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Adrianne führte ihre Lippen an die Wangen von Abdus zweiter Frau, der Frau, die Phoebe vor langer Zeit so viel Unglück beschert hatte, doch sie grollte ihr nicht. Eine Frau musste hier die Rolle ausfüllen, die man von ihr erwartete. Adrianne fand dies auch gleich bestätigt, da Leiha, obwohl schon siebenfache Mutter und bereits über Vierzig, offensichtlich wieder schwanger war.

Sie begrüßte Cousinen, an die sie sich noch erinnerte, und eine Schar jüngerer Prinzessinnen. Einige trugen ihr Haar kurz geschnitten, andere in Locken gelegt. Ausgefallene Frisuren und prächtige Gewänder, das waren Dinge, mit denen sie sich selbst eine Freude machten oder, wie Kinder mit einem neuen Spielzeug, voreinander brüsteten.

Dann war da Sara, Abdus letzte Frau, ein zierliches Mädchen mit großen Augen, höchstens sechzehn Jahre alt und ebenfalls schwanger. Der Wölbung ihres Bauches nach zu urteilen, musste sie zur selben Zeit empfangen haben wie Leiha. Adrianne bemerkte, dass die Steine in ihren Ringen und Ohrgehängen nicht kleiner waren als die, welche Leiha trug. So verlangte es das Gesetz. Ein Mann konnte sich vier Frauen nehmen, aber nur, wenn er sie alle gleich behandelte.

Phoebe war nie wie die anderen Frauen behandelt worden, aber Adrianne wäre es nie eingefallen, dieses junge Mädchen deshalb zu verachten. »Herzlich willkommen hier«, wisperte Sara mit einer melodischen Stimme, die ein wenig über die englische Sprache stolperte.

»Das ist Prinzessin Yasmin.« Adriannes Tante legte ihre Hand auf die Schulter eines etwa zwölfjährigen Mädchens mit dunklem Teint, an dessen Ohrläppchen dicke, goldene Kreolenringe baumelten. »Deine Schwester.«

Adrianne zuckte unmerklich zusammen. Sie wusste, dass sie hier Abdus andere Kinder kennenlernen würde, aber sie hatte nicht erwartet, in Augen zu blicken, die die gleiche Farbe und Form hatten wie ihre eigenen. Auf diese frappierende Ähnlichkeit war sie nicht vorbereitet. Entsprechend steif war dann auch ihre Begrüßung, als sie Yasmin auf die Wange küßte.

»Willkommen im Haus meines Vaters.«

»Dein Englisch ist sehr gut.«

Yasmin hob ihre Brauen auf eine Art, die Adrianne zeigte, dass sie bereits eine Frau war, obgleich sie noch keinen Schleier trug. »Ich besuche die Schule, damit ich nicht ungebildet ins Haus meines Ehemannes gehe.«

»Ich verstehe.« Adrianne legte ihre abaaya ab und faltete, eine Dienerin mit einer Geste zurückwinkend, diese selbst sorgfältig zusammen. Im Saum der abaaya war ihr Handwerkzeug eingenäht. »Du musst mir erzählen, was du schon alles gelernt hast.«

Yasmin taxierte Adriannes einfache weiße Bluse und den Rock mit dem Blick einer Modekritikerin. Da Duja einmal Zeitungsfotos von Adrianne in den Harem geschmuggelt hatte, wusste Yasmin, dass ihre Schwester sehr schön war, und hatte eigentlich erwartet, sie in einer eleganten roten Glitzerrobe anzutreffen.

»Jetzt führe ich dich erst einmal zu meiner Großmutter.«

Die Frauen bedienten sich unterdessen bereits am Büffet. Essen, je reichlicher, desto besser, gehörte zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, und die Gespräche waren schon wieder wie üblich bei Babys und der neuesten Mode angelangt.

Die alte Dame, die in einem Brokatsessel saß, war ganz in leuchtendes Smaragdgrün gehüllt. Zahllose Falten und Furchen durchzogen ihr Gesicht, doch ihr Haar leuchtete noch immer in einem tiefen Hennarot. An ihren von Arthritis gekrümmten Fingern steckten bestimmt ein Dutzend Ringe, deren Edelsteine im Schein der Lampen funkelten, als sie den etwa zweijährigen Jungen auf ihrem Schloss streichelte. Die zwei Dienerinnen, die rechts und links neben ihr standen, fächelten den Rauch aus einer bronzenen Räucherlampe in ihr Haar.

Fast zwanzig Jahre waren vergangen, seit Adrianne, damals gerade acht, diesen Ort verlassen hatte, aber die Erinnerungen an diese Zeit kehrten augenblicklich zurück. Tränen schössen ihr in die Augen und rannen über ihre Wangen, und nichts hätte sie aufhalten können. Anstatt sie angemessen zu begrüßen, fiel Adrianne vor ihrer Großmutter auf die Knie und bettete den Kopf in ihren Schloss. Ihre Großmutter, die Mutter ihres Vaters.

Ihre Beine fühlten sich jetzt knochig und dünn an unter dem steifen Satinstoff ihres Kleides. Doch sie roch noch genauso wie früher, nach einer Mischung aus Mohnsamen und Gewürzen. Als sie die Hand ihrer Großmutter über ihren Kopf streichen fühlte, lehnte sie sich dagegen. Die schönsten und süßesten Erinnerungen, die sie an Jaquir hatte, waren die an ihre Großmutter, wie sie übers Haar gestrichen und ihr Märchen von Piraten und Prinzessinnen erzählt hatte.

»Ich wusste, dass ich dich wiedersehen würde.« Jiddah, nun an die Siebzig, zwölffache Mutter und die einzige Frau, die sich König Ahmend je genommen hatte, streichelte den Kopf ihrer geliebten Enkeltochter und drückte gleichzeitig ihr jüngstes Enkelkind an die Brust. »Ich weinte, als du uns verließest, und weine, da du zurückgekommen bist.«

Wie ein Kind wischte sich Adrianne die Tränen mit dem Handrücken ab und erhob sich dann, um Jiddah zu küssen. »Großmutter. Du bist viel schöner als in meiner Erinnerung. Ich habe dich so vermisst

»Du kommst zurück als erwachsene Frau, und ich sehe deinen Vater in deinen Gesichtszügen.«

Sie versteifte sich ein wenig, brachte aber ein Lächeln zustande. »Vielleicht sind es deine Züge, Großmutter.«

Jiddah erwiderte ihr Lächeln und ließ dabei Zähne sehen, die zu weiß und ebenmäßig waren, um ihre eigenen zu sein. Das Gebiß war neu, und sie war ebenso stolz darauf wie auf das Smaragdkollier um ihren Hals. »Vielleicht.« Sie ließ sich von einer Dienerin Tee einschenken. »Pralinen für meine Enkeltochter. Naschst du immer noch so gerne?«

»Ja.« Adrianne ließ sich auf einem Kissen zu Jiddahs Füßen nieder. »Ich erinnere mich, dass du mir früher oft eine Handvoll dieser Pralinen geschenkt hast. Um sie aus dem roten oder silbernen Staniolpapier auszuwickeln, brauchte ich immer so lange, dass sie mir in der Hand zerschmolzen. Aber du hast mich nie geschimpft.« Jetzt erst bemerkte sie, dass Yasmin immer noch neben ihr stand und sie - abgesehen von einem kleinen Blitzen in den Augen, das man als Eifersucht deuten konnte - mit unbeweglicher Miene betrachtete. Ohne nachzudenken, streckte Adrianne ihr die Hand entgegen und zog sie zu sich auf das Kissen. »Erzählt Großmutter immer noch Märchen?«

»Ja.« Nach kurzem Zögern entspannte sich Yasmin. »Willst du mir von Amerika erzählen und dem Mann, den du heiraten wirst?«

Ihren Kopf gegen Großmutters Knie gestützt, in der Hand eine Tasse Tee, begann Adrianne zu erzählen. Erst viel später wurde ihr bewußt, dass sie Arabisch gesprochen hatte.

Was Paläste anbetraf, so bevorzugte Philip nach eingehender Betrachtung doch eher die europäischen. Einen soliden Steinbau mit großen Fenstern, die mindestens zwei Flügel besaßen, und dicken, alten Holzbalken. Dieser hier war düster, da Jalousien, Vorhänge und die Gitter jegliches Sonnenlicht aussperrten. Sicherlich war es ein prächtiger Palast, wenn man die kostbaren seidenen Wandbehänge und die Mingvasen in den Wandnischen betrachtete. Und ausgesprochen modern. In dem Badezimmer der Suite, die man ihm angewiesen hatte, sprudelte heißes Wasser aus goldenen Wasserhähnen. Wahrscheinlich war er zu britisch, um die Gebetsteppiche und Moskitonetze entsprechend würdigen zu können.

Die Fenster seiner Räume gingen auf den Garten hinaus, was ihm sehr angenehm war. Trotz der gleißenden Sonne öffnete er die Fenster und ließ den schweren Duft der Jasminblüten hereinströmen.

Wo war Adrianne?

Ihr Bruder, Kronprinz Fahid, hatte ihn vom Flughafen abgeholt. Philip erschien der junge Mann mit dem Burnus über den untadelig geschnittenen Maßanzug, dem perfekten Englisch und den vollenden Manieren als der typische Vertreter eines im Westen erzogenen Orientalen. Fahid hatte Adrianne nur ein einziges Mal erwähnt, als er ihm mitteilte, dass man sie direkt in den Harem bringen würde.

Mit geschlossenen Augen rief sich Philip noch einmal die Grundrißpläne ins Gedächtnis. Der Harem lag zwei Stockwerke tiefer im Westflügel. Die Schatzkammer am entgegengesetzten Ende des Palastes. Heute nacht würde er auf Erkundungstour gehen. Aber jetzt - er klappte seinen Koffer auf - musste er den perfekten Gast und respektablen Bräutigam spielen.

Er hatte ein ausgiebiges Bad in der im Boden versenkten großen Wanne genommen und seine Sachen ausgepackt, als er den Gebetsruf vernahm. Von weither drang die tiefe, kehlige Stimme des Muezzin durch die geöffneten Fenster herein. Allahu Akbar. Gott ist allmächtig.

Ein Blick auf seine Uhr sagte Philip, dass dies der dritte Gebetsruf des Tages sein musste. Der nächste würde bei Sonnenuntergang ertönen, der letzte eine Stunde danach.

Die Märkte und Basare würden schließen, die Männer sich niederknien und mit der Stirn den Boden berühren. Im Palast, wie auch sonst überall, würden nach dem Willen Allahs sämtliche Geschäfte und Beschäftigungen ruhen.

Leise öffnete Philip seine Tür. Der Zeitpunkt war günstig, um eine erste Bestandsaufnahme zu machen.

Es erschien ihm am sinnvollsten, zunächst seine unmittelbare Umgebung zu erkunden. Der Raum neben seiner Suite war leer, die Vorhänge zugezogen und das Bett mit militärischer Präzision gemacht. Der Raum gegenüber war ebenfalls leer. Leise schlich er den Flur entlang und öffnete eine andere Tür. Dort kniete ein Mann, nein ein Junge, in Gebetshaltung am Boden, das Gesicht gen Mekka gewandt. Sein Gebetsteppich war mit Goldfäden durchwoben, der Baldachin über seinem Bett leuchtete königsblau. Philip zog leise die Tür zu, bevor er sich in den zweiten Stock aufmachte.

Dort mussten seiner Berechnung nach Abdus Büro und die Besprechungsräume liegen. Er hatte später noch genügend Zeit herauszufinden, ob sie bewacht waren. Jetzt ging er ins Erdgeschoss hinunter, wo es still war wie in einer Gruft. Rasch, da die Zeit drängte, erkundete er den Weg zur Schatzkammer.

Die Tür war verschlossen. Er musste nur eine Nagelfeile aus der Tasche ziehen, um sie zu öffnen. Ein kurzer Blick nach rechts und nach links, dann schlüpfte er hinein und zog die Tür hinter sich zu.

Die anderen Räume waren düster, doch in diesem hier war es stockfinster. Es gab kein einziges Fenster. Er bedauerte es, keine Taschenlampe mitgebracht zu haben, und tastete sich vorsichtig in Richtung Tresor. Die Stahltüre fühlte sich kalt an. Anstelle der Augen seine Fingerspitzen benützend, tastete Philip die Länge und Breite der Tür und die Position der Schlösser ab.

Wie Adrianne ihm berichtet hatte, gab es zwei Kombinationsschlösser. Sorgsam darauf bedacht, die Zahlenräder nicht zu berühren, maß er mit Hilfe der Nagelfeile das Schlüsselloch des konventionellen Schlosses ab, welches sich als sehr groß und altmodisch herausstellte. Die Dietriche, die er mitgebracht hatte, würden bei einem so alten Schloss nichts ausrichten können, aber es gab immer andere Mittel und Wege. Zufrieden trat er einen Schritt zurück. Er musste noch einmal mit einer Taschenlampe wiederkommen, aber das hatte Zeit.

Seine Hand berührte gerade den Türknopf, als er draußen auf dem Gang Schritte hörte. Fluchen half ihm jetzt auch nicht weiter, dachte er, als er sich hinter der Tür an die Wand presste.

Es waren zwei Männer, die arabisch sprachen. Einer von beiden war, zumindest dem Tonfall nach zu schließen, ärgerlich, der andere nervös. Philip hoffte, sie würden weitergehen. Dann hörte er Adriannes Namen. Zu dumm, dass er kein Arabisch sprach.

Sie diskutierten über sie. Dessen war er sich sicher. In der einen Stimme lag genug Gehässigkeit, dass sich Philips Muskeln anspannten und seine Hände sich zu Fäusten schlössen. Er hörte einen scharfen Befehl, auf den Schweigen folgte, dann das rasche Klappern von Absätzen auf den Fliesen, als einer der Männer davonging. Das Ohr an die Tür gepreßt, hörte Philip den verbleibenden Mann auf Englisch einen Fluch ausstoßen. Prinz Fahid, vermutete Philip. Und die wütende Stimme musste Abdu gehört haben. Warum stritten sich Adriannes Vater und ihr Bruder über sie? Oder um sie?

Er wartete, bis auch Fahid weggegangen war, und schlich dann hinaus. Der Gang war wieder verlassen, die Tür geschlossen. Mit den Händen in den Taschen schlenderte Philip in Richtung Garten. Wenn man ihn hier finden sollte, konnte er sich immer auf sein besonderes Interesse an Flora und Fauna herausreden. Die Wahrheit war, er wollte raus, und er wollte nachdenken.

Adrianne hatte nicht damit gerechnet, dass sie das, weswegen sie gekommen war, so hart ankommen würde. Nicht technisch gesehen - sie vertraute auf ihre und Philips Fähigkeiten. Womit sie nicht gerechnet hatte, waren die vielen Erinnerungen. Wie Gespenster flüsterten sie ihr aus allen Ek- ken und Nischen zu. Den Harem empfand sie als einen tröstlichen Ort, die Gespräche, die Düfte und die Geheimnisse der Frauen taten ihr gut. Hier war es möglich, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit für kurze Zeit zu vergessen und die Abgeschiedenheit zu genießen. Aber was auch immer geschah, sie würde nie mehr in der Lage sein, zurückzukehren.

Wie ein Bach plätscherten die Gespräche über Sex, Boutiquen und Fruchtbarkeit dahin, es gab aber auch neue Themen. Eine Cousine hatte ihren Doktor gemacht, eine andere ihr Lehrerinnenexamen bestanden. Es gab eine junge Tante, die als Verwaltungsbeamtin im Straßenbau tätig war, obgleich alle Kontakte mit den Männern, mit denen sie zu tun hatte, telefonisch oder schriftlich abliefen. Das Bildungssystem hatte sich nun auch den Frauen geöffnet, und die ergriffen diese Chance mit beiden Händen. Männliche Lehrkräfte lehrten mittels privater Fernsehkanäle, aber sie lehrten. Und die Frauen lernten.

Wenn es einen Weg gab, alte Traditionen mit Neuem zu verknüpfen, so würden sie ihn finden.

Adrianne hatte die Dienerin nicht bemerkt, die ins Zimmer getreten war und sich nah an Großmutters Ohr gebeugt hatte. Als Jiddah sie am Kopf berührte, wandte sie sich ihr mit einem Lächeln zu.

»Dein Vater wünscht dich zu sehen.«

Adriannes Wohlbehagen verschwand so schnell wie eine Wasserpfütze im heißen Sand der Wüste. Sie legte sich zwar die abaaya um, verzichtete jedoch bewußt auf den Schleier. Er sollte ihr Gesicht sehen - und sich erinnern.

23. Kapitel

Wie Jaquir hatte sich auch sein Herrscher verändert und war im Grunde doch der gleiche geblieben. Er war gealtert. Das war das erste, das Adrianne auffiel, als sie ihn sah. In ihrer Erinnerung, die unterstützt wurde von den alten Zeitungsfotos, die ihre Mutter gehortet hatte, war er ein Mann gewesen, so alt wie sie jetzt, mit dem stolzen Gesicht eines Falken und pechschwarzem, vollem Haar. Der Falke war in seinen nun scharf hervortretenden Gesichtszügen noch sichtbar, doch Sonne und Alter hatten tiefe Falten in seine Haut gegraben. Besonders an den Winkeln seines Mundes, der selten lachte, und um seine Augen, die stets auf der Hut waren und alles und jeden taxierten. Sein Haar war noch voll wie in seiner Jugend, immer noch wie eine Mähne zurückgebürstet und immer noch ein Ausdruck seiner Eitelkeit. Hier und dort entdeckte sie einige graue Silberfäden. Er hatte nur wenig Gewicht angesetzt und sich die Figur eines Soldaten erhalten.

Seine throbe war mit Goldfäden bestickt, seine Sandalen mit Edelsteinen verziert. Die Jahre ließen ihn sogar noch attraktiver aussehen, wie das mitunter bei Männern der Fall ist. Er hatte ein Gesicht, das Frauen anzog, obwohl oder vielleicht auch weil es so wenig Mitgefühl ausstrahlte.

Adriannes Magen krampfte sich zusammen, als sie auf ihn zuging. Sie bewegte sich langsam, aber nicht aus Unsicherheit, auch nicht aus Respekt, sondern um diesen Augenblick, auf den sie so lange gewartet, den sie so sehr herbeigesehnt hatte, ganz klar zu erleben. Nichts war vergessen. Nichts wird je vergessen sein.

Wie im Harem atmete sie auch hier Gerüche ein, die in ihrer Erinnerung haften geblieben waren - Bohnerwachs, Blumen, ein Hauch von Räucherkerzen. Sie ging weiter, näherte sich einer Vergangenheit, die sie nie ganz losgelassen hatte. Sie war schon früher zu ihm gegangen oder geduckt von ihm weggeschlichen. Doch bis zu diesem Moment war ihr nie bewußt gewesen, dass sie sich an keine Gelegenheit erinnern konnte, da er zu ihr gekommen war.

Er hatte sie nicht in eines seiner Privatgemächer bestellt, sondern in die große, hellerleuchtete Halle, in der er seine wöchentlichen majlis, seine Audienzen abhielt. Die Vorhänge an den Fenstern waren aus schwerem königsblauem Stoff - eine Farbe, die er schon immer bevorzugt hatte. Der Teppich war sehr alt, sein Vater, sein Großvater und die Könige vor ihnen waren schon darüber gegangen. Er hatte ein dichtes blauschwarzes Muster, unterbrochen von wellenförmigen, golddurchwirkten Ornamenten, die wahrscheinlich Schlangen darstellen sollten. Rechts und links neben dem Eingangsportal standen zwei mannshohe Urnen. Der Legende nach wurden sie vor zwei Jahrhunderten von einem anderen Abdu in Persien erworben. In jeder von ihnen soll eine Jungfrau eingeschlossen sein.

Ein goldener Löwe mit Saphiraugen bewachte den Sessel aus blauer Seide, auf dem Abdu Platz nahm, wenn er die Abgesandten seines Volkes empfing.

Dieser Raum blieb normalerweise den Frauen verschlossen. Dies zeigte Adrianne, dass ihr Vater sie immer noch als ein Subjekt und nicht als seine Tochter betrachtete. Wie von den persischen Jungfrauen wurde auch von ihr erwartet, dass sie sich dem Willen des Königs beugte.

Sie bleib vor ihm stehen. Obwohl er kein großer Mann war, musste sie das Kinn anheben, um ihm direkt in die Augen sehen zu können. Was immer er empfand, falls er etwas empfand, verstand er perfekt zu verbergen. Er beugte sich ihr für den traditionellen Begrüßungskuss entgegen. Seine Lippen berührten dabei kaum ihre Wangen, und er ließ weniger Gefühl dabei erkennen als bei einem Fremden. Das schmerzte. Sie hatte dies nicht erwartet, war darauf nicht vorbereitet gewesen, und es tat weh.

»Ich heiße dich willkommen.«

»Ich danke Ihnen für die Erlaubnis, zurückkehren zu dürfen.«

Er setzte sich und deutete, nach einem langen Moment des Schweigens, auf einen Stuhl. »Bist du ein Kind Allahs?«

Diese Frage hatte sie erwartet. Religion stand in Jaquir über allem. »Ich bin keine Moslime«, antwortete sie ruhig, »aber es gibt nur einen Gott.«

Die Antwort schien ihn befriedigt zu haben, denn er winkte einem Diener, Tee einzuschenken. Der Anstand gebot es, zwei Tassen bereitzuhalten. »Es freut mich, dass du heiraten willst. Eine Frau bedarf des Mannes Schutz und Führung.«

»Ich heirate Philip nicht des Schutzes oder seiner Führung wegen.« Sie nippte an ihrem Tee. »Noch heiratet er mich, um seine Sippe zu vermehren.«

Sie hatte ganz entschieden gesprochen, so wie ein Mann zu einem anderen sprechen würde, aber nicht wie eine Frau zu einem König. Er hätte sie dafür schlagen können; das war sein Recht. Statt dessen lehnte er sich zurück, die Teeschale mit beiden Händen umfassend. Sie war aus feinstem französischem Porzellan. Seine Hände waren breit und mit Ringen bestückt. »Du bist eine Frau des Westens geworden.«

»Ich lebe dort, wie meine Mutter dort gelebt hat.«

»Wir wollen nicht von deiner Mutter sprechen.« Er stellte seine Teeschale ab, hielt dann eine Hand hoch, als ein Diener herbeigesprungen kam, um sie zu füllen.

»Sie hat oft von Ihnen gesprochen. Sehr oft.«

Etwas regte sich in seinen Augen. Adrianne konnte sich der Hoffnung nicht enthalten, es sei Bedauern. Aber es war Wut. »Als meine Tochter bist du hier willkommen und wirst mit der Ehrerbietung behandelt, die dir als Mitglied des Hauses Jaquir gebührt. Während deines Aufenthaltes wirst du dich an die geltenden Regeln und Vorschriften halten. Du wirst dein Haar bedecken und deine Augen niederschlagen.

Deine Kleidung sowie deine Rede wird bescheiden sein. Wenn du Schande über mich bringst, wirst du so bestraft werden, wie ich jede Frau meiner Familie bestrafen würde.«

Um das Zittern ihrer Hände vor ihm zu verbergen, hielt sie sich an der Teeschale fest. Nach all den Jahren, dachte sie, nach so vielen Jahren konnte er nur in Befehlen und Drohungen sprechen. Ihr Plan, sich als die Frau darzustellen, die er erwartete, wurde überflügelt von dem Drang, die Frau zu sein, die sie war.

»Ich werde keine Schande über Sie bringen, aber ich bin beschämt. Meine Mutter litt und starb einen elendigen Tod, während Sie nichts unternommen haben, um ihr zu helfen.« Als er sich daraufhin aus seinem Sessel erhob, sprang sie ebenfalls auf, so schnell, dass ihr die Teeschale aus der Hand fiel und klirrend auf dem Boden zersprang. »Wie konnten Sie sich nur so teilnahmslos verhalten?«

»Sie hat mir nichts bedeutet.«

»Nichts. Sie war nur Ihre Frau«, gab sie zurück. »Es hätte so wenig bedurft, aber Sie haben ihr nichts gegeben. Sie haben sie und mich im Stich gelassen. Sie sollten sich schämen.«

Jetzt schlug er sie, schlug sie mit dem Handrücken mitten ins Gesicht, dass ihr Kopf nach hinten flog und ihr die Tränen in die Augen traten. Dies war kein unbedachter Klaps, sondern ein wohlüberlegter, gezielter Schlag, wie ihn ein Mann seinem Feind beibringen würde. Wäre sie nicht gegen den Stuhl gefallen, an dem sie sich festhalten konnte, so wäre sie zu Boden gestürzt. Obwohl sie taumelte, gelang es ihr stehenzubleiben.

Ihr Atem kam stoßweise, wobei sie um Fassung rang und ihre Tränen unterdrückte. Langsam hob sie eine Hand, um sich über die blutende Schramme zu wischen, die einer der diamantenbesetzten Ringe ihres Vaters auf ihrer Wange hinterlassen hatte. Ihre Augen, den seinen so ähnlich in Form und Ausdruck, hielten seinem Blick trotzig stand. Es war nicht sie gewesen, die er geschlagen hatte, und das wussten sie beide. Es war Phoebe gewesen. Immer noch Phoebe.

»Vor Jahren«, brachte sie heraus, »wäre ich für soviel Aufmerksamkeit von Ihrer Seite glücklich gewesen.«

»Ich werde dir jetzt meine Meinung darüber mitteilen, und dann werde ich nicht mehr darüber sprechen.« Nachlässig bedeutete er einem Diener, die Scherben zu entfernen. Die Wut, die sie in ihm entfacht hatte, schickte sich nicht für einen König. »Deine Mutter hat Jaquir verlassen und damit alle Rechte, jegliche Loyalität und Respekt verwirkt. Ebenso die deinen. Sie war so schwach, wie Frauen sind, aber sie war auch durchtrieben und käuflich.«

»Käuflich?« Selbst auf die Gefahr hin, wieder geschlagen zu werden, sagte sie, was sie sagen musste. »Wie können Sie so von ihr sprechen? Sie war die freundlichste, warmherzigste Frau, die ich kenne.«

»Sie war eine Schauspielerin.« Er spuckte diese Worte aus wie Unrat. »Sie stellte sich vor Männern zur Schau. Die einzige Schande, die ich mir zugestehen muss, ist die, dass ich mich von ihr blenden ließ, sie in mein Heimatland brachte und sie gebrauchte, wie ein Mann eine Hure gebraucht.«

»Sie haben sie schon früher so genannt.« Diesmal bebte ihre Stimme. »Wie kann ein Mann so von der Frau sprechen, die er geheiratet und mit der er ein Kind hat?«

»Ein Mann kann eine Frau heiraten, kann seinen Samen in sie pflanzen, aber er kann ihre Natur nicht ändern. Sie weigerte sich, zum islamischen Glauben überzutreten. Als ich sie hierhergebracht hatte und mein Blick sich klärte, erkannte ich, dass sie ihre Stellung und ihre Pflichten nicht akzeptieren wollte.«

»Sie war krank und unglücklich.«

»Sie war schwach und sündig.« Er hielt eine Hand hoch, wie ein Mann, der nichts weiter zu tun brauchte, um Gehorsam zu erzwingen. »Du bist das Resultat meiner früheren Blindheit und nur hier, weil mein Blut in deinen Adern fließt und Fahid sich für dich eingesetzt hat. Dies ist eine Sache der Ehre, meiner Ehre. Du hast nur ein Recht zu bleiben, solange du das respektierst.«

Sie wollte es ihm ins Gesicht brüllen, schreien, dass er keinerlei Ehre besaß. Ein Teil von ihr hatte sich immer noch nach seiner Liebe gesehnt, die er ihr versagte. Kein Dieb der Welt hätte jetzt noch dieses Schloss aufbrechen können. Adri- anne legte die Hände ineinander und schlug die Augen nieder - beides Gesten der Unterwerfung. Wenn er sie wieder geschlagen hätte, hätte sie dies akzeptiert. Er hätte ihre Mutter beschimpfen und beleidigen können, und sie hätte es geschehen lassen. Soviel Macht besaß Rache.

»Ich bin in meines Vaters Haus und respektiere seinen Willen.«

Er nickte gnädig. Von einer Frau seiner Familie hatte er nichts anderes erwartet. Er genoss seine Stellung als König. Als er vor vielen Jahren mit einer Königin nach Jaquir zurückgekehrt war, einer Ungläubigen, war er verhext gewesen. Er hatte seine Wurzeln, seine Pflichten, seine Gesetze wegen einer Frau vergessen.

Die Strafe dafür war, dass sein erstes Kind eine Tochter war und seine Königin ihm keine weiteren Kinder mehr gebären konnte. Nun stand die Tochter aus dieser schändlichen Verbindung vor ihm, den Blick gesenkt, mit verschränkten Händen. Da es Allah gefallen hat, sie ihm als Erstgeborene zu schenken, würde er ihr das geben, was ihr zustand, aber nicht mehr.

Mit einem gezischten Befehl winkte er einen Diener heran, der ihm ein Kästchen reichte. »Dein Verlobungsgeschenk.«

Adrianne hatte sich wieder unter Kontrolle und streckte die Hand danach aus, klappte den Deckel auf. Das dunkle Purpurrot von Amethysten funkelte ihr entgegen, die in einer schweren, aufwendig gearbeiteten Fassung saßen. Der Mittelstein war quadratisch geschliffen und so groß wie ihr Daumen. Ein Kollier, das einer Prinzessin zur Ehre gereichte. Der Preis dieses Geschenks, hätte sie es vor Jahren erhalten, hätte ihrer beider Schicksal verändert.

Jetzt war es nur ein farbiger Stein. Sie hatte stets bessere gestohlen.

»Sie sind sehr großzügig. Ich werde stets an meinen Vater denken, wann immer ich das Kollier trage.« Das war ein Versprechen.

Er gab wieder ein Zeichen, bevor er zu ihr sprach. »Ich werde jetzt deinen Verlobten empfangen. Während wir über die Hochzeitsformalitäten sprechen, magst du dich in deine Gemächer zurückziehen oder im Garten Spazierengehen.«

Sie verbarg das Kästchen in den Falten ihrer abaaya, so dass er nicht sehen konnte, wie sich ihre Finger darum schlössen. »Wie Sie wünschen.«

Als Philip dem Diener in den Empfangsraum folgte, war er nicht darauf vorbereitet, Adrianne zu begegnen, schon gar nicht, sie immer noch in Schwarz gekleidet vorzufinden, den Kopf gesenkt und die Schultern eingezogen, als erwarte sie einen Schlag. Das strahlende Weiß von Abdus throbe bildete einen harten Kontrast zu ihrer schwarzen abaaya. Sie standen dicht nebeneinander, so dicht, dass sich ihre Überwürfe beinahe berührten, doch von Versöhnung oder Familienbanden war nichts zu spüren. Abdu blickte über ihr Haupt hinweg, als sei sie gar nicht vorhanden.

»Mit Ihrer Erlaubnis«, murmelte sie.

»Ja.« Abdu gewährte sie ihr, ohne sie dabei anzusehen.

»König Abdu ibn Faisal Rahman al-Jaquir, Herrscher des Hauses Jaquir, Scheich der Scheichs, darf ich Ihnen Philip Chamberlain vorstellen, den Mann, den ich, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, heiraten werde.«

»Mr. Chamberlain.« Abdu kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Er konnte sich sehr wohl nach westlichen Regeln benehmen, wenn es ihm gefiel. »Willkommen in Jaquir und in meinem Haus.«

»Danke.« Philip ergriff Abdus Hand. Sie war weich, der Händedruck kräftig.

»Sind Sie mit Ihren Räumen zufrieden?«

»Mehr als das. Ich stehe tief in Ihrer Schuld.«

»Sie sind mein Gast.« Er warf Adrianne einen raschen Blick zu. »Du magst gehen.«

Er sagte dies in einem Tonfall, mit dem man eine Dienerin entläßt. Philip bemerkte ihn, ärgerte sich darüber und war schon geneigt, sich statt dessen darüber zu amüsieren. Da hob Adrianne ihr Gesicht. Es sah sie nur ganz kurz an, doch das genügte, um die Wunde, die quer über ihr Jochbein lief, zu bemerken. Rasch senkte sie wieder ihren Kopf und verließ, begleitet vom Rascheln ihrer Röcke, den Raum.

Philip musste einige Male langsam und tief durchatmen. Um ihretwillen würde er nichts Ungehöriges tun oder sagen. Vielleicht täuschte er sich auch. Höchst unwahrscheinlich, dass Abdu seine Tochter beim ersten Treffen nach über zwanzig Jahren geschlagen hatte.

»Möchten Sie Platz nehmen?«

Philip nahm sich zusammen und wandte sich an Abdu. Der Blick, der sich auf ihn heftete, war sehr hart und sehr taxierend. »Vielen Dank.« Mittlerweile war frischer Tee gebracht und eingeschenkt worden.

»Sie sind Brite?«

»Ja, ich wurde in England geboren und habe dort die meiste Zeit meines Lebens verbracht, obgleich ich sehr viel reise.«

»Geschäftlich.« Den angebotenen Tee ignorierend, verschränkte Abdu seine beringten Hände. »Sie handeln mit Edelsteinen.«

Mit dieser Tarnung arbeitete er schon seit Jahren, und dank Interpol war sie hieb- und stichfest. »Ja. Dieses Geschäft erfordert einen sicheren Blick und ein Gespür fürs Handeln. Ich liebe Edelsteine.«

»Wir Araber sind geborene Händler und verstehen etwas von Steinen.«

»Gewiß. Der Rubin an Ihrem Ringfinger. Erlauben Sie?«

Abdus Brauen hoben sich ein wenig irritiert, aber er streckte Philip seine Hand entgegen.

»Sieben bis acht Karat, schätzungsweise burmesischer Herkunft - exzellente Farbe, Taubenblut-Rot, wie sie genannt wird, mit dem glasklaren Glanz, den man von einem hochwertigen Stein erwartet.« Damit lehnte sich Philip zurück und griff zu seiner Teeschale. »Ich erkenne Kostbarkeiten und weiß sie zu würdigen, Eure Hoheit. Deshalb möchte ich auch Ihre Tochter zur Frau nehmen.«

»Sie sind sehr offen, aber bei einer derartigen Hochzeit spielen noch andere Dinge eine Rolle als Ihr Wunsch allein.« Abdu schwieg danach eine Weile. Er hatte sich über Adriannes Hochzeit einige Gedanken gemacht, von der Art, die er normalerweise an untergeordnete gesellschaftliche oder politische Angelegenheiten verschwendete. Wäre sie reinen Blutes gewesen, hätte er einer Verehelichung mit einem Europäer niemals zugestimmt, ganz zu schweigen mit einem bleichgesichtigen, britischen Edelsteinhändler. Ihr Blut war aber nicht rein, und für ihn war sie daher von geringerem Wert als ein gutes Rennpferd. Wenigstens konnte sie als Bindeglied zwischen Europa und Jaquir fungieren. Aber was ihm viel wichtiger war, er wollte sie weit weg von Jaquir wissen.

»Ich hatte nur wenig Gelegenheit, Ihren gesellschaftlichen Hintergrund zu überprüfen, aber was ich in Erfahrung gebracht habe, stellt mich zufrieden.« Und vielleicht wird sie sogar, anders als ihre Mutter, Knaben zur Welt bringen. Enkelsöhne in England könnten sich in der Zukunft als ganz nützlich erweisen. »Wäre Adrianne in meinem Hause geblieben, so hätte man für sie eine andere Verbindung gewählt, eine, die ihrem Rang angemessen gewesen wäre. Nun, da dies nicht der Fall ist, bin ich geneigt, Ihnen meine Zustimmung zu erteilen - wenn wir uns über die Bedingungen einig werden.«

»Ich wage nicht, mich als Experte Ihrer Kultur zu bezeichnen, aber ich weiß, dass finanzielle Vereinbarungen gebräuchlich sind.«

»Der Brautpreis, ein Geschenk, das Sie meiner Tochter anbieten werden. Dieses bleibt in ihrem Besitz, jetzt und zukünftig.« Er dachte dabei sicherlich nicht an Sonne und Mond, aber Philip. »Es wird zudem von Ihnen erwartet, ihrer Familie ein Geschenk anzubieten, als Ausgleich für den Verlust der Tochter.«

»Ich verstehe. Und welches Geschenk würde Sie für Adrianne entschädigen?«

Er beabsichtigte mit Philip ein wenig zu spielen. Seinen Erkundigungen nach war der Engländer ein wohlhabender Mann, aber es gab Dinge, die Abdu viel wichtiger waren als Geld. An erster Stelle sein Stolz. »Sechs Kamele.«

Obwohl seine Brauen einen Satz nach oben machten, gelang es Philip einigermaßen, seine Belustigung zu verbergen. Nachdenklich trommelte er mit einem Finger auf die Stuhllehne. »Zwei.«

Abdu freute sich über dieses Angebot mehr als über eine schnelle Zustimmung. »Vier.«

Obwohl Philip nicht die geringste Ahnung hatte, wie er an ein Kamel kommen sollte, geschweige denn an vier, nickte er. »Einverstanden.«

»So soll es niedergeschrieben werden.« Philip nicht aus den Augen lassend, bellte er einem Diener eine Anordnung zu. »Mein Sekretär wird die Verträge vorbereiten, einen in Englisch und einen in Arabisch. Ist Ihnen das recht?«

»Ich befinde mich in Ihrem Land, Eure Hoheit. Wir werden selbstverständlich nach Ihren Regeln vorgehen.« Er setzte seine Teeschale ab und sehnte sich nach einer Zigarette. Dem Tee waren Gewürze beigemischt, die seinem britischen Gaumen gelinde gesagt unangenehm waren. »Als Adriannes Vater werden Sie sicherlich dafür Sorge tragen, dass sie gut versorgt sein wird.«

Abdus Miene blieb ausdruckslos. Es mochte eine Spur Sarkasmus in Philips Stimme mitgeklungen haben, oder, vielleicht war es auch nur sein britischer Akzent. »Selbstverständlich.«

»Selbstverständlich. Ich habe an eine Million Pfund gedacht.«

Es passierte Abdu nur selten, dass ihn etwas überraschen konnte, aber noch seltener kam es vor, dass man ihm die Überraschung auch ansah. Dieser Engländer war entweder verrückt oder absolut besessen von ihr. Vielleicht besaß Adrianne wie ihre Mutter die Gabe, einen Mann zu verhexen. Doch das Schicksal dieses Engländers lag ihm genausowenig am Herzen wie das seiner Tochter, die ihn durch ihre Anwesenheit an einen seiner größten Fehler erinnerte. Er würde ihr nicht die Ehre zuteil werden lassen, um sie zu handeln.

»So soll es niedergeschrieben werden. Wir werden heute abend ein Essen geben, um Sie meiner Familie vorzustellen und die Verlobung bekanntzugeben.« Er erhob sich, um ihn zu entlassen.

»Es wird mir eine Ehre sein.« Er hatte erwartet, dass Abdu ihm gegenüber eine gewisse Kälte zeigen würde, aber die Reaktion war viel starrer, viel nüchterner, als er sich dies vorgestellt hatte. »Werden Sie bei der Hochzeit im Frühling anwesend sein?«

»Im Frühling?« Zum ersten Mal spielte um Abdus Lippen eine Regung, die wohl ein Lächeln darstellen sollte. »Wenn Sie eine Zeremonie in Ihrem eigenen Land abhalten möchten, so betrifft mich dies nicht. Die Hochzeit wird auf alle Fälle hier stattfinden, nächste Woche, so wie es die Gesetze und Traditionen in Jaquir verlangen. Sie möchten sicher bis zum Abend noch etwas ruhen. Ein Diener wird Sie in Ihre Räume begleiten.«

Philip blieb fassungslos stehen, als Abdu ihn verließ. Am liebsten hätte er laut gelacht, aber er bezweifelte, dass Adrianne die Neuigkeit lustig finden würde.

Der Abend war eine Mischung aus alten Traditionen und neuen Einflüssen. Adrianne band sich das Haar, trug aber keinen Schleier. Sie war bescheiden gekleidet, ihr hochgeschlossenes Abendkleid mit langen Ärmeln, das bis zu ihren Knöcheln reichte, entsprach dem aurat, bedeckte alle Körperteile, die eine Frau nicht zeigen durfte. Aber es war von Yves Saint Laurent. In den Frauengemächern hatte sich rasch die Kunde verbreitet, dass Philip der Familie vorgestellt werden sollte. Daher wusste Adrianne, dass Philip es geschafft hatte. Nun, da Philip und die Verlobung akzeptiert waren, war die erste Hürde ihres Plans genommen.

Es war zu spät für eine Umkehr. Es war immer zu spät gewesen.

Der Diamant an ihrem Finger blitzte im Spiegel, während sie die Verletzung an ihrer Wange mit Make-up zu kaschieren versuchte. Die Symbole zweier Männer, die ihr Leben verändert hatten.

Zurücktretend musterte sie sich mit einem letzten Blick. Sie hatte freiwillig Schwarz gewählt, in der Gewißheit, die anderen Frauen würden in allen Regenbogenfarben glänzen. In Schwarz würde sie nur noch bescheidener und unterwürfiger erscheinen. Widerwillig legte sie das Amethystkollier um. Abdu erwartete es so. Sie hatte beschlossen, Abdus Er-

Wartungen auch weiterhin in allen Punkten gerecht zu werden, bis sie Jaquir verließ.

In einer Beziehung hatte Philip recht behalten. Wenn sie ihre Emotionen die Überhand gewinnen ließ, wurde sie nachlässig. So wahr die Worte auch sein mochten, die sie Abdu heute nachmittag entgegengeschleudert hatte, waren sie dennoch unbesonnen gewesen. Die Wunde würde sie immer daran erinnern, dass Abdu nie ein Mann war, der zuhörte, wenn eine Frau mit ihrem Herzen zu ihm sprach.

Noch einmal fuhr sie mit dem Finger sacht über die Wunde. Sie war nicht wütend über den Schlag, nicht einmal ärgerlich. Der Schmerz war ein kurzer gewesen, und die Wunde selbst half ihr, sich zu erinnern, dass hier in Jaquir, trotz aller neuen Gebäude, Straßen und Freiheiten, immer noch die Männer nach ihrem Gutdünken herrschten. Sie war für Abdu weniger eine Tochter als eine unliebsame Person, die er verheiraten und außer Landes schaffen musste, damit die Fehler, die er begangen hatte, nicht seine Ehre beschmutzten.

Dies alles bedauerte sie nicht. Was sie aber zutiefst schmerzte, war, dass sie während all der langen Jahre nie die Hoffnung auf Liebe, Verzeihen und Versöhnung ganz aufgegeben und dafür stets einen Platz in ihrem Herzen freigehalten hatte.

Diese Hoffnung war nun gestorben. Adrianne drehte sich zur Tür, als es klopfte. Jetzt gab es nur noch ein Ziel.

»Yellah.« Yasmin, in grell gestreiften Satin gewandet, nahm ihre Hand. »Komm schon. Beeil dich«, wiederholte sie auf Englisch. »Mein Vater hat nach uns schicken lassen. Warum trägst du Schwarz, wo dir doch Rot viel mehr schmeicheln würde?« Mit zuckenden Lippen ließ sich Adrianne zu den anderen Frauen ziehen.

Die Männer waren bereits im Salon versammelt. Abdu, drei seiner Brüder, seine zwei Söhne und diverse Cousins. Adrianne warf einen Blick auf den Jungen, der ihr jüngster Bruder war. Obwohl erst vierzehn, zählte er schon zu den Männern. Einen Augenblick lang musterten sie sich gegenseitig. In seinen Augen spiegelte sich die gleiche Neugier, die sie empfand, aber auch Ablehnung. Diesmal unterdrückte sie ihr Lächeln nicht und wurde dafür mit einem kurzen Anheben seiner Mundwinkel belohnt. Sein Lächeln erinnerte sie an Großmutter.

Und da war Philip, der so wunderbar europäisch aussah. Wie eine Oase, dachte sie, erfrischend und tröstlich. Am liebsten hätte sie ihre Hand nach seiner ausgestreckt, um sie auch nur für einen kurzen Augenblick zu drücken. Eine Verbindung herzustellen. Statt dessen hielt sie ihre Hand demütig vor sich gefaltet.

Er wünschte, er könnte nur fünf Minuten mit ihr allein sein. Seit dem Verlassen des Flugzeugs hatten sie keine Gelegenheit gehabt, auch nur ein einziges Wort miteinander zu sprechen. Er hätte ihr gerne von der Fußangel erzählt, die Abdu ausgelegt hatte. Fünf Minuten nur, dachte er, den Konventionen entfliehen, die Schutz und Einschränkung zugleich bedeuteten. In ihr brodelte ein Vulkan. Heute nachmittag hatte er ihn in ihren Augen kurz auflodern sehen. Wer konnte sagen, ob Abdus Ankündigung ihn nicht zum Ausbrechen bringen würde?

Eine nach der anderen wurden ihm die Frauen vorgestellt, in einer umständlichen Zeremonie, die dem Buckingham Palace alle Ehre gemacht hätte. In ihren opulenten, farbigen Cocktailkleidern zogen sie wie ein Regenbogen an ihm vorüber, dunkelhäutige Frauen mit dunklen Augen und leisen Stimmen. Manche der Roben waren elegant, andere protzig, einige sehr modisch und wieder andere lächerlich. Aber die Frauen darin zeigten alle das gleiche Benehmen. Sie hielten den Kopf gesenkt, schlugen die Augen nieder, und ihre kostbar beringten Finger falteten sich am Ende ihrer langen Ärmel.

Er beobachtete, wie Adrianne auf den Wink ihres Vaters hin vortrat, um ihre Brüder zu begrüßen. Fahid küsste sie auf die Wangen und drückte dann kurz ihre Arme. »Ich freue mich für dich, Adrianne. Willkommen zu Hause.«

Es war ihm ernst damit, hatte sie den Eindruck. Obwohl sie sich nie in Jaquir zu Hause fühlen könnte, empfand sie eine gewisse Behaglichkeit. Ich liebe Adrianne. Das hatte er oft zu ihr gesagt, einfach, ehrlich, in seiner kindlichen Art. Sie waren keine Kinder mehr, und doch war etwas aus dieser Zeit in der Art verblieben, wie sich ihre Blicke trafen und nicht voneinander ließen. Wie hätte sie, die so lange allein gelebt hatte, ahnen können, dass ihr ihre Familie doch etwas bedeuten würde?

»Ich freue mich, dich wiederzusehen.« Und auch ihr war es ernst damit.

»Unser Bruder Rahman.«

Sie wartete, wie es der Anstand gebot, bis er sie küsste. Es war keine Abneigung, was sie empfand, als er ihre Wangen streifte, sondern Scheu.

»Willkommen, Schwester. Wir danken Allah, dass er dich zurückgebracht hat.«

Rahman. Seine Augen waren die eines Dichters, und er trug den Namen ihres Urgroßvaters, des Kriegers. Adrianne wollte gerne mit ihm reden, eine Verbindung zu ihm knüpfen. Aber Abdu beobachtete sie.

Philip beobachtete indessen weiterhin, wie sie der übrigen Familie vorgestellt wurde. Ihren jüngeren Bruder erkannte er als den Jungen wieder, der in dem Zimmer nahe seinen Räumen gebetet hatte. Was war es wohl für ein Gefühl, einem Bruder gegenüberzustehen, den man noch nie gesehen hat? Sicherlich ein seltsames, aber bislang hatte er noch nie darüber nachgedacht, dass er möglicherweise auch Geschwister haben könnte. Er dachte an die Kluft, die zwischen Adrianne und ihren anderen Geschwistern lag. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, nichts darüber zu wissen.

Sie sprach arabisch, sehr flüssig und melodisch. Mehr als alles andere ließ dieser fremde Klang ihrer Stimme die ganze Szenerie wie einen Traum erscheinen. Obwohl er wortlos darum flehte, sah sie kein einziges Mal in seine Richtung, sondern stellte sich auf einen Wink hin an Abdus Seite.

»Heute abend haben wir einen Grund zur Freude.« Mit Rücksicht auf Philip sprach er in klarem, präzisem Englisch. »Ich vertraue diese Frau meiner Familie diesem Mann an. Nach dem Willen Allahs und Ihm zur Ehre sollen sie verheiratet werden.« Damit nahm er Adriannes Hand und legte sie in Philips. »Möge sie ihm eine fruchtbare und bescheidene Frau sein.«

Adrianne hätte darüber lächeln können, aber dann sah sie ihre Großmutter und mit ihr einige jüngere Frauen sich die Tränen aus den Augenwinkeln tupfen.

»Die Dokumente sind unterschrieben«, fuhr Abdu fort. »Der Preis ist festgesetzt. Die Zeremonie wird heute in einer Woche stattfinden. Inshallah.«

Philip spürte, wie sich ihre Finger in seiner Hand verkrampften. Ihr Kopf schloss hoch, und für die Dauer von zwei Herzschlägen brodelte der Vulkan in ihren Augen. Dann senkte sie wieder ihren Blick und nahm die gutgemeinten Wünsche für eine glückliche Ehe und reichen Kindersegen entgegen.

Sie hatten immer noch kein Wort miteinander gewechselt, als sich Adrianne zusammen mit den anderen Frauen zurückzog, um in der Abgeschiedenheit des Harems und außer Blickweite der Männer ihre Verlobung zu feiern.

Adrianne hatte schlechte Träume und warf sich unruhig im Bett hin und her. Die Träume waren unklar. Einer blendete sich formlos in den anderen ein und ließ sie mit einem Gefühl von Unwohlsein und Schmerz zurück. Sie hatte gehofft, erschöpft in einen tiefen Schlaf sinken zu können. Nach all den Plaudereien über Hochzeitskleider und Hochzeitsnächte musste sie völlig erschöpft sein. Aber ein Schlaf, in dem sie schlechte Träume verfolgten, war keine Erholung.

Als sich eine Hand über ihren Mund legte, fuhr sie im Bett hoch; eine Hand umklammerte einen Arm, die andere suchte verzweifelt Halt.

»Ruhig«, flüsterte ihr Philip direkt ins Ohr. »Wenn du schreist, werden mich deine Verwandten bei lebendigem Leib zerstückeln.«

»Philip!« Eine Woge der Erleichterung durchflutete sie. Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals. Er ließ sich mit ihr aufs Bett niedersinken und erstickte ihr Murmeln mit seinen Lippen. Das war es, wonach er sich den ganzen Abend gesehnt, wonach er sich verzehrt hatte. Er hatte nicht gewusst, dass sich sein Verlangen binnen weniger Stunden derart steigern und die Sorge um sie wie ein Mühlstein auf seinen Schultern lasten könnte.

»Ich bin beinahe verrückt geworden«, raunte er ihr ins Ohr. »Hab' mich gefragt, wann ich dich endlich sprechen und dich berühren kann. Ich will dich, Addy.« Er knabberte zärtlich an ihrem Ohrläppchen. »Jetzt.«

Mit einer gewisperten Zustimmung vergrub sie ihre Finger in seinem Haar. Im nächsten Moment stieß sie ihn von sich weg und setzte sich auf. »Verdammt noch mal. Was machst du hier? Weißt du nicht, was passiert, wenn sie dich hier finden?«

»Ich habe dich auch vermißt.«

»Das ist kein Scherz. Gleich neben den Suks finden immer noch öffentliche Hinrichtungen statt.«

»Ich habe nicht vor, wegen dir meinen Kopf zu verlieren.« Er nahm ihre Hand und zog sie an seine Lippen. »Auf jeden Fall nicht mehr, als ich davon ohnehin schon verloren habe.«

»Du bist ein Dummkopf«, hauchte sie, und ihr Puls wurde schwach.

»Ein Romantiker.«

»Das kommt aufs gleiche raus.« Die Laken von sich werfend, kroch sie aus dem Bett. »Du musst von hier verschwinden, und zwar schnell.«

»Zuerst werden wir ein paar Takte miteinander reden. Adrianne, es ist drei Uhr morgens. Jeder hier im Palast liegt, mit Lammbraten und Granatäpfeln vollgestopft, in tiefem Schlaf.«

Sie ließ sich wieder aufs Bett plumpsen. Fünf Minuten nur, davon würde die Welt schon nicht untergehen, beruhigte sie sich. Und es tat so gut, ihn neben sich zu wissen. »Wie bist du in die Frauengemächer gelangt?«

»Durch den Tunnel.« Er hatte recht. Er konnte ihr Muttermal im Dunkeln finden.

»Großer Gott, Philip, wenn man dich gesehen hätte...«

»Hat man aber nicht.«

»Willst du mir bitte zuhören?«

»Bin ganz Ohr.«

»Und Hände.« Sie schlug sie weg. »Es ist schon dumm genug, deinen zugewiesenen Flügel zu verlassen, aber hier...« Sie unterbrach sich, um seine geschickten, flinken Finger abzuwehren, die an den Knöpfen ihres Nachthemdes nestelten. »Wie hast du mein Zimmer gefunden?«

»Ich hab' da so meine Methoden.«

»Philip.«

»Ein kleiner Peilsender an deinem Kosmetikkoffer.«

Mit einem empörten Zischen stand sie auf und baute sich vorm Bett auf. »Du bist zu lange bei Interpol gewesen. Wenn du diese Angelegenheit wie einen Spionageroman handhabst, wirst du tatsächlich deinen Kopf verlieren.«

»Ich musste dich einfach sehen. Musste mich versichern, dass es dir gutgeht.«

»Das weiß ich ja zu schätzen, aber es war ausgemacht, dass du wartest, bis ich dich kontaktiere.«

»Willst du unsere kostbare Zeit mit langweiligen Diskussionen darüber verschwenden?«

»Nein?« Die Lampe anzuknipsen wollte sie nicht riskieren, doch sie zündete zwei Kerzen an. »Ich glaube, in Anbetracht von Abdus Kabinettstückchen sind einige klärende Worte tatsächlich angebracht.«

»Es tut mir leid, dass dich diese Neuigkeit wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen hat. Es war leider unmöglich, dich zu warnen.«

»Laß uns lieber überlegen, was wir in dieser Sache unternehmen können.«

»Was können wir schon dagegen tun?« Die Spur von Selbstgefälligkeit in seiner Stimme entging ihr nicht. »Ich habe bereits unterschrieben. Ich bezweifle ernsthaft, dass es uns gelingen wird, in weniger als einer Woche das Kollier zu stehlen und ungesehen das Land zu verlassen.«

»Da magst du recht haben.« Sie setzte sich wieder hin und versuchte noch einmal, wie schon den ganzen Abend, die Sache zu durchdenken. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob er einen Verdacht hegt und deshalb die Hochzeit so schnell wie möglich über die Bühne bringen will?«

»Ob er vermutet, dass seine Tochter einer der Meisterdiebe dieses Jahrhunderts ist?«

Fragend runzelte sie die Stirn. »Einer?'

»Ich bin schließlich auch noch da, Liebling« Er hob ihren Schleier auf und ließ den duftigen Stoff durch seine Finger fließen. »Ich kann mir nicht vorstellen, das Abdu dir auf die Schliche kommen sollte, wenn du Interpol all die Jahre so erfolgreich hast an der Nase herumführen können. Ist es nicht wahrscheinlicher, dass er bei den Hochzeitsvorbereitungen mitmischen möchte?«

»Aus rein väterlicher Gefühlsduselei? Wohl kaum.«

»Nein, Addy, denk doch mal nach.« Er sagte dies betont freundlich, denn ihre Stimme hatte einen gereizten Klang angenommen. »Ich vermute, es ist eher eine Frage von Stolz und Image.«

Sie blieb eine Weile ruhig sitzen und versuchte das Gefühl der Bitterkeit zu unterdrücken. »Ja, das klingt glaubhaft. Beides ist ihm enorm wichtig.« Sie drehte den Diamantring an ihrem Finger. »Und was machen wir jetzt«

»Sag du es mir.« Er warf den Schleiei beiseite. »Das alles war doch deine Idee.«

»Du läufst aber Gefahr, in eine missliche Lage zu geraten.«

»Eine Lage, in die zu bringen ich mich bereits entschlossen hatte, falls du dich erinnern möchtest. Ich habe ohnehin vor, dich zu heiraten. Ob hier oder in London ist mir völlig, gleichgültig.«

Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so umzingelt gefühlt. »Du weißt, was ich darüber denke!«

»Das weiß ich sehr gut. Also?«

Adrianne drehte weiterhin an ihrem Ring und grübelte über ihre Situation nach. »Eigentlich ist es nichts weiter als eine Zeremonie. Keiner von uns beiden ist Moslem, also brauchen wir sie auch nicht ernst zu nehmen «

»Eine Hochzeit ist eine Hochzeit.«

Das hatte sie sich auch schon gesagt, »sicher, aber wir können das Spiel getrost mitspielen. Eine moslemische Ehe kann auch nach moslemischen Gebräuchen wieder aufgelöst werden. Sobald wir wieder zu Hause sind, kannst du dich von mir scheiden lassen.«

Amüsiert setzte sich Philip neben sie aufs Bett. »Und aus welchen Gründen?«

»Du bist ein Mann, du brauchst keine Gründe zu nennen. Alles, was du tun musst, ist, dreimal Ich verstoße dich zu sagen, und die Scheidung ist vollzogen.«

»Wie praktisch.« Er suchte nach einer Zigarette, ließ es dann aber bleiben. »Und danach bin ich nur um vier Kamele ärmer.«

»Das hat er für mich verlangt? Vier Kamele?« Mit einem gezwungenen Lachen verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust.

»Ich habe hart verhandelt, wie du gesagt hast, aber ich habe keine Ahnung, ob er mich übers Ohr gehauen hat.«

»Oh, nein, das war ein gutes Geschäft für dich. Für eine lahme Drittfrau hättest du mehr bezahlt.«

»Adrianne...«

»Er hat mich damit beleidigt, nicht dich.« Sie schüttelte seine Hand ab. »Das ist mir egal oder wird mir egal sein, wenn ich Sonne und Mond in Händen halte. Vier Kamele oder vierhundert - Tatsache ist, dass ich verkauft und gekauft wurde.«

»Wir müssen uns doch nur seinen Regeln beugen, solange wir hier sind.« Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne hinters Ohr. »In einigen Wochen werden wir...« Im Schein der flackernden Kerzen trat ihre Wunde noch sichtbarer hervor. »Wie bist du dazu gekommen?«

»Durch Aufrichtigkeit.« Sie versuchte ein Lächeln, doch das gefror ihr in den Mundwinkeln. Der Ausdruck seiner Augen ließ ihr den Mund trocken werden.

»Er hat dir das angetan?« Er sprach jedes Wort so langsam und vorsichtig aus, als könnte es zerbrechen. »Er hat dich geschlagen?«

»Ach, ist nicht so schlimm.« Verzweifelt versuchte sie ihn festzuhalten, als er vom Bett aufstand. »Philip, es ist nichts. Er hat das Recht...«

»Nein.« Er entzog sich ihrem Griff. »Nein, bei Gott, das hat er nicht.«

»Hier schon«, stieß sie hervor und verstellte ihm den Weg zur Tür. Heftiger Zorn vibrierte in ihrer Stimme, die zu erheben sie sich nicht traute. »Seine Regeln, erinnerst du dich? Genau wie du gesagt hast.«

»Aber nicht, wenn diese Regeln Narben in deinem Gesicht verursachen.«

»Blaue Flecken vergehen wieder, Philip, aber wenn du jetzt zur Tür hinausgehst und das tust, was ich in deinen Augen lesen kann, dann ist es aus mit uns beiden. Es gibt bessere Wege, deine Ehre zu rächen - und die meine. Bitte!« Sie hob eine Hand, um sein Gesicht zu berühren, aber er wandte sich brüsk von ihr ab.

»Gib mir eine Minute.« Sie hatte recht. Er wusste, dass sie recht hatte. Er hatte seine Vorhaben immer ganz nüchtern betrachten können, aber diese Welle von Gewalttätigkeit, die in ihm hochschwappte, war ihm unbekannt. Bis zu diesem Augenblick hatte er nicht gewusst, dass er fähig sein könnte, einen Menschen zu töten. Und dass ihm dies sogar Spaß machen würde.

Er drehte sich um und sah sie im sanften Kerzenlicht dastehen, die Hände ineinander verschränkt, die dunklen Augen weit aufgerissen. »Er wird dir nicht mehr weh tun.«

Der Atem, den sie angehalten hatte, kam nun säuselnd zwischen ihren Lippen heraus. Jetzt war er wieder Philip. »Das kann er auch nicht. Nicht so, dass es mich schmerzen würde.«

Er kam auf sie zu und strich mit seinem Daumen sanft die Wunde entlang. »Überhaupt nicht.« Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn und dann einen auf die Lippen. »Addy, ich liebe dich.«

»Philip.« Sie drückte sich an ihn, ihre Wange lag an seiner Schulter. »Du bedeutest mir mehr als je ein Mann zuvor.«

Er strich über ihr Haar und versuchte, nicht die Fassung zu verlieren. Noch nie hatte sie sich so nahe an die drei kleinen Worte herangewagt, die er so gerne von ihr hören wollte. »Ich bin in der Schatzkammer gewesen.« Als sie sich von ihm loszumachen versuchte, hielt er sie fest. »Keine Gardinenpredigt, Addy. Das hatten wir schon. Es ist alles genau so, wie wir es besprochen haben, aber ich glaube, es ist sinnvoller, uns noch einmal gemeinsam dort umzusehen. Was den Schlüssel betrifft...«

»Der Schlüssel, den ich angefertigt habe, müßte passen. Ansonsten kann er später noch nachgefeilt werden.«

»Mir wäre es lieber, wenn wir uns schon vorher darum kümmerten.« Wohlweislich trat er einen Schritt zurück, denn er wusste, dass es schwierig werden konnte, Adrianne den folgenden Vorschlag zu unterbreiten. »Wenn du ihn mir gibst, dann kann ich ihn morgen nacht ausprobieren und mich um diesen Teil kümmern.«

Sie dachte kurz nach. »Wir werden uns morgen nacht gemeinsam um diesen Teil kümmern.«

»Es ist doch nicht nötig, dass wir beide gehen.«

»Gut, dann gehe ich alleine.«

»Du bist dickköpfig, Addy.«

»Genau. Ich habe nicht vor, mich auch nur von einem kleinen Teil dieses Jobs ausschließen zu lassen. Den Schlüssel schon vorher anzupassen, ist keine schlechte Idee. Wir machen es gemeinsam, oder ich mach' es allein.«

»Wie du meinst.« Noch einmal berührte er zärtlich die Wunde auf ihrer Wange. »Es wird eine Zeit kommen, wo ich nicht mehr nach deiner Pfeife tanzen werde.«

»Möglich. Ich habe mir inzwischen Gedanken über unsere Hochzeitsnacht gemacht.«

»Tatsächlich?« Frech grinsend hakte er einen Finger in den Ausschnitt ihres Nachthemdes und zog sie zu sich heran.

»Das natürlich auch, aber ich habe meine Prioritäten.«

»Als da wären?«

»Wie es aussieht, gibt es keinen günstigeren Zeitpunkt für unser Vorhaben.«

»Erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Du trittst mein Ego mit Füßen, Addy.«

»Du machst dir ja keine Vorstellung, wie endlos, wie ermüdend und wie langweilig Hochzeitsfeiern hierzulande sind. Das Ganze zieht sich über Stunden hin, und jeder ißt, bis er halb ohnmächtig ist. Dann erst können wir uns zurückziehen. Niemand käme auf die Idee, uns zu stören.

Nach einem Tag - oder maximal zwei Tagen - können wir Jaquir verlassen, ohne die Familie vor den Kopf zu stoßen.«

»Eigentlich ist es schade, dass du nicht romantischer veranlagt bist, aber was du da sagst, klingt plausibel. Und ich empfinde es eigentlich als gar nicht so abwegig, wenn zwei Diebe ihre Hochzeitsnacht in einer Schatzkammer verbringen und die kostbarsten Juwelen der Welt stehlen.«

»Wir stehlen nicht nur einfach Juwelen, Philip. Wir stehlen eine Legende.« Sie küßte ihn flüchtig und ging dann zur Tür. »Jetzt musst du gehen. Es ist zu gefährlich für dich hier. Wenn alles gutgeht, dann treffen wir uns übermorgen früh um halb vier im Tresorraum.«

»Sollen wir unsere Uhren vergleichen?«

»Ich glaube, das ist nicht nötig.«

»Aber das.« Bevor sie noch die Tür öffnen und nachsehen konnte, ob die Luft rein war, hatte er schon die Arme um sie geschlungen. »Wenn ich schon Kopf und Kragen riskiere, dann aber für mehr als nur ein paar Worte.« Damit hob er sie hoch und trug sie zurück zum Bett.

24. Kapitel

»Sie werden eine bezaubernde Braut sein.« Dagmar, eine bekannte Modeschöpferin, die man eigens aus Paris hatte ein- fliegen lassen, drapierte schneeweißen Satin um Adriannes Schultern. »Die wenigsten Damen können reines Weiß tragen. Hier kann es ruhig noch etwas mehr Spitze sein.« In gebückter Haltung, da sie gut einen halben Kopf größer war als Adrianne, hantierte sie mit den Stecknadeln. Ihre Hände waren alles andere als schön, doch sie arbeiteten flink und geschickt. Die Schneiderin duftete nach dem Parfüm, das sie gerade unter ihrem Namen auf den Markt gebracht hatte. »Wir lassen die Spitze vom Halsansatz zum Mieder hin auslaufen.«

Adrianne stand vor dem Spiegel und betrachtete sich nachdenklich. Ihr Vater hatte prompt reagiert. Ihr Hochzeitskleid von einer der Pariser Top-Designerinnen binnen einer Woche entwerfen und anfertigen zu lassen, musste ihn ein Vermögen kosten. Doch auch diese Investition war für ihn in erster Linie nur eine Frage seiner Ehre. Seine Tochter in einem Hochzeitskleid von der Stange zu verheiraten, wäre für König Abdu undenkbar. Es musste schon alles vom Feinsten sein.

Ihre Finger, die sich ganz unwillkürlich verkrampft hatten, begannen zu schmerzen. Sie versuchte sich zu entspannen. »Ich hätte das Kleid gern so schlicht wie möglich.«

Dagmar steckte die langen Ärmel noch etwas enger ab. »Sie können sich auf mich verlasssen. Ich verstehe, was Sie meinen. Schlicht und unaufdringlich, dabei jedoch elegant, ohne langweilig zu wirken. Die Braut soll bestechen, nicht das Kleid.« Sie sah auf, als zwei ihrer Assistentinnen mit einem Berg Kleider über dem Arm hereinkam. »Für die Damen der Hochzeitsgesellschaft. Man hat mir eine Liste zukommen lassen.« Sie zog eine Stecknadel aus dem Nadelkissen, das an ihrem Handgelenk klemmte, und steckte die Taille ab.

»Aha. Und wie viele werden es sein?«

Dagmar, überrascht, dass die Braut darüber nicht Bescheid wusste, sah Adrianne erstaunt an. »Zwölf. Dieses Petrolblau ist eine wunderbare Farbe. Sehr kräftig.« Auf ihre Zeichen hin wurde eines der Kleider hochgehalten. Es hatte einen festlichen, halsfernen Ausschnitt und einen knöchellangen, mit Spitzen besetzten Rock. »Man hat mir bei der Wahl der Kleider freie Hand gelassen. Ich hoffe, sie sagen Ihnen zu.«

»Aber gewiss

»Bitte umdrehen.« Eine so ernste und unsichere Braut war ihr nur selten begegnet. Dagmar kannte Prinzessin Adrianne und hatte sich schon immer gewünscht, einmal für sie zu arbeiten, aber dass sich dafür in Jaquir die Gelegenheit bieten sollten, und noch dazu anläßlich einer so kurzfristig anberaumten Hochzeit, damit hatte sie wahrlich nicht gerechnet. Ob die Braut wohl schon guter Hoffnung war? überlegte sie. Wenn dem so war, so verrieten ihre schlanke Taille und ihr flacher Bauch nichts davon. Wie dem auch sei mochte, Dagmar jedenfalls war viel zu diskret, um Gerüchte über ihre Kundinnen in die Welt zu setzen - besonders dann nicht, wenn ein Auftrag wie dieser noch etliche andere nach sich ziehen mochte. Sie war Französin, und sie dachte praktisch.

»Die Schleppe werden wir hier befestigen.« Sie tippte auf eine Stelle unterhalb Adriannes Schultern. »Sie wird hier quasi wie eine Quelle entspringen und sich dann auf den Boden ergießen.« Dabei verdeutlichte sie das Bild mit ihren hässlichen, schmalen Händen. »Sehr imposant. N'est-pas?«

Zum ersten Mal lächelte Adrianne. Die Frau gab wirklich ihr Bestes. »Klingt wundervoll.«

Ermutigt wirbelte Dagmar um Adrianne herum, zupfte hier und steckte dort. Seit Jahren schon kleidete sie die Damen der ersten Gesellschaft ein, wobei sie stets darauf achtete, die kleinen Schönheitsfehler ihrer Kundschaft wirkungsvoll zu vertuschen. Die Prinzessin hatte einen makellosen Körper, schmal, aber dennoch wohlgeformt, und was sie für eine Figur wie diese entwarf, würde Aufsehen erregen. Schade, dachte sie, dass man keine Aussteuer für sie in Auftrag gegeben hatte.

»Ihr Haar, wie werden Sie es tragen? Offen oder hochgesteckt?«

»Ich weiß nicht. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.«

»Dann wird es aber höchste Zeit. Ihre Frisur sollte unbedingt zum Kleid passen.« Sie probierte ein wenig mit Adriannes Haaren und trat dann einen Schritt zurück. Sie war eine hagere Person mit schmalen, hausbackenen Zügen, aber wunderschönen grünen Augen. »Geflochten, würde ich vorschlagen. Französisch. Schlicht wie das Kleid, aber keinesfalls streng. Sehr weiblich, auf alle Fälle.« Zufrieden ließ sie ihr kritisches Auge über ihr Werk schweifen. »Werden Sie Schmuck tragen? Etwas Spezielles?«

Sie dachte daran, wie Sonne und Mond auf dem Hochzeitskleid ihrer Mutter gefunkelt hatten. »Nein, keinen Schmuck.« Vom Flur hörten sie plötzlich ein aufgeregtes Geschnatter und Gekicher.

»Die Damen der Hochzeitsgesellschaft.« Dagmar rollte mit ihren grünen Augen. »Nach dieser Woche werden wir erschöpft zu Boden sinken, aber alles wird perfekt sein.«

»Madame, wieviel berechnen Sie für dieses Kleid?«

»Eure Hoheit!«

»Ich möchte wissen, was dieses Kleid kostet.«

Achselzuckend kniete sich Dagmar hin und zupfte den Saum gerade. »250 000 Franc in etwa.«

Adrianne nickte und berührte die Spitze am Halsausschnitt. Ihre Kommission für die St.-John-Juwelen lag noch über diesem Betrag. Es schien ihr angebracht, wenn es auch nicht einer gewissen Ironie entbehrte, dieses Geld für ihr Brautkleid zu verwenden. »Die Rechnung geht an mich, nicht an den König.«

»Aber Hoheit!«

»Die Rechnung geht an mich«, wiederholte Adrianne. Sie würde niemals ein Kleid tragen, das er bezahlte.

»Wie Sie wünschen.«

»Die Hochzeit findet in Jaquir statt, Madame.« Adrianne lächelte wieder. »Aber ich bin Amerikanerin. Es ist nicht leicht, mit alten Gewohnheiten zu brechen.« Adrianne betrachtete das Thema als erledigt und wandte sich um, als die Tür aufging. Die Damen der Hochzeitsgesellschaft und mehr als ein Dutzend anderer Frauen drängten schnatternd herein. Letztere waren mitgekommen, um Tee zu trinken, bei den Anproben zuzusehen und dabei über Hochzeiten und Mode zu plaudern. Adrianne schätzte, dass Dagmar am Ende der Anprobe mindestens sechs neue Aufträge in der Tasche haben würde.

Die Frauen zogen sich bis auf die Unterwäsche aus. Da Wäsche bei ihnen mindestens ebenso hoch im Kurs stand wie Schmuck und Juwelen, reichte die Palette der Modelle von bezaubernd bis frivol. Rote Strapse und schwarze Spitze, weißer Satin und durchsichtige Seide. Unter lautstarkem Palaver wurden die Kleider dann anprobiert und entsprechend bestaunt, wobei Dutzende Fragen nach Blumenschmuck, Geschenken und Plänen für die Flitterwochen aufgeworfen wurden. Die ganze Situation hätte Adrianne eigentlich amüsieren oder sogar anrühren können, wären da nicht die bohrenden Kopfschmerzen gewesen, die sie quälten. Die Hochzeit mochte ja nur eine Farce sein, eine zeitlich begrenzte, notwendige Maßnahme, die zweifellos Vorteile mit sich brachte, doch die Vorbereitungen dazu waren bitterer Ernst.

Sie beobachtete, wie ihre kleine Schwester in ein Kleid gezwängt wurde, das von der Machart her einer älteren Dame geschmeichelt hätte. »Nein«, bedeutete Adrianne der Frau, die gerade das Oberteil abstecken wollte. »Das steht ihr nicht.«

Yasmin raffte den weiten Rock mit beiden Händen. »Mir gefällt es aber sehr gut. Keri und die anderen tragen doch das gleiche.«

»Du siehst aber darin aus wie ein kleines Mädchen, das heimlich die Kleider seiner Großmutter anprobiert.« Auf Yasmins enttäuschte Miene hin winkte sie Dagmar zu sich. »Ich wünsche etwas Besonderes für meine Schwester, etwas Passenderes für ihr Alter.«

»Ihr Herr Vater hat aber angeordnet, dass alle Damen die gleichen Kleider tragen.«

Adriannes Blick und der der Schneiderin trafen sich im Spiegel. »Und ich sage Ihnen, dass meine Schwester dieses Kleid nicht tragen wird. Ich stelle mir für sie etwas Schmeichelnderes vor, etwas...« Sie verkniff sich das Wort jugendlich und sagte statt dessen: »Etwas Zeitgemäßeres. In Rose vielleicht, so dass es sich von den anderen Kleidern abhebt.«

Yasmins Augen leuchteten auf. »Oder in Rot?«

»Rose«, wiederholte Adrianne.

Da Dagmar sich von Adrianne eher einen Folgeauftrag erhoffen konnte als vom König, zeigte sie sich kooperativ. »Vielleicht habe ich ja noch etwas Passendes in meinem Pariser Salon, das ich kommen lassen könnte.«

»Ja, ich bitte darum. Und diese Rechnung geht ebenfalls an mich.« Sie strich Yasmin über die Wange. »Du wirst bezaubernd aussehen. Wie eine Rose unter Farnkräutern.«

»Aber dieses hier steht mir doch auch sehr gut.«

Adrianne stellte sich neben Yasmin vor den Spiegel. »Das andere wird noch schöner sein. Es ist so Sitte, dass die Brautjungfer ein anderes Kleid oder zumindest eine andere Farbe trägt als die übrigen Damen der Hochzeitsgesellschaft, um sich von ihnen abzuheben.«

Yasmin überlegte kurz und freundete sich dann mit dem Gedanken an. Sie würde mit Freuden den Schleier nehmen, wenn die Zeit gekommen war, aber bis dahin wollte sie es noch auskosten, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wann immer dies möglich war. »In Seide?«

Adrianne musste daran denken, wie sie sich als kleines Mädchen nach einem Seidenkleid verzehrt hatte. »In Seide also.«

Zufrieden betrachtete Yasmin ihr Spiegelbild. »Wenn ich einmal heirate, möchte ich auch so ein Brautkleid wie deines tragen.«

»Du kannst dieses tragen, wenn du möchtest.«

Yasmins Brauen zuckten empört. »Ein getragenes Kleid?«

»Es gibt auch die Sitte, das Brautkleid seiner Mutter, seiner Schwester oder das einer guten Freundin zu tragen.«

Während sie über diese Ungeheuerlichkeit nachdachte, strich Yasmin versonnen über den seidigen Stoff von Adriannes Brautkleid. Ein seltsamer Brauch, dachte sie, aber einer, über den man - solange das Kleid so bildschön war - ohne weiteres nachdenken konnte. »Das Hochzeitskleid meiner Mutter würde ich nicht tragen wollen«, überlegte sie dann laut. »Es ist bestimmt nicht so schön wie dieses. Sie war die zweite Frau. Warum trägst du denn nicht das Kleid deiner Mutter?«

»Ich habe es nicht. Nur ein Bild davon. Wenn du mich einmal in Amerika besuchen kommst, werde ich es dir zeigen.«

»Dich besuchen?« Mit einer ungeduldigen, ja beinahe gebieterischen Handbewegung, so kam es Adrianne vor, lehnte Yasmin den Tee ab, den ihr eine Dienerin anbot. »Wann denn?«

»Wenn es dir erlaubt ist.«

»Essen wir dann in einem Restaurant?«

»Wenn du das gerne möchtest.«

Für einen Moment sah Yasmin aus wie jedes andere junge Mädchen auch, dem man ein besonderes Vergnügen in Aussieht stellt. »Einige Frauen in Jaquir essen auch in Restaurants, aber mein Vater erlaubt es seiner Familie nicht.«

Adrianne nahm ihre Hand. »Wir werden jeden Abend in einem Restaurant essen.«

Philip bekam den König nur selten zu Gesicht, wurde aber ansonsten überaus zuvorkommend behandelt. Er kam sich vor wie ein ausländischer Diplomat, als man ihn unter strenger Bewachung durch den Palast führte. Man zeigte ihm jeden Raum, mit Ausnahme der Frauengemächer, wobei ihm der Kronprinz einen detaillierten, mitunter etwas langweiligen Abriß der Geschichte Jaquirs gab. Während er höflich den Ausführungen lauschte, prägte er sich sorgsamst die Positionen aller Fenster, Korridore, Aus- und Eingänge ein und beobachtete das Kommen und Gehen der Wächter und Diener in Hinblick auf den zeitlichen Ablauf.

Und er stellte eifrig Fragen. Das Buch, das Adrianne ihm ans Herz gelegt hatte, erwies sich als sehr hilfreich in bezug auf die Fragen, die er stellen konnte, ohne indiskret oder kritisierend zu wirken. So fragte er nicht, weshalb man die Frauen hinter vergitterten Fenstern und hohen Mauern versteckte. Ebenso erkundigte er sich nicht nach den Sklavenmärkten, die immer noch, gleichwohl im Verborgenen, existierten. Oder die Hinrichtungen, die nach wie vor in aller Öffentlichkeit stattfanden.

Zum Lunch, den sie in einem Raum mit einem riesigen Springbrunnen in der Mitte einnahmen, wurden Kaviar und Wachteleier gereicht. Bunt gefiederte exotische Singvögel in Käfigen, die von der Decke hingen, trällerten dazu ihre Liedchen. Man unterhielt sich über Kunst und Literatur und verlor kein Wort über die matawain mit ihren Kamelpeitschen. Rahman leistete ihnen für kurze Zeit Gesellschaft. Nachdem er seine anfängliche Scheu überwunden hatte, bombardierte er Philip mit Dutzenden von Fragen über London und sog die Antworten begierig ein.

»Wie ich gehört habe, gibt es in London eine große Moslemgemeinde.«

Philip nippte an dem gewürzten Kaffee und sehnte sich heimlich nach einer guten Tasse englischen Tees. »Ja, das stimmt.«

»Ich möchte unbedingt einmal nach London reisen, schon allein der interessanten Sehenswürdigkeiten und der zahlreichen Museen wegen. Aber im Winter, wenn Schnee liegt. Ich möchte es zu gern einmal erleben, wenn es schneit.«

Philip erinnerte sich, wie Adrianne ihm von ihrer ersten Begegnung mit Schnee erzählt hatte. »Dann kommen Sie doch nächsten Winter. Adrianne und ich würden uns freuen, wenn Sie unser Gast wären.«

Rähman stellte sich vor, wie schön es wäre, diese große Stadt zu besuchen und eine Zeit mit seiner Schwester, deren wunderschöne Augen und offenes Lächeln er bewunderte, zu verbringen. Es gab soviel Neues zu lernen in London. Und er wollte so gerne lernen. Er warf seinem Bruder einen raschen Blick zu. Sie beide kannten die Einstellung ihres Vaters zum Westen nur zu gut.

»Das ist sehr freundlich von Ihnen. Wenn es Allah gefällt, werde ich Ihre Einladung eines Tages gerne annehmen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss zurück zu meinen Büchern.«

Später fuhren sie in einer klimatisierten Limousine durch die Stadt. Auf die großen Frachter deutend, schwärmte Fahid von den exzellenten Handelsbeziehungen zwischen Jaquir und den westlichen Staaten.

Jaquir war eigentlich sehr schön; die dunkle Silhouette der Berge und das azurblaue Meer hatten schon etwas Bestechendes. Trotz des dichten Straßenverkehrs mit seinen hupenden Taxis und dröhnenden Lastwagen lag ein Hauch von Altertümlichkeit über der Stadt, die aber gleichzeitig auch als Verweigerung allem Neuen gegenüber gewertet werden konnte.

Sie kamen an einem Gerichtshof vorbei, in dem noch vor weniger als fünf Jahren eine Prinzessin und ihr Liebhaber wegen Ehebruchs hingerichtet worden waren. Direkt dahinter erhob sich ein hohes Bürogebäude, auf dessen Dach eine riesige Satellitenschüssel prangte.

»Wir sind ein Land voller Gegensätze«, sagte Fahid, während er beobachtete, wie ein Mitglied des Komitees zur Überwachung und Einhaltung von Sitte und Anstand eine Frau, die ohne Begleitung unterwegs war, resolut am Arm packte. »Es hat in den letzten 20 Jahren viele Veränderungen in Jaquir gegeben, doch wir sind ein islamischer Staat und werden das auch immer bleiben.«

Auf dieses Stichwort hin erlaubte sich Philip, ein wenig nachzuhaken. »Stellt Ihre westliche Ausbildung ein Problem für Sie dar?«

Fahid dachte über die Frage nach, während er weiterhin beobachtete, wie der mataivain die unbegleitete Frau anbrüllte und sie ziemlich unsanft aus dem Suk zerrte. »Nun, manchmal ist es nicht ganz einfach, einen Konsens zu finden zwischen den Vorteilen Ihres und unseres Wertverständnisses. Da nun der Fortschritt Einzug in unser Land gehalten hat, sind zwangsläufig auch mehr Kompromisse zu schließen. Die Gesetze des Islam sind unabänderlich, aber die Traditionen werden sich verändern müssen.«

Auch Philip war der Vorfall im Suk nicht entgangen. »Meinen Sie damit auch die strenge Behandlung der Frauen in Ihrem Land?«

Fahid rief dem Fahrer einen knappen Befehl zu und lehnte sich dann wieder bequem in die Polster zurück. »Die Religionspolizei ist sehr engagiert. Sie müssen wissen, dass es immer noch der Islam ist, der unser Land regiert.«

»Ich würde es mir niemals anmaßen, andere Religionen zu kritisieren, Fahid. Aber es ist für mich als Mann nicht einfach, tatenlos zuzusehen, wie eine Frau, verzeihen Sie mir den Ausdruck, misshandelt wird.« Dabei dachte er in erster Linie nicht an die Frau im Suk, sondern an Adrianne und Phoebe.

»In manchen Punkten werden Sie und ich niemals einen gemeinsamen Nenner finden.«

»Was würden Sie verändern, wenn Sie eines Tages an der Macht sind?«

»Es geht nicht so sehr darum, was ich verändern möchte, als vielmehr darum, was das Volk an Veränderungen erlaubt. Wie die meisten Europäer glauben Sie sicherlich auch, dass die Regierung das Volk zu dem macht, was es ist. Es unterdrückt oder befreit. In vielen Beziehungen, ich möchte sogar sagen in den meisten, ist es das Volk selbst, das Veränderungen verhindert. Das Volk stellt sich im gleichen Maße gegen den Fortschritt, wie es ihn bejubelt.« Fahid lächelte. Im Wagen stand ein Krug mit eisgekühltem Fruchtsaft bereit, den er nun in zwei Kristallgläser füllte. »Würde es Sie überraschen zu hören, dass viele Frauen den Schleier aus voller Überzeugung tragen? Er ist nicht vom Gesetz vorgeschrieben. Den Schleier haben die höhergestellten Frauen schon vor vielen Jahrhunderten eingeführt. Was zu Mohammeds Zeiten Mode war, hat sich bis heute als Tradition erhalten.«

Als Philip eine Zigarette aus der Packung nahm, bot ihm Fahid mit seinem goldenen Feuerzeug Feuer an. »Sie sollten wissen, dass es einer Frau in Jaquir nicht verboten ist, Auto zu fahren. Dass sie es dennoch nicht tut, ist ebenfalls nur eine Tradition. Es steht nirgends geschrieben, dass es für eine Frau unschicklich sei, ein Auto zu lenken, doch ist... wie soll ich sagen... davon abzuraten, da ihr kein fremder Mann helfen darf, wenn sie eine Panne haben sollte. Würde sie dennoch darauf bestehen, selbst zu fahren, würde sie die Polizei nicht daran hindern. So ist also die Tradition viel einflußreicher als das Gesetz.«

»Sind die Frauen Ihres Landes zufrieden mit ihrer Situation?«

»Wer kennt schon die Gedanken einer Frau?«

Philip musste unwillkürlich grinsen. »Zumindest was diese Frage angeht, dürften sich Ost und West einig sein.«

»Hier ist es, was ich Ihnen zeigen wollte.« Die Limousine hielt an, und Fahid deutete aus dem Fenster. »Die Ahmad Memorial Universität. Das Frauen-College.«

Das alleinstehende Gebäude war aus guten, amerikanischen Ziegeln gebaut. Die Fenster waren vergittert, um das einfallende Sonnenlicht, aber auch neugierige Blicke abzuhalten. Philip sah drei Frauen in traditionellen Gewändern die Treppe hinaufeilen und im Eingangsportal verschwinden. Unter der abaaya, und das entging ihm nicht, trugen sie Nike- und Reebok-Turnschuhe.

»Die Familien in Jaquir werden ermutigt, ihren Töchtern eine gute schulische Ausbildung zukommen zu lassen. Traditionen können sehr wohl flexibel sein. Jaquir braucht weibliche Ärzte, Lehrer und Bankangestellte. Dadurch wird es unseren Frauen erheblich erleichtert, medizinische Behandlungen in Anspruch zu nehmen, sich weiterzubilden und ihr Geld selbst zu verwalten. Doch das wird vielleicht nicht immer so sein.«

Philip wandte seinen Blick von dem Gebäude ab. »Sie unterstützen das?«

»Aber sicher. Ich arbeite eng mit dem Arbeitsminister zusammen. Es ist mein Ziel, dafür zu sorgen, dass die Menschen meines Landes, Frauen wie Männer, Jaquir durch ihr Wissen und ihre Fachkenntnisse mit aufbauen helfen. Ausbildung bewirkt Wissen, doch damit verbunden auch Unzufriedenheit und das Bedürfnis, mehr zu erfahren, mehr zu sehen, mehr zu besitzen. Jaquir wird gezwungen sein, sich diesen Konsequenzen anzupassen - aber das geistige Erbe wird sich dadurch nicht verändern. Frauen werden weiterhin den Schleier tragen, weil sie sich freiwillig dafür entscheiden. Sie werden auch an ihrem Harem festhalten, weil sie dort Behaglichkeit und Abgeschiedenheit vorfinden.«

»Daran glauben Sie?«

»Ich weiß es.« Er gab dem Fahrer ein Zeichen und faltete dann seine Hände im Schloss. Er war ein kultivierter, belesener Mann von knapp 23 Jahren, der einmal als König über dieses Land herrschen würde. Das hatte man ihn seit der Stunde seiner Geburt keinen Augenblick vergessen lassen. »Ich bin in Amerika zur Universität gegangen, habe eine amerikanische Frau geliebt und viele der westlichen Errungenschaften zu schätzen gelernt. Aber in meinen Adern fließt beduinisches Blut. Adrianne hat eine amerikanische Mutter und ist im Westen groß geworden. Doch auch sie besitzt beduinisches Blut. Und das wird in ihren Adern fließen bis zum Tage ihres Todes.«

»Das macht sie zu dem, was sie ist. Aber es verändert sie nicht.«

»Adriannes Leben ist kein einfaches gewesen. Wie sehr haßt sie meinen Vater?«

»Haß ist ein hartes Wort.«

»Aber das passende«, entgegnete Fahid. Dies war eine wichtige Frage - und der eigentliche Grund, weshalb er auf dieser Fahrt allein mit Philip bestanden hatte. »Leidenschaftliche Liebe oder leidenschaftlicher Haß sind keine oberflächlichen Gefühle. Wenn Sie sie lieben, dann bringen Sie sie nach der Hochzeit schnellstens fort von hier. Halten Sie sie von Jaquir fern, solange mein Vater lebt. Auch er vergibt nie!«

Von draußen her erschallte der Ruf zum Gebet; ein tiefer, kehliger Gesang. Ohne Hektik schlössen sich überall die Türen, und die Männer knieten sich nieder und senkten ihre Häupter auf die Erde. Fahid stieg aus dem Wagen. Seine throbe war aus Seide, doch er kniete sich wie die anderen Männer auf den staubigen Boden, um Allah zu würdigen.

Auch Philip trat in die nachmittägliche Hitze hinaus. Er sah den Muezzin auf der Treppe der Moschee stehen, von wo aus er die Gläubigen zum Gebet rief. Es war eine ergreifende Szene, die sich Philip hier bot; die brütende Hitze, die scharfen Gerüche, eine Mischung aus Schweiß und Gewürzen, die Männer in den wallenden Gewändern, die Stirn dem Boden zugeneigt. Die Frauen zogen sich in der Zwischenzeit diskret in den Schatten, so vorhanden, zurück. Sie mochten im stillen beten, doch es war ihnen nicht gestattet, dem Aufruf zum Gebet in der Öffentlichkeit zu folgen. Mit ihnen warteten auch einige europäische Geschäftsleute ergeben das Ende der Prozedur ab.

Während Philip die Szene auf sich wirken ließ, begann er Fahid zu verstehen. Die Menschen hier ergaben und unterwarfen sich nicht nur den herrschenden Traditionen. Sie machten sie sich bereitwillig zu eigen und hielten sie aufrecht. Das Leben in diesem Land kreiste um Religion und um die - männliche - Ehre. Wolkenkratzer mochten sich in den Himmel erheben, Bildung jedem Bürger zugänglich gemacht werden, doch am grundsätzlichen Wesen dieser Menschen würde sich nichts ändern.

Philip drehte sich um und ließ seinen Blick zum Palast schweifen. Die Gärten waren nur als diffuse Farbtupfer in der Ferne sichtbar. Die grünen Dachziegel leuchteten in der Sonne. Irgendwo hinter diesen Mauern war Adrianne. Würde der Ruf zum Gebet sie ans Fenster locken?

Das Gerät, das Adrianne in der Tasche trug, war hochempfindlich. Für dieses kurze Treffen hatte sie ihr übriges Werkzeug gut versteckt im Zimmer zurückgelassen und nur den kleinen Verstärker, den bronzenen Schlüssel und eine Feile mitgenommen. Aus Gründen der Vorsicht hatte sie auch auf ihre schwarzen Hosen und den Pullover verzichtet. Sollte man sie heute nacht hier ertappen, dann zumindest in ihren langen Gewändern.

Sie benutzte den unterirdischen Tunnel, den Weg von den Frauengemächern zum Hauptpalast, den schon Generationen von Frauen vor ihr genommen hatten. Einige vielleicht freudig und freiwillig, andere, weil sie mussten. Aber immer mit einem bestimmten Ziel vor Augen, so wie jetzt auch sie, dachte Adrianne. Ihre Sandalen huschten geräuschlos über den abgenutzten Boden. Wie in alten Zeiten wurde der Gang auch heute noch mit Fackeln erleuchtet. Ihre kleinen, im Luftzug züngelnden Flammen und die herumwandernden Schatten entbehrten nicht einer gewissen Romantik.

Zu einer anderen Stunde mochte ihr hier vielleicht ein Mann begegnen, ein Prinz oder der König selbst. Aber um diese Stunde lag der Palast in tiefem Schlummer, und sie war allein.

Adrianne machte sich Sorgen um Philip. Es war gut möglich, dass seine Räume bewacht wurden. Entdeckte man ihn zur falschen Zeit am falschen Ort, so konnte es sein, dass man ihn fortbrachte, noch ehe sie ein Wort miteinander hätten wechseln können. Sie selbst musste damit rechnen, geschlagen oder in die Frauengemächer verbannt zu werden, doch war dies ein verhältnismäßig geringer Preis, gemessen an dem Ziel, das sie verfolgte.

Der Gang endete in den Privatgemächern des Königs, der jetzt in einem der Räume schlief. Mit Sicherheit allein - denn welche Frau er auch immer für diese Nacht gewählt haben mochte, sie war bereits in ihr eigenes Bett zurückgeschickt worden, nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatte.

Adrianne konnte ihren Vater förmlich riechen; es war der schwache Duft nach Sandelholz und Räucherwerk, den sie stets mit seiner Person verbunden hatte. Und sie fragte sich, wie oft wohl ihre Mutter in die Gemächer zitiert worden war, wie eine Hündin, die man zum Decken bringt.

Einen Augenblick lang war sie versucht, die Tür zu seinem Schlafzimmer aufzureißen, ihn aus seinen süßen Träumen zu wecken und ihm all das zu sagen, was ihr auf der Seele lastete, alles, was in all den langen Jahren als bittere Saat der frühen Erlebnisse in ihr aufgegangen und gewachsen war. Aber die Befriedigung, die sie daraus ziehen mochte, würde nur eine momentane sein, würde verfliegen, sobald das letzte ihrer Worte verhallt war. Und sie wollte mehr, viel mehr als nur augenblickliche Vergeltung.

Der Schichtwechsel der Wächter fand erst eine Stunde vor Sonnenaufgang statt. Adrianne warf einen Blick auf die Leuchtziffern ihrer Uhr und schätzte ab, wie viel Zeit ihr noch blieb. Genügend, stellte sie fest. Mehr als genug.

Der endlos lange Flur lag still und dunkel vor ihr. Den Grundrißplan vor Augen, suchte sie sich den Weg in den anschließenden Gebäudeflügel. Vor der Tür zur Schatzkammer angekommen, kniete sie nieder und begann mit ihrer Arbeit am Türschloss. Ihre Hände zitterten zwar nicht, waren aber schweißnaß. Ärgerlich über sich selbst, wischte sie sie an ihrem Rock ab, bevor sie das Schloss endgültig öffnete. Ein rascher Blick nach rechts und links, dann schlüpfte sie in den dunklen Raum und zog die Tür leise hinter sich zu.

Da preßte sich eine Hand über ihren Mund. Adriannes Herz setzte einige Schläge lang aus. Sekunden später hatte sie sich wieder gefaßt und zischte leise einen Fluch in die Dunkelheit. Mit einer eleganten Seitwärtsbewegung entwand sie sich dem Griff, knipste ihre Taschenlampe an und leuchtete Philip mitten ins Gesicht.

»Tu das noch einmal, und ich hacke dir die Hände ab!«

»Freut mich ebenfalls, dich zu sehen«, flüsterte er und küßte sie. »Hatte etwas Probleme mit dem Schloss. Du auch?«

»Nein.« Sie wollte schon an ihm vorbeigehen, besann sich dann aber und schlang ihre Arme um seinen Nacken. »Philip, ich hätte nicht geglaubt, dass ich dich so vermissen würde.«

Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haarschopf und atmete ihren Duft ein. »Nun, es wird immer besser. Was hast du denn den lieben langen Tag getrieben? Ich habe eine Stadtrundfahrt gemacht.«

»Eine Tasse Tee nach der anderen getrunken, Vorträge über Fruchtbarkeit und Geburten über mich ergehen lassen und mein Hochzeitskleid anprobiert.«

»Hört sich nicht so an, als ob du den Tag sonderlich genossen hättest.«

»Es kommt mich furchtbar hart an, meine Großmutter zu belügen. Und es ist nicht gerade ein Vergnügen, sich für eine Hochzeit in weißen Satin hüllen zu lassen, die nichts weiter als eine billige Schmierenkomödie ist.«

»Dann machen wir doch einfach mehr daraus«, meinte er leichthin, doch Adrianne konnte in seinen Augen keinerlei Amüsement entdecken.

»Du weißt, wie ich über diese Angelegenheit denke, und dies ist wirklich nicht der geeignete Moment, um darüber zu diskutieren. Hast du dir den Tresorraum genauer angesehen?«

»Von oben bis unten.« Er leuchtete mit seiner Taschenlampe auf die Stahltür. »Den Plänen nach ist jedes Schloss alarmgesichert. Das ist zwar zeitaufwendig, aber kein großes Problem. Wir werden die Kabel abklemmen, wie du vorgeschlagen hast. Ich habe ein gutes Händchen für Kombinationsschlösser, also sollte es nicht allzu lange dauern.«

»Das hier wird uns dabei helfen.« Sie reichte ihm ein etwa daumengroßes Kästchen. »Ein Verstärker. Habe einige Zeit daran getüftelt. Hefte ihn an die Tür dort, und du kannst jemanden drei Räume weiter husten hören.«

Philip nahm das Gerät im Schein seiner Lampe genauer unter die Lupe. »Du hast das Ding konstruiert?« »Umgebaut, genauer gesagt. Ich wollte es noch kompakter und empfindlicher machen.«

»Für jemanden ohne Schulabschluss hast du ein erstaunliches Geschick für Elektronik entwickelt.«

»Naturtalent, würde ich sagen. Ich schätze, wir brauchen eine Stunde, um die Stahltür zu öffnen.«

»40 Minuten. Maximal 50.«

»Sagen wir 60.« Sie lächelte und streichelte zärtlich über seine Wange. »Nicht, dass ich an deinem Talent zweifle, Liebling.«

»Ich wette 1000 Pfund, dass ich es in 40 Minuten schaffe.«

»Angenommen. Also gut, vor drei Uhr morgens kannst du nicht mit der Arbeit beginnen. Um halb drei werde ich anfangen, den Alarm auszuschalten. Es wäre günstiger, wenn du direkt hierherkommst. Ich stoße dann sobald wie möglich zu dir.«

»Mir behagt die Vorstellung, dass du diesen Part allein übernimmst, ganz und gar nicht.«

»Du scheinst vergessen zu haben, dass ich den Job ursprünglich ganz allein machen wollte. Fang mit dem oberen Schloss an und arbeite dich dann nach unten.«

»Das hatten wir doch schon, Addy. Ich habe auch so meine Erfahrungen, was das Knacken von Tresoren anbelangt.«

Sie ging an ihm vorbei und zog den Schlüssel aus ihrer Rocktasche. »Laß dein Ego lieber aus dem Spiel.«

»Keine Sorge, ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, deinem Ego aus dem Weg zu gehen. Woher weiß ich denn, dass du den Alarm auch wirklich pünktlich unterbrochen hast?«

»Reine Vertrauenssache.« Auf seinen verblüfften Gesichtsausdruck hin hob sie selbstbewußt ihr Kinn. »Ich habe zu lange daran gearbeitet, die Sache viel zu sorgfältig geplant, um einen Fehler zu machen. Entweder du vertraust mir, oder ich mach' es allein.«

Er sah ihr dabei zu, wie sie den Schlüssel professionell mit der Feile bearbeitete. »Verzeih, ich bin es nicht gewöhnt, mit einem Partner zu arbeiten.«

»Ich auch nicht.«

»Dann ist es wohl vernünftig, wenn wir uns beide nach diesem Coup zur Ruhe setzen. Addy, ich würde mich um einiges wohler fühlen, wenn du nicht so nervös wärest.«

»Und ich, wenn ich dich in London wüßte!« Ihre erhobene Hand wehrte seine Antwort ab. »Das ist wohl die letzte Gelegenheit, um noch etwas Wichtiges zu besprechen. Wenn irgend etwas schiefgehen sollte oder wenn es nur so aussieht, als ob es Probleme gäbe, dann möchte ich, dass du aussteigst. Versprich mir das!«

»Du wirst bestimmt nicht aussteigen, hab' ich recht?«

»Ich kann nicht. Das ist der maßgebliche Unterschied.«

»Du verstehst immer noch nichts, wie?« Er hielt ihr Kinn fest. »Es ist wohl immer noch nicht in deinem Köpfchen angekommen. Du kannst mir noch so viel erzählen, dass du nicht an die Liebe glaubst, dass du nicht in der Lage bist, Liebe zu empfinden oder sie anzunehmen, aber das ändert trotzdem nichts an meinen Gefühlen für dich. Es wird die Zeit kommen, Addy, da dies alles hier hinter uns liegen und es nur noch um uns beide gehen wird. Und spätestens dann wirst du dich auch mit diesen Dingen auseinandersetzen müssen.«

»Dies hier ist ein Job, Philip, und hat nichts mit Liebe zu tun.«

»Ach, nein? Warum glaubst du wohl, bist du jetzt hier? Weil du deine Mutter genauso sehr geliebt hast, wie du deinen Vater haßt. Vielleicht sogar noch mehr. Und ich bin hier, weil alles, was du bist und was du fühlst, mir unglaublich viel bedeutet.«

»Philip.« Sie hielt ihn ganz leicht am Handgelenk fest. »Ich weiß nicht, was ich dir darauf antworten soll.«

»Das kommt schon noch.« Philip, ein Mann, der nie eine Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließ, zog sie an sich. »Soll das eine Einladung in dein Schlafgemach sein?«

»Nur zu gerne.« Sie schloss die Augen und gab sich seinem Kuss hin. »Aber im Moment ist es etwas ungünstig. Darf ich später darauf zurückkommen?«

»Wenn es nicht allzu spät ist.«

Adrianne wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Schloss zu und probierte nochmals den Schlüssel aus. Ihr Gehör war darauf geeicht, jedes metallene Kratzen genau zu orten und herauszuhören, an welcher Stelle der Schlüssel noch nicht passte. »Ich kann es nicht riskieren, jetzt schon aufzusperren. Mit dem endgültigen Zurechtfeilen müssen wir warten, bis der Alarm ausgeschaltet ist. Aber ich denke...« Sie führte den Schlüssel ein und zog ihn dann wieder heraus. »Es fehlt nicht mehr viel.« Sie hielt plötzlich inne und starrte, den Schlüssel schwer und warm in ihrer Hand fühlend, auf die Stahltür. »Es liegt hinter dieser Tür verborgen, nur wenige Zentimeter von hier. Ich wundere mich, dass wir das Feuer nicht spüren.«

»Hast du jemals daran gedacht, das Kollier zu behalten?«

»Als ich jung war, ja. Da habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, es eines Tages um den Hals meiner Mutter zu legen und zuzusehen, wie das Leben wieder in ihr erwacht. Ich habe mir auch vorgestellt, wie es wäre, es mir selbst umzulegen, und überlegt, wie ich mich dann fühlen würde.«

»Wie denn?«

Mit einem zaghaften Lächeln sagte sie: »Wie eine Prinzessin.« Dann steckte sie den Schlüssel zurück in den kleinen Beutel. »Nein, das Kollier ist nicht für mich bestimmt. Doch nach all den Tragödien, die es ausgelöst hat, wird es nun vielleicht doch noch etwas Gutes bewirken.« Sie zuckte die Achseln. »Das klingt ziemlich idealistisch und töricht, nicht wahr?«

»Ja, das stimmt.« Er führte ihre Hand an seine Lippen. »Aber weißt du, ich habe dich erst dann aus ganzem Herzen begehrt, als ich wusste, dass du idealistisch und bisweilen töricht sein kannst.« Er hielt noch ihre Hände, als sie zur Tür gingen. »Addy, sei vorsichtig. Ich meine, mit deinem Vater.«

»Ich begehe selten zweimal den gleichen Fehler, Philip.« Sie hielt den Verstärker an die Tür und wartete. Er zeigte nicht das leiseste Geräusch an. »Mach dir keine Sorgen um mich. Die Rolle der Prinzessin spiele ich schon seit vielen Jahren.«

Er bekam sie gerade noch zu fassen, ehe sie durch die Tür verschwunden war. »Adrianne, was du bist, brauchst du nicht zu spielen. Du brauchst die Prinzessin nicht zu spielen, du bist eine, und zwar eine wunderschöne.«

25. Kapitel

So ganz war sie nicht davon überzeugt, dass er recht hatte. Während der folgenden Tage musste sie ihre ganze Selbstkontrolle und Beherrschung zusammennehmen. Teilweise mochte diese Fähigkeit von ihrem königlichen Geblüt herrühren. Doch für Adrianne war es das Erbe eines Mädchens aus Nebraska, das einst die Herzen Hollywoods im Fluge erobert hatte. Sie nahm an unzähligen Partys teil - Mittagessen und Einladungen zum Kaffee, die ihre zahlreichen weiblichen Verwandten für sie gaben und bei denen die Gespräche immer und überall um die gleichen Themen kreisten. Artig hörte sie sich gutgemeinte Ratschläge an und beantwortete die immer gleichen Fragen, die an jede zukünftige Braut gestellt werden. Philip sah sie nur ganz sporadisch und dann auch nie allein. Ihre Tage waren ausgefüllt mit Anproben und immer neuen, notwendigen Einkaufstouren mit Tanten und Cousinen.

Täglich trafen Geschenke aus allen Teilen der Welt ein, ein Aspekt ihres Täuschungsmanövers, den sie zwar nicht bedacht hatte, sich aber zunutze machen würde. Goldene Teller, silberne Kannen und Sung-Vasen, alles Geschenke von Staatsoberhäuptern und verbündeten Königshäusern. Ihre Rache, die sich bislang nur auf eine einzige Person konzentriert hatte, schloss nun auch Freunde und Feinde mit ein. Ohne deren Wissen wurden nun auch Prinzen und Präsidenten Teil ihres Spiels.

Wie man es von ihr erwartete, bedankte sie sich persönlich für die eintreffenden Hochzeitsgeschenke. Sie verbrachte viel Zeit damit, Briefe zu schreiben und die ankommenden Gäste zu begrüßen, die man zur Hochzeit hatte einfliegen lassen.

Unter all den vielen Geschenken gab es eines, das aus New York geschickt worden und für sie von größter Wichtigkeit war. Es war Philips Aufgabe gewesen, Celeste anzurufen und sie zu bitten, diese chinesische Lackschatulle zu besorgen. Es war eines dieser Zauberkästchen mit versteckten Öffnungsmechanismen und Geheimfächern. In nur wenigen Tagen würde Adrianne darin Sonne und Mond verstecken und diesen Schatz zusammen mit den Vasen und Tellern nach Hause schicken.

Damit war der unverfrorene und zudem sehr gefährliche Plan, das Kollier an ihrem Körper aus dem Palast zu schmuggeln, überflüssig geworden. Abdu selbst hatte ihr durch seinen Stolz den Weg für ihre Rache geebnet.

Bis zum Tag ihrer Hochzeit sah sie Abdu noch ein einziges Mal, und das auch nur gezwungenermaßen. Um den Palast zu verlassen, benötigte jede Frau die schriftliche Einwilligung eines männlichen Familienmitglieds, Prinzessin oder nicht.

Adrianne stand vor ihm, die unter langen Ärmeln verborgenen Hände artig gefaltet. Sie trug nur Philips Diamantring und die Ohrringe, die Celeste ihr geschenkt hatte. Den Amethyst hatte sie bereits eingepackt. Sein Erlös sollte die Installationsarbeiten für die Klinik decken.

»Danke, dass Sie mich empfangen.«

Die Büroräume ihres Vaters waren eine Symphonie aus Kardinalrot und Blautönen. Hinter ihm an der Wand hing ein Schwert mit einem diamantenbesetzten Griff. Abdu saß an einem Schreibtisch aus Ebenholz und trommelte mit seinen beringten Fingern ungeduldig auf die Schreibunterlage.

»Meine Zeit ist sehr begrenzt. Und du solltest dich auf morgen vorbereiten.«

Der Stolz, den sie von ihm geerbt hatte, flammte auf. Die Kunst der Beherrschung, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte, zügelte ihn, so dass ihre Stimme ganz ruhig blieb. »Es ist alles bereit.«

Bevor sie zu sprechen anhob, zwang sie ihre Hände, sich zu entkrampfen. »Ich habe an nichts anderes gedacht und möchte Ihnen dafür danken, dass Sie alles so vortrefflich arrangiert haben.« Sie beide wussten, dass in diesem Land ein Mann unter anderem auch an den Ausgaben für die Hochzeit seiner Tochter gemessen wird.

»Ist das alles?«

»Ich bin auch gekommen, um Sie um die Erlaubnis zu bitten, mit Yasmin und meinen anderen Schwestern einige

Stunden an den Strand fahren zu dürfen. Ich hatte nur wenig Zeit, sie richtig kennenzulernen.«

»Zeit war dazu genug; doch du hast es vorgezogen, diese woanders zu verbringen.«

»Sie sind doch immer noch meine Schwestern.«

»Sie sind Frauen von Jaquir, Töchter Allahs; du nicht, du bist es nie gewesen.«

Jetzt ihren Blick gesenkt und ihre Stimme ruhig zu halten, war mit das Schwierigste, was sie je vollbracht hatte. »Weder Sie noch ich können unsere Blutsverwandtschaft verleugnen, sosehr wir dies auch wünschten.«

»Aber ich kann meine Töchter vor deinem verderblichen Einfluß bewahren.« Er breitete seine Hände auf dem Schreibtisch aus. »Morgen wirst du in einer Zeremonie verheiratet werden, die deiner Stellung gerecht wird. Danach wirst du Jaquir verlassen, und ich werde keinen Gedanken mehr an dich verschwenden. Inshallah. Für mich warst du von dem Augenblick an gestorben, als du Jaquir verließest. Es ist also nicht nötig, etwas zu leugnen, was gar nicht existiert.«

Sie machte einen Schritt auf ihn zu, und es war ihr in diesem Augenblick völlig gleichgültig, ob man sie dafür auspeitschen oder ihr noch Schlimmeres antun würde. »Es wird der Tag kommen, da Sie an mich denken werden«, zischte sie leise. »Das schwöre ich.«

In der Nacht vor ihrer Hochzeit träumte Adrianne nichts. Sie weinte.

Der Ruf des Muezzin weckte sie. Adrianne machte die Fenster weit auf und ließ die Hitze und das Sonnenlicht hereinfluten. Dieser Tag würde der längste und vielleicht gefährlichste ihres Lebens werden. Ihr blieb nur wenig Zeit, bis die Frauen und Dienerinnen in ihr Zimmer stürmen und mit der Tortur des Ankleidens beginnen würden.

Um ihre trüben Gedanken zu verscheuchen, ließ sie sich ein heißes Bad einlaufen und gab reichlich Badeöl dazu.

Wäre es eine richtige, ernstgemeinte Hochzeit, würde sie dann aufgeregt, glücklich oder ängstlich sein? fragte sie sich. Alles, was sie jetzt empfand, war ein dumpfer Schmerz über das, was nicht sein konnte. Die Zeremonie würde eine Lüge sein, genau wie die Versprechen, die bei solchen Anlässen überall in der Welt so oft nur Lügen waren.

War die Ehe für eine Frau denn nicht eine andere Form von Gefangenschaft? Sie nahm den Namen des Mannes an, büßte ihren eigenen ein und damit auch das Recht, jemand anderes als eine Ehefrau zu sein. Sein Wille, seine Wünsche, seine Ehre waren es dann, die zählten, niemals die ihren.

In Jaquir nannte man dies sharaf, die Ehre des Mannes. Gesetze und Traditionen gingen daraus hervor. War diese Ehre einmal verloren, dann unwiderruflich und für immer. Deshalb wurden die Frauen in der Familie so fanatisch bewacht - besser gesagt ihre Keuschheit -, denn ein Mann war für das Benehmen seiner Frauen und Töchter verantwortlich, solange sie lebten. Anstelle von Freiheit umgab man sie mit Dienerinnen, entband sie von jeglicher körperlichen Arbeit und bescherte ihnen dadurch ein sinnloses, leeres Leben. Diese Versklavung in einem goldenen Käfig ging unaufhörlich weiter, solange Frauen sich als Ehefrauen verkaufen ließen, so wie sie es gerade tat, als Preis für ihre Rache.

Doch was ihr Vater gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Sie war keine Frau Jaquirs, und Philip besaß kein Beduinenblut. Es war nichts als ein Täuschungsmanöver, alles nur Maskerade. An diesem Tag, dem wichtigsten Tag ihres Lebens, auf den sie seit ihrer Kindheit gewartet hatte, durfte sie das keine Sekunde lang vergessen. Es mochte Abdus Blut in ihren Adern fließen, doch sie war nicht seine Tochter.

Am Ende dieses Tages, wenn die endlosen Feierlichkeiten vorüber waren, würde sie das tun, weswegen sie gekommen war. Was zu tun sie sich geschworen hatte. Diese Rache, die nach all den Jahren noch immer wie ein Feuer in ihr loderte, würde verheerend und süß zugleich sein.

Mit dieser Tat würde sie alle Verbindungen zu ihrer Familie unwiderruflich abbrechen. Und sie würde darunter leiden. Das wusste Adrianne schon jetzt. Aber alles hatte nun mal seinen Preis.

Die Frauen des Hauses kamen in ihr Zimmer, als sie gerade aus dem Bad stieg. Sie kamen, um ihre Haut zu parfümieren, ihre Augen mit Kajal schwarz zu umranden und ihre Lippen rot zu färben. Die Szene geriet für Adrianne zu einem Traum, das unaufhörliche Schlagen der Trommeln, die Finger auf ihrem Körper, der Klang der unentwegt murmelnden Frauenstimmen. Ihre Großmutter saß in einem vergoldeten Sessel, überwachte die Vorbereitungen, gab Anweisungen und trocknete sich dabei die Augen.

»Erinnerst du dich an deinen Hochzeitstag, Großmutter?« Sie ließ einen Seufzer hören, schwach und dünn wie ihre alten Knochen. »Eine Frau vergißt niemals den Tag, an dem sie zur Frau gemacht wurde.«

Sie hüllten Adriannes Körper in weiße, hauchdünne, mit weißen Spitzen besetzte Seide. »Wie hast du dich damals gefühlt?«

Jiddah lächelte. Für eine Frau ihres Landes war sie schon recht alt, doch sie erinnerte sich noch genau an die Zeit, als sie ein junges Mädchen war. »Er war sehr schön, aufrichtig und noch so jung. Du siehst ihm ähnlich, genau wie dein Vater. Er war mein Cousin, aber älter als ich, wie es sich geziemt. Ich fühlte mich geehrt, für ihn ausgewählt worden zu sein, und gleichzeitig fürchtete ich, ihm nicht zu gefallen«, erzählte sie lachend, wobei etwas in ihren Augen aufblitzte, was Adrianne als pure, unverhüllte Weiblichkeit erkannte. »Doch nach unserer ersten Nacht fürchtete ich mich nicht mehr.«

Kichernd wurden dann Scherze über die bevorstehende Hochzeitsnacht gemacht, teils amüsiert, teils aber auch mit neidvollem Unterton. Etliche Hände machten sich an Adriannes Haar zu schaffen, kämmten und flochten es, legten es in Locken, während andere Räucherstäbchen anzündeten und den duftenden Rauch in ihr Haar wedelten. Adrianne brachte es nicht übers Herz, Einwände dagegen zu erheben.

Als die Schneiderin mit dem Hochzeitskleid kam, wurden die meisten Frauen höflich, aber bestimmt aus dem Zimmer gescheucht. Anerkennend mit der Zunge schnalzend und leise Anweisungen murmelnd, half Dagmar Adrianne in den weißen Traum. Sie hatte die Nase voll vom Paradies und sehnte sich nach Paris zurück, wo das Schlimmste, was einer

Frau bei einem nachmittäglichen Bummel passieren konnte, ein paar Pfiffe und unanständige Anträge waren. Unter anerkennenden Ohs und Ahs knöpfte sie zwei Dutzend winzige Knöpfe zu.

»Sie sind eine wunderschöne Braut, Eure Hoheit. Warten Sie.« Ungeduldig verlangte Dagmar nach dem Kopfschmuck. »Ich möchte, dass Sie sich damit im Spiegel betrachten.«

Hauchdünner Tüll wurde vor ihren Augen drapiert. Ein Schleier, selbst heute. Der Alptraum nahm kein Ende, dachte Adrianne, als sie ihre Umgebung wie durch eine Nebelschicht wahrnahm, Der Spiegel wurde so gedreht, dass sie sich in voller Größe darin betrachten konnte, eingehüllt in eine Wolke schneeweißen Satins und steifer Spitze; die Schleppe glitzerte wie ein Wasserfall im Sonnenlicht und reichte bis ans Ende des Raumes. Mehr als hundert Stunden hatten Näherinnen damit zugebracht, die Schleppe über und über mit Perlen zu besticken. Eine Krone aus Perlen und Diamanten bildete den Kopfschmuck, aus dem dann die meterlange Tüllflut entsprang.

»Sie sehen hinreißend aus, fantastisch. Das Kleid ist ein Traum, wie ich es versprochen habe.«

»Ja, mehr als das. Ich danke Ihnen.«

»Es war mir ein Vergnügen«, entgegnete sie, offenbar erleichtert, die Arbeit hinter sich zu wissen. »Ich möchte Ihnen viel Glück wünschen, Hoheit. Mögen all Ihre Wünsche heute in Erfüllung gehen.«

Adrianne dachte nur an Sonne und Mond. »Das werden sie, gewiß.«

Dann nahm sie das Brautbouquet aus Orchideen und weißen Rosen entgegen.

Sie war eine Braut, aber es würde keinen Hochzeitsmarsch geben, keine zusammengebundenen Schuhe und keinen Reis. Aber vielleicht wurde es ihr dadurch sogar leichter gemacht, das ganze nur als Show anzusehen, als Teil des Spiels, das zu spielen sie gezwungen war.

Ihre Hände waren kühl und ruhig, ihr Herzschlag ganz normal, als sie ihren Begleiterinnen in den Saal folgte, wo sie dem Bräutigam und den männlichen Familienmitgliedern präsentiert werden sollten.

Ihr Anblick verschlug ihm buchstäblich den Atem, anders hätte es Philip nicht beschreiben können. Gerade noch hatte er ganz ruhig geatmet und sich wie jeder andere Mann hier im Saal gefühlt, und im nächsten Augenblick blieb für ihn die Welt stehen. Sogar aus seinen Fingern wich jegliches Gefühl. Seine Knie wurden weich. Eine Nervosität und Beklemmung, die er an sich nie gekannt hatte, stieg in ihm hoch und schnürte ihm die Kehle zu.

Reihum wurde die Braut von den männlichen Verwandten geküßt, teils mit feierlicher Miene, teils mit offen gezeigter Freude. Und sehr förmlich von ihrem Vater. Dann nahm Abdu ihre Hand und legte sie in Philips. Damit war er mit ihr fertig.

Sie wurden gesegnet. Die entsprechenden Abschnitte aus dem Koran wurden verlesen, jedoch in Arabisch, so dass Philip kein Wort davon verstand. Er spürte nur Adriannes eiskalte Hand, die in der seinen zu zittern begann.

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er eine weiße throbe und die traditionelle Kopfbedeckung tragen würde. Das hätte die ganze Angelegenheit noch unrealistischer erscheinen lassen können, doch irgendwie wurde ihr dadurch auch klar, dass, sosehr sie sich auch verstellen und das Ganze als Spiel betrachten mochten, die Eheschließung dennoch eine unleugbare Tatsache war. Zwar nur auf Zeit und leicht aufzulösen, aber zumindest heute real.

Bis zur Prozession sollte noch eine Stunde vergehen. Sie wurde durch einen Schrei angekündigt, dann folgte das traditionelle Zungenschnalzen der Beduinenfrauen, die im Hochzeitssaal warteten. Philip hörte die Trommeln und die Musik, dann begann der lange Marsch.

Heute nacht würden sie noch einmal durch diese Hallen schreiten, aber dann ganz heimlich, still und leise.

»War's das?«

Philips Flüstern ließ sie beinahe zusammenzucken, half ihr jedoch, nun auch die komische Seite ihres Spiels zu sehen. »Bei weitem noch nicht. Die Hochzeitsgäste möchten unterhalten sein. Zuerst kommen die Musikanten und Tänzer. Du darfst sie nicht sehen.« Sie warf ihm ein schnelles Lächeln zu. »Sollte nicht länger als zwanzig Minuten dauern.«

»Und dann?«

»Das Hochzeitsfest. Wir werden durch die Gästeschar schreiten. Irgendwo wird ein mit Blumen geschmücktes Podest stehen. Dort werden wir während der Zeremonie sitzen und anschließend etwa zwei Stunden lang Glückwünsche entgegennehmen.«

»Zwei Stunden - wie reizend«, brummte er. »Geben sie uns wenigstens was zu essen?«

Dafür hätte sie ihn am liebsten geküßt. Statt dessen lachte sie. »Später, beim Hochzeitsmahl. Warum hast du das angezogen?«

Weil ihr Vater es so gewünscht hatte, aber das wollte er ihr nicht sagen. »Bist du in Rom...«, meinte er leichthin. Dann wurden sie wieder anderweitig in Anspruch genommen.

Mit den Blumen hatte sie nicht übertrieben. Üppigste Arrangements aus bunten Blüten rankten sich vom Boden bis an die Decke. Das einzige, was diese Pracht noch übertraf, waren die Geschmeide der Damen. Auch was die Zeit anbelangte, hatte sie nicht übertrieben. Über zwei Stunden lang saßen sie unter einer Art Baldachin, schüttelten Hände, tauschten Küsse aus und nahmen Glückwünsche entgegen, während Philip glaubte, sein Kopf werde jeden Augenblick zerspringen. Der intensive Duft der Rosen und die unerträgliche Mischung der schweren Parfüms setzten ihm schwer zu.

Doch das war noch längst nicht alles. Anschließend wurden sie in einen riesigen Saal geleitet - oder eher getrieben, wie es Philip vorkam -, in dem sich auf endlosen Tischreihen alle Arten von kandierten Früchten, Desserts und scharf gewürzten Fleischgerichten türmten. In der Mitte thronte zwanzig Schichten hoch die Hochzeitstorte.

Einer der Gäste hatte verbotenerweise eine Polaroidkamera mitgebracht. Sehr zum Vergnügen der Damen, die sich begeistert in Pose stellten und dann rasch die Bilder in ihren Taschen verschwinden ließen. Philip bat um ein Foto von

Adrianne und sich und steckte es dann ebenfalls schnell weg.

Acht Stunden, nachdem sie ihr Hochzeitskleid übergezogen hatte, wurden Philip und sie zu den Gemächern geleitet, in denen sie ihre erste Nacht als Mann und Frau verbringen sollten.

»Nun«, brachte sie heraus, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte und das letzte Kichern draußen verstummt war. »Das war vielleicht eine Show.«

»Etwas habe ich allerdings dabei vermißt.«

»Was denn? Schlammschlachten vielleicht?«

»Zynikerin, du.« Er nahm ihre Hände, bevor sie ihren Kopfschmuck abnehmen konnte. »Ich habe die Braut noch nicht geküßt.«

Sie brachte ein Lächeln zustande. »Dafür ist noch Zeit.«

Sie beugte sich zu ihm, drückte sich an ihn. Dieses eine Mal, sagte sie zu sich. Nur dieses eine Mal wollte sie an ein Happy-End glauben. Auch in diesem Raum duftete es süß nach Blumen. Der Stoff ihres Kleides raschelte leise, als er sie in seine Arme zog. Dieser Kuss, so warm und fest, war alles, was sie sich im Augenblick wünschte.

»Du bist so wunderschön, Addy. Als du heute vormittag in den Saal geschwebt kamst, ist mir wirklich die Luft weggeblieben.«

»Ich war ganz ruhig, bis ich dich sah.« Sie legte ihren Kopf an seine Schulter. »Für das, was du heute für mich getan hast, werde ich mich niemals revanchieren können.«

»Für das, was man aus purem Eigennutz tut, erwartet man keine Wiedergutmachung. Wir reisen morgen ab.«

»Aber...«

»Ich habe bereits mit deinem Vater gesprochen.« Er nahm ihr den Perlenkranz aus dem Haar und legte ihn beiseite. Es kribbelte ihn in den Fingern, diese in ihrem Haar zu vergraben. »Er hat nichts dagegen, dass ich mit meiner Frau gleich morgen auf Hochzeitsreise gehe. Ich habe ihm erzählt, dass wir zwei Wochen in Paris verbringen und dann nach New York fliegen werden.«

»Du hast recht. So ist es am besten. Je weniger ich von meinen Brüdern und Schwestern sehe, desto leichter wird es mir fallen, sie nie wiederzusehen.«

»Das weißt du doch gar nicht.«

»Nach dieser Sache wird er mir jeglichen Kontakt mit ihnen verbieten. Ich weiß das, und ich akzeptiere es auch. Ich habe nur nicht gedacht, dass es mir so schwerfallen würde aufzugeben, was ich nur für so kurze Zeit besessen habe.«

Sie hob ihre Hände hinter den Kopf und begann, ihr Kleid aufzuknöpfen. »Wir sollten uns ein wenig ausruhen, Philip. Wir haben eine lange Nacht vor uns.«

Sanft löste er ihre Finger von ihrem Nacken. »Ja, hinterher.« Er bedeckte ihr Gesicht mit Küssen, während er sich die lange Knopfleiste hinunterarbeitete. »Ich habe dich vermißt, Addy. Ich habe dich so sehr vermißt.«

Sie schob die throbe von seinen Schulter. »Heute nacht gehöre ich dir.«

Den fleißigen Näherinnen wäre das Herz gebrochen, hätten sie gesehen, wie dieser Traum aus Satin und Spitze achtlos zu Boden fiel.

Als er erwachte, war es stockfinster im Raum. Er blieb still liegen und genoss den Druck von Adriannes Körper, der sich dicht an seinen preßte. Sie schlief, aber er wusste, wenn er sich bewegte oder ganz leise ihren Namen flüsterte, würde sie sofort hellwach sein. Doch dafür war noch Zeit.

Es kam nur ganz selten vor, dass er sich vor einem Job schlafen legte. Das Problem bei einigen Berufen war, dass sie nie zur Routine, nie so langweilig oder normal wurden, um sie als selbstverständlich zu erachten.

Sonne und Mond. Vor nicht allzu langer Zeit hätte ihn der bloße Gedanke, diese Kostbarkeiten in Händen zu halten und sie an sich zu nehmen, wochenlang zufrieden gestimmt. Jetzt wünschte er sich nichts sehnlicher, als diesen verdammten Job erledigt zu haben und mit Adrianne gemütlich in seinem Landhaus in Oxfordshire vor dem Kamin zu sitzen, eine Meute Wolfshunde zu seinen Füßen.

Offenbar wurde er alt.

Alt und, Gott bewahre, bürgerlich.

In Wirklichkeit aber war er verliebt, und daran hatte er schwer zu beißen.

Nachdenklich fuhr er mit seinem Zeigefinger über den Brillantring, den er ihr während dieser Maskerade, die eine Hochzeit hatte darstellen sollen, übergestreift hatte. Und doch bedeutete dieser Ring etwas, bedeutete viel mehr, als er erwartet oder diesem gewöhnlichen Symbol an Bedeutung beigemessen hatte. Sie war jetzt seine Frau, die Frau, die er heimführen, die er seiner Mutter vorstellen und mit der er seine Zukunft planen wollte.

Die Zukunft planen. Er strich sich mit der freien Hand die Haare aus der Stirn. Ein beachtlicher Sprung, den er da in allerkürzester Zeit nach vorne getan hatte, überlegte er. Quasi gestern noch hatte sein Hauptinteresse der Gestaltung des nächsten Abendvergnügens gegolten, und heute machte er sich bereits Gedanken um Kinder und Familienfeste. Doch er hatte auch schon früher große Sprünge unternommen und war, bis jetzt, immer sicher auf beiden Beinen gelandet. Balance und Geschicklichkeit waren für ihn unabdingbare Voraussetzungen, ohne die er heute nacht einpacken konnte.

Zu schade, dass dies keine gewöhnliche Hochzeitsnacht war. Champagner, Musik und Tollheiten bis in die Morgenstunden. Obwohl er sich über mangelnde Tollheiten, bevor sie eingeschlummert waren, nicht beklagen konnte. Adrianne war wie ein gefährlich rauchender Vulkan gewesen, dessen gewaltiger Ausbruch ihn hatte erzittern lassen wie einen Jüngling, der sich zum ersten Mal auf der Rückbank von Vaters Auto vergnügte. Die Bedenken und Ängste, die sie in ihrer ersten gemeinsamen Nacht geplagt hatten, waren von der leidenschaftlichen Begierde vertrieben worden, die er in ihren Augen hatte auflodern sehen. Die Anspannung, unter der sie beide seit ihrer Ankunft in Jaquir gelitten hatten, war mit einem Mal verschwunden - wenn auch nur für kurze Zeit.

Sie hatten gemeinsam das Bett geteilt, und nun würden sie, was auch immer geschehen mochte, Seite an Seite Rache üben. Er berührte sie sanft an der Wange und flüsterte ihren Namen. Adrianne war sofort hellwach.

»Wie spät ist es?«

»Kurz nach eins.«

Sie nickte, sprang aus dem Bett und begann sich anzuziehen. Diesmal ganz in Schwarz. Fragen oder Worte erübrigten sich, als sie ihr Werkzeug zusammensuchten und die Gürtel anlegten. Adrianne hängte sich eine kleine Tasche quer über die Brust, in der sie Kabelklemmen, die Fernbedienung, ein ausgepolstertes Kästchen, ihre Feilen und den Schlüssel verstaut hatte.

»Gib mir 30 Minuten Zeit.« Sie überprüfte ihre Uhr und drückte dann den Knopf an der Stoppuhr. »Verlaß die Suite nicht vor zwei Uhr dreißig, sonst kann es sein, dass du den Wächtern im Ostflügel direkt in die Arme läufst.«

»Wenn wir uns beeilen würden, bräuchten wir nicht getrennt zu arbeiten.«

Wie er zog sie sich Operationshandschuhe über. »Philip, wir haben das doch x-mal durchgesprochen. Du weißt, dass ich recht habe.«

»Das heißt aber nicht, dass mir das recht ist.«

»Konzentrier du dich auf die Kombinationen.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss zu geben.

»Mach's gut.« Er zog sie ganz dicht an sich heran und küßte sie innig.

»Mach's besser.«

Wie ein Schatten glitt sie aus dem Zimmer und war verschwunden.

Sie musste diesen Job genauso angehen wie alle anderen vorher auch, ruhig und beherrscht. So hatte sie ihn geplant. Doch nun, da der Zeitpunkt gekommen war, auf den sie ihr ganzes Leben gewartet hatte, war sie so aufgeregt wie ein kleiner, ungeübter Kaufhausdieb. Sie bewegte sich schnell, hielt sich immer dicht an der Wand und lauschte, lauschte, lauschte.

Ihre Augen gewöhnten sich rasch an die Dunkelheit, die hier und da von helleren Flecken durchbrochen war, wo das Mondlicht durch ein unvergittertes Fensterchen schien. In den Fluren und kleinen Salons standen etliche kostbare Kunstschätze - indische Elfenbeinschnitzereien, chinesische

Jadefiguren und französisches Porzellan. Doch diese Dinge interessierten sie noch weniger als der Plunder auf einem Flohmarkt. Sie hatte nur Augen für die Wächter. Ohne das geringste Geräusch zu verursachen, huschte Adrianne über die Treppe hinauf in den ersten Stock.

Auch hier herrschte tiefstes Schweigen. Es war so still, dass sie ihren eigenen Pulsschlag hören konnte. Die Blumen, die man für die Hochzeit aus Europa hatte einfliegen lassen, verströmten ihren süßen Duft. Ein weißes Taubenpärchen döste inmitten Tausender Blüten in seinem goldenen Käfig. Adrianne schlich sich an ihnen und weiter an den Salons, dem großen Saal und den Büros vorbei. Die Tür zum Sicherheitsraum war diskret plaziert, in einer Ecke des Flurs. Die Gäste sollten zwar beschützt werden, ohne sich jedoch durch aufdringliche Sicherheitsvorkehrungen wie Alarmanlagen und Waffen gestört fühlen zu müssen. Mit angehaltenem Atem schob Adrianne die versteckte Tür zur Seite.

Sie wartete ab, fünf Herzschläge, zehn - doch es geschah nichts. Es blieb weiterhin still. Ihre gummibesohlten Schuhe verursachten keinen Laut, als sie durch die Tür trat und sie wieder zuschob. Die Treppe dahinter war steil und gut einsehbar. Wenn sie ihr Zeitlimit überschreiten und entdeckt werden sollte, gab es keine Möglichkeit, sich zu verstecken, noch irgendeine Ausrede für ihr Hiersein. Ohne Licht und ohne ein Treppengeländer, an dem sie sich orientieren konnte, war ein rasches Vorwärtskommen unmöglich. Vorsichtig und viel zu langsam für ihr Empfinden tastete sie sich die Treppe hinunter.

Unten angekommen klopfte ihr Herz derart heftig, dass sie erst einmal stehenblieb und tief durchatmete. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass sie noch zwanzig Minuten Zeit für die Alarmanlage hatte, bevor Philip das erste Schloss berühren würde. Zeit genug. Mit ihrer kleinen, aber sehr starken Taschenlampe leuchtete sie den Raum ab.

In einer Ecke stapelten sich Holzkisten bis unter die Decke. Der Staubschicht nach zu urteilen, standen sie schon länger hier. An einer anderen Wand entdeckte sie eine große Glasvitrine mit zwei Schlössern und darin, aufgereiht wie Soldaten, eine Sammlung Gewehre. Auf den Läufen glänzte Waffenöl. Die Alarmanlage war an der gegenüberliegenden Wand installiert. Adrianne machte sich an die Arbeit, wobei sie versuchte, sich durch die Gewehre hinter ihrem Rücken nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

Das Überwachungssystem für außen ließ sie unangetastet. Fünf schweißtreibende Minuten brauchte sie, um die Abdeckplatte der für sie interessanten Anlage abzuschrauben, sie zu inspizieren und den ersten Draht abzuklemmen. Insgesamt waren es zwölf, vier Drähte für jedes Schloss. Präzise, den Verkabelungsplan der Anlage genau vor Augen, arbeitete sie sich durch das Gewirr der Kabel, wobei sie exakt die richtige Farbfolge der einzelnen Drähte einhalten musste. Erst Weiß, dann Blau, dann Schwarz, dann Rot.

Sie warf einen Blick zur Decke hoch und fragte sich, ob Philip schon an seiner Position war. Zwei Alarmvorrichtungen waren schon ausgeschaltet, doch ihre Nervosität hatte sich noch nicht gelöst und lag wie ein Felsblocken in ihrem Magen. Ein klitzekleiner Fehler jetzt, und der Plan, an dem sie ein Leben lang gearbeitet hatte, war mit einem Schlag zunichte gemacht.

Gerade als sie das letzte Kabel gefunden hatte und es eben abklemmen wollte, hörte sie die Schritte. Für Panik war jetzt keine Zeit. Sie befestigte die Abdeckplatte provisorisch mit einer Schraube, die sie mit den Fingern hineindrehte, und war dann auch schon hinter den Holzkisten verschwunden.

Sie waren zu zweit, jeder von ihnen mit einer Pistole bewaffnet, die in einem Halfter über ihrer throbe steckte. Ihre nicht übermäßig lauten Stimmen hallten wie Böllerschüsse in Adriannes Ohren. Sie ringelte sich ganz klein zusammen und wagte nicht zu atmen.

Einer der Wächter beklagte sich über die zusätzliche Nachtschicht, die er wegen der Hochzeit und der vielen Gästen einlegen musste. Der andere nahm es gelassener und prahlte mit seiner kürzlich unternommenen Türkeireise und den aus Budapest stammenden Huren, mit denen er sich vergnügt hatte. Seine Frau, so erzählte er seinem Kollegen, habe nun die Syphilis, die er von dieser Reise mitgebracht habe.

Keine zwei Schritte von der Stelle entfernt, wo Adrianne versuchte, sich hinter den Kisten unsichtbar zu machen, blieben sie stehen und schalteten die Deckenbeleuchtung ein. Mit einem selbstgefälligen Lachen zog der zweite Mann ein Magazin unter seinem Gewand hervor. Auf dem Titelblatt war eine nackte Frau abgebildet, die sich mit den Fingern zwischen ihren weit gespreizten Beinen zu schaffen machte. Ganz gleich ob Palastwache oder nicht, wenn der matawain dieses Heftes habhaft geworden wäre, hätte sie das eine Hand oder ein Auge gekostet. Heiße Schweißperlen rannen Adrianne über den Rücken. Unaufhaltsam verstrichen die kostbaren Minuten.

Eine türkische Zigarette wurde gedreht und angezündet, während die beiden über dem Magazin brüteten. Der süßliche Rauch der Zigarette wehte zu Adrianne herüber. Was immer sie dem Tabak beigemischt haben mochten, machte sie ganz schwindlig. Ausgiebig befingerte sich der eine im Schritt, bevor er die Zigarette an den anderen weitergab.

Adrianne konnte nicht anders, sie musste das Stöhnen und die zotigen Bemerkungen mit anhören, die selbst eine abgebrühte Prostituierte zum Erröten gebracht hätten. Einer der beiden suchte sich einen bequemen Platz, noch näher an den Kisten, so dass der Saum seiner throbe beinahe Adriannes Fuß berührte. Sie konnte seinen Schweiß riechen. Dann begannen sie um das Heft zu feilschen, anfangs noch freundschaftlich, kurz darauf immer hitziger. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, nicht einmal, auf die Uhr zu sehen. Philip war jetzt bestimmt schon im Raum über ihr, begann vielleicht gerade mit seiner Arbeit am ersten Schloss. Jeden Augenblick konnte der Alarm losheulen. Dann wäre alles verloren.

Geldscheine wechselten den Besitzer. Das Pornoheft verschwand. Die Zigarette wurde ausgedrückt und der Stummel sorgsam versteckt. Durch das Hämmern des Pulses in ihrem Ohr hörte sie noch das Lachen der Männer. Sie verließen den Raum, und unter Höllenqualen wartete Adrianne darauf, dass das Licht ausging.

Sobald es wieder dunkel war, sprang sie auf. Für Vorsichtsmaßnahmen war jetzt keine Zeit mehr. Der Zeiger auf ihrer Uhr verriet ihr, dass ihr noch genau 90 Sekunden blieben, um den letzten Draht zu kappen.

Ihr Mund war trocken. Das und die Übelkeit, die sie befallen hatte, waren ganz neue Erfahrungen. Als sie die Deckplatte wieder abnahm, fiel ihr diese beinahe aus den tauben Fingern. Noch 45 Sekunden. Sie klemmte die Platte zwischen ihre Knie und tastete nach dem Kabel. Ihre Hand war ruhig, so ruhig, als gehörte sie gar nicht zu der Frau, die von oben bis unten in Schweiß gebadet war. Mit der Fingerfertigkeit eines Chirurgen machte sie eine Schlinge in das Kabel. Noch 20 Sekunden. Sie schob die Erdungsklemme über die Schlinge und zog sie fest.

Adrianne wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Lippen, bevor sie wieder auf die Uhr sah. Zwei Sekunden. Sie wartete und zählte. Dann stellte sie sich aufrecht hin und zählte noch einmal langsam bis sechzig. Keine Sirene brach die Stille um sie herum. Ein kurzes Stoßgebet, dann schraubte sie die Abdeckplatte wieder fest.

Philips ganze Konzentration war auf seine Fingerspitzen und sein Gehör gerichtet. Er arbeitete mit der Geduld und Umsicht eines Edelsteinschleifers. Oder eines Diebes. Während er auf das Klicken der Zuhaltungen des Zahlenschlosses lauschte, stellte er sich immer wieder dieselbe Frage. Wo blieb sie nur?

Die geplante Zeitspanne, die sie benötigen sollte, um zu ihm zu stoßen, war bereits um 15 Minuten überschritten. Aus dem Verstärker drang das beruhigende Klicken, das bedeutete, dass das erste Schloss offen war. Sie hatte also den Alarm ausgeschaltet. Ein Trost, wenn auch nur ein schwacher. Vorsichtig machte er sich an das zweite Schloss, blickte dabei aber immer wieder in Richtung Tür. Noch fünf Minuten, sagte er sich. Wenn sie binnen fünf Minuten nicht aufgetaucht war, dann würde er sich auf die Suche nach ihr machen. Zum Teufel mit dem Kollier. Er lockerte seine Finger wie ein Pianist vor dem Arpeggio. Die erste Zuhaltung rastete ein, da hörte er das Drehen des Türgriffs. Er stand bereits, dicht an der Wand gepreßt, hinter der Tür, als Adrianne hereingeschlichen kam.

»Du hast dich verspätet.«

Das alberne Kichern, das ihr entfuhr, zeigte ihr, wie angespannt ihre Nerven waren. »Verzeih mir, ich konnte kein Taxi bekommen.« Sie streckte ihre Hand nach ihm aus, hielt ihn fest, und das alleine half ihr schon, sich wieder zu fassen.

»Schwierigkeiten?«

»Nein, nicht wirklich. Nur zwei Wächter mit einem Pornoheft und türkischem Dope. Eine richtig nette Party.«

Unendlich zärtlich nahm er ihr Gesicht in beide Hände und hob es ein wenig an. Ihre Augen waren klar und ruhig, doch sie war blaß wie die Wand. »Ich muss dich darauf aufmerksam machen, dass du jetzt eine verheiratete Frau bist. Das nächste Mal gehst du nicht mehr ohne mich zu einer Party.

»Abgemacht.« Seltsam, dachte sie, wie schnell sich ihre Angst verflüchtigt hatte. »Und, hat bei dir alles geklappt?«

»Was für eine Frage. Nimm du dir schon mal den Schlüssel vor, Darling. Ich bin so gut wie fertig.«

»Mein Held.«

»Hoffentlich erinnerst du dich auch noch später daran.«

Sie arbeiteten Seite an Seite; Philip an dem letzten Schloss, Adrianne an dem Schlüssel. Zweimal musste er sie dabei unterbrechen, da ihn das Geräusch der Feile störte.

»So, das war's«, sagte er und trat einen Schritt zurück.

»Ich hatte schon ganz vergessen, welch ein Ohrenschmaus das Einrasten der Zuhaltungen ist.« Nach einem raschen Blick auf seine Uhr stellte er schmunzelnd fest: »39 Minuten, 40 Sekunden.«

»Herzlichen Glückwunsch.«

»Du schuldest mir tausend Pfund, mein Liebling.«

Sie wischte sich ein paar Schweißperlen von der Stirn.

»Setz es auf meine Rechnung.«

»Oh, Madame sind knausrig. Das hätte ich vorher wissen müssen.« Seufzend beugte er sich über ihre Schultern. »Bald fertig?«

»Gleich. Rücksichtsvoll, wie ich nun mal bin, habe ich dir die einfachere Arbeit überlassen«, murmelte sie. »Ganz schön kompliziert, dieser Schlüssel. Wenn ich zuviel wegfeile, war die ganze Arbeit vergebens.«

»Ich könnte ja versuchen, das Schloss mit der Hand zu knacken. Das spart uns bestimmt eine Stunde.«

»Nein, ich bin gleich fertig.« Sie führte den Schlüssel wieder ein und drehte ihn vorsichtig nach rechts und links. Er hakte noch etwas, sagte ihr ihr Fingerspitzengefühl. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich und wusste dann genau, an welcher Stelle er noch nicht ganz passte. Sie zog den Schlüssel wieder heraus, feilte hier und dort noch ein wenig, tropfte etwas Öl auf den Bart und gab ihm dann mit Sandpapier den letzten Schliff. Ihre Finger schmerzten, so verkrampfte sie sich bei dieser diffizilen Arbeit.

Dreißig weitere Minuten vergingen. Schließlich steckte sie den Schlüssel ein letztes Mal in das Schloss und drehte ihn herum. Jetzt gab es nach. Einige Augenblicke lang kniete sie regungslos vor der Tür, den Schlüssel noch immer in der Hand. Ihr ganzes Leben hatte sie auf diesen Moment gewartet. Jetzt, da er gekommen war, war sie unfähig, auch nur einen einzigen Muskel zu bewegen.

»Addy?«

»Weißt du, es ist irgendwie ein bisschen wie sterben. Plötzlich am Ziel seines Lebens angekommen zu sein. Zu wissen, dass, ganz gleich was man danach noch unternimmt, nichts auch nur annähernd die gleiche Wirkung auf einen haben wird.« Sie zog den Schlüssel heraus und steckte ihn wieder in ihre kleine Tasche. »Aber, noch ist es nicht geschafft.« Sie nahm die Fernbedienung zur Hand und gab den Code ein. Das Kontrollämpchen blinkte rot. Der Diamantring an ihrem Finger reflektierte das Licht, als sie die Bypass-Leitung anschloss. Das rote Lämpchen verlosch, und statt dessen leuchtete nun das grüne Licht am Überbrückungskondensator auf.

»Das sollte genügen.«

»Sollte?«

Mit einem zufriedenen Lächeln wandte sie sich an Philip. »Eine Garantiekarte lag dem Gerät leider nicht bei.«

Er begriff, trat einen Schritt zurück und ließ sie selbst die Tür zur Schatzkammer öffnen. Heiße, stickige Luft schlug ihnen entgegen. Adrianne vermeinte beinahe, ein Rauschen zu hören. Vielleicht war es ja auch der Geist der längst verstorbenen Königin. Sie ließ den Lichtkegel ihrer Lampe durch den Raum schweifen, der angefüllt war mit Gold, Silber und Edelsteinen.

»Aladins Schatzkammer«, flüsterte Philip ergriffen. »Der Traum eines jeden Diebes. Mein Gott, und ich dachte, ich hätte schon alles gesehen.«

Goldbarren, zu hüfthohen Pyramiden gestapelt, glänzten neben ebenso hohen Bergen von Silberblöcken. Dahinter türmten sich goldene und silberne Vasen, Teller und Schüsseln, manche davon über und über mit Edelsteinen verziert. Neben einem Diadem aus blutroten Rubinen prangte eine Krone, die nur aus Diamanten zu bestehen schien. Eine Truhe, die Adrianne geöffnet hatte, war mit ungeschliffenen Edelsteinen angefüllt, so hoch, das der Arm eines Mannes bis zu den Ellenbogen darin eintauchen konnte.

Neben Gold- und Edelsteinschätzen fanden sich in dem Raum aber auch unbezahlbare alte Gemälde, wie Rubens, Monets und Picassos. Die Art von Kunstwerken, die Abdu niemals im Palast zur Schau gestellt hätte, in die zu investieren er aber keine Bedenken hatte. Angesichts dieser Gemälde hatte Philip kein Auge mehr für die kostbaren Juwelen. Langsam ließ er den Schein seiner Lampe über die alten Leinwände gleiten und überlegte.

»Der Schatz des Königs.« Dumpf hallte Adriannes Stimme von den düsteren Mauern wider. »Einiges davon mit Ol bezahlt, anderes mit Blut, manches aus Liebe erworben und manches durch Verrat. Mein Gott, und meine Mutter starb mit leeren Händen, lebte nur von dem, was ich für sie stehlen konnte.« Philip richtete sich auf und drehte sich zu ihr um. »Und das Schlimmste dabei ist, dass sie ihn bis' zum Schluß geliebt hat.«

Zärtlich streichelte er mit seinen Daumen über ihre Wangen und wischte ihr dabei die Tränen ab. »Er ist es nicht wert, Addy.«

»Nein.« Mit einem letzten Aufseufzen machte sie sich von ihrem Kummer frei. »Ich werde mir nehmen, was mir gehört.«

Sorgfältig leuchtete sie die gegenüberliegende Wand ab. Als sie Sonne und Mond entdeckt hatte, schien es, als erwache dieser Schatz in eben diesem Augenblick wieder zum Leben.

»Da ist es.«

Ganz langsam ging Adrianne auf das Kollier zu, als werde sie von einem unsichtbaren Magneten angezogen. Jetzt zitterten ihre Hände deutlich, aber nicht aus Angst, nicht vor Kummer. Sie bebten vor Erregung. Das Kollier lag unter einer Glasglocke, doch die konnte das Feuer, das es ausstrahlte, nicht dämpfen. Liebe und Haß. Krieg und Frieden. Versprechen und Verrat. Man brauchte dieses Juwel nur anzusehen, um dessen Freuden und Leiden zu erspüren.

Alle Juwelen besaßen einen persönlichen Charakter, aber kein Schmuckstück der Welt besaß soviel Ausstrahlung wie dieses.

Versonnen ließ Philip nun auch den Strahl seiner Lampe über das Kollier gleiten, wobei sich ihre beiden Lichtkegel überkreuzten und miteinander verschmolzen. »Gütiger Himmel, das übertrifft bei weitem alle meine Vorstellungen. Nichts, was ich mir in meinen kühnsten Fantasien je ausgemalt habe, kann sich damit messen. Es gehört dir.« Er legte seine Hand auf ihre Schulter. »Nimm es.«

Unendlich behutsam holte sie das Kollier unter dem Glassturz bevor. Ohne zu atmen, hielt sie es eine Weile in ihren Händen. Es war schwer. Sein Gewicht überraschte sie, denn irgendwie beschlich sie plötzlich die Vorstellung, das Kollier sei nur eine Illusion und würde jedem, der es für sich beanspruchte, augenblicklich aus den Händen gleiten. Aber es blieb schwer in den ihren liegen, schien zu leben und die geheimsten Hoffnungen endlich wahr werden zu lassen. Im Schein der Lampe glaubte sie beinahe, das Blut zu sehen, das vor so vielen Jahren über diese Steine geflossen war.

»Es scheint, als sei es nur für deine Mutter gemacht worden.«

»Vielleicht war es so.«

Sie lächelte, denn sie merkte, dass er sie verstand. »Ich habe mich immer gefragt, was ich in diesem Augenblick wohl empfinden würde.«

»Und?«

Sie drehte sich zu ihm um, das Kollier wie eine Opfergabe vor sich haltend. »Wenn ich jetzt in mich hineinhöre, so höre ich sie lachen. Es tut mir unendlich leid, dass ich ihr dieses Schmuckstück nicht zurückgeben kann.«

»Du tust doch viel mehr als das.« Er dachte an das Rattenloch in Manhattan, aus dem Adrianne ein Hospiz machen wollte.

»Sie wäre sehr stolz auf dich, Addy.«

Nachdenklich nickend holte sie das eingerollte Samttuch aus ihrer Tasche und legte das Kollier hinein.

»Er wird es sich zurückholen.« Sorgfältig wickelte sie die Perle und den Diamanten darin ein. Ihre Augen hatten denselben leidenschaftlichen Glanz wie das Kollier. »Und das weißt du auch.«

»Was ich mit Sicherheit weiß, ist, dass das Leben mit dir nie langweilig sein wird.«

Ein letztes Mal leuchtete sie mit ihrer Taschenlampe durch den Raum. Dabei fielen ihr einige in die Mauer geritzte Schriftzeichen ins Auge. Sie ging darauf zu, um sie genauer zu betrachten. Obgleich schon sehr alt, waren die Schriftzeichen noch gut leserlich. Möglicherweise hatte man sie einst mit einem Diamanten in die Mauer geritzt.

»Was steht da?«

»Die Zeilen stammen von Berina. Sie schrieb: >Ich sterbe für die Liebe, nicht der Schande wegen. Allahu Akbar.<« Adrianne griff nach Philips Hand und drückte sie. »Vielleicht kann auch sie jetzt endlich in Frieden ruhen.«

26. Kapitel

Der Abschied fiel ihr unendlich schwer. Adrianne fuhr fort, ihre Koffer zu packen, während Yasmin durch ihr Zimmer schlenderte, hier an einem Fläschchen Parfüm roch, dort abgefallene Blütenblätter einer verwelkten Blume zwischen ihren Fingern zwirbelte. Breite Sonnenstrahlen, die sich durch die vergitterten Fenster schoben, brachen sich glitzernd an Yasmins goldenen Armreifen, ihren Ringen und den großen Kreolenringen, die sie an den Ohren trug. Adrianne wünschte, es wäre die Sonne, weshalb ihre Augen brannten und sich mit Tränen füllten. Auch damals, vor langen Jahren, war es schmerzlich gewesen, Jaquir zu verlassen, aber sie hatte es überwunden.

Diesmal nahm sie das Kollier mit, ließ aber gleichzeitig mehr zurück, als sie je für möglich gehalten hätte.

»Du könntest doch noch einen Tag länger bleiben«, meinte Yasmin, als sie zusah, wie Adrianne einen langen Rock zusammenfaltete und in den Koffer legte. Es schien ihr ungerecht, dass sie eine so schöne und faszinierende Schwester bekommen hatte, um sie nach wenigen Tagen schon wieder zu verlieren. Ihre anderen Schwestern langweilten sie, wenn auch nur aus dem einfachen Grund, weil sie sie schon ihr Leben lang kannte.

»Es tut mir leid, aber ich kann nicht.« Der Abschied wäre ihr gewiß leichter gefallen, wenn sie nicht ganz plötzlich erfahren hätte, wie einfach es war zu lieben. Sie verstaute ein Kästchen, in dem ein breiter, gehämmerter Goldreifen lag, ein Geschenk Rahmans. Er wollte Ingenieur werden - zum Ruhme Allahs. War es Zufall oder Bestimmung, dass er denselben Zukunftswunsch hegte wie sie damals? Adrianne nahm das Kästchen wieder aus dem Koffer und legte den Armreifen an. Den Panther mit den feurigen Edelsteinaugen befestigte sie am Revers ihrer Kostümjacke. »Philip muss sich wieder um seine Geschäfte kümmern. Er ist ohnehin schon zu lange fortgeblieben.« Und sie ebenfalls, dachte sie mit einem Seufzer das Bedauerns. Dann klappte sie den Koffer zu. Am liebsten würde sie den Koffer samt den langen Röcken und hochgeschlossenen Blusen aus dem Flugzeugfenster ins Meer werden. »Wenn du einmal nach Amerika reisen darfst, wirst du bei mir wohnen.«

»Und den Ort sehen, von dem du mir erzählt hast - Radio City?«

Adrianne musste lachen, obwohl sie gerade die abaaya anlegte. »Ja, und noch vieles mehr.« »Bloomerdale's.«

»Bloommgdale's«, korrigierte Adrianne ihre kleine Schwester und steckte ihr Haar unter das Kopftuch.

»Ist dieses Kaufhaus wirklich größer als der Suk?«

Es war nicht schwer zu erraten, wofür Yasmins Herz schlug. »Dort gibt es alle Kleider, die du dir nur vorstellen kannst, und alles unter einem Dach. Und natürlich Theken mit allen erdenklichen Parfüms und Cremes.«

»Und ich kann kaufen, was immer ich möchte, mit dieser Plastikkarte?«

Mit einem amüsierten Kopfnicken hob Adrianne den Schleier auf. »Die Verkäuferinnen werden dich dafür lieben.« Eines Tages würde es dazu kommen. Der Glaube daran tat ihr gut.

»Ich möchte so gerne nach Amerika reisen und all diese Dinge sehen, die Untergrundbahn und den Trump Tower.«

»Die Trumps werden ebenfalls sehr erfreut sein, deine Bekanntschaft zu machen.«

»Es ist schön, daran denken zu können, während du so weit fort bist. Aber du kommst doch wieder einmal nach Jaquir.«

Sie hätte sie anlügen können. Gut zu lügen, das hatte sie gelernt. Sie drehte sich um und sah ihre Schwester an, die inmitten eines großen Kissenberges auf einem Sofa saß.

»Nein, Yasmin, ich komme nicht wieder nach Jaquir.«

»Erlaubt es dein Gemahl nicht?«

»Doch, Philip hätte nichts dagegen, wenn ich es wollte.«

Yasmin schob die Kissen beiseite. »Du möchtest mich also nicht wiedersehen?«

Müde und traurig setzte sich Adrianne neben Yasmin und zog sie dicht zu sich heran. »Als ich nach Jaquir kam, kännte ich dich gar nicht, und Rahman auch nicht; und Fahid hatte ich nur als kleinen Jungen in Erinnerung. Ich dachte, es würde mir nichts ausmachen, nur so kurze Zeit zu bleiben. Nun aber bricht mir schier das Herz, euch verlassen zu müssen.«

»Warum bleibst du dann nicht noch ein wenig? Ich habe gehört, Amerika ist ein schreckliches Land, mit ungläubigen Männern und Frauen, die keine Ehre besitzen.« Bloomingdale's und Radio City erwähnte sie klugerweise nicht. »Besser, du bliebest hier, wo mein Vater weise und großherzig regiert.«

Möge er dich immer beschützen, dachte Adrianne. »In Amerika ist es nicht schlimmer und bestimmt auch nicht besser als anderswo. Die Menschen dort sind wie die Menschen überall auf der Welt. Es gibt dort gute und es gibt auch schlechte. Aber Amerika ist meine Heimat, so wie Jaquir die deine ist. Mein Herz gehört dorthin, aber ich lasse dir ein Stückchen meiner Heimat hier.« Sie zog einen Ring vom Finger, mit einem einfachen, eckig geschliffenen Aquamarin in einer schlichten Goldfassung. »Dieser Ring gehörte der Mutter meiner Mutter. Den möchte ich dir gerne schenken, als Andenken an mich.«

Yasmin hielt den Ring so, dass Licht auf den Stein fiel. Ihr geschultes Auge stellte rasch fest, dass er nicht sehr wertvoll war. Aber sie fand ihn hübsch und war schon Frau genug, um sentimental zu sein. Ganz spontan nahm sie ihre goldenen Ohrringe ab. »Und die sollen dich an mich erinnern. Wirst du mir schreiben?«

»Ja, gewiß.« Die Briefe wurden sicherlich kontrolliert, aber sie zählte da auf ihre Großmutter, die Yasmin die Post bestimmt auf die eine oder andere Weise würde zukommen lassen. Zu Yasmins Freude nahm Adrianne ihre Perlenohrringe ab und steckte sich die goldenen Kreolenringe an. »Eines Tages werde ich dir all die Plätze auch zeigen, aber zunächst werde ich dir viel schreiben.«

Yasmin ließ sich umarmen. Sie war immer noch ein Kind, und »eines Tages« war für sie ein Zeitbegriff, der in ebenso greifbarer Nähe lag wie »nächste Woche«. »Du hast recht gehabt mit dem Kleid«, sagte sie. »Darin habe ich wirklich ganz besonders ausgesehen.«

Adrianne drückte sie noch einmal. Sie fragte sich, ob Yasmins Leben ihr wohl weiterhin keine größeren Probleme bescheren würde als die Qual der Wahl eines passenden Kleides. Sehr wahrscheinlich würde sie Yasmin nicht wiedersehen, bevor diese eine erwachsene Frau mit eigenen Söhnen und Töchtern war. »Ich werde nie vergessen, wie hübsch du darin ausgesehen hast. Komm mit, ich muss Jiddah auf Wiedersehen sagen.«

Sie wollte nicht weinen, wollte das bittere Gefühl des Abschieds und des Verlusts verdrängen, das sich wie eine Schlinge um ihre Kehle legte. Doch als sie ihrer Großmutter zu Füßen kniete, kamen die Tränen. Dies war ein Abschnitt ihrer Kindheit, den sie für kurze Zeit noch einmal erleben durfte und der schon morgen unwiederbringlich hinter ihr liegen würde.

»Eine junge Braut sollte nicht weinen.«

»Ich werde dich schrecklich vermissen, Großmutter, aber ich werde dich nie vergessen.«

Jiddah vergrub ihre Finger in Adriannes Handflächen und küßte sie auf beide Wangen. Sie kannte ihren Sohn so gut wie sich selbst. Sein Herz würde sich niemals so weit öffnen, um Adrianne aufzunehmen. »Ich liebe dich wie alle Kinder meiner Kinder. Wir werden uns wiedersehen. Nicht in diesem Leben, aber in einem anderen.«

»Wenn ich einmal Kinder habe, werde ich ihnen all die Geschichten erzählen, die du mir erzählt hast.«

»Du wirst Kinder haben. Inshallah. Geh nun zu deinem Mann.«

Es gab noch etliche Verabschiedungen, bevor sie schließlich durch die kleine Tür des Gartens trat. Mehr als eine der Frauen beneidete sie um die Freiheit, von hier weggehen zu dürfen. Und mehr als eine Frau bedauerte sie, weil sie die schützenden Mauern des Harems verlassen musste. Sie küßte Leiha, dann Sara. Beide trugen Leben in sich, das sie an Jaquir band. Sie würde weder sie wiedersehen noch die Kinder, die sie unter dem Herzen trugen. Als Adrianne ihnen den Rücken zuwandte, fragte sie sich, ob sie jemals wieder so ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl erleben würde.

Dann lag der Harem mit all seinen Gerüchen und Symbolen hinter ihr. Das lustige Plätschern der Springbrunnen begleitete sie, als sie durch den Garten zum Tor ging. Der Palast und die Erinnerungen, die er beherbergte, das alles würde sie nun endgültig zurücklassen.

Der Wagen wartete bereits. Neben ihm sah sie Philip und ihre beiden Brüder stehen.

»Ich wünsche dir viel Glück.« Fahid küßte sie auf die Wangen. »Und ein langes, fruchtbares Leben. Ich habe dich immer geliebt.«

»Das weiß ich.« Sie legte ihre Hand an sein Gesicht. »Wenn du nach Amerika kommst, dann steht dir mein Haus offen. Euch beiden.« Dann stieg sie in den Wagen.

Auf dem ganzen Weg zum Flughafen sprach Adrianne kein Wort. Philip überließ sie ihren Gedanken, wissend, dass diese jetzt nicht bei dem Kollier waren, das sich bereits zusammen mit ihren Hochzeitsgeschenken auf dem Weg in den Westen befand, sondern bei den Menschen, die sie zurückgelassen hatte. Sie schaute weder rechts noch links, als sie durch die Stadt fuhr, noch warf sie einen einzigen Blick zurück auf den Palast, der mit zunehmender Entfernung immer kleiner wurde und schließlich ganz verschwand.

»Geht es dir gut?«

Sie starrte weiterhin geradeaus, legte aber eine Hand auf die seine, »ja, bald.«

Am Flughafen angekommen, hielt Philip erfolgreich die wortgewandten türkischen Gepäckträger in Schach, die sich blitzschnell Taschen und Koffer schnappten und zu Taxis und Ausgängen schleppten, ob die Besitzer es nun wollten oder nicht. Mit Drohungen und eindeutigen Gebärden brachte er sie dazu, dass sie die Gepäckstücke brav an Philips Seite zu der kleinen Privatmaschine trugen, die auf sie wartete. Der Pilot stand schon oben auf der Treppe und half Adrianne beim Einsteigen.

»Guten Tag, Sir. Madam. Hoffe, Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt.«

Philip musste an sich halten, um den Mann nicht wegen seines wohltuenden, britischen Akzents direkt auf den Mund zu küssen. »Wie ist das Wetter in London, Harry?«

»Miserabel, Sir, einfach hundsmiserabel.«

»Wie angenehm.«

»Ihr Zimmer in Paris ist bereits bestellt, Sir. Erlauben Sie mir, Ihnen zu Ihrer Hochzeit zu gratulieren.«

»Vielen Dank.« Er warf einen letzten Blick über die Schulter auf jaquir. »Und nun nichts wie weg von hier.«

Adrianne hatte sich bereits ihrer abaaya entledigt, als Philip an Bord kam. Darunter trug sie ein himbeerrotes Kostüm. Ihr nun unbedecktes Haar fiel in einem französischen Zopf über ihre Schulter. Ob sie wohl wusste, dass diese Art Frisur sie noch exotischer als sonst erscheinen ließ? fragte er sich.

»Fühlst du dich jetzt besser?«

Wie er starrte sie auf die abgelegten Symbole des Islam, die abaaya, das Kopftuch und den Schleier. »Etwas. Wann starten wir?«

»Sobald wir die Starterlaubnis erhalten haben. Möchtest du einen Drink?«

Den Eiskübel mit der Flasche Champagner hatte sie bereits bemerkt und brachte ein Lächeln zustande. »Sehr gerne.« Sie wollte sich eigentlich setzen, doch ihre innere Unruhe zwang sie, in der kleinen Kabine auf und ab zu gehen. »Warum bin ich jetzt bloß viel nervöser als bei unserer Ankunft?«

»Das ist doch ganz verständlich, Addy.«

»Findest du?« Mit zitternden Händen spielte sie an der Anstecknadel an ihrem Revers. »Du bist die Ruhe selbst.«

»Ich lasse ja auch nicht alles hinter mir.«

Sie ließ ihre Hand sinken und verschränkte dann die Finger. Eigentlich wusste sie nicht genau, ob sie sich über die Tatsache, dass er sie so genau durchschaute, freuen oder ärgern sollte. »Wir haben eine Menge Arbeit vor uns, Philip. Nicht zuletzt müssen wir uns überlegen, was wir mit den Wagenladungen an Hochzeitsgeschenken anfangen sollen.«

Wenn sie nicht über den wahren Grund ihrer inneren Unruhe nachdenken wollte, so konnte er gut warten. Mit einem leisen Plopp zog Philip den Korken aus der Flasche. Schäumend stieg der Champagner bis zum Flaschenhals hoch und senkte sich dann wieder. »Ich dachte, der ganze Kram ist bereits als Tarnung für das Kollier per Schiff nach New York unterwegs.«

»Das stimmt. Aber wir können ihn doch nicht behalten.«

Er streifte sie mit einem warmen Blick und schenkte den Champagner ein. »Für eine Meisterdiebin bist du eine erstaunlich ehrliche Haut.«

»Stehlen ist auch etwas ganz anderes, als Geschenke für eine Hochzeit anzunehmen, die nur eine Schmierenkomödie war.« Sie griff nach ihrem Glas. Er prostete ihr zu und beobachtete sie über den Rand seines Glases hinweg.

»War die Zeremonie denn nicht legal?«

»Doch, nehme ich schon an, aber es geht doch mehr um die Absicht, oder?«

Was seine Absicht war, das wusste er genau. Deshalb lächelte er. »Ich würde sagen, wir konzentrieren uns lieber auf Sonne und Mond als auf Garnituren von Bettwäsche und Tischdecken.« Er bemerkte, wie sie, über seine Geringschätzung des offensichtlichen Wertes dieser Geschenke indigniert, die Stirn runzelte. »Eins nach dem anderen, Addy.«

»In Ordnung. Die Geheimschublade in der chinesischen Zauberbox wird das Kollier schon sicher behüten.«

»Sicher. Zumal sie mit Blei verkleidet ist.«

»Leider gibt mir dieser Weg längst nicht die Befriedigung, als wäre ich mit dem Kollier um den Hals aus dem Palast spaziert, dafür ist er praktischer.« Sie brachte ein Lächeln zustande. »Es ist außerdem höchst unwahrscheinlich, dass der Zoll allzu penibel in den Hochzeitsgeschenken von Prinzessin Adrianne herumschnüffelt. Da ich die Alarmanlage wieder ordnungsgemäß installiert habe, kann es Wochen dauern, bis Abdu den Verlust bemerkt.«

»Macht dir das Kopfzerbrechen?«

»Was?« Adrianne versuchte verzweifelt, die Vergangenheit abzuschütteln. »Nein. Nein, ich hätte zwar gerne an Ort und Stelle meine Karten aufgedeckt, aber andererseits wäre ein offener Kampf auf seinem Territorium ein äußerst törichtes Unterfangen gewesen.« Sie richtete ihr Augenmerk jetzt bewußt auf die Zukunft. »Er wird zu mir kommen.«

»Darüber zerbrechen wir uns aber erst den Kopf, wenn es soweit ist.«

Durch die Lautsprecher kam die Ansage des Kapitäns: »Wir haben die Starterlaubnis erhalten, Sir. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein, und schnallen Sie sich an.«

Die Motoren heulten auf, und das kleine Flugzeug raste über die Startbahn. Adrianne spürte genau den Moment, als die Räder vom Boden abhoben. Sie hatte Jaquir verlassen. Die Schubkraft des Flugzeugs drückte sie wie eine unsichtbare Hand in den Sitz. Adrianne schloss die Augen, dachte an ihre Mutter und an eine andere, lange vergangene Zeit.

»Als ich das letztemal von Jaquir abgeflogen bin, war unser Ziel auch Paris. Ich war furchtbar aufgeregt. Zum ersten Mal sollte ich fremden Boden betreten. Ich dachte nur an das neue Kleid, das mir meine Mutter versprochen hatte, und daran, in einem Restaurant zu essen.« Unwillkürlich kehrten dabei ihre Gedanken zu Yasmin zurück, und sie schüttelte den Kopf. »Mutter hatte da bereits die Entscheidung zu fliehen getroffen und muss schreckliche Angst ausgestanden haben. Und doch lachte sie, als wir übers Meer flogen, und zeigte mir Bilder vom Eiffelturm und von Notre-Dame. Wir haben es nie bis auf den Eiffelturm geschafft.«

»Wir fahren hinauf, wenn du möchtest.«

»Ja, das möchte ich gerne.« Erschöpft rieb sie sich die Augen. Hinter den geschlossenen Lidern sah sie das Kollier vor sich, das sie im Morgengrauen versteckt hatte. Die ersten Sonnenstrahlen hatten es zum Leben erweckt. Feuer und Eis kämpften den ewigen Kampf, einen Kampf, der niemals entschieden werden würde.

»Sie hat es zurückgelassen. Sie hat alles zurückgelassen, außer mir. Erst als wir sicher in New York angekommen waren, wurde mir klar, dass sie ihr Leben riskiert hat, um mich mitzunehmen.«

»Dann stehe ich genauso in ihrer Schuld wie du.« Er nahm ihre beiden Hände und führte sie an seine Lippen. Er spürte ihren Pulsschlag und auch die Kraft, die in ihr steckte. »Sie war eine ganz außergewöhnliche Frau«, sagte er leise. »So außergewöhnlich wie ihre Tochter und das Kollier, das sie für sie zurückgeholt hat. Niemals werde ich deinen Blick vergessen, als du es in der Hand hieltest. Du hast dich getäuscht, und das weißt du auch. Es ist für dich.«

Sie erinnerte sich an das Gewicht. Sie erinnerte sich an die erhabene Pracht. Und sie wurde unendlich traurig. »Liebe mich, Philip.«

Er öffnete seinen Sicherheitsgurt, dann den ihren, reichte ihr die Hand und half ihr beim Aufstehen. Als sie sich in dem schmalen Gang gegenüberstanden, streifte er ihr die Kostümjacke von den Schultern und ließ sie auf den Boden fallen. Als seine Lippen die ihren berührten, spürte er die Nervosität, gegen die sie beständig angekämpft hatte. Ihre Lippen waren weich und geöffnet und unendlich verletzbar. Ihre sonst so geschickten Finger machten sich umständlich an seinen Hemdknöpfen zu schaffen.

»Das ist komisch«, flüsterte sie und ließ ihre Hände sinken. »Ich komme mir vor wie beim ersten Mal.«

»In gewisser Weise ist es das ja auch. Es gibt so viele Wendepunkte im Leben, Addy.« Er knöpfte ihr die Bluse auf, dann den Rock und ließ ihn über ihre Hüften zu Boden gleiten. Jetzt trug sie nur noch ein dünnes Hemd und die Ringe, die er ihr geschenkt hatte.

Ganz langsam, jeden Augenblick auskostend, öffnete er ihr Haar und ließ es über ihre Brust fallen. Sie kam einen Schritt näher, drückte ihren Körper gegen den seinen.

Er nahm sich Zeit, ihretwegen und auch seinetwegen. Lange Küsse, zärtliche Berührungen. Ein Stöhnen. Ein Seufzer. Während das Flugzeug über das blaue Meer dahinschwebte, ließen sie sich in inniger Umarmung auf das schmale Sofa sinken.

In Philip steckte soviel Stärke, eine Stärke, die sie erst nach und nach endeckt hatte. Er war nicht nur ein Mann, der bei Mondenschein eine Frau mit Rosen und Champagner verwöhnte. Nicht nur ein Dieb, der im Dunkel der Nacht durch Fenster stieg. Er war ein Mann, der zu seinem Wort stand, der voll und ganz zu ihr hielt, wenn sie es ihm gestattete. Ein Mann, der zwar immer für eine Überraschung gut war, andererseits aber auch Beständigkeit und Stärke besaß.

Sie hatte nicht sagen können, wann genau sie ihre selbstgesteckten Grenzen überschritten, wann genau sie sich in ihn verliebt hatte. Sie hätte nicht sagen können, warum dies, trotz ihrer festen Entschlossenheit, eben das zu verhindern, dennoch passieren konnte. Vielleicht geschah es schon in der ersten Nacht, da sie sich als Fremde im Nebel begegnet waren. Mit Bestimmtheit wusste sie nur, wann sie es sich schlußendlich eingestanden hatte. In eben diesem Augenblick. Er spürte die Veränderung, konnte sie aber nicht beschreiben. Ihr Körper erschien auf einmal wärmer, weicher, ihre Haut prickelte wie Champagner unter seinen Händen. Ihr Herz schlug wie wild. Sie zog ihn näher zu sich heran, ihr Mund öffnete und preßte sich über seine Lippen. Der Geschmack der Leidenschaft übertrug sich auf seine Zunge, diesmal jedoch gewürzt mit etwas Dunklerem, Tieferem. Ihre Haut bedeckte eine feuchte Wärme, die beständig glühender wurde, als seine Hand über ihren Körper glitt - die Brust, die Hüften, die Schenkel. Sie erbebte. Als er ihr in die Augen blickte, sah er, dass auch diese feucht waren.

»Addy...«

»Nein.« Sie legte einen Finger auf seine Lippen. »Liebe mich. Ich brauche dich.«

Bei diesen Worten verdunkelten sich seine Augen. Ein Anzeichen für rasende Wut, ebenso wie für rasendes Verlangen. Sein Mund näherte sich ganz behutsam dem ihren, obwohl er den Drang, das zu nehmen, was ihm angeboten wurde, lebhaft in Zaum halten musste. »Sag mir das noch einmal.«

Bevor sie noch sprechen konnte, verschaffte er ihr soviel Lust, dass sich ihre Fingernägel in seine Schultern bohrten, bevor sein feuchtheißer Körper an ihr herabglitt. Wie eine Flutwelle brach die Leidenschaft aus ihr heraus, ließ sie keuchend, aber noch lange nicht erschöpft zurücksinken. Er sah, wie ihre Augen sich weiteten und starr wurden, als ihr Körper sich unter dem seinen zusammenkrümmte und dann langsam entspannte. Mit stockendem Atem registrierte sie ein erneutes Aufglühen ihrer Lust. Jetzt waren ihre Gedanken nur noch bei ihm, ihr Körper wie Wasser, fließend, wallend, aufschäumend. Gleißendes Sonnenlicht durchflutete die Kabine und drängte wie ein roter Nebel gegen ihre geschlossenen Lider.

Sie veränderte ihre Position, entschlossen, ihm dieselben uneingeschränkten Liebesfreuden zu schenken, die er ihr bereitet hatte. Sein Körper war die reinste Freude, fest und schlank, seine Haut nur Nuancen dunkler als die ihre. Zum ersten Mal erforschte sie diesen Körper genauer, bedeckte ihn mit feuchten Küssen, bis er vor Lust glühte. Durch ihre Lippen spürte sie das dumpfe Pochen seines Herzens; mit ihren Fingerspitze brachte sie dieses zum Rasen. Einige Liebkosungen kamen ganz instinktiv, andere hatte er sie gelehrt. Zusammengenommen war ihre Liebeskunst alles, was er sich nur wünschen konnte.

Sie fühlte seine Finger an ihrem Arm heruntergleiten. Ihre Handflächen berührten sich. Sie schlug die Augen auf und sah, dass er sie beobachtete. Ihre Finger umschlangen sich, wie ein Versprechen.

Sie erschauderte, als er in sie eindrang. Preßte sich dann an ihn, bewegte sich mit ihm, Stoß für Stoß.

Das Flugzeug schaukelte durch dichte Regenwolken. Ineinander verschmolzen, spürten sie nur ihre eigenen Turbulenzen. Schon war Paris unter einem dichten Nebelschleier in der Ferne zu erahnen. Sie rief seinen Namen, sagte ihm all die Dinge, nach denen er sich so verzehrt hatte.

»Wir fliegen morgen nach New York.« Philip nahm das Telefon mit ans Fenster und sah hinaus. Über Paris ging ein nasskalter Graupelschauer nieder, der Himmel war grau verhangen. Philip wünschte, er hätte Adrianne nicht allein gehen lassen.

»Verflucht nett von Ihnen, sich zu melden.«

Philip ließ Spencers Sarkasmus ungerührt über sich ergehen. »In den Flitterwochen, denke ich, hat ein Mann das Anrecht auf ein gewisses Maß an Privatleben.«

»Was das betrifft...«, brummelte Spencer und kaute an seiner Pfeife. »Herzlichen Glückwunsch.«

»Danke.«

»Sie hätten mich ja in Ihre Pläne einweihen können.«

»Nun, es war - sozusagen - eine Blitzhochzeit. Was aber nicht heißen soll, dass Sie um ein Geschenk herumkommen, alter Freund. Etwas Geschmackvolles, kann ruhig teuer sein.«

»Wenn ich von einem Vermerk in Ihrer Personalakte Abstand nehme, ist dies Geschenk genug. Ohne Erlaubnis hinter meinem Rücken einfach in ein gottverlassenes Königreich abdampfen und uns hier bis zum Hals in diesem verfluchten Fall stecken lassen.«

»Die Liebe geht seltsame Wege und zwingt einen Mann bisweilen, seltsame Dinge zu tun, Stuart. Ich nehme an, Sie erinnern sich noch daran. Und was den Fall betrifft«, fuhr er fort, während Spencer sich missbilligend räusperte. »Ich habe ihn nicht völlig vernachlässigt. Wie ich aus sicherer Quelle erfahren habe, hat sich unser Mann tatsächlich zurückgezogen. Ist momentan sozusagen von der Bildfläche verschwunden.«

»Verflixt und zugenäht.«

»Ja, ganz Ihrer Meinung. Aber vielleicht kann ich Sie dafür anderweitig entschädigen.«

»Wie?«

»Sie erinnern sich sicherlich an den Rubens, der vor ungefähr vier Jahren aus Van Wyes' Sammlung verschwunden ist.«

»Vor dreieinhalb Jahren, um genau zu sein - ein Rubens, nebst zwei Corots, einem Wyeth und einer Tuschezeichnung von Beardsley.«

»Sie haben ein phänomenales Gedächtnis, Captain, das muss der Neid Ihnen lassen. Es ist der Rubens, bei dem ich Ihnen behilflich sein könnte.«

»Inwiefern?«

»Ich habe da eine heiße Spur.« Philip lächelte bei dem Gedanken daran, wie der Lichtstrahl seiner Taschenlampe in Abdus Schatzkammer über das Gemälde geglitten war. Ja, es gab viele Wege, sich zu rächen. »Es ist gut möglich, dass uns der Rubens auch zu den anderen gestohlenen Bildern führt.«

»Ich erwarte Sie morgen in London, zu einem ausführlichen Report.«

»Tut mir schrecklich leid, aber ich habe schon eine Verabredung für morgen. Aber...«, beeilte er sich anzufügen, bevor Spencer losbrüllen konnte, »ich bin gerne bereit, Ihnen in wenigen Tagen alles persönlich zu erzählen, was ich weiß, und das ist eine ganze Menge. Vorausgesetzt, wir kommen zu einer Einigung.«

»Was für eine Einigung, zum Teufel? Wenn Sie Informationen über ein gestohlenes Gemälde besitzen, so ist es Ihre verdammte Pflicht, mich darüber in Kenntnis zu setzen.«

Philip hörte die Tür aufgehen. Sein Lächeln wurde noch breiter, als er Adrianne hereinkommen sah. Ihr Haar war naß vom Schneeregen. Im Moment bereitete es ihm schon ein ungeheures Vergnügen, ihr nur beim Ausziehen ihrer Handschuhe zuzusehen.

»Captain, ich weiß genau über meine Pflichten Bescheid. Sehr genau.« Er schlang einen Arm um Adriannes Taille und küsste sie auf die Stirn. »Wir werden einen langen, gemütlichen Plausch machen. Richten Sie es so ein, dass wir uns in New York treffen. Ich möchte Ihnen gerne meine Frau vorstellen.«

Er legte auf, um Adrianne richtig zu küssen. »Du bist ja total durchgefroren.«

»War das dein Captain Spencer?«

»Er hat uns seine Glückwünsche übermittelt.«

»Aber sicher doch!« Sie stellte eine Einkaufstüte ab. »Ist er sehr sauer?«

»Und wie. Aber ich habe etwas, das ihn aufheitern wird. Hast du mir was Hübsches mitgebracht?«

»Ja, habe ich. Dieser Hermes-Schal ist für Celeste, und das ist für dich.« Sie zog einen Kaschmirpullover aus der Tüte, der dieselbe Farbe hatte wie seine Augen. »Du hast für Paris nichts Warmes eingepackt. Ich fürchte, du hast Dutzende von der Sorte daheim im Schrank liegen.«

Vielleicht war es dumm, so gerührt zu sein, aber er war es nun mal. »Aber keinen von dir. Durfte ich deshalb nicht mitkommen?«

»Nein.« Sie zupfte ihm den Kragen zurecht, nachdem er den Pullover angezogen hatte. »Ich musste nur einmal eine Weile allein sein, um in aller Ruhe nachzudenken. Übrigens habe ich mich bei Celeste gemeldet. Alles ist in mein Aparte- ment geliefert worden. Sie hat die chinesische Box ausgepackt.« »Und das Kollier?«

»Befindet sich genau da, wo ich es versteckt habe. Ich sagte ihr, sie solle es dort lassen. Ich möchte mich selbst darum kümmern, wenn wir zurückkommen.«

»Du scheinst alles unter Kontrolle zu haben.« Mit einem Finger hob er ihr Kinn an. »So, und nun erzähl mir einmal, was dich wirklich beschäftigt.«

Sie holte tief Atem. »Philip, ich habe meinem Vater einen Brief geschrieben und ihn wissen lassen, dass ich Sonne und Mond gestohlen habe.«

27. Kapitel

»Ich muss dir sagen, ich bin zutiefst gekränkt, dass du ohne mich geheiratet hast.«

»Celeste, ich habe dir doch schon erklärt, dass das ganze nur ein Trick war.«

»Trick oder nicht, ich hätte dabei sein sollen.« Celeste drapierte den neuen Schal um ihre Schultern und betrachtete das Ergebnis im Spiegel. »Abgesehen davon wirst du einige Anstrengungen unternehmen müssen, um von einem Mann wie Philip Chamberlain loszukommen.« Grinsend strich sie mit den Fingern über den weichen Stoff. »Vor zwanzig Jahren hätte ich nichts unversucht gelassen, ihn dir auszuspannen.«

»Sobald das alles vorbei ist, werden wir wieder getrennte Wege gehen.«

»Meine Liebe...« Sie wandte sich von ihrem Spiegelbild ab und sah Adrianne direkt in die Augen. »Du bist nicht annähernd die Schauspielerin, die deine Mutter gewesen ist.«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«

»Du bist verliebt in ihn. Und zwar bis über beide Ohren, wenn ich dich so anschaue. Aber ich muss gestehen, ich freue mich für dich.«

»Gefühle ändern nichts an Tatsachen.« Sie drehte den Ring an ihrem Finger. »Philip und ich haben eine feste Abmachung getroffen.«

»Mein Liebling.« Sie küßte Adriannes Wange. »Gefühle ändern alles. Möchtest du darüber reden?«

»Nein.« Sie seufzte und ärgerte sich gleichzeitig, dass dieser Seufzer so traurig klang. »Eigentlich möchte ich im Augenblick nicht einmal darüber nachdenken. Ich habe genug anderes im Kopf.«

Dieser Satz genügte, um Celestes Lächeln zum Verschwinden zu bringen. »Ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich und darüber, was er jetzt unternehmen wird, da er weiß, dass du das Kollier hast.«

»Was kann er schon tun?« Zum Gehen gewandt, nahm Adrianne ihren Mantel. »Ich schätze, er würde mir am liebsten den Hals umdrehen, aber dadurch bekommt er das Kollier auch nicht zurück.« Sie warf noch einen letzten Blick in den Spiegel und knöpfte ihren Mantel zu. »Glaub mir, ich weiß, wie sehr ihn der Verlust ärgert - und dass er zu jedem Kompromiß bereit sein wird, um es zurückzubekommen.«

»Wie kannst du nur so ruhig darüber sprechen?«

»Weil genug beduinisches Blut in meinen Adern fließt, um mein Schicksal zu akzeptieren und es damit aufzunehmen. Darauf habe ich mein ganzes Leben lang gewartet. Mach dir keine Sorgen, Celeste, er wird mich nicht umbringen - er wird bezahlen.« Ihr Blick verhärtete sich. »Vielleicht ist es mir möglich, mein Leben klarer zu sehen, wenn die Sache mit Abdu endlich erledigt ist.«

»Addy.« Celeste nahm Adriannes Hand, um sie zurückzuhalten. »War es das alles wert?«

Sie dachte an die Wege, die sie eingeschlagen hatte, die sie schlussendlich zu der Schatzkammer in einem uralten Palast geführt hatten. Ganz unwillkürlich berührte sie die goldenen Ohrringe. »Es muss es wert sein. Und das wird es auch.«

Sie verließ Celeste und beschloss, den kurzen Weg zu ihrem Apartment zu Fuß zurückzulegen, anstatt ein Taxi zu nehmen. Die Straßen waren wie leergefegt. Es war Ende Januar und eigentlich noch viel zu kalt, um spazierenzugehen. Sie würde höchstens ein paar hartgesottenen Joggern begegnen, die, kleine Dampfwölkchen ausstoßend, durch den Park rannten, und den dick eingemummten Portiers, die vor den Türen stehen mussten. Die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, machte sich Adrianne ohne Eile auf den Weg.

Sie wusste, dass sie verfolgt wurde, hatte ihre Verfolger schon am Tag zuvor bemerkt. Das Werk ihres Vaters, dessen war sie sich sicher, obgleich sie gegenüber Philip nichts davon erwähnt hatte. Das Kollier war ihre Lebensversicherung.

Philip traf sich gerade mit Spencer. Offenbar ging es um irgendwelche geheimen Unterredungen. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders gewesen, als sie sich am Nachmittag getrennt hatten. Genaugenommen machte er schon seit Spencers Ankunft in New York einen so abwesenden Eindruck.

Das ging sie nichts an, ermahnte sie sich. Hatte sie nicht gerade erst vorhin Celeste erklärt, dass sie und Philip eine strikte Abmachung getroffen hatten? Wenn er also Geheimnisse hatte oder Probleme mit seinem Vorgesetzten, so war das wirklich seine private Angelegenheit. Und doch hätte sie sich gewünscht, dass er sich ihr anvertraute.

Die lange, schwarze Limousine vor ihrem Apartmenthaus stach ihr sofort ins Auge. Obwohl dies kein ungewöhnlicher Anblick war, begann ihr Herz wie wild zu klopfen. Irgendwie wusste sie, noch bevor die Tür aufging, wer aus dem Wagen steigen würde.

Abdu hatte seine throbe mit einem Geschäftsanzug vertauscht, seine Sandalen mit eleganten, italienischen Lederschuhen, trug jedoch dazu die typische Kopfbedeckung seines Landes. Schweigend standen sie einander gegenüber.

»Komm mit.«

Sie musterte den Mann neben ihm und wusste, dass er bewaffnet war, wusste auch, dass er fraglos jeden Befehl seines Königs ausführen würde. Abdus maßlose Wut mochte den Wunsch in ihm wachrufen, sie hier auf offener Straße niederschießen zu lassen, aber er war kein Narr.

»Nein, du kommst zu mir«, entgegnete Adrianne knapp, wobei sie bewusst ihren Vater zum ersten Mal mit du ansprach. In dieser Situation erübrigten sich Höflichkeitsfloskeln. Sie drehte sich um und hielt den Atem an, als sie das Haus betrat. »Laß den Mann draußen«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Er folgte ihr tatsächlich. »Dies geht nur uns beide etwas an.«

Sie betraten den Aufzug. Jeder, der ihnen begegnet wäre, hätte einen gepflegten Herrn in einem dunklen Chesterfield- Anzug gesehen, und eine junge Frau im Nerzmantel, offensichtlich seine Tochter. Manchen wäre vielleicht noch aufgefallen, was für ein attraktives Paar die beiden abgaben, bevor sich die Türen des Fahrstuhls schlössen.

Adrianne schwitzte. Doch das lag weder an der überhitzten Luft im Inneren des Gebäudes noch an dem Nerzmantel. Sie schwitzte auch nicht aus Angst, obwohl sie wusste, das seine Hände stark genug waren, um sie zu erwürgen, bevor sie noch die oberste Etage erreicht hätten. Und es war auch nicht der Triumph, noch nicht, der sie zum Schwitzen brachte, sondern höchstens die Vorfreude auf den Augenblick, auf den sie so lange gewartet hatte.

»Du hast meinen Brief erhalten.« Obwohl er nicht antwortete, drehte sie sich zu ihm um und sah ihn direkt an. »Vor Jahren habe ich dir schon einmal einen Brief geschrieben. Damals bist du nicht gekommen. Offensichtlich ist dir dieses Kollier mehr wert als das Leben meiner Mutter.«

»Ich könnte dich nach Jaquir zurückbringen. Und du könntest froh sein, wenn man dir nur die Hände abhackte.«

»Du hast keine Macht mehr über mich.« Sie ging voraus, als sich die Fahrstuhltür öffnete. »Nicht mehr. Einst habe ich dich geliebt - und noch mehr gefürchtet. Jetzt ist selbst die Furcht verblasst

Sie schloss die Tür zu ihrem Apartment auf und sah, dass seine Männer bereits dort gewesen waren. Polster waren aufgeschlitzt, Tische umgekippt, Schubladen herausgezogen. Das war keine gewöhnliche Durchsuchung gewesen, sondern hatte eher den Charakter eines persönlichen Racheakts. Wut stieg in ihr auf und spiegelte sich in ihren Augen.

»Hast du wirklich geglaubt, es hier zu finden?« Langsam stieg sie über die am Boden verstreuten Sachen hinweg. »Zu lange habe ich auf diese Gelegenheit gewartet, als es dir jetzt so einfach zu machen.« Sie war auf den Schlag gefasst gewesen und wich noch rechtzeitig aus, so dass er nur flüchtig ihre Wange streifte. »Rühr mich noch ein einziges Mal an«, sagte sie mit tonloser Stimme, »und du siehst das Kollier nie wieder. Das schwöre ich.«

Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Du wirst zurückgeben, was mir gehört.«

Sie zog den Mantel aus und warf ihn achtlos beiseite. Die chinesische Box lag jetzt zerbrochen zu ihren Füßen, aber sie hatte ihren Zweck bereits erfüllt. Das Kollier befand sich wieder in einem Tresor. Diesmal jedoch in einer New Yorker Bank. »Ich besitze nichts, was dir gehört. Was ich besitze, gehörte meiner Mutter, und jetzt gehört es mir. Das ist das Gesetz des Islam, das Gesetz Jaquirs, das Gesetz des Königs.« Ihre Augen waren ein Spiegel der seinen. »Willst du dieses Gesetz anfechten?«

»Ich bin das Gesetz. Sonne und Mond gehört Jaquir und mir und nicht der Tochter einer Hure.«

Adrianne ging auf das Porträt ihrer Mutter zu, das man von der Wand gerissen und auf den Boden geworfen hatte. Sie hob es auf und stellte es so hin, dass es in Abdus Blickrichtung stand. Dann wartete sie, bis er hinschaute, es ansah und sich erinnerte.

»Das Kollier gehörte der Gemahlin eines Königs, vor Gott und dem Gesetz.« Sie kam wieder zurück. »Du bist derjenige, der etwas gestohlen hat - ihren Schmuck, ihre Ehre und am Ende auch ihr Leben. Ich habe mir geschworen, es zurückzuholen, und ich habe es getan. Ich habe mir geschworen, dass du dafür bezahlst, und das wirst du auch.«

»Die Gier nach Edelsteinen ist typisch für euch Frauen.«

Er packte sie am Arm. »Du hast keine Ahnung von ihrem wahren Wert, ihrer wahren Bedeutung.«

»Was Edelsteine anbelangt, weiß ich ebenso viel wie du«, konterte sie und entwand sich seinem Griff. »Vielleicht sogar mehr. Glaubst du, mir geht es um den Diamanten oder die Perle?« Mit einem verächtlichen Schnauben trat sie einen Schritt zurück. »Es war das Geschenk als solches, das für meine Mutter zählte, und der Betrug, als du es ihr wegnahmst, es dir widerrechtlich angeeignet hast. Ihr ging es nicht um das Kollier, um Schliff, Farbe oder Gewicht der

Steine. Es ging ihr einzig und allein darum, dass du es ihr in Liebe geschenkt und im Haß genommen hast.«

Der Anblick des Porträts, wie es ihn anstarrte und seine Erinnerungen wachrief, machte ihn rasend. »Ich war verrückt, als ich es ihr gab, und gesund, als ich es wieder an mich nahm. Wenn dir dein Leben lieb ist, dann gibst du es mir zurück.«

»Willst du noch ein Leben auf dem Gewissen haben?« Sie zuckte die Schultern, als bedeute ihr ihr Leben nicht mehr als ihm. »Wenn ich sterbe, stirbt das Kollier mit mir.« Sie wartete, bis sie sicher sein konnte, dass er sie verstanden hatte. »Ja, du siehst, ich meine, was ich sage. Ich bin in der Tat darauf vorbereitet, dafür zu sterben. Und wenn ich wirklich dafür sterben sollte, dann mit der Genugtuung, mich an dir gerächt zu haben. Aber ich ziehe es vor zu leben. Du kannst das Kollier wiederhaben und es nach Jaquir zurückbringen, doch ich verlange einen Preis dafür.«

»Ich werde es nach Jaquir zurückbringen, und den Preis wirst du bezahlen.«

Sie wandte sich ihm zu. Dies war ihr Vater, und doch empfand sie nichts. Gott sei Dank empfand sie jetzt nichts. »Die meiste Zeit meines Lebens habe ich dich gehaßt.« Sie sagte es mit ruhiger, gelassener Stimme, die ihre Emotionen widerspiegelte. »Du weißt, wie sie gelitten hat, wie sie gestorben ist.« Sie wartete, beobachtete seine Augen. »Ja, du hast es gewusst. Schmerzen, Qual, Kummer und Verwirrung. Ich habe zusehen müssen, wie sie jedes Jahr ein bisschen mehr gestorben ist. Und da du das weißt, wirst du auch verstehen, dass du mir nichts mehr antun kannst, was mich auch nur im geringsten berühren könnte.«

»Vielleicht nicht. Aber du bist nicht allein.«

Jetzt wich jegliche Farbe aus Adriannes Gesicht. »Wenn du Philip etwas antust, dann bringe ich dich um. Ich schwöre es. Und Sonne und Mond wird für alle Zeiten auf dem Grund des Meeres verschwinden.«

»Also bedeutet er dir doch etwas.«

»Mehr als du zu verstehen fähig bist.« Ihre Kehle schnürte sich zusammen, als sie ihren letzten Trumpf ausspielte.

»Aber selbst Philip weiß nicht, wo sich das Kollier befindet. Nur ich allein weiß es. Du verhandelst mit mir, Abdu, mit mir ganz allein. Und ich verspreche dir, dass der Preis, den ich für deine Ehre angesetzt habe, weit unter dem liegen wird, den ich für das Leben meiner Mutter als angemessen erachten würde.«

Diesmal erhob er seine Faust. Adrianne duckte sich gerade in dem Augenblick, als eine Tür krachend ins Schloss fiel. »Wenn Sie sie auch nur mit einem Finger berühren, bringe ich Sie um.« Während Adrianne noch zurückstolperte, hatte Philip Abdu schon an den Jackettaufschlägen gepackt.

»Nein, tu's nicht.« Erschrocken griff sie nach seinen Händen und zog sie weg. »Laß ihn. Er hat mich nicht geschlagen.«

Er streifte sie mit einem schnellen Blick. »An deinen Lippen klebt Blut.«

»Ach, das ist nichts. Ich...«

»Nein, diesmal nicht, Addy«, sagte Philip ruhig, aber bestimmt, und rammte im nächsten Augenblick Abdu seine Faust mitten ins Gesicht. Der König ging zu Boden und riß ein Queen-Anne-Tischchen mit sich. Der stechende Schmerz in Philips Fingerknöcheln gab ihm mehr Befriedigung als eine Handvoll seltener Edelsteine. »Das war für den Bluterguß, den sie von Ihrem letzten Schlag zurückbehalten hat.« Er wartete, bis sich Abdu auf die zerfledderte Couch geschleppt hatte. »Für den Rest, den Sie ihr schulden, müßte ich Sie töten, aber soviel Aufhebens wünscht Adrianne nicht um ihre Person. Deshalb nur so viel: Es gibt etliche Mittel und Wege, einen Mann zum Krüppel zu machen, die Ihnen, wie ich annehme, nicht unbekannt sind. Denken Sie daran, denken Sie sehr gut daran, bevor Sie noch einmal Ihre Hand gegen Adrianne erheben.«

Abdu wischte sich das Blut aus den Mundwinkeln. Er atmete schwer, aber es waren nicht die Schmerzen, sondern die Erniedrigung, die ihm die Luft nahm. Niemand hatte ihn seit dem Tag, da er König geworden war, geschlagen oder auch nur ohne seine Erlaubnis berührt. »Sie sind ein toter Mann!«

»Das wage ich zu bezweifeln. Ihre zwei Schergen draußen werden just in diesem Augenblick von meinen Kollegen wegen unerlaubten Waffenbesitzes befragt. Captain Spencer von Interpol. Ich glaube, ich vergaß zu erwähnen, dass ich für Interpol arbeite.« Er blickte sich um. »Wie sieht es denn hier aus? Die Haushälterin wird zum nächsten Ersten entlassen. Adrianne, ich könnte einen Brandy vertragen. Meinst du, du kannst irgendwo eine Flasche auftreiben?«

So hatte sie Philip noch nie erlebt. Auch seinen messerscharfen Tonfall hörte sie jetzt zum ersten Mal. Abdu hatte ihr keine Angst einflößen können, doch vor Philip hatte sie in diesem Moment wirklich Angst. Und um ihn. »Philip...«

»Bitte.« Er berührte sie sanft an der Wange. »Tu mir den Gefallen.«

»In Ordnung. Bin gleich wieder zurück.«

Er wartete, bis sie das Zimmer verlassen hatte, und setzte sich dann auf eine Stuhllehne.

»In Jaquir würden Sie den Sonnenuntergang nicht mehr erleben und Gott danken, wenn Er sie rasch sterben ließe.«

»Sie sind ein Schwein, Abdu. Selbst die Tatsache, dass Sie königlichen Geblüts sind, ändert daran nichts.« Er atmete tief aus. »Nun, da der Höflichkeiten genug gewechselt sind, sollen Sie wissen, dass mich Ihre Methoden einen feuchten Dreck interessieren, nicht hier in diesem Land. Auch was ich Ihnen gegenüber empfinde, ist im Moment völlig belanglos. Hier handelt es sich um eine reine geschäftliche Angelegenheit. Und bevor wir damit beginnen, möchte ich Ihnen die Regeln erläutern.«

»Ich wüßte nicht, was ich mit Ihnen für Geschäfte zu tätigen hätte, Mr. Chamberlain.«

»Was immer Sie sonst sein mögen, dumm sind Sie jedenfalls nicht. Ich brauche Ihnen die Gründe, warum Addy das Kollier gestohlen hat, nicht näher darzulegen. Sie sollen nur wissen, dass es ihr alleiniger Plan gewesen ist. Ich bin nur während der letzten Phase dazugekommen, und selbst wenn es meinem Ego nicht sonderlich schmeichelt, muss ich doch eingestehen, dass sie ihn auch ohne mich erfolgreich zu Ende geführt hätte. Sie war es, die Ihnen das Kollier unter der Nase weggeschnappt hat, und deshalb werden Sie auch an sie bezahlen.« Er unterbrach sich für einen Moment. »Doch mir werden Sie Rede und Antwort stehen, wenn ihr irgend etwas zustoßen sollte. Und falls Sie mit dem Gedanken spielen sollten, das Geschäft zunächst einmal abzuwickeln und uns hinterher die Kehlen durchschneiden zu lassen, möchte ich Sie der Fairneß halber darauf hinweisen, dass Interpol über die ganze Transaktion genauestens unterrichtet ist. Unser Tod, ob beabsichtigt oder rein zufällig, wird eine Reihe von Ermittlungen gegen Sie und Ihr Land nach sich ziehen, die Ihnen sicherlich höchst unangenehm sein werden. Adrianne hat sie schlicht und einfach über den Tisch gezogen, wie wir es hier auszudrücken pflegen. Folgen Sie also meinem Rat, und tragen Sie die Schmach wie ein Mann.«

»Was wissen Sie denn schon von einem Mann? Sie sind doch nichts weiter als ein Schlosshündchen.«

Philip lächelte, doch selbst dieses Lächeln war tödlich. »Ziehen Sie es vor, unsere Auseinandersetzung draußen auf der Straße fortzusetzen? Von meiner Seite aus bestehen dagegen keine Einwände.« Er blickte zu Adrianne hinüber, die gerade wieder ins Zimmer kam. »Danke, Liebling.« Er nahm ihr den Brandy ab und deutete auf Abdu. »Ich denke, wir fahren mit den Verhandlungen fort. Abdu ist ein vielbeschäftigter Mann.«

Adrianne nahm ganz bewußt zwischen Philip und Abdu Platz. Das Zittern ihrer Hände hatte nachgelassen. »Also, wie ich schon sagte, das Kollier ist mein Eigentum. So will es das Gesetz, auf das man sich auch in Jaquir berufen würde, wenn die Sache an die Öffentlichkeit gelangte. Ich für meinen Teil kann sehr gut auf Publicity verzichten, doch falls nötig, würde ich, ohne zu zögern, die Presse im Westen wie im Osten einschalten. Für mich hätte dieser Skandal so gut wie keine Konsequenzen.«

»Die Geschichte dieses Diebstahls und heimtückischen Verrats würde dich ruinieren.«

»Ganz im Gegenteil.« Jetzt lächelte sie. »Mit dieser Geschichte könnte ich bis an mein Lebensende jede Abendgesellschaft in Entzücken versetzen. Aber das ist keineswegs meine Absicht. Ich werde dir das Kollier zurückgeben und niemals mehr einen Anspruch darauf erheben. Ich werde darüber, wie du meine Mutter behandelt hast, Schweigen bewahren, und auch über deine Unehrenhaftigkeit. Du kannst Sonne und Mond und deine Geheimnisse mit nach Jaquir zurücknehmen - zum Preis von fünf Millionen Dollar.«

»Du setzt den Preis für deine Ehre recht hoch an.«

Hart und unbeugsam traf ihr Blick den seinen. »Nicht für meine Ehre, für die meiner Mutter.«

Es wäre ein leichtes für ihn, seine Tochter töten zu lassen. Für einen Moment gab sich Abdu der befriedigenden Vorstellung hin, wie eine Autobombe sie zerfetzen, eine leise Kugel sie niederstrecken, ein Cocktail auf einer dieser vornehmen amerikanischen Partys sie vergiften würde. Er besaß die Macht und die Mittel dazu. Die Genugtuung wäre grandios. Doch ebenso die Konsequenzen.

Sollte man den Auftrag für diesen Mord bis zu ihm zurückverfolgen, könnte er den Aufschrei der Entrüstung nicht unterbinden. Sollte es bekannt werden, dass man ihm Sonne und Mond gestohlen hat, könnte sein Volk in Rage geraten und ihn verachten. Er wollte das Kollier unbedingt zurückhaben und konnte sich doch nicht für die erlittene Schmach rächen.

Er hasste seine Verbindungen zum Westen, und doch waren sie notwendig. Jeden Tag wurde eine immense Summe an schwarzem Gold aus der Wüste gepumpt. Fünf Millionen Dollar würden sein Vermögen nicht nennenswert schmälern.

»Du wirst dein Geld bekommen, wenn das alles ist, was du verlangst.«

»Mehr will ich nicht von dir.« Indem sie sich erhob, öffnete sie ihre Brieftasche und entnahm ihr eine Visitenkarte. »Meine Anwälte«, sagte sie und reichte Abdu die Karte. »Sie werden die finanzielle Transaktion abwickeln. Sobald der Betrag meinem Schweizer Konto gutgeschrieben ist, werde ich Sonne und Mond dir oder einem von dir Bevollmächtigten übergeben.«

»Ich verbiete dir, je wieder nach Jaquir zu reisen oder mit einem Mitglied meiner Familie in Kontakt zu treten.«

Das war der Preis, den sie bezahlen musste, und dies schmerzte sie mehr, als sie angenommen hatte. »Das werde ich auch nicht. Nicht solange du lebst.«

Seine letzten, in Arabisch gesprochenen Worte ließen Adrianne erbleichen. Dann drehte er sich um und ließ sie ohne ein weiteres Wort in ihrer verwüsteten Wohnung stehen. »Was hat er zu dir gesagt?«

Sie wollte und durfte sich nicht davon beeindrucken lassen und zuckte daher betont lässig die Schultern. »Er sagte, er werde noch sehr lange leben und dass ich für ihn und die Mitglieder seiner Familie hiermit gestorben bin. Er will zu Allah beten, dass ich mein Leben unter Schmerzen und in Verzweiflung beenden werde, wie meine Mutter.«

Philip war unterdessen ebenfalls aufgestanden, faßte sie nun am Kinn und hob es ein Stück an. »Na ja, eine Lobeshymne konntest du ja auch von ihm nicht erwarten.«

Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Nein. Aber jetzt, da die Sache erledigt ist, hätte ich eigentlich erwartet, dass eine Woge von Glück, wenn nicht gar Befriedigung über mich hereinbricht.«

»Und was fühlst du?«

»Nichts. Nach all dem, was gewesen ist, fühle ich überhaupt nichts.«

»Dann sollten wir vielleicht in die Stadt fahren und nach deinem Haus sehen.«

Jetzt spielte ein ehrliches Lächeln um ihre Lippen. Dann lachte sie sogar und fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Das ist eine gute Idee. Ich muss wissen, dass ich richtig gehandelt habe.« Als sie zum Porträt ihrer Mutter hinübersah, entkrampfte sich ihr Magen. »Das Geld bedeutet ihm nichts, aber ich will sicher sein, dass er begriffen hat und sich erinnert.«

»Er hat begriffen, worum es geht, Addy. Und er wird sich erinnern.«

»Philip.« Sie berührte seine Hand, ließ sie aber gleich wieder los. »Wir müssen uns unterhalten.«

»Brauche ich dazu noch einen Brandy?«

»Ich möchte dir nur sagen, wie dankbar ich dir für alles bin, was du für mich getan hast.«

»Mmmm-hmm.« Er beschloss, sich wieder zu setzen.

»Tu es nicht so ab. Du hast mir geholfen, die wichtigste Hürde meines Lebens zu nehmen. Ohne dich hätte ich es vielleicht auch geschafft, aber es wäre nicht das gleiche gewesen.«

»Oh, da möchte ich aber Zweifel anmelden. Ich glaube nicht, dass du es ohne mich geschafft hättest«, erklärte er. »Aber wenn du dich in dem Glauben besser fühlst, nun gut.«

»Ich weiß genau, was...« Sie hielt inne. »Ach, vergiß es. Ich wollte dir einfach nur für alles danken.«

»Bevor du mich aus deinem Leben komplimentierst?«

»Bevor wir beide wieder zu unserem eigenen Leben zurückkehren«, korrigierte sie ihn. »Willst du mich ärgern?«

»Aber keineswegs. Ich versuche nur herauszufinden, was du wirklich willst. Bist du mit deinen Danksagungen am Ende?«

»Ja.« Sie drehte sich weg und stieß mit dem Fuß eine zerbrochene Vase beiseite. »So weit schon.«

»Nun, du hättest deinen Dank vielleicht ein wenig inbrünstiger vortragen können, aber ich muss mich wohl damit zufriedengeben. Und jetzt möchtest du, falls ich dich richtig verstanden habe, dass ich aus deinem Leben verschwinde.«

»Ich möchte, dass du das tust, was für uns beide am besten ist.«

»Wenn das so ist.« Als er seine Hände nach ihr ausstreckte, wich sie zurück.

»Es ist vorbei, Philip. Ich habe ganz bestimmte Pläne, und die will ich auf alle Fälle in die Tat umsetzen. Die Klinik, meinen Rückzug aus dem Geschäft, mein - gesellschaftliches Leben.«

Er beschloss, dass er noch einen Tag oder zwei warten konnte, um ihr zu sagen, dass sie für Interpol arbeiten würde. Dann würde er sie auch wissen lassen, dass auf Abdu noch einige unangenehme Fragen warteten, die den Besitz eines gestohlenen Gemäldes betrafen. Doch vorher hatten sie noch andere Dinge zu besprechen, wichtige, persönliche Dinge.

»Und bei all dem hast du keine Verwendung für einen Ehemann?«

»Die Hochzeit war ein notwendiger Teil das Plans.« Das zu regeln, sollte eine Kleinigkeit sein, dachte sie, während sie sich zu ihm umwandte. Etwas, worüber sie beide noch einmal herzlich lachen mochten, bevor sie wieder getrennte Wege gingen. »Es mag vielleicht ein wenig unangenehm werden, dies der Presse und den wohlmeinenden Freunden zu erklären, aber zwischen uns beiden kann die Angelegenheit doch ganz einfach geregelt werden. Es gibt keinen Grund, warum sich einer von uns gebunden fühlen sollte, nur wegen eines...«

»Versprechens?« beendete er ihren Satz. »Es ging dabei doch um eine ganze Reihe von Versprechen, wenn ich mich nicht täusche.«

»Nun, mach es doch nicht so kompliziert.«

»Also gut. Bis jetzt haben wir das Spiel nach deinen Regeln gespielt. Und so werden wir es auch beenden. Was muss ich tun?«

Ihr Mund wurde plötzlich trocken. Bevor sie ihm antwortete, nahm sie einen tiefen Schluck von seinem Brandy. »Es ist ganz einfach. Du musst nur dreimal ich verstoße dich sagen.«

»Das ist alles? Ich muss dabei nicht bei Vollmond auf einem Bein stehen?«

Adrianne stellte das Glas so heftig ab, dass es klirrte.

»Ich finde das nicht lustig.«

»Nein, du hast recht. Es ist absolut lächerlich.« Er nahm ihre Hand, wobei sich seine Finger fest um die ihren schlössen, damit sie ihm nicht wieder entkam. Chancen auszurechnen, darin war er geübt, doch diesmal war er sich nicht sicher, ob er nicht den kürzeren ziehen würde. »Ich verstoße dich«, sagte er, beugte sich zu ihr hinunter und hauchte ihr-einen Kuss auf den Mund. Ihre Lippen zitterten. Ihre Finger verkrampfen sich. »Ich verstoße dich.« Mit seiner freien Hand zog er sie noch enger an sich heran und küsste sie härter. »Ich...«

»Nein!« Adrianne schlang ihre Arme um seinen Hals und fluchte: »Nein, verdammt noch mal.«

Die Erleichterung ließ seine Knie weich werden. Für einen Moment, einen kurzen Moment, vergrub er sein Gesicht in ihrem Haar. »Du hast mich unterbrochen, Addy. Jetzt muss ich wieder ganz von vorne anfangen. Aber erst in fünfzig Jahren.«

»Philip...«

»Jetzt bin ich dran.« Er schob sie von sich weg, so dass er ihr Gesicht sehen konnte. Es war wieder kalkweiß geworden. Sehr gut. Er hatte gehofft, dass sie sich zu Tode erschrecken würde. »Wir sind verheiratet, da beißt die Maus keinen Faden ab. Wenn du willst, können wir hier oder in London noch eine Zeremonie veranstalten, eine, wozu man Anwälte braucht und einen Haufen Geld.«

»Ich habe nie gesagt, dass...«

»Zu spät.« Er knabberte an ihrer Unterlippe. »Du hast deine Chance verwirkt.«

Sie schloss die Augen. »Ich wüsste nicht, warum.«

»Doch, doch, das weißt du genau. Sag es laut, Addy. Deine Zunge wird dabei schon nicht abbrechen.« Als sie versuchte, sich von ihm loszumachen, verstärkte er seinen Griff. »Komm schon, Liebling, du bist doch noch nie feige gewesen.«

Auf diese Worte hin weiteten sich Adriannes Augen. Er bemerkte ein Funkeln in ihnen und grinste. »Vielleicht liebe ich dich«, hörte er sie flüstern.

»Vielleicht?«

Sie atmete nur ganz flach. »Ich glaube, ich liebe dich.«

»Versuch's noch ein einziges Mal. Du schaffst es.«

»Ich liebe dich.« Nur mit größter Anstrengung brachte sie diese Worte über die Lippen »So. Bist du jetzt zufrieden?«

»Nein, noch nicht ganz«, flüsterte er und zog sie auf die demolierte Couch.