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21. Kapitel

Adrianne kuschelte sich in die Kissen, blinzelte ins schräg einfallende Morgenlicht und streckte sich. Philips Arm streckte sich ebenfalls. Metall schlug gegen Metall. In sprachlosem Erstaunen starrte sie auf die Handschellen, die ihr Handgelenk an seines fesselten. Philip brummte nur leise.

»Du Mistkerl!«

»Das haben wir bereits festgestellt.« Mit einer gekonnten Drehung zog er sie an seine Brust. Sie war warm, weich und nackt. »Guten Morgen, mein Schatz.«

Sie versuchte, sich von ihm wegzudrücken, kam aber nicht von ihm los. »Was zum Teufel soll das?« Adrianne schlenkerte ihren Arm hin und her, bis Philip vor Schmerz wimmerte.

»Nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme - damit du dich nicht wieder klammheimlich aus dem Staub machst.« Mit seiner freien Hand packte er sie an den Haaren und zog ihr Gesicht zu sich herunter. Die Erinnerung an die vergangene Nacht hatte ihn wieder aufs neue erregt. »Ich liebe dich, Addy, aber ich traue dir nicht.«

»Mach sofort diese Dinger ab.«

Er rollte sich auf die Seite, so dass seine Beine die ihren berührten. »Ich hatte gehofft, du läßt mir Gelegenheit, dir zu beweisen, dass ich auch mit dir Liebe machen kann, wenn eine Hand auf den Rücken gefesselt ist.«

Sie unterdrückte ein Kichern. »Ein andermal.«

»Mach's dir bequem.« Er ließ sich wieder in die Kissen sinken und schloss die Augen.

»Philip, ich sagte, du sollst mich losmachen.«

»Werde ich auch, wenn es Zeit ist aufzustehen.«

Sie riß wieder an den Handschellen. »Ich weigere mich, mich wie eine Art Liebessklavin fesseln zu lassen.«

»Keine schlechte Vorstellung.«

»Und ich stehe jetzt auf.«

Er hob ein Augenlid. »Um diese Uhrzeit?«

»Es ist schon nach Mittag.« Entrüstet machte sie sich daran, das Schloss der Handschellen genauer zu inspizieren. Sie musste irgendwie an ihr Werkzeug kommen. »Ich war eine ausgesprochene Frühaufsteherin, bevor ich dich kennenlernte.«

Daraufhin öffnete er auch sein anderes Auge. »Aber wozu denn, um alles in der Welt?«

Mit einem resignierten Seufzer schob sie sich über ihn. »Wo ist der verdammte Schlüssel?«

»Ist ja gut, werd bloß nicht ausfallend.«

Sich mit den Beinen abstützend, zog Adrianne mit einem beherzten Ruck an ihrem gefesselten Arm. Befriedigt sah sie Philip aus dem Bett segeln und mit einem dumpfen Schlag auf dem Fußboden landen.

»Autsch.« Ohne sich zu genieren, rieb sich Philip den Körperteil, mit dem er als erstes auf dem Boden aufgekommen war. »Warum denn so eilig?«

Krampfhaft das Lachen unterdrückend, strich sich Adrianne die Haare aus dem Gesicht. »Wenn du es genau wissen willst, ich will - nein, ich muss mal auf die Toilette.«

»Oh, warum sagst du das nicht gleich?«

Zwischen zusammengebissenen Zähnen ließ Adrianne zischend die angehaltene Luft entweichen. »Ich wusste nicht, dass ich solche Bedürfnisse ankündigen muss, bis ich merkte, dass ich an dich gefesselt bin.«

»Schönes Gefühl, nicht wahr?« meinte er frech grinsend, bevor er sich über sie beugte, um sie zu küssen.

»Philip.«

»Natürlich, der Schlüssel.« Er schaute sich suchend um und fand dann seine Jeans, die am Fußende des Bettes zusammengeknüllt auf dem Boden lagen. »Komm mit.« Adrianne im Schlepptau, die laut vor sich hin schimpfte, marschierte er zu dem Kleiderhaufen. »Ich habe ihn in der Hosentasche.« Er griff in die eine Tasche, dann in die andere. »Ja, wo ist er denn? Gehe ich richtig in der Annahme, dass du auf meine Begleitung keinen gesteigerten Wert legst?«

»Philip!« Sie durfte nicht lachen, sonst wäre ein Unglück passiert.

»Nein? Also dann.« Er ließ seine Jeans wieder auf den Boden fallen. »Hast du eine Haarnadel?«

Als er wenig später die Treppe herunterkam, hoffte er eigentlich nur auf eine Tasse Kaffee. Um so erstaunter war er, als er Adrianne in einem bequemen Jogginganzug in der Küche stehen und Speck braten sah. Dieser Duft allein war Grund genug, sie zu lieben.

»Was machst du denn da?«

»Frühstück. Der Kaffee ist schon fertig.«

Er ging zum Herd und starrte auf den Speck, der dort in der Pfanne brutzelte. »Du kochst?«

»Selbstverständlich koche ich.« Sie nahm den Speck aus der Pfanne und ließ ihn abtropfen. »Mama und ich hatten jahrelang kein Hauspersonal. Und ich koche immer noch am liebsten selbst.«

»Und du machst mir Frühstück.«

Beleidigt klappte sie den Eierkarton auf. »Um Himmels willen, ich opfere dir doch nicht mein Leben!«

»Du machst mir Frühstück«, wiederholte er, strich dann ihr Haar beiseite, um ihren Nacken zu küssen. »Du liebst mich also doch, Addy. Du weißt es nur noch nicht.«

Innerlich angespannt, auf den richtigen Augenblick zum Reden wartend, nahm er sein Frühstück ein und gönnte ihr etwas Ruhe. Was er nicht wusste, war, dass sie genau das gleiche tat. Schweigend saßen sie vor dem großen Fenster, das direkt auf den Central Park hinausging, und sahen versonnen den Schneeflocken zu, die gerade vom Himmel fielen.

»Die Stadt ist wunderschön, wenn Schnee liegt. Als ich es zum ersten Mal schneien sah, weinte ich, weil ich dachte, es würde nicht mehr aufhören, und wir alle würden im Schnee versinken. Dann ging meine Mutter mit mir in den Park und zeigte mir, wie man einen Schneemann baut.« Energisch schob sie ihre Tasse beiseite, als sie merkte, wie das Koffein ihr in die Glieder fuhr. »Ich wünschte, ich könnte dir in den nächsten Tagen die Stadt zeigen, aber ich habe leider eine Menge zu erledigen.«

»Ich habe nichts dagegen, dich zu begleiten.«

Sie räusperte sich und startete einen neuen Anlauf. »Wenn du in ein paar Wochen zurückkommen könntest, dann hätte ich Zeit, mit dir einige Museen, Galerien oder Shows zu besuchen.«

Er klopfte das Ende seiner Zigarette auf die Tischplatte, bevor er sie anzündete. »Ich bin nicht hergekommen, um unterhalten zu werden, Addy, sondern deinetwegen.«

»Philip, ich fliege Ende der Woche nach Jaquir.«

Er nahm einen tiefen Zug. »Darüber müssen wir uns noch ausführlich unterhalten.«

»Nein, müssen wir nicht, denn ich fliege auf alle Fälle. Es tut mir leid, wenn du das nicht verstehst oder gutheißt, aber unsere Beziehung wird - und kann - an meinem Entschluß nichts ändern.«

Philip sah weiterhin den Schneeflocken zu, die auf den Park herabsegelten. Ein kleiner Junge ging dort mit einer Horde Hunde spazieren. Eine hübsche Szene, dachte er bei sich. Er könnte ohne weiteres die nächsten Jahre seines Lebens auf diesem Kontinent, in dieser Stadt, in diesem Zimmer verbringen. Als er dann sprach, war er weder ärgerlich noch wollte er ihr drohen. Was er sagte, war eine ganz simple Feststellung.

»Ich kann einige Hebel in Bewegung setzen, Addy, die es dir sicherlich erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen, das Land zu verlassen, geschweige denn in eine derart unsichere Gegend wie den Mittleren Osten zu reisen.«

Sie hob ihr Kinn nur einige Millimeter an, doch das genügte, um ihr ein majestätisches Aussehen zu verleihen. »Ich bin Prinzessin Adrianne von Jaquir. Wenn ich beschließe, mein Heimatland zu besuchen, wirst weder du noch sonst irgend jemand mich daran hindern können.«

»Das machst du nicht übel«, sagte er. Gut genug, um das Bild ihres Vaters vor seinem geistigen Auge erstehen zu lassen. »Wenn es nur ein Besuch wäre, hättest du vielleicht recht. Aber so wie die Dinge liegen, kann ich dich daran hindern, Addy; und ich werde es auch tun.«

»Das ist eine Angelegenheit, die dich nichts angeht.«

»Dein Leben zu schützen, geht mich sehr wohl etwas an.«

»Dann solltest du endlich begreifen, dass ich, wenn ich nicht dorthin fahren und tue, was ich tun muss, genausogut sterben könnte.«

»Jetzt übertreibst du aber.« Er nahm ihre Hand und zwang sie, ihn anzusehen. »Ich weiß jetzt eine ganze Menge mehr. Ich habe die letzten Tage nämlich damit zugebracht, alles verfügbare Zeitungsmaterial über deine Mutter, deinen Vater und deine Jugend durchzuforsten.«

»Du hattest kein Recht...«

»Das hat nichts mit Recht zu tun. Ich weiß jetzt, wie schwierig, wie schrecklich das alles für dich gewesen sein muss, aber das ist jetzt vorbei.« Er verstärkte seinen Griff. »Du klammerst dich an Dinge, die du schon vor Jahren hättest vergessen müssen.«

»Ich nehme mir, was mein ist, was mir nach Recht und Gesetz und kraft meiner Abstammung zusteht. Ich hole mir die Würde und die Ehre zurück, die meiner Mutter und auch mir gestohlen wurde.«

»Wir beide wissen, dass Juwelen noch nie jemandem Ehre und Würde verliehen haben.«

»Das verstehst du nicht. Das kannst du nicht verstehen.« Bei diesen Worten zuckten ihren Finger ein wenig. »Komm mal mit.«

Sie führte ihn in ihr Wohnzimmer, das bis auf einige rote und königsblaue Farbtupfer ganz in Weiß gehalten war. Über dem offenen Kamin mit der auf Hochglanz polierten Messingeinfassung hing das Porträt.

Dieses Bild zeigte Phoebe Spring in der ganzen Blüte ihrer Schönheit. So hatte Philip sie weder auf Bildern noch in ihren Filmen je gesehen. Ihr feuerrotes Haar, das zu ihrem Markenzeichen geworden war, fiel ihr in sanft glänzenden Wellen über die Schultern. Ihre Haut schimmerte wie Milch unter dem smaragdgrünen Abendkleid, das den Ansatz ihrer makellosen Brüste sowie ihre Arme und Schultern freiließ. Ihr Lächeln war beinahe ein fröhliches Lachen, so dass ihr üppiger, wunderschön geschwungener Mund noch voller erschein. Ihre veilchenblauen Augen verhießen reinste Unschuld. Kein Mann konnte in diese Augen blicken, ohne davon hingerissen und verzaubert zu sein.

Um ihren Hals trug sie, wie auf den Bildern, die er schon früher gesehen hatte, Sonne und Mond.

»Sie war wunderschön, Addy. Die schönste Frau, die ich je gesehen habe.«

»Ja. Aber sie war nicht nur schön, Philip. Sie war so liebenswürdig, so unglaublich gut. Der Anblick eines Fremden in Not brach ihr das Herz. Und so verletzbar. Ein scharfes Wort, ein ärgerliches Blick allein genügte, um sie zu treffen. Sie wollte immer nur alle Menschen glücklich machen. Als sie starb, sah sie ganz anders aus.«

»Addy...«

»Nein, ich möchte, dass du dir das Bild ansiehst. Ich habe das Porträt nach einer Fotografie malen lassen, die kurz vor ihrer Hochzeit aufgenommen wurde. Sie war so jung, viel jünger, als ich jetzt bin. Und so verliebt. Du brauchst das Bild nur anzusehen. Damals war sie eine selbstsichere und glückliche Frau, die das Leben liebte.«

»Ja, das sehe ich. Die Zeit vergeht, Addy, und die Dinge wandeln sich.«

»Zeit oder naturgegebene Veränderungen zählten für sie nicht. Dieses Kollier - sie hat mir einmal erzählt, wie sie sich fühlte, als sie es zum ersten Mal umlegte. Sie kam sich vor wie eine Königin. Es hat ihr nichts ausgemacht, dass sie ihre gewohnte Umgebung hinter sich gelassen und in ein anderes Land gegangen ist, um dort nach anderen Regeln zu leben. Sie war verliebt, und sie fühlte sich wie eine Königin.«

Er strich sanft über ihre Wange. »Das war sie.«

»Nein.« Sie hob ihre Hand und legte sie auf die seine. »Sie war nur eine Frau, eine einfache, großherzige Frau, die sich vor den Schattenseiten des Lebens fürchtete. Sie hatte etwas aus sich gemacht, war eine Persönlichkeit geworden. Dann hat sie dies alles aufgegeben, um seinetwillen. Das Kollier war ein Symbol, ein Versprechen, dass er sich an sie gebunden fühlt wie sie an ihn. Als er es ihr wegnahm, bedeutete dies, dass er sich von ihr losgesagt hatte, und auch von mir.

Er nahm es ihr weg, weil ihm die Scheidung nicht genug war. Er wischte damit ihr Eheversprechen vom Tisch, als habe es nie existiert. Indem er dies tat, beraubte er sie ihrer Würde und brachte mich um mein Geburtsrecht.«

»Addy, setz dich einen Moment. Bitte.« Er nahm neben ihr auf dem Sofa Platz, noch immer ihre Hand haltend. »Ich verstehe dich. Es gab eine Zeit, da habe ich in jedem Mann, der mir begegnete, meinen Vater gesucht. In jedem Lehrer, den ich hatte, jedem Polizisten, dem ich ausgewichen bin, selbst in meinen Opfern. Meine ganze Kindheit über habe ich ihn dafür gehaßt, dass er meine Mutter im Stich gelassen und sich geweigert hat, mich anzuerkennen. Und dennoch suchte ich ihn weiter. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich ihn gefunden hätte. Aber heute weiß ich, dass einmal die Zeit kommt, wo man sich selbst genügen muss

»Du hast deine Mutter, Philip. Was passiert ist, hat sie nicht kaputt gemacht. Du hast nicht mit ansehen müssen, wie sie Stück für Stück stirbt. Ich liebte meine Mutter so sehr. Und ich schulde ihr so viel.«

»Was eine Mutter für ihr Kind tut, bedarf keiner Tilgung.«

»Sie hat für mich ihr Leben riskiert. Es war nichts Geringeres als das. Sie hat Jaquir in erster Linie um meinetwillen verlassen. Hätte man sie geschnappt und zurückgebracht, ihr Leben wäre keinen Pfifferling mehr wert gewesen. Nein, er hätte sie nicht umgebracht«, schränkte sie ein, als sich Philips Augen zu Schlitzen verjüngten. »Das hätte er nicht gewagt, aber sie hätte sich den Tod gewünscht. Das wäre besser für sie gewesen.«

»Addy, wie sehr du sie auch geliebt haben magst, und wieviel du auch glaubst, ihr zu schulden, wollen wir dahingestellt sein lassen. Aber das alles rechtfertigt noch lange nicht, dass du dein Leben riskierst. Frag dich selbst, ob sie das von dir erwartet hätte.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber es ist mein eigener Wunsch. Ich will es so. Das Kollier gehört mir.«

»Selbst wenn es dir gelingen sollte, heil mit dem Kollier aus Jaquir herauszukommen, wirst du nie offiziell darauf

Anspruch erheben, es nie in der Öffentlichkeit tragen können.«

»Aber ich nehme es mir nicht, um es zu besitzen oder zu tragen.« In ihren Augen blitzte wieder ein Feuer auf, ein gefährliches Feuer diesmal. »Ich nehme es mir, damit er weiß, endlich weiß, wie sehr ich ihn hasse.«

»Glaubst du, dass bedeutet ihm etwas?«

»Dass seine Tochter ihn haßt? Nein. Eine Tochter bedeutet einem Mann wie ihm weniger als nichts. Eine Tochter ist für ihn eine Ware, die man verschachert, so wie er bereits seine anderen Töchter für politische Sicherheiten verschachert hat.« Ihre Augen wanderten wieder zu dem Porträt. »Aber Sonne und Mond bedeutet ihm alles. Es gibt nichts Wertvolleres in Jaquir, nicht nur vom materiellen Wert her gesehen. Sicher, das Kollier ist unbezahlbar, aber Sonne und Mond ist in erster Linie ein Symbol für seine Macht und seinen Stolz. Wenn dieses Symbol nicht mehr in den Händen der königlichen Familie ist, wird es Revolution und Blutvergießen geben, und seine politische Macht wird zu Staub zerfallen. Die Unruhen, von denen Jaquir bis jetzt noch verschont geblieben ist, werden dann auch von diesem Land Besitz ergreifen und es zerstören.«

»Willst du dich an deinem Vater rächen oder an Jaquir?«

Seine Frage riß sie aus ihren Gedanken. Ihre Augen waren verschleiert, als erwache sie gerade aus einem Traum. »Ich könnte mich an beiden rächen, aber das liegt in seinem Ermessen. Abdu würde niemals sein Land und seine Machtposition aufs Spiel setzen. Oder seinen Stolz. Doch am Ende wird es sein Stolz sein, mit dem er für alles bezahlen muss

»Das könnte aber auch auf dich zurückschlagen.«

»Ja. Aber dieses Risiko nehme ich gern in Kauf.« Sie stand jetzt, dem Porträt den Rücken zugewandt, vor ihm und reichte ihm die Hände. »Sag jetzt nichts mehr. Da ist noch etwas, das ich dir zeigen möchte. Willst du mitkommen?«

»Wohin?«

»Du wirst deinen Mantel brauchen. Ich führe dich.«

Es schneite nun ich dicken Flocken, die der Wind vor sich her durch die Häuserschluchten trieb. In ihren Nerzmantel gekuschelt, den sie eilig über ihren Jogginganzug gezogen hatte, versuchte sich Adrianne in der Limousine zu entspannen. Keinem anderen Menschen hatte sie je so viel von sich erzählt, nicht einmal Celeste. Und sie hatte auch noch niemandem gezeigt, was sie jetzt Philip zeigen wollte.

Es war ihr wichtig. Und obwohl sie angestrengt versuchte, es zu leugnen, war es ihr wichtig, was Philip darüber dachte. Zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren brauchte sie die Unterstützung und die Bestätigung eines anderen.

New Yorks East Side war weitaus weniger vornehm als ihre Centrai-Park-Adresse. Die weiße Schneehülle machte einiges wieder gut, doch die häßlichen und teilweise ordinären Graffiti an den Häuserwänden stachen immer noch unangenehm ins Auge. Hier und dort sah man mit Brettern vernagelte Fenster, und von den am Randstein geparkten Autos waren einige so heiß wie eine Fünf-Dollar-Uhr. Man brauchte hier nur an die richtige Tür zu klopfen und bekam, ohne viel fragen zu müssen, von einem Briefchen Heroin bis zu einer gerade geklauten Stereoanlage alles, was das Herz begehrte - oder ein Messer in den Rücken. Philip war noch nie hier gewesen, aber Gegenden wie diese waren ihm nur zu vertraut.

»Ein seltsamer Ort für einen Neujahrsbesuch.«

Sie schlang ihr Haar zu einem Knoten und setze eine Nerzkappe auf. »Wir bleiben nicht lange«, informierte sie den Fahrer, der nickte und dies sehnlichst hoffte. Dann stiegen sie aus.

Im Rinnstein lag der für solche Viertel typische Abfall: eine zerbrochene Ampulle, benutzte Kondome, Glasscherben. Verärgert führte Philip Adrianne an diesem Unrat vorbei.

»Was zum Teufel machen wir an einem Ort wie diesem? Hier schlitzen sie einem schon wegen einem Paar anständiger Schuhe die Kehle auf, und du rennst im Nerzmantel rum.«

»Er ist warm.« Sie suchte in ihren Taschen nach den Schlüsseln. »Keine Sorge, ich kenne die meisten Leute, die hier wohnen.«

»Wie beruhigend.« Er nahm ihren Arm, als sie auf eine abgebröckelte, rutschige Treppe zusteuerte. »Dann wollen wir nur hoffen, dass sie nicht gerade irgendwelche Verwandten von außerhalb zu Besuch haben. Was, verdammt noch mal, ist das für ein Haus?«

Sie sperrte drei verschiedene Schlösser auf. Erst als sie die Tür öffnete, murmelte sie: »Es gehört mir.«

Obwohl er die Tür sofort wieder hinter ihnen zumachte, wehte ein eiskalter Wind durch den Hausflur. »Du hast mir nie erzählt, dass du stolze Besitzerin eines Abbruchhauses bist.«

»Es steht leer.« Adrianne führte ihn in einen großen, leeren Raum. Die Löcher im Fußboden ließen Philip sofort an Ratten denken. Zwei der Fenster waren zugenagelt, die anderen von einer dicken Dreck- und Staubschicht bedeckt. Das wenige Licht, das hereinfiel, war genauso grau und schmutzig wie die Wände. In einer Ecke standen ein paar Schränke und zerbrochene Tische. An den verschimmelten Wänden hatte sich ein lokaler Künstler mit Skizzen von Paaren in den verschiedensten Kopulationsstellungen verewigt und unnötigerweise noch erklärende Worte dazuge- kritzelt.

»Früher war dies einmal eine billige Absteige gewesen.«

Ihre Schritte halten in dem leeren Raum wider. »Ich würde dir ja gern die oberen Räume zeigen, aber die Treppe ist leider vor ein paar Monaten zusammengebrochen.«

»Zum Glück.«

»In jeder Etage gibt es zwölf Zimmer. Die sanitäre Installation und die elektrischen Leitungen müssen komplett neu verlegt werden. Eine neue Heizung braucht es natürlich auch.«

»Braucht es wofür? Scheiße!« Fluchend wischte sich Philip einige Spinnweben aus dem Gesicht. »Addy, falls du mit dem Gedanken spielst, ins Hotelgeschäft einzusteigen, dann überleg es dir gut. Du musst schon mindestens eine Million hinlegen, nur um diese Bruchbude zu entrümpeln und das Ungeziefer loszuwerden.«

»Ich veranschlage eineinhalb Millionen für die Renovierung und eine weitere Million für die passende Einrichtung und das Personal. Ich will das Beste.«

»Das Beste findest du etliche Meilen von hier im Waldorf Astoria.« Ohne sichtliche Überraschung hörte er hinter einer Mauer nagende Geräusche. »Ich kann Mäuse nicht ausstehen.«

»Sind wahrscheinlich Ratten.«

»Na, dann ist es ja gut. Addy, ich liebe dich.« Er zupfte sich die klebrigen Reste von weiteren Spinnweben aus dem Haar. »Und falls du dich tatsächlich zur Ruhe setzen und mit dem Geld der St. Johns ins Hotelgewerbe einsteigen willst, auch recht. Aber dann glaube ich doch, dass sich ein geeigneteres Objekt als dieses hier finden läßt.«

»Das hier wird kein Hotel. Es wird eine Art Klinik. Die Phoebe-Spring-Klinik für mißhandelte Frauen und Kinder, ausgestattet mit den besten Therapeuten, die ich finden kann. Wenn sie fertig ist, wird sie 30 Menschen beherbergen können, die sonst nicht wissen, wohin.«

»Addy...«

Sie schüttelte den Kopf, um ihm Einhalt zu gebieten. In ihren Augen leuchtete jetzt eine neue Art von Leidenschaft auf. »Kannst du nachvollziehen, was es heißt, keinen Ort zu haben, wohin man sich flüchten kann? Bei einem Mann bleiben zu müssen, weil man keine andere Wahl hat, weil man sich im Laufe der Jahre so an die Schläge und die Erniedrigungen gewöhnt hat? So sehr daran gewöhnt, dass man anfängt zu glauben, sie sogar verdient zu haben?«

Darauf fiel ihm keine Antwort ein und auch kein tröstendes Wort. »Nein, das kann ich nicht.«

»Ich habe solche Frauen kennengelernt und auch solche Kinder. Geschlagen hat man sie, bis sie nicht nur überall blaue Flecken, sondern auch Narben hatten, Narben an Körper und Seele. Diese Menschen kommen aus allen Schichten, aber sie haben eines gemeinsam: Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit.« Sie wandte sich kurz von ihm ab. Ihre Emotionen gingen bei diesem Thema immer mit ihr durch, aber sie musste ihm einfach den realen Hintergrund schildern. »Dreißig weitere Frauen und Kinder sollten wir zudem auf ambulanter Basis behandeln können. Und noch mal die doppelte Zahl, falls es uns gelingt, die Klinik zu erweitern. Die Belegschaft wird sich aus Spezialisten und Volontären zusammensetzen. Die Honorare werden sich nach den finanziellen Möglichkeiten der Patienten richten. Aber es wird niemand abgewiesen werden, auch wenn er nichts bezahlen kann.«

Der Wind pfiff durch die zerbrochenen Fensterscheiben und unter den Dielen hindurch. Es war ein grauenvoller Ort in einer grauenvollen Gegend. Er wünschte, er könnte es dabei belassen, aber er machte sich so seine Gedanken. »Wie lange planst du das schon?«

»Das Haus habe ich erst vor sechs Monaten gekauft, aber die Idee geht mir schon seit Jahren nicht aus dem Kopf.« Wieder hallten ihre Schritte dumpf von den Wänden wider, als sie im Raum umherging. Die Decke über ihr war abgebröckelt und voller Wasserflecken. »Das Kollier zu holen ist eine Sache, die ich tun muss, um meinetwillen. Das Motiv ist ganz egoistisch.«

»Ist es das?«

»Oh, ja.« Sie drehte sich wieder um. »Verbinde damit keine noblen Gedanken, Philip, oder mit mir. Es ist Rache, schlicht und einfach Rache. Nicht mehr und nicht weniger. Ich will das Kollier nicht, ich brauche es nicht zu meinem Glück. Abdu kann es zurückhaben - zu einem angemessenen Preis.« Das schummrige Licht ließ ihre Augen noch dunkler erscheinen, als sie ohnehin waren. In dem schwarzen Nerzmantel sah sie wirklich aus wie eine Prinzessin. »Fünf Millionen amerikanische Dollar. Es ist nur ein Bruchteil dessen, was das Kollier tatsächlich wert ist, aber es reicht. Es reicht, um dieses Haus einzurichten, meiner Mutter ihre Würde zurückzugeben, und es bleibt auch noch genug, damit ich mich in einigermaßen gesicherten Verhältnissen zur Ruhe setzen kann. Diese drei Dinge muss ich erreichen. Ich habe sie in den letzten zehn Jahren meines Lebens sorgfältig geplant. Und es gibt nichts, was du sagen oder tun könntest, um mich davon abzuhalten.«

Er vergrub seine Hände in den Tiefen seiner Manteltasche.

»Wie kommst du darauf, dass er zahlen wird? Selbst wenn es dir gelingen sollte, das Kollier zu stehlen und lebendig aus Jaquir rauszukommen, so genügt ein Anruf von ihm bei der Polizei.«

»Soll er vielleicht offiziell erklären, dass er das Gesetz gebrochen hat, indem er meiner Mutter ihr Brautgeschenk vorenthalten hat?« Ihre Lippen verzogen sich verächtlich. »Öffentlich zugeben, dass er von einer Frau übers Ohr gehauen wurde und damit Schande über das Königshaus von Jaquir gebracht hat? Er wird mich in Schande versinken sehen wollen, vielleicht wäre es ihm sogar ganz recht, wenn ich tot wäre, aber er wird seinen Stolz bewahren wollen, und natürlich Sonne und Mond.«

»Es besteht die Möglichkeit, dass er Gelegenheit bekommt, sich alle drei Wünsche zu erfüllen.«

Sie erschauderte unter ihrem Pelz. »Es ist kalt. Laß uns gehen.«

Während der Fahrt sprach Philip kein Wort. Immer noch sah er ihren Blick vor sich, wie sie dort in dem verrotteten Gemäuer gestanden hatte. Jetzt verstand er, warum sie ihn dorthin mitgenommen und in ihre Pläne eingeweiht hatte. Sie hatte ihm auf diese Weise klargemacht, so klar, wie es Worte nie vermocht hätten, dass sie fest entschlossen war, ihren Weg zu gehen. Er konnte sie nicht mehr davon abbringen. Aber er konnte etwas anderes für sie tun. Jede seiner Entscheidungen hatte er in der Vergangenheit in Hinblick auf seinen eigenen Gewinn getroffen, was er auch nie bedauern musste. Jetzt konnte er nur hoffen, dass er die Entscheidung, die er ganz selbstlos zu treffen bereit war, ebenfalls niemals würde bedauern müssen.

Sobald die Wohnungstür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, wurde Philip geschäftsmäßig. »Hast du genaue Pläne vom Palast?«

»Natürlich.«

»Wie steht es mit Alarmanlage, Zeitplänen, Fluchtwegen?«

Sie zog den Mantel aus. Ihr Sweatshirt bauschte sich an den Hüften. »Ich kenne meinen Job.«

»Zeig sie mir.«