20.

Etliche Reiter in der dritten Gruppe litten unter schwerer körperlicher Erschöpfung. M'rand, einer der älteren Bronzereiter vom Hochland, traf erst lange nach allen anderen und in schrecklicher Verfassung zu Hause ein. Von Alpträumen gequält, erzählte er immer wieder, er sei zwar in seinen Weyr zurückgekehrt, aber es sei nicht sein Weyr gewesen. Tileth sei in Panik geraten, als er keinen der anderen Drachen erkannte und auf dem Schlafsims seines Weyrs einen fremden Bronzedrachen vorfand. Anfangs sei er, M'rand, völlig ratlos gewesen, doch dann sei ihm eingefallen, daß er schon einmal gehört habe, Bronzedrachen könnten sich durch die Zeit bewegen. Er habe seine fünf Sinne zusammengenommen und versucht, wieder nach Hause zu gelangen, indem er Tileth möglichst lebhafte Bilder ihrer Lieblingsaussicht auf das Hochland übermittelte, mit dem Blauen, von dem er gewußt habe, daß er an diesem Tag als Wachdrache eingeteilt war. Diesmal seien sie am richtigen Ort und in der richtigen Zeit herausgekommen.

»Schlampige Koordinatenübermittlung«, konstatierte Lessa, als sie und F'lar mit M'rand und den anderen - zwei aus dem Fort Weyr und einer aus Igen - gesprochen hatten: »Alles ältere Reiter, die sich viel zu sehr auf ihre Drachen verlassen.«

Jaxom bemerkte, daß N'ton ihm einen spöttischen Blick zuwarf, und antwortete mit einem erstaunten Grinsen. Er selbst war nach den Anstrengungen dieses schicksalhaften Tages todmüde gewesen und hatte den Heimflug nur so lange unterbrochen, bis Ruth einen saftigen Bock gefressen hatte. Niemand hatte sich darüber gewundert, daß er fast einen ganzen Tag durchgeschlafen hatte. Sharra hatte in den letzten Tagen im Labor zusammen mit den anderen am laufenden Band Zebedäen erzeugt und war nicht weniger erschöpft.

Obwohl Akki jedem, der ihn fragte, wiederholt erklärt hatte, die Explosion werde erst in einigen Tagen stattfinden und auch dann auf Grund der Lichtgeschwindigkeit - ein Phänomen, das er einigen Leuten erst erklären mußte - nicht sofort zu sehen sein, wurde auf der Yokohama rund um die Uhr Wache gehalten. Jeder Monitor in den verschiedenen Bereichen des Schiffs, die mit Luft versorgt wurden, war auf die Hauptbildschirme des Schiffs und auf das große, auf den Roten Stern gerichtete Teleskop eingestellt.

»Willst du es dir nicht ansehen, Jaxom?« fragte Sharra. »Du hättest doch mehr Recht dazu als alle anderen!« Sie konnte gar nicht begreifen, daß ihn das große Ereignis offenbar so völlig kalt ließ.

»Wenn ich ehrlich sein soll«, sagte er, »gibt es hier auf Ruatha genug zu tun, was wichtiger ist, als auf der Brücke herumzuschweben und darauf zu warten, daß das Ding hochgeht. Es sei denn«, fügte er rücksichtsvoll hinzu, »du möchtest unbedingt dabei sein.«

»Nun ja…« Sie zögerte einen Moment, dann lächelte sie. »Ich habe gerade erst die Kulturen angelegt und…«

Jaxom grinste. »Wenn wir früh genug Bescheid bekommen, bringt Ruth uns rechtzeitig hin.«

Sharra sah ihn erschrocken von der Seite an.

»Alles für die gute Sache!« Der Witz klang etwas aufgesetzt.

»Wegen ein oder zwei Minuten wird das Universum schon nicht gleich aus den Fugen geraten. Wenn du willst, bitte ich Ruth, die Ohren zu spitzen. Im Moment halten sich ständig etliche Feuerechsen und auch der eine oder andere Drache auf der Yokohama auf. Alles kein Problem.«

»Immer vorausgesetzt, er kann sich so lange wachhalten«, gab Sharra zurück, der Ruths ungewöhnlich großes Schlafbedürfnis nicht entgangen war.

»Er kann ja mit offenen Ohren schlafen.« Damit war die Sache für Jaxom erledigt, und sie gingen beide wieder ihren Alltagsgeschäften nach.

Auch Brand war Ruths Schläfrigkeit aufgefallen, und als er sich mit Jaxom die Zuchtstuten ansah, sprach er ihn darauf an.

»Ich halte das nicht für so ungewöhnlich, Brand«, winkte Jaxom ab. »N'ton sagt, die Bronzenen, die uns begleitet haben, schlafen auch sehr viel. Wahrscheinlich wollen sie nur nicht zugeben, wie sehr sie sich anstrengen mußten, um diese Triebwerke auf den Roten Stern zu schaffen.« Jaxom bemerkte, daß sein Verwalter zögerte. »Was ist los? Heraus mit der Sprache.«

»Ach, mir sind nur ein paar Klagen über den Fort-Weyr zu Ohren gekommen.«

»Was willst du damit sagen, Brand?« Jaxom und Ruth hatten am jüngsten Kampfeinsatz der Geschwader von Fort nicht teilgenommen. »Habe ich etwas versäumt?«

Brand hatte vielsagend die Schultern gezuckt.

»Nun ja, die Bronzedrachen sind tatsächlich ein bißchen schlapp, und deshalb haben sie die Fädenknäuel, nun ja, nicht ganz so eifrig verfolgt wie sonst. Das hat bei den Bodentrupps für Unzufriedenheit gesorgt. Und dann wäre da noch ein Problem.«

»Nun sag schon!«

»Irgendwie« - Brand hielt inne, um sich seine Worte zurechtzulegen -»haben viele Leute erwartet, daß es schon jetzt keinen Sporenregen mehr geben würde.

Die Drachenreiter hätten ihre Explosion gehabt, und nun würden keine Fäden mehr fallen.«

»Ach du meine Güte!«

Jaxom verzog das Gesicht.

»Verdammte Scherben, Brand. Können die Leute denn niemals zuhören? Seit vier Planetenumläufen erklären die Harfner immer wieder, daß wir diese Phase nicht so ohne weiteres beenden können, aber daß es keine nächste mehr geben wird.«

»Nach allem, was ich höre, ist das leider nicht so recht angekommen. Pächter Grevil ist wirklich nicht dumm, du kennst ihn ja, aber er hatte es auch mißverstanden, und jetzt fühlt er sich betrogen, besonders seit ein Fädenknäuel auf sein bestes Feld niedergegangen ist.«

»Ich kann begreifen, daß er sich darüber ärgert. Konntest du ihn denn beschwichtigen?«

»Das schon, aber du mußt damit rechnen, daß er dich bei nächster Gelegenheit deshalb anspricht. Ich wollte dich nur warnen. Außerdem solltest du wissen, daß er Akki die Schuld gibt.«

Jaxom preßte die Lippen zusammen, damit ihm kein unbedachtes Wort entschlüpfte. Brands Bericht hatte ihm einen Schlag versetzt. Grevil war sonst ein sehr vernünftiger Mensch, und wenn der schon so reagierte… »Ich dachte, wir hätten damals beim Verfahren alle Mißverständnis ausgeräumt.«

Brand zuckte die Achseln und breitete hilflos die Arme aus. »Die Leute hören, was sie hören wollen, und sie glauben, was sie glauben wollen. Aber wenn sie Akki die Schuld geben, dann bist du, Jaxom, doch aus dem Schneider, und bis zu einem gewissen Grade auch die Weyr.«

»Das betrachte ich nicht unbedingt als Vorteil«, antwortete Jaxom. »Warum sollte Akki nach allem, was er für Pern getan hat, nun auch noch den Sündenbock spielen müssen?«

»Tja, für manche ist eben nicht so deutlich erkennbar, was er eigentlich getan hat«, sagte Brand. »Das wird sich alles regeln, Jaxom. Ich dachte nur, du solltest über die gängige Meinung Bescheid wissen.«

»Hm ja, das ist schon richtig. Wie viele von denen hat der neue Hengst gedeckt?« fragte der junge Baron, froh, auf ein weniger schwieriges Thema übergehen zu können.

Je länger er darüber nachdachte, desto mehr fühlte er sich verpflichtet, die Harfnerhalle und die Bewohner des Landsitzes an der Meeresbucht ins Bild zu setzen. Andererseits widerstrebte es ihm, den anderen die überschäumende Siegesfreude zu verderben. So schickte er Meer, der ihm auf Schritt und Tritt folgte, während Ruth schlief, mit einer Botschaft zu Lytol. Sein alter Vormund konnte ja eine Bemerkung fallenlassen, wenn es sich gerade ergab.

»Eines begreife ich nicht«, sagte Sharra, als er ihr die Geschichte beim Mittagsmahl erzählte. »Man hat doch jedem, der es hören wollte, ausführlichst erklärt, was du und die Weyr vorhatten und welche unmittelbaren Folgen sich daraus ergeben würden, wie kann es da immer noch zu solchen Mißverständnissen kommen?«

Jaxom grinste. »Wahrscheinlich haben die Leute nach dem Satz ›die Fäden werden ein für allemal vernichtet‹ einfach abgeschaltet.« Er nippte gedankenverloren an seinem Klah.

F'lar und Lessa sind auf der Yokohama, meldete sich Ruth mit schläfriger Stimme. Ramoth sagt, Akki rechnet jeden Moment mit der Explosion.

Sharra legte den Kopf schief und wartete höflich das Ende des Gedankenaustauschs ab. »Was hat ihn denn aufgeweckt?«

»Es müßte jeden Moment soweit sein. Die Explosion. Möchtest du hinauf?«

»Möchtest du denn?«

»Lassen wir doch das Du-nein-Du-Spielchen. Möchtest du dabei sein?«

Sie zwinkerte ein paarmal rasch, während sie überlegte, und er stellte grinsend fest, daß sie Jarrol in diesem Moment täuschend ähnlich sah. »Nein«, seufzte sie schließlich. »Ich glaube, ich habe bis an mein Lebensende genug vom Inneren der Yokohama. Außerdem herrscht da oben sicher ein heilloses Gedränge. Aber wenn du willst…«

Lachend griff er nach ihrer Hand und zog sie an die Lippen. »Ich glaube nicht. Ich möchte F'lar seinen großen Augenblick nicht verderben.«

Sharra sah ihn lange und nachdenklich an, dann begannen ihre Augen zu funkeln. »Du bist ein guter Mensch, aber ich bin nicht der Meinung, daß es ganz allein F'lars Triumph ist.«

»Sei nicht albern«, gab er zurück. »Alle Weyr von Pern haben dazu beigetragen.«

»Und ein weißer Drache!«

Sie wandte sich wieder ihrer Suppe zu, während Jaxom sich fragte, was sie damit wohl gemeint haben könnte. Hatte Sharra etwa erraten, welch außergewöhnliche Rolle Ruth bei diesem Unternehmen gespielt hatte?

***

Nachdem man die Kugel des Roten Sterns so viele Tage angestrengt beobachtet hatte, war man enttäuscht, als es endlich soweit war. Die Explosion war nur als orangeroter Feuerball sichtbar, der auf einer Seite des Wandersterns aufstrahlte.

»Soll das alles sein?« rief F'lar.

Er war fast ein wenig verärgert, daß die Antimaterie, von der Akki ihnen solche Wunderdinge erzählt hatte, nicht mindestens die Hälfte des Planeten weggerissen hatte.

»Mehr gibt es aus dieser Entfernung nicht zu sehen«, antwortete Akki.

»Es ist aber doch ein phantastisches Schauspiel«, murmelte Robinton.

»Sind tatsächlich alle drei Triebwerke gleichzeitig explodiert?« fragte Fandarel.

»Es scheint so«, sagte Akki.

»Gut gemacht, Akki, gut gemacht.«

Fandarel strahlte, er schien vollauf zufrieden zu sein. »Dann hat mit den Anschlüssen alles geklappt.«

»Höchst effektiv.« D'ram konnte es nicht lassen, Fandarel ein wenig zu necken.

»Es ist eigentlich merkwürdig«, begann Piemur, mehr an Jancis gewandt als an die anderen. »Da strampelt man sich ab, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, und plötzlich hat man es geschafft! Und die ganze Aufregung, die Frustrationen, die schlaflosen Nächte, das Engagement, alles ist vorbei! Einfach weg!« Er schnippte mit den Fingern. »In einem einzigen, spektakulären Riesenfeuerball verpufft! Was fangen wir denn nun mit der vielen Freizeit an?«

»Dir«, Robinton deutete streng mit dem Finger auf den Gesellen, »fällt die keineswegs angenehme Aufgabe zu, in deiner Eigenschaft als Harfner denjenigen Menschen, die noch nicht begriffen haben, daß sich an den Fädeneinfällen bis zum Ende dieser Phase nichts ändern wird, zu erklären, was der Erfolg in Wirklichkeit bedeutet.«

Zu Lytols Überraschung hatte Robinton Jaxoms Bericht recht gelassen aufgenommen. Der Harfner schien mit solchen Unmutsreaktionen sogar gerechnet zu haben.

»Menolly hat bereits eine Ballade komponiert«, fuhr Robinton fort, »mit einem Refrain, der den Leuten immer wieder einhämmert, daß wir derzeit die Letzte Periode erleben, nach deren Ende Pern niemals wieder von den Fäden bedroht werden wird.«

»Ein gutes Argument!« sagte Piemur. »Ist darauf auch Verlaß, Akki?«

»Das ist jetzt vollkommen sicher, Piemur. Sie müssen sich allerdings darüber im klaren sein, daß die Veränderung der Bahn des Roten Sterns erst« - Akki legte eine kleine Pause ein - »in einigen Jahrzehnten wahrnehmbar sein wird.« »Jahrzehnte?« rief F'lar entgeistert. »Natürlich. Wenn Sie die Größe des Objekts bedenken, das Sie aus seiner Bahn drängen wollten«, sagte Fandarel, »und die Ausmaße unseres Sonnensystems, kann es gar keine plötzlichen Veränderungen geben. Selbst das Chaos braucht Zeit, um sich zu entwickeln. Aber in einigen Jahrzehnten wird die Abweichung meßbar sein.«

»Sie können ganz beruhigt sein, Weyrführer«, fügte Akki hinzu, und es klang so felsenfest überzeugt, daß F'lars Betroffenheit ein wenig schwand.

»Schade, daß Jaxom und Sharra nicht gekommen sind.« Lessa war darüber ein wenig verärgert. »Ich dachte mir gleich, daß Ruth sich übernehmen würde, als er auch bei der zweiten Gruppe noch mitflog.«

»Jaxom ist durchaus imstande, seine Entscheidungen selbst zu treffen, meine Liebe.«

F'lar fand es immer wieder erheiternd, wie eifersüchtig sie um den Burgherrn von Ruatha besorgt war.

»Eine Kleinigkeit wäre freilich noch zu erledigen«, begann Akki, »und es wird empfohlen, dazu die minderen Farben heranzuziehen.«

»Ach? Und was wäre das?« Lessa und F'lar wußten nur zu genau, daß die braunen, blauen und grünen Reiter sich zurückgesetzt fühlten, weil man sie bisher fast gänzlich ausgeschlossen hatte. ›Alle Weyr von Pern‹, das hatte sich auf die meisten Bronzedrachen und nur ganz wenige Andersfarbige beschränkt, auch wenn jeder einsehen mußte, daß nicht alle Drachen, die mithelfen wollten, an den Holmen Platz finden konnten und daß es erst recht nicht genügend Raumanzüge gab, um ihre Reiter im Weltraum zu schützen.

»Es handelt sich um die Buenos Aires und die Bahrain.«

»Was ist damit?« fragte F'lar, gerade als Fandarel mit lautem »Aha!« kundtat, daß er bereits verstanden hatte.

»Orbitkontrollen bei den beiden kleineren Schiffen haben eine deutliche Zunahme der Häufigkeit von Korrekturen ergeben. Diese Korrekturen kosten immer mehr Energie, und laut Prognose wird die Instabilität der Bahnen im Laufe der nächsten Jahrzehnte wahrscheinlich einen kritischen Punkt erreichen. Die Yokohama verfügt natürlich über ausreichend Treibstoff, um ihren Orbit stabil zu halten, sie sollte auch möglichst lange bleiben, wo sie ist, da ihr Teleskop zur Beobachtung des Roten Sterns benötigt wird. Die anderen Schiffe sollten dagegen entfernt werden.«

»Entfernt?« wiederholte F'lar. »Und wohin?«

»Man braucht die Geschwindigkeit und die Höhe nur leicht zu verändern, dann brechen sie aus ihrem jetzigen Orbit aus und treiben, ohne Schaden anzurichten, in den Weltraum davon.«

»Um mit der Zeit von der Sonne eingefangen und angezogen zu werden«, ergänzte Fandarel.

»Und zu verglühen?« fragte Lytol.

»Ein heldenhaftes Ende für diese wackeren Schiffe«, murmelte Robinton.

»Davon hast du bisher kein Wort erwähnt«, sagte F'lar.

»Andere Dinge hatten Vorrang«, antwortete Akki.

»Allerdings sollte man die Aufgabe baldmöglichst angehen, ehe die Bahnen allzu instabil werden beziehungsweise Ihre Reiter vergessen haben, was sie sich für unser Hauptprojekt an Fähigkeiten angeeignet haben.«

»Das könnte sicher helfen, die Spannungen in den Weyrn abzubauen«, meinte Lessa. »Damit hatten wir nicht gerechnet.«

»Was genau ist dazu erforderlich, Akki?« erkundigte sich F'lar.

»Wie bereits gesagt, sollen die Drachen die Richtung der beiden Schiffe verändern und ihnen einen ›Stoß‹ versetzen; das heißt, sie sollen die Schiffe gemeinsam auf ein Stichwort ins Dazwischen bringen. An der Außenseite gibt es viele Möglichkeiten, wo sie mit ihren Krallen Halt finden können. In Anbetracht der Leistung, die sie beim Transport der Triebwerke erbracht haben, wären die kleineren Drachen mit einem solchen Manöver keineswegs überfordert.«

F'lar grinste. »Dann zweifelst du nicht mehr an ihnen?«

»Ganz und gar nicht, Weyrführer.«

»Und wann soll das Ganze stattfinden?« fragte Fandarel.

»Am besten in den nächsten Wochen. Es besteht zwar keine unmittelbare Gefahr, aber es wäre wichtig, daß Drachen und Reiter sich ihren Unternehmungsgeist bis dahin bewahren.«

»Ich glaube, die Nachricht wird Anklang finden«, nickte F'lar.

»Dann werden Sie einen Termin für das Manöver ansetzen?«

»Sobald ich mit den anderen Weyrführern gesprochen habe.« So seltsam es war, die Aussicht auf eine neue Aufgabe hob F'lars Stimmung. Seit dem Transport der Triebwerke auf den Roten Stern hatten die Kampfeinsätze zusehends an Reiz verloren.

»Ich finde es ungerecht, diese Schiffe zum Tode zu verurteilen«, murmelte Lessa.

»Es ist ein Verbrechen, soviel gute Rohstoffe zu vergeuden«, fügte Fandarel hinzu.

»Die Schiffe waren nie für eine Landung auf dem Planeten vorgesehen, Meister Fandarel«, gab Akki zu bedenken.

»Jedenfalls nicht in einem Stück«, ergänzte Piemur.

»Richtig, Piemur. Wenn die Trümmer in die Atmosphäre eindrängen, ohne vollständig zu verglühen, wären sie eine tödliche Gefahr.«

»Ich gebe dir Bescheid«, sagte F'lar. »Gehen wir, Lessa?«

Die meisten der Schaulustigen, die sich an diesem Tag auf der Brücke der Yokohama befanden, verloren rasch das Interesse an dem Feuerball. Bald schon standen D'ram und der Reiter vom Ost-Weyr bereit, um die letzten Zuschauer nach Landing zurückzubringen, und Fandarel und Piemur konnten die lebenserhaltenden Systeme auf Minimalleistung herunterfahren.

»Ich bin froh, daß wir wenigstens die Yokohama behalten dürfen«, sagte Piemur. »Das alte Mädchen ist mir richtig ans Herz gewachsen.« Er fuhr mit den Fingern über die Konsole.

»Sie hat lange und treu gedient«, sagte Robinton mit einem tiefen Seufzer.

»Warum schreibst du nicht eine Ballade über sie, Piemur?« schlug Jancis vor.

»Weißt du was, ich glaube, das tue ich wirklich!«

Piemur trat als letzter in den Lift und schaltete die Brückenbeleuchtung aus.

***

Jaxom erfuhr von der zweiten Expedition, als N'ton zwei Tage nach der Explosion auf dem Roten Stern überraschend in Ruatha auftauchte. Er war mit einem halben Dutzend seiner Geschwaderführer auf der Buenos Aires gewesen.

»Irgendwie hänge ich an dem kleinen Schiff.« N'ton lächelte schief. »Ich kann mich gar nicht so recht davon trennen.«

»Muß es denn wirklich sein?« fragte Jaxom. »Die Solarzellen könnten doch sicher…«

»Akki sagt, es sind zu viele Korrekturen nötig, und das schaffen die Zellen nicht mehr.«

»Hmm, durchaus möglich.«

»Außerdem hat er empfohlen, es hinter uns zu bringen, solange wir noch nicht verlernt haben, bei Schwerelosigkeit zu arbeiten. Ich darf hinzufügen« - N'ton grinste breit -, »daß der Jubel unter den braunen, blauen und grünen Reitern groß ist.

Dabei wissen sie, daß nur etwas mehr als zweihundert Anzüge … Aber das ist nur fair.«

»Hoffentlich passen Helme und Anzüge diesmal zusammen.«

»Oh, dafür haben wir gesorgt.«

N'ton verdrehte die Augen.

»Das war vielleicht ein Durcheinander! Ich habe zwanzig Helme aufprobiert, bis ich einen fand, der genau paßte. Dann mußte ich noch jeden Reiter von den Geschwaderführern kontrollieren lassen, ob die verdammten Dinger auch wirklich richtig saßen. Manche haben sie einfach irgendwie ins Gewinde gerammt.«

»Hauptsache ist doch, daß irgendwann alle ausstaffiert waren und wir unseren Bestimmungsort erreichten.«

N'ton sah ihn so lange an, daß Jaxom sich schon fragte, ob der Weyrführer von Fort vielleicht Verdacht geschöpft haben könnte. Ein so intelligenter Mann wäre durchaus fähig, sich die Wahrheit zusammenzureimen, wenn er sich ein paar Gedanken über seine desorientierten Bronzereiter machte. Aber solange Jaxom kein Geständnis ablegte, konnte N'ton ihm nichts beweisen.

»Könnte das eventuell der Grund für die Verwirrung einiger Reiter gewesen sein?« fuhr Jaxom fort, als sei ihm der Gedanke eben erst gekommen. »Die Helme schlossen nicht dicht, und deshalb konnte Luft entweichen.«

»Daran hatte ich noch gar nicht gedacht«, antwortete N'ton. »Ja, das würde tatsächlich vieles erklären.«

Jaxom nickte zustimmend, sagte aber nichts mehr.

»F'lar ist gar nicht glücklich darüber, daß wir so lange warten müssen, bis wir Gewißheit bekommen, ob die Sprengungen ihre Wirkung getan haben«, fuhr N'ton fort.

»Akki hatte offenbar keine Bedenken.«

»Ja, aber er gibt sich doch immer siegessicher.«

»Und jedesmal, wenn er sich so benommen hat, ist alles genau so eingetroffen, wie er sagte. Er hat nie geschwindelt. Ich glaube, dazu ist eine AI-Anlage auch gar nicht fähig.«

»Das müßtest du ja am besten wissen.«

N'ton grinste Jaxom über sein Weinglas hinweg an.

»Wenn selbst der Weyrführer von Benden noch skeptisch ist, können wir Burgen und Gildehallen ihr Mißtrauen eigentlich nicht zum Vorwurf machen.«

»Noch einmal: Akki hat so oft recht behalten, daß wir ihm diesmal einfach vertrauen müssen.«

Mit einem Mal hatte Jaxom gute Lust, N'ton zu offenbaren, er habe einen hieb- und stichfesten Beweis für das Gelingen von Akkis Großem Plan, zumindest was den Orbit des Roten Sterns anging.

Er habe sich mit eigenen Augen davon überzeugt - fünfzig Umläufe in der Zukunft.

»So wie er unseren Drachen vertraut hat?«

»Nun, das hat er letztlich doch auch getan«, antwortete Jaxom.

»Nein, N'ton, zerbrich dir nicht den Kopf. Es wird alles so kommen, wie Akki gesagt hat. Warte nur ab, du wirst schon sehen.«

»Aber F'lar vielleicht nicht mehr. Und er ist derjenige, der Gewißheit braucht, sonst hat er nicht das Gefühl, sein Versprechen eingelöst zu haben!«

Vielleicht, dachte Jaxom, sollte ich wenigstens F'lar gegenüber eine Andeutung fallen lassen.

Ich würde es nicht tun, sagte Ruth. Dann müßtest du ihm nämlich alles erklären.

Nicht unbedingt, widersprach Jaxom.

Ruths Schweigen verriet, daß er da ganz anderer Meinung war.

»Und was fängst du nun mit der vielen freien Zeit an«, fuhr N'ton fort, »nachdem wir alle Probleme dieser Welt gelöst haben?«

»Von welcher freien Zeit sprichst du, N'ton? In Akkis Speichern lagern Informationen in Hülle und Fülle, ich habe noch kaum die Oberfläche angekratzt. Außerdem wollte ich die Burgverwaltung noch besser organisieren, ehe ich meine Studien wiederaufnehme - in gemächlicherem Tempo, schließlich drängt mich jetzt nichts mehr.«

»In zwei Tagen sind Sporenregen angesagt. Habt ihr beiden euch so weit erholt, daß ihr den Einsatz mitfliegen könnt?«

»Es wäre wohl ratsam, nachdem so viele Mißverständnisse über das Ende der Fädeneinfälle kursieren.«

»Wahrhaftig!«

Der junge Baron entnahm diesem knappen, aber von Herzen kommenden Ausruf, daß man N'ton wohl sehr scharf angegriffen haben mußte, weil den Geschwadern von Fort ein paar Fädenknäuel durch die Lappen gegangen waren.

»Ich werde zur Stelle sein!« versprach Jaxom.

***

»Meister Robinton, wie schön, Sie zu sehen«, begrüßte Akki den Harfner.

»Ich wollte schon seit einer ganzen Woche kommen«, bemerkte Robinton mit einem seltsamen Lächeln. Selbst die paar Schritte durch den Korridor hatten ihn in Atemnot gebracht.

»Geht es Ihnen gut?«

Robinton lachte leise und ließ sich in dem Sessel nieder, in dem er bis vor kurzem so viele Stunden verbracht hatte. »Dich kann man nicht täuschen, was?«

»Nein.«

Robinton seufzte und streichelte Zair, der schlafend über seiner Schulter hing. »Damals beim Verfahren«, begann er langsam, um nicht ins Keuchen zu geraten, »habe ich ihnen verziehen. Aber ich bin nicht sicher, ob ich es jetzt könnte.«

»Die Wirkung einer Überdosis Fellis?«

»Ja, davon muß ich ausgehen.«

»Sie haben Meister Oldive nicht zu Rate gezogen?« fragte Akki in scharfem Ton.

Robinton winkte ab. »Er hat genug damit zu tun, seinen Heilern die neuen Techniken zu vermitteln, die er im Laufe eurer Arbeit von dir gelernt hat. Damit ist er für den Rest seines Lebens beschäftigt.«

»Sie müssen aber…«

»Wozu? Gegen Verschleißerscheinungen an menschlichen Organen kennst auch du kein Mittel, nicht wahr?«

Akki schwieg, und Robinton sprach weiter, hörte aber nicht auf, Zairs weichen Körper zu streicheln.

»Über diese Entführung kommen weder Zair noch ich hinweg. Manchmal glaube ich, er bleibt nur mir zum Trotz da.«

»Oder aus Liebe zu Ihnen, Meister Robinton.«

Diesen Tonfall hatte der Harfner von Akki noch nie gehört.

»Durchaus möglich, die Feuerechsen können überaus treu sein.«

Robinton war nun wieder zu Atem gekommen, und allein die Umgebung, in der er sich befand, ließ ein wenig von der Erregung jener ersten Tage nach der Entdeckung Wiederaufleben. Hier bei Akki fühlte er sich wohl, ganz anders als auf dem Landsitz an der Meeresbucht, besonders wenn Lytol und D'ram ihn wieder einmal als Invaliden behandelten. Vom Gang drang das Schwatzen der Studenten herein, die ihre Unterrichtsräume wechselten.

»Der Unterricht geht weiter?« fragte er erfreut.

»Der Unterricht geht weiter«, bestätigte Akki, und wieder hatte seine Stimme diesen überraschend weichen, fast wehmütigen Tonfall. »In den Geräten befinden sich inzwischen alle Informationen, die diese Welt braucht, um sich eine bessere Zukunft aufzubauen.«

»Eine Zukunft, die du ihnen geschenkt hast.«

»Diese Anlage hat ihren Auftrag ausgeführt.«

»Ganz gewiß«, lächelte Robinton.

»Damit hat diese Anlage ihren Zweck erfüllt.«

»Mach dich nicht lächerlich, Akki!« rief Robinton scharf. »Du hast deinen Schülern gerade eben so viel beigebracht, daß sie dir widersprechen können!«

»Und daß sie Anstoß nehmen an der Überlegenheit dieser Anlage. Nein, Meister Robinton, die Arbeit ist getan. Am klügsten ist es nun, sie ihren Weg selbst suchen zu lassen. An Intelligenz und Tatkraft mangelt es ihnen nicht. Ihre Vorfahren können mit Fug und Recht stolz auf sie sein.«

»Bist du stolz auf sie?«

»Sie haben schwer gearbeitet und sich redlich abgemüht. Das allein ist schon befriedigend und sinnvoll.«

»Weißt du, ich glaube, du hast recht.«

»Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde Meister Robinton.«

»Das ist Poesie, Akki.«

Eine jener Pausen trat ein, die Robinton schon immer als eine Art Schmunzeln interpretiert hatte.

»Aus dem größten Buch, das die Menschheit je geschrieben hat, Meister Robinton. Sie finden den gesamten Text im Speicher. Die Zeit ist erfüllt. Das System schaltet sich ab. Leben Sie wohl, Meisterharfner von Pern. Amen.«

Robinton richtete sich in seinem Sessel auf und legte die Finger auf die Kontaktplatten, obwohl er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie er Akki von seinem Vorhaben abbringen sollte. Er machte eine Bewegung zum Korridor hin, als wolle er um Hilfe rufen, aber niemand - wie etwa Jaxom, Piemur, Jancis, Fandarel, D'ram oder Lytol -, der über das nötige Wissen verfügte, wäre schnell genug erreichbar gewesen.

Der Bildschirm, der mit soviel Wissen geprahlt, so viele Anweisungen erteilt und so viele Diagramme und Pläne gezeigt hatte, war plötzlich leer und erloschen. Nur in der rechten Ecke blinkte noch ein einziges Licht.

»Und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde«, murmelte Robinton, und etwas schnürte ihm die Kehle zu. Er war unglaublich müde, eine überwältigende Schläfrigkeit hatte ihn befallen. »Ja, wie wahr. Wie herrlich wahr. Und es war eine wunderbare Zeit!«

Er gab es auf, sich gegen die Lethargie zu wehren, die von den Gliedmaßen aus den ganzen Körper erfaßte, legte den Kopf auf die inaktive Kontaktplatte, hielt Zair mit einer Hand in seiner Halsgrube fest und schloß die Augen.

Sein langes Leben war zu Ende, und auch sein Werk war getan.

***

So fand D'ram die beiden, denn auch Zair hatte sein Leben ausgehaucht. Er war dem Harfner so selbstlos in den Tod gefolgt wie jeder Drache seinem Reiter.

Tiroth hob den Kopf, und sein Klagen alarmierte ganz Landing, ja, es verbreitete die Nachricht an alle Weyr, an alle Drachen und alle Reiter auf Pern, trug sie durch Gildehallen und Burgen, über Berge und Täler, von Meer zu Meer, von Kontinent zu Kontinent … D'rams Augen standen voller Tränen, und so bemerkte er weder den matten Bildschirm, noch las er die blinkende Botschaft.

Auf Ruatha stieß Ruth einen entsetzten Schrei aus, und alle im Großen Saal Versammelten stürzten zur Tür.

Der Harfner! Der Harfner!

Ohne zu überlegen, nahm Jaxom Sharra bei der Hand und zog sie mit sich die Stufen hinunter. Ruth hatte sich aufgebäumt, den Kopf zurückgeworfen, die Schwingen gespreizt.

»Jaxom!« rief Sharra.

»Der Harfner! Dem Harfer ist etwas zugestoßen!«

Das genügte. In fieberhafter Eile bestiegen sie den weißen Drachen.

»Ohne Oldive wird es nicht gehen, Ruth«, sagte Jaxom. »Bring uns zuerst zur Heilerhalle.«

Prompt tauchten sie im Innenhof der Halle auf, und Ruth vermied es nur mit knapper Not, sich auf jemandem niederzulassen. Oldive kam, in einer Hand die flatternde Jacke, in der anderen den Arzneikoffer, bereits die Treppe heruntergehinkt.

Ich hab's ihm gesagt! erklärte Ruth.

In diesem Augenblick begann der Drache auf der Burg Fort zu wimmern, und ganze Schwärme von wild flatternden Feuerechsen erschienen im Hof, winselten in schrillem Diskant und waren auch schon wieder verschwunden.

»Was ist mit dem Harfner?« Oldive reichte Sharra den Koffer hinauf und kämpfte sich mühsam in seine Jacke. »Sie haben beide keine Reitkleidung an!«

»Machen Sie sich unseretwegen keine Sorgen.« Jaxom beugte sich hinab, faßte Oldive am Arm und zog ihn zu sich hoch. Müssen wir nach Landing? Oder zum Landsitz an der Meeresbucht? fragte er Ruth.

Nach Landing!

»Dann bring uns hin! Und zwar rechtzeitig!«

Weder Jaxom noch Sharra spürten auf diesem Schreckensflug die gefürchtete Kälte des Dazwischen. Über Landing kamen die Drachen aus allen Richtungen, und Ruth ging so tief hinunter, daß er fast die Hausdächer streifte. Bei der Landung vor dem Akki-Gebäude entging er wieder nur knapp einem Zusammenstoß mit Leuten, die von der Katastrophe gehört hatten und zu Fuß herbeigestürzt kamen.

Es ist zu spät! sagte Ruth und faltete die Schwingen über dem Kopf zusammen.

»Es darf nicht zu spät sein! Tretet beiseite, laßt uns durch. Macht Platz für Oldive!« Jaxom bahnte sich und seinen Begleitern einen Weg durch die Menge.

Den Meisterheiler zog er mit einer Hand hinter sich her, und Oldive schaffte es irgendwie, trotz seines Hinkens mit ihm Schritt zu halten. »Platz da. Macht doch Platz!«

Am Eingang des Akki-Raums hielt er unvermittelt an. Piemur, Jancis, D'ram und Lytol umringten den Sessel. Über der Rückenlehne war das Silberhaupt des Harfners zu sehen. Jaxom nahm sich eisern zusammen, um nicht aufzuschluchzen, als er ganz langsam seitlich um die Gruppe herumging.

Robinton sah aus, als schliefe er. Zair, todesgrau, kuschelte sich an seinen Hals.

»Er - ist - einfach - eingeschlafen«, stammelte Piemur.

»Er ist schon ganz kalt.«

»Als ich das letzte Mal hereinschaute«, sagte D'ram, »dachte ich, er schläft. Ich hätte doch niemals…« Er schlug die Hände vors Gesicht und wandte sich ab.

»Akki!« donnerte Jaxom. »Akki, wieso hast du niemanden gerufen? Du mußt doch gemerkt haben…«

»Schau.« Sharra faßte ihn am Arm und deutete auf den Bildschirm mit der blinkenden Botschaft.

»Und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde?«

»Was soll das heißen, Akki? Akki!«

Erst jetzt fiel Jaxom auf, wie anders der Bildschirm aussah, genauso leblos wie damals, als er diesen Raum zum erstenmal betreten hatten. »Akki?«

Er gab eine ›Restore‹-Sequenz ein. Dann probierte er es, über seine ungeschickten Finger fluchend, mit anderen Kodes, erhielt aber keine Reaktion.

»Piemur? Jancis? Was tun wir jetzt?«

Sharra ergriff seine zitternden Hände und hielt sie fest. In ihren tränenfeuchten Augen las er, was er selbst sich nicht eingestehen wollte.

»Auch Akki hat uns verlassen«, sagte sie heiser. »Siehst du das Lächeln auf Meister Robintons Gesicht? So haben wir ihn oft lächeln sehen. Die Botschaft war nicht nur für uns bestimmt, sie galt auch ihm.«

»Wir gehen zurück, zurück in die Zeit, als er noch lebte…«

Jaxom packte Meister Oldive und zog ihn zur Tür. Wenn er und Ruth mit einem Zeitsprung… F'lar und Lessa versperrten den Ausgang. Es war ihm egal, ob sie wußten, was er vorhatte.

Oldive griff nach seinem Arm und schüttelte den Kopf. Seine Augen schwammen in Tränen. »Wir könnten nichts mehr für ihn tun, Jaxom. Und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.

Die Stunde des Harfners war gekommen.«

»Er hat uns streng verboten, jemandem zu verraten, wie ernst es um ihn stand«, sagte Sharra.

»Es war nur noch eine Frage der Zeit«, murmelte Oldive und sah zu Jaxom auf. Sein längliches Gesicht war von tiefen Kummerfalten gezeichnet.

»Die Entführung hatte sein Herz zu sehr belastet. Aber es war ein sanfter Tod, Jaxom, so unerwartet er auch gekommen sein mag.«

»Daß es Robinton nicht gutging, war mir auch bekannt«. Jaxom schüttelte den Kopf, die Tränen liefen ihm über die Wangen. »Aber warum auch Akki uns verlassen hat, verstehe ich nicht.«

»Er sagt es uns doch ganz deutlich.« D'ram hatte sich wieder gefangen und deutete auf die Botschaft. »Er hat seinen Zweck erfüllt, indem er uns half, die Fäden zu vernichten. Mit der Zeit werden Sie einsehen, wie weise seine Entscheidung war. Wir waren im Begriff, uns allzusehr auf ihn zu verlassen.«

»Maschinen können nicht sterben!« würgte Jaxom trotzig heraus.

»Das Wissen, das er uns gab, wird nicht sterben.« F'lar trat beiseite, um Menolly und Sebell eintreten zu lassen.

»Und nun wollen wir alle Meisterharfner Robinton die letzte Ehre erweisen.«

***

Es war ein ganz unangemessen schöner Tag, an dem man den Meisterharfner, in ein harfnerblaues Leichentuch gehüllt, in den herrlichen, blaugrünen Wassern seiner geliebten Meeresbucht zur Ruhe legte.

Meister Idarolan hatte sein schnellstes Schiff geschickt und sich selbst von einem Drachen einfliegen lassen, um es persönlich zu steuern. Meister Alemi war mit seiner Schaluppe vom Paradiesfluß gekommen, und die vielen kleinen Segelboote, die in Monaco Bay auf Fischfang gingen, hatten sich ebenfalls versammelt, um die vielen Menschen aufzunehmen, die Meister Robinton zu seiner letzten Ruhestätte geleiten wollten.

Alle Weyr von Pern schwebten am Himmel, und die Feuerechsen zogen in traurigen Spiralen durch das Blau, als das Schiff aus der Meeresbucht segelte.

Burgherren und Gildemeister säumten die Decks, dazwischen drängten sich Harfner aller Ränge.

Sebell und Menolly sangen die Lieder, die den Meisterharfner allseits so beliebt gemacht hatten. Menolly fühlte sich schmerzlich an jenen Tag erinnert, an dem sie seinem Vater Petiron das Abschiedslied gesungen hatte. Damals hatte für sie selbst ein neuer Lebensabschnitt angefangen.

Und als das Schiff in die Große Südströmung einfuhr, wiesen ihm Geleitfische zu Dutzenden den Weg, immer wieder auf- und untertauchend und geschmeidig durch seine Bugwellen gleitend.

Als man Robintons Körper dem Meer übergab, verabschiedeten alle Drachen ihren Meisterharfner mit lautem Trompeten.

Von Ruths Rücken aus konnte Jaxom die kleinen Kräuselwellen sehen, die sich immer weiter nach außen zogen und schließlich mit den größeren Wogen verschmolzen. Nach einer Nacht voll Bitterkeit war er nun im reinen mit seiner Trauer um Meister Robinton und hatte sich von der abwegigen Vorstellung gelöst, er und Ruth hätten diesen friedlichen Tod verhindern können oder sollen.

Noch nicht verwunden hatte er jedoch die schmerzliche Enttäuschung über den Verlust von Akki. Er fühlte sich ausgerechnet in dem Moment im Stich gelassen, als er Akkis weisen Rat am dringendsten benötigt hätte. Hatte er nicht alles getan, was Akki wollte? Sich selbst und Ruth in Gefahr gebracht, um der verfluchten Prioritäten dieser undankbaren Maschine willen?

Deinen Kummer kann ich verstehen, Jaxom, sagte Ruth ruhig und betrachtete dabei wie alle anderen Drachen die Szene unter sich. Die Schiffe wendeten gerade, um in die Bucht zurückzukehren.

Warum aber erfüllen dich soviel Zorn und Groll?

»Er hat uns verlassen, und nun, da Meister Robinton nicht mehr ist, brauchen wir ihn doch mehr denn je.«

Nicht wir - du. Aber so darfst du es nicht sehen. Akki hat alle Informationen hinterlegt, die du brauchst - du mußt nur daraufzugreifen, dann kannst du alle Probleme lösen.

Zum erstenmal in ihrer langen Freundschaft verübelte Jaxom seinem Ruth eine Äußerung.

Dabei weißt du wahrscheinlich ganz genau, daß ich recht habe, scherzte Ruth. Ich glaube, Akki war ebenso müde wie der Harfner. Bedenk doch nur, wie viele Umläufe lang er getreu seinem Versprechen darauf gewartet hatte, die Aufgaben erfüllen zu können, die seine Schöpfer ihm gestellt hatten.

Obwohl Jaxom sich dagegen wehrte, ging ihm Akkis letzte Botschaft nicht aus dem Sinn. Robinton hatte an dieser Anlage soviel Freude gehabt! Hatte Akki seiner Existenz ein Ende gesetzt, bevor Meister Robinton in seinen letzten Schlaf gefallen war, oder erst danach? Akki hätte doch gewiß Hilfe geholt, wäre ihm Meister Robintons Zustand bekannt gewesen.

Gestern hatten sie alle Möglichkeiten gemeinsam durchgespielt.

Aber niemand hatte D'rams letzter Feststellung widersprochen: Akki war seinen uralten Verpflichtungen gerecht geworden - er war aller Ehren wert.

Warum willst du ihm dann die Ehre verweigern, die ihm zusteht, Jaxom? Zorn und Groll verdüstern dir doch nur Herz und Verstand.

Seufzend nahm Jaxom den sanften Tadel seines weißen Drachen hin.

»So ganz klar habe ich das wohl nicht durchdacht.«

Weißt du noch, was wir beide alles angestellt haben, nur um Akki zu beweisen, daß wir dazu fähig waren? Wir haben das Unmögliche geschafft, weil ich wußte, wo und wann es geschehen mußte. Es war gut, daß du damals in der Brutstätte die Schale für mich zerbrochen hast, Jaxom, denn wo wäre Pern sonst heute?

Über diese hintergründige Schmeichelei mußte Jaxom unwillkürlich lachen.

Aber Ruth hatte ihn mit seiner Drachenlogik auch aus seiner Niedergeschlagenheit herausgeholt.

»Und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde!« rief er laut aus. Ruth hatte recht: Nur er, Jaxom, Burgherr von Ruatha, und Ruth, sein weißer Drache, hatten vermocht, was nötig war, um Pern für immer von den Fäden zu befreien. Sie hatten ihrer Welt gedient, wie es nur ein Drache und sein Reiter konnten, untrennbar miteinander verbunden und ganz auf ihr Ziel ausgerichtet.

Und so kehrten Jaxom und Ruth zurück auf den Landsitz an der Meeresbucht, bereit, Akkis Vermächtnis anzutreten und sich in das Wissen zu vertiefen, das er ihnen hinterlassen hatte.

ENDE