Im Konferenzzimmer in Landing - Ortszeit 14:13 - 1.9.31

»Ausgerechnet ich soll Toric die Nachricht überbringen?«, ereiferte sich F'nor und funkelte zuerst seinen Halbbruder und danach Idarolan an, der zur Bekräftigung nickte.

»Du und K'van seid die idealen Boten«, meinte F'lar. »Ich würde ja G'bol schicken, aber er ist … durch zeitliche Umstände verhindert.« Theatralisch hob er eine Braue.

K'van zuckte die Achseln und hob resigniert die Hände. Seine Miene verriet, wie ungern er sich fügte. »Wir könnten doch Sintary mitnehmen. Er ist es gewöhnt, mit Toric zu verhandeln.«

»Mich respektiert er«, betonte Idarolan. »Er soll alles so organisieren, wie ihr es ihm auftragt, und wir können mit der Rettungsaktion in Süd-Boll beginnen«, fügte er mit einem Seitenblick auf Janissian hinzu. Er hatte viel Gutes über die junge Frau gehört, die zusammen mit ihrer Großmutter die Burg leitete, seit der alte Sangel senil geworden war. Nun konnte Janissian ihre Führungsqualitäten beweisen. Er fand, sie sei das wertvollste Familienmitglied, das der Sangel-Clan je hervorgebracht hatte. »Es sei denn, du benötigst meine Unterstützung, Meister Curran«, wandte er sich höflich an seinen Amtsnachfolger.

»Ich bin auf deine Hilfe angewiesen, Meister Idarolan«, warf Ciparis von Nerat rasch und ein wenig verlegen ein. »Nerat besitzt eine lange Küstenlinie, die von den zu erwartenden Tsunamis betroffen sein wird.« Vielsagend blickte er F'lar an. »Wir brauchen Beistand von allen Seiten.«

»Patrouillenreiter sind schon unterwegs und alarmieren die Siedlungen«, erklärte F'lar. »Meister Idarolan, könntest du uns wohl deine kostbaren Landkarten zur Verfügung stellen?«

»Ich lasse sie kopieren«, erwiderte Idarolan bereitwillig.

F'lar fand, Idarolan sei als Einziger vorbereitet zu der Konferenz erschienen. Als Frühaufsteher hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, den Morgenhimmel nach Anzeichen für das Wettergeschehen abzusuchen, und bei dieser Gelegenheit den Feuerball erblickt. Er wusste über Tsunamis Bescheid und hatte unverzüglich Kartenmaterial und Logbücher studiert. Wie Erragon, so hatte auch er die gefährdeten Küsten mit rotem Stift markiert. Orange bedeutete höchste Alarmstufe, und mit Blau hatte er leicht zugängliche Hochflächen als mögliche Zufluchtsstätten eingezeichnet. Ehe der Weyr-Führer von Benden um seine Unterstützung bat, hatte er sich bereits einen Überblick über die Krise verschafft.

»Hier!« Idarolan reichte F'nor ein Blatt. »Zeig das Toric, er liebt Landkarten und Details. Auf dieser Karte sieht er alles, was er wissen muss. Ihm bleiben ungefähr - lasst mich nachdenken …« Idarolan verdrehte die Augen und stellte in Gedanken ein paar Berechnungen an.

»Ihm bleiben elf Stunden, abzüglich der Zeit, die wir für diese Konferenz brauchen«, half Erragon aus. »Dann treffen die Tsunamis auf sein Land.«

»Er kommt noch mal mit einem blauen Auge davon«, meinte Lessa giftig. »Trotzdem wird er lamentieren, wie schwer das Schicksal ihn geschlagen hat.«

»Völlig ungeschoren bleibt er tatsächlich nicht«, wandte Erragon ein. »An seinen Küsten liegen eine ganze Reihe von Siedlungen.«

»Süd-Boll wird wesentlich stärker verwüstet werden«, hielt Idarolan ihm entgegen und blickte Janissian dabei mitfühlend an. »Tillek ebenfalls.«

»Bei uns gibt es mehr Felsenküsten als flache Strände«, mischte sich Ranrel ein, der bisher kaum ein Wort geäußert hatte. Dafür kritzelte er emsig Notizen auf ein Blatt Papier. »Wir können von Glück sagen, dass wir so früh gewarnt wurden.«

»Die Yokohama hat ihre Nützlichkeit mehr als einmal bewiesen«, meinte Idarolan salbungsvoll und streifte Kashman von Keroon mit einem schiefen Blick.

»Ich bin gespannt, was die Reaktionäre dazu sagen werden«, verlautbarte Jaxom.

In der Stille, die auf diese Bemerkung folgte, rückte F'nor polternd seinen Stuhl nach hinten, nahm die Karten, die Idarolan ihm hinschob und trank den Rest seines Klahs.

»Auf geht's! Wir könnten eine Feuerechse beauftragen, Sintary von unserer Ankunft in Kenntnis zu setzen.« Fragend schaute er Lessa und F'lar an.

»Gute Idee«, pflichtete Idarolan ihm bei und stand ebenfalls auf. »Ich bin gleich wieder da, Lord Ciparis, und dann stehe ich dir mit Rat und Tat zur Verfügung. Aber ich weise jetzt schon darauf hin, dass die Inselkette vor der Mündung des Nerat Flusses die Wucht der Tsunamis brechen wird. Trotzdem muss man mit einer gewaltigen Flutwelle stromaufwärts rechnen.«

»Sobald wir die Landkarten kopiert haben, bringe ich Janissian nach Süd-Boll zurück«, erklärte Jaxom und erhob sich von seinem Platz.

Wieder in Landing - Ortszeit - 15:40

Der Instinkt, der verhinderte, dass die Drachen während eines Kampfes gegen die Fäden gegeneinander prallten, half Golanth und seinem Reiter, als sie über Landing aus dem Dazwischen auftauchten. Eine Unzahl von Drachenschwingen verdeckte den Himmel, wie ein riesiger bunter Sonnenschirm.

Ramoth sagt, wir sollen auf dem Großen Platz landen. Und uns ausruhen! Ohne auf F'lessans Antwort zu warten, drehte sich Golanth müde um eine Schwingenspitze und erreichte im Gleitflug den weitläufigen Versammlungsplatz. F'lessan erspähte Ramoth, die mit halb gespreizten Flugmembranen in der Nähe des Akki-Gebäudes hockte und den Kopf hin und her pendelte. Flankiert wurde sie von zwei Jungköniginnen aus Benden, die oftmals ihr Gefolge bildeten. Auch sie machten einen höchst aufmerksamen Eindruck und schienen die Flüge der Drachen zu koordinieren.

Golanth nahm Kurs auf die Kochgruben und suchte sich den nächsten freien Platz.

Sie ist hier.

Müde blinzelnd schaute F'lessan auf die grünen Drachen, die unter ihnen schwebten.

Ich lande jetzt. Möchtest du einen Heiler aufsuchen?

Wenn ich mich ausgeruht habe, geht es mir wieder gut.

Golanth gab einen grummelnden Laut von sich, der seine Skepsis bekundete, doch er landete, wobei er Acht gab, die grünen Drachen, die sich bereits an der Stelle eingefunden hatten, nicht mit den Schwingen zu berühren. Zu seiner Rechten saß Zaranth, deren Haut um ein paar Nuancen heller schimmerte als noch in der Frühe. Der andere grüne Drache hatte den Kopf unter eine Flugmembran gesteckt und schlief, während seine Reiterin es sich vor seinen Tatzen bequem gemacht hatte und gleichfalls eingenickt war. Aus schmalen, verschleierten Augen sah Zaranth Golanth an. Zu F'lessans Verwunderung streckte sie ihren Hals aus und rieb liebkosend das Maul an Golanths Schulter.

Sie mag mich, stellte Golanth fest.

Tai hatte sich auf Zaranths Vorderbeinen zusammengerollt und mit zwei herrlichen Raubkatzenfellen zugedeckt.

Sie hat sie also gerettet, dachte F'lessan.

»F'lessan?« Jemand zupfte an seinem Hosenbein. Hinunterblickend, erkannte er S'lan. Er fragte sich, was sein Sohn hier im Süden zu suchen hatte. Der Junge und sein brauner Norenth waren erst kürzlich aus den Weyrling-Kasernen entlassen worden.

»Was machst du hier?«

Stolz lächelnd hielt S'lan ihm einen Becher entgegen.

»Wir alle wurden hierher beordert, um zu helfen. Der Heiler sagt, du sollst das trinken und hinterher eine Mahlzeit zu dir nehmen.«

S'lan kletterte auf Golanths Vorderbein, um den Becher anzureichen. F'lessan nahm ihn und kippte den Inhalt hinunter. Das Gebräu schmeckte abscheulich. Schlimmer als der Wein, den ihm die Fischer von den orangeroten Klippen kredenzt hatten. Doch der Trunk regte seine Lebensgeister an, sodass er absitzen und sich auf die Suche nach einem Imbiss machen konnte. Er wollte etwas essen, und sei es nur, um den üblen Geschmack der Medizin zu verscheuchen.

Ächzend ließ sich Golanth auf seinen Bauch nieder und streckte sich aus, ohne die Drachen rechts und links von ihm zu stören. F'lessan rutschte vom Rücken seines Bronzenen herunter und setzte sich auf den Boden.

»Hilf mir, die Jacke auszuziehen, Sellie.« Ich muss mir merken, dass er jetzt S'lan heißt, dachte F'lessan. »Dann hänge sie zum Trocknen über Golanth.«

Nachdem er sich seiner Jacke entledigt hatte, nahm er das Brötchen, das S'lan ihm anbot.

»Du musst dich ausruhen«, meinte S'lan und runzelte die Stirn. In diesem Augenblick glich er seiner Großmutter. Resolut griff er nach den beiden Feldflaschen, die er an Riemen über der Schulter trug. »In der einen ist Wasser, in der anderen heißer Klah. Ramoth sagt, jeder Drache und jeder Reiter erhält genug Zeit zum Ausruhen.«

»Das hat Ramoth gesagt? Prima! Dann hat zeitlich ja alles geklappt. Ich danke dir, S'lan.«

Träge betrachtete F'lessan die zahlreichen Drachen, die sich an diesem Ort versammelt hatten. Während er Happen von dem Brötchen abbiss, stellte er die Feldflaschen neben sich auf den Boden. Ob Lessa bemerkt hatte, wie sehr S'lan ihr ähnelte? Dunkles Haar, dunkle Augen, das gleiche energisch vorgeschobene Kinn.

»Ramoth widerspricht man nicht«, ermahnte ihn sein Sohn. »Ich muss jetzt wieder gehen. Aber ich komme zurück.«

Gierig schlang F'lessan das noch warme, knusprige Brötchen hinunter. Mit der freien Hand zog er sich den schweißnassen Helm vom Kopf und breitete ihn so aus, dass er trocknen konnte. Splitter und Scherben! Es hätte nicht viel gefehlt, und er wäre der Monsterwelle zum Opfer gefallen. Verstohlen schielte er zu Tai hin, doch die schlummerte tief und fest. Er fragte sich, ob er auch in seinen Träumen noch die Killerwelle sehen würde, wie sie gegen die Klippen raste und drohte, ihn, Golanth und Binness gegen die Felsen zu schmettern. Eine albtraumhafte Vorstellung. Dass er noch lebte, hatte er einzig und allein Golanth zu verdanken, dem besten Drachen von Pern.

Natürlich bin ich der Beste, murmelte der Bronzene selbstgefällig.

F'lessan schmunzelte und schlang den letzten Bissen des Brötchens hinunter. Vor Müdigkeit merkte er kaum, wie es schmeckte. Mit einem Schluck Wasser spülte er nach. Ständig fielen ihm die Augen zu. Hatte der Heiler etwa Fellis in seinen Trunk gemischt? Abermals nahm er einen tiefen Zug aus der Wasserflasche. Golanth stöhnte und legte seine Schnauze auf ein Vorderbein. F'lessan hob den Arm und tätschelte den Knochenwulst über dem rechten Auge. Dann schmiegte er sich gegen Golanths Schulter und schlief ein.

Harfnerhalle - 5:00 früh; und die Burg des Südens - 2:00 früh - 1.9.31

Im winterlichen Fort setzten F'nor und Idarolan Sebell von der bevorstehenden Gefahr in Kenntnis. Idarolan hatte Landkarten kopiert, die errechneten Wege der Tsunamis eingezeichnet und sie dem Meisterharfner überlassen. Im Interface-Büro stand das einzige automatische Kopiergerät, eines der vielen Wunderwerke der Technik, das sich als unglaublich nützlich erwies.

Von allen Seiten trafen ziemlich wild getrommelte Nachrichten ein. Im Westen herrschte noch Nacht, doch das panische Getrommel hatte die Leute geweckt, und in vielen Häusern brannte Licht. Von der Heilerhalle kam ein Bote angerannt. Meister Oldive ließ nachfragen, ob und wohin er Heiler losschicken sollte. Er bat um Einzelheiten dieser Katastrophe, damit er seine Gesellen und Gesellinnen für die verschiedenen Notfälle einteilen konnte.

»Habt ihr Zeit für einen kleinen Imbiss?«, erkundigte sich Sebell, nachdem er informiert worden war.

»Nein. Wir müssen zur Burg des Südens und Toric benachrichtigen«, erwiderte F'nor mit säuerlicher Miene.

»Er wird wissen wollen, wieso er nicht als Erster von dem Feuerball erfuhr«, meinte Sebell und schmunzelte verhalten.

»Ich wünschte, ich hätte das Gespräch mit ihm schon hinter mir«, gestand F'nor.

»Wahrscheinlich bedauert er jetzt, dass er heimlich so vielen Leuten erlaubt hat, an seiner Küste zu siedeln.« Sebell schnaubte verächtlich durch die Nase. »Jetzt kommt für ihn die Stunde der Wahrheit. Vermutlich wusste K'van längst über diese wilden Siedlungen Bescheid.«

»Wir sollten gleich aufbrechen. Er und Sintary erwarten uns am alten Weyr.«

»Wir müssen uns bemühen, Gerüchte durch Tatsachen zu widerlegen«, meinte Sebell.

F'nor beneidete ihn nicht um diese Aufgabe.

Idarolan grinste schief. »Vielleicht erfahrt ihr, welche Schauermärchen diese Rebellen verbreiten.«

»Aber ein Kometeneinschlag ist doch eine Naturkatastrophe, oder nicht?«, entgegnete F'nor.

»Die von der Yokohama beobachtet und dokumentiert wurde«, ergänzte Sebell.

»Splitter und Scherben«, wetterte Idarolan, »wir haben Glück, dass es wenigstens ein mechanisches Auge zur Himmelsüberwachung gibt.«

F'nor überlegte, ob sie ihren Besuch bei Toric zeitlich manipulieren sollten. Gewiss würden Torics Spitzel ihm zutragen, wann genau man in Landing den Feuerball als eine Bedrohung erkannt hatte. Doch während er noch das Für und Wider eines Zeitsprungs abwog, sagte Canth in seine Gedanken hinein:

Ramoth verbietet einen Zeitsprung. Wir wissen nicht, was wir heute noch alles unternehmen müssen.

Na schön, Canth. Ich füge mich.

Das ist auch das Beste so. Ramoth lässt nicht mit sich spaßen.

Eine neue Trommelbotschaft traf ein, und Sebell lief los, um sich darum zu kümmern. Sowie Idarolan sicher hinter F'nor auf Canths Rücken saß, vermittelte F'nor seinem Drachen einen lebhaften Eindruck von den schroffen Klippen der Burg des Südens - bei Nacht.

 

***

 

F'nor verlor ein wenig die Orientierung, als sie über der Burg des Südens auftauchten. Die Laternen von vier Schiffen, die im Hafen ankerten, und die Beleuchtung der Kaianlagen betonten das Friedvolle dieses nächtlichen Panoramas. Überall herrschte Ruhe, während in Landing das Chaos tobte. Die Atmosphäre von Burg Fort war wiederum geprägt von Aktivität gepaart mit erwartungsvoller Spannung. Geräuschlos und, wie F'nor hoffte, von drunten unbeobachtet, glitt Canth durch die immer noch warme Luft. Über die Festung hinwegstreichend, steuerten sie den ehemaligen Süd-Weyr an. Ihm fiel ein, dass jetzt auf der anderen Seite des Planeten, im Weyr der Monaco Bucht, der Ansturm der Monsterwellen stattfand. Es bedurfte der geballten Kräfte vieler Drachen und ihrer Reiter, um die Menschen dort vor dem Ertrinken zu retten.

Torics Land würde vergleichsweise milde davonkommen, obwohl der Burgherr gewiss anderer Meinung wäre. Idarolan ging davon aus, dass die Klippen, die Insel Ierne und die südliche Landspitze wie natürliche Wellenbrecher wirken und den Tsunamis einen Teil der Wucht nehmen würden. Dennoch mussten die Küstensiedlungen evakuiert und die Herdentiere von den niedrig gelegenen Weiden auf höheres Gelände getrieben werden. Aber Toric stellte sich gegenüber guten Ratschlägen gern taub. Damals, als sich der böse Orkan zusammenbraute, hatte er auch nicht auf die frühzeitigen Warnungen der Delfine gehört.

Als Canth in dem alten Weyr niederging, löste sich aus den Schatten der mit süßem Blütenduft übersättigten Nacht eine Gruppe Menschen. Es waren K'van mit seiner Weyr-Gefährtin Adrea, Meister Sintary und vier Geschwaderführer aus dem Süden. Fünf Paar blaugrüne Drachenaugen blitzten, als der Braune zur Begrüßung leise, gurrende Laute ausstieß und sich dann zu seinen Artgenossen gesellte. K'van verteilte Taschenlampen.

»Heute Nacht lässt sich keiner der beiden Monde blicken«, meinte der junge Weyr-Führer schmunzelnd. »R'mart wäre zu gern mitgekommen, doch wir konnten ihn davon überzeugen, dass ein Drachenreiter im Ruhestand keine Pflichten mehr zu übernehmen braucht.«

F'nor verneigte sich vor Adrea, nickte den anderen Bronzereitern zu und entledigte sich der dicken Reitmontur. Dankbar hielt er das Gesicht in die frische Brise, die über das Plateau fächelte.

»Ich habe meine eigene Lampe mitgebracht«, erklärte Sintary und richtete den hellen Strahl auf den ausgetretenen Pfad, der von dem Weyr zur Burg führte.

»Natürlich könnte Toric die Warnung einfach ignorieren«, sinnierte F'nor, als der kleine Trupp bergab stapfte.

Kurz vor der ersten Wegbiegung donnerte ihnen eine scharfe Stimme entgegen: »Halt! Wer da?«

»F'nor, Canths Reiter.« F'nor hob die Taschenlampe und beleuchtete damit sein Gesicht.

»K'van, Adrea, M'ling, N'bil, S'dra, H'dran«, rief der Weyr-Führer und ließ den Strahl seiner Lampe langsam über seine Gefährten wandern.

»Idarolan und Sintary«, antwortete der Harfner.

»Wir überbringen Lord Toric eine dringende Nachricht aus Landing«, erklärte F'nor.

»Es ist sehr wichtig«, bekräftige Idarolan und trat unverdrossen ein paar Schritte vor. »Du solltest uns unverzüglich zu Lord Toric führen.«

»Aber es ist mitten in der Nacht!«, protestierte der Wachmann.

»Seit wann treten Krisen nur tagsüber auf? Das Unglück kennt keine Stunde«, erwiderte Idarolan und rückte energisch auf den Wächter zu, bis dieser den Weg freigab.

»Du klingst wirklich wie Idarolan«, knurrte der überrumpelte Mann.

»Wenn du deinen Weyr-Führer nicht mal vom Ansehen kennst, kriegst du eine Menge Ärger«, schimpfte Sintary.

»Hier entlang, Meisterharfner, Weyr-Führer K'van. Folgt mir bitte nach.« Sie passierten den weitläufigen Vorhof, als der Wächter die nächste Bemerkung von sich gab. »Aber wecken müsst ihr ihn, nicht ich.«

F'nor war nicht der Einzige, der amüsiert in sich hineingluckste.

Zum Glück kam Ramala ihnen entgegen, und nicht der Burgherr. Mit hoch erhobenem Leuchtkorb nahm sie ihre nächtlichen Besucher in Augenschein.

»Schlechte Nachrichten?«, fragte sie und führte die Gäste in die Haupthalle.

»Ja. Aber andere, die nicht im Süden wohnen, werden noch härter getroffen«, erwiderte Idarolan. Jählings blieb Ramala stehen und musterte ihn mit einem besorgten Blick. »Sei so gut, Lady Ramala, und wecke deinen Gemahl«, fuhr Idarolan fort.

»Es ist wirklich das Beste, wenn ich ihn aufwecke«, pflichtete sie ihm bei und bedeutete ihren Besuchern, Platz zu nehmen, ehe sie einen weiteren Leuchtkorb öffnete.

Sie entfernte sich, und bald darauf hörte man in der Halle, wie Toric wortreich über die Störung schimpfte. Dann kam sie zurück, nickte der Gruppe zu und verkündete, sie würde frischen Klah holen. Derweil sollten die Gäste ruhig noch mehr Leuchtkörbe aufmachen.

»Oder möchte jemand Wein statt Klah?«, fragte sie im Gehen.

»Bring ruhig beides«, entgegnete F'nor unverblümt. Er fand, er könne ein Glas Wein vertragen. Das Frühstück, das er in Benden eingenommen hatte, war längst verdaut, und der karge Imbiss in Landing hatte seinen Hunger nicht gestillt.

Sintary und zwei Bronzereiter öffneten nur so viele Leuchtkörbe, dass der vordere Teil des Großen Saales erhellt war. Als alle Personen an einem Ende der langen Tafel saßen, hörte man das Scharren von Sandalen auf Stein. Idarolan kniff die Lippen zusammen, legte die Karten auf der Tischplatte aus und wappnete sich innerlich für einen Streit mit Toric.

Das Hemd offen, die Shorts bis unter den Bauchnabel gerutscht, schlurfte der Burgherr in die Halle. Seine ohnehin schon düstere Miene verfinsterte sich noch mehr, als er auf der Schwelle stehenblieb und seine Besucher erkannte.

»Splitter und Scherben, was ist denn hier los? Hier findet doch keine Ratsversammlung statt!«

»Ein Feuerball aus dem Kosmos stürzte ins Ostmeer«, erklärte F'nor ohne Umschweife.

»Vermutlich handelt es sich um das Bruchstück eines Kometen«, erläuterte Idarolan. »Und durch den Einschlag ins Wasser werden gewaltige Tsunamis erzeugt. Erinnerst du dich, was passierte, als Piemurs Vulkan ausbrach?«

Vor Verblüffung bekam Toric runde Augen. Seine Miene drückte tiefe Missbilligung aus.

»Teile deiner Küste werden von den Wellen überrollt. Die Tsunamis kommen aus zwei verschiedenen Richtungen, Ost und West, und es handelt sich nicht um einzelne Wogen, sondern um mehrere, die dicht aufeinander folgen«, fuhr Idarolan unbarmherzig fort. »Geselle Erragon und Meister Wansor haben sich mit diesem Phänomen ausgiebig beschäftigt und meine Berechnungen bestätigt. Genau in diesem Augenblick, während wir hier sitzen und miteinander reden, wird die Monaco Bucht überflutet.«

Adrea schnappte nach Luft, und S'dra und N'bil stießen zischend den Atem aus.

Toric glotzte den ehemaligen Meisterfischer an, ehe er sich K'van zuwandte. »Wieso seid ihr Drachenreiter nicht dabei, die Leute zu retten?« Mit fahrigen Bewegungen bemächtigte er sich einer Landkarte und stierte angestrengt darauf.

»Jeder Weyr hat Geschwader hingeschickt, die Rettungsmaßnahmen organisieren«, entgegnete F'nor. »Wir sind hier, um dir darzulegen, was in rund elf Stunden auf euch zukommt.«

Toric blinzelte verdattert.

»Sowie Adreas Königin die Anweisung gibt, schicke ich Reiter los, um die Küstenbewohner zu warnen«, erklärte K'van. »Wir wollten dich von den Aktionen des Weyrs in Kenntnis setzen. Ich komme gerade von der Krisensitzung in Landing.«

»Den hiesigen Hafenmeister benachrichtige ich am besten selbst«, erbot sich Idarolan. »Er soll veranlassen, dass die Schiffe unverzüglich aufs offene Meer segeln. Dort sind sie sicherer. Ein Tsunami türmt sich erst zu ganzer Größe auf, wenn er flache Gewässer erreicht.«

Ramala brachte ein Tablett voller Becher und Häppchen. Zwei ältere, verschlafen dreinschauende Frauen folgten ihr, eine mit einer großen Kanne Klah, die andere mit einem Weinschlauch. »Ehe ihr die Evakuierung in die Wege leitet, solltet ihr euch stärken«, schlug die Burgherrin vor.

F'nor gab ihr von Herzen Recht. Und es war gut zu wissen, dass Ramala auf ihrer Seite stand.

»Du hast tüchtige Leute, die dich unterstützen werden, Lord Toric«, sagte F'nor höflich. »Ich kann beruhigt nach Landing zurückkehren.«

»Was, du willst dich verdrücken? Dich soll doch der …« Wutentbrannt stürzte sich Toric auf F'nor.

Doch ehe der cholerische Burgherr handgreiflich werden konnte, warf sich Idarolan dazwischen. Mit einem wohlgezielten Faustschlag gegen Torics Schulter setzte er ihn außer Gefecht.

»Wenn du deine Küstensiedlungen retten willst, Lord Toric, musst du auf mich hören!«, donnerte Meister Idarolan in einer Lautstärke, die schon manchen Streit im Keim erstickt hatte, und auch Toric zur Besinnung brachte.

F'nor? erkundigte sich Canth fürsorglich.

F'nor sah, wie Sintary sich neben Idarolan stellte, derweil der einstmalige Meister der Fischerzunft Toric mit versteinerter Miene anblickte.

Der Großgrundbesitzer aus dem Süden schüttelte sich. Er zog die Lippen zurück, bleckte die Zähne und gab einen fauchenden Laut von sich. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und betrachtete die auf dem Tisch ausgebreiteten Karten von seinem Machtbereich.

Keine Bange, er verliert nicht noch einmal die Beherrschung, signalisierte F'nor seinem Drachen. Was für ein verbohrter Idiot er doch ist! Nicht nur er, auch die anderen anwesenden Drachenreiter schäumten vor Wut über Torics unmögliches Benehmen. Gemessenen Schrittes verließ er die Halle. Dem Ersten Ei sei Dank, dass Idarolan so resolut eingegriffen hatte.

Allmählich verrauchte sein Zorn. Betont langsam, um die Fassung wiederzugewinnen, ging er zu dem alten Süd-Weyr zurück. Auf ihn wartete viel Arbeit. Auch wenn er sich davor fürchtete, die überflutete Monaco Bucht zu sehen, dort wurde er gebraucht. Es kam darauf an, so weit in die Zeit zurückzureisen, dass man die schlimmsten Konsequenzen der Katastrophe abwenden konnte. Aber er vertraute auf seine Fähigkeiten. Schließlich hatte Lessa ihn einmal volle zehn Planetenumläufe in die Vergangenheit zurückgeschickt, um während dieser Epoche Weyrlinge auszubilden. Drachen vertrugen Zeitsprünge wesentlich besser als ihre Reiter. Er fragte sich, ob er es einrichten konnte, Brekke in Benden zu sehen. Wahrscheinlich war sie eifrig dabei, die Evakuierung der Küste von Benden zu leiten. Womöglich wäre sie sogar ärgerlich, wenn er sie beim Organisieren störte. Doch dieses zierliche Persönchen diente ihm als Vorbild, das ihm half, neue Kräfte zu mobilisieren, wenn er sich bereits am Rande eines Zusammenbruchs wähnte. Und nun brauchte er Kraft, um der fürchterlichen Realität standzuhalten. Allein der Gedanke, welche Schäden die Tsunamis in Monaco anrichten mochten, jagte ihm kalte Schauer über den Rücken.

Sie ist in Loscar. Doch dort ist der Meeresgrund so beschaffen, dass er der Küste einen gewissen Schutz bietet, erzählte Canth. Seine Augen funkelten in einem strahlenden Blau, als er aus der Dunkelheit auf ihn zutrat. Noch mehr glitzernde, wachsame Augenpaare durchstießen die Schwärze.

»Eure Reiter werden gleich hier sein«, sagte F'nor, um einen heiteren Tonfall bemüht. »Lord Toric brauste zuerst ein wenig auf, doch Idarolan konnte ihn bremsen.« Er schlüpfte in seine Jacke, setzte sich den Helm auf und kletterte auf Canths Rücken. Ehe sie aufbrachen, tätschelte er ihm liebevoll die Schulter.

Wohin fliegen wir?

Nach Landing, wohin denn sonst?

Unangenehme Dinge sollte man am besten zuerst erledigen, dachte F'nor, als sie ins Dazwischen abtauchten.

 

***

 

F'nors ärgste Befürchtungen wurden noch übertroffen. Tränen brannten in seinen Augen, und jeder Atemzug schmerzte. Canth war über Landing in den realen Raum eingetreten, sodass sich die endlos scheinende Wasserwüste direkt unter ihnen dehnte. Wo einst üppige Wälder gestanden hatten, glitzerte nun ein Ozean in der Nachmittagssonne. Die Monsterwellen waren bereits über Monaco hinweggebraust, hatten aber die Mündung des Jordan-Flusses noch nicht erreicht.

Unwillkürlich schlug F'nor die Hände vors Gesicht, doch die schier grenzenlose schimmernde Wasserfläche konnte er nicht ausblenden. Die auf die Tsunamis folgenden Seiche-Wellen versetzten das Meer in rhythmisch schaukelnde Bewegungen, die über die ehemals sichelförmige Bucht hinwegpendelten.

Die Überschwemmung geht vorbei. Das Wasser wird sich zurückziehen, versuchte Canth seinen Reiter zu trösten. Der Drache fühlte mit F'nor, teilte seinen Schmerz und seine tiefe Niedergeschlagenheit. F'nor ließ die Hände wieder sinken und spürte, wie der auffrischende Wind seine Tränen trocknete. Er rief sich Idarolans Karten ins Gedächtnis zurück, versuchte, sich an die eingezeichneten Pfade der einzelnen Tsunamis zu erinnern und hoffte, die Wellen seien nicht so weit ins Binnenland vorgedrungen wie befürchtet. Anlass zur Zuversicht gaben die vereinzelten grünen Inseln westlich von Kap Monaco, wo die Wipfel von Baumriesen über die Wasserödnis hinausragten. Weiter landeinwärts entdeckte er Hügelkuppen, die nun als Inseln im Wasser zu schweben schienen.

Ein mitleidiges Grollen löste sich aus Canths Bauch, und der Drache leitete eine Wende ein. Plötzlich tauchten überall am Himmel weitere Drachen auf, von denen jeder mindestens zwei Passagiere auf seinem Rücken trug. Er erkannte Ramoth, Mnementh und die anderen Königinnen von Benden, neun Bronzedrachen, zehn Braune und etliche Grüne. Über der kleinen Bucht, in die der Jordan-Fluss mündete, schienen sie nahezu reglos in der Luft zu verharren.

Nichts wie hin! forderte F'nor seinen Canth auf.

Sie kamen nicht mehr rechtzeitig an, um zu sehen, wie sich der Ozean gleich einer kolossalen, kopflosen, bleigrauen Bestie aufbäumte. Doch sie bemerkten den weißschäumenden, flockigen Mähnenkamm, der die gigantische Woge krönte. Dann donnerte die Welle unter Krachen und Tosen gegen das Kliff, hohe Fontänen über die Kante der massigen Basaltwand spritzend. Die nächste Riesenwoge rammte den steinernen Wall. Der Tsunami raste die Küste entlang, um die Felsen von Kap Kahrain anzugreifen.

Aus dem Augenwinkel sah F'nor, dass ein Teil der Woge anzuschwellen schien und sich zwischen die Basaltufer des Jordan-Flusses zwängte. Das Wasser schoss den Strom hinauf, ertränkte gurgelnd und schäumend die wuchtigen Felsen; doch das gierige Lecken nach den bewaldeten Höhenrücken blieb ohne Erfolg.

F'nor konnte wieder tief durchatmen, als er merkte, dass das Land zwar verwundbar war, aber trotz allem überleben würde.

Die anderen Drachen verschwanden so abrupt, wie sie aufgetaucht waren. Sie gingen ins Dazwischen. F'nor hatte genug gesehen. Er bat Canth, in Spiralen hinunter nach Landing zu fliegen. Arbeit war das beste Mittel, um auf andere Gedanken zu kommen.

Landing - am späten Nachmittag - 1.9.31

F'lessan spürte, wie jemand zaghaft seine Schulter berührte. Dann ein energischeres Rütteln. Ein dunkler Brummton rang sich aus Golanths Brust. Das Aroma von Klah kitzelte ihn in der Nase, und ein appetitlicher Bratenduft ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Er öffnete ein Auge und sah eine Gestalt vor sich knien, in den Händen einen dampfenden Becher und einen Teller mit mundgerecht zerteilten Häppchen. Sich gegen Golanth stemmend, richtete er sich auf. Fast wäre er wieder nach unten gesackt, weil sein rechter Arm eingeschlafen war.

»F'lessan? Trink das. Dein Körper braucht die Flüssigkeit.«

Das klang nach Tais Stimme. Er öffnete auch noch das andere Auge. Sie sah genauso mitgenommen aus, wie er sich fühlte. Ihr Gesicht war schmutzig und verhärmt, doch ihre Hände waren sauber. Geduldig hockte sie vor ihm und hielt ihm Essen und Trinken entgegen.

»Man ließ uns ausschlafen. Dafür bin ich dankbar.«

»Ich auch.« F'lessan gähnte, bis die Kiefer knackten und nahm Tai den Becher und den Teller ab.

Dann merkte er, dass die Luft diesig war. Die Sonne, die normalerweise von einem blanken Himmel auf Landing schien, drang nur noch als verschwommene gelbe Scheibe durch dichte Dunstschleier.

»Jemand hat gesagt, Staubwolken ziehen um den ganzen Globus«, erzählte Tai, als hätte sie seine Gedanken gelesen.

»Und was passiert im Augenblick?«, erkundigte sich F'lessan.

»Die Tsunamis toben weiter.«

»Wurde der Landsitz an der Meeresbucht zerstört?«, platzte F'lessan heraus. Die Vorstellung war ihm unerträglich.

»Oh nein«, beruhigte sie ihn lächelnd. »Dort wurde nur der Garten überschwemmt. Die Leute hatten fast vier Stunden Zeit, um das Wichtigste einzupacken, doch das Wasser erreichte nicht mal die Veranda des Meisterharfners.«

Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Er schloss die Augen und stellte sich den Landsitz an der Meeresbucht vor, wie er ihn zuletzt gesehen hatte. Gärten ließen sich neu anlegen. Er war froh, dass Meister Robintons Heimstatt diese Katastrophe relativ unbeschadet überstanden hatte. Tai machte indessen keinen besonders glücklichen Eindruck. Sie schwieg, ihr Blick ging ins Leere, und ihre Schultern sanken herunter. Das Lächeln erlosch, und sie wirkte irgendwie deprimiert. F'lessan nahm ihre Hand. Er glaubte zu wissen, was ihr noch mehr am Herzen lag als der Landsitz an der Meeresbucht.

»Und was ist mit dem Observatorium?«

»Es kam noch mal glimpflich davon. Die Kuppel ist wasserdicht. Kap Kahrain bremste die Wellen. Und bei den Klippen des Jordan-Flusses türmten sich ungeheure Wogen auf.« Mit einem Schauder dachte F'lessan an die Monsterwelle, die ihn um ein Haar erwischt hätte. »Es sollen viele Leute zugeschaut haben.«

»Das tut mir Leid, Tai. Von Monaco wird nicht viel übrig geblieben sein«, murmelte er und drückte mitfühlend ihre Hand.

»Es gab dort fünf Wellen«, erklärte sie in nüchternem Ton. »Sie kamen unmittelbar hintereinander und verwüsteten Monaco. Die Schiffsanleger mussten dran glauben, und sämtliche Hütten am Strand wurden weggeschwemmt. Aus der Bootswerft konnte man jedoch eine Menge an Handwerkszeug retten. Die Schiffe, die in den Docks lagen, wurden zu Kleinholz zerschmettert. Auf die Tsunamis folgten dann die Seiche-Wellen. Das sind periodische Niveauschwankungen des Wasserspiegels, sagt T'lion, die auftreten, nachdem sich die Tsunamis ausgetobt haben. T'lion ging hin und suchte nach der Delfinglocke. Der Pylon, an dem sie aufgehängt war, steht tatsächlich noch, er scheint aus einem unverwüstlichen Material zu sein. Aber Zewe, der Hafenmeister, hatte die Glocke vorsichtshalber abgenommen. T'lion bekam mit, wie Gadareth auf dem Wasser landete und die Delfine rief. Es war hoher Seegang, doch die Schulen kamen angeschwommen.« Nun kehrte ihr Lächeln zurück. »Kein Delfin kam zu Schaden, und die einzelnen Schulen haben versucht, die Menschen zu warnen.«

Tröstend streichelte F'lessan ihre Hand. »Ich weiß. Bei den orangeroten Klippen habe ich es selbst erlebt.« Er zögerte kurz. »Wie geht es Readis und seiner Delfinhalle?«

»Er hat noch mal Glück gehabt.« Sie grinste schief. »T'lion hat sich selbst davon überzeugt. Als es losging, befand sich Readis hoch droben auf den Klippen des Rubicon-Flusses.«

Ihm fiel nichts ein, was er sonst noch hätte sagen können. Er wusste, dass der Weyr der Monaco Bucht ein Opfer der Tsunamis geworden war. Vermutlich erstreckte sich dort eine Wasserwüste, auf der Splitter der hölzernen Landestege und abgerissene Äste von Sträuchern und Bäumen trieben. Die Wohnstatt, die ihr und Zaranth gehört hatte, gab es nicht mehr.

»Iss«, forderte F'lessan sie freundlich auf und hielt ihr einen Bissen Fleisch an die Lippen.

Sie nahm das Stück in den Mund und fing mechanisch an zu kauen. Ihm fiel auf, dass sie es vermied, ihn anzusehen. Er fragte sich nach dem Grund.

»Welche Neuigkeiten gibt es von den Küstensiedlungen? Konnten alle Bewohner in Sicherheit gebracht werden?«

Sie hörte auf zu kauen und blickte ihn mit gerunzelter Stirn an. »Nicht alle Leute glaubten, was die Drachenreiter sagten und …«

»Ich verstehe. Sie gingen zurück und versuchten, Sachen zu bergen, die sie für ungeheuer wichtig hielten«, ergänzte er. »Aber gegen so viel Dummheit kommen auch die Weyr nicht an.«

»Dabei hatte man sie schon an einen sicheren Platz befördert«, erzählte sie kopfschüttelnd.

»Uns Drachenreitern ergeht es manchmal wie den Delfinen. Deren Warnungen werden auch nicht immer beachtet.« Er ergriff ihre Hände und zog sie ein Stück näher an sich heran. »Tai, wie viele Zeitsprünge hast du heute unternommen?«

Sie blinzelte verwirrt. »Ich … ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, dass ich ständig ein Auge auf den näher kommenden Feuerball hielt. Alles ging so hektisch zu, dass ich nicht mitgezählt habe.«

Er massierte ihre vor Anspannung steifen Hände und gab sein Bestes, um das aufgebrachte Mädchen zu beruhigen.

»Wir alle haben getan, was wir konnten. Ich schätze, dass im Augenblick mehrere Hundert völlig erschöpfte Drachen hier lagern, zusammen mit ihren Reitern. Mehr konnte man nicht bewerkstelligen, beim besten Willen nicht.« Er dachte an seinen Sohn, noch nicht einmal fünfzehn Planetenumläufe alt, der seinen längsten Ritt durch das Dazwischen gewagt hatte, um hier Essen und Trinken zu verteilen. »Wir haben doch keinen Drachen verloren, oder?« Nein, andernfalls hätte er es gewusst. Drachen stimmten ein fürchterliches Wehklagen an, wenn einer der ihren starb.

Sie schüttelte den Kopf. Er führt fort, ihre Hände zu streicheln, während er seinen Blick über die ruhenden Drachen schweifte. Die meisten stammten aus dem Monaco-Weyr, doch er erkannte auch ein paar von Telgar und dem Hochland.

»Was erwarten die Leute denn noch von uns?«

»Der Feuerball stürzte ins Meer und verursachte Riesenwellen«, seufzte sie resigniert. Zaranth gab ein mitfühlendes Brummen von sich.

F'lessan zog die entmutigte grüne Reiterin in seine Arme. Ihre Haut fühlte sich kalt an. Er griff nach einem der Raubtierpelze, die vor Zaranths Pranken auf dem Boden lagen.

»Beim Ersten Ei, wie hätten die Drachen den Feuerball oder die Tsunamis aufhalten können?«, fragte er erbittert. »Wir haben unsere letzten Kräfte verausgabt, um ein noch größeres Unglück zu verhindern.« Er lehnte sich wieder gegen Golanths Schulter und sorgte dafür, dass Tai es so bequem hatte wie möglich. In Golanths Bauch rumpelte es leise, ein Ausdruck der Zufriedenheit, und Zaranth schob ihre Schnauze vor, um Tais Arm kurz mit der Zunge ablecken zu können. F'lessan spürte die wohligen Vibrationen, die von den beiden Drachen ausgingen und ihm ein Gefühl der Sicherheit vermittelten. Tai lag reglos an seiner Brust, und allmählich beruhigten sich ihre Atemzüge.

»Warte nur ab, Tai. Wir werden noch berühmter als Moreta mit ihrem legendären Ritt durch die Zeit. Dieses Mal waren Tausende von Drachenreitern dabei.«

Von den Zeitsprüngen dürfen wir niemandem etwas verraten, F'lessan, hörte er Golanth in seinen Gedanken.

»Von den Zeitsprüngen dürfen wir niemandem etwas verraten, F'lessan«, murmelte Tai gleichzeitig.

»Dann muss dieses Wunder also vertuscht werden«, meinte F'lessan ärgerlich. Was war schon dabei, wenn die Hälfte der Perneser Bevölkerung erfuhr, dass die Drachen nicht nur durch ein räumliches, sondern auch durch ein zeitliches Dazwischen reisen konnten? Doch vorerst hatte er von Zeitmanipulationen genug. Während der letzten Stunden, die ihm vorkamen wie Tage, war er für seinen Geschmack viel zu häufig durch die Zeit gesprungen, immer mit diesem verflixten Feuerball am Himmel.

Tai hatte ihre Müdigkeit überwunden und setzte sich aufrecht hin.

»Hast du die Pelze gerettet?« Sie deutete auf eines der gefleckten Felle.

»Ich? Nein. Sind das die Pelze, die du den Katzen in Cardiff abgezogen hast? Wunderschöne Muster.«

»Wie kamen sie hierher?«

Tai riss die Augen auf, ihre Kinnlade sackte nach unten und sie starrte Zaranth an. Der grüne Drache wirkte äußerst nervös und wandte den Kopf ab.

Zaranth hat Tai erzählt, sie wollte die Pelze unbedingt retten, aber die Zeit hätte nicht gereicht, teilte Golanth F'lessan verstohlen mit.

»Was soll das heißen?«, wunderte sich F'lessan und fasste Tai scharf ins Auge. Doch die grüne Reiterin setzte eine unergründliche Miene auf und verriet nichts.

Zur gleichen Zeit in der Druckerhalle von Keroon - Ortszeit 11:15 - 1.9.31

»Sir, Meisterdrucker, Sir«, piepste eine unsichere junge Stimme neben Tagetarls Ellbogen.

»Einen Moment noch.« Ungeduldig hielt Tagetarl die Hand hoch, damit er auch noch die letzte Trommelbotschaft mitbekam. Er wollte nichts Wichtiges verpassen, obwohl es sich meistens um Anfragen handelte; die Absender der Nachrichten erbaten umgehend Informationen. Telgar und Lemos hatten bestätigt, dass ein Feuerball am Himmel gesichtet wurde. Die Trommeln von Benden verkündeten, ein flammendes Geschoss aus dem Weltall sei soeben ins Ostmeer gestürzt.

Nachdem Tagetarl in aller Frühe aus dem Bett geholt wurde, ging er in sein Büro und stöberte Rat suchend in seinen Landkarten. Das Ostmeer lag von Keroon weit entfernt, doch man konnte nie wissen, was sich noch alles ergeben würde. Er ging in die Küche und brühte frischen Klah auf, denn eine innere Stimme verriet ihm, dass er die Stärkung noch brauchen würde.

Als wenige Stunden später die Schockwelle über die Weite Bucht hinwegdonnerte, verkündete er munter, dies sei ein vollkommen natürliches Phänomen. Die meisten Menschen glaubten, was die Harfner erzählten, aber es gab auch Zweifler. Seine Gemahlin Rosheen zum Beispiel streifte ihn mit einem höchst skeptischen Blick.

Die an die Festung Keroon getrommelten Botschaften informierten ihn und alle anderen, die den Trommelcode beherrschten, dass die Lage ›unter Kontrolle‹ sei. Ein chiffrierter Zusatz, den nur ein Harfner zu interpretieren wusste, enthielt eine dringende Aufforderung an Lord Kashman, sich unverzüglich nach Landing zu begeben.

Es wurde nicht näher erläutert, was es hieß, die Lage sei ›unter Kontrolle‹. Tagetarls Druckerhalle war in einem alten, umgebauten Lagerhaus im Norden der Weiten Bucht untergebracht. Er hatte einen unverstellten Blick über den gesamten Hafen, konnte indessen nicht erkennen, ob ein Drache von der Burg abgeflogen war. Ihm fiel die hektische Betriebsamkeit an den Kais auf, als man Güter, die für den baldigen Transport bestimmt waren, hastig in die Lagerschuppen zurückverfrachtete. Und die Boote, die die Ladung aufnehmen sollten, hissten umgehend die Segel.

Die Wellen, die klatschend gegen die Kaimauern schlugen, schienen einem neuen, eigenartigen Rhythmus zu folgen, als pulsiere in ihnen eine ungute, bedrohliche Spannung. Der Wind wechselte ständig die Richtung, und heftige Böen fegten über die Bucht. Immer wieder unterbrach Tagetarl seine Arbeit, um sich ans Fenster zu stellen und die Vorgänge da draußen zu beobachten. Die Boote stachen in See, kreuzten durch die Bucht und versuchten offensichtlich, so schnell wie möglich offene Gewässer zu erreichen, weil sie dort sicherer waren.

Ein scharrendes Geräusch erinnerte ihn daran, dass ihn jemand sprechen wollte.

»Entschuldigung …« Er stutzte. Er hatte damit gerechnet, einen Buben zu sehen, doch vor ihm stand ein junges Mädchen. Noch immer kam es ihm ungewöhnlich vor, dass auch Mädel grüne Drachen ritten. Das Mädchen wirkte linkisch und stolz zugleich. Diese Mischung erlebte er mitunter bei Schülern der Harfnerhalle, wenn sie ein kompliziertes Musikstück mit Bravour bewältigt hatten. In einer Faust zerknüllte sie den ledernen Flughelm, mit der anderen Hand hielt sie ihm ein schmales Päckchen entgegen. Sie trug die Farben des Monaco-Weyrs, und ein grüner Knoten, der sie als Weyrling kennzeichnete, zierte ihre Jacke. »Entschuldigung, Drachenreiterin. Wie sieht es aus in Monaco?«

»Ziemlich nass«, stotterte sie. »Meister Tagetarl, das soll ich für dich abgeben. Es ist sehr dringend, du möchtest dich bitte sofort darum kümmern. Ich habe den Auftrag, hier zu warten.«

»Befehl ist Befehl, nicht wahr?« Meister Tagetarl lächelte nachsichtig. Er schätzte das Mädchen auf höchstens sechzehn Planetenumläufe, und vielleicht war dies ihre erste längere Reise auf ihrem Drachen. Sie sah erschöpft aus. Aber die Mitteilung von Monaco trug sicherlich dazu bei, die Situation zu klären. Möglicherweise erfuhr er auch den Grund, weshalb man Lord Kashman nach Landing beordert hatte.

»Gewiss, Sir. Wo darf ich mich aufhalten, bis du neue Anweisungen für mich hast?«

»Setz dich hin, bevor du mir noch umkippst, Mädchen!« Tagetarl zeigte auf einen Stuhl, ehe er das Päckchen öffnete. »Die Nachricht ist von F'lar?« staunte er, als er die Handschrift erkannte. Das wirre Gekritzel des Bronzereiters war ihm seit jeher ein Ärgernis gewesen, obwohl er sich in diesem Fall sichtlich bemüht hatte, leserlich zu schreiben.

Tag, du musst sofort eine wichtige Nachricht drucken. Sie soll im Binnenland verteilt werde, wo die Patrouillenreiter noch niemanden warnen konnten. Für die Verbreitung der Botschaft sind Kuriere einzusetzen. Der Überbringerin dieses Schreibens gibst du einhundert Kopien mit, sie sind für Nerat bestimmt. Der Stationsmeister von Keroon soll weitere einhundert in Umlauf setzen. Der Rest wird von Reitern abgeholt. Beeil dich! Der letzte Satz war dreimal unterstrichen.

Der Anflug von Ärger, den Tagetarl in Anbetracht des diktatorischen Tonfalls empfand, verrauchte, sowie er die zu druckende Nachricht durchlas. Diese war in einer anderen, viel leichter zu entziffernden Handschrift verfasst.

»Rosheen! Schalte die große Druckerpresse ein!«, brüllte er durch den Flur. Er hörte, wie sie »Was?« zurückrief, und fuhr fort, Anweisungen zu erteilen, mit einem Organ, das drinnen wie draußen zu vernehmen war. »Lehrlinge! Ich brauche einen Packen großer Blätter. Prüft die Toner-Kartuschen!« Er wandte sich an die grüne Reiterin. »Wo ist dein Drache?«

»Path ist im Hof gelandet. F'lar nannte mir die beste Stelle. Ich wurde als Botin ausgesucht, weil mein Drache ziemlich klein ist. Die Druckerhalle war unschwer zu finden, sobald ich erst die Weite Bucht erreicht hatte. Ich heiße Danegga«, fügte sie in einem Nachsatz hinzu.

»Du siehst müde aus, Danegga, und vielleicht möchtest du eine warme Mahlzeit. Im Dazwischen ist es sehr kalt.« Er lächelte ihr aufmunternd zu. »Ist das dein erster Auftrag außerhalb von Monaco? Gut gemacht. Wie sieht es denn bei dir zu Hause aus? Ist ein großer Schaden entstanden?«

Ihr Gesicht verzog sich weinerlich und Tränen traten in ihre Augen. Doch dann straffte sie entschlossen die Schultern. »Man sagt, das Wasser würde sich wieder zurückziehen. Wir bauen den Weyr und alles, was zu Bruch gegangen ist, wieder auf, Meisterdrucker. Hauptsache, wir konnten die Menschen in Sicherheit bringen und eine ganze Menge wichtiger Gegenstände.«

»Ihr wart alle sehr tüchtig, Danegga. Und nun lauf in die Küche hinunter - folge einfach dem köstlichen Duft. Auf dem Herd steht immer ein Topf mit Suppe, und heute früh wurde frisches Brot gebacken. Ruh dich aus, derweil ich die Handzettel drucke. Monaco soll allen Grund haben, stolz auf dich zu sein.«

»Danke, Herr, habt vielen Dank.« Sie drehte sich um und wäre um ein Haar mit Rosheen zusammengeprallt, die ins Zimmer stürmte. Nach einer hastig gemurmelten Entschuldigung entfernte sich die junge Drachenreiterin.

Tagetarl fuchtelte mit F'lars Botschaft vor Rosheens Gesicht herum. Er gab ihr nicht mal Zeit, den Text zu lesen.

»Wir machen uns sofort an die Arbeit. Die Überschrift in den größten Lettern, die uns zur Verfügung stehen«, erklärte er, während er sie den Gang hinunter in die Halle mit den Druckerpressen bugsierte.

»VOM HIMMEL GESTÜRZTER FEUERBALL VERURSACHT ÜBERSCHWEMMUNGEN AN DER KÜSTE!«, zitierte er. Jetzt bekam er wenigstens die Gelegenheit, die neue 26-Punkt-Schrift auszuprobieren.

Rosheen riss ihm das Blatt aus der Hand.

»Also deshalb verlassen die Schiffe den Hafen. Ein Feuerball? Was soll ich darunter verstehen? Aha, der Text erklärt es, jetzt weiß ich Bescheid. Und Meister Esselin hat diesen Wisch ebenfalls unterschrieben?«

Vor Überraschung stolperte sie, und Tagetarl konnte sich ein Schmunzeln nicht verbeißen. Beide hatten unter dem kritischen Auge des Meisters ihr Handwerk gelernt.

»Das gibt dem Ganzen einen offizielleren Anstrich«, meinte Tagetarl. »Lehrlinge, angetreten! Wir müssen die Blätter zu Packen von je einhundert Stück zusammenfassen!«

»Kam dieses junge Mädchen nicht von Monaco?«, erkundigte sich Rosheen, als sie sich der Druckerhalle näherten.

»Richtig. Aber das spielt jetzt keine Rolle. Wir müssen diesen Auftrag so schnell wie möglich erledigen. Die Gerüchte werden sich noch rascher verbreiten als die Handzettel, aber wenn die Kuriere die Nachricht unters Volk bringen, sind die Leute vielleicht eher geneigt, an die Ernsthaftigkeit der Warnung zu glauben.«

 

***

 

Für eine so eilige Arbeit war das Ergebnis nicht schlecht. Der neue Toner trocknete schnell, sodass die Schrift nicht verschmierte. Den ersten Packen Zettel gab er Danegga. Sowie sie aufgebrochen war, würde er selbst auf den Hügel laufen und den zweiten Schwung abliefern. Über die Schulter blickend sah er, wie sich Path in die Luft erhob und nach Erreichen des geringstmöglichen Sicherheitsabstands vom Boden ins Dazwischen tauchte.

Er brauchte nicht lange, um die Kurierstation der Weiten Bucht zu erreichen, die direkt an der Hauptstraße lag. In der Tür blieb er stehen, denn drinnen wimmelte es von Menschen, und nur die wenigsten waren gekleidet wie Kuriere. Wenn ein interessantes Ereignis in der Luft lag, waren Kurierstationen der ideale Ort, um neueste Nachrichten aufzuschnappen.

»Stationsmeister!« Tagetarl hob die Stimme, mit seinem dröhnenden Organ mühelos das Stimmengewirr übertönend. Arminet, der von Gästen eingekeilt im Raum stand, erhob sich auf die Zehenspitzen, um sich bemerkbar zu machen.

»Lasst den Meisterdrucker eintreten. Er ist genau der Mann, von dem ihr exakte Auskünfte bekommt«, rief Arminet mit seinem gleichermaßen volltönenden Bass zurück.

Die Leute rückten zur Seite, um für Tagetarl Platz zu schaffen, und sofort bestürmte man ihn mit Fragen. »Was ist das für ein Feuerball? Hast du eine Ahnung, was damit gemeint ist?«

Tagetarl wedelte mit dem Päckchen Handzettel. »Hier steht alles geschrieben.« Er stutzte, als er Pinch gewahrte, der sich davonstahl. Dieser Bursche war immer mitten im Geschehen. »Stationsmeister Arminet, die Unterzeichner dieses Textes bitten darum, dass Kuriere die Blätter im Binnenland verteilen. Patrouillenreiter warnen die Küstensiedlungen. Die Kuriere erhalten jeden Lohn, der dir angemessen erscheint.«

»Ha! Du weißt doch, dass Nachrichten, die alle angehen, kostenlos befördert werden«, grollte Arminets Bass. »Worum geht es?«

Tagetarl zitierte den Text, derweil er sich durch die Menge pflügte, um Arminet den Packen Zettel zu überreichen. Der Stationsmeister wurde von Gästen belagert, die ihre eigene Kopie haben wollten.

»Dann hat das Akki eine Katastrophe verhindert?«, fragte jemand. Tagetarl glaubte, Pinchs Stimme zu erkennen.

»So ist es. Haben die Traditionalisten etwas dazu zu sagen?«, entgegnete Tagetarl in provozierendem Ton, die Fäuste auf den Gürtel gestemmt.

»Und ob!«, versetzte ein Kerl. »Sie glauben, dass das Akki für das Unheil verantwortlich ist, weil es mit Hilfe der Drachenreiter an der Bahn des Roten Sterns herumpfuschte. Von Telgar aus konnte man alles beobachten!«

»Von Benden auch!«, mischte sich eine Frauenstimme ein.

»Benden und Landing haben zum Wohle der Allgemeinheit gehandelt!«, gab Tagetarl aufgebracht zurück. »Sie haben für die Bewohner Perns mehr getan als jeder Traditionalist. Später werde ich euch über diesen Feuerball und seine Auswirkungen mehr erzählen können. Ich gebe sämtliche Neuigkeiten weiter, sowie ich sie erfahre. Doch zuerst möchte ich, dass die Zettel verteilt werden.«

»Kein Problem, dafür sorge ich«, donnerte Arminet durch das aufgeregte Stimmengewirr.

Pinch folgte Tagetarl nicht nach draußen, doch vermutlich würde er zu den Ersten gehören, die die Nachrichten verbreiteten. Man musste schnell handeln, um schädlichen Gerüchten zuvorzukommen.

Als Tagetarl in die Druckerhalle zurückkehrte, warteten dort zu seiner Verblüffung ein große Anzahl Personen, die alle ein Exemplar des gedruckten Textes verlangten. Rosheen und zwei Lehrlinge verteilten emsig die Blätter. Doch Tagetarl sah auch ein paar Leute, die an den Regalen herumlungerten, auf denen er noch zu redigierende Abzüge aufbewahrte. Für seinen Geschmack waren diese Besucher viel zu neugierig, und in der Druckerhalle selbst hatten sie nichts zu suchen.

»He, ihr da, kommt bitte wieder hierher und wartet, bis ihr an der Reihe seid!«, pfiff er die ungebetenen Gäste zurück. »Unbefugten ist der Zutritt zur Halle verboten.« Er achtete darauf, dass sein Befehl befolgt wurde und überlegte, ob es sich lohnte, weitere Handzettel zu produzieren. Sollten die Leute sich ruhig an das gedruckte Wort gewöhnen, dann wären sie eines Tages vielleicht so weit, sich die Bücher und Broschüren zu kaufen, die sich in seinen Lagerräumen stapelten.

Später, an einem ungewöhnlich hellen Abend in Landing, bei den orangeroten Klippen und in Honshu - 1.9.31

F'lessan und Tai hatten ihren Imbiss beendet, als es hieß, die Drachenreiter müssten die Notvorräte befördern. Jeder Reiter sollte an den Ort zurückkehren, an dem er bei den Rettungsarbeiten geholfen hatte, und nachfragen, ob Verletzte in die Heilerhalle von Landing gebracht werden müssten.

Meister Oldive hatte Heiler ausgeschickt, um die ortsansässigen Mediziner zu unterstützen. Die Reiter würden sie mit Nachschub an Verbandsmaterial, Taubkraut, Fellis und stärkenden Elixieren versorgen. Falls erforderlich, sollten die Drachenreiter über Nacht bleiben, damit sie in einem Notfall unverzüglich eingreifen konnten.

»Was könnte denn jetzt noch passieren?«, fragte F'lessan.

Tai hob die Schultern. »Man weiß nie, was sich noch ergibt. Ich glaube, ich werde zum Übernachten hierher zurückkommen. Von meinem Weyr ist nichts mehr übriggeblieben.«

Sie und ein paar weitere Reiter hatten sich ein Herz gefasst und die völlig überflutete Monaco Bucht aus der Luft besichtigt.

»Du kannst nach Honshu kommen«, schlug er vor. Ehe sie ablehnen konnte, lud er auch C'reel und St'ven, die in der Nähe lagerten, zu sich ein. »Wart ihr schon mal in Honshu?«, fragte er die braunen Reiter.

»Ganz in der Nähe ging ich ein paarmal auf die Jagd«, erwiderte C'reel, der sich über die Einladung sichtlich freute.

»Dort gibt es Platz genug«, erklärte F'lessan. »Aber bezüglich der Lebensmittelvorräte bin ich mir nicht so sicher. Bringt euch Proviant mit. Eure Drachen können sich nach Herzenslust auf den Klippen ausbreiten.«

»Wie viele Drachen könntest du unterbringen?«, erkundigte sich Tai.

»Nun ja, nicht den ganzen Monaco-Weyr, aber zwei, drei Geschwader mitsamt den Weyr-Leuten, die sie zu ihrer Unterstützung brauchen.« Als Tai sich anschickte, die Nachricht weiterzugeben, fügte er rasch hinzu: »Aber sag den Leuten, sie sollen sich mit Decken ausrüsten, denn Honshu liegt ziemlich hoch, und die Nächte sind manchmal sehr kalt.«

Zusammen mit C'reel packten sie Tais Sachen auf Zaranths Rücken.

»Alle sind dir sehr dankbar«, verkündete sie, als sie zurückkam. »T'gellan und Mirrim müssen wohl hier in Landing bleiben, und ein paar Reiter haben versprochen, den Weyr-Leuten droben in den Hügeln zu helfen. Dein Angebot kommt wie gerufen, F'lessan, denn Landing ist hoffnungslos überfüllt.«

»Man könnte immer noch in die Catherine-Höhlen ausweichen«, frotzelte F'lessan.

»Für die Drachen sind sie zu klein«, griff C'reel das gutmütige Geplänkel auf.

»Macht Platz, wenn ihr mit Beladen fertig seid!«, schrie ihnen jemand zu.

Sie entfernten sich, damit andere Reiter mit ihren Drachen nachrücken konnten.

»Warst du schon mal in Honshu?«, fragte F'lessan Tai.

»Einmal wurde ich dorthin mitgenommen. Oh, gerade erzählt mir Zaranth, Golanth würde dafür sorgen, dass sie sich an der richtigen Landmarke orientiert. Bis später dann!«

Zaranth fiel in einen leichten Trab, bis sie einen freien Platz erreichte, an dem sie mit einem gewaltigen Satz in die Höhe springen konnte.

Sag ihr, ich wünsche ihr einen guten Flug, Golanth. F'lessan fühlte sich für Tai verantwortlich.

Um Zaranth und ihre Reiterin braucht dir nicht bange zu sein. Und je eher wir aufbrechen, umso früher sind wir in Honshu. Dort ist es wunderbar ruhig, erwiderte Golanth, und F'lessan kam nicht umhin, ihm Recht zu geben.

St'ven und C'reel schwangen sich auf ihre voll bepackten Drachen. F'lessan fragte sich, ob sie genauso unbequem saßen wie er, umgeben von Bündeln und Säcken, deren sperriger Inhalt in seine Waden drückte. Er zurrte den Kinnriemen seines Flughelms fest, sah nach, ob die Reitjacke geschlossen war und gab seinen Gefährten das Zeichen zum Aufbruch.

Diese flachen Absprünge dürfen uns nicht zur Gewohnheit werden, braune Reiter, warnte er, während er wartete, bis alle an Höhe gewonnen hatten. Dann wies er mit ausgestrecktem Arm nach Süden, wo ihr Bestimmungsort lag. Kennt jeder den genauen Zielpunkt?

Reiter und Drachen bestätigten es.

Auf geht's!

 

***

 

F'lessan und die anderen Reiter waren schockiert, als sie über einer beinahe unnatürlich ruhigen Wasserfläche auftauchten, unter der die Siedlung bei den orangeroten Klippen verschwunden war. Wo einst ein blühendes Gemeinwesen seine alltäglichen Aktivitäten entfaltete, kräuselte sich nun die sanfte Dünung des Ozeans. Auch die Drachen gaben erschrockene Rufe von sich.

Es war, als hätten niemals Menschen hier gesiedelt. Wo früher die Wellen an weißen Stränden und grasbewachsenen Dünen ausgerollt waren, leckten sie nun träge an der Steilwand aus Granit. In einer Spalte im Kliff, dem ehemaligen Flussbett, gurgelte schlammiges Wasser.

Das angeschwemmte Treibgut, das sich stellenweise hoch auftürmte, ließ erkennen, wie weit ins Binnenland die Tsunamis gerauscht waren. Erst wenn der Wasserstand gesunken war, konnte man die angerichteten Schäden korrekt abschätzen. Riesige Baumstämme, die nur von den küstennahen Inseln stammen konnten, schaukelten gemächlich auf den Wogen. Die meisten dieser Eilande waren so zerklüftet, dass sie zum Besiedeln nicht taugten, doch sie waren dicht bestanden mit Obstbäumen und wertvollen Edelhölzern.

Mealth hat Rauch gesichtet, meldete Golanth seinem Reiter und drehte den Kopf in die entsprechende Richtung.

F'lessan stieß den Atem aus. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er ihn angehalten hatte. Keinen Moment lang zweifelte er daran, dass Lady Medda die schwierige Situation, in der sich ihre Leute befanden, zu ihrer vollen Zufriedenheit meistern würde.

Nachdenklich richtete er den Blick in die Ferne. Am Himmel glänzte immer noch ein eigentümliches Licht, eine sonderbare Lumineszenz, die vielleicht von dem Kometenfragment herrührte. Er nahm sich vor, in seinen alten Aufzeichnungen über Astronomie zu stöbern, und er war sich sicher, dass er nicht der Einzige bleiben würde, der sich nun vermehrt für Himmelsphänomene interessierte.

Lass uns nachschauen, wo das Feuer ist.

Am Waldrand schwenkt jemand eine Fahne, berichtete Golanth und nahm Kurs auf die Stelle.

F'lessan verwünschte sich, weil er sein Fernglas in Benden gelassen hatte. Doch mit bloßem Auge sah er ein paar Gestalten, die sich die Hemden ausgezogen hatten und damit winkten.

Sie ist da! erzählte Golanth, und unwillkürlich hielt F'lessan Ausschau nach einem grünen Drachen mitsamt Reiterin. Die alte Frau. Sie sitzt in ihrem Schaukelstuhl.

Die Matriarchin wirkte wie aus dem Ei gepellt. Adrett gekleidet, das Haar ordentlich geflochten, wiegte sie sich gelassen in ihrem Stuhl. Abrupt hielt sie mit Schaukeln inne, als sie drei Drachen am Himmel erspähte. Begeisterte Jubelrufe begleiteten die Landung. Die Leute schickten sich an, auf die Drachen zuzurennen, doch Binness schnauzte ein Kommando, und jeder nahm seine unterbrochene Tätigkeit wieder auf.

In einem Steinkreis flackerte ein munteres Feuer, über dem zwei große Kessel hingen. Aus einem kräuselte sich dichter Dampf. Am Saum des Waldes waren ein paar Männer dabei, ein Herdentier abzuhäuten. Man hatte Früchte gesammelt, und unter Ölzeug lagerte Brennholz.

Binness, die Arme an den Stellen verbunden, wo Golanths Krallen ihn erwischt hatten, kam ihnen entgegen. Er humpelte ein wenig. Er ging immer noch barfuß, und trat auf dem rauen Boden vorsichtig auf.

»Ich hatte nicht mit eurem Besuch gerechnet, Drachenreiter«, sagte Lady Medda.

»Dachtest du, wir wollten nicht wissen, wie es euch nach eurer Rettung ergangen ist, Lady Medda?«, erwiderte F'lessan schmunzelnd.

Binness zuckte die Achseln. »Normalerweise sehen wir Drachenreiter nur, wenn es Fäden regnet, aber ihr habt uns heute vor einem viel schlimmeren Los bewahrt. Und ihr habt drei Boote in Sicherheit gebracht.« Mit ernstem Gesicht deutete er auf die Dorys, die man umgekippt und mit Ästen abgestützt hatte, damit sie schlafenden Kindern als Unterstand dienten.

»Landing schickt euch Trinkwasser, Brot, Klah, Leuchtkörbe, Taschenlampen, Medikamente und Segeltuch für Zelte«, zählte F'lessan fröhlich auf.

»Die Nächte sind noch ziemlich mild«, entgegnete Binness und legte den Kopf in den Nacken.

»Ich glaube, es sind auch ein paar Weinschläuche dabei«, flocht St'ven ein. »Jemand dachte wohl, sie kämen gelegen.«

»Habe ich etwas von Wein gehört, Binness?«, rief Lady Medda.

»Eure Matriarchin ist eine wunderbare alte Dame«, meinte F'lessan aufrichtig.

»Bring den Drachenreiter und den Wein hierher, Binness. Wir können nur Kräutertees brühen, aber die Rezepte stammen von mir. Sie regen die Lebensgeister in Mensch und Tier an. Ein Schuss Wein verstärkt die wohltuende Wirkung.«

»Gibt es Kranke oder Verletzte?«, erkundigte sich F'lessan bei Binness, nachdem er von Golanth herabgestiegen war und einen Weinschlauch aus einem Beutel gezogen hatte.

»Den meisten Leuten steckt der Schrecken noch in den Gliedern, ansonsten sind sie wohlauf. Verrätst du mir deinen Namen, Drachenreiter? Als ich zwischen der Monsterwelle und den Klippen steckte, hatte ich mit meinem Leben abgeschlossen.«

»Ich bin F'lessan, Geschwaderführer in Benden, und mein Drache heißt Golanth.«

Sie erreichten die alte Dame in ihrem Schaukelstuhl, der auf einem abgewetzten Stück Teppich stand. Ihre geschwollenen Füße stützte Lady Medda auf einer Fußbank ab. F'lessan verbeugte sich respektvoll vor der Matriarchin.

»Lady Medda!«

»Ich bin keine Lady!«, widersprach sie ihm energisch, schenkte ihm jedoch gleichzeitig ein kokettes Lächeln. »Obschon manch ein fescher Drachenreiter mein Bett wärmte, als ich noch jung war.«

»Mutter!« Binness war schockiert. »So spricht man doch nicht mit dem Mann, der uns gerettet hat.«

Die alte Dame kniff die Augen zusammen. »Ich habe gesehen, wie er dich im allerletzten Moment aus der Klemme holte, Binness. Ein so tolldreistes Bravourstück habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Dafür danke ich dir noch einmal, Drachenreiter. Binness ist mein ältester Sohn.« Mit einer Handbewegung bedeutete sie Binness, er möge gehen. »Wie stehen die Dinge in Monaco? Das Land dort ist sehr flach.« Dann rief sie: »Jemand soll unseren Gästen Wein kredenzen. Aber ein bisschen flott, wenn ich bitten darf!«

»Monaco steht unter Wasser«, erwiderte F'lessan. Den Becher, den ein Mädchen ihm entgegenhielt, lehnte er ab. »Wir können nicht bleiben. Ich soll euch fragen, was ihr braucht, um eure Siedlung neu aufzubauen.«

»Ach!« Lady Medda winkte ab. »Zuerst müssen wir sehen, was uns geblieben ist. Steine zum Wiederaufbau gibt es hier in Hülle und Fülle. Außerdem habt ihr drei Dorys gerettet. Mehr brauchen wir nicht.«

F'lessan verneigte sich ein zweites Mal.

»Wir kommen bald zurück«, versprach C'reel. Und St'ven nickte bestätigend.

»Und du, junger F'lessan?«, fragte Lady Medda, während sie mit ihrem Stock auf den Bronzereiter zeigte und ihren Schaukelstuhl in wilde Bewegungen versetzte. »Kommst du mich auch besuchen?«

»Um nichts in der Welt würde ich mir entgehen lassen, dich wiederzusehen, werte Dame«, erwiderte er galant. Als er sich auf Golanth schwang, hörte er Lady Medda lachen. Es war ein vergnügtes, ausgelassenes Lachen, und nicht das meckernde Kichern einer alten Frau. Nachdem er allen zum Abschied zugewinkt hatte, gab er Golanth den Befehl zum Aufbruch. Aber gesittet, wie es sich gehört, und nicht wieder über die Klippen in die Tiefe stürzen, fügte er mahnend hinzu.

 

***

 

Sie berichteten einem abgehetzt wirkenden Archivar, was sich bei den orangeroten Klippen zutrug. Der Mann hatte in einem Zelt am Rande von Landings Festplatz ein behelfsmäßiges Büro eingerichtet. Später riet der Archivar ihnen, sich zum Essen an die draußen aufgestellten Tische zu begeben und auf weitere Einsatzbefehle zu warten.

»Weißt du zufällig, wo die Bewohner des Monaco-Weyrs untergebracht sind?«, erkundigte sich C'reel bei dem Mann.

»Nein, aber wendet euch an die Frau da drüben. Sie müsste informiert sein.« Mit dem Schreibstift deutete der Archivar vage in eine Richtung.

»Ich brauche saubere Sachen zum Anziehen«, meinte C'reel, der bemerkte, dass an der Nordseite des Platzes Kleidung verteilt wurde.

»Ich auch«, stimmte St'ven ein. Zwar konnte F'lessan mit seinen Sachen in Honshu aushelfen, doch seine Möglichkeiten waren begrenzt.

Auf einmal wurden F'lessan die brütende Hitze, die über dem Ort lastete, das lärmende Menschengewimmel, die ausgestandenen Strapazen, zu viel. Er glaubte, es keinen Augenblick länger in Landing aushalten zu können.

»Holt euch, was immer ihr braucht, C'reel, St'ven«, wandte er sich an seine Gefährten. »Stellt fest, wo der Rest eures Weyrs lagert. Ich fliege nach Honshu und bereite alles für euch vor.«

 

***

 

Sehr zu F'lessans Verdruss war Mirrim bereits vor Ort und kümmerte sich um alles. Und er hatte gehofft, sie säße in Landing fest. Doch bei Mirrim musste man immer auf alles gefasst sein. Eigentlich sollte er sich ihr gegenüber dankbar zeigen - wenigstens Dankbarkeit mimen - obwohl sie ihn gern herumkommandierte.

Doch schon bald nach seiner Ankunft in Honshu war er wirklich froh, dass Mirrim mitgekommen war. Sie sorgte dafür, dass die vielen Reiter des Monaco-Weyrs, die seiner Einladung gefolgt waren, verpflegt wurden. Auf der Hauptterrasse ließ sie einen Grill anlegen, auf dem saftige Fleischstücke brutzelten. Tai war auch da. Gern hätte er ihr Honshu gezeigt, vor allen Dingen das Observatorium und das Teleskop … einer seiner liebsten Schätze.

Er hatte es entdeckt, als er und Golanth die Solarzellen auf den Klippen reparierten und dabei auf die dünnen, geradlinigen Fugen stießen, die ein Material durchzogen, das wie massiver Fels aussah. Doch es handelte sich um die beiden Halbkugeln der Observatoriumskuppel.

Hineinzugelangen war ein Kapitel für sich, doch die Anstrengungen hatten sich gelohnt. Das in eine dünne Schutzfolie gehüllte Teleskop stand noch auf der hufeisenförmigen Montierung. Wansor und Erragon waren angesichts dieser Entdeckung ganz aus dem Häuschen gewesen, doch sie warnten F'lessan, dass es nicht einfach sein würde, das Teleskop wieder in Betrieb zu nehmen. Zum Ausrichten und Fokussieren brauchte man einen Computer, dazu einen Monitor, der die beobachteten Sektoren des Weltalls bildlich darstellte.

An diesem Abend fehlte ihm die Energie, um die lange Wendeltreppe hinaufzuklettern, und auch Tai würde zu abgekämpft sein, um sich dieses technische Wunderwerk anzusehen.

Bald drängten sich auf Honshus ausladenden Felsbastionen mit seinen zwei Terrassen und den vielen Gesimsen so viele Drachen, dass sich die Neuankömmlinge mit dem steinigen Flussufer begnügen mussten. Allein ihre große Anzahl sollte genügen, um die riesigen Herden an Pflanzenfressern, die oft in den unteren Höhlen Schutz suchten und die Raubkatzen, die die Herdentiere jagten, fern zu halten. Selbst in den Anfangstagen seiner Besiedlung hatte Honshu noch nie so viele Menschen gesehen.

F'lessan setzte sich auf die Hauptterrasse und wies jeden neu hinzukommenden Reiter an, die Flugmontur abzulegen und einen Imbiss einzunehmen. T'gellan hatte vier Weinschläuche mitgebracht, und St'ven und C'reel steuerten zwei Fässer mit dem hellen Bier bei, das in Landing gebraut wurde. Aus Honshus tiefen Kellern spendierte F'lessan etwas von dem guten Benden-Tropfen, den er sich für besondere Gelegenheiten aufsparte. Dass sie den heutigen Tag überlebt hatten, gab Anlass genug zum Feiern, fand er. Die Getränke reichten aus, um jedem Gast mindestens einen Becher Wein oder Bier zu kredenzen.

Da F'lessan so viel Gedränge in Honshu nicht gewöhnt war, zog er sich mit seinem Wein auf die zweite Terrasse zurück und traf zu seinem Entzücken Tai dort an. Da sie ihm den Rücken zukehrte, konnte sie ihn nicht sehen.

»Ich glaube, wir brauchen etwas Zeit, um wieder zur Ruhe zu kommen«, sagte er. »Entschuldigung«, fügte er hastig hinzu, als sie herumschwenkte und dabei etwas von ihrem Wein verschüttete. »Zum Wegkippen ist der Wein zu schade.«

»Du hast mich erschreckt.«

»Das habe ich gemerkt. Es tut mir wirklich Leid.«

»Schon gut.« Großmütig winkte sie ab. Dann wandte sie sich wieder der Betrachtung des Himmels zu. Er fand, sie sähe nachdenklich aus.

»Dir ist es also auch aufgefallen«, meinte er und zeigte nach Nordosten, wo Monaco lag. Ein silbrig schimmerndes Licht wölbte sich über den Horizont.

Sie seufzte und spähte nach oben in den gestirnten Himmel. Die Sterne funkelten mit unverminderter Leuchtkraft.

»Das da ist Rigel.« Sie deutete auf einen auffällig hellen Stern.

»Den kann man wohl kaum übersehen«, erwiderte er lachend. »Und wo ist Beteigeuze?«, setzte er hinzu, weil er diskret ihre Kenntnisse in Himmelskunde testen wollte.

Mit dem Kinn wies sie in die korrekte Richtung, und er schmunzelte.

»Dort sind Acrux und Becrux«, zählte sie auf, die Herausforderung annehmend. »Der Stern, der sich um vierzig Grad weiter befindet, heißt Gacrux. Erragon sagt, in der Konstellation, die bei unseren Vorfahren ›Kreuz des Südens‹ hieß, befände sich noch ein vierter Stern, aber mit dem bloßen Auge ist er nicht erkennbar.«

»Dafür kann man Shaula und Antares sehen.« Sanft fasste er sie bei der Schulter und drehte sie in die Richtung, in der Adhara funkelte.

»Ich bin froh, dass du den alten Namen ›Honshu‹ für deine Festung behalten hast«, bekannte sie. »Indem wir die Bezeichnungen benutzen, die die ersten Siedler den Orten und Sternen gaben, erweisen wir unseren Vorfahren Ehre.«

»Die Kolonisten brachten die Namen aus ihrer Heimat mit. Sie haben sie nicht neu erfunden. Und seit der ersten Landung auf Pern haben die Sterne ihre Positionen nicht wesentlich verändert. Was wir als hell strahlende Sterne an unserem Himmel sehen, war von der alten Erde aus nur als schwach leuchtender Punkt sichtbar.«

»Es sind nicht die Sterne, über die wir uns Sorgen machen müssen«, erwiderte Tai.

»Du hast Recht«, pflichtete er ihr bei. »Und irgendwie finde ich es beruhigend zu wissen, dass sie immer an derselben Stelle auftauchen. Ich besitze ein Fernglas, und wenn du möchtest, kannst du in der kommenden Nacht den Himmel damit absuchen.«

»Du besitzt tatsächlich ein Fernglas?« Ihre Augen blitzten vor Freude, doch dann stieß sie einen müden Seufzer aus. »Morgen borge ich es mir aus. Hab vielen Dank. An Ferngläser ist schwer heranzukommen.«

F'lessan grinste verschmitzt. »Ich kenne Piemur und Janas schon sehr lange, weißt du, deshalb konnte ich sie dazu überreden, mich ganz oben auf die Liste zu setzen. Bis morgen Abend dann. Jetzt brauchen wir beide Schlaf.« Er legte ihr seine Hand auf den Rücken und gab ihr einen leichten Schubs.

Langsam verließen sie die obere Terrasse und trennten sich in der Großen Halle. In dieser Nacht sollten die Feuerechsen Wache halten. F'lessan teilte sein Quartier mit den beiden Reitern, die als Letzte eintrafen: T'lion, der den Bronzedrachen Gadareth ritt, und seinem Bruder K'drin, der den braunen Drachen Buleth für sich gewonnen hatte. Zum Glück schnarchte keiner seiner Zimmergenossen.