4. Die Demonstration
 

„Wie funktioniert es?“ fragte Mr. Tepples. Er hatte sich über seinen Schreibtisch nach vorn gebeugt und betrachtete den kleinen Spielzeugwagen.

„Das Prinzip ist recht einfach“, antwortete Carlton Miller. „Die Maschine macht sich das Temperaturgefälle zunutze. Daraus kann nach dem Carnotschen Hitzezyklus und dem Ersten Hauptsatz der Thermodynamik Arbeit gewonnen werden: W = q(T2–T1)/T2.“

„Wie bei dem Prozeß der Arbeitsgewinnung aus dem Ozean“, mutmaßte Mr. Tepples. „OTEK wird das meines Wissens genannt. Die oberen, warmen Wasserschichten erzeugen verfügbare Energie, wenn sie mit kälteren, unteren Schichten in Berührung gebracht werden.“

„Dasselbe Prinzip“, stimmte Miller zu. „Und OTEK bezeichnen Sie doch auch nicht als Perpetuum mobile, oder?“

„Natürlich nicht“, sagte Tepples. „Die Theorie in erster Linie, daß das Wasser im Endeffekt isothermisch wird, womit die gewonnene Arbeit des Systems null wird. Zum zweiten hängt das ganze System von der Wärmeeinwirkung der Sonne ab und nicht etwa von der inhärenten, internen Fortdauer des Systems an sich. OTEK gehorcht vollkommen der Formel E = A + TS, wobei A, die verfügbare Arbeit, in der Theorie auf null abfallen muß, wenn alle Schichten des Ozeans dieselbe Temperatur erreichen. Wenn das aber geschieht, dann wird E, die Energie, gleich TS, Entropie – mit anderen Worten, man hat eine gewisse Energie präsent, aber keine Möglichkeit, sie zu extrahieren.“

„Unsere Erfindung unterliegt denselben Gesetzmäßigkeiten“, versicherte Quentin Thomas.

„Also kein wirkliches Perpetuum mobile?“ fragte Tepples mit hinterhältigem Grinsen.

„Eigentlich nicht“, antwortete Miller.

„Könnte die Maschine hundert Jahre lang laufen?“ fragte Tepples.

„Ja, wenn sie ordentlich gewartet wird“, entgegnete der Erfinder.

„Tausend …?“

„Wenn abgenutzte Teile ersetzt werden, ja.“

„Eine Million Jahre?“

„Auch – wenn die Einzelteile noch verfügbar sind und sich jemand um die Maschine kümmern kann.“

Mr. Tepples preßte die Fingerspitzen gegeneinander. „Sehr interessant. Gehen wir etwas mehr ins Detail. Was für eine Hitzequelle haben Sie und was für einen Kältepol?“

„Der Kältepol ist einfach“, sagte Miller. „Er befindet sich in der Gegenwart. Die Hitzequelle … das ist nicht so einfach zu erklären. Sie befindet sich in einem anderen Raum/Zeit-Kontinuum. Ich bin noch nicht einmal sicher, ob sie sich überhaupt auf unserem Planeten befindet. Kurz gesagt, ich kenne die Quelle nicht.“

„Könnten Sie spekulieren?“ fragte Tepples.

„Ich würde es lieber nicht tun.“

„Nun, spielt auch keine Rolle, solange Sie den Zusammenbau erklären können.“ Er tätschelte das Fahrzeug. „Funktioniert es?“

„Ja, wenn ich Hitze- und Kälterahmen zusammenbringe, dann erzeuge ich verfügbare Arbeit.“

„Viel?“

„Beachtlich viel“, sagte Miller.

Mr. Tepples betrachtete die kleine Maschine. Das Herz der Erfindung schien auf der Ladefläche des Lasters angebracht zu sein – es handelte sich um ein quadratisches Gebilde mit einer Seitenlänge von etwa neun Zentimetern. Oben befand sich ein kleiner Schalter mit der Aufschrift „Ein/Aus“. An der Seite war eine kleine Kurbelwelle, die mit einer Metallstange verbunden war.

Natürlich hatte er es schon durchschaut gehabt, als sie es hereinbrachten. Eine verborgene Kapsel mit komprimierter Luft. Oder vielleicht eine der neuen Hydrazinbatterien. Nichts Besonderes. Er war schon am Überlegen, ob er sich gekränkt fühlen sollte. „Hübsches Spielzeug“, sagte er. „Was kann man damit machen?“

 

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„Verschiedenes“, sagte Miller. „Zuerst einmal wird es von seiner selbst erzeugten Energie angetrieben. Passen Sie auf.“ Er richtete das kleine Fahrzeug auf die gegenüberliegende Wand und legte den Schalter um.

Der Wagen setzte sich in Bewegung. Er prallte gegen die Wand und schaltete ab.

„Bei einem Aufprall schaltet es sich automatisch ab“, erklärte Miller.

Mr. Tepples lächelte. „Schön, schön. Aber der skeptische Geist muß sich doch fragen, ob der Wagen nicht einen verborgenen Antrieb unter der Haube oder unter der Ladefläche hat.“

Quentin Thomas seufzte. „Wir schlagen einen weiteren Test vor.“

„Und der wäre?“

„Bitte beachten Sie die Winde und das Kabel hinten an dem Fahrzeug. Wir nehmen das Fahrzeug mit in die Tiefgarage des Gebäudes. Dort schlingen wir das Kabel um zwei Stützpfeiler mit der Winde in der Mitte. Wir schalten die Maschine ein. Sie wird das Kabel rasch wieder einziehen. Dann …“

Mr. Tepples unterbrach ihn stirnrunzelnd. „Aber die Pfeiler sind mehrere Meter auseinander. Das Kabel aufzurollen würde eine Zugkraft von mehreren hundert Pond beanspruchen.“

„Das ist richtig, Mr. Tepples.“

„Mal sehen, ob ich Sie richtig verstanden habe“, sagte Mr. Tepples. „Wir nehmen also dieses kleine Spielzeugfahrzeug hinunter in die Tiefgarage. Dort nehmen Sie diesen Draht hier, der auf der Winde aufgerollt ist, und wickeln ihn um mehrere Streben, ein Ende an diesem Haken vor dem Wagen, das andere an der Winde, und die Winde wird sich dann drehen und das Seil wieder aufrollen. Ist das korrekt?“

„Für den Anfang, ja“, sagte Quentin Thomas. „Aber eigentlich erwarten wir, daß die Demonstration noch etwas weitergeht.“

Mr. Tepples mahnte sich sorgfältig, nicht zu lächeln. Er hätte schon jetzt seinen Report schreiben können. „Untersucher begleitete Erfinder und Anwalt in den Keller des Amtes, um die Fähigkeit besagter Erfindung zu testen, ein Metallkabel zwischen entfernten Stützpfeilern zu straffen, wobei die Erfindung selbst die Winde antreibt. Nachdem das Kabel um die Pfosten gewickelt worden war, entdeckte der Erfinder zu seinem Leidwesen, daß leider ein unbedingt nötiger Adapter fehlte, der bedauerlicherweise zu Hause im Labor vergessen worden war, erklärte aber die Funktionsweise der Erfindung, falls der Adapter vorhanden gewesen wäre. Kommentar: Demonstration ein Fehlschlag. Patent verweigert.“

„Gehen wir“, sagte er.

Anwalt und Erfinder wickelten das Kabel schweigend um zwei entfernte Pfeiler und hakten die Enden an der Winde des kleinen Fahrzeugs fest, das auf dem Boden stand. Mr. Tepples beobachtete sie kommentarlos.

„Ich glaube, wir sind bereit, Mr. Tepples“, verkündete Quentin Thomas. „Bitte treten Sie zurück.“

„Wozu?“

„Falls das Kabel reißen sollte.“

Mr. Tepples unterdrückte ein Lachen. Er ging spöttisch ein paar Schritte zurück.

„Einschalten, Carl“, befahl Quentin Thomas.

Miller beugte sich hinab und legte den kleinen Schalter um.

Die Winde begann sich zu drehen, zuerst langsam, dann immer schneller. Das Kabel wurde straff. Schließlich spannte es sich mit einem metallischen Sirren vollends.

Mr. Tepples riß die Augen auf. „Schalten Sie ab.“

Zu spät. Ein Knirschen. Und Poltern. Der Betonfußboden vibrierte. Staubwolken und Splitter fielen von der Decke herab.

Dann ein Klirren, laut und schrill: Das Kabel war gerissen, und ein Ende surrte nur wenige Zentimeter an Mr. Tepples Nase vorbei, der rotglühendes Metall vorbeizischen sah.

Flapp-flapp-flapp-flapp. Die Winde drehte sich immer noch, und mit jeder Umdrehung schlug das andere Kabelende auf den Boden.

Sie sahen sich um. Ein Teil des Kabels war mehrere Zentimeter tief in den Pfeiler eingedrungen; beide Enden standen noch hervor.

„Dachte mir schon, daß so was passieren würde“, kommentierte der Erfinder. „Daher habe ich für alle Fälle einen Acetylenbrenner mitgebracht. Ich habe die Enden abgeschnitten.“

Mr. Tepples griff mit dem Finger in seinen Kragen. „Gentlemen, es gibt Leute hier – besonders das Tiefbauamt und die Gebäudewartung, die Ihre kleine Demonstration mißverstehen könnten.“ Er dachte einen Augenblick nach. Sollte er die Erfindung weiterleiten an Gruppe 220 zur Prüfung auf Kernenergie? Und wenn er das tat, mußte er dann auch 220 Meldung über den Grund der Überweisung machen und von dem schrecklichen, unerklärlichen Experiment berichten? Das war undenkbar. „Ich gehe zurück in mein Büro“, sagte er. „Sie werden den formellen Stattgebungsantrag in wenigen Tagen bekommen. In der Zwischenzeit, Gentlemen, würde ich vorschlagen, Sie räumen hier gründlich auf und verschwinden dann so bald wie möglich.“