ANGRIFF AUS DEM NICHTS

 

Richard und Matt standen wie angewurzelt da und starrten den bewegungslosen Körper an, der auf der Treppe lag. Eine Blutlache breitete sich um Dravids Kopf aus. Aber es war nirgendwo ein Angreifer zu sehen. Das Museum war so still und leer wie zuvor. Etwas hatte sich allerdings verändert. Es war eiskalt, und die Luft schien irgendwie dicker als vorher. Sie ließ alles verschwommen und unscharf wirken, wie auf einem schlechten Foto.

Richard war der Erste, der sich von seinem Schock erholte. »Warte hier!«, sagte er und rannte die Stufen hinauf.

»Wo willst du hin?«, rief Matt ihm nach. »Die Schlüssel holen!«

Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Eigentlich wollte er nicht in Professor Dravids Nähe gehen, aber er hatte keine Wahl. Das Blut hatte inzwischen die erste Stufe überwunden und tropfte auf die nächste. Richard kniete sich neben den Professor und versuchte, die grauenvolle Wunde nicht anzusehen. Plötzlich drehte Dravid den Kopf und öffnete die Augen. Wie durch ein Wunder war er noch am Leben.

»Fünf …« Das einzelne Wort war alles, was er hervorbringen konnte.

»Sprechen Sie nicht. Ich hole Hilfe.« Richard wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Natürlich log er. Dem Professor war nicht mehr zu helfen.

Dravid streckte ihm eine zitternde Hand entgegen, die die Schlüssel umklammert hielt. Richard nahm sie ihm sanft aus den Fingern. Einen Moment lang sahen sich die beiden in die Augen. Dravid versuchte noch einmal zu sprechen, doch er schaffte es nicht. Er hustete schmerzgepeinigt. Dann schlossen sich seine Augen, und er rührte sich nicht mehr.

Mit dem Schlüsselbund in der Hand richtete sich Richard auf. Er konnte Matt sehen, tief unter sich, und beide dachten dasselbe. Irgendwo im Museum verbarg sich ein Mörder. Jemand – oder etwas – hatte Professor Dravid getötet, und sie würden zweifellos die Nächsten sein. Aber wo war ihr Gegner? Warum konnten sie nichts sehen? Sehr langsam schritt Richard die Treppe wieder hinunter, und jeder seiner Sinne war hellwach. Sie beide waren so winzig in diesem riesigen Gebäude. Er fühlte sich wie auf dem Präsentierteller.

»Hast du sie?«, rief Matt.

»Ja.« Richard hielt die Schlüssel hoch. »Lass uns verschwinden.«

»Was ist mit Professor Dravid?«

»Er ist tot. Tut mir leid. Es gab nichts, was wir für ihn tun konnten.«

»Aber was hat ihn umgebracht?«

»Keine Ahnung.« Richard schaute nach oben und ließ seinen Blick über die gewölbte Decke schweifen. »Auf jeden Fall sollten wir nicht hierbleiben, um es herauszufinden.«

Er drehte sich, und genau in diesem Augenblick gab es einen deutlichen Luftzug. Matt riss den Arm hoch, um sein Gesicht zu schützen, und stolperte gegen Richard.

»Was ist los?«, fragte Richard.

»Da war etwas …« Matt sah sich um, aber da war nichts. »Etwas ist an meinem Kopf vorbeigeflogen!«

»Geflogen?«

»Ja.«

»Hast du gesehen, was es war?«

»Nein, das nicht. Aber ich habe es gespürt. Es war ziemlich dicht … Ich habe gespürt, wie es vorbeigeflogen ist.«

»Ich sehe nichts.«

Aber dann sauste es zum zweiten Mal auf sie zu. Es stieß aus dem Nebel herab, und diesmal war es deutlich zu erkennen, auch wenn es Matt wertvolle Sekunden kostete, zu begreifen, was es war. Die Kreatur, dreieckig und weiß, war weder tot noch lebendig und stürzte sich auf sie wie ein Wesen aus einem furchtbaren Albtraum. Sie hatte Augenhöhlen, aber keine Augen, Flügel, aber keine Federn, und einen gewölbten Brustkorb, der vollständig leer war. Noch schneller als vorher stieß die Kreatur herab. Ihre Krallen waren ausgestreckt und die nadelspitzen Zähne zu einer grausigen Grimasse entblößt. Matt sprang zurück und fiel hin. Er spürte einen der Flügel an seinem Gesicht vorbeiwischen, und ihm war klar, dass er geköpft worden wäre, wenn er nur einen Sekundenbruchteil langsamer gewesen wäre. Jetzt verstand er auch, was mit Professor Dravid geschehen war.

Richard half ihm auf. »Hast du das gesehen?«, fragte er entsetzt.

»Klar.«

»Hast du auch gesehen, was es war?«

»Ja!«

»Was denn?«

»Ich weiß es nicht.« Matt hatte die Kreatur zwar erkannt, aber er konnte keine Worte dafür finden.

»Das ist ein Trick«, sagte Richard. »Das muss einer gewesen sein. So etwas gibt es nicht.«

Sie waren von etwas angegriffen worden, das nicht fliegen, ja nicht einmal existieren konnte. Es war eine Kreatur, die es schon seit Millionen von Jahren nicht mehr gab. Es war ein Flugsaurier. Oder besser: das versteinerte Skelett eines Flugsauriers, von Drähten zusammengehalten und im Museum für Naturgeschichte ausgestellt. Jemand hatte es zum Leben erweckt, und jetzt war es irgendwo über ihnen.

 

»Pass auf!«

Matt schrie die Warnung, als der Flugsaurier zum dritten Mal aus den düsteren Höhen der Halle auf sie herabstieß. Matt zweifelte nicht daran, dass die Krallen ihm das Fleisch von den Knochen reißen würden, wenn das Vieh ihn erwischte. Es war genauso bösartig wie zu seinen Lebzeiten. Aber jetzt wurde es durch jemanden oder etwas gesteuert und als Waffe gegen sie eingesetzt. Seine Krallen verfehlten Matt nur um Zentimeter. Er dachte schon, er wäre entkommen, doch im Vorbeifliegen streifte eine Flügelspitze seine Wange, und er spürte einen brennenden Schmerz, als der scharfkantige Knochen in sein Fleisch schnitt. Er schnappte erschrocken nach Luft, und seine Hand zuckte hoch zu der Wunde. Als er sie wieder herunternahm, war sie blutig. Der Flugsaurier flog einen Looping und kam zurück. Es war kein Geräusch zu hören, keine Warnung. Das Museum war totenstill.

»Matt?« In Richards Stimme schwang Panik.

»Mir fehlt nichts«, sagte Matt, der sich die Hand gegen die Wange presste.

»Du bist verletzt.«

»Ich glaube nicht, dass es tief ist.«

Richard starrte hektisch nach oben. »Wir sollten gehen.«

Matt verzog das Gesicht. »Ich hatte nicht vor, noch zu bleiben.«

Er hatte kaum ausgesprochen, als der Flugsaurier auch schon zurückkam.

Diesmal war Richard sein Ziel. Der ausgestreckte Flügel zerschnitt die Luft. Er war scharfkantig wie ein Schwert. Richard fluchte.

»Richard?« Einen schrecklichen Augenblick lang dachte Matt, Richard wäre getroffen worden.

»Alles klar. Das Vieh hat mich verfehlt. Es ist weg.«

»Und was ist mit den anderen?«

»Wie?«

Professor Dravid hatte es als die größte Ausstellung von Dinosaurierfossilien bezeichnet, die jemals in London gezeigt worden war. Der Flugsaurier war nur eines der Ausstellungsstücke. Rund um sie herum waren noch Dutzende anderer. Richard und Matt standen mitten in einer Röntgenfassung von Jurassic Park.

Gerade, als auch Richard erkannte, in welcher Gefahr sie tatsächlich schwebten, explodierte eine der Vitrinen nur wenige Meter von ihnen entfernt. Darin befand sich ein Skelett, das von einem Stahlrahmen aufrecht gehalten wurde. Schwerfällig kroch es aus dem geborstenen Glaskasten.

Es war schwer zu erkennen in dem Nebel und der Dunkelheit, aber es schien Matt, als ähnele das Skelett einem Krokodil. Es war lang und flach und hatte kurze Stummelbeine, die seinen Körper nur knapp über dem Boden hielten. In einem plötzlichen Wutanfall hatte es sich vorwärts geschleudert und dabei das Glas der Vitrine gesprengt. Das Einzige, was es nicht konnte, war brüllen. Es hatte keine Lunge. Aber seine Füße – Knochen ohne Fleisch – machten ein merkwürdiges klackendes Geräusch auf dem Mosaikfußboden. Es stürmte mit weit aufgerissenem Maul auf sie zu, und seine schwarzen Zähne schnappten in die Luft. Sein peitschender Schwanz zertrümmerte den letzten Rest von dem, was bisher sein Zuhause gewesen war.

Der Flugsaurier ging zum fünften Mal in den Sturzflug und zielte mit seinem spitzen Schnabel auf Matts Kopf. Mit einem Aufschrei warf Matt sich auf den Boden und rollte sich weg, auch weg von dem Krokodil-Vieh, das auf ihn zustürmte.

Wie konnte es überhaupt sehen, fragte Matt sich, mit diesen leeren Augenhöhlen? Aber das Monster zögerte nicht. Es machte kehrt und kam wieder auf ihn zu. Matt lag auf dem Rücken. In wenigen Sekunden würde es über ihm sein.

Da reagierte Richard. Er schnappte sich einen Stuhl, holte aus und schlug ihn mit aller Kraft auf das Krokodil. Das massive Holz krachte in das Monster, brachte es vom Kurs ab und ließ eine Seite seines Brustkorbs zerbrechen. Es lag auf dem Boden, zuckend und rasselnd, und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Sein Maul klappte immer wieder auf und zu, und es schleuderte den Kopf wild von einer Seite zur anderen. »Beweg dich!«, schrie Richard.

Eine zweite Vitrine platzte. Überall flogen Glassplitter herum. Die Dinosaurierskelette erwachten zum Leben – eines nach dem anderen. Knochen rasselten auf Marmor. Matt sprang auf und fragte sich, wie viele Ausstellungsstücke das Museum haben mochte. Und was war mit dem Riesenvieh, das sie gesehen hatten, als sie hereinkamen? Dem Diplodocus?

Matt drehte sich zu der riesigen Kreatur um und sah, dass auch ihre Knochen zu beben begonnen hatten. Der Diplodocus war mindestens zwanzig Meter lang. Sein mörderischer Schwanz schwang hin und her, angetrieben von der unerklärlichen Energie, die ihn plötzlich lebendig gemacht hatte. Eines seiner Beine bewegte sich, und jedes Gelenk ächzte. Sein Kopf drehte sich auf der Suche nach der Beute.

»Die Tür!«, brüllte Richard, und dann schrie er auf, als etwas gegen ihn prallte. Es war ein riesiges Echsenskelett, das auf den Hinterbeinen lief und die Arme ausgestreckt hielt. Es bestand aus mindestens hundert Knochen, die alle an einer langen, geschwungenen Wirbelsäule befestigt waren.

Es schnappte nach Richards Kehle. Richard kippte mit rudernden Armen hintenüber. Matt sah, wie der Schlüsselbund aus seiner Hand flog und in der Dunkelheit verschwand. Die Echse sprang hoch. Richard rollte sich zur Seite, und sie krachte auf den Boden. Hätte Richard eine Sekunde langsamer reagiert, wäre sie auf ihm gelandet.

»Die Tür!«, schrie er noch einmal. »Such nach einem Weg nach draußen!«

Der Nebel wurde immer dichter, und Matt konnte nicht mehr von einem Ende der Halle zum anderen sehen. Es waren weitere Explosionen zu hören, als immer mehr Vitrinen von innen heraus gesprengt wurden. Nur verschwommen erkennbare Ausstellungsstücke flogen, sprangen oder krochen auf sie zu. Richard tastete hektisch nach den Schlüsseln. Aber vielleicht ließ sich die Tür auch anders öffnen. Es gab doch sicher einen Notausgang oder so etwas.

Matt rannte quer durch die Halle und erreichte den Haupteingang. Er kam schlitternd zum Stehen, packte den Griff und zog. Die Tür war verschlossen. Er versuchte es am Notausgang, doch auch er war verschlossen. Matt starrte durch das Glas auf die Büros und Wohnungen auf der anderen Straßenseite. Der Verkehr war dicht, wie gewöhnlich. Ganz normales Leben … aber es hätte ebenso gut auf einem anderen Planeten sein können. Beide Ausgänge waren verschlossen. Es gab keine Entriegelung für Notfälle. Sie saßen im Museum fest.

 

»Richard!«, schrie Matt nervös, denn er konnte den Reporter nirgendwo entdecken.

»Sei leise!« Richards Stimme drang aus dem Nebel. »Sie können dich nicht sehen. Bleib, wo du bist, und mach kein Geräusch.«

Stimmte das? Ein weiteres echsenähnliches Vieh – vielleicht ein Iguanodon – tappte auf ihn zu. Es überragte ihn um einiges. Matt erstarrte. Das Dinosaurierskelett war direkt vor ihm stehen geblieben. Er konnte durch seine Augenhöhlen direkt in den Schädel sehen. Sein Maul stand offen, und es hatte hässliche weiße Zähne mit nadelscharfen Spitzen. Es atmete nicht – wie sollte es auch? –, doch Matt konnte seinen Atem trotzdem riechen. Er stank nach Abfällen und Fäulnis. Matt rührte sich nicht. Der Dinosaurier beugte sich vor und hielt den Kopf schief. Er schien ihn zu riechen, oder vielleicht spürte er auch den Pulsschlag in seinem Hals. Er war jetzt nur noch Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Matt wollte wegrennen. Er wollte schreien. Er war sicher, dass ihn das Monster jeden Augenblick angreifen würde. Sollte er einfach stehen bleiben, wenn es ihm die Kehle herausriss?

»Matt? Wo bist du? Alles in Ordnung?« Richards Stimme hallte quer durch die Halle, und die Echse machte kehrt und trottete in seine Richtung davon. Richard hatte also recht gehabt. Die Biester waren blind.

»Alles klar!«, schrie Matt zurück. Mehr wagte er nicht zu sagen.

»Kommst du raus?«

»Nein! Wir brauchen die Schlüssel!«

Die Schlüssel mussten irgendwo am Fuß der Treppe liegen. Richard spähte suchend durch den Nebel, bis er sie endlich entdeckte und darauf zusprang. Zur gleichen Zeit stürmte eine schwere, massiv aussehende Kreatur auf ihn zu, aus deren unförmigem Schädel ein einzelnes Horn herausragte. Irgendwo in seinem Hinterkopf fand Richard den Namen der Kreatur. Es war ein Triceratops. Glücklicherweise war er langsamer als die anderen. Er bewegte sich schwerfällig, und seine Knochenfüße rutschten haltlos auf dem Marmorboden herum. Richard schnappte sich den Schlüsselbund, bevor sich der Triceratops ihn schnappen konnte. Über ihm hatte sich ein zweiter Flugsaurier zum Ersten gesellt. Die beiden vollführten einen geisterhaften Tanz.

Matt war immer noch an der Tür. Richard konnte ihn im Nebel nur kurz sehen, dann versperrten ihm noch mehr geisterhafte Kreaturen den Blick. Es war unmöglich abzuschätzen, wie viele der Bestien zum Leben erweckt worden waren, aber wie viele es auch sein mochten, keine von ihnen war so gefährlich wie der Diplodocus, der mitten in der Halle lauerte. Richard würde nie an ihm vorbeikommen können. Aber er musste etwas tun. Wenn er noch länger herumstand, würde einer der anderen Saurier ihn erwischen. Er würde sich von oben auf ihn stürzen oder ihn von hinten anspringen. Ein plötzliches Zuschnappen von Zähnen. Ein tödlicher Hieb mit einer Kralle. Der Tod war allgegenwärtig, und Richard hatte die Hoffnung fast aufgegeben.

Und dann schwang der Diplodocus seinen Schwanz. Er bewegte ihn fast beiläufig. Die enorme Knochenmasse fuhr durch die Luft und krachte gegen eine der Säulen. Zerbrochener Marmor und Steinbrocken prasselten zu Boden. Erst jetzt erkannte Richard, wie groß die Gefahr tatsächlich war. Obwohl sie nur aus Knochen bestanden, waren die Dinosaurier genauso stark wie zu ihren Lebzeiten. Wenn sie es wollten, konnten sie das ganze Museum zum Einsturz bringen.

»Richard!«, schrie Matt, und der Diplodocus drehte sich um und suchte nach ihm. Die Flugsaurier trennten sich voneinander und beteiligten sich an der Jagd.

»Nimm die Schlüssel!«, brüllte Richard. »Mach, dass du wegkommst!«

Er hob den Arm und schleuderte die Schlüssel mit aller Kraft in Matts Richtung. Sie flogen über den Diplodocus, knallten hinter ihm auf den Boden und rutschten das letzte Stück. Matt bückte sich und hob sie auf.

»Los, komm!«, schrie er.

»Raus mit dir!«

»Nicht ohne dich!«

»Schließ die Tür auf!«

Matt wusste, dass Richard recht hatte. Vielleicht würde das Öffnen der Tür irgendwie die Magie kurzschließen, die die Dinosaurier zum Leben erweckt hatte. Vielleicht konnte er aber auch um Hilfe rufen. An dem Schlüsselring hingen sechs Schlüssel. Er zwang den ersten ins Schloss. Er ließ sich nicht drehen. Er riss ihn wieder heraus und probierte den zweiten, dann den dritten. Keiner davon war der richtige. Matt konnte sich kaum darauf konzentrieren, was er tat. Seine Hände zitterten. Jeder Nerv in seinem Körper schrie ihm zu, sich umzudrehen. Er schaffte es, den vierten Schlüssel ins Schloss zu fummeln. Doch bevor er ihn ausprobieren konnte, traf ihn die Schwanzspitze des Diplodocus mit solcher Wucht an der Schulter, dass er meterweit weggeschleudert wurde. Es fühlte sich an, als wäre er von einem Lastwagen angefahren worden. Benommen und unter Schmerzen rappelte er sich auf, taumelte zurück zur Tür und drehte den Schlüssel um. Sofort ging eine Sirene los, und ein rotes Blinklicht flackerte irgendwo im Nebel. Er hatte den Alarm ausgelöst! Doch im selben Moment schwang die Tür auf. Er war frei.

Aber wo war Richard?

Der Reporter hatte sich nicht bewegt. Er hörte den Alarm und wusste, dass die Tür offen sein musste, aber er überlegte immer noch, wie er an dem riesigen Diplodocus vorbeikommen sollte. Der direkte Weg war blockiert. Ob er nach oben laufen sollte? Plötzlich schrie er auf. Etwas, das sich wie Stacheldraht anfühlte, umklammerte seinen Knöchel. Er sah nach unten und entdeckte ein winziges, krabbenähnliches Vieh, höchstens fünfzehn Zentimeter hoch, das sich mit seinen stecknadelartigen Zähnen in seinen Knöchel verbissen hatte. Richard fluchte und schüttelte es ab. Dann holte er aus, trat mit aller Kraft nach dem Kopf der Kreatur und grinste, als der Knochen zersprang. Das Grinsen verging ihm, als die Mutter des Kleinen, die zehnmal so groß war, auf ihn zukroch.

Er traf eine Entscheidung und rannte los. Natürlich hörte der Diplodocus ihn, und sein langer Hals drehte sich zu ihm. Andere Skelette kamen aus den Schatten hervor und umringten ihn. Aber die Tür war offen. Der Weg nach draußen war frei.

»Du schaffst es!«, feuerte Matt ihn an.

Der Diplodocus stand noch immer zwischen ihnen, und Matt begriff erst jetzt, was Richard vorhatte. Richard tauchte unter dem Schwanz des Dinosauriers durch und rannte zwischen den Hinterbeinen hindurch unter seinen Bauch. Der Diplodocus war zu groß und zu schwerfällig, um ihn aufzuhalten, und die anderen Kreaturen kamen nicht mehr an ihn heran. Er würde es schaffen! Noch ein schneller Sprint zwischen den Vorderbeinen des Monsters hindurch, und er wäre an der Tür. Wutentbrannt stellte sich der Diplodocus auf die Hinterbeine. Sein schwerer Kopf traf die Galerie im ersten Stock.

Matt spürte, wie ihm ein eisiger Wind in den Nacken wehte, und er hörte von hinten Schritte näher kommen.

Richard war unter dem Diplodocus stehen geblieben und starrte Matt entsetzt an.

Die Galerie hatte den Zusammenstoß nicht überstanden. Einer der Stützpfeiler platzte auf, und die gesamte Galerie brach mit ohrenbetäubendem Getöse zusammen. Steine, Zement, Glas und Stahl krachten auf den Diplodocus. Dieses Gewicht konnte nicht einmal er tragen. Seine Beine gaben unter ihm nach.
Matt war im Begriff, in das Museum zurückzurennen, als er von zwei Händen am Hals gepackt wurde. Er schrie auf und drehte verzweifelt den Kopf hin und her.

Richard war in dem Staub und zwischen dem Geröll kaum noch zu sehen. Der Brustkorb des Dinosauriers umgab ihn wie ein Käfig. Es war, als wäre er lebendig verschluckt worden. Er war im Inneren des Diplodocus gefangen.

Matt konnte sich nicht bewegen. Mrs Deverill funkelte ihn an, und in ihren Augen tanzten Flammen. Noah hielt ihn mit eisernem Griff um den Hals fest. Matt schlug um sich und schaffte es, Noah das Knie in den Magen zu rammen, doch im selben Moment hatte Mrs Deverill ein feuchtes Tuch herausgeholt, das sie ihm aufs Gesicht drückte. Es roch ekelhaft süßlich. Matt würgte. Er bekam keine Luft mehr.

Richard sah, wie sie Matt überwältigten. Matt sah Richard, wie er mit blutüberströmtem Gesicht in seinem grausigen Gefängnis kniete. Richard hob einen Arm und versuchte, den Staub und das Geröll wegzuschieben, die ihn zu ersticken drohten. Die Staubwolken wurden dichter, und er verschwand. Ein Stahlträger krachte in den Schutthaufen. Matt hörte Richards Aufschrei.

Matt hatte keine Kraft mehr. Er ließ sich von der Dunkelheit überwältigen. Der Verkehr rauschte an ihm vorbei. Er hörte das Motorengeräusch der Straße, sah eine Ampel von Grün auf Rot springen. Aber alles war unendlich weit entfernt.

Und dann drehte sich alles um ihn, und er verlor das Bewusstsein.