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22. Kapitel

Siebzehn Jahre waren eine lange Zeit, um sich Gedanken zu machen. Zu planen. Zu hassen. Das tiefe Saphirblau des Mittelmeers breitete sich wie ein Teppich unter ihnen aus, unterbrochen nur von einigen dahinziehenden, weißen Wolkenfetzen und einem kleinen Tüpfelchen Land, Zypern. Jaquir war nicht mehr weit, die Zeit des Wartens bald vorüber.

Adrianne lehnte sich zurück. Neben ihr döste Philip in dem weichgepolsterten Sitz des Privatflugzeugs. Sein Jackett, seinen Schlips und seine Schuhe hatte er abgelegt, um sich bequem ausstrecken und den letzten Abschnitt der Reise genießen zu können. Adrianne dagegen war voll bekleidet, hellwach und erlebte jede Minute, die verstrich, ganz bewusst.

Sie hatten sich nach dem Start in Paris mit einer verzweifelten Heftigkeit geliebt. Oder vielleicht war es auch nur sie, die verzweifelt gewesen war. Sie hatte diese wilde, jeden Gedanken ausschaltende Ekstase, dieses Verschmelzen ihrer Körper genauso gebraucht wie die anschließende Entspannung und Ruhe.

Dieser Heimkehr hatte sie einen Großteil ihres Lebens gewidmet. Nim waren die langen Jahre zu wenigen Minuten zusammengeschrumpft, und sie hatte Angst. Es war keine Angst, die sie sich oder Philip hätte erklären können. Was sie jetzt empfand, war keine Angst, die feuchte Hände verursachte oder einen bitteren Geschmack im Mund zurückließ. Diese Angst wütete in ihrem Magen und pochte als dumpfer Schmerz hinter ihren Augäpfeln.

Das Bild, das sie von ihrem Vater hatte, war immer noch jenes, das sich in ihrer Kindheit geformt hatte, einhergehend mit der intensiven Liebe und der Furcht, die sie ihm gegenüber empfunden hatte. Wenn sie an ihn dachte, sah sie einen athletischen, schlanken Mann vor sich, mit einem nie lächelnden Mund und starken, schönen Händen.

Zwei Jahrzehnte war sie nun westlichen Gesetzen, Traditionen und Ansichten gefolgt. Dass sie eine durch und durch westliche Frau geworden war, daran zu zweifeln hätte sie sich nie gestattet. Doch die Wahrheit war - wenn sie diese auch lange unterdrückt hatte -, dass in ihren Adern Beduinenblut floß, und dass dieses Blut in einer Art und Weise reagieren könnte, die keine amerikanische Frau verstehen würde.

Würde sie sich verändern, wenn sie, nach Jaquir zurückgekehrt, im Hause ihres Vaters lebte, gebunden an die Gesetzte des Korans und an die gesellschaftlichen Vorschriften, die von Männern verfügt und überwacht wurden? Viel stärker als ihre Angst, ertappt, eingesperrt oder hingerichtet zu werden, war die Angst, ihre Persönlichkeit als Frau zu verlieren, für die sie so hart gekämpft hatte.

Diese Angst hielt sie auch davon ab, Philip gegenüber Versprechungen zu machen. Hielt sie davon ab, die Worte auszusprechen, die anderen Frauen so leicht über die Lippen kamen. Sie liebte ihn wirklich, doch diese Liebe hatte nichts mit der sanften Lieblichkeit gemein, mit der Dichter sie umschrieben. Diese Liebe mit ihren zwei Gesichtern war eine nicht zu bändigende Kraft, die Frauen schwach machte, sie dazu brachte, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse hintanzustellen und sich ganz den Wünschen des Geliebten zu unterwerfen.

Der Pilot verließ die Reiseflughöhe. Immer schneller sanken sie dem blauen Teppich des Meeres entgegen. Die Nerven zum Zerreißen gespannt, tippte Adrianne auf Philips Schulter. »Ich muss mich fertig machen. Wir landen bald.«

Er war sofort wach und bemerkte die Nervosität in ihrer Stimme. »Du kannst es dir immer noch überlegen.«

»Nein, kann ich nicht.« Sie stand auf und öffnete ihre Reisetasche, die auf dem gegenüberliegenden Sitz stand. »Denk daran, nach dem Aussteigen wird man uns in getrennten Wagen zum Flughafengebäude bringen. Dort müssen wir den Zoll passieren.« Während sie sprach, verbarg sie ihr Haar unter einem schwarzen Kopftuch, bis keine Strähne mehr davon zu sehen war. »Das kann eine unangenehme

Prozedur werden, aber Abdus Einfluß wird die Formalitäten sicherlich vereinfachen. Bevor wir im Palast ankommen, werde ich dich nicht mehr sehen, und auch danach weiß ich nicht, wann. Außerhalb ist kein Kontakt möglich. In Hinblick auf mein gemischtes Blut und die Tatsache, dass ich einen Europäer heiraten werde, werden die Anstandsregeln im Palast wohl nicht ganz so streng gehandhabt werden. Aber du darfst unter keinen Umständen zu mir kommen. Wenn es irgendwie möglich ist, werde ich zu dir kommen.«

»Ich gebe dir achtundvierzig Stunden.« Während er seine Krawatte band, schaute er ihr zu, wie sie die schwarze abaaya anlegte. Dieser wie ein Sack geschnittene Umhang verhüllte ihren Körper vom Hals bis zu den Füßen und verwandelte sie augenblicklich in eine Moslime, was ihre Augen oder ihr dunkler Teint allein nicht vermocht hätten. »Wenn ich bis dann nichts von dir gehört oder gesehen habe, werde ich dich suchen gehen.«

»Und nur des Landes verwiesen werden, wenn du Glück hast.« Es war der Schleier, der sie am meisten störte. Anstatt ihn anzulegen, ließ Adrianne den feinen Stoff durch die Finger gleiten. Mit seinem gutsitzenden Jackett sah Philip sehr britisch und plötzlich sehr fremd aus. Sie ignorierte ihr Herzklopfen, das sie als dumpfen Schmerz in der Kehle spürte. Der Golf wurde immer breiter. »Du musst mir in dieser Beziehung vertrauen, Philip. Ich beabsichtige, nicht mehr als zwei Wochen in Jaquir zu verbringen, und ich beabsichtige, Jaquir mit dem Kollier zu verlassen.«

»Es wäre mir lieber, du würdest wir sagen.«

»Also gut, wir.« Mit dem Ansatz eines Lächelns auf den Lippen wartete sie, bis Philip seine Schuhe angezogen hatte. »Ich hoffe, du wirst Abdu davon überzeugen können, dass du ein standesgemäßer Ehemann für mich bist. Ach, und vergiss nicht, über den Brautpreis mit ihm zu handeln.«

Er machte einen Schritt auf sie zu und nahm ihre beiden Hände. Sie zitterten nicht, aber sie waren eiskalt. »Wie hoch würdest du deinen Wert ansetzen?«

»Eine Million wäre eine angemessene Verhandlungsbasis.«

»Eine Million was?«

Dass sie immer noch herzlich lachen konnte, während sie ihren Sitz einnahm und sich anschnallte, war eine Erleichterung für beide. »Pfund Sterling. Jede Summe darunter wäre angesichts deiner gesellschaftlichen Stellung, die du vorgibst zu besitzen, eine Beleidigung.«

»In diesem Fall machen wir doch lieber gleich Nägel mit Köpfen.« Er holte ein kleines Kästchen aus seiner Jackentasche. Beim Anblick des Ringes darin zog Adrianne ihre Hand zurück, als habe sie sich verbrannt. Philip nahm den Diamantring und steckte ihn ihr an den Ringfinger. Ihre Reaktion war genau der Grund, warum er damit bis zur letzten Minute gewartet hatte. So hatte sie keine Zeit mehr, mit ihm zu diskutieren. »Du kannst ihn als Teil unserer Tarnung betrachten, wenn es dir so lieber ist.«

Adriannes Schätzung nach hatte der Stein mehr als fünf Karat und stammte der Farbe, die ein absolutes Reinweiß war, und der Qualität nach aus Russland. Wie alle erstklassigen Diamanten strahlte auch dieser Leidenschaft und gleichzeitig Distanz aus. Die Funken, die der Stein vor dem pechschwarzen Hintergrund ihrer abaaya versprühte, erregten sie mehr als ihr lieb war. »Eine kostspielige Täuschung.«

»Der Juwelier versicherte mir, er würde den Ring liebend gerne wieder zurücknehmen.«

Auf diese Bemerkung hin schnellte ihr Blick hoch, und sie sah ihn noch grinsen, bevor er ihre Lippen mit den seinen verschloss. Sofort flackerte ihre Leidenschaft wieder auf und züngelte in heißen Flammen empor, als das Flugzeug auf der Rollbahn aufsetzte. Einen Augenblick nur wollte sie alles um sich herum vergessen - außer dem Versprechen an ihrem Finger und der Glut seiner Küsse.

»Ich gehe voraus.« Sie holte noch einmal tief Luft und löste den Gurt. »Sei vorsichtig, Philip. Ich könnte dein Blut auf Sonne und Mond nicht ertragen.«

»In zwei Wochen haben wir eine Verabredung in Paris mit einer Flasche Champagner.«

»Ich komme nur, wenn es eine Magnum ist«, grinste sie und legte den Schleier an.