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Psychiater Onni Osmola war ein nervös wirkender, etwa fünfunddreißigjähriger Mann, der in der Liisankatu in Helsinki eine Praxis hatte, die nicht besonders gut lief. Im Behandlungszimmer hing Rutja Ronkainen in einem Sessel; Notar Mälkynen hatte für den Sohn des Donnergottes einen Termin beim Psychiater vereinbart. Mälkynen hatte Osmola gewarnt: Rutja Ronkainen war ein Patient, der seinen Arzt garantiert dazu brachte, über seine tiefsten Sünden nachzudenken.
Abschätzig musterte Rutja den Arzt. Er kam zu dem Schluß, daß dieses Kerlchen selbst eine Behandlung nötig hatte. Mälkynens Bericht zufolge hatte Osmola früher als Stationsarzt in der geschlossenen Abteilung der Nervenheilanstalt Nikkilä gearbeitet. Er hatte die Aufgabe sehr persönlich genommen und die seelisch belastende und verrückte Atmosphäre seines Arbeitsplatzes nicht so recht verkraftet. Also hatte er seine Stelle aufgegeben und die bescheidene Praxis in der Liisankatu eröffnet. Mittlerweile hatte sich Psychiater Osmola auf die Behandlung hysterischer Frauen spezialisiert. Eine analytische Ausbildung besaß er nicht, wußte aber das ein oder andere über Psychoanalyse. Daß ihm die entsprechende Ausbildung fehlte, hatte vor allem damit zu tun, daß seine geistige Struktur das mühsame Auseinandernehmen der Psyche nicht ausgehalten hätte. Außerdem wollte er nicht schon während des Studiums verrückt werden. Schon immer hatte sich in seiner Persönlichkeit eine gewisse Instabilität gezeigt, und durch die Arbeit mit den Patienten wurde sie nicht unbedingt gemindert.
Aber trotz allem schien dieser Onni Osmola ein prima Kerl zu sein. Rutja beschloß, ihn als Oberarzt für seine Einrichtung zu akzeptieren.
»Aha, der Herr Ronkainen. Erzählen Sie einfach ganz offen, was Sie auf dem Herzen haben! Ich bemühe mich zuzuhören, und dann wollen wir mal sehen, was wir tun können«, sagte Onni Osmola aufmunternd.
Rutja begann. Er erzählte, daß er der Sohn des Donnergottes sei, vor einiger Zeit, beflügelt von einem Blitz, aus dem Himmel auf die Erde gelangt sei, die Rolle mit einem Antiquitätenhändler – Sampsa Ronkainen – getauscht habe und seitdem in dessen Gestalt auftrete. Rutja erklärte, seine Aufgabe sei es, herauszufinden, warum die Finnen nicht mehr an die Götter ihrer Vorfahren glaubten. Das meinte er mittlerweile zu wissen. Die Finnen waren Gewohnheitschristen, und außerdem ging es ihnen viel zu gut. Im Grunde glaubten sie an gar nichts, auch wenn die Mehrheit des Volkes offiziell der lutherischen Kirche angehörte.
Die zweite und schwierigere Aufgabe bestand darin, die Finnen wieder zu ihrem alten Glauben zu bekehren. Deshalb war er, Rutja Ronkainen, nun gekommen, um sich mit einem Psychiater zu beraten.
»Hochinteressant. Wann genau fing das an, daß Sie das Gefühl hatten, Sie seien… der Sohn des Donnergottes? Ist das schon viele Jahre her, oder geschah das erst diesen Sommer?«
Zerstreut machte sich Onni Osmola Notizen. Das war wieder mal so ein typischer Fall. Der Mann war am ehesten noch deswegen interessant, weil er nicht behauptete, zum Beispiel Napoleon zu sein, wie viele seinesgleichen, sondern sich gleich als Gott versuchte, und auch noch als altertümlicher finnischer Gott. Das deutete auf eine gewisse Intelligenz des Patienten hin. Erst zwei Wochen zuvor hatte Psychiater Osmola mit einer Person gesprochen, die behauptete, Stalin zu sein.
Nun handelte es sich also um Rutja, den Sohn des Donnergottes höchst persönlich. Onni Osmola dachte an seine Studienzeit zurück. Dunkel erinnerte er sich an Bruchstücke aus der finnischen Mythologie.
Wahrscheinlich war der Gott namens Rutja in Finnlands heidnischer Zeit sehr bekannt, vermutete Osmola. Wenn der Besitzer eines Antiquitätengeschäfts durchdreht, sucht er sich als neues Über-Ich natürlich jemanden aus, mit dem ihn etwas verbindet. Ein delirierender Feldwebel identifiziert sich mit Marschall Mannerheim, ein verwirrter Kantor glaubt, Sibelius oder Bach zu sein. Insofern war Sohn des Donnergottes eine absolut logische Wahl, falls bei diesen Dingen überhaupt jemals Logik eine Rolle spielte. Onni Osmola selbst hätte sich gerne mit Freud identifiziert, hätte er sein eigenes Ich vergessen und sich ein besseres suchen wollen.
Rutja behauptete, schon immer gewußt zu haben, daß er der Sohn des Donnergottes war, und er begriff nicht recht, weshalb ihn der Arzt so einen Blödsinn fragte. Hielt Osmola ihn etwa für einen Patienten? Hatte Notar Mälkynen nicht erzählt, welches Anliegen Rutja hierherführte?
»Doch, Mälkynen hat mich vorbereitet. Aber fahren Sie fort! Belastet Sie dieses Empfinden? Ich meine, ist Ihnen diese Zwangsvorstellung peinlich? Sie können bestimmt mit niemandem darüber reden. Sie sind gewissermaßen allein mit Ihrer Göttlichkeit, oder? So etwas kann sich mit der Zeit zu einer schweren seelischen Belastung entwickeln. Erst neulich traf ich hier einen gewissen Stalin, der darüber klagte, sich nicht zu trauen, irgend jemandem seine Identität zu offenbaren. Er hatte Angst vor dem KGB und den Handlangern Tschernenkos. Das wundert mich überhaupt nicht. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, ihn soweit zu bringen, daß er wenigstens mit mir über seine Probleme sprach. Im übrigen glauben Sie gar nicht, mit welchen Schwierigkeiten sich ein Stalin im heutigen Finnland auseinanderzusetzen hat! Selbst in der Kommunistischen Partei glauben höchstens noch zwei Genossen an ihn. Na ja, der Sohn des Donnergottes wird es da nicht leichter haben.«
Rutja hörte sich mit offenem Mund das Gequassel des Arztes an. Das klang so, als hielte Psychiater Osmola den Sohn des Donnergottes für durchgedreht. Das war beleidigend, aber man konnte Verständnis für diese Haltung haben, wenn man das Leben des Mannes berücksichtigte. Wenn einer jahrelang mit gestörten Menschen arbeitet, dann hinterläßt das seine Spuren. Mälkynen hatte ihn gewarnt, daß Osmola selbst ein Stück weit verrückt sei, wenn auch sonst ein gescheiter Kerl. Rutja beschloß, Osmola zum ersten Opferfest einzuladen, das er in Kürze im Antiquitätenladen abhalten wollte. Vielleicht war danach ein fruchtbareres Gespräch mit ihm über Geisteskrankheiten und ihre Behandlung möglich.
»Ach, Sie veranstalten tatsächlich Ihr eigenes Ritual? Warum nicht, aber meinen Sie, das ist wirklich notwendig? Sie können ruhig auch hier über Ihre Probleme sprechen und von mir aus auch gleich hier ein kleines Ritual durchführen.«
»Hier geht das nicht. Sie haben ja nicht mal einen Opferofen. Ich habe mir in meinem Antiquitätenladen in der Iso Roobertinkatu extra einen mauern lassen. Dort gibt es auch die nötigen Requisiten. Wäre es Ihnen recht, am heutigen Nachmittag gegen fünf zur Opferstätte zu kommen?«
Onni Osmola wurde nachdenklich. Stalin hatte ihn nach Moskau zur Siegesparade der Roten Armee eingeladen, hatte sich aber zufrieden gegeben, als der Arzt wegen seiner Termine nicht zusagen konnte, Nun lag ihm eine neue Einladung vor. An und für sich war das interessant, aber entsprach das den psychiatrischen Regeln, wenn der Arzt seinen Patienten bei seinen verrückten Plänen auch noch unterstützte? Und woher sollte er wissen, was in der Iso Roobertinkatu auf ihn zukam? Ob der Patient eventuell gewalttätig werden würde? Womöglich zerhackte Rutja Ronkainen seinen Arzt in kleine Stücke und opferte das Fleisch dem Donnergott?
Onni Osmola rief Notar Mälkynen an. Dieser versicherte, daß keine Gefahr bestand. Er nehme selbst an dem nachmittäglichen Opferritus teil. Außerdem wurden der Werbeleiter Keltajuuri, die Steuerprüferin Suvaskorpi und zwei einfache Arbeiter erwartet.
Onni Osmola notierte sich die Adresse von Ronkainens Antiquitätengeschäft und versprach zu kommen. Noch nachdenklicher als zuvor legte er den Hörer auf. Offensichtlich hatte er selbst eine psychiatrische Behandlung nötig, da er sich auf so etwas einließ. Nachdem Rutja gegangen war, schloß Onni Osmola seine Praxis und schluckte eine halbe Handvoll Beruhigungspillen.
»Manchmal habe ich das Gefühl, es wäre klüger gewesen, Jura zu studieren statt Medizin.«
Doch dann fiel ihm Mälkynen ein, der Jura studiert hatte. Es sah so aus, als schütze auch das nicht davor, verrückt zu werden.
Nach sorgfältigen Überlegungen bereitete Rutja das erste Kultritual zu Ehren Ukko Obergotts vor. Er schickte seine Jünger ins Delikatessengeschäft, wo sie Lebensmittel von vorzüglicher Qualität einkauften – Fleisch, Fisch, verschiedene Gewürze und andere Leckereien. Werbeleiter Keltajuuri traf in der Getränkehandlung eine Auswahl an Bieren, Weinen und finnischen Spirituosen. Mälkynen besorgte mehrere Säcke Holzkohle. Er wollte auch Anzünder und Spiritus mitbringen, aber Rutja meinte, das sei nicht nötig:
»Ich nehme einen Blitz, da brauchen wir keine Flüssigkeit.«
Der Opferraum wurde mit frischen Birkenzweigen dekoriert, die Notar Mälkynen zusammen mit Maurer Sivakka und Installateur Hannula per Lieferwagen auf dem Land geholt hatte, und mit Blütenduft parfümiert. Zuletzt wurden die Bauernbänke in den Salon getragen, dann war alles fertig.
Als Helfer bei der Zeremonie kommandierte Rutja eine Schar Elfen, Gnome und Wichtelmännchen herbei. Die mußte man nicht einmal im Himmel anfordern, denn es waren alles kleine Schutzgeister, die auf der Erde wohnten – was die Gnome betraf, teilweise sogar unter der Erde.
Die Wichtelmännchen waren etwa gut einen halben Meter große Kerlchen, fast koboldähnliche, lustige und neugierige Typen, die aus ihren Bauten in allen Vierteln der Stadt in die Iso Roobertinkatu kamen. Sie plauderten über alles mögliche, erzählten sich gegenseitig alte finnische Volksrätsel und warteten aufgeregt auf die Ankunft der Elfen. Sie mochten die Elfen sehr, diese reizenden kleinen Fräuleins, die durchsichtige Gewänder trugen und mit heller Stimme sangen. Die Wichtelmännchen machten gewagte Sprüche über die Elfen, wie:
Plitsch platsch,
der Elfenpopo klatscht…
Als die Elfen dann aber auftauchten, hielten die Wichtelmännchen wohlweislich den Mund. Rutja führte die Elfen in die Küche, wo er sie im Geschirrschrank einschloß. Diese Vorsichtsmaßnahme war notwendig, weil auch Gnome kamen.
Die Gnome waren griesgrämige, haarige, affenähnliche Erdgeister, etwas kleiner als die Wichtelmännchen. Mit gerunzelter Stirn liefen sie durch den Opfersaal, wobei sie die langen Arme über den Boden schleifen ließen. Sie hatten einen auffallend langen Schwanz, mit dem sie die Fliegen verscheuchten, die ihnen im Pelz saßen. Am Schwanzschlagen konnte man ablesen, wann die Erdgeister von einer Gefühlswallung ergriffen waren. Sie konnten zwar sprechen, beschränkten sich jedoch zumeist auf Brummen und Knurren, wenn sich die Notwendigkeit der Kommunikation ergab. Die Gnome waren stärker als die Wichtelmännchen, denn sie waren an harte Arbeit im Inneren der Erde gewohnt, während die Wichtelmännchen ein deutlich bequemeres Leben in den Gebäuden der Menschen führten. Am leichtesten hatten es natürlich die Elfen, deren Hauptaufgabe auf der Erde darin bestand, sich zu amüsieren, zu tanzen und zu singen.
Rutja zog seinen Wolfspelz an. Für Steuerprüferin Suvaskorpi hatte er ein blaues, durchsichtiges Nachthemd gekauft, das sie sich errötend überstreifte. Rutja betrachte sie mit einem Lächeln. Diese Frau sah fast so anmutig aus wie die im Himmel umherflatternde bezaubernde Schönheit Ajattara.
Kurz vor fünf kamen außer Notar Mälkynen und Werbeleiter Keltajuuri auch Maurer Sivakka und Installateur Hannula zur Opferzeremonie, die beiden letztgenannten mit beträchtlicher Schlagseite. Als letzter erschien Psychiater Onni Osmola. Er war mit dem Taxi gekommen, hatte den Fahrer um eine Quittung gebeten, mit der Absicht, sie seiner Arztrechnung beizulegen. Als er jedoch den Sohn des Donnergottes in seinem Wolfspelz erblickte, verzichtete er erst einmal darauf, die Quittung zu präsentieren. Steuerprüferin Suvaskorpi geleitete den Arzt zu einer Bauernbank in der Mitte des Salons und wies ihn an, neben Installateur Hannula Platz zu nehmen. Onni Osmola wußte nicht, was er davon halten sollte, denn das durchsichtige Nachthemd der Steuerprüferin verwirrte ihn doch sehr.
Die Veranstaltung begann. Rutja befahl den Wichtelmännchen und Gnomen, um den Opferofen herum Aufstellung zu nehmen. Sie erhielten die Aufgabe, Speisen und Getränke in den Salon und auf den Ofen zu tragen. Rutja ließ die Elfen aus dem Geschirrschrank in der Küche. Mit lieblichem Gesang und anmutig tanzend wirbelten die Fräuleins in den Salon. Einige Gnome erstarrten, als sie die Elfen sahen, und vergaßen für einen Moment ihre Aufgabe, Bier zu servieren. Der Tanz der Elfen ließ sie erblinden. Kein Wunder, denn in den Abflüssen und Schächten der Großstadt hatte ein gewöhnlicher Erdgeist nicht oft die Gelegenheit, einer Elfe beim Tanzen zuzuschauen.
Während die Elfen sangen, fingen die Wichtelmännchen an, sich im Kreis zu drehen. Sie sangen ihre eigenen Koboldlieder, klatschten in die behaarten Hände und jauchzten. Auch die Gnome kamen allmählich auf den Geschmack: Sie stimmten in die Lieder ein und schlugen mit ihren langen Schwänzen den Takt.
Rutja erhob die Hände. Die Elfen, Wichtelmännchen und Gnome unterbrachen ihre Darbietung. Rutja hob den Blick gen Himmel und murmelte seinem Vater etwas zu. Plötzlich flammte ein blendendgelbes Licht aus seinem Finger, gleichzeitig schob sich auch schon ein Kugelblitz zischend in den Raum. Ein dumpfer Donner ertönte, und der Blitz entzündete die Kohle im Opferofen. Die Wichtelmännchen stellten die Lebensmittel daneben, die geopfert werden sollten. Schon bald begann die Kohle zu glühen, blauer Rauch schwebte im Salon. Die Gnome trampelten mit den Füßen auf den Boden und riefen im gleichen Takt:
»Rutja, Rutja, Rutja!«
Der Sohn des Donnergottes las die sechs Gebote Ukko Obergotts vor. Dann servierten die Wichtelmännchen und Gnome wieder Speisen und Getränke, und die Elfen führten gemeinsam mit Steuerprüferin Suvaskorpi einen Tanz auf.
Psychiater Onni Osmola aß und trank mit außerordentlichem Appetit und war bald betrunken. Er fragte Notar Mälkynen, ob dieser tatsächlich an Ukko Obergott glaubte. Rutja hörte die Frage und beschloß, für den Psychiater ein kleines Wunder zu vollbringen, um ihm seine Skepsis auszutreiben.
Rutja zog den Psychiater von der Bank und begann mit ihm einen wilden Tanz, er sprang mit ihm derart um den Opferofen herum, daß Osmolas Kleider flatterten. Dann hob ihn Rutja auf den Ofen, auf die heiße Kohle, und befahl dem Kugelblitz, sich einen Moment lang um den Mann zu tummeln. Osmolas Gesäß fing an zu qualmen, die Hosen brannten, aber er verspürte nicht den geringsten Schmerz, obwohl er auf glühenden Kohlen saß. Ein wahres Wunder! Noch verblüffter war Osmola, als er wieder auf seiner Bank saß und feststellen mußte, kein bißchen nervös gewesen zu sein. Er fühlte sich stark und stabil, er hatte keine Angst mehr vor Geisteskrankheiten, alles kam ihm nun überraschend klar vor. Onni Osmola schmetterte mit hoher Stimme eine Lobpreisung Ukko Obergotts und behauptete, niemals an Rutja Ronkainen gezweifelt zu haben, sondern ihn für einen wahren Gott zu halten, für den Sohn des Donnergottes.
Wieder tanzten Helinä Suvaskorpi und die Elfen. Onni Osmola sah dem Tanz mit weit aufgerissenen Augen zu. Auch Notar Mälkynen war derart vom Körper der Steuerprüferin hingerissen, daß es ihm Schwierigkeiten bereitete, sitzen zu bleiben.
In diesem Stadium des Rituals bat Rutja die Tänzerinnen, zur Seite zu treten. Er sprach einen temperamentvollen Vers, der an Ukko Obergott gerichtet war:
He ho, Ukko Obergott,
Donnerer am Himmelsrand!
Nach dieser üblichen Ansprache gab Rutja seinem Vater einen Bericht über die augenblickliche religiöse Situation in Finnland:
Hier kommt der Bericht von Rutja,
Botschaft aus dem Sommer Finnlands.
Erst ein Opfer für dich,
dann ein Opfer für mich.
Rutja verschlang einen tüchtigen Bissen von einem gegrillten Schweinekotelett, bevor er fortfuhr:
Sechs Gebote gegeben,
sechs Jünger gewonnen!
Die Kirchen Finnlands leer,
die Pfaffen Finnlands seufzen schwer,
den armen Jesus will keiner mehr…
Zum Schluß forderte Rutja den Donnergott auf, die Opfergaben anzunehmen:
Nimm das Opfer, gib einen Pfeil,
hier sind die heiligen Heiden!
Verschlingen deinen Proviant,
die Leckereien vom Ofenrand!
Im kupfernen Rauchabzug fing es an zu rauschen, als ein himmlischer Sog einsetzte. Die Schweinekoteletts und die anderen Leckereien wurden in die Rohre gesogen, auch der Kugelblitz drängte sich hinein, und bald war vom Dach her das Heulen und Tosen des Windes zu hören. Das Opfermahl, die Kohle und selbst die Asche verschwanden vom Opfertisch. Schließlich leuchtete in der Ofentür noch ein letzter Blitz auf, dann lag vollkommene Stille über dem ganzen Raum. Das war das Zeichen für das Ende der Veranstaltung. Ukko Obergott hatte das Opfer angenommen, er war in jeder Hinsicht zufrieden mit dem Ritual.
»Das ist das erste Mal, daß ein gegrilltes Schweinekotelett in den Himmel gelangt, mal sehen, wie es dort ankommt«, meinte Rutja zufrieden. »Ich glaube schon, daß die Götter das mehr mögen als die Opfergaben, die früher üblich waren. Mehr als genug Finnen haben ihren Göttern nämlich vergammelte Fische, erfrorene Kartoffeln und verschimmeltes Brot geopfert.«
Steuerprüferin Suvaskorpi hatte inzwischen die Garderobe gewechselt. Sie erschien wieder in ihrer eleganten Alltagskleidung, in grauem Rock und weißer Baumwolljacke. Rutja zog den Wolfspelz aus und hängte ihn neben Frau Suvaskorpis Nachthemd an den Haken.
Psychiater Onni Osmola war immer noch ganz verwirrt. Er erklärte, Rutja mit Freuden mit seiner gesamten ärztlichen Ausbildung und Erfahrung zur Seite zu stehen. Er wollte bei allem, was Rutja plante und zu verwirklichen gedachte, helfen. Eine Pflegeanstalt für Hysteriker und insbesondere für Hypochonder zu gründen, war seiner Ansicht nach ein absolut vernünftiger Gedanke, den er in jeder Hinsicht unterstützte.
»Dann fahren wir morgen nach Pentele«, beschloß Rutja.
»Könnte ich vielleicht ein paar Geisteskranke mitnehmen?« fragte Onni Osmola ungeduldig. Er fand es interessant zu beobachten, wie die Hysteriker auf das Dorf und die künftige Heilanstalt reagierten. Seine Kartei war voller passender Patienten, denn an Verrückten herrschte in Finnland wahrlich kein Mangel.
Rutja meinte jedoch, es wäre besser, die Hysteriker vorerst in Ruhe zu lassen. Der Hof mußte renoviert werden, bevor man Patienten hinbringen konnte.
»Da kommen doch nicht etwa auch solche hin, die total wahnsinnig sind?« fragte Notar Mälkynen vorsichtig. »Ich meine, solche Verrückten könnten zumindest am Anfang viel Ärger machen«, fügte er hinzu.
»Wir fangen erst mal mit Hysterikern und Hypochondern an«, entschied Rutja. »Nehmt euch Urlaub, und haltet euch morgen früh bereit!«
Rutja entließ die Elfen, Wichtelmännchen und Gnome, trug ihnen aber auf, ständig erreichbar zu bleiben, für den Fall, daß sie gebraucht würden. »Man weiß nie, wann das nächste Opferfest begangen wird«, sagte er zu den kleinen Leuten, die sich beeilten, wieder in ihre Schlupflöcher zurückzuwieseln.
Zum Abschluß wurden für Psychiater Onni Osmola noch neue Hosen gekauft. Notar Mälkynen probierte sie an, Werbeleiter Keltajuuri verhandelte über einen Rabatt, und Rutja bezahlte.