei Ihnen im Büro vorbeikommen.«

Er nickte. »Ich bin froh, wenn ich irgendwie helfen kann. Tony war wirklich ein guter Kerl. Mehr als das. Er fehlt hier sehr.« Er machte eine Pause, offensichtlich nicht sicher, ob er weiterreden sollte.

Hoffnung regte sich in ihrer Brust. »Was ist? Gibt es etwas Neues?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Eigentlich wollte ich gerade sagen, dass alle Anzeichen darauf hindeuten, dass das Feuer, das Tony das Leben gekostet hat, durch einen dummen Zufall ausgelöst worden ist. Das wissen Sie ja bereits, nicht wahr?«

Es war genau so, wie sie befürchtet hatte. Sie wollten den Fall zu den Akten legen.

»Anzeichen reichen mir nicht«, sagte Maya. »Ich brauche Beweise.« Doch auch die würden Tony nicht wieder lebendig machen. Nichts und niemand vermochte das.

In dem Moment trat Logan neben ihnen von einem Fuß auf den anderen, und ihr wurde bewusst, dass er die ganze Zeit über ruhig dort gestanden und alles mit angehört hatte.

Damit, ihre Geheimnisse vor ihm zu verbergen, war es also auch vorbei. Sie hatte nicht gewollt, dass er das mit Tony erfuhr. Wenn zu viele persönliche Informationen in die falschen Hände gerieten, könnte das eine Menge Schaden anrichten. Wer wusste schon, was er als Nächstes vorhatte, jetzt, nachdem er noch mehr gegen sie in der Hand hatte?

Aber anstatt sie nach ihrem Bruder zu fragen, deutete Logan auf die Kiste, die vor Patrick stand. »Ist das alles, was ihr aus Zimmer 205 retten konntet?«

»Ich fürchte, ja«, antwortete Patrick. »Der Rest von Ihrem Gepäck ist verbrannt, Miss Jackson.«

Maya hockte sich hin, um sich den Inhalt des Behälters besser ansehen zu können. Es war ihr nicht so wichtig, dass ihre Kleidung, ihr Make-up und sogar ihr Computer hinüber waren – er lag als geschmolzener schwarzer Haufen ganz unten in der Kiste.

»Konnten Sie irgendetwas aus dem Feuer retten?«, fragte sie den Einsatzleiter mit wackligen Beinen, nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatte.

»Ja, tatsächlich. Wir haben in dem Zimmer noch etwas gefunden. Und die Sache gefällt mir gar nicht.«

Er griff in seine Tasche und holte eine kleine Plastiktüte mit Reißverschluss hervor.

»Es ist ein Brief, auf dem Ihr Name steht. Er befand sich in einer feuersicheren Box. Wir werden sie auf Fingerabdrücke überprüfen lassen, aber ich bezweifle, dass wir welche finden.«

Maya erstarrte am ganzen Körper. Jemand hatte ihr eine Nachricht hinterlassen. Aus dem Augenwinkel behielt sie Logan im Blick und forschte nach einer Reaktion, aber er schien genauso überrascht zu sein wie sie selbst.

Hatte er das getan? Oder war der Täter jemand ganz anderes, jemand, den sie nicht verdächtigen würde, bis es zu spät war?

Sie hatte sich bei ihren Ermittlungen bislang meist auf ihren Instinkt verlassen. Doch bei diesem Fall war alles anders.

Sie hatte noch nie zuvor etwas mit einem Verdächtigen gehabt.

Sie nahm Patrick das Päckchen ab und bemühte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Es würde auch nicht helfen, wenn sie jetzt die Kontrolle verlor. Selbst wenn es definitiv kein gutes Zeichen war, dass jemand ihr in einem brennenden Motelzimmer eine persönliche Botschaft hinterließ.

Erst die Sache mit Logan, und jetzt auch noch das.

Sie zog ein Paar Einmalplastikhandschuhe aus der Tasche und zwang sich, die Hände ruhig zu halten, bevor sie sie überstreifte.

»Sie glauben nicht, dass es ein Unfall war, oder?«, fragte sie den Einsatzleiter.

»Ich wünschte, es wäre so. Aber wer auch immer dieses Feuer gelegt hat, wusste ganz genau, was er tat. Zuerst nur ein wenig Rauch, ein kleines Feuer, das nicht auffällt, bis es groß genug ist, um das ganze Dach in einem Stück wegzublasen.«

Sie spürte, wie ihr Herz immer schneller schlug, während sie versuchte, das eben Gesagte zu verdauen. Hotshots wussten nur zu genau, wie sich Brände entwickelten.

»Das Feuer ist so gut wie unter Kontrolle«, rief eine Männerstimme. Maya blickte zu dem Teil des Daches hinüber, der noch nicht eingestürzt war und auf dem eine Gruppe von Feuerwehrmännern stand. Sie bekämpfte das ungute Gefühl, durch ein Tor in der Zeit zurückzugehen, genau zu dem Tag, an dem ihr Bruder gestorben war. Dieses Motel-Feuer war dem Wohnungsbrand, bei dem Tony gestorben war, einfach zu ähnlich.

»Maya, öffne den Briefumschlag.«

Logans sanfte Worte brachten sie vollends aus dem Konzept. Sie hatte den Brief beinahe vergessen, so sehr war sie in Gedanken versunken gewesen – in Gedanken an das, was alles schiefgelaufen war, und an das, was hätte sein sollen.

Brandstifter bekommen nur selten die Gelegenheit, die Angst in den Gesichtern ihrer Opfer zu sehen. Wollte er etwa, dass sie den Brief in seinem Beisein öffnete, damit er sich an ihrer Reaktion weiden konnte? Denn sollte Logan ihr Täter sein, dann wäre dies der Moment, dem er am meisten entgegenfieberte.

Der dünne Briefumschlag brannte ihr ein Loch in die Handfläche. Sie fuhr mit einem Finger unter den Klebestreifen und faltete den einseitigen Brief auseinander. Die Nachricht war ordentlich getippt worden.

Maya, sechs Monate sind vergangen, seit ich Dich gesehen habe, und Du bist immer noch genauso hübsch. Ich habe oft davon geträumt, Dein langes Haar brennen zu sehen und zuzuschauen, wie Deine zarte Haut bis auf die Knochen wegschmilzt. Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, bis meine Träume wahr werden.

Sie konnte die Nachricht kaum weiter festhalten, so kalt und steif fühlten sich ihre Finger plötzlich an. Logan hatte ihr eine Hand auf die Schulter gelegt und mitgelesen.

»Alles in Ordnung?«

Seine Stärke, seine Berührung, das alles tat ihr so gut, dass es ihr schwerfiel, ihn abzuschütteln, doch sie entzog sich ihm und seiner Körperwärme und wandte sich ab.

»Es geht mir gut«, log sie, während sie Patrick den Brief zurückgab. Die Polizei würde ihn als Beweismittel beschlagnahmen. »Ich muss unbedingt einige der Zeugen befragen.«

Sie wandte Logan den Rücken zu und ging zu einer Gruppe von Frauen und Kindern hinüber, die alles aus sicherer Entfernung mit angesehen hatten. Sie musste sich auf das konzentrieren, was hier vorgefallen war, sonst würde sie durchdrehen.

»Hallo«, sagte sie und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich bin Brandursachenermittlerin und würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen, wenn Sie damit einverstanden sind?«

»Unglaublich. Sie sind aber schnell! Das ist ja wie bei den CSI-Sendungen im Fernsehen«, sagte eine junge Mutter mit leuchtenden Augen.

Maya war froh, dass es wenigstens einen Menschen gab, der an der Sache seinen Spaß hatte. Im Unterschied zu ihr.

»Hat zufällig einer von Ihnen etwas Verdächtiges in der Nähe von Zimmer 205 bemerkt?«

Alle drei Frauen nickten zustimmend, und eine Brünette ergriff zuerst das Wort: »Ich weiß nicht, ob ich ihn verdächtig nennen würde. Eher verdammt gut aussehend. Er lungerte eine Zeit lang vor dem Zimmer herum, ganz so, als ob er auf jemanden warten würde.«

Maya rann ein Schauer über den Rücken. »Könnten Sie ihn genauer beschreiben? Wie sah er aus?«

Die Freundin der Brünetten kicherte. »Groß. Sehr gut gebaut. Braunes Haar. Wie einer von den Feuerwehrmännern hier. Er hatte sich eine Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen, deswegen konnte man sein Gesicht kaum erkennen.«

Na wunderbar! Sie hatten gerade Logan beschrieben. Und außerdem ungefähr die Hälfte aller Feuerwehrmänner im Gebiet von Lake Tahoe, Wald- und Stadteinheiten zusammengenommen.

Sie musste Logan diesen Frauen zeigen, um herauszufinden, ob sie ihn identifizieren konnten, auch ohne dass sie ihm in die Augen geblickt hatten. Aber als sie sich umdrehte, um nach ihm zu sehen, stand er nicht mehr bei Patrick, und sie konnte ihn auch sonst nirgendwo entdecken.

Während sie sich zu den übrigen Schaulustigen aufmachte, bekämpfte sie die wachsende Enttäuschung, die sich in ihr breitmachte. Aber die anderen Zeugen brachten sie auch nicht weiter, sie bekräftigten nur die Aussagen der Frauen, manchmal beinahe Wort für Wort. Nachdem sie ihre Befragung von Zeugen und Polizisten abgeschlossen hatte, musste sie schließlich der bedrohlich-makabren Situation, in der sie sich befand, ins Auge sehen: Jemand versuchte, ihr Angst zu machen – oder noch Schlimmeres.

Ihr wurde übel, obwohl sie nichts im Magen hatte. Verzweifelt auf der Suche nach etwas, an das sie sich klammern konnte, presste sie sich ihre Tasche gegen den Bauch. Sie konnte nicht eine einzige Sekunde länger hier auf diesem Parkplatz stehen und so tun, als wäre sie eine knallharte Ermittlerin. Sie musste sich irgendwo in Ruhe hinsetzen, wo kein Rauch in der Luft lag und keine Feuerwehrmänner herumliefen, die sie an ihren Bruder erinnerten.

Mit schnellen Schritten überquerte sie den Parkplatz und folgte dem Weg zum See. Die Sonne war längst untergegangen, und sie stolperte über vereinzelte Steine. Dann endlich wurden die Gebäude weniger, und Sand knirschte unter ihren Füßen. Die Wellen schlugen ans Ufer, und sie ließ sich direkt dort am Ufer fallen, mit all ihren Sachen, und genoss die Kühle des Sands unter sich. Sie begrub den Kopf zwischen den Knien und atmete ein paarmal tief durch – durch die Nase ein, durch den Mund wieder aus.

Heute war wirklich einer der schlimmsten Tage ihres Lebens! Nur noch die Tage, an denen ihr Vater und ihr Bruder starben, waren furchtbarer gewesen.

Sie hob den Kopf und blickte zu dem vollen Mond empor, der auf den See herabschien; sie betrachtete das Wogen des Wassers und wünschte sich, es gäbe jemanden, den sie um Trost bitten könnte. Jemanden, zu dem sie »Ich habe Angst« sagen könnte. Aber da war niemand. Nicht mehr.

Ihre Freundinnen hatten wieder und wieder angerufen, bis irgendwann so viele ihrer Nachrichten unerwidert geblieben waren, dass sie Maya schließlich in Ruhe gelassen hatten. An ihre Mutter konnte sie sich auch nicht wenden; nach allem, was sie schon erlitten hatte, würde sie den Gedanken, dass noch eines ihrer Kinder vom Feuer bedroht wurde, bestimmt nicht ertragen können. Die Flammen hatten ihr bereits den Mann und den Sohn genommen.

Feuer war der schlimmste Feind ihrer Mutter. Maya verstand jetzt endlich, wie sich das anfühlte.

Sie fischte ihr Mobiltelefon aus der Tasche und suchte die Privatnummer ihres Chefs heraus. Sie konnte Albert zwar nichts über ihren Gefühlszustand verraten, aber sie musste ihn auf jeden Fall über das informieren, was im Motel geschehen war – und über Logan und das, was damals zwischen ihnen in dieser Bar vorgefallen war.

Sie rief ihn zu Hause an; es war das erste Mal, dass sie sich an einem Freitagabend bei ihm meldete. Sie wusste schließlich, wie wertvoll ihm die Zeit mit seiner Familie war, besonders nach einer langen, harten Woche, in der er ein Dutzend Ermittler anleiten musste.

Er nahm sofort ab – offenbar hatte er ihre Nummer im Display erkannt. »Maya? Ist alles in Ordnung?«

Sie bereute sofort, dass sie ihn angerufen hatte. Er war einer der wenigen Menschen, die alles über ihren Bruder wussten, darüber, wie sehr er ihr fehlte und wie lange und angestrengt sie nach handfesten Antworten gesucht hatte. Sie fand den Gedanken schrecklich, ihn enttäuschen zu müssen, nachdem er sie all die Zeit über so gefördert und unterstützt hatte. Aber wenn sie ihm jetzt nicht die Wahrheit über ihre und Logans Vergangenheit sagte, dann würde ihr Verdächtiger ihr zuvorkommen, daran hatte sie keinen Zweifel.

Da der Schlag aus heiterem Himmel kam, würde Albert ihn nicht abwehren können, und Cal Fire würde den Fall vielleicht ganz abgeben müssen. Und was am schlimmsten war, der Brandstifter konnte unter Umständen davonkommen.

Sie würde nicht zulassen, dass ihre unbedachte Entscheidung vor sechs Monaten und die Scham und Verlegenheit darüber einem potenziellen Brandstifter die Gelegenheit boten, straffrei davonzukommen. Hoffentlich war Logan ihr nicht in der letzten Stunde, die sie mit Zeugenbefragungen verbracht hatte, zuvorgekommen.

»Haben Sie kurz Zeit? Es hat hier eine Reihe von Entwicklungen im Desolation-Wilderness-Fall in Lake Tahoe gegeben, von denen ich denke, dass Sie sie erfahren sollten.«

Albert sagte etwas zu seiner Frau und zu den Kindern, die sie im Hintergrund gemeinsam lachen hörte, dann suchte er sich ein ruhigeres Plätzchen.

»Natürlich habe ich Zeit. Legen Sie los!«

Sie öffnete den Mund, doch ihr fehlten die Worte. Sie wusste einfach nicht, womit sie anfangen sollte. Mit dem Feuersturm? Dem Brand im Motel? Nein, sie musste das Allerschlimmste zuerst erzählen. Dann hatte sie es hinter sich.

»Es fällt mir sehr schwer, das zu sagen, aber als ich den Verdächtigen heute über die Ermittlungen gegen ihn informiert habe, wurde mir bewusst, dass ich ihn bereits kenne.«

Sie konnte buchstäblich vor sich sehen, wie Albert am anderen Ende der Leitung den Kopf schüttelte.

»Wussten Sie das bereits, als Sie den Fall angenommen haben?« Sein Tonfall war sanft, die Frage hingegen sehr direkt.

»Nein, natürlich nicht«, sagte sie und versuchte, nicht zu defensiv zu klingen. Das würde sie nur in noch schlechteres Licht rücken. »Das Bild von ihm in der Akte war unscharf. Und dann noch mit dem Helm … ich habe ihn erst erkannt, als ich ihn heute da oben im Sicherheitsbereich gesehen habe.«

»Ich frage das nur ungern, Maya« – Albert räusperte sich angespannt –, »aber was für eine Art Beziehung haben Sie zu dem Verdächtigen?«

»Wir haben uns vor sechs Monaten hier in Lake Tahoe kennengelernt, als ich da war, um Tonys Sachen zusammenzupacken.«

Sie hielt inne, weil ihr das Geständnis, das sie gleich ablegen musste, zuwider war. Zum millionsten Mal wünschte sie sich, sie hätte sich von ihrer Trauer nicht zu einer solchen Dummheit hinreißen lassen.

»Ich habe Logan in einer Bar getroffen.«

»Oh-oh.«

Ihr Chef war einer der wortgewandtesten Menschen, die sie kannte. Sie hatte noch nie erlebt, dass er nur zwei Silben von sich gab. Sie wollte so schnell wie möglich auch noch den Rest der Geschichte erzählen, bevor er falsche Schlüsse zog. Oder die richtigen.

»Wir haben uns kaum unterhalten.« Weil unsere Münder zu sehr damit beschäftigt waren, andere Dinge zu tun. »Und seinen Namen habe ich nie erfahren. Ich habe ihn bis heute auch nie wieder getroffen.«

Als sie hörte, was sie da sagte, wurde ihr klar, dass es selbst dann, wenn ihr Chef vor seiner Hochzeit selbst Affären gehabt haben sollte, trotzdem keinesfalls die Tatsache entschuldigte, dass sie eine gehabt hatte. Mit dem Verdächtigen.

»Und ich versichere Ihnen, dass unsere frühere Beziehung meine Ermittlungen in keinster Weise beeinträchtigt.«

»Das glaube ich Ihnen, Maya, aber die ganze Sache macht einfach keinen guten Eindruck. Es lässt Sie schlecht aussehen. Auch mich. Und Cal Fire

Seine missbilligenden – und ehrlichen – Worte trafen sie wie Pfeilspitzen. Ihr Kopf dröhnte, während er fortfuhr, ihr zu sagen, was sie nicht hatte hören wollen.

»Ich werde Yeager schicken müssen. Gleich als Erstes am Montag. Warum kommen Sie nicht wieder in die Stadt zurück. Ich werde Ihnen einen anderen Fall übertragen.«

Nein! Hier in Lake Tahoe zu bleiben, war ihre einzige Chance herauszubekommen, was damals wirklich mit Tony geschehen war, um überhaupt mit ihrem Leben weitermachen zu können. Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Ich verstehe Ihre Sorge, aber ich schwöre Ihnen, dass ich in diesem Fall ganz unbefangen vorgehen werde.«

»Maya, Sie wissen, ich stehe auf Ihrer Seite. Sie sind eine der besten Sachverständigen, die wir haben. Ich befürchte, wir haben hier ein Worst-Case-Szenario vorliegen. Mir sind die Hände gebunden. Ich muss Sie abziehen.«

Sie war nicht bereit aufzugeben. »Bis Yeager hier eintrifft, würde ich gerne mit Ihrer Erlaubnis weiterermitteln.« Ein paar Tage könnten den Durchbruch bedeuten, und wenn sie den Fall schnell genug löste, dann könnte sie noch mit der Untersuchung von Tonys Fall beginnen. »Lassen Sie mich noch das Wochenende über daran arbeiten.«

Sie hielt den Atem an, während Albert ihre Bitte in Betracht zog. »Ich vermute, es sieht besser aus, wenn jemand an dem Fall dranbleibt.«

»Großartig«, sagte sie; dann erst erzählte sie ihm den Rest der Geschichte. »Sie sollten außerdem wissen, dass mein Motelzimmer in Flammen stand, als ich vor fünfzehn Minuten dorthin zurückkehrte.«

»Grundgütiger, Maya, Sie hatten ja vielleicht einen Freitag!«

Dabei hatte er noch lange nicht alles erfahren. »Außerdem wurde eine Nachricht für mich gefunden, und zwar in einer feuersicheren Box.«

Sie musste sich zusammenreißen, damit ihre Stimme nicht zitterte. Jetzt, nachdem er schon zugestimmt hatte, dass sie das Wochenende über weiter an dem Fall arbeiten sollte, wollte sie auf keinen Fall, dass er sie abzog, um sie zu schützen.

»Was stand da drin?«

Maya schloss die Augen – sie erinnerte sich an jedes einzelne widerliche Wort. »Der Brandstifter sagte etwas darüber, meine Haare anzuzünden, und …«

Der Rest blieb ihr im Hals stecken. Sie konnte es einfach nicht laut aussprechen.

»War das eine Todesdrohung?«, fragte er.

Sie schluckte mühsam. »Ich weiß nicht. Ich glaube, es handelt sich eher um einen Versuch, mir Angst einzujagen.«

»Sie müssen die Stadt verlassen, Maya. Jetzt sofort!«

Aber sie konnte unmöglich aufgeben und nach Hause fahren. Der Fall war zu einer zutiefst persönlichen Angelegenheit geworden. Jemand wollte ihr Angst machen, sie vielleicht sogar umbringen. Doch sie würde nicht einfach davonrennen! Sie war schon viel zu lange weggelaufen.

Es war nun endgültig an der Zeit für sie, sich ihren Dämonen zu stellen.

»Ich weiß, dass sich das vielleicht verrückt anhört, aber das kann ich nicht. Nach all dem, was hier mit meinem Bruder geschehen ist, muss ich einfach bleiben.«

Albert seufzte, und es tat ihr leid, ihn in eine solche Lage zu bringen. Wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, würde sie nicht zögern. Aber sie hatte keine Wahl.

»Zwei Tage«, sagte er schließlich, »bis Yeager kommt, um Sie abzulösen. Gehen Sie vom Schlimmsten aus. Jeder ist verdächtig. Und bis wir genug Beweise haben, um diesen kranken, armseligen Mistkerl festzunageln, ist jeder Einzelne, dem Sie begegnen, ein potenzieller Brandstifter. Egal wie charmant oder hilfsbereit. Wenn er es auf Sie abgesehen hat, dann sind wir schon nahe an der Wahrheit dran. Zu nahe. Seien Sie vorsichtig. Ich möchte nicht, dass Ihnen etwas zustößt, Maya.«

Albert sprach nur aus, was sie bereits wusste. Doch das machte es auch nicht leichter, es sich anzuhören. Seine Beschreibung traf einfach haargenau auf Logan zu. Alle hielten ihn für einen tollen Kerl. Jemand wie er würde »niemals etwas so Schreckliches tun«.

Aber in Wahrheit waren es oftmals genau die Typen, die jeder mochte; derjenige, der immer zur Stelle war, um einem Nachbarn zu helfen, konnte auch derjenige sein, der es nicht lassen konnte, ein Feuer zu entfachen, das Häuser in Schutt und Asche legte oder Unschuldige das Leben kostete.

Sie verabschiedete sich schnell, bevor ihr Chef es sich anders überlegen konnte, und ließ das Telefon zurück in die Tasche fallen. Die kühle Brise, die vom See herüberwehte, half ihr, den Kopf freizubekommen, und sie nahm sich einen Moment Zeit, um über die verrückte Situation, in der sie sich befand, nachzudenken.

Entweder hatte Logan das Feuer in ihrem Zimmer gelegt, oder seine Vermutung stimmte, und sie hatte irgendjemand anders wütend gemacht. Aber wen?

Wer auch immer die Nachricht geschrieben hatte, wusste, dass sie vor sechs Monaten in der Stadt gewesen war. Und so wie sie das einschätzte, war Logan der Einzige, mit dem sie an jenem Tag etwas zu tun gehabt hatte.

Ihr Chef hatte recht. Sie war zu nahe an der Sache dran. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich zu einem Mann hingezogen fühlen könnte, der in der Lage war, ein solches Unheil anzurichten.

Aber so war es.

Ein breites Lächeln blitzte im Dunkeln auf. Ein perfektes kleines Feuerchen. Es war eine solche Befriedigung gewesen, die Angst in ihren Augen zu sehen, als sie die Nachricht erhielt.

Schon bald würde sie bekommen, was sie verdiente.

Sehr bald.

Aber zuerst mussten noch einige Brände gelegt werden – sie sollte sich richtig anstrengen müssen.

Es würde ein Riesenspaß werden, sie bei ihren ergebnislosen Bemühungen zu beobachten. Dabei würde sie den Brandstifter die ganze Zeit direkt vor der Nase haben.

Heute war ein guter Tag gewesen.

Morgen würde ein noch besserer sein.