6. Das Verhör
„Bitte treten Sie ein, Leutnant“, sagte Quentin Thomas. Er bat den Offizier in sein kleines Wartezimmer. „Ich bin nicht sicher, ob ich ganz wach war, als Sie anriefen. Sie sagten, Mrs. Miller sei tot im Bett aufgefunden worden – mit einem anderen Mann?“
„Einem Burschen namens Victor Higgins“, sagte Leutnant Dirken. „Wir konnten ihn identifizieren. Fingerabdrücke. Brieftasche in seiner Hose. Verschiedene andere Dinge. Millers Partner, soweit ich weiß.“
„Sie sagen, Sie wurden angerufen?“
„ ’woll. Um ein Uhr fünfzehn. Der Mann sagte, er hätte gerade seine Frau und ihren Liebhaber mit einer Mossberg 409 erschossen. Wir würden die Waffe im Schlafzimmer finden, und er wolle die Haustür für uns offen lassen.“
„Carlton Miller?“
„Derselbe. Wir sind gerade mit dem Überprüfen der Bänder fertig geworden. Die Stimmanalyse stimmt hundertprozentig mit einer vorhandenen Probe überein.“
„Was für einer?“
„Seinem letzten Willen. Hat er auf einer Cassette im Kellerlabor hinterlassen. Hat uns ebenfalls bei dem Anruf darauf hingewiesen. Hätten wir aber trotzdem gefunden.“
„Natürlich“, stimmte Quentin Thomas zu.
„Er hat alles Ihnen hinterlassen.“
Der Anwalt wußte nicht, was er sagen sollte. Er glaubte aber nicht, daß der Erfinder einen großen Nachlaß hatte. Nur Kleinigkeiten. Und die Maschine.
„Als Anwalt“, sagte Leutnant Dirken ruhig, „sind Sie sich sicher darüber im klaren, daß jegliche Unterstützung Carlton Millers in diesem Stadium Sie automatisch zum Mitschuldigen macht.“
„Ja“, sagte Quentin Thomas ebenso ruhig. „Aber warum stehen wir? Setzen wir uns doch.“
„Vielen Dank.“ Der Offizier kam rasch zum Wesentlichen. Sein Blick bohrte sich in den von Quentin Thomas. „Wann haben Sie Mr. Miller zum letzten Mal gesehen?“ fragte er leise.
„Gestern. Wir flogen mit dem Shuttle nach Washington, D. C, Angelegenheiten im Patentamt. Er flog auch wieder mit mir zurück. Erst am Flughafen trennten sich unsere Wege.“ Er sah dem Offizier ins Gesicht. „Aber das wußten Sie bereits.“
„Das meiste. Aber ich wollte es noch mal von Ihnen hören.“ Er stand auf, zog eine Grimasse, verschränkte die Arme hinter dem Rücken, dann begann er, im Zimmer auf und ab zu gehen. Vor dem Portrait von Sir Francis Bacon blieb er einen Augenblick stehen, dann überwältigte er den Anwalt mit seiner Frage: „Wo ist Mr. Miller jetzt, Mr. Thomas?“
„Das weiß ich nicht, Leutnant.“ (Ah, aber ich habe einen Verdacht!)
„Wenn Sie ihn dazu bringen könnten, sich friedlich zu ergeben, könnten Sie damit vielleicht sein Leben retten.“
„Sie sagten, Sie waren schon in seinem Laboratorium im Keller?“
„Ja.“
„Ist Ihnen dort ein Metallrahmen an der Nordwand aufgefallen?“
„Mal sehen.“ Der Leutnant holte ein ledergebundenes Notizbuch aus seiner Tasche, leckte sich den Daumen, dann überblätterte er ein paar Seiten. „Da haben wir’s. Plan des Kellers. Ausgang. Wände. Nordwand. Vier Zentimeter durchmessendes Heizungsrohr. Quadrat. Meinen Sie das?“
„Das ist es. Glühte der Rahmen?“
„Mal sehen. Nein, hier steht nichts. Ein helles Glühen?“
„Wenn die Deckenbeleuchtung eingeschaltet ist, entgeht es einem vielleicht. Aber Sie erwähnten eine elektrische Heizung. Haben Sie Wärme gespürt, Leutnant?“
„Ja, das habe ich. Es war doch eine Heizung, oder nicht?“
„Es gab zwar Wärme ab, ist aber nicht in erster Linie eine Heizung.“
„Was ist es dann, Mr. Thomas?“
„Im Augenblick würde ich sagen, es ist ein sehr gefährlicher Gegenstand. Wir müssen sofort hinübergehen und es abschalten. Haben Sie einen Mann an der Tür?“
„Ja. Mehrere an jedem Ausgang.“
„Rufen Sie dort an, sie sollen niemanden in das Labor lassen.“
Sie standen vor dem Hitzerahmen. „Wenn es eingeschaltet ist, schafft es eine Verbindung zu einem Ort, wo es wesentlich heißer ist als hier“, erklärte der Anwalt. „Die Hitze verdampft flüssiges Ammoniak, das eine Turbine antreibt. Die Kühleinheit verflüssigt diesen Ammoniakdampf wieder, der dann in den Hitzerahmen gepumpt wird, worauf der Prozeß von neuem beginnt.“
Quentin Thomas öffnete ein Ventil. „Hiermit kann man das flüssige Ammoniak in den Hitzerahmen geben.“
Sie hörten ein Zschschsch. Dann begann der Boden zu vibrieren. „Der Turbinenrotor dreht sich“, erklärte Thomas. „Erzeugt etwa tausend Pferdestärken.“
Der Kiefer des Leutnants klappte herunter. Er leckte sich die Lippen und mußte anschließend mit erhobener Stimme sprechen, damit er über den Lärm hinweg gehört werden konnte. „Okay. Großartige Erfindung. Schalten Sie ab.“
„Einen Augenblick noch“, sagte Thomas. „Ich möchte Ihnen eine der Besonderheiten des Hitzerahmens demonstrieren.“ Er sah sich in der Werkstatt um, fand ein Stückchen Kupferrohr und ging damit auf den Rahmen zu. „Würden Sie bitte herkommen, Leutnant?“
Der Offizier schritt durch den Raum. Quentin Thomas gab ihm das Rohr. „Werfen Sie es durch den Rahmen.“
„Aber …“
„Ich könnte es tun“, sagte Thomas. „Aber es ist überzeugender, wenn Sie es tun.“
Der Leutnant nahm das Rohr, zielte sorgfältig, dann warf er das Metallstück durch den Rahmen.
Das Rohr verschwand.
Der Offizier riß die Augen auf. „Wo ist es? Was ist geschehen?“
„Es ist jetzt in einem anderen Raum, vielleicht sogar in einer anderen Zeit“, sagte Quentin Thomas. „Aber sonst weiß ich nicht mehr viel darüber. Ich glaube dort ist Carl Miller – oder das, was noch von ihm übrig ist.“
„Sie meinen, er ist dort hindurchgegangen …?“
„Das halte ich für sehr wahrscheinlich, Leutnant.“
„Ich verstehe.“ Der Offizier schien nachdenklich. „Wie ist es dort drüben, Mr. Thomas?“ fragte er.
„Dort herrschen etwa zweihundert Grad Celsius, das entspricht grob vierhundert Grad Fahrenheit.“
„Er würde nur eine Minute leben.“
„Oder weniger.“
„ Wenn … er wirklich hindurchgegangen ist.“
„Natürlich.“
„Doppelmord, dann Selbstmord. Interessant. Wir werden das von unseren Psychographen analysieren lassen müssen.“
„In der Zwischenzeit würde ich vorschlagen, wir schalten es ab.“
„Aber angenommen, er will zurückkommen …?“
„Wenn er hindurchgegangen ist, Leutnant, dann wird er nicht mehr zurückkommen. Er ist tot.“