18.

Zum Glück für die Verschwörer erholte sich Meister Robinton von der Überdosis Fellis und behielt von der wilden Fahrt über Stock und Stein nur ein paar blaue Flecken zurück. Solange es fraglich war, ob auch Zair genesen würde, war er unerbittlich in seinem Groll, dann jedoch konnte man ihn immer öfter murmeln hören, eigentlich sei ja kein bleibender Schaden entstanden.

»Es war doch nichts anderes als eine gewaltige Torheit«, begann er.

»Torheit!« riefen Lytol, D'ram, F'lar, Piemur, Menolly und Sebell empört wie aus einem Munde.

»Eine Ungeheuerlichkeit, daß sie überhaupt auf die Idee kamen, Sie zu entführen« - Lessa war so in Rage, daß Robinton die Kinnlade hinunterfiel und er die Augen weit aufriß -, »um uns zu zwingen, Akki zu zerstören… Verdammt, man hätte Sie und Zair um ein Haar getötet! Und da sprechen Sie von einer Torheit?«

»Ich habe einen ganz anderen Ausdruck dafür!« Groghes Gesicht war rot vor Zorn. »Und ich bin überzeugt, daß sich so gut wie alle Burgherren dieser Ansicht anschließen werden, wenn sie die Geständnisse hören. Norist hat mit seinem Protest nie hinter dem Berg gehalten, aber wie konnte ihn Sigomal nur aktiv unterstützen? Norist nennt Akki das Umgeheuer, aber wer sich ungeheuerlich benommen hat, das sind er und Sigomal! Schändliche Niedertracht!«

»Norist können wir getrost den Gildemeistern überlassen«, erklärte Sebell grimmig. Meister Oldive stimmte ihm voll und ganz zu.

Für den folgenden Abend rief man in aller Eile sämtliche Burgherren und Gildemeister zu einem außerordentlichen Konklave zusammen. Die beiden Gruppen sollten sich gemeinsam die Vorwürfe gegen die Rechtsbrecher anhören, dann jedoch sollte jeder Stand getrennt beraten und urteilen, wie er es für richtig hielt.

»Solche Verfahren sind in der Geschichte von Pern eine Seltenheit«, dozierte Lytol, der sich bemüht hatte, in den inzwischen leserlich gemachten Aufzeichnungen der Burg Ruatha Präzedenzfälle zu finden.

»Sie waren auch nur selten erforderlich«, schnaubte Baron Groghe. »Im allgemeinen sorgen Burg, Gildehalle und Weyr allein für Disziplin, wobei kaum etwas nach außen dringt. Jedermann weiß, was von ihm erwartet wird, welche Rechte und Privilegien ihm zustehen und wozu er verpflichtet ist.«

»Es ist ein Jammer« - Robintons Stimme verriet, wie erschöpft er immer noch war -, »daß sie so unbelehrbar sind.«

»Zugleich aber keinerlei moralische Bedenken hatten, sich der Dinge zu bedienen, zu denen Akki uns verholfen hat«, ergänzte Lytol empört.

»Aber vielleicht läßt sich ihre Haltung doch irgendwo rechtfertigen«, fing Robinton wieder an.

»Mit dem Mann ist einfach nicht zu reden«, stöhnte Menolly erbittert. »Er muß immer noch sehr müde sein, sonst würde er keinen solchen Quatsch erzählen!« Damit gab sie den Besuchern einen Wink, sich zu verabschieden.

»Es ist kein Quatsch, Menolly«, widersprach Robinton gereizt und warf sich unruhig im Bett herum, das er auf Oldives Anweisung weiterhin hüten mußte. Zair hatte es sich zu seinen Füßen des Harfners bequem gemacht und sah eher wie eine Bronzeechse aus denn wie ein Brauner. Nun zirpte er protestierend. »Wir Harfner haben irgendwie versagt…«

»Von wegen versagt!« wütete Menolly.

»Diese schwachsinnigen Halunken hätten Sie… und Zair… fast umgebracht…«

Robintons Blick verfinsterte sich.

»Ha! Wenigstens an ihm hängen sie, auch wenn ihnen ihre eigene Haut schnurzpiepegal ist. Und jetzt alles raus hier! Robinton braucht Ruhe, wenn er bis zur Verhandlung wieder auf dem Damm sein soll.«

Es lag so viel knisternde Spannung in der Luft, daß kaum noch jemand an Abreise dachte, als die Drachenreiter mit Robinton und seinen Entführern zurückkehrten. Die Reiter hatten die neun Männer notgedrungen beschützen müssen, sonst wären sie von der aufgebrachten Menge in Stücke gerissen worden. Jaxom ließ sie einzeln in kleine, dunkle Räume im Burginnern sperren, jeder bekam nur Wasser und einen schwachen Leuchtkorb.

Die junge Magd, die dem Harfner die mit Betäubungsmittel versetzten Speisen serviert hatte, wurde ausfindig gemacht und ebenfalls in Haft genommen, obwohl sie ganz offensichtlich kein Wunder an Intelligenz war.

Der Kapitän des Schiffes war, wie sich herausstellte, ein Sohn von Sigomal, was den Baron von Bitra doch sehr belastete. Wie N'ton bemerkte, wurden manche Leute erstaunlich gesprächig, wenn ein Drache sie mit der Pranke hochhob und eine Weile in der Luft baumeln ließ.

Als ein Drachengeschwader von Benden auf Burg Bitra erschien, bestritt Sigomal lautstark und empört jede Mitwirkung an einer so schändlichen Tat. Den Sohn, der soviel Schande über seinen Erzeuger und seine Burg gebracht habe, verleugnete er mit bitteren Worten.

F'lar gestand später, er sei nahe daran gewesen, dem Bitraner die Faust in die verlogene Visage zu schmettern - nur Mnementh habe den Mann gerettet. Der große Bronzedrache hatte sich vom Zorn seines Reiters so anstacheln lassen, daß ihm ein paar Flämmchen aus dem Maul schossen, worauf Sigomal schlagartig verstummte.

G'narish vom Igen-Weyr und seine Bronzereiter nahmen Meister Norist, fünf seiner Meister und neun Gesellen in Gewahrsam. Sie alle waren an der Verschwörung beteiligt.

Mittlerweile hatte man den für die Entführung verwendeten Karren und die geschundenen Renner nach Ruatha zurückgebracht. Zwei der Tiere würde man einschläfern müssen. Um das Maß vollzumachen, hatten die Schurken sie von einer ruathanischen Koppel gestohlen. Während der Stallmeister von Ruatha sich um die armen Kreaturen kümmerte, untersuchten der Holzmeister und Meister Fandarel das Fahrzeug, in dem man Robinton fortgebracht hatte. Auf der Fußstütze entdeckte Bendarek den Namen des Herstellers: Tosikin, ein Zimmermannsgeselle aus Bitra.

»Maßgefertigt«, murmelte Fandarel.

»Ganz ohne Frage«, bestätigte Bendarek. »Das beweist schon die Mulde in der Ladefläche, die man ausgepolstert und so lang gemacht hat, daß ein Mann von Meister Robintons Größe hineinpaßte. Und sehen Sie sich den verschließbaren Deckel an, die zusätzliche Federung, die Schwerlastachse und die großen, eigens versteiften Räder. Der Wagen sollte eine schnelle Fahrt über unebenes Gelände aushalten.«

Stirnrunzelnd betrachtete Bendarek eine schlampige Gehrfuge und mehrere ungenügend versenkte Nägel. »Und zwar nur diese eine Fahrt. Dieses zusammengeschluderte Vehikel hätte der Mann besser nicht mit seinem Namen versehen.«

»Sollen wir ihn herbringen, damit er eine Aussage macht?« Fandarel rieb sich mit funkelnden Augen die riesigen Hände.

»Warum nicht? Ich traue Sigomal durchaus zu, daß er doch noch irgendwie den Kopf aus der Schlinge zieht.«

»Diesmal bezweifle ich das«, erklärte Fandarel drohend.

***

Ursprünglich hatte man das außerordentliche Konklave im Großen Saal von Ruatha abhalten wollen. Doch zu den Festgästen, die ohnehin schon geblieben waren, strömte so viel Volk in die Burg, daß Jaxom nach einer Unterredung mit Groghe, Lytol, D'ram und F'lar die Verhandlung nach draußen in den Hof verlegte. Das Wetter war zwar herbstlich frisch, aber weiterhin klar, und falls sich das Verfahren länger hinziehen sollte, ließe sich der Hof mit den Standlaternen vom Tanzplatz strahlend hell erleuchten. Auf den Feuerhöhen versammelten sich die Drachen und verliehen dem Ganzen mit ihren in allen Regenbogenfarben schillernden Facettenaugen eine bizarre Note, die noch betont wurde durch die Schwärme rastlos hin- und herschießenden Feuerechsen.

Als Baron Begamon ausrichten ließ, er sei verhindert, schickte F'lar F'nor mit zwei Geschwadern los, um ihn eines Besseren zu belehren, denn auch der Burgherr von Nerat war in die Sache verwickelt. Dagegen verzichtete man auf das Erscheinen der Magd. Sharra, Lessa und Menolly hatten sie sich vorgeknöpft und sich, als sie ihre Einfalt erkannten, ganz freundlich mit ihr unterhalten.

Ein Mann in wunderschönen neuen Kleidern habe ihr aufgetragen, gut für den Meisterharfner zu sorgen und ihn mit speziellen Leckereien zu verwöhnen, die man eigens für ihn von weither gebracht habe. Dann habe man ihr die nur für Meister Robinton bestimmten Weinschläuche gezeigt und sie angewiesen, auch die Feuerechse nur mit Fleisch aus einer besonderen Schüssel zu füttern.

»Sie war sich ganz offensichtlich keiner Schuld bewußt«, sagte Lessa nach dem Verhör. Dann verhärteten sich ihre Züge. »Was für eine Gemeinheit, ein unbedarftes Kind für solche Zwecke zu mißbrauchen.«

»Aber nicht ungeschickt.« Um Menollys Lippen zuckte es empört. »Offene Feindseligkeit gegenüber Robinton hätte Zair gespürt, deshalb brauchten sie einen ahnungslosen Helfer.«

»Nicht ungeschickt aber auch nicht geschickt genug, Menolly«, schränkte Jaxom ein. »Woher kommt sie?«

»Ein Hof unweit eines großen Berges«, seufzte Sharra. »Und sie war ganz aus dem Häuschen, weil sie an einem Fest teilnehmen und einen so freundlichen Menschen wie den Mann in Blau bedienen durfte. Ich werde sie hierbehalten. Auf Ruatha ist sie vor solchen Elementen sicher. Die Köchin sagt, sie kann ausgezeichnet mit den Spießhunden umgehen.«

Als Baron Corman am Abend eintraf, stapfte er geradewegs auf Jaxom zu, der mit Groghe, Ranrel, Asgenar und Larad zusammenstand.

»Ich kann nicht billigen, was Sie mit Pern anstellen. Es gefällt mir nicht, daß man sich über so viele Traditionen und Werte hinwegsetzt, nur weil diese - diese Maschine es so lehrt, aber was andere tun, ist ihre Sache. Was ich ablehne, geht dagegen nur mich etwas an!«

Larad nickte ernst. »Das ist Ihr gutes Recht.«

»Ich wollte nur meine Haltung klarstellen.« Corman legte die Stirn in grimmige Falten.

»Niemand zweifelt an Ihrer Integrität, Baron Corman«, sagte Jaxom.

Cormans Augenbrauen zuckten in die Höhe, als wolle er Anstoß nehmen an dieser Bemerkung des jüngsten Burgherrn, dann besann er sich und ließ sich mit einem letzten, finsteren Blick von Brand zu einem Stuhl führen.

Man hatte hastig ein V-förmiges Podest mit abgeflachter Spitze zusammengezimmert: eine Seite hatten die Burgherren inne, die andere die Gildemeister. Der Platz in der Mitte gehörte Jaxom in seiner Eigenschaft als Hausherr, er wurde flankiert von Lytol und D'ram. Gleich vor ihnen und etwas tiefer befand sich Robinton, und ihm gegenüber sollten die Angeklagten auf Bänken zwischen den beiden Flügeln sitzen. Lytol hatte versucht, einen neutralen Vertreter für sie zu finden, weil er in Akkis historischen Speichern von derlei juristischen Praktiken gelesen hatte. Solche Aufgaben wurden im allgemeinen von den Harfnern wahrgenommen, doch da man in diesem Fall keinen Harfner guten Gewissens als ›neutral‹ bezeichnen konnte und sich sonst niemand bereitfand, diese Rolle zu übernehmen, entschied man, die Angeklagten sollten sich selbst verteidigen - immer vorausgesetzt, wie Piemur bemerkte, es gebe überhaupt etwas zu ihrer Entlastung zu sagen, ihre Schuld sei doch schließlich schon erwiesen.

Pünktlich zur festgesetzten Stunde wurden die Angeklagten in den Hof geführt, wo die riesige, aus allen Teilen von Pern zusammengeströmte Menschenmenge sie verhöhnte und mit Schmähungen überhäufte. Es dauerte einige Zeit, bis die Ordnung wiederhergestellt war, doch endlich saßen alle Angeklagten auf ihren Bänken, und auch die Burgherren und Gildemeister nahmen ihre Plätze ein.

Jaxom stand auf und hob die Arme, um sich Gehör zu verschaffen. Dann begann er:

»Gestern abend auf dem Fest wurde Meister Robinton betäubt und ohne sein Wissen und gegen seinen Willen verschleppt. Auf seinen Platz setzte man einen bisher nicht identifizierten Toten, der gekleidet war wie er. Daraus folgt, daß wir heute abend über zwei Verbrechen zu richten haben: Entführung und Mord.

Diese drei Männer« - Jaxom deutete auf jeden einzelnen und hob dann abermals die Hand, um die zornig murrende Menge zu beschwichtigen - »fuhren den Wagen, in den man Meister Robinton, wiederum ohne sein Wissen und gegen seinen Willen, verfrachtet hatte. Diese sechs Männer« - Jaxom wies auch auf sie - »befanden sich an Bord eines wartenden Schiffes, das Meister Robinton ohne sein Wissen und gegen seinen Willen an einen geheimen Ort bringen sollte. Ich verlese nun ihre Aussagen, die in Anwesenheit eines Harfners, meiner selbst in meiner Eigenschaft als Burgherr und Meister Fandarels als Vertreter der Gildehallen aufgenommen wurden.«

Jede Aussage begann mit Namen und Herkunft des betreffenden Mannes und faßte kurz zusammen, wozu man ihn angeheuert hatte. Baron Sigomal und Meister Norist wurden als diejenigen namhaft gemacht, die das Unternehmen befehligt und für die nötigen Marken und die Ausrüstung gesorgt hätten. Die ebenfalls angeklagten Glasmachermeister und Gesellen waren für alle Beteiligten als Boten tätig gewesen und hatten Zahlungen weitergeleitet.

Meister Idarolan legte einen Kaufvertrag für das Schiff vor, der die Unterschrift eines gewissen Federen trug, eines Glasmachermeisters, der jetzt auf der Anklagebank saß. Wie sich herausstellte, hatte er auch den ersten Anschlag auf die Batterien für Akkis Stromversorgung geleitet. Außerdem war einer der Beteiligten an dem zweiten Überfall, den Akki selbst vereitelt hatte, sein jüngerer Bruder, und er war sehr verbittert, weil dieser dabei das Gehör verloren hatte. Auch Baron Begamon wurde in die Anklage mit einbezogen: Man beschuldigte ihn, nicht nur Marken, sondern auch die Pferde für die gescheiterte Attacke auf Akki und einen sicheren Hafen für das Schiff zur Verfügung gestellt zu haben.

Geselle Tosikin, ein Duckmäuser und Speichellecker, wies auf die Frage, wer den seltsamen Karren in Auftrag gegeben habe, sichtlich eingeschüchtert und verängstigt auf Gomalsi, Baron Sigomals Sohn, den Kapitän des Schiffs. Der Geselle behauptete, keine Ahnung gehabt zu haben, wozu das Gefährt benötigt wurde, er habe sogar versucht, für die empfindliche Fracht ein anderes Fahrzeug zu empfehlen. Nein, er habe nicht gewußt, daß diese Fracht ein Mensch sein sollte.

Brestolli hatte darum gebeten, öffentlich aussagen zu dürfen, was er mit angehört hatte. Außerdem konnte er drei der Bitraner vom Schiff eindeutig als die Männer identifizieren, deren Gespräch er im Haus des Brauers belauscht hatte. Damit löste er unter den Angeklagten eine Welle von Bestürzung und gegenseitigen Vorwürfen aus.

»Jeder von Ihnen hat nun Gelegenheit, sich zu verteidigen und das Tribunal über etwaige mildernde Umstände zu informieren«, verkündete Jaxom und rief zuerst die drei Männer auf, die Robinton in ihre Gewalt gebracht hatten. Aber ehe einer von ihnen zu Wort kam, erwachte Baron Sigomal plötzlich aus seiner Lethargie und sprang auf.

»Ich bin unschuldig, unschuldig, sage ich! Mein Sohn war verblendet, von schlechter Gesellschaft auf Abwege gebracht. Ich habe ihn angefleht, diese Freunde aufzugeben, ohne zu ahnen, was sie im Schilde führten…«

»Ich protestiere!« Gomalsi sprang auf und wandte sich mit blitzenden Augen an seinen Vater. »Du hast mir gesagt, was ich tun soll, um diese Maschine in Verruf zu bringen. Du hast mir gesagt, ich soll die Batterien zerstören - und du hast mir gesagt, wo sie zu finden waren. Du hast mir das Geld gegeben, um Männer anzuheuern…«

»Du Narr! Du Schwachkopf!« kreischte Sigomal, trat einen Schritt nach vorne und schlug Gomalsi so hart ins Gesicht, daß der junge Mann rücklings über die Bank stürzte.

»Noch ein solcher Ausbruch, und ich lasse Sie knebeln, Burgherr oder nicht«, sagte Jaxom streng und gab den Wachen einen Wink, hinter den beiden Bitranern stehenzubleiben. Dann deutete er auf den ersten der drei eigentlichen Entführer.

»Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen? Nennen Sie zuerst Namen und Titel.«

Die drei verständigten sich stumm, dann stand der älteste auf.

»Mein Name ist Halefor. Ich habe keinen Rang und gehöre weder zu einer Gilde noch zu einer Burg. Ich verdinge mich an jeden, der genügend zahlt. Diesmal war es Baron Sigomal. Wir drei haben uns mit ihm auf einen Preis geeinigt, von dem wir im voraus die Hälfte bekamen. Dafür sollten wir den Harfner in einem Karren zum Schiff bringen. Das war alles. Einen Menschen zu töten, gehörte nicht zur Abmachung. Das war ein Versehen. Biswy mußte etwas von dem Wein trinken, damit er danach roch. Aber er sollte nicht daran sterben.

Wir wollten auch nicht, daß Meister Robinton etwas zustieß. Die Geschichte sagte mir ohnehin nicht besonders zu, aber Baron Sigomal hielt ihn wegen seiner großen Beliebtheit für das geeignete Opfer.

Um Meister Robinton zurückzubekommen, würde man auch die Maschine zerschlagen.«

Er sah das ganze Tribunal an, zuerst die Burgherren, dann die Gildemeister, nickte ruckartig mit dem Kopf und setzte sich.

Gomalsis Besatzung erzählte mehr oder weniger die gleiche Geschichte: Man habe sie angeworben, um ein Schiff von Ruatha zu einer Insel vor der Ostküste von Nerat zu steuern. Bei dieser Aussage stöhnte Baron Begamon auf, vergrub den Kopf in den Händen und ließ bis zum Ende der Verhandlung immer wieder ein leises Wimmern hören.

Auf Meister Idarolans barsche Frage an die Seeleute, ob sich Lehrlinge oder Gesellen darunter befänden, antworteten zwei der Männer, sie seien über mehrere Fangperioden bei den Fischerflotten mitgesegelt, aber die langen Arbeitszeiten hätten ihnen nicht zugesagt. Meister Idarolan schien erleichtert, daß keine Angehörigen seiner Gilde an dem Verbrechen beteiligt waren.

Jaxom hatte Verständnis für Idarolans Bestreben, diesen Punkt in Gegenwart der anderen Meister und der Burgherren zu klären. In vielen Küstensiedlungen war es eine Selbstverständlichkeit, daß alle Heranwachsenden lernten, mit einem kleinen Skiff umzugehen. Bug und Heck eines Schiffes auseinanderhalten zu können, war schließlich kein Verbrechen. Was Idarolan empörte, war vielmehr die Unverfrorenheit, mit der Gomalsi, der kein ausgebildeter Seemann war, sich angemaßt hatte, das kleine Schiff sicher von Ruatha zur Ostküste von Nerat zu segeln, obwohl er dazu die Große Strömung und einige der schwierigsten Gewässer des Planeten hätte durchqueren müssen. Jede größere Welle hätte Robintons Leben in Gefahr gebracht.

Im Gegensatz zu den anderen war Meister Norists rebellischer Stolz ungebrochen.

»Ich habe getan, was mein Gewissen mir vorschrieb, um unsere Welt von diesem Ungeheuer und seinem schlechten Einfluß zu befreien. Es verführt unsere Jugend zu Faulheit und Oberflächlichkeit und lenkt sie ab von ihren überkommenen Aufgaben. Ich sehe, wie es untergräbt, was Burg und Gildehalle zusammenhält.

Es vergiftet unser Pern mit schändlich komplizierten Apparaturen, die ehrliche Menschen um ihre Arbeit und um den Stolz auf ihr handwerkliches Geschick bringen und ganze Familien einer Lebensweise entfremden, die sich zweitausendfünfhundert Umläufe lang als gut und vernünftig bewährt hat. Ich würde wieder so handeln. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um den Bann des Monstrums zu brechen, unter dem Sie alle stehen!« Er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf jeden einzelnen der Meister, die über ihn zu Gericht saßen. »Sie haben sich täuschen lassen. Sie werden es büßen müssen, und mit Ihnen ganz Pern, daß Sie in Ihrer Verblendung abtrünnig geworden sind und die Kultur und das Wissen auf unserem Planeten verfälscht haben.«

Zwei seiner Meister und fünf seiner Gesellen jubelten ihm zu.

Jaxom sah das Entsetzen in den Gesichtern einiger Gildemeister. Die Burgherren waren ausnahmslos ernst. In Torics Augen stand tiefe Verachtung, wenn sein Blick Sigomal oder Begamon traf. Corman war empört und zeigte dies nicht weniger offen als zuvor sein eigenes Mißtrauen gegen Akki.

Der Baron von Nerat lehnte es ab, sich irgendwie zu verteidigen. Als Jaxom ihn noch einmal dazu aufforderte, schüttelte er nur weiter wimmernd den Kopf, ohne ein einziges Wort zu sagen.

»Baron Jaxom.« Oldive erhob sich. »Meine Kollegen haben mir eben mitgeteilt, was ihrer Meinung nach für den Tod des Mannes auf dem Fest verantwortlich war.«

»Und?«

»Es gibt ausreichend Hinweise, daß sein Ende auf einen Herzanfall zurückzuführen ist. Der Schädel wies keinerlei äußere oder innere Verletzungen auf. Lippen und Nägel waren jedoch blau angelaufen, ein typisches Symptom bei Herzversagen.« Oldive räusperte sich. »Sein Magen enthielt große Mengen an Fellis, und das könnte der Auslöser für den Herzstillstand gewesen sein.«

»Demnach scheint der Verstorbene eher durch einen Unfall als durch gezielte Einwirkung der Angeklagten zu Tode gekommen zu sein, die Anklage wegen Mordes läßt sich folglich nicht länger aufrechterhalten.« Jaxom bemerkte, daß Halefor erleichtert aufatmete. »Wurde überzeugend dargelegt, daß die Entführung von Meisterharfner Robinton geplant war?«

Den leidenschaftlichen Chor der Zustimmung aus dem Publikum beachtete er nicht. Ein Burgherr nach dem anderen hob die Hand, auch Corman schloß sich nicht aus. Brand schrieb das Ergebnis nieder. Dann stellte Jaxom die gleiche Frage nochmals an die Gildemeister. Auch hier hoben sich alle Hände. Idarolan reckte die geballte Faust so weit in die Luft wie möglich. »Beide Gruppen können sich nun in den Großen Saal zurückziehen, um über das Urteil zu beraten.«

Plötzlich hob Meister Robinton die Hand. Überrascht erteilte Jaxom ihm das Wort. Als Opfer des Verbrechens hatte der Harfner nicht nur das Recht, den Tätern gegenüberzusitzen, er konnte auch verlangen, daß man ihn anhörte. Jaxom fürchtete schon, Robinton werde für ein mildes Urteil plädieren, was das Problem seiner Ansicht nach nur verschärft hätte - besonders bei einem Menschen, der soviel Engstirnigkeit und Unversöhnlichkeit an den Tag gelegt hatte wie Norist.

»Ich wende mich an alle, die heute anwesend sind«, begann Robinton und bezog damit nicht nur die Burgherren oder die Gildemeister mit ein, sondern auch die vielen Menschen, die sich außerhalb des Hofes auf den Mauern, auf der Auffahrt oder auf den Dächern der umliegenden Katen drängten. »Ihnen allen möchte ich zu bedenken geben, daß Akki uns nichts gelehrt hat, was unsere Vorfahren nicht bereits wußten. Er hat uns keine Maschinen und keine Werkzeuge gegeben und uns keine Erleichterungen verschafft, die sie nicht bereits verwendet oder genossen hätten, als sie nach Pern kamen. Die Gilden haben lediglich die Informationen zurückerhalten, die im Lauf der Zeit in den Archiven unleserlich geworden oder verlorengegangen waren.

Wenn dieses Wissen schlecht ist, dann sind wir alle schlecht. Aber ich denke, keiner der hier Anwesenden hält uns für von Grund auf verdorben oder glaubt, wir sännen in unseren Gildehallen nur auf das Böse. Weiterhin hat Akki die Lücken in der Geschichte der einzelnen Burgen gefüllt, nun kennt jede Burg ihre Vergangenheit und weiß, wer von den Menschen, die von weither kamen, um hier ein neues Leben zu beginnen, ihr Gründer war. Aber auch die Burgherren halten weder sich selbst noch die Männer und Frauen für schlecht, denen sie ihre Existenz verdanken.«

Meister Robinton sah Norist eindringlich an, aber der verweigerte den Blickkontakt.

»Unseren Weyrn hat er die Beendigung eines langen, langen Kampfes verheißen. Erreicht werden soll dies mit Hilfe der wiederum von unseren Vorfahren geschaffenen Drachen und ihrer tapferen Reiter. Auch sie können nicht schlecht sein, sonst hätten sie längst die Macht der Drachen gegen uns eingesetzt und uns alle zu ihren Sklaven gemacht. Aber das haben sie nicht getan.

Schlecht war, was diese Männer mir angetan haben, und ihre Beweggründe waren die denkbar schlechtesten: sie wollten Druck auf andere ausüben, um die Verbindung zu unserer Vergangenheit, die große Gelegenheit zu zerstören, aus Pern das zu machen, was unsere Vorfahren sich erhofft hatten - eine friedliche, freundliche, blühende Welt. Ich habe keinem dieser Männer etwas zuleide getan« - Robinton wies mit einer Hand auf Sigomal, Begamon und Norist - »oder ihnen Böses gewünscht, und das tue ich auch jetzt nicht. Ich bedauere sie nur, wegen ihrer Angst vor allem Unbekannten und Ungewohnten, wegen ihrer Brutalität und ihrer Unvernunft, wegen ihrer Kurzsichtigkeit und ihrer Beschränktheit.«

Nun sah Meister Robinton die drei Entführer an. »Ich persönlich habe Ihnen längst vergeben; aber Sie haben gegen Bezahlung Böses getan, und das ist ein großes Unrecht. Und Sie waren bereit, einen Harfner zum Schweigen zu bringen, und das ist ein noch größeres Unrecht. Denn wenn die freie Rede unterdrückt wird, haben darunter alle Menschen zu leiden, nicht nur ich allein.«

Er sank auf seinen Platz zurück, als könne er sich nicht länger auf den Beinen halten, doch als Menolly an seine Seite eilen wollte, schüttelte er den Kopf.

Groghe beugte sich an dem neben ihm sitzenden Warbret vorbei und tuschelte mit ihm und Bargen; Toric konnte nichts verstehen und kam um den Tisch herum. Ranrel, Deckter und Laudey folgten seinem Beispiel. Nessel saß zwischen Asgenar und Larad und fühlte sich dort sichtlich unwohl, während Sangel und Toronas sich über irgendeine Frage ereiferten.

Auch die Gildemeister rückten dicht zusammen. Im Zentrum der Gruppe stand Fandarel und tat mit gedämpftem Grollen seine Meinung kund. Morilton ergriff nur einmal das Wort, dann schwieg er, hörte aber den anderen aufmerksam zu. Er vertrat die Gilde der Glasmacher bei diesem Tribunal, da keiner der anderen Glasmachermeister sich bereitgefunden hatte, dieses Amt zu übernehmen.

»Verehrte Barone und Meister, Sie können sich nach Belieben zurückziehen«, wiederholte Jaxom.

»Wir fühlen uns hier ganz wohl«, sagte Groghe laut.

In der Annahme, daß Robinton ein Schluck Wein nicht schaden könne, füllte Jaxom einen Becher und nippte selbst daran, ehe er ihn mit aufmunterndem Lächeln an den Meisterharfner weiterreichte. Meister Robinton spielte erst den Argwöhnischen, dann hob er das Glas, nahm einen tiefen Schluck und lächelte anerkennend - die wartende Menge bedachte die kleine Szene mit Beifall und Gelächter, und die zunehmend gespannte Atmosphäre beruhigte sich merklich.

»Am meisten mißfällt mir«, sagte Robinton leise zu Jaxom, »daß nun alle Welt glaubt, ich könne keinen Wein mehr vertragen, nur weil mich auf einem Fest schon so früh der Schlaf übermannt hat.«

»Wir sind zu einer Entscheidung gelangt, Baron Jaxom«, verkündete Groghe. Die Burgherren nahmen ihre Plätze wieder ein.

»Wir ebenfalls.« Meister Idarolan stand auf.

»Wie lautet Ihre Entscheidung, Baron Groghe?« fragte Jaxom.

»Sigomal und Begamon sind für unseren Kreis untragbar geworden, sie taugen nicht mehr dazu, eine Burg zu leiten. Sie werden hiermit geächtet. Schuldig sind sie erstens der Planung und Durchführung eines gewalttätigen Übergriffes auf das Gebiet einer anderen Burg oder, wie im Falle von Landing, auf Allgemeinbesitz; zweitens haben sie mit der Entführung einer Person gegen deren Willen zum Zwecke der Erpressung gegen die Interessen des Planeten und aller seiner Bewohner verstoßen.«

Sigomal nahm das Urteil mit Würde an, Begamon dagegen begann haltlos zu schluchzen und fiel vor seiner Bank auf die Knie.

»Sigomals dritter Sohn Sousmal ist den meisten von uns bekannt, und wir haben beschlossen, ihm die Verwaltung der Burg zu übertragen, bis im Konklave der Burgherren eine endgültige Entscheidung fällt. Da Begamon keine Kinder hat, die alt genug wären, um das Amt an seiner Stelle auszuüben, ernennen wir hiermit, ebenfalls vorbehaltlich einer Dauerregelung, seinen Bruder Ciparis zum Baron auf Zeit. Gomalsi wird mit seinem Vater in die Verbannung geschickt, weil er an der Entführung beteiligt war, aber auch weil er alle Angehörigen der Fischergilde in ihrer Ehre gekränkt hat, indem er sich unberechtigterweise zum Kapitän eines hochseetüchtigen Schiffes erklärte. Als Verbannungsort schlagen wir eine der Inseln im Östlichen Ring vor.«

Sigomal stöhnte, und Gomalsi unterdrückte nur mit Mühe einen Protestschrei.

»Auch Meister Norist verliert seinen Titel, ebenso wie alle übrigen Gildeangehörigen unter den Verschwörern«, erklärte Idarolan. »Sie werden ohne Ausnahme in die Verbannung geschickt. Vielleicht sollte man denselben Ort wählen, dann wären die Gleichgesinnten unter sich.« Er wandte sich an die Glasmacher, die in der Menge standen.

»Wir haben beschlossen, Meister Morilton zu Ihrem Gildemeister zu bestimmen, bis wir, die Vorsteher der anderen Gilden, Sie für fähig halten, unvoreingenommen einen aufgeschlosseneren und mit mehr Weitblick ausgestatteten Mann zu wählen, als Norist es ist.«

Lytol nickte Jaxom zu, denn an ihm war es nun, das Urteil über die anderen Rechtsbrecher zu sprechen. Jaxom hatte noch nie einen Mann mit einer lebenslangen Strafe belegt, aber er rief sich noch einmal seinen wilden Ritt zur Rettung von Meister Robinton in Erinnerung und die Ängste, die er dabei ausgestanden hatte.

»Verbannung!« verkündete er. Die meisten der Männer nahmen das Urteil hin, zwei von den jüngeren wirkten jedoch so verzweifelt, daß er hinzufügte: »Ihre Familien können mit Ihnen gehen, wenn sie wollen.«

Er sah, daß Sharra ein wenig lächelte und Lessa ihm wohlwollend zunickte.

»Die Verurteilten werden nun wieder in ihre Zellen geführt und morgen an ihren Verbannungsort verbracht. Von nun an sind sie heimat- und gildelos und stehen nicht mehr unter dem Schutz der Weyr.« Jaxom mußte die Stimme erheben, um Begamons verängstigtes Geplapper zu übertönen.

»Die Sitzung ist geschlossen.«

Die Wachen näherten sich den Verurteilten, und alle Angehörigen des Tribunals begaben sich ins Innere der Burg.

Irgendwie hatte man für genügend Speisen und Getränke gesorgt, um die Menschenmassen, die so unerwartet nach Ruatha gekommen waren, auch zu verköstigen. Als Sharra einen Moment mit Jaxom alleine war, berichtete sie, Burg, Gildehalle und Weyr hätten sich äußerst entgegenkommend gezeigt und so viele Vorräte zur Verfügung gestellt, daß niemand hungrig nach Hause gehen mußte.

»Du hast dich übrigens großartig verhalten, Liebster«, fuhr die fort. »Der Fall war wahrhaftig schwierig, aber angesichts der Beweislage und der Geständnisse kann niemand deine Entscheidung anfechten. Das Urteil ist gerechter ausgefallen, als sie es eigentlich verdienen.« Zornige Falten erschienen auf ihrer Stirn, und sie ballte die Fäuste. »Wenn ich nur an Meister Robintons Blutergüsse denke…«

»Er wird aber doch wieder ganz gesund?« Jaxom befürchtete schon, zu nachsichtig gewesen zu sein, aber ein Todesurteil hätte er ohnehin nicht fällen können. Wäre Meister Robinton zu Tode gekommen - oder Biswy nicht an Herzversagen gestorben -, so hätte er vielleicht anders durchgreifen müssen.

Als nächster tauchte Baron Groghe auf, um ihm zu versichern, er selbst hätte genauso und nicht anders entschieden, wenn der Fall auf seiner Burg verhandelt worden wäre.

Für Jaxom war es eine Überraschung, aber auch eine traurige Genugtuung, daß ihn einige Zeit später auch Baron Corman darauf ansprach.

»Gut gemacht, Jaxom. Das einzige, was Sie unter den Umständen tun konnten.«

Der Baron von Keroon blieb nicht zum Abendessen, und er besuchte auch Landing niemals wieder. Von diesem Tag an hinderte er jedoch weder seine Pächter daran, die neuen Produkte zu verwenden, noch erhob er Einspruch, wenn junge Leute darum baten, zum Studium in den Süden gehen zu dürfen. Von den mit Akkis Hilfe entwickelten Erzeugnissen benützte Baron Corman nur das Papier, und dazu bemerkte er einmal in Gegenwart seines Harfners, Bendarek habe bereits selbständig eine Art Papier erfunden, ehe ›die Maschine‹ erwachte.

Am nächsten Morgen kamen drei Geschwader vom Fort-Weyr nach Ruatha, um die Verurteilten ins Exil zu bringen. Man versprach den Männern, die Briefe zuzustellen, die sie an ihre Familien geschrieben hatten. Alle Angehörigen, die bereit seien, sich ihnen anzuschließen, würde man baldmöglichst auf die Insel fliegen.

Meister Idarolan hatte den Verbannungsort ausgesucht.

»Nicht zu groß, aber auch nicht zu klein, mit gutem Fisch- und Wildbestand, auch wenn Wherries nicht gerade die wohlschmeckendste Kost darstellen.

Reichlich Obst und Wurzelgemüse. Sie werden arbeiten müssen, wenn sie überleben wollen, aber wer muß das schließlich nicht?«

»Sporenregen?« fragte Jaxom.

Meister Idarolan zuckte die Achseln.

»Es gibt ein paar Höhlen, und für die Zukunft wollen Sie dieses Problem ja aus der Welt schaffen. Ob sie so lange ausharren wollen oder nicht, bleibt ihnen überlassen.

Außerdem gibt es einen alten Vulkan sowie Hinweise darauf, daß die Insel bereits früher einmal bewohnt war. Es lebt sich dort viel angenehmer als auf dem fernen Westkontinent, wo sie nur Sand und Schlangen vorfänden.«

Als die Männer auf den Drachen saßen, reichte man ihnen Säcke mit den wichtigsten Werkzeugen und einigen Vorräten hinauf. Dann gingen die Geschwader ins Dazwischen.

Jaxom fühlte sich so abgespannt wie noch nie, seine Stimmung war auf den Tiefpunkt gesunken. Aber als Burgherr von Ruatha mußte er sich auch den Leuten gegenüber, die radikale Ansichten vertraten und einen tiefen Groll gegen die Schuldigen nährten, freundlich und entgegenkommend zeigen. Diejenigen Burgherren, die er am meisten bewunderte, sagten wenig oder gar nichts.

Asgenar und Toronas machten sich auf den Weg nach Bitra, um dem jungen Sousmal unter die Arme zu greifen. Auf dem Rückflug zum Landsitz an der Meeresbucht sollten D'ram und Robinton Lytol in Nerat absetzen, damit er Ciparis, der bisher als Begamons Verwalter tätig gewesen war, von seiner neuen Würde in Kenntnis setzen konnte.

Brand und seine Unterverwalter hatten alle Hände voll damit zu tun, sich um die Beförderung der vielen Besucher zu kümmern, alle jene mit Reiseproviant zu versorgen, die den eigenen Vorrat aufgezehrt hatten, und die Mägde beim Wegräumen der Abfälle und der Beseitigung der Schäden zu beaufsichtigen, die die Menschenmassen hinterlassen hatten.

So war Jaxom absurderweise froh, als Sharra, die sichtlich Mühe hatte, alle ihre Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen, ihn fragte, ob man ihre Hilfe benötige.

»Mußt du etwa wieder auf die Yokohama ins Labor?« vermutete er.

»Zusammen mit Oldive.«

Er umarmte sie kurz, küßte sie und nickte. Irgendwie war es ihm lieber, sich mit seinen Gedanken auseinandersetzen zu können, ohne fürchten zu müssen, daß er sie mit seiner Niedergeschlagenheit ansteckte.

»Ich werde mich noch ein wenig mit den Kindern beschäftigen«, sagte er. »Im Moment braucht man mich weder auf der Yokohama noch in Landing.«

Das stimmte nicht ganz, und Sharra wußte es. Sie warf ihm einen forschenden Blick zu, doch dann lächelte sie traurig, küßte ihn auf die Wange und ließ ihn allein.

Von seinem Fenster aus sah er zu, wie sie und Oldive den jungen Blauen bestiegen, der jetzt den Dienst auf Ruatha versah - und fühlte sich dabei zu allem Unglück an G'lanar erinnert.

Ich bin hier. Das war Ruth, der sich in seinem Weyr aufhielt.

Du bist immer für mich da, mein Freund, sagte Jaxom. Seine Mutlosigkeit war fast unerträglich geworden.

Du hast getan, was du mußtest und was du solltest. Niemand kann dir einen Vorwurf machen.

Trotzdem muß ich mich mit den Folgen herumschlagen.

Du hast dich ehrenhaft verhalten. Andere nicht. Kann man mehr tun, als sich ehrenhaft verhalten?

Eine gute Frage, Ruth, eine sehr gute Frage. Jaxom streckte sich auf seinem Bett aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Hätte ich verhindern können, daß es so weit kam?

Wie? Indem du Piemur und Jancis damals nicht geholfen hättest, Akki freizulegen? Dann wäre die Maschine von jemand anderem gefunden worden. Dieser Tag hat so viel Gutes bewirkt wie kaum ein anderer, abgesehen natürlich - Jaxom hörte das zufriedene Zirpen in Ruths Stimme und lächelte matt - von jenem anderen, an dem wir Ramoth ihr Königinnenei zurückbrachten.

Und von gestern, als wir in die Zukunft gingen, um uns von unserem Erfolg zu überzeugen…

Trotz seiner trostlosen Stimmung vertiefte sich Jaxoms Lächeln, als er sich Ruths verschmitzte, bläulich schillernde Augen vorstellte.

Menschen denken anders als Drachen, fuhr Ruth nachdenklich fort. Meist versteht ein Drache seinen Gefährten. Aber manchmal, wie jetzt eben, begreife ich nicht, was dich eigentlich quält. Du läßt anderen Menschen die Freiheit zu denken, wie sie wollen, solange sie dir ihre Gedanken nicht aufzwingen. Du verstehst es, beide Seiten eines Problems zu betrachten. Ich habe es erlebt. Du läßt anderen Menschen die Freiheit zu tun, was sie wollen, solange sie niemanden damit verletzen, vor allem niemanden, den du liebst und bewunderst.

Gewiß, aber als wir von dem Komplott gegen Robinton erfuhren, hätten wir es Sigomal auf den Kopf zusagen sollen, wandte Jaxom ein.

Waren die Pläne bekannt?

Nein, nicht genau.

Und du hast Vorkehrungen getroffen, um den Harfner zu schützen.

Aber sie haben nichts genützt, oder?

Nicht deine Schuld. Wer hätte gedacht, daß die Verschwörer sich ausgerechnet ein Fest aussuchen würden, wo so viele Menschen versammelt waren? Du mußt diese Gedanken abschütteln, Jaxom. Sie sind unnütz und machen dich nur traurig. Es gibt so vieles, worauf wir uns freuen können…

Ja, nicht wahr? Jaxom verzog das Gesicht, drehte sich auf den Bauch und vergrub das Gesicht im Kissen, obwohl ihm bewußt war, daß er nur der entscheidenden Frage ausweichen wollte. Er zwang sich, den Gedanken zu vollenden: Würden er und Ruth die Aufgabe lösen, die Akki ihnen gestellt hatte?

Das Problem besteht nicht mehr, Jaxom. Die Aufgabe ist bereits gelöst. Akki hat es dir gesagt. Und er hat es dir gezeigt.

Und du stimmst ihm zu? Du willst das Risiko eingehen?

Wir sind in die Zukunft gesprungen, um zu sehen, ob es gelungen war. Es war gelungen. Deshalb werden wir es tun, weil wir es bereits getan haben. Es wird unser Meisterstück.

Das klang erwartungsvoll und frohgemut. Überrascht stützte Jaxom sich auf die Ellbogen. Die Herausforderung ist noch größer als bei der Rettung von Ramoths Ei, fuhr Ruth fort. Und dieses Wagnis ist noch wichtiger für die Zukunft dieser Welt. Daran mußt du denken, nicht an traurige und nutzlose Dinge, die längst vergangen sind. Was geschehen ist, ist geschehen, und niemand kann es ungeschehen machen.

Hat Sharra etwa vor ihrem Abflug mit dir gesprochen?

Jaxom traute es seiner Frau durchaus zu, daß sie seinen Drachen zu ihrem Bundesgenossen machte.

Das war nicht nötig. Bin ich deinem Herzen und deinen Gedanken nicht immer nahe?

Immer, mein Herz. Immer!

Jaxom schwang die Beine über die Bettkante. Auf Ruatha gab es noch viel zu tun, ehe er guten Gewissens zu Akki und nach Landing zurückkehren konnte.