10.
Der erste, der sich an Baron Ranrels Festtag nicht mehr auf den Beinen halten konnte, war Meister Idarolan. Er sprach dem Alkohol sonst nur selten zu, aber da für ihn am meisten auf dem Spiel gestanden hätte, wäre Ranrel nicht gewählt worden, hatte er offenbar schon beim Frühstück in seiner Gildehalle mit dem Trinken angefangen und den ganzen langen Vormittag weitergemacht, bis das im Konklave erzielte Ergebnis verkündet wurde. Da der Meisterfischer sich allgemein großer Beliebtheit erfreute, sah man über seinen ungewohnten Zustand großzügig hinweg. Und als er auf die Ecke des Hofes zugetorkelt kam, wo Jaxom, Sharra, Robinton, Sebell, Menolly und Tagetarl in ernstem Gespräch beieinandersaßen, empfand man seine Ausgelassenheit dort sogar als angenehme Abwechslung.
»Wir Fischer«, verkündete Idarolan in trunkener Leutseligkeit, »hätten unsere Gildehalle hier niemals halten können, wenn Blesserel Burgherr geworden wär'. Ehe wir gewußt hätten, wie uns geschieht, hätt' er uns Masten, Spieren, Rümpfe und Anker unterm Hintern weggepfändet!« Sein Überschwang war ansteckend, und Jaxom war nicht der einzige, der unwillkürlich grinste. »Ich wär' mit der ganzen Gilde samt Meistern, Gesellen und Lehrlingen in den schönen Hafen gezogen, der auf den alten Karten als Monaco verzeichnet ist. Jawoll, genau so hätt' ich's gemacht, wenn 'n anderer Baron geworden war' und nich' Ranrel.«
»Aber nun ist Ranrel ja Burgherr, und Sie sind aller Sorgen ledig«, versicherte Robinton dem Meisterfischer und bedeutete zugleich Sebell und Jaxom, für den Mann einen Hocker herbeizuschaffen, ehe seine Beine unter ihm nachgaben. Menolly und Sharra boten ihm ein paar ausgesuchte Leckereien an, in der Hoffnung, damit der Wirkung des Weins gegenzusteuern.
»Was soll ich meine Zeit mit Essen verschwenden, kommt sowieso bald alles wieder hoch.« Idarolan schob die Teller zur Seite und entschuldigte sich, als er aufstoßen mußte. »Einfach nicht drauf hören, meine Damen. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, aber anderswo drückt's dafür noch ganz gehörig, wenn Sie die Bemerkung verzeihen. Baron Jaxom…«
Er beugte sich gefährlich weit vor und sah den jungen Mann mit verschwimmendem Blick an.
»Wären Sie wohl so freundlich, mir den Weg zu weisen, damit ich danach weitertrinken kann?«
Jaxom bat Sebell mit einem Wink, ihm zu helfen, dann faßten die beiden Idarolan rechts und links unter und steuerten mit ihm an der Küche vorbei, wo reger Betrieb herrschte, auf die nächste Toilette zu.
»Wirklich, Freunde, hab' 'ne Heidenangst gehabt, daß dieser Blesserel das Rennen macht. Dann wär'n wir nämlich erledigt gewesen, wir anständigen, fleißigen Fischersleute, das könnt ihr mir glauben«, faselte Idarolan weiter. »Nüchtern hätt' ich das lange Warten nicht ausgehalten. Da braucht man einfach 'n Glas zur Stärkung, vielleicht auch zwei oder drei«, grinste er, zum Zeichen, daß er sich über seine Verfassung vollkommen im klaren war. »Aber ihr kennt mich ja, Jungs, an Bord keinen Tropfen. Niemals. Und für meine Meister gilt das gleiche - für die jedenfalls, die auf der Gildenrolle stehen.«
Jaxom, beförderte ihn in eine Kabine. Sebell öffnete ihm flink die Kleider. Dann wandten sie sich beide höflich ab.
Idarolan stimmte ein Seemannslied an, brachte aber nur ein heiseres Lallen zustande, obwohl er in Anbetracht der genossenen Weinmenge noch recht deutlich sprechen konnte. Er erleichterte sich so ausgiebig, daß die beiden Freunde sich erstaunt ansahen. Was mußte der alte Mann für eine Blase haben! Jaxoms Grinsen ging über in ein unterdrücktes Lachen, und schließlich platzte auch Sebell heraus. Idarolan grölte unbeirrt weiter.
Schließlich hatte der Meisterfischer sein Geschäft erledigt und sank in sich zusammen.
»Hoppla! Festhalten«, rief Jaxom erschrocken. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich Idarolans schlaffen Arm über die Schulter zu legen, ehe ihm der alte Mann wegrutschen konnte.
»Jetzt ist er hinüber, Jaxom, völlig hinüber.« Sebell schüttelte grinsend den Kopf. »Vielleicht wäre es am besten, ihn einfach hierzulassen, damit er seinen Rausch ausschlafen kann.«
»Das würde uns Meister Robinton niemals verzeihen. Lauf schnell in die Küche, Sebell, und schnappe dir einen Kanne Klah. Wir werden ihn schon wieder nüchtern kriegen. Warum soll er nur einen halben Tag feiern dürfen? Das Beste kommt schließlich erst noch.« Jaxom klappte den Deckel herunter, ließ Idarolan auf den Sitz sinken und drückte ihm eine Hand gegen die Brust, damit der schlaffe Körper nicht vornüberkippen konnte.
»Bin gleich wieder da.« Sebell huschte aus der Kabine und zog sorgsam die Tür hinter sich zu. Jaxom hörte seine Stiefel über den Steinboden schlurfen, dann wurde eine zweite Tür geöffnet und wieder geschlossen.
Er bemühte sich, Idarolan in eine andere, möglicherweise bequemere, auf jeden Fall aber praktischere Stellung zu bringen, denn der Mann drohte ihm durch die Finger zu schlüpfen wie ein Fisch auf einem Schiffsdeck. Dazu legte er ihm, den Rumpf stets senkrecht haltend, die kraftlosen Arme und Hände auf den Schoß. Die Knie drückte er ihm aneinander, so daß die Zehen nach innen zeigten. Dabei fiel ihm erstmals auf, wie groß Idarolans Füße in den eleganten Lederstiefeln waren.
In diesem Moment wurde die äußere Tür aufgestoßen. Wieder hörte Jaxom Schritte auf dem Steinpflaster und entschied voll Stolz auf sein scharfes Gehör, daß es sich um mehrere Männer handeln mußte, die keine Arbeitsstiefel trugen, sondern Lederschuhe. Rasch beugte er sich vor und verriegelte die Kabinentür, um Idarolan nicht in Verlegenheit zu bringen.
»Er ist nicht der einzige Erbe. Er ist nicht einmal unmittelbar erbberechtigt«, ließ sich ein Mann vernehmen.
»Das wissen wir«, sagte ein zweiter Mann mit rauher Stimme. »Seine Mutter war nur eine - allerdings reinblütige Kusine dritten Grades. Aber die Cousine zweiten Grades lebt noch, ihre Abstammung ist belegt, und ihren Sohn sähen wir gern an seiner Stelle.
Der Junge wäre leicht zu lenken. Bildet sich ein, er sei reinrassig.«
»Was ja auch stimmt«, schaltete sich eine hellere Stimme ein.
»Vergeßt nicht, daß die Söhne ihres Sohnes ebenfalls in direkter Linie erbberechtigt sind, auch wenn seine Mutter ihn von der Nachfolge ausgenommen hat«, sagte die rauhe Stimme.
Jaxom hatte keine Ahnung, wer gemeint sein könnte, denn Ranrels Abstammung hatte bisher niemand in Zweifel gezogen. Er besaß die hellen Augen seines Vaters und die groben Züge seiner Großmutter mütterlicherseits. Doch der Ton, in dem sich die Männer unterhielten, die Art, wie sie achtlos mit Söhnen und Reinblütigen um sich warfen, beunruhigte ihn zutiefst.
»Das heißt noch lange nicht, daß er nicht in Frage kommt«, sagte der erste Mann erbittert.
»Er ist in einem Weyr aufgewachsen, nicht in einer Burg, und er ist Drachenreiter, also kann er kein Burgherr sein.«
»Seine Söhne sind noch zu klein, sie kommen nicht in Betracht, nicht einmal mit einem Vormund. Nein, der Einheimische ist genau richtig. Er braucht nur ein wenig Zuspruch.«
»Wir müssen also nur bei passender Gelegenheit einen Unfall inszenieren, und schon ist die Nachfolge wieder umstritten?«
»Genau«, bestätigte die rauhe Stimme.
»Ja, aber wie?« fragte die helle Stimme.
»Er bekämpft doch Fäden, nicht wahr? Und er fliegt hinauf zu den Dämmerschwestern? Das ist gefährlich. Wir warten nur den richtigen Zeitpunkt ab, und schon…«
Er brauchte das grauenvolle Vorhaben gar nicht weiter auszuführen.
Ungläubig schüttelte Jaxom den Kopf. Sein Magen krampfte sich zu einem eiskalten Klumpen zusammen, als ihm endlich aufging, daß die Männer nur über ihn selbst, Lessa und F'lessan gesprochen haben konnten. Der ›Einheimische‹ mußte Pell sein, denn seine Mutter Barla war eine direkte Verwandte derer von Ruatha.
»Ich will aber schön auf festem Boden bleiben«, rief der zweite Mann. Die Stimmen entfernten sich, die Männer hatten ihr Geschäft erledigt.
»Das kannst du ja auch«, beschwichtigte der erste mit eiskaltem Lachen. »Wir haben…« Dann fiel die Tür zu, und der Rest des Satzes ging verloren.
Jaxom merkte, daß er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte, und atmete aus. Er zitterte am ganzen Körper. Sauerstoffmangel, beruhigte er sich und füllte seine Lungen in tiefen Zügen. Idarolan stöhnte auf und drohte zu Boden zu gleiten, weil Jaxom unversehens seinen Griff gelockert hatte.
»Nun mach schon, Sebell. Beeil dich!« Wenn Sebell genau in diesem Moment zurückkäme, könnte er noch sehen, wer eben die Toilette verlassen hatte. »Mach schon, Sebell.«
Ich sage seiner Feuerechse Bescheid, meldete sich plötzlich Ruth in seinem Bewußtsein. Seine Stimme klang besorgt. Was beunruhigt dich? Ich spüre es deutlich. Ist der Fischer krank?
Nein, Ruth, nur sehr betrunken. Bitte Kimi, Sebell zu sagen, er soll sich beeilen. Aber wahrscheinlich ist es sowieso schon zu spät, fügte er bedrückt hinzu. Er hatte keine der Stimmen erkannt und auch keinen Akzent herausgehört, den er irgendeiner Burg oder Gildehalle hätte zuordnen können.
Die Tür wurde krachend aufgestoßen.
»Jaxom? Was ist los?«
»Du hast nicht zufällig drei Männer hier herauskommen sehen?« rief Jaxom aufgeregt.
»Was ist denn nur geschehen? Kimi hat es furchtbar dringend gemacht. Was für Männer meinst du? Da draußen im Hof ist die halbe Welt versammelt.«
Sebell rüttelte an der Kabinentür, bis Jaxom den Riegel zurückzog. Der Meisterharfner sah besorgt auf den apathisch dasitzenden Fischer hinab, um dann Jaxom erstaunt zu mustern. Er trug in einer Hand eine Kanne und hatte sich einen Becher unter den Arm geklemmt.
»Schon gut, jetzt ist es zu spät.« Jaxom fühlte sich, als habe er eine Schlacht verloren. Er beschloß, Sebell nichts von dem Gespräch zu berichten, um ihn nicht zu beunruhigen. Möglicherweise handelte es sich ja nur um Wunschphantasien einiger Unzufriedener. Worte taten nicht weh, sagte er sich, obwohl sich das eben belauschte Gespräch keineswegs harmlos angehört hatte. Er stieß einen schicksalsergebenen Seufzer aus.
»Nun sag schon, was ist passiert?«
Sebell hatte einen ausgeprägten Harfnerinstinkt, dachte Jaxom grimmig. Aber schließlich war der Mann darauf gedrillt, die Augen offenzuhalten und auch das zu hören, was nicht ausgesprochen wurde.
Jaxom schaffte es, sich unbeteiligt zu geben. »Man mußte wohl damit rechnen, daß nicht jeder glücklich ist über Ranrels Wahlerfolg.«
Sebell sah ihn durchdringend an. »Nein, aber hier haben wir jemanden, der darüber sehr glücklich ist. Halt ihm den Kopf. Vielleicht weckt der Klah-Duft seine Lebensgeister. Übrigens ist Verstärkung unterwegs.«
»Es macht mir nichts aus…«, begann Jaxom. Er wollte keinesfalls als arroganter Laffe dastehen, der es für unter seiner Würde hielt, einem betrunkenen Freund beizustehen.
Grinsend bewegte Sebell den vollen Klah-Becher unter Idarolans Nase hin und her. Der Mann begann sich zu regen. »Ja, ich weiß, Jaxom, du bist in solchen Dingen sehr geschickt, aber seine Leute machen sich Sorgen um ihn, also überlaß es ihnen, sich diskret um ihn zu kümmern.«
Wieder wurde die Tür aufgestoßen, und mehrere Männer eilten herein. »Meister Sebell?«
Sebell drückte die Kabinentür auf. »Hier sind wir!«
Rasch löste man sich ab, und beim Hinausgehen hörten Jaxom und Sebell an den unverwechselbaren Geräuschen, daß Idarolans Vorhersage eingetroffen war. Sie grinsten sich an.
»Ich hatte schon immer ein ausgezeichnetes Gefühl für den richtigen Zeitpunkt«, sagte Sebell. »Das hat mir sogar Meister Shonagar bestätigt. Ah, die Musik hat angefangen.«
Jaxom blieb zögernd in der Tür stehen. Nun war ihm auch klar, wieso Sebell die drei Männer beim Herauskommen nicht bemerkt hatte. Sie hatten sich nicht lange mit Idarolan in der Toilette aufgehalten, doch in dieser Zeit hatte sich der Hof mit Gästen gefüllt, die alle in weinseliger Stimmung waren und sich mit so vielen Köstlichkeiten vollstopften, wie die Mägde auf ihren Tabletts nur heranschleppen konnten.
»Wann bist du mit Menolly an der Reihe?«
Sebell zwinkerte ihm zu. »Sobald der liebe Baron Ranrel uns zum Singen auffordert!«
»Ein neues Lied?«
»Was sonst? Schließlich wurde heute ein Burgherr gewählt!«
Sebells Fröhlichkeit machte auch Jaxom Mut. Wozu Gespenster heraufbeschwören? Wahrscheinlich war alles nur so dahingesagt. Aber er würde dennoch die Augen offenhalten.
Jaxoms Stimmung hatte sich entschieden gebessert, als er und Sharra den Tanzboden verließen. Sie wären gerne noch geblieben, aber die Pflicht rief: Sporenregen waren angesagt, anfangs nur über Wasser, später würde sich die Front jedoch von Süden her bis über die Grenze von Ruatha vorschieben. Jaxom versäumte nie einen Einsatz, auch wenn er noch so sehr mit Akki in Landing beschäftigt war, und er schloß sich auch bereitwillig den Geschwadern von T'gellans Ost-Weyr an, wenn dort Fäden fielen. Einerseits war das Ehrensache für den jungen Baron, andererseits empfand er, genau wie sein Drache, die bei jedem Fädeneinfall latent vorhandene Gefahr auch als anregend und genoß die Atmosphäre in den Kampfgeschwadern.
»Sieh nur, Jaxom.« Sharra zeigte zum Himmel, als sie sich anschickten, die Burg zu verlassen. Im Schein der zahllosen Lichter, die seit Sonnenuntergang auf jeder Mauer, in jedem Gehöft und jeder Kate und auf jedem Schiff funkelten, war gerade noch eine ganze Schar von Drachenleibern zu erkennen.
»Der gesamte Fort-Weyr hat anscheinend den Heimflug angetreten.«
Jaxom war damit beschäftigt, Sharra die Reitriemen so anzulegen, daß sie ihre Robe nicht beschädigten, und warf daher nur einen kurzen Blick nach oben. »Das mag schon sein.«
»Mach keine großen Umstände wegen meiner Röcke, Jax, da hängt ohnehin so viel Staub vom Tanzboden drin, daß nicht mehr viel zu verderben ist.«
Jaxom brummte nur, doch als Sharra ihm das Haar zauste, grinste er. Er hatte schon befürchtet, sie habe sich beim Tanzen völlig verausgabt, aber wenn sie noch zu Späßen aufgelegt war, konnte sie so müde nicht sein. Sie würden rechtzeitig nach Ruatha kommen. Ruth?
Ich mache Zeitsprünge, wenn es einen guten Grund dafür gibt, aber das ist jetzt nicht der Fall.
Ach, wirklich nicht? Jaxom grinste von einem Ohr zum anderen, als er sich auf den Rücken des weißen Drachen schwang. Auch Sharra lächelte, legte beide Arme fest um ihn und bemühte sich, mit den Fingern unter die Reitjacke zu gelangen, um seine nackte Haut zu liebkosen.
Du hast Zeit genug. Damit stieß Ruth sich elegant vom Boden ab und vollführte den ersten entscheidenden Schwingenschlag.
»Wie wunderschön!« rief Sharra Jaxom ins Ohr. »Bitte sag Ruth, er soll noch eine Schleife drehen. In solcher Pracht sehen wir Tillek niemals wieder.«
Ruth gehorchte und beschrieb gemächlich, mit gesenktem Kopf, um seinerseits den Anblick zu genießen, einen weiten Bogen. Die Augen des weißen Drachen glänzten tiefblau; in jeder der vielen Facetten spiegelten sich die Lichter von Tillek als winzige Punkte. Die Burg, die Katen und alle Schiffe im Hafen waren in strahlendes Licht getaucht. Wahrscheinlich hatte man sämtliche Leuchtkörbe aus dem ganzen Umkreis ins Freie geholt.
Jaxom spürte Ruths Seufzer in den Hinterbacken, als er dem weißen Drachen anstelle dieses herrlichen Anblicks ein Bild von Ruathas kahlen Höhen übermittelte und ihn bat, sie dorthin zu bringen.
***
Am nächsten Morgen fiel das Aufstehen schwer, obwohl Sharra bereits im Morgengrauen das Bett hatte verlassen müssen, weil der kleine Shawan zu weinen anfing. Der Fädeneinfall war erst für den frühen Nachmittag angesagt, und so ließ sich Jaxom noch ein wenig Zeit, um die erste Tasse Klah zu genießen. Sharra kam mit Shawan herein, der wieder fröhlich lachte. Jarrol, die Bäckchen vom Schlaf gerötet, den Lockenkopf zerzaust, fand sich ein, sobald er die Stimme seines Vaters hörte, hopste auf dem Bett herum und wollte gekitzelt werden. Nach Abschluß dieses Rituals leistete er seinem Vater beim Waschen und Anziehen Gesellschaft. Inzwischen wurde im Wohnraum das Frühstück aufgetragen.
Jaxom gab Jarrol den Auftrag, Brand zu ihm zu bitten. Dies war eine günstige Gelegenheit, alle dringenden Burggeschäfte zu erledigen, die sich während der Siebenspannen seit seinem letzten Besuch auf Ruatha angesammelt haben mochten. Da Sharra und Jarrol ihn am nächsten Tag nach Landing begleiten wollten, waren auch noch andere Dinge zu regeln.
Erst nachdem Sharra ihn mit Brand alleingelassen hatte, um mit den beiden Jungen ihren eigenen Pflichten nachzugehen, fiel ihm das merkwürdige Gespräch in der Toilette von Tillek wieder ein.
»Sag mal, Brand, was treibt eigentlich der junge Pell, der Sohn von Barla und Dowell, zur Zeit?«
»Er geht bei seinem Vater in die Lehre, aber er wäre viel lieber in Landing.«
»Wie die meisten Jungen aus dem Norden.« Jaxom lehnte sich in dem schönen Holzstuhl zurück, den Dowell ihm geschnitzt hatte. »Taugt er denn zum Tischler?«
»Wenn er sich Mühe gibt, ist er durchaus fähig.« Brand zuckte gleichmütig die Achseln. »Warum fragst du?«
»In Tillek auf dem Abort habe ich ein sonderbares Gespräch mitangehört. Vielleicht waren es nur ein paar verbitterte Anhänger eines der anderen Kandidaten, die ihrer Enttäuschung Luft machten. Pell könnte durchaus Anspruch auf Ruatha erheben, nicht wahr?«
Brand richtete sich auf, in seinen Zügen malte sich Betroffenheit. »Was redest du da, Jaxom?« schalt er, genau wie früher, wenn er Jaxom als kleinen Jungen bei irgendeinem Unfug ertappt hatte. »Mit dir ist doch alles in bester Ordnung, du hast zwei prächtige Söhne, und wahrscheinlich kommen noch mehr dazu.« Er runzelte die Stirn. »Was wurde denn genau gesprochen? Hast du Lytol unterrichtet?«
»Nein, und du hältst auch den Mund. Das bleibt unter uns, eine Sache zwischen Burgherr und Verwalter oder zwischen zwei Freunden, Brand. Damit das ganz klar ist.«
»Selbstverständlich«, versicherte Brand hastig. Dann hob er mahnend den Zeigefinger. »Aber nur, wenn du mir haarklein erzählst, was du gehört hast.«
Jaxom hatte volles Vertrauen zu Brand, und deshalb empfand er es als wahre Wohltat, sich alles von der Seele zu reden. Er hatte gehofft, die Geschichte würde dabei ihren Schrecken verlieren, aber Brand nahm sie sehr ernst.
»Wäre es möglich, daß jemand einen Unfall inszeniert, während du mit Ruth da oben bist?« fragte er.
Jaxom schnaubte. »Ich versichere dir, daß ich künftig in der Wahl meiner Begleiter sehr vorsichtig sein werde. Aber ich glaube nicht, daß das so einfach zu machen wäre.«
»Die beiden Flüge, die du bereits unternommen hast, waren nicht ohne Gefahr.«
Jaxom schüttelte entschieden den Kopf. »Da konnte nichts passieren, Ruth war zu nahe bei mir. Und ich stand ununterbrochen mit Akki in Verbindung. Beim erstenmal waren außerdem noch Piemur und Farli und Trig dabei. Morgen geht Sharra mit hinauf - wußtest du das? Gut. Mirrim und S'len sind für den folgenden Tag eingeteilt. Von ihnen wäre niemand für ein Komplott gegen mich zu gewinnen. Außerdem würde Ruth verhindern, daß mir etwas zustößt.«
Da kannst du ganz sicher sein.
Jaxom grinste, und als Brand die Anzeichen eines Ruth-Jaxom-Dialogs erkannte, beruhigte er sich und gestattete sich sogar ein kleines Lächeln.
»Offensichtlich unterschätzt man dich und Ruth, und da du nun gewarnt bist…« Brand runzelte die Stirn, seine Augen wurden schmal. »Aber ich werde mit dem jungen Pell ein Wörtchen reden. Jung ist er zwar, und stolz auf seine Abstammung, aber nicht töricht genug, um auf dem Weg über deinen Tod Burgherr werden zu wollen. Außer dir und deinen Söhnen wären außerdem noch F'lessans drei Sprößlinge zu berücksichtigen. Als Lessas Enkel sind sie direkt erbberechtigt, auch wenn sie bei deiner Geburt ihren Anspruch an dich abgetreten hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die älteren Burgherren die Jungen von der Erbfolge ausschließen würden, nur weil F'lessan Drachenreiter ist. Der wichtigste Aspekt wäre der Verwandtschaftsgrad, und schon deshalb glaube ich nicht, daß Pell eine Chance hätte. Jedenfalls nicht bei der gegenwärtigen Zusammensetzung des Konklaves. Außerdem wird sich die Frage ohnehin nicht stellen!« Der überzeugte Tonfall seines alten Freundes trug viel dazu bei, Jaxoms quälende Unruhe zu lindern.
Dann nahm Brand die Schultern zurück, wie er es immer tat, wenn er das Thema wechseln wollte.
»Was für ein Fest!« bemerkte er. Als Oberster Verwalter von Ruatha hatte auch er an den Feierlichkeiten auf Burg Tillek teilgenommen. »Ich muß schon sagen, so einladend hat Tillek noch nie ausgesehen. Mit Ranrel als Burgherrn müssen wir uns wohl auf einschneidende Veränderungen gefaßt machen. Freut mich für dich, daß es nun einen zweiten Baron gibt, der etwa in deinem Alter ist.«
Jaxom schnitt eine Grimasse. »Ja, vielleicht darf ich jetzt sogar im Konklave hin und wieder den Mund aufmachen.«
Brand grinste. »Wie ich höre, hat deine Botschaft Toric schließlich doch erreicht.«
»Hmmm, ja, allerdings mußte ich Groghe als Mittelsmann einschalten. Und was hast du für mich? Ich muß nach dem Mittagessen zum Fädenkampf.«
»Mehr oder weniger sind es Kleinigkeiten, die zu besprechen wären, Baron Jaxom. Mal sehen.« Brand hob das oberste Blatt von dem mitgebrachten Stapel ab.
***
Während er mit Ruth über dem Fort-Weyr kreiste, versuchte Jaxom wieder einmal, sich vorzustellen, wie es denn wohl zugegangen war, als die ersten Drachenreiter den alten Krater bewohnten. Hatten sie sich ebenso wie die Drachen dieses Jahrhunderts, um die Befehle ihres Anführers entgegenzunehmen, am Kraterrand in einer Reihe aufgestellt, die von den Sternsteinen bis zu der Stelle reichte, wo der Weyrkessel von Fort vor Urzeiten bei einem Erdrutsch eingebrochen war? Wie viele Drachenreiter waren es gewesen, bis es nötig wurde, auf den Benden-Weyr auszuweichen? Niemand wußte es - und in Jaxom stieg ein Gefühl der Trauer auf um diese vergessenen Zeiten, ein bittersüßer Schmerz, der noch dadurch verstärkt wurde, daß man Teile der Geschichte mit Akkis Hilfe inzwischen hatte Wiederaufleben lassen. Freilich war der Blick aus der Luft auf den Weyr auch ungeachtet der glanzvollen Vergangenheit von atemberaubender Schönheit. Obendrein flog Fort im Moment in voller Stärke, denn auch die Jungreiter aus diesem Planetenumlauf waren in die Geschwader aufgenommen worden. Hinter den Geschwaderzweiten mit ihren Bronzedrachen reihten sich Scharen von Grünen, Blauen und Braunen, lauter gesunde, kräftige Tiere, deren Haut in der Mittagssonne glänzte.
Bronzedrache Lioth mit seinem Reiter N'ton stand wie eine Statue vor den Sternsteinen. Ruth erwiderte Lioths schrilles Trompeten und landete präzise auf seinem gewohnten Platz zur Rechten des Weyrführers von Fort. N'ton grüßte Jaxom mit erhobenem Arm und zeigte dann in den Kessel hinab, wo gerade vier Königinnenreiterinnen ihre Flammenwerfer in Empfang nahmen.
Ein blauer Patrouillenreiter, der einen Erkundungsflug unternommen hatte, tauchte unvermittelt über ihnen auf und signalisierte wie von alters her mit beiden Armen das Nahen der Fädenfront. N'ton bestätigte, und sofort drehten alle Drachen fast gleichzeitig die Köpfe nach hinten und nahmen von ihren Reitern den Feuerstein in Empfang. Die Königinnen taten lautstark ihre Kampfbereitschaft kund, stießen sich nacheinander vom Boden des Weyrkessels ab und schwebten in Spiralen nach oben, um sich zur Linken von N'ton und Lioth zu postieren. Der große Bronzedrache kaute bedächtig den ersten der vielen Feuersteinbrocken, die er vor Ende des Fädeneinfalls noch würde zerkleinern müssen. Auch Jaxom reichte Ruth einen Klumpen und lauschte andächtig, während die Drachenzähne das phosphorhaltige Gestein zermalmten. Inzwischen konnte er zwar wissenschaftlich erklären, wie die Drachen das Gestein in ihrem zweiten Magen verdauten und die dabei entstehenden Gase in einem Feuerstrahl ausrülpsten, aber das hatte seiner Hochachtung vor dem Drachengeschlecht keinen Abbruch getan.
Jaxom beobachtete Ruth sehr aufmerksam, dann und wann biß sich nämlich jeder Drache beim Kauen in die Zunge oder in die Wangen, ein an sich harmloses Mißgeschick, das ihm dennoch die Teilnahme an diesem Einsatz verbieten würde.
Als Lioth fertig war, stieß er abermals einen lauten Schrei aus, und N'ton bewegte mehrmals den Arm auf und ab, das uralte Zeichen, sich in die Lüfte zu schwingen. Lioth stieß sich mit einem mächtigen Satz vom Kraterrand ab, Ruth folgte ihm einen Atemzug später. Im nächsten Moment schwebten auch die Königinnen elegant über dem Boden. Lioth gewann an Höhe und schwenkte nach Südosten, und nun stieg ein Geschwader nach dem anderen auf und nahm Kampfposition ein: drei über N'ton und Ruth, drei dicht hinter ihnen, die dritte Gruppe darunter, und das Königinnengeschwader noch eine Ebene tiefer.
Die Augen aller Reiter waren auf N'ton gerichtet; alle Drachen hörten auf Lioths Wort. So oft Jaxom auch schon zugesehen hatte, wie die Drachenschwärme ins Dazwischen gingen, so oft er selbst dabei gewesen war, der Vorgang begeisterte ihn immer wieder von neuem.
Im Dazwischen ist es doch kälter als im Weltraum, erklärte er Ruth. Einen Atemzug später schwebten sie über Ruathas Südgrenze, unter ihnen wand sich der breite Fluß wie eine silberne Schlange. Und im Osten fiel der Silberregen, den sie zerstören sollten.
Die Geschwader trafen auf die Fäden, spien Feuer auf die dicken Knäuel und sahen ihnen nach, wenn sie sich in den Flammen ringelten, zusammenschrumpften und als harmlose Ascheflocken in die Tiefe sanken. Die oberen Geschwader schossen blitzschnell über den Himmel, und ganz unten verfolgten die Königinnenreiterinnen die wenigen Fäden, die bis dahin der Vernichtung entgangen waren, mit zischenden Strahlen aus flüssigem Feuer.
Wieder einmal führten Jaxom und Ruth mit all den anderen den uralten Kampf zum Schutze Perns, fanden sich in seinen Rhythmus hinein, vermieden seine Gefahren, gingen ins Dazwischen und tauchten wieder auf, glitten über die ganze Breite der Fädenfront und sengten Schneisen durch den tödlichen Regen. Beide handelten auf Grund von Reflexen, die sich in langer Übung herausgebildet hatten und unabhängig von den bewußten Anweisungen des einen oder anderen Partners funktionierten.
Sie hatten die Front mindestens acht Mal durchflogen und waren dabei immer weiter nach Südosten geraten, als unmittelbar vor ihnen ein blauer Drache aufschrie und im Dazwischen verschwand. Wie erstarrt wartete Jaxom einen Herzschlag lang auf die Rückkehr des Blauen. Hunderte von Längen tiefer tauchte er wieder auf. Seine linke Schwinge war mit Brandwunden übersät.
Es hat ihn schlimm erwischt, sagte Ruth, als der Blaue wieder verschwand. Sicher würde er in den Weyr zurückkehren, wo man ihn bereits erwartete, um die verletzte Schwinge mit Heilsalbe zu bestreichen und die Schmerzen zu betäuben.
Einer von den neuen Jungreitern. Immer wieder ist einer dabei, der die Augen nicht offenhalten kann.
Jaxom war nicht sicher, ob Ruth den Drachen oder den Reiter meinte. Der weiße Drache wich so unvermittelt einem dicken Fädenknäuel aus, daß die Reitriemen in Jaxoms linken Oberschenkel schnitten. Dann wendete er fast auf der Stelle, stieß auf den Klumpen hinab und vernichtete ihn mit einem gewaltigen Feuerstrahl. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, streckte er gebieterisch den Kopf nach hinten. Gehorsam fütterte Jaxom ihn mit neuem Feuerstein. Während Ruth kaute, stieg er nach oben, sah sich um, wo sein nächster Flammenstoß den größten Schaden anrichten würde, und schwenkte nach rechts. Wieder wurde Jaxom mit seinem ganzen Gewicht ins Reitgeschirr gepreßt. In diesem Moment spürte er, wie der vordere Gurt sich dehnte und der Sattel locker wurde. Rasch griff er mit der rechten Hand nach einem Nackenwulst, legte beide Beine fest an und umklammerte die linksseitigen Riemen.
Ruth reagierte auf der Stelle und hielt mitten im Nichts an, bis Jaxom das Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Ein dünnes Flämmchen drang aus seinem Maul, als er sich verblüfft zu seinem Reiter umdrehte.
Der Gurt ist gerissen? Die Frage klang erstaunt.
Jaxom tastete das Leder mit behandschuhten Fingern ab. Die abgewetzte Stelle gleich unter der Schnalle war leicht zu finden, aber der Gurt hatte sich zum Glück nur gedehnt. Dennoch war Jaxom lediglich um Haaresbreite dem Tode entronnen. Ein wenig mehr Zug, der Gurt wäre entzweigegangen und der Reiter aus dem Sattel geflogen.
Mit schmerzhafter Deutlichkeit erinnerte sich Jaxom nun an das ominöse Gespräch, das er belauscht hatte. Sie konnten den Plan doch unmöglich über Nacht ausgeführt haben? »Ein Unfall«, hatte es geheißen. Was wäre unverdächtiger als ein defekter Reitriemen?
Jeder Drachenreiter war selbst für sein Geschirr verantwortlich, erneuerte es häufig und kontrollierte es vor jedem Fädenfall auf Abnutzungen und Beschädigungen. Jaxom war wütend auf sich selbst. Er hatte sein Geschirr heute morgen gar nicht richtig angesehen, als er es von seinem Haken in Ruths Weyr nahm, einem Ort, der jedem Bewohner von Ruatha offenstand. Und jedem zufälligen Besucher.
Es gab etwas, das noch kälter war als das Dazwischen oder der Weltraum. Die Angst!
Gerissen ist er nicht, Ruth. Aber das Leder ist stark überdehnt. Laß uns nach Fort zurückfliegen, dann schnorre ich beim Ausbilder der Jungreiter einen Ersatzgurt. Sag Lioth Bescheid, warum wir ausscheren. Es dauert sicher nicht lange.
Jaxom hörte sich die wohlverdiente Strafpredigt von H'nalt, dem Ausbilder der Jungreiter, geduldig an, denn als sie den Lederriemen genauer untersuchten, stellten sie fest, daß er eindeutig unter der Kälte gelitten hatte und Dehnungsrisse aufwies. Wenigstens waren die Metallteile an den Knebeln blank genug, um den Ansprüchen des alten H'nalt zu genügen. Voller Erleichterung, daß die Probleme in diesem Fall mit ganz normalen Abnutzungserscheinungen zu erklären waren, kehrten Jaxom und Ruth zu ihrem Geschwader zurück und kämpften bis zum Ende des Fädenfalls.
Kaum war Jaxom wieder auf Ruatha, als er sich als erstes neue Riemen aus dem dicken, tiefbraunen Leder schnitt, das auf seiner Burg gegerbt wurde. Am gleichen Abend ölte er die Riemen mit Jarrols Hilfe ein und nähte die Schnallen daran fest. Sharra gegenüber erwähnte er nichts davon, wie knapp er mit dem Leben davongekommen war, und sie war zum Glück daran gewöhnt, daß Jaxom den ganzen Abend lang an seinem Reitgeschirr herumbesserte. Als er sich später noch einmal vergewisserte, daß es Ruth in seinem Weyr auch an nichts fehlte, hängte er die geflickten Riemen an den Haken, versteckte jedoch von da an das Geschirr, das er tatsächlich verwendete, und auch das Zweiergeschirr für sich und Sharra. Gewarnt sein heißt gewappnet sein, sagte er sich.
***
Jaxom erwachte, Stunden bevor in Ruatha der Morgen graute, gerade rechtzeitig für den Flug nach Landing, und half Sharra, den schlafenden Jarrol in seinen warmen Reitanzug zu packen. Shawan war noch viel zu klein, um ihn der Kälte des Dazwischen ausgesetzt zu werden, er sollte während der Abwesenheit seiner Mutter von seiner Amme betreut werden.
Die Reise bot genügend Attraktionen, um Sharra von ihren mütterlichen Pflichten wegzulocken: sie würde mit eigenen Augen sehen, warum Jaxom sich seiner Aufgabe so ganz mit Haut und Haaren verschrieben hatte; sie würde Gelegenheit bekommen, ihren Beruf auszuüben; und sie würde ihre besten Freunde wiedersehen. Jancis hatte sich bereiterklärt, sich neben ihrem eigenen Pierjan auch um Jarrol zu kümmern, während Sharra sich auf der Yokohama befand.
Ihre beiden Feuerechsen, der Bronzefarbene Meer und der Braune Talla, waren noch aufgeregter als sie, und Ruth schalt sie wegen ihrer Zappeligkeit, als er sich vom dunklen Burghof von Ruatha in die Lüfte erhob.
In Landing war es kühl, denn auf dem Südkontinent herrschte Winter, aber so trostlos braun und kahl wie im winterlichen Ruatha war es dort nie. Sharra liebte Ruatha - es war Jaxoms Zuhause, und ihre Kinder waren dort geboren worden - ihre Jugend hatte sie jedoch auf dem Südkontinent verbracht.
Sobald sie das Akki-Gebäude betraten, kam ihnen bereits Mirrim entgegengelaufen, die mit D'ram geplaudert hatte.
»Ich bin soweit, ich warte nur noch auf euch«, verkündete sie.
»Nicht so stürmisch, Mädchen!« lachte Jaxom. Seit sie mit T'gellan zusammenlebte, war sie wesentlich ruhiger geworden, dennoch neigte sie immer noch zum Übereifer, wenn sie sich für etwas begeisterte. Nicht unbedingt ein Nachteil, das sah Jaxom ein, aber für ihre Umgebung manchmal doch recht strapaziös.
»Nun, ich bin jedenfalls soweit, ich muß meiner Path nur noch die beiden Fässer und die Tanks aufschnallen. Und wenn wir jetzt noch nicht wissen, was wir zu tun haben« - sie warf Sharra einen schnellen Blick zu -, »lernen wir's auch nicht mehr. Dabei ist es doch ganz einfach. Die Päckchen öffnen, Wasser zufügen und umrühren.«
»Nicht ganz«, lächelte Sharra. »Was Zeit kosten wird, ist das Ausrichten der Spiegel, und deren richtige Position ist wiederum entscheidend für den Erfolg der Algenvermehrung.«
»Ich weiß, ich weiß.« Mirrim winkte ungeduldig ab.
»Wartet S'len etwa auch schon?« fragte Jaxom.
»S'len!« stöhnte Mirrim ironisch.
»Der studiert die Aufnahmen von der Brücke, obwohl wir die Koordinaten doch direkt von Ruth bekommen sollen.«
»Wer trägt die Wasserfässer?« Sharra nahm Mirrim bei der Hand und zog sie mit sich, um diese kleine Frage zu klären.
»Wie ich höre, haben Sie Toric einen guten Rat gegeben.« D'rams Augen funkelten boshaft.
»Nein«, antwortete Jaxom ganz ruhig. »Das war nicht ich, sondern Baron Groghe. Sollte ich sonst noch etwas über Landing wissen?« fragte er dann spitz.
»Was Sie über Landing wissen müssen, erfahren Sie von Akki.« D'ram scheuchte ihn den Korridor entlang. »Er erwartet Sie schon.«
Akki umriß das Arbeitsprogramm, als sei Jaxom keinen einzigen Tag fortgewesen.
»Im Ökologischen Sektor ist jetzt genügend Sauerstoff vorhanden, dennoch müssen die anstehenden Aufgaben zügig erledigt werden. Die Feuerechsen sollen Lady Sharra und Mirrim, die grüne Reiterin, begleiten, da sie besonders empfindlich auf plötzlichen Druckabfall oder Sauerstoffmangel reagieren. Außerdem ist es ein wesentliches Ziel dieser Expeditionen, möglichst viele Echsen auf den Transfer vom Planeten zur Yokohama zu trainieren.«
»Wann wirst du uns diese Finesse deines Gesamtplans erklären?« fragte Jaxom und formte lautlos die Worte, die nun unweigerlich kommen mußten.
»Wenn die Zeit reif ist. Warum fragen Sie, Jaxom, wenn Sie die Antwort bereits kennen?«
Jaxom tat so, als wolle er mit beiden Händen nach Akki schlagen. Dem Ding entging doch wirklich kaum etwas - nicht einmal eine stumme Frechheit.
»Nur zur Sicherheit«, gab er liebenswürdig zurück. »Es hätte ja sein können, daß die Zeit während meiner Abwesenheit reif geworden ist.«
»Es gibt noch sehr viel zu tun, bis es soweit ist. Gerade Ihnen, der Sie auf der Yokohama waren, müßte das doch einleuchten.«
»Noch zwei Umläufe?«
»Fünf Monate und zwölf Tage im Hinblick auf die Position des exzentrischen Planeten. Inzwischen können die Feuerechsen lernen, genau wie hier auf der Planetenoberfläche Botendienste zu leisten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten Gegenstände auf die Yokohama zu bringen, die dort benötigt werden.«
Jaxom schluckte seine Enttäuschung hinunter. Sie hatten keine andere Wahl, sie mußten das Tempo akzeptieren, das Akki ihnen vorgab. Aber was sollten die Feuerechsen nach Akkis Vorstellungen denn - letztendlich - befördern? Jaxom konnte es sich nicht vorstellen.
Da es ohnehin keinen Sinn hatte, noch weiterzubohren, kehrte er zu den anderen zurück, um mit ihnen die letzten Vorbereitungen für den heutigen Ausflug zu treffen. Es standen genügend Helfer bereit, um Ruth, Path und S'lens Bigath mit Sauerstofftanks und Wasserfässern zu beladen, dennoch machte Mirrim schrecklich viele Umstände, bis sie mit dem Sitz der Tanks auf ihrer geliebten Path endlich zufrieden war.
»Das ist reine Zeitverschwendung, Mirrim«, mahnte Jaxom endlich, als sie es sich nicht nehmen ließ, auch noch die Knoten auf Paths Rücken zu polstern. »Die Ladung liegt wunderbar auf, außerdem ist es ja auch kein normaler Flug.« Insgeheim hatte er den Verdacht, daß Mirrim nur ihre Nervosität bemänteln wollte.
Sharra beherrschte sich ausgezeichnet und S'len ebenfalls, allerdings zeigte sein Gesicht eine hektische Röte.
»Ich will nur vermeiden, daß sie rutschen«, verteidigte sich Mirrim steif.
»Sie werden auf jeden Fall rutschen. Von hier zur Yokohama«, grinste S'len.
»Genug. Wir brechen auf! Ruth!« Jaxom spürte, wie Sharras Hände sich fester in seinen Gürtel krallten. Er übermittelte Ruth das Bild der Brücke und hörte mit, wie der weiße Drache die Koordinaten an Path und Bigath weitergab.
Wie Jaxom an Akki vieles nicht verstand, so hatte auch die künstliche Intelligenz einige Mühe, mit den Fähigkeiten der Drachen zurechtzukommen. So wollte Akki etwa wissen: Wieviel Gewicht vermag ein Drache zu tragen? Und die Antwort darauf war eine Gegenfrage: ›Wieviel Gewicht glaubte der Drache denn tragen zu können?‹ Für Akki war das Haarspalterei - und gewiß keine Hilfe, wenn exakte Zahlen benötigt wurden.
Dann war da die Frage: ›Woher wissen Drachen, wohin sie fliegen sollen?‹ ›Von ihren Reitern‹, war für Akki keine ausreichende Erklärung dessen, was dabei vor sich ging. Akki räumte zwar ein, daß so etwas wie Teleportation existierte, konnte aber nicht einsehen, warum man den Drachen und Feuerechsen einfach nicht vermitteln konnte, was es mit Telekinese auf sich hatte. Noch dazu, seit Ruth tatsächlich etwas begriffen hatte, wozu Farli nicht fähig gewesen war: die Bedeutung eines Fluges zur Yokohama.
Als Jaxom die einzelnen Vorbereitungen für diesen Gemeinschaftsflug traf, hatte er Ruth gefragt, ob er imstande sei, zwei Reiter und zwei gepolsterte Fässer, eines mit reinem und eines mit kohlensäurehaltigem Wasser, zu tragen. Ruth hatte dies ohne weiteres bejaht, während Akki der Ansicht war, eine solche Ladung sei eigentlich zu schwer für den zierlichen Knochenbau des Drachen.
»Wenn Ruth glaubt, daß er es kann, dann kann er es auch.« Mehr hatte Jaxom dazu nicht zu sagen. »Schließlich ist es ja nicht allzu weit.«
Vielleicht wäre es einfacher, bemerkte der weiße Drache, als er sich in die Lüfte erhob, gleich vom Boden aus ins Dazwischen zu gehen, anstatt sich erst abzustoßen.
Wird dir die Ladung nun doch zuviel? neckte ihn Jaxom.
Natürlich nicht. Sie ist nur sperrig! Alles hinsetzen. Es geht los!
Die fünf Feuerechsen kreischten nur einmal kurz, dann stießen die Tanks auch schon klirrend gegen die Wand der Brücke. Die drei Neulinge schrien überrascht auf.
Jaxom hörte, wie Sharra vor Staunen der Atem stockte. Grinsend drehte er sich um und sah, wie sie mit andächtig geweiteten Augen die phantastische Aussicht auf Pern betrachtete, das inmitten der grenzenlosen Schwärze des Weltraums unter ihnen lag. Ihre Feuerechsen Meer und Talla hatten den Sprung genau wie Mirrims Reppa, Lok und Tolly gut überstanden und schlugen nun mit entzücktem Gekreische Purzelbäume in der Schwerelosigkeit.
»Oh!« sagte sie nur, und ihre Augen strahlten. »Jetzt kann ich verstehen, mein Herz, warum dich das alles so gefangennimmt! Von hier oben ist Pern so schön, so heiter. Man sollte den verbitterten alten Streithähnen da unten unsere Welt einmal aus diesem Blickwinkel zeigen… Ist es nicht unfaßbar, Mirrim?« Sie bekam keine Antwort. »Mirrim?«
Jaxom wandte sich nach der grünen Reiterin um, die durch das Panoramafenster starrte, als wollten ihr die Augen aus dem Kopf fallen.
»Das ist Pern?« krächzte Mirrim. »Da unten?« Sie deutete kraftlos mit dem Finger auf das Deck.
»Das ist Pern! Ist die Aussicht nicht großartig?« Jaxom bemühte sich, die sichtlich überwältigte Mirrim mit seinem Geplauder wieder in die Gegenwart zurückzuholen. »S'len? Alles in Ordnung?«
»Ich g-g-glaube s-s-schon.« Ganz überzeugt war der zweite grüne Reiter offenbar nicht.
Jaxom lächelte Sharra an. »Es ist beeindruckend«, erklärte er so unbeschwert, wie nur jemand sein konnte, der das erste Staunen bereits hinter sich hatte. »Jetzt aber los! Denkt an Akkis ständige Ermahnungen. Wir dürfen keinen Sauerstoff vergeuden.«
»Wieso eigentlich nicht?« Mirrim hatte ihr Selbstbewußtsein zurückgewonnen. »Wir brauchen doch nur mehr Tanks heraufzubringen?« Mit energischen Bewegungen öffnete sie ihr Reitgeschirr.
»Vorsichtig, Mirrim, du bist… äh… hoppla.«
Jaxom verstummte. Mirrim hatte tatsächlich vergessen, wie man sich im freien Fall bewegte, und trieb bereits auf die Decke zu. »Du mußt eine Hand ausstrecken und dich behutsam von oben wieder abstoßen. So ist es richtig.«
Mirrim war der Schreckensschrei im Halse steckengeblieben; außerdem wollte sie sich auch nicht unbedingt blamieren. Nun befolgte sie Jaxoms Anweisungen und brachte sogar ein mattes Lächeln zustande, als sie Paths Schnauze zu fassen bekam, die das Drachenweibchen ihr hilfsbereit entgegenstreckte. Zum Glück war die Grüne einigermaßen fest zwischen dem Geländer und der Wand eingeklemmt und deshalb den Launen des freien Falls nicht unterworfen.
»Steigen Sie jetzt ab, S'len, aber bewegen Sie sich dabei ganz langsam und sachte. Halten Sie sich an einem Nackenwulst oder sonst irgendwo fest«, mahnte Jaxom. Ehe er seine eigenen Reitriemen löste, nickte er Sharra zu. Für sie galt das gleiche wie für S'len.
Das Abladen begleitete er mit einem nicht abreißenden Strom von Ermunterungen und Ratschlägen. S'len jauchzte vor Begeisterung, als er merkte, daß man die schweren Tanks nur ganz vorsichtig mit einem Finger anzustupsen brauchte.
»Unhandlich sind sie immer noch«, stellte Mirrim fest, als sie einen davon in Richtung Lagerraum dirigierte. Dann grinste sie. »T'gellan sollte mich sehen können. Jetzt ist mir auch klar, warum Akki ausdrücklich grüne Drachen verlangt hat.«
»Endlich bekommen einmal die Grünen die besten Aufträge«, fügte S'len stolz hinzu.
»Grüne Drachen sind weitaus vielseitiger, als man gemeinhin annimmt«, erklärte Mirrim überzeugt. »Was man von grünen Feuerechsen nicht unbedingt behaupten kann«, fügte sie mit einem verdrießlichen Blick auf Reppas und Loks kindische Kapriolen hinzu. Die beiden schlugen mit begeistertem Geschnatter einen Salto nach dem anderen. Meer, Talla und Tolly, ihr eigener Brauner, hatten von diesen Albernheiten bereits genug, sie klebten mit schlaff herabhängenden Flügeln am Fenster und betrachteten wie gebannt die Aussicht.
Sobald die Drachen ihrer Lasten ledig waren, forderte Ruth Path und Bigath auf, mit ihm ans Fenster zu kommen. Während der weiße Drache in aller Ruhe von oben herabschwebte, hatten Path und Bigath einige Schwierigkeiten, die den menschlichen Zuschauern Anlaß zur Heiterkeit boten.
»Sie lernen rasch«, sagte Jaxom anerkennend. »Immerhin sind sie ja ans Fliegen gewöhnt.«
Nachdem die Sauerstofftanks festgezurrt waren, bekamen auch die anderen Gelegenheit, den herrlichen Ausblick auf den riesigen Planeten zu genießen.
»Wendet er uns immer die gleiche Seite zu?« fragte Mirrim. »Ich kann Benden von hier aus nicht sehen.«
»Ruatha auch nicht«, fügte Sharra hinzu.
»Der Ost-Weyr ist gerade noch zu erkennen«, warf S'len ein, »und dabei hatte ich ihn für ziemlich groß gehalten!«
»Das versteht man unter einem geosynchronen Orbit, Freunde, das Schiff bleibt in bezug auf die Planetenoberfläche immer in der gleichen Position«, erklärte Jaxom. »Aber steuert doch einmal dort drüben das erste Schaltpult an - ganz sachte!« Er bekam Mirrim zu fassen, ehe sie sich zu heftig vom Fenster abstoßen konnte. »Auf dem Heckmonitor sieht man die Küste von Nerat und einen Teil von Benden, aber«, er nickte Sharra zu, »die Burg des Südens liegt hinter dem Horizont.«
»Dann brauchst du Toric gar nicht erst heraufkommen zu lassen«, warnte sie ihn mit einem spöttischen Lächeln. »Er will sowieso nur den Südkontinent unter sich liegen sehen.«
Alle gelangten ohne Zwischenfälle zur Navigationskonsole, wo Jaxom den Heckmonitor aktivierte.
»Das ist gar nichts!« Mirrim nahm wieder einmal kein Blatt vor den Mund. »Viel zu klein.«
»Einen Augenblick bitte«, antwortete Jaxom und hob die Hand, während er im Geiste noch einmal die Schritte durchging, die erforderlich waren, um ein anderes Bild auf dem Hauptschirm erscheinen zu lassen. Dann tippte er den Kode ein. Voller Genugtuung beobachtete er den Bildwechsel.
»Beim Ei, das ist unglaublich!« staunte S'len mit weit aufgerissenen Augen. »Wie haben Sie das gemacht, Jaxom?«
Jaxom sagte die Eingabe her, und S'len nickte und murmelte den Kode leise vor sich hin.
»Jetzt werde ich den Mädchen helfen, die Fässer in die Ökologie zu bringen. Wenn Ruth und ich Sie auf die Bahrain begleiten sollen…«
»Nein, nein, das ist gewiß nicht nötig.« Mit beleidigter Miene knöpfte S'len sich die Jacke zu.
Er bestieg seinen Bigath.
Ruth, könntest du ihre Koordinaten überprüfen? bat Jaxom seinen Drachen.
Keine Sorge, Bigath weiß genau, wohin er fliegt, antwortete Ruth, ohne den Kopf vom Fenster abzuwenden.
Als Bigath und S'len die Brücke verlassen hatten, klatschte Jaxom in die Hände.
»Schön, ihr Mädchen, bringen wir die Fässer in die Ökologie hinunter«, sagte er und winkte ihnen zu. »Die betreffende Sektion liegt nur eine Ebene tiefer. Von dort aus könnte notfalls die Brücke versorgt werden.«
Sie brachten die Fässer in den Lift und fuhren eine Etage nach unten.
»Sagtest du nicht, Akki würde hier heizen?« rief Sharra und rieb sich kräftig die Arme.
Jaxom grinste. »Glaube mir, es ist schon viel wärmer als beim erstenmal.«
Mirrim klapperte mit den Zähnen, verdrehte die Augen und beeilte sich, die Hand auf die Druckplatte zu legen, um die Lifttüren zu öffnen. »Mann! So groß hätte ich mir das nicht vorgestellt«, sagte sie, als sie den weißen Raum betrat, die Schränke sah, die eine ganze Wand einnahmen, und die riesigen Tablettspiralen, die sich langsam um die Mittelstützen drehten, damit auch jedes Teilstück die zur Vermehrung der Algen erforderliche Menge Licht bekam.
»Komm zurück, Mirrim«, sagte Jaxom und beförderte mit sanftem Fußtritt ein Faß aus dem Lift.
Zu dritt hatten sie das erforderliche Zubehör rasch aufgebaut. Jaxom erbot sich, den beiden Mädchen beim Bestücken der Tabletts mit feuchten Wattepolstern zu helfen, auf denen die Algensporen ausgelegt werden sollten, aber sie schickten ihn fort. Er wartete noch, bis sie auch die Päckchen mit Algen und Nährstoffen gefunden hatten, die der Flüssigkeit vorsichtig zugesetzt werden mußten.
»Wo ist das Schalt…«, begann Sharra, doch da hatte sie es bereits gefunden. Wer immer die Anlage abgeschaltet hatte, war so fürsorglich gewesen, es zuzudecken. »Schön, mein Lieber.« Sie schenkte ihrem verdutzten Gefährten ein zerstreutes Lächeln und entließ ihn mit einer Handbewegung. »Wir haben alles, was wir brauchen. Du kannst dich jetzt um deine eigene Arbeit kümmern.«
Als Jaxom keine Anstalten machte, sich zu entfernen, warf ihm Mirrim, die neben den Regalen kauerte, einen finsteren Blick zu. »Raus!«
Oben auf der Brücke klebten Ruth und die fünf Feuerechsen immer noch am Fenster. Jaxom aktivierte die Sichtverbindung zwischen den beiden Schiffen und spürte S'len auf, der gerade ganz gewissenhaft die Wattepolster auf einem Tablett benetzte und dabei ständig eine Hand über das Faß halten mußte, damit das Wasser nicht herausströmte.
Jaxom war beruhigt, die anderen kamen offenbar ganz gut zurecht, und so setzte er sich schließlich an die Navigationskonsole und aktivierte das Teleskop. Dann nahm er Kontakt mit Akki auf und ließ sich die neuen Zeichenfolgen geben, um das Teleskop so zu programmieren, daß es die von Pern aus sichtbaren Sterne abtastete. Bis er zusammen mit Akki das neue Programm mehrmals geprüft hatte, waren Sharra und Mirrim bereits wieder auf die Brücke zurückgekehrt. Inzwischen bewegten sie sich in der Schwerelosigkeit schon sehr viel sicherer.
»S'len ist noch beschäftigt?« fragte Mirrim. »Dann wird es Zeit, daß wir uns die Buenos Aires vornehmen.« Sie schloß die Schnallen ihrer Jacke und bedeutete Sharra mit einem Nicken, es ihr nachzutun. »Akki, Farli hat doch hoffentlich die lebenserhaltenden Systeme eingeschaltet?«
»Gewiß. In den Bereichen der Buenos Aires, auf die es ankommt, ist Sauerstoff vorhanden.«
Sharra blinzelte Jaxom verständnisinnig zu. Mirrim liebte es nun einmal, das Kommando an sich zu reißen.
Ruth, begann Jaxom. Er hatte zwar volles Vertrauen zu Mirrim und Path, aber immerhin war es Sharra, die mit ihnen zur Buenos Aires fliegen sollte.
Mirrim würde es dir nie verzeihen, wenn Path mich dabei ertappte, wie ich sie überwache, antwortete der weiße Drache und sah seinen Reiter kläglich an.
Schon gut, schon gut. Entweder hat man Vertrauen, oder man hat es nicht. Und ich habe Vertrauen. Ich werde mich zurückhalten.
Ich auch. Der weiße Drache ließ grinsend den Unterkiefer fallen.
Als die beiden Mädchen auf Paths Rücken saßen, winkte Mirrim ihm zum Abschied zu. »Warte nicht auf uns. Wir fliegen direkt nach Landing zurück.«
Ehe er Einwände erheben konnte, war Path bereits verschwunden, und die Feuerechsen mit ihr. Jaxoms Finger flogen über die Tasten und stellten die Verbindung zur Buenos Aires her, gerade als Path mit den Mädchen und den Feuerechsen dort eintraf.
Ruth schnaubte so verächtlich, daß er sich selbst ein Stück vom Fenster wegblies.
»Na schön, Großauge.« Jaxom schaltete den Computer ab. »Ich bin fertig mit meiner Arbeit, wir können nach Landing zurückkehren.«
***
Als Sharra und Mirrim in Landing eintrafen, wurden sie von Brekke und Meister Oldive erwartet. Brekke, F'nors schweigsame Gefährtin, ging oft den Heilern im Benden-Weyr zur Hand und war deshalb gern bereit, an einem Fortbildungslehrgang in Wundbehandlung teilzunehmen.
»Meister Morilton hat heute die Petrischalen geliefert«, erklärte sie den beiden. »Akki sagte, wenn ihr nicht zu müde seid, könnte er seinen letzten Vortrag über Bakterien und ihre Bekämpfung mit An-ti-bi-oh-ti-ka, wie er es nennt, noch weiter ergänzen.«
Sharra und Mirrim sahen sich an, aber der Einsatz am Vormittag hatte sie eher aufgeputscht als ermüdet. Sharra war begeistert von dem Plan, bestimmte Bakterien zu isolieren und durch die Entwicklung spezieller Bakteriophagen neue Wege der Infektionsbekämpfung zu beschreiten. Also marschierten sie in den Laborraum - und brachen in lautes Freudengeschrei aus, als sie sahen, daß genügend Mikroskope für alle vorhanden waren. Brekke lächelte still.
»Wir brauchen uns nicht mehr abzuwechseln!« rief Mirrim. »Ganz allein für mein Auge!« Sie schwang sich auf den hohen Hocker und spähte durch das Okular. »Hmmm. Das sieht man also, wenn man nichts sieht.«
»Begeben Sie sich bitte an die Mikroskope.« Akki hatte einen ganz speziellen Tonfall angeschlagen, der zu besonderer Aufmerksamkeit mahnte. »Nicht genug damit, daß Meister Morilton die Petrischalen liefern konnte, damit Sie darin nach Belieben Ihre Bakterien züchten können, und die Mikroskope, damit jeder die Möglichkeit hat, sein Arbeitstempo selbst zu bestimmen, hat Meister Fandarel außerdem ein Ultraschallgerät entworfen, mit dem sich die Bakterien zerlegen lassen, so daß wir imstande sind, ihren Aufbau chemisch zu untersuchen. Meister Fandarel hat sich nicht umsonst mit Elektromagnetik beschäftigt. Dies ist nur eine Anwendungsmöglichkeit - aber eine für Sie sehr wichtige.
Die Bakterien für die heutige Lektion stammen aus Wunden«, fuhr Akki fort, offenbar ohne Mirrims wüste Grimassen zu bemerken oder darauf zu achten. »Aus Wunden, wie sie jedem von Ihnen in seinem Bereich schon begegnet sind. Wunden infizieren sich. Isolieren wir nun die Bakterien, so lassen sich Parasiten finden, die - meist in Symbiose - in ihrem Inneren leben. Indem wir diese kleinen Symbionten so verändern, daß sie in ein pathogenes Stadium eintreten, sie also sozusagen zu Räubern machen - Sie erinnern sich an den Unterschied zwischen einem Räuber und einem Parasiten?«
»Aber selbstverständlich, Akki«, grinste Mirrim. »Die einen bewundert man, vor den anderen ekelt man sich.«
»Wenn es um solche Unterschiede geht, funktioniert Ihr Gedächtnis sehr zuverlässig, Mirrim. Hoffentlich bleibt Ihnen auch diese Materie so gut in Erinnerung.« Mirrim zog frech die Nase kraus, aber Akki fuhr ungerührt fort. »Man kann also einen symbiotischen Parasiten so modifizieren, daß er zum Räuber wird, und schon hat man einen Nützling, der ein bestimmtes Bakterium vernichtet. Wie Sie noch sehen werden, ist das oft sinnvoller als der Einsatz von Antibiotika.«
»Wie viele Bakterien gibt es?« fragte Brekke.
»Sie sind so zahllos wie die Sandkörner an Ihren Stränden.«
»Und wir müssen sie alle finden?« Mirrim war nicht als einzige entsetzt von dieser Aussicht.
»Sie werden hinreichend Gelegenheit haben, sich auf eigene Faust damit zu beschäftigen, wenn Sie das wollen. Es handelt sich jedoch nur um einen Schritt auf dem Weg zur Verringerung bakterieller Infektionen. Sie werden nun als erstes mit dem Ausfluß aus einer Wunde oder einer bluthaltigen Substanz eine Kultur anlegen, um daraus eine einzige Bakteriensorte zu isolieren.«