2. H-TEK zwischen den Flammen
 

Carlton Miller begrüßte ihn freundschaftlich an der Tür. Sie sahen einander einen Augenblick an. „Du siehst gut aus“, sagte Miller fast neidisch.

Der Anwalt wußte darauf nichts zu erwidern. Er konnte dieses Kompliment nicht zurückgeben. Miller sah ausgelaugt und grau aus, als taumelte er am Rand geistigen Verfalls dahin. Angstfalten zerfurchten seine Stirn, sein linkes Auge zuckte. „Schön, dich wiederzusehen, Carl“, sagte der Anwalt schließlich. „Es ist schon so lange her. Was hast du die ganze Zeit getrieben? Wie ich hörte, hast du geheiratet. Kinder?“

„Geheiratet? Äh, ja. Denise ist, äh, gerade ausgegangen. Keine Kinder. Nun, warum gehen wir nicht ins Labor und sehen es uns an?“

„Gerne.“

„Hier entlang.“

Miller führte ihn zu einem großen Raum im Keller. Thomas ließ seinen Blick über die unordentlichen Arbeitstische schweifen. Der Raum hätte gut und gerne als Alchimistenlabor eines mittelalterlichen Gemäldes durchgehen können. Dann fielen ihm die Musikinstrumente auf: ein Baldwin Piano. Eine Violinschachtel (vermutlich mit einer Violine darin). Eine zugedeckte Harfe. Und an den Wänden eine komplette Multistereoeinheit. Er zählte insgesamt zehn Lautsprecher verschiedener Größe.

Und dann traf ihn die Erkenntnis. Dieser Raum war ihm vertraut. Aber das konnte nicht sein. Er war noch niemals zuvor hier gewesen. Noch hatte ihm Miller das Labor beschrieben. Wenn er schon einmal hier gewesen wäre, dann müßte eine Waffenhalterung über der Tür sein, und in dieser Halterung müßte in eisiger Passivität eine Waffe liegen, ein …

… Mossberg Lasergewehr.

Und da war es tatsächlich. Er zitterte. Das alles mußte aufhören. Er mußte wieder in die Spur zurückspringen. „Du warst fleißig“, sagte er.

Miller schien sich ein wenig zu entspannen. „Ja, verschiedene Dinge gleichzeitig.“ Er ging hinüber zu einem der Tische. „Ich erkläre dir lieber, weshalb ich dich mitten in der Nacht angerufen habe.“

„Ich bin tatsächlich ein wenig neugierig.“

„Bist du vertraut mit akustischen Flammen?“ fragte Miller. „Wir haben davon in den Grundvorlesungen in Physik gehört.“

„Ich glaube, ich erinnere mich an etwas“, sagte der Anwalt zweifelnd.

„Dann laß mich deine Erinnerung auffrischen.“ Der Erfinder führte Quentin Thomas zu einer Laborbank. „Hier ist ein Bunsenbrenner mit einer besonders feinen Düse, etwa einen halben Millimeter im Durchmesser. Jetzt schalten wir das Gas ein … und zünden es an … so.“ Die Flamme loderte auf. „Nicht zu stark“, sagte Miller. „Sie muß hart an der Grenze zum ‚Röhren’ sein.“

Quentin Thomas holte seinen Schlüsselbund hervor und schüttelte ihn vor der Flamme, die zu flackern und zu tanzen begann.

„Ah, du erinnerst dich“, sagte Miller. Er durchquerte den Raum, holte aus einem Mahagonischrank eine Violine und kam zurück. Er klemmte sie unter seinem Kinn ein und strich mit dem Bogen über die Saiten. Wieder begann die Flamme zu tanzen. Er legte das Instrument beiseite. „Das kann man mit allem erreichen: Saiteninstrumenten,  Holzflöten, Blechinstrumenten, der menschlichen Stimme. Alles alte Hüte.“

„Aber du sagtest, du hättest etwas Neues?“ fragte Quentin Thomas.

„Und das habe ich auch. Paß auf.“ Der Erfinder wandte sich wieder der Flamme zu. Konzentrationsfurchen erschienen auf seiner Stirn.

Die Flamme begann wieder zu vibrieren.

Der Anwalt beobachtete all das sorgsam. Er wollte es nicht glauben. Irgendwo mußte ein billiger Trick dahinterstecken. Sein alter Freund konnte ihm so etwas nicht antun.

Die Fluktuationen ließen nach. Miller wandte sich triumphierend seinem Besucher zu. „Gesehen?“

„Ich habe etwas gesehen“, dämpfte der Anwalt seine Stimmung, „Was für ein Trick?“

„Kein Trick. Psi. Telekinese.“

Geistige Kontrolle? Du hast die Flamme mit deinem Willen zum Tanzen gebracht?“

„Ja. Paß wieder auf.“ Miller brachte einen anderen Apparat zur Bank. „Dieses Ding besteht aus drei Hauptkomponenten. Zuerst einmal hier der Kollimator und die Linsen bilden eine Fotoeinrichtung. Sie ‚liest‘ zehn Teile der Flamme und verwandelt die in elektrische Ströme in dieser Aufzeichnungseinheit, die sie an diese dritte Einheit hier weitergibt, einen Verstärker, der zehn Lautsprecher an verschiedenen Stellen des Laboratoriums aktiviert.“ Er lächelte dem Anwalt zu. „Glaubst du mir immer noch nicht?“

Thomas zuckte die Achseln. „Ich höre zu.“

„Mehr verlange ich auch nicht.“ Er wandte sich wieder dem Apparat zu, legte einen Schalter um und begann wieder, in die Flamme zu starren.

Musik wurde laut und erfüllte den Raum. Quentin Thomas glaubte, sie zu erkennen … Strauß? An der schönen blauen Donau? Geschichten aus dem Wienerwald? Der Kaiserwalzer? Tatsächlich, alle drei gleichzeitig. Offensichtlich hörte Carlton Miller drei Walzer in seinem Kopf, die er alle drei auf die Flamme übertrug. Unglaublich!

Aber jetzt mußte Quentin Thomas erst einmal nachdenken. War das Zauberei? Oder war es tatsächlich ein Fall fürs Patentamt? Er stellte sich einen hypothetischen Punkt 1 in einem hypothetischen Patent vor:

 

1) Die Methode der Formung von Tonsignalen untergliedert sich in folgende Teile:

a) Das Formen einer akustischen Flamme b) Die Flamme einem telekinetischen Muster aussetzen, um selbige zu aktivieren c) Die Umwandlung der aktivierten Flamme mittels einer fotoelektrischen Einheit unter Transformation wenigstens eines variierenden elektrischen Stromkreises d) Die Konversion besagten Stromkreises in akustische Signale

 

Hmm. Telekinetisches Muster. Da lag das Problem.

Die Musik verebbte.

Miller wandte sich um und betrachtete den Anwalt erwartungsvoll. „Nun? Kann man es patentieren?“

„Nein“, antwortete Quentin Thomas leise, aber bestimmt.

„Nein?“ Miller war zu verblüfft, um zornig zu sein. „Warum nicht?“

„Weil es einer geistigen Operation bedarf. Psi ist der schwache Punkt deiner Erfindung.“

Danach schwieg Miller lange Zeit. „Ich verstehe. Zu dumm. Ich dachte schon, ich könnte ein wenig Geld mit meiner singenden Flamme verdienen. Ich brauche das Geld für ein paar andere Projekte.“

„Weitere Erfindungen?“ fragte Thomas.

„Ja und nein. Was die Erfindung betrifft, so habe ich da einen Partner namens Victor Higgins. Ich würde ihn gerne auszahlen, um ihn loszuwerden. Aber ich schätze, das werde ich nicht können. Zumindest nicht auf diese Weise.“ Sein Mund verzog sich zu einer verkniffenen, bitteren Linie, er wandte einen Augenblick den Blick ab.

„Eine zehnte Symphonie? Du erwartest nach zweihundert Jahren noch Aufzeichnungen davon zu finden?“ Thomas war verblüfft.

„Natürlich gibt es Probleme“, gab Miller zu. „Und natürlich haben auch schon andere danach gesucht. Und zweifellos sind die Bruchstücke verdammt weit verstreut. Aber mit genügend Zeit, Geld und Anstrengung könnte bestimmt ein Großteil des Werkes restauriert werden.“

„Tatsächlich!“ murmelte Quentin Thomas.

„Tatsächlich“, bekräftigte Miller. „Schau dir doch die Tatsachen an. Es ist bekannt, daß er in den Jahren 1825-26 an der Zehnten gearbeitet hat. Im Winter wurde er krank und starb am 26. März des nächsten Jahres. Ganz Wien kam zu seiner Beerdigung. Die Schulen hatten geschlossen. Dann – Entsetzen über Entsetzen – wurde fast alles, was er hinterlassen hatte, versteigert: Seine Bücher, Noten, seine Aufzeichnungen … Großer Gott! Unglaublich! Natürlich wurde manches wiedergefunden, sogar das eine oder andere Fragment der Zehnten, gerade genug, um Neugier zu erwecken.“

Thomas wartete. Er fühlte Schockwellen einer überschwappenden Monomanie. Er wußte nicht, was er hätte antworten sollen.

Miller durchbohrte den Anwalt mit seinem Blick. „Hunderte von Beethovenschülern haben nach der Zehnten gesucht. Keiner hat etwas gefunden. Und doch ist sie da … all die Jahre tanzte sie direkt vor ihren Augen herum!“

„Wo?“ fragte Quentin Thomas.

„Die Sargträger“, sagte Miller. „Acht Musiker und Orchesterdirigenten trugen seinen Sarg zum Grab. Hummel, der berühmte Pianist, war unter ihnen. Schubert war ein Fackelträger. Grillparzer, der größte Dramatiker seiner Zeit, schrieb die Grabrede. Jede bedeutende Persönlichkeit war da. Und weißt du, was sie nach der Beerdigung taten?“

„Nein. Was taten sie denn?“

„Sie alle gingen schnurstracks zum Haus zurück. Und jeder konnte sich nehmen, was er haben wollte. Und die Zehnte war da, neben all dem anderen: dem Schreibtisch, dem Klavier, dem Küchentisch – überall ein Teil. Ich habe die Namen dieser Männer. Es ist nur eine Frage der Kontaktaufnahme mit ihren Nachkommen. Und das kostet natürlich Geld. Daher hatte ich gehofft, man könnte meine tanzende Flamme patentieren, damit ich etwas Geld damit verdienen kann.“

Quentin Thomas schüttelte den Kopf. „Nein, Carl, aber wir wollen nicht aufgeben. Du sagtest noch etwas von einem anderen Projekt, das eine echte Erfindung sein soll, das dieser Higgins finanziert …?“

„Die ist da drüben“, sagte der Erfinder.

Der Anwalt sah sich im Zimmer um. Sein Blick blieb auf einem quadratischen, etwa mannsgroßen Rahmenwerk hängen, das an der gegenüberliegenden Wand stand. Es schien mit Pumpen und Ventilen verbunden zu sein. Dicke elektrische Kabel schlängelten sich spaghettiähnlich zu einem großen Dynamo … oder war es ein Motor?

„Was ist denn das?“ wollte der Anwalt wissen.

„H-TEK.“ Der Erfinder sprach es ‚Ha-Tek’ aus.

„H-was?“

„H-TEK“, wiederholte Miller. „Wie OTEK, nur mit H.“

„Und was, bitte, ist H-TEK?“

„Eine neue Energiequelle. Und ich könnte mir gut vorstellen, daß sie die meisten existierenden Energieformen überflüssig macht.“

„Wirklich?“

„Ich sehe schon, ich werde dich überzeugen müssen. Beginnen wir also mit OTEK, was die Kurzform von ‚Ozeanische Thermale Energie-Konversion‘ ist. Bist du mit OTEK vertraut?“

„Im großen und ganzen. Ich weiß, wir haben verschiedene Einheiten vor der Küste in Betrieb.“

 

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„Nun, meine Erfindung ist mit OTEK vergleichbar. Laß mich daher mit einer Erläuterung OTEKs beginnen. Erster Schritt: Die warmen Oberflächenwasser der Ozeane werden dazu verwendet, flüssiges Ammoniak zu verdampfen. Zweiter Schritt: Die Ammoniakdämpfe treiben eine Turbine an, die einen Generator zur Erzeugung von Elektrizität antreibt. Dritter Schritt: Kaltes Wasser wird mittels eines neunhundert Meter langen Rohres aus der kalten Tiefe des Ozeans heraufgepumpt. Vierter Schritt: Dieses kalte Wasser wird dazu verwendet, den Ammoniakdampf wieder zu flüssigem Ammoniak zu kondensieren. Und dann wiederholt man die Schritte einfach wieder.“

„Und du erzeugst Strom auf dieselbe Weise?“ erkundigte sich Quentin Thomas neugierig.

„In etwa. Ich verwende dieselben Schritte: Ammoniakverdampfung, um Turbine/Dynamo anzutreiben, dann Abkühlen des Ammoniaks, um den Dampf zu kondensieren, dann alles von vorne beginnen.“ Er ging hinüber zu einem Seitentisch und deutete dort auf einen kleinen Mechanismus. „Hier, sieh dir das an. Das ist ein wesentlich kleineres Modell, aber es ist alles vorhanden. Siehst du? Hier ist der Ammoniakverdampfer, hier ist die Turbine und der Dynamo. Das ist der Kühler. Und alles ist so miteinander verbunden, daß dieses kleine Spielzeugauto hier angetrieben wird.“ Er hielt das Spielzeug hoch und drückte einen Knopf an der Maschine. Die Reifen begannen sich zu drehen. „Vierradantrieb“, kommentierte Miller. „Betreibt gleichzeitig noch eine Winde, die hinten montiert ist.“ Er legte einen winzigen Hebel neben dem Vordersitz um. Die Winde drehte sich ebenfalls. „Eigentlich ist es befremdlich stark“, sagte Miller.

Quentin Thomas betrachtete all das kommentarlos. Er versuchte gerade zu entscheiden, ob man ihm einen Streich spielen wollte.

„Und hier“, sagte er bedächtig, „verdampfst du das Ammoniak?“

„Ja.“

„Und hier wird er kondensiert?“

„Richtig.“

„Du wirst mir doch sicher zustimmen, Carl, daß du ein beachtliches Temperaturgefälle zwischen diesen beiden Einheiten benötigst?“

„Oh, ja, natürlich. Wie beim OTEK-Prozeß auch, nur verwende ich ein wesentlich größeres Temperaturgefälle.“

Quentin Thomas’ Augen funkelten. Jetzt hatte er ihn. „Aber du hast überhaupt keine Temperaturdifferenz. Sowohl Verdampfungs- als auch Kondensiereinheit werden bei Zimmertemperatur gehalten. Und ich glaube, du wirst mir zustimmen, daß es vollkommen unmöglich ist, Arbeit unter isothermischen Bedingungen zu erzeugen. Du mußt eine Hitzequelle und einen kalten Pol haben.“

„Aber sicher, Quent. Hab’ ich auch. Hier ist mein Kältepol.“ Er deutete auf eine winzige Spule auf der Ladefläche des Lasters.

„Die Ammoniakdämpfe von der Turbine kondensieren hier und werden sofort wieder dem Verdampfer zugeführt, der sehr heiß ist. Paß auf, nicht berühren.“

Zum ersten Mal bemerkte Quentin Thomas, daß die Verdampferkammer Hitze abstrahlte. Die kleine Einheit war wahrscheinlich für den feinen Geruch nach Verbranntem verantwortlich, den er schon zuvor bemerkt hatte. „Ah“, murmelte er. „Aber wie erhitzt du ihn? Butan? Alkohol?“

„Oh nein, nein, Quent. Überhaupt kein Flüssigbrennstoff. Wie bei OTEK auch. Ich verwende eine entfernte Hitzequelle. OTEK heizt mit dem Oberflächenwasser des Ozeans. Ich heize mit …“ Er verstummte und betrachtete das Gesicht des Anwalts ernst. „Konntest du mir bisher folgen?“

Warum nicht? dachte Thomas bei sich.

„Klar. Womit heizt du?“

Der Erfinder schien zu zögern. „Ich verwende eine sehr ungewöhnliche Hitzequelle“, sagte er schließlich.

Der Anwalt wartete.

„Der Hitzerahmen“, fuhr Miller schließlich fort, „hat seine Position in einem … nun … Raum/Zeit-Kontinuum, das wesentlich heißer als unseres hier ist. Wenn der Hitzerahmen aktiviert wird, dann bewegt er sich im Grunde genommen in dieses Kontinuum.“ Er sah Thomas abschätzend an. „Schwer zu glauben?“

„Ja“, antwortete Thomas. „Es ist schwer zu glauben. Wo ist dieses Raum/Zeit-Kontinuum?“

Miller blickte unbehaglich drein. „Ich bin mir über den exakten geographischen Standort nicht sicher. Ganz sicher nirgendwo auf der Erde. Das weiß ich genau. Muß ich … mußt du … das wirklich wissen?“

„Nein, wahrscheinlich nicht, solange du einem Sachverständigen erklären kannst, wie man es erreichen kann.“

„Das kann ich gewiß.“

Quentin Thomas stellte sich im Geist bereits wieder den Antrag vor:

 

1. Eine Energiequelle, bestehend aus:

a) einem Raum/Zeit-Rahmen b) einem zweiten Raum/Zeit-Rahmen; besagter zweiter Rahmen mit einer deutlich unterschiedlichen Temperatur, verglichen mit dem erstgenannten Rahmen c) Einrichtungen zur Verbindung der beiden genannten Rahmen zum Zweck des Hitzeflusses zwischen ihnen d) Einrichtungen, verbunden mit besagtem Hitzefluß, um denselben in verfügbare Arbeit umzuwandeln.

 

Würde das im Patentamt durchgehen? Er konnte es nicht sagen.

Miller studierte das Gesicht seines Freundes. „Du siehst skeptisch aus. Nicht, daß ich dir einen Vorwurf machen wollte.“ Er schritt zur anderen Seite des Raumes. „Siehst du das hier? Das ist ein anderer Hitzerahmen, ein größerer. Groß genug, damit du oder ich hindurchgehen könnten. Siehst du, ich gehe durch ihn hindurch.“ Er duckte sich, als er durch den Metallrahmen schritt.

„Aber du bist nicht in einem anderen Raum/Zeit-Kontinuum herausgekommen“, sagte Thomas. „Du bist immer noch hier im Labor.“

„Natürlich. Er ist nicht eingeschaltet.“ Er schritt wieder durch den Rahmen zurück, kippte einen Schalter an der rechten Seite um, dann blieb er etwas entfernt von der Erfindung stehen.

Noch während Quentin Thomas ihn verwundert anstarrte, verschwamm der Rahmen, dann wurde er wieder solide, als hätte jemand die Schärfeeinstellung einer Kamera verdreht. „Was geht hier vor?“

„Der Rahmen ist jetzt in … diesem anderen Kontinuum“, erklärte der Erfinder. „Daher kannst du ihn nicht mehr klar erkennen. Und jetzt paß auf. Ich öffne dieses Ventil. Flüssiges Ammoniak fließt in den Rahmen, dann verdampft er. Der Dampf kommt hier heraus.“ Er deutete auf die Stelle. „Und dann geht er weiter in diese Turbine – wo er etwa tausend Pferdestärken erzeugt.“ Der Boden dröhnte, als der massive Roboter seine Arbeit aufnahm. „Du kannst dir nicht vorstellen, was für eine Mühe wir hatten, dieses Ding in den Keller zu bekommen. Aber jetzt ist es hier. Natürlich nur ein Pilotprojekt. Aber man könnte es mit Leichtigkeit zum Antrieb eines Flugzeugs oder eines Supertankers verwenden. Es braucht keinen Treibstoff, weder konventionellen noch nuklearen. Keine Abgase. Keine Radioaktivität.“

„Wie heiß ist es – dort drüben?“

„Das scheint zu variieren, abhängig davon, wann und wo wir durchbrechen. Zweihundert Grad Celsius sind normal. Im Hitzerahmen ist ein Bimetallthermometer eingebaut, das mit dieser Anzeige hier verbunden ist.“ Er studierte eine der Skalen an der Kontrollvorrichtung. „Ja, zwo-null-fünf. Etwa in der Mitte zwischen der Siedetemperatur des Wassers und stumpfer Rotglut.“

Quentin Thomas rieb sich das Kinn. Und bist du, Carl Miller, dachte er, etwa in der Mitte zwischen Genie und Wahnsinn? Er nahm eine Münze aus seiner Tasche. „Angenommen“, sagte er, „ich werfe diese Münze durch den Hitzerahmen. Was würde passieren?“

Miller zuckte die Achseln. „Du meinst, ob sie die Wand hinter dem Rahmen treffen würde?“

„Würde sie?“

„Wirf die Münze.“

Quentin Thomas visierte genau den Punkt der Wand an, wo die Münze auf treffen sollte, dann warf er sie mit einer knappen Bewegung seines Handgelenks.

Sie verschwand. Kein Ton war zu hören.

Der Anwalt begann zu schwitzen. „Was ist auf der anderen Seite?“ fragte er leise. „ Warum ist es heiß?“

„Ich sagte doch schon, Quent, ich weiß es nicht sicher. Ich bin noch nie durch den Rahmen gegangen.“

„Aber du hast Mutmaßungen, nicht wahr?“

„Ja, ich glaube schon.“

„Ein Zeitsprung?“ vermutete der Anwalt. „Vor zwei bis drei Milliarden Jahren war es auf der Erde viel heißer. Vielleicht hast du eine Verbindung mit dem Jahr drei Milliarden vor Christi Geburt hergestellt.“

„Nein, das glaube ich nicht. Was auch immer dort draußen ist, es ist in unserer Zeit. Nur der Ort ist anders. Und heißer.“

Quentin Thomas überlegte. Man erwartete von einem Erfinder, daß er wußte, warum seine Erfindung funktionierte. Er mußte den Mechanismus nicht verstehen. Tatsächlich konnte er den Operationsmodus vollkommen mißverstehen. Aber er mußte einem Sachverständigen erklären können, wie man die Erfindung nachbauen konnte.

Miller schaltete wieder ab. Langsam kam die Turbine zum Stillstand. Quentin Thomas sah zu, wie der Hitzerahmen langsam wieder in den klaren Fokus kam. Er konnte von seinem Standort die Hitze fühlen. Und … sie riechen? War da nicht ein leichter Schwefelgeruch?

Der Erfinder unterbrach die Stille. „Kann ich ein Patent bekommen?“

„Das weiß ich nicht. Der schwache Punkt an dem Ganzen ist wahrscheinlich der Hitzerahmen. Wenn du anhand von Zeichnungen und dem geschriebenen Wort einem Experten erklären kannst, wie man dieses Ding konstruiert, dann hast du eine echte Chance. Kannst du deinen Hitzerahmen so genau erläutern, daß ihn ein Fachmann nachbauen kann?“

„Sicher.“

„Also. Das Patentamt wird es wahrscheinlich als Perpetuum-mobile-Maschine bezeichnen und uns zu einer Vorführung bitten.“

„Kein Problem, ich kann das Spielzeugauto mitnehmen.“

Aber etwas machte dem Anwalt immer noch zu schaffen. „Angenommen“, sagte er, „ich gehe durch den Hitzerahmen, während er eingeschaltet ist?“

„Tu das nicht, Quent.“

„Aber wenn ich es täte?“

„Ich glaube, es würde dich umbringen. Zwei Atemzüge auf der anderen Seite – vielleicht auch nur einer –, und es wäre vorbei.“

„Du solltest einen Schirm aufstellen.“

„Ja. Gute Idee.“

„Gut, dann machen wir uns an die Arbeit. Du beginnst mit einer Freihandzeichnung des gesamten Apparates. Wir numerieren die Teile, und ich mache mir Notizen über ihre Funktion. Später werde ich die Zeichnungen dann meinem Konstruktionszeichner geben, der kann sie ins reine zeichnen.“

„Okay.“ Der Erfinder beugte sich über den Arbeitstisch. „Hier ist der Hitzerahmen. Er ist ein quadratisches Element, das aus einer chromlegierten Röhre besteht. Der Teil der Röhre am Boden enthält eine Uranspule, dazu ein Verdrängungselement …“

An verschiedenen Punkten seiner Ausführung schien sich der Erfinder mitten im Satz zu vergessen. Das verwirrte den Anwalt. In den so entstehenden Pausen reckte der Erfinder immer den Kopf in die Höhe. Lauscht er nach oben, fragte sich der Anwalt. Habe ich nicht auch etwas gehört? Die Haustür ging auf? Wurde geschlossen? Stimmen … leise, flüsternde Stimmen? Dann erinnerte er sich. Natürlich. Carlton Miller war verheiratet. Vielleicht war seine Frau gekommen. Vom Einkauf zurück, mehr nicht. Aber wer war bei ihr?

Ging ihn nichts an. Zurück zu der Erfindung. „Was hast du gesagt, Carl? Diese Leitung führt vom Turbinenausgang zum Ammoniakdampfkompressor?“

„Ah? Ja, dann vom Kompressor zurück zum Hitzerahmen, wieder als flüssiger Ammoniak, um den Zyklus von neuem zu beginnen.“

Der Anwalt sortierte die Unterlagen sorgfältig und griff dann nach seiner Aktentasche. „Das wird genügen. Ich werde dir in ein oder zwei Tagen einen Rohentwurf herüberschicken lassen.“

Miller murmelte etwas, dann ging er zu der akustischen Flamme und schaltete den Brenner ab. Er wollte gerade die Streichholzschachtel wieder auf das Regal legen, als ihm offensichtlich etwas einfiel. Er nahm ein Streichholz heraus, zündete es an und sah in die Flammen.

Noch mehr Flammen, dachte Quentin Thomas. Sind wir wieder bei Punkt eins angelangt? Er unterdrückte ein Gähnen.

„Mit ein wenig Talent – und Übung“, sagte der Erfinder, „kann man lernen, eine Flamme zu ‚lesen’. Wie ein Musiker seine Noten liest. Er hört alle Noten in seinem Kopf. Beethoven war darin besonders gut – in seinen letzten Lebensjahren mußte er das sein, als er taub wurde. Aber jetzt sieh dir das an.“ Er wandte sich um und hielt das Streichholz empor. „Ein Chemiker sieht ein brennendes Streichholz und denkt: C + O2 → CO2. Ein Physiker dagegen denkt an das Charlessche Gesetz, an den Einfluß der Temperatur auf das Gasvolumen, vielleicht mit einem kurzen Nebengedanken an Photonen, die erzeugt werden, wenn Elektronen Orbitalsprünge durchführen.“

„Und was siehst du?“ fragte Thomas.

„Hören, Quent. Nicht sehen. Diese kleine Flamme singt für mich. Aua!“ Er warf das verkohlte Holz in den Aschenbecher. „Ich höre das Lied einer großen Weißholzpinie aus Georgia. Dieses kleine Streichhölzchen wurde, mit Millionen anderer Gesellen, aus dem Holz hergestellt. Es hat den Wechsel der Jahreszeiten erfahren. Es ist älter als du und ich. Vögel haben in seinem Elternbaum ihre Nester gebaut. Davon singt mir die Flamme.“ Er verstummte. „Du siehst mich merkwürdig an. Du glaubst mir nicht, oder?“

Quentin Thomas hob kaum merklich die Schultern. „Du hörst also ein Streichholz singen, Carl. Das ist seltsam, aber was soll ich dagegen sagen?“ Er lächelte. „Geht dir das mit allen Flammen so?“

„Nein. Andere sind mehr prosaisch. Die Bunsenflamme hier zum Beispiel, die hat vage Erinnerungen an verfaulende prähistorische Reptilien im Permianischen Becken. Andererseits hat eine Getreidealkohollampe viel zu sagen über wogende Weizenfelder und die Biochemie der Fermentation.“

Quentin Thomas lächelte.

Der Erfinder sah verletzt drein. „Du hältst mich für verrückt!“

„Nein. Ich fragte mich nur, ob du dich nach deinem Tod verbrennen lassen wirst.“

Miller sah hinüber zu dem quadratischen Hitzerahmen. (Warum hat er das getan, wunderte sich der Anwalt. Welche Verbindung besteht zwischen seinem Willen und dem Rahmen?)

„Nein, ich halte nichts von einer Feuerbestattung“, verneinte der Erfinder.

„Aber du hast doch bestimmt einen letzten Willen?“

„Hab’ ich. Für alles, was ich hinterlasse, eingeschlossen das Haus und das Labor samt Inhalt, ist gesorgt. Um meinen Leichnam werde ich mich selbst kümmern.“

Quentin Thomas dachte darüber nach. Wollte sein Freund ein Loch ausheben und dann selbst die Erde über sich schaufeln? Irgend etwas entging ihm hier. Er hoffte nur, es mochte nichts Wichtiges sein. Nun, egal. Er mußte sich verabschieden. „Carl, vergiß die Sache mit der akustischen Flamme wieder. Konzentrieren wir uns auf dieses H-TEK. Damit ist Geld zu machen. Übrigens, da wir gerade dabei sind – ich vermute, TEK steht für ‚Thermale Energie-Konversion’?“

„Richtig.“

„Und wofür steht dann das H?“

„Nun, ich … gute Frage. Hier geht’s raus.“

Also will er nicht antworten, überlegte der Anwalt. Spielt das eigentlich eine Rolle? Laß ihm sein Geheimnis. Die Mündung der Mossbergflinte schien direkt auf ihn zu zeigen, als sie hinausgingen.

Quentin Thomas vergaß das H. Er bemühte sich zu lauschen, aber er hörte nur die verhaltenen Geräusche eines verlassenen Hauses. Keine öffnenden oder schließenden Türen. Keine Stimmen.

Miller begleitete ihn zur Eingangstür. Dann erinnerte sich der Anwalt wieder. Der Erfinder hatte einen Partner. Der Mann, der H-TEK finanzierte. Er zwang sich zur Vernunft. Er mußte mit diesen müßigen Spekulationen aufhören. Das war ungerecht gegenüber den Millers – wie auch gegenüber dem schattenhaften Sponsor, den er vielleicht niemals kennenlernen würde.

Er ging hinüber zur Bushaltestelle.

Auf dem Heimweg begann Quentin Thomas mit einer sorgfältigen Reminiszenz der Ereignisse des heutigen Vormittags. Das tat er, weil er gespürt hatte, daß irgend etwas ganz und gar nicht in Ordnung war. Sicher, er hatte eine ausgezeichnete Beschreibung einer gut funktionierenden Erfindung. Damit konnte er bestimmt einen Patentantrag stellen, und dieser Antrag hatte gute Chancen, anerkannt zu werden. Oh, natürlich würde es Schwierigkeiten mit dem Patentprüfer geben, aber im Endeffekt würde Carlton Miller sein Patent bekommen. Und vielleicht sein Glück machen – wenn er auch nur ein Quentchen Geschäftstüchtigkeit besaß. Und selbst wenn das nicht der Fall war – dann hatte er immer noch seinen Finanzpartner.

Er runzelte die Stirn. Aber wer war Millers Partner?

 

Und dann dachte er zurück. Als sie im Keller gewesen waren, hatte sich die Eingangstür geöffnet. Sie hatten Schritte über sich gehört. Er erinnerte sich daran, daß Miller eindringlich gelauscht hatte. Ah. Er hatte die Schritte zweier Personen gehört. Und auch zwei unterdrückte Stimmen. Eine weibliche – wahrscheinlich Denise Miller. Und eine männliche – der Partner?

Noch mal. Miller hatte ihn in sein Labor gebeten, damit er die Erfindung der singenden Flamme ansah, obwohl er genau gewußt hatte, daß das H-TEK der große Schritt nach vorne war. Miller hätte das H-TEK nie erwähnt, hätte er, Thomas, ihn nicht von sich aus danach gefragt. Aber warum nicht? Miller kannte doch ganz sicher den Wert der Erfindung. Hatte Miller nicht an eine Verbreitung der Erfindung gedacht? Hatte Miller einen heimlichen, bedrohlichen Hintergedanken mit dem H-TEK? (Und ganz nebenbei, wofür stand das H? Hatte er nicht danach gefragt? Ja, das hatte er, und Miller hatte ihm eine Antwort verweigert.)

Wie hatte es angefangen? An diesem Morgen war er auf dem Sofa in seinem Studierzimmer aufgewacht. Drei Uhr morgens. Das Telefon hatte geklingelt und geklingelt … Und er hatte seinen roten Verteidigertalar angehabt. Und er konnte sich nicht daran erinnern, ihn angelegt zu haben.

Verrückt!