5. Kapitel

»Ja?« Die Frau, die die Tür geöffnet hatte, musterte mich abweisend.

»Ms. Low?«, fragte ich trotzdem freundlich.

»Was wollen Sie?« Sie war ernst und reserviert.

»Mein Name ist Tony Ballard. Ich bin Privatdetektiv.«

»Privatdetektiv?«, wiederholte sie befremdet. »Und da kommen Sie zu uns?«

»Ist Ihr Mann da?«

»Meinem Mann geht es nicht gut«, sagte sie brüsk und mit der »Wärme« eines Eisschranks. »Sind Sie wirklich Privatdetektiv?«

Ich zeigte ihr meinen Ausweis.

Sie kniff die Augen zusammen. »Für wen arbeiten Sie? Wer hat Sie engagiert? Und wozu?«

»Ihr Mann hatte diesen Unfall mit dem Tankwagen.«

Ihre Augen wurden noch schmaler. »Arbeiten Sie etwa für irgendeine Versicherungsgesellschaft? Hat man Ihnen aufgetragen, meinem Mann die Schuld an dem Unfall in die Schuhe zu schieben?«

»Ich bin auf Ihrer Seite, Ms. Low.«

»Das glaube ich nicht.«

»Shania?« Ich nahm an, dass das Martin Low war.

»Bitte gehen Sie, Mr. Ballard«, sagte Shania Low flehend. »Lassen Sie uns in Ruhe. Wir sind zurzeit wirklich nicht in der Verfassung …«

»Wer ist da, Shania?«, wollte Martin Low im Hintergrund wissen. »Mit wem sprichst du?«

Die Frau wollte die Tür schließen.

Ich stellte meinen Fuß vor.

Sie funkelte mich böse an.

Martin Low erschien hinter ihr. »Wer sind Sie?«, wollte er wissen.

Ich sagte es ihm und hängte gleich dran, dass mich weder eine Versicherungsgesellschaft angeheuert hatte noch dass ich ihm irgendwelche Schwierigkeiten machen wolle.

Er zögerte kurz. Dann forderte er seine Frau auf, mich einzulassen. Shania Low wollte die Tür dennoch nicht freigeben. Erst als ihr Mann sie ein zweites Mal darum bat, trat sie zur Seite.

Aber sie war noch immer merklich dagegen, dass ihr Gatte mit mir sprach. Sie erwähnte einen Reporter, der angerufen und sich um ein Interview bemüht hatte.

Ich nickte. »Vin Rockwell vom Crown Journal.« Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen, denn ihr Argwohn verdoppelte sich sofort.

»Sie kennen ihn?«, fragte sie angespannt.

»Nicht persönlich.«

»Aber Sie gehören derselben Zunft an.«

»Ich habe Ihnen vorhin meine Detektivlizenz gezeigt, Ms. Low.«

Martin Low sah mich an wie ein geprügelter Hund. Ich konnte mich sehr gut in seine Lage versetzen. Als ich ihm das sagte, zweifelte er merklich an meinen Worten.

Ich war gezwungen, ihm und seiner extrem misstrauischen Frau mehr über mich zu erzählen. »Ich bin kein gewöhnlicher Privatdetektiv«, sagte ich einleitend. »Ich jage keine kleinen Ganoven, die irgendwas ausgefressen haben, beschatte keine untreuen Ehefrauen oder Ehemänner und hole keine milchbärtigen Muttersöhnchen zurück, die von zuhause ausgerissen sind.«

»Sondern?«, fragte Shania Low – nach wie vor sehr argwöhnisch. »Worauf sind Sie spezialisiert, Mr. Bolland?«

»Ballard«, korrigierte ich sie sanft lächelnd.

»Ballard«, wiederholte sie unbeeindruckt. »Worauf sind Sie spezialisiert, Mr. Ballard? Auf explodierte Tankfahrzeuge?«

Ich hätte ihr jetzt eine lange Geschichte erzählen können. Meinen ganzen Werdegang. Und warum ich das geworden war, was ich heute bin, doch ich nahm mir nicht die Zeit dafür, sondern fiel gleich mit der Tür ins Haus und rückte mit der kristallklaren Wahrheit heraus.

»Ich jage Geister und Dämonen«, sagte ich.

»Sie tun was?«, fragte Ms. Low zornig.

»Shania – bitte«, versuchte ihr Mann sie zu beruhigen.

Sie zeigte wütend auf mich. »Er macht sich über uns lustig, Martin. Merkst du das nicht?« Sie sah mich feindselig an. »Was bezwecken Sie damit, Mr. Ballard? Aus welchem Grund sind Sie wirklich hier?«

»Ich bin hinter Yoolapan her.«

»Wer, bitte, ist Yoo …«

»Yoolapan«, sagte ich trocken. »Er ist ein Höllenwesen. Ein Dämon.«

»Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt, ja?«, schrillte die Frau.

»Ihr Mann hat einen Dämon gesehen, Ms. Low«, erklärte ich streng. »Ob Ihnen das nun passt oder nicht – es ist eine Tatsache. Und er hatte verdammtes Glück, dass Yoolapan ihm nicht das Leben genommen hat. So viel Glück hatten Nia van Cleefe und Noah Dayan bedauerlicherweise nicht. Sie fielen dem Dämon zum Opfer. Und deshalb bin ich hinter ihm her. Damit er nicht noch mehr Menschenfreunde, Wohltäter, Förderer, Samariter, Armenväter, Helfer, Retter – oder wie man sie sonst noch bezeichnen möchte – tötet. Denn genau das hat er vor.«

»Shania, dem Kerl sind Schlangen aus dem Kopf gewachsen – und … und er trug auf einmal einen eisernen Brustpanzer«, stellte sich Martin Low auf meine Seite. »Wir müssen Mr. Ballard glauben. Das muss ein Dämon gewesen sein.«

»Haben Sie mit ihm gesprochen?«, wollte ich von dem Berufsfahrer wissen.

Er schien froh zu sein, dass ihm endlich mal jemand seine irre Geschichte glaubte. »Das wollte ich. Ich war entsetzlich wütend. Er ging über die Straße, ohne sich um den Verkehr zu scheren. Als würde er sich für unverwundbar halten. Ich lief ihm wütend nach, rief ihn. Er blieb stehen und drehte sich um. Ich war verflucht sauer auf ihn und wollte ihm gehörig die Leviten lesen … Da – da … Wie sagten Sie, heißt der Bursche, Mr. Ballard?«

»Yoolapan.«

Low nickte. »Yoolapan verzog sein abstoßendes Gesicht zu einem satanischen Grinsen. Seine Lippen entblößten Ekel erregende Zähne und seine Augen versprühten eine böse Kälte, während die Schlangen unruhig auf seinem Kopf tanzten.« Er sprach nicht weiter, richtete seinen Blick auf Shania. Ich nahm an, dass er ihr alles erzählt, sie ihm aber nicht vorbehaltlos geglaubt hatte. Es dauerte eine Weile, bis er fortfuhr. »Yoolapan hob die Hand und zeigte auf meinen Tankwagen«, erzählte er mit belegter Stimme. Seine Lippen bebten. Er schien alles noch einmal zu erleben. Den ganzen Horror. »Auf seiner Handfläche bildete sich ein weißer Punkt, und dann raste etwas sehr Heißes an mir vorbei, schweißte sich durch die Tankerhaut und entzündete den Treibstoff.«

Quentin Rymer hatte Yoolapan zwar bereits beschrieben, doch ich bat auch Martin Low, dies so ausführlich wie möglich zu tun, weil ich es für sehr wichtig hielt, das Höllenwesen sofort zu erkennen, wenn es sich irgendwo blicken ließ. Lows Beschreibung deckte sich größtenteils mit Rymers. Aber die des Tankwagenfahrers fiel erfreulicherweise noch etwas detaillierter aus, und allein schon deshalb hatte es sich auf jeden Fall gelohnt, ihn aufzusuchen. Wenn ich die Augen geschlossen hätte, hätte ich mir die widerliche Visage des Dämons absolut lebensecht vorstellen können.

Endlich war auch Shania Low nicht mehr gegen mich. »Ich hätte nie geglaubt, dass es tatsächlich Dämonen gibt, Mr. Ballard«, gestand sie kleinlaut. »Und – und Dämonenjäger. Aber offenbar …« Sie brach ab und zuckte mit den Achseln. Dann erzählte sie mir von ihrer Befürchtung, dass die Firma, bei der ihr Gatte beschäftigt war, eventuell einen Grund suchte, ihn wegen des enormen Schadens – für den er nichts konnte – zu entlassen. Ich fragte nach dem Namen des Unternehmens.

»AVATrans«, sagte Martin Low.

Ich nickte. »Ich regle das.«

Shania Low sah mich mit großen, ungläubigen Augen an. »Das können Sie?«

Ich lächelte selbstbewusst. »Das kann ich«, sagte ich. Eigentlich meinte ich: »Das kann Tucker Peckinpah.«

Shania schluckte. »Danke«, hauchte sie und griff nach der Hand ihres Mannes.

 

Es war ein ganz besonderer Abend, zu dem man uns ins Crystal Palace Hotel eingeladen hatte. Dem großen Anlass angemessen, waren wir alle festlich gekleidet.

Vicky sah fantastisch aus. Wenn ich nicht schon in sie verliebt gewesen wäre, wäre es heute passiert. Aber auch die anderen Damen an unserem großen runden Tisch konnten sich wahrlich sehen lassen.

Emily Brega, die Leiterin von »We Love Animals« (sie war mit ihrem Lebensgefährten, einem sehr erfolgreichen Hörspielproduzenten da).

Bianca Sweeney, die Gattin des Chefs von »Helping Docs« Chris Sweeney.

Sonya Harden, die Frau des Chefs der »Child Foundation« und von »Helping Mothers« Travis Harden.

Mr. Silvers Lebenspartnerin Roxane.

Und selbst Priyna, Cruvs neue Flamme, hatte sich bemerkenswert herausgeputzt und das Beste aus ihrem – für irdische Maßstäbe eher unschönen – Prä-Welt-Typ gemacht.

Eigentlich hätte Allegra, die Tochter der Hardens, ebenfalls an unserem Tisch sitzen sollen, doch der hübsche Teenager glänzte durch Abwesenheit.

Ich hatte ihre Eltern nach dem Grund gefragt, und Travis Harden hatte seufzend gemeint: »Sie ist in einem sehr schwierigen Alter.«

Ich lächelte. »Die Pubertät hat uns allen mal zu schaffen gemacht. Dem einen mehr, dem andern weniger. Aber völlig ungeschoren kam keiner davon. Jedenfalls kenne ich niemanden.«

Er erzählte mir mit gesenkter Stimme von den Differenzen, die er kürzlich mit seiner Tochter gehabt hatte. Er hatte sie zwar mit aller väterlichen Strenge nach Hause befohlen, doch sie hatte nicht gehorcht, war einfach nicht heimgekommen. Ich fragte mich unwillkürlich, wieso er sich keine Sorgen um Allegra machte.

Er schien meine Gedanken zu erraten, denn er erklärte: »Sie rief kurz an und sagte in etwa: ›Dad, wir befinden uns momentan beide in einer ziemlich krassen Krise, die es mir unmöglich macht, nach Hause zu kommen. Ich brauche etwas Zeit, um damit irgendwie klarzukommen. Gib mir vierundzwanzig Stunden zum Nachdenken. Ich meine nicht, dass ich da zu viel verlange. Morgen melde ich mich um dieselbe Zeit wieder. Dann reden wir. Und dann komme ich heim.‹« Er sah mich hilflos an. »Ich kann nur hoffen, dass diese unerquickliche Phase bald zu Ende geht.« Er atmete schwer aus. »Sie belastet mich schon sehr.«

»Allegra ist trotz allem ein gutes Mädchen«, warf Sonya Harden ein.

Die Worte einer Mutter, dachte ich, während ich zustimmend nickte.

Der prunkvolle Festsaal, in dem wir uns befanden, war gesteckt voll. A-Prominenz, wohin das Auge blickte. Und das hatte seinen ganz speziellen Grund.

Tucker Peckinpah sollte nämlich die Schirmherrschaft über Travis Hardens gemeinnützige Gesellschaften übernehmen. Sowohl über die »Child Foundation« als auch über »Helping Mothers«. Doch nicht nur das.

Der schwerreiche Industrielle hatte die begrüßenswerte Absicht, sich zudem mit einer beträchtlichen Summe in das Ehrenamt einzukaufen.

Und das sollte in einem feierlichen Festakt gebührend zelebriert werden und höchst medienwirksam über die Bühne gehen. Deshalb trugen Mr. Silver, ich und sogar Cruv einen schwarzen Maßsmoking, um dem festlichen Rahmen ausreichend gerecht zu werden. Nicht nur Travis Harden hatte – wie wir wussten – eine Rede vorbereitet.

Auch Tucker Peckinpah würde im Laufe des Abends zu den so zahlreich erschienenen illustren Gästen sprechen. Wer sonst noch die Gelegenheit ergreifen würde, das Wort an die honorigen Anwesenden zu richten, war mir nicht bekannt.

Da es aber garantiert genug Leute im Festsaal des Crystal Palace Hotels gab, die sich schrecklich gerne reden hörten und sich solche Anlässe niemals entgehen ließen, sich effektvoll in Szene zu setzen, stellte ich mich auf viele bunt schillernde Sprechblasen ein.

Ich sah mich um, und der Name Yoolapan geisterte dabei höchst unerfreulich durch meine Gedanken. Wusste er von dieser Veranstaltung?

Hier war die Creme de la Creme der Gutmenschen – und deren Trittbrettfahrer – versammelt. Sogar aus Übersee waren sie angereist, um an diesem glamourösen Galaabend teilzunehmen. Es hätte sich für die Hölle sehr gelohnt, hier – mitten unter uns – eine magische Bombe zu zünden.

Wieso ließ sie eine so einmalige Chance ungenutzt? Nicht, dass ich mir das wünschte, aber die Gelegenheit, alle, die schon so viel Gutes getan hatten und auch in Zukunft zu tun gedachten, mit einem einzigen gewaltigen Schlag auszulöschen, war wohl selten größer gewesen.

 

Travis Hardens Handy läutete.

Obwohl er es ganz bestimmt abgeschaltet hatte!

Er wandte sich vom Tisch ab und meldete sich.

»Dad«, kam es aus dem immer noch abgeschalteten Mobiltelefon.

Harden zuckte zusammen. »Allegra …«

»Ich habe entsetzliche Angst, Dad«, wimmerte das Mädchen kläglich.

Harden erschrak. »Kind, wo bist du?« Sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen. »Wieso hast du Angst?«

»Du wirst sterben, Dad.«

Harden begann zu schwitzen. Er beugte sich vor und sprach gepresst in das Telefon, das eigentlich nicht funktionieren hätte dürfen. Aber er war so durcheinander, dass ihm das überhaupt nicht bewusst wurde.

»Meine Güte, Allegra, was redest du denn da?«

»Er hat es gesagt.«

»Wer?«

»Er hat gesagt, dass er dich töten wird«, schluchzte die Vierzehnjährige.

Harden starrte gebannt auf den Parkettboden. Sein Rücken war dem Tisch zugewandt, an dem er saß. »Wer, Allegra? Von wem sprichst du?«

»Von dem Mann aus der Hölle.«

Hardens Kopfhaut spannte sich. »O Gott.«

»Ich bin bei ihm«, krächzte der Teenager leidend. »Er hält mich gefangen.«

Harden zitterte. »Wo?«

»Hier. Im Crystal Palace Hotel.«

»Wo genau, Allegra?«, wollte Harden aufgewühlt wissen.

Sie beantwortete seine Frage nicht, sagte stattdessen: »Der Mann hat versprochen, mich freizulassen, wenn du tust, was er will.«

Der Boden, auf den Harden starrte, schien auf einmal zu schwanken und Wellen zu schlagen. Sein Herzschlag stolperte mehrmals.

»Was will er denn?«

»Greife unter deinen Stuhl, Dad.«

»Verdammt, wozu?«

»Frag nicht, Dad. Tu es.«

Er gehorchte.

»Da ist ein Messer«, sagte Allegra.

»W-wie kommt es …«

»Hast du es gefunden?«, unterbrach Allegra ihren Vater.

»Ja.«

»Nimm es an dich«, verlangte Allegra.

Ihre Stimme begann sich allmählich zu verändern. Unglaublich. Aber es passierte – und bald sprach am andern Ende kein Teenager mehr, sondern ein Mann!

Und zwar der Kerl, mit dem Harden schon mal telefoniert hatte: Y. O. Olapan! Der Mann, der behauptet hatte, er würde schon sehr bald eine entscheidende Rolle in Hardens Leben spielen. Er hatte Allegras Stimme täuschend echt nachgemacht. Großer Gott, wann habe ich mit meinem Kind tatsächlich zuletzt gesprochen?, fragte sich Travis Harden völlig verstört. In seinen Schläfen hämmerte es heftig. Wie oft war nicht meine Tochter am Telefon, sondern O-l-a-p-a-n-?

»Dad«, sagte das hinterhältige Höllenwesen wieder mit Allegras Stimme.

Harden empfand dies als grausam und perfide. Es schien Yoolapan ungeheuren Spaß zu machen, ihn komplett zu verwirren – und ihn gleichzeitig immer mehr unter seinen dämonischen Einfluss zu bekommen.

»Hast du das Messer, Daddy?«

»Ja«, antwortete Harden matt. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Die schwarze Magie des Exekutors hatte ihn bereits fest im Griff.

»Töte Tucker Peckinpah!«, befahl ihm Allegra am andern Ende einer Telefonverbindung, die eigentlich nicht existierte. »Er ist unser Feind«, behauptete sie. »Er muss sterben. Schneide ihm die Kehle durch! Er ist ahnungslos. Es wird ganz leicht sein, ihm das Leben zu nehmen. Und dann komm zu mir, Dad. Ich warte auf dich. Ich liebe dich, Daddy. Du musst mich hier rausholen, Daddy!«

»Hab keine Angst, Kleines«, murmelte Travis Harden – obwohl ihm eigentlich hätte klar sein müssen, dass er nicht mit seiner Tochter sprach. Aber das ließ der schwarze Zauber nicht zu. »Daddy kommt dich holen. Daddy ist gleich bei dir. Alles wird gut.«

Er steckte das Mobiltelefon ein und umschloss mit festem Griff das glatte Messerheft. Noch ahnte niemand, was er vor hatte. Genau genommen wusste er es selbst nicht. Am Tisch liefen lebhafte Gespräche, lockere Unterhaltungen ohne besonderen Tiefgang. Einfach nur Smalltalk.

Niemandem fiel auf, dass Travis Harden zu Yoolapans verlängertem Arm geworden war. Der Exekutor brauchte nicht selbst in Erscheinung zu treten, um Tucker Peckinpah ins Jenseits zu befördern.

Harden würde das für ihn erledigen, ohne es auch nur im Entferntesten mitzubekommen. Der Mann stand total unter dem unheilvollen Einfluss des gefährlichen Höllenwesens. Unter Yoolapans diabolischer Befehlsgewalt.

Harden drehte sich jetzt langsam auf seinem Stuhl um. Das Messer, das ihm Yoolapan zur Verfügung gestellt hatte, befand sich noch unter dem Tisch und fiel niemandem auf. Grausam, diabolisch und hasserfüllt starrte Travis Harden auf Tucker Peckinpahs Hals. Auch das bekam im Moment niemand mit. Hardens Geist war total von Yoolapans dämonischem Willen durchtränkt. Der Exekutor hatte ihn mit seiner Magie in einen Handlanger des Bösen, in eine Marionette der Hölle verwandelt.

Sonya Harden sprach ihren Mann an.

Er reagierte nicht.

»Travis«, sagte sie etwas lauter, damit er auf sie aufmerksam wurde.

Er hörte sie nicht.

Und das machte mich stutzig.

 

Jetzt fiel mir auch Hardens Furcht erregender Blick auf, und der alarmierte mich auf der Stelle. Ich schnellte hoch, sah das Messer in Hardens Hand blitzen und erkannte im selben Moment, was er vorhatte.

Da ich im Augenblick zu weit von Travis Harden entfernt war, rief ich Tucker Peckinpah eine Warnung zu, und Cruv reagierte sofort.

Der Gnom von der Prä-Welt Coor (jederzeit bereit, sein Leben für Peckinpah zu geben) schützte den Industriellen unverzüglich mit seinem Körper.

Das Messer zuckte wie ein Blitzstrahl auf den Gnom zu. Er trat mit seinen kurzen Beinen gedankenschnell nach Harden, traf dessen Kniescheibe und landete zudem einen Volltreffer in dessen Weichteile.

Normalerweise hätte Travis Harden daraufhin kampfunfähig zusammensacken müssen, doch er zeigte nicht die geringste Wirkung. Die Magie, unter deren Einfluss er – für mich ganz offensichtlich – stand, machte ihn schmerzunempfindlich. Cruv schwang sein rechtes Bein hoch und stieß dem Angreifer seinen Fuß mit aller Kraft mitten ins Gesicht.

Harden taumelte zurück, kam aber sofort wieder. Noch war die Gefahr für Cruv und Tucker Peckinpah nicht gebannt. Ich rannte nicht um den großen Tisch herum, sondern nahm die Abkürzung, um schneller eingreifen zu können.

Wild hechtete ich über die festlich gedeckte Tafel und rutschte mit dem blütenweißen Tischtuch direkt auf Travis Harden zu.

Kristallglas klirrte. Porzellanteller klimperten. Messingkerzenständer polterten. Edles Besteck klapperte. Während ich noch rutschte, drehte ich mich auf der großen Tischplatte und kickte Travis Harden das Messer punktgenau aus der Hand. Er schrie auf.

Aber nicht vor Schmerz, sondern vor Wut. Weil ich nicht zugelassen hatte, dass er Tucker Peckinpah tötete. Auch seine Frau stieß einen spitzen Schrei aus. Und Emily Brega. Und Chris Sweeneys Ehefrau.

Und Gäste an den benachbarten Tischen. Immer mehr Leute schrien.

Überall. Im gesamten pompösen Festsaal. Ohne wahrscheinlich genau zu wissen, warum.

Die Unruhe wurde zum Flächenbrand. Niemand saß mehr auf seinem Stuhl. Reporter eilten herbei, filmten und schossen Fotos. Ich war vom Tisch gefallen und hatte Travis Harden mit mir zu Boden gerissen.

Wir wälzten uns hin und her. Mal war ich oben, mal Harden. Der Mann war unglaublich stark. Er setzte keine natürlichen Kräfte gegen mich ein, sondern schwarzmagische. Vicky und Roxane kümmerten sich mit Cruv um Tucker Peckinpah.

Mr. Silver eilte mir zu Hilfe. Mir war klar, dass ich die schwarze Kraft, von der Travis Harden beherrscht wurde, brechen musste.

Anders war dieser Kampf wohl nicht zu beenden. Harden packte meinen Kopf mit beiden Händen und hämmerte ihn mehrmals hart auf den Boden.

Mir drohten die Sinne zu schwinden. Ich ballte meine rechte Hand zur Faust und schmetterte ihm meinen magischen Ring gegen die Schläfe.

Er zeigte sofort Wirkung. In seinem Schädel schien etwas zu zerbrechen.

Er war geschockt. Seine Augen weiteten sich. Er war jetzt geistig zwar wieder einigermaßen da, begriff aber absolut nicht, was sich soeben ereignete. Mr. Silver erreichte ihn, krallte die kräftigen Finger in seinen Smoking und riss ihn wild von mir weg.

Travis Harden schaute sich verstört um. Er sah die vielen aufgeregten Menschen und das viele Glas und Porzellan, das zu Bruch gegangen war, und begriff überhaupt nichts.

»Okay, Silver«, sagte ich. »Du kannst ihn loslassen. Er steht nicht mehr unter Yoolapans Einfluss.«

Um uns herum klickten die Fotoapparate, und die Kameraleute kämpften um die besten Aufnahmepositionen. Dem Ex-Dämon gefiel das ebenso wenig wie mir.

»Kannst du das irgendwie unterbinden?«, fragte ich den Hünen mit den Silberhaaren. »All das sollte besser nicht an die Öffentlichkeit gelangen.«

Die Perlmuttaugen des Silberdämons funkelten. »Ich werde später aus ihren Kameras alles entfernen, was sie aufgenommen und fotografiert haben.«

Seit er im Tunnel der Kraft auf der Prä-Welt Coor wiedererstarkt war, traute ich ihm das ohne Weiteres zu. Vielleicht war er sogar imstande, diese ganze unerfreuliche Aktion hier mit Hilfe seiner Silbermagie auszulöschen.

Würde Mr. Silver auch das hinkriegen? Würde es ihm gelingen, das Rad der Zeit gewissermaßen ein kleines Stück zurückzudrehen, so dass die Anwesenden hinterher nicht mehr wussten, was Travis Harden hatte tun wollen?

Weil es in ihren Köpfen gar nicht passiert war? Ich hoffte es. Im Augenblick versuchte der Ex-Dämon die Verbindung zu Yoolapan, die ich mit meinem magischen Ring gekappt hatte, wieder herzustellen.

Wenigstens so weit, dass wir erfuhren, wo sich das Höllenwesen aufhielt. Und es klappte. »Er ist hier«, informierte mich Mr. Silver.

»Im Saal?«

»Im Keller.«

»Weiß er, dass wir das wissen?«

»Davon müssen wir ausgehen.«

Wir hasteten davon, ließen das Chaos hinter uns. Mr. Silver fand mit geradezu schlafwandlerischer Sicherheit durch Gänge und über Treppen den Weg in die Unterwelt des Crystal Palace Hotels.

Während ich ihm folgte, zog ich meinen Colt Diamondback, den unser erstklassiger Schneider praktisch unsichtbar gemacht hatte. Jetzt brauchte ich die Waffe nicht mehr zu verstecken. Ich brannte darauf, dem gefährlichen Höllenbastard eine geweihte Silberkugel aufzubrennen.

Yoolapan hatte sich auf uns vorbereitet, hatte einen magischen Fallstrick gespannt, und über den stolperte Mr. Silver plötzlich in vollem Lauf.

Als ich den Hünen stürzen sah, blieb ich augenblicklich stehen. Mir fiel ein Netz auf. Es befand sich direkt über dem Ex-Dämon.

Ich warnte meinen Freund. Das schwebende Netz fiel herunter. Mr. Silver drehte sich auf den Rücken, und rote Feuerlanzen schossen aus seinen Perlmuttaugen.

Sie trafen die pechschwarzen Fäden und verbrannten sie restlos. Was wäre wohl passiert, wenn sich der Silberdämon in den schwarzen Maschen verstrickt hätte? Ich wollte mir das lieber nicht ausmalen.

Der Hüne mit den Silberhaaren sprang elastisch auf und schrie: »Netter Versuch, Yoolapan!« Seine Stimme hallte durch den weitläufigen Hotelkeller. »Hat aber nicht funktioniert! Ich habe dein Netz zerstört!«

»Dämon!« Die Stimme des Höllenwesens schien von überall her zu kommen. »Du bist ein Dämon! Ich spüre es!«

Ich drehte mich gespannt um die eigene Achse, war bereit, sofort zu schießen, falls Yoolapan sich zeigen sollte. Doch vorläufig ließ er sich nicht blicken.

Wir befanden uns in einem langen, breiten, nüchternen Gang. Links und rechts geschlossene Türen, an denen Schilder klebten: TISCHTENNIS. SQUASH. SAUNA. MASSAGE. FEUERTREPPE. DAMPFBAD. TURNSAAL. FITNESSRAUM. HALLENBAD. RELAXBEREICH. YOGA. KLETTERSCHULE. ZUTRITT VERBOTEN …

Yoolapan wollte wissen, wie der Silberdämon hieß. Mein hünenhafter Freund nannte seinen Namen. Yoolapan prahlte damit, von Loxagon persönlich zum Exekutor aller Menschen, die Gutes taten, ernannt worden zu sein.

»Loxagon wird nicht erfreut sein, wenn er von der Schlappe erfährt, die du erlitten hast!«, rief Mr. Silver spöttisch.

»Schlappe? Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«

»Travis Harden hätte Tucker Peckinpah für dich töten sollen«, antwortete der Ex-Dämon. »Wir haben es verhindert.«

»Dann wird Peckinpah eben ein andermal sterben. Es ist noch lange nicht aller Tage Abend.«

Wir bewegten uns vorsichtig durch den Gang und an den zahlreichen Türen vorbei. Wo steckte der verfluchte Kerl? Sah er uns, ohne dass wir ihn sehen konnten? War er imstande, sich unsichtbar zu machen? Konnte er uns jederzeit, buchstäblich aus dem Nichts angreifen?

Mein sechster Sinn warnte mich urplötzlich vor einer sehr großen Gefahr. Ich drehte mich argwöhnisch um – und sah, wie der abstoßend hässliche Exekutor mit hochgestreckten Armen auf mich zuraste.

Seine daumendicken Schlangen streckten sich mir mit aufgerissenen Mäulern entgegen – bereit, zuzubeißen und mich magisch zu vergiften.

Ich drückte ab, ohne auch nur einen Sekundenbruchteil zu zögern. Meine geweihte Silberkugel stanzte ein Loch in Yoolapans eisernen Brustpanzer.

Leider erwischte sie nicht sein schwarzes Herz. Der Treffer stieß ihn zurück, wirbelte ihn gleichzeitig herum und schleuderte ihn hart gegen die Wand. Sein Panzer schepperte wie ein Blecheimer. Ich drückte ein zweites Mal ab, ohne mir viel Zeit zum Zielen zu nehmen.

Yoolapan zuckte heftig zusammen und stieß einen gräulichen Laut aus, der mir kalte Schauer über den Rücken jagte. Ehe er mich abermals angreifen konnte, flitzte Mr. Silver an mir vorbei. Seine Schnelligkeit war verblüffend. Vor allem deshalb, weil sein Körper zu purem Silber erstarrt war, damit ihm Yoolapans Schlangen nichts anhaben konnten.

Er riss dem Exekutor den Metallpanzer vom Leib, warf ihn auf den Boden und hämmerte dem schwarzen Feind sodann seine riesige Silberfaust so kräftig gegen die Rippen, dass sie knirschend brachen.

Wieder kam dieser gräuliche Laut aus Yoolapans Maul. Mr. Silver griff nach den Schlangen. Jede, die ihn zu beißen versuchte, packte er und riss sie aus Yoolapans Schädel. Tiefe, scheußliche Löcher blieben zurück.

Ich jagte dem Exekutor eine Silberkugel in den Bauch, während Mr. Silver ihn mehr und mehr »enthaarte« – bis sich keine Schlange mehr auf seinem stark blutenden Kopf befand. Erheblich geschwächt wich Yoolapan zurück. Als er sich umdrehte, jagte ich ihm auch noch eine Kugel ins Kreuz, und Mr. Silver griff mit beiden Händen nach seinem kahlen Schädel, um ihm mit einem jähen Ruck das Genick zu brechen.

Da spuckte der Exekutor einen suppentellergroßen schwarzen Dämonenblutbatzen an die Wand, in dem sich das verzweifelte Gesicht eines vierzehnjährigen Mädchens spiegelte.

»Loslassen!«, fauchte Yoolapan. »Auf der Stelle! Sonst stirbt Allegra Harden mit mir!«

Der Ex-Dämon zögerte. »Wo ist sie?«

»Nimm deine verfluchten Silberhände von mir!«

»Wo hast du Allegra versteckt?«

»Irgendwo in diesem unterirdischen Labyrinth.«

Ich ballte meine Hand und zeigte dem Höllenschurken meinen Ring. »Wir können dich zwingen, uns zu verraten, was wir wissen wollen.«

Mr. Silvers Hände lagen wie große Silberklammern um Yoolapans heftig blutenden Schädel. Der Hüne verstärkte den Druck. Die Halswirbel des Exekutors knackten vernehmlich. Allegra stieß daraufhin stumme Schreie aus.

»Sie spürt meinen Schmerz«, ließ Yoolapan uns teuflisch grinsend wissen. »Ich bin mit ihr magisch verbunden. Was immer ihr mir antut, peinigt gleichzeitig auch sie. Tötet ihr mich, so verliert auch sie ihr junges Leben.«

»Wo ist sie!«, wiederholte Mr. Silver grimmig.

»Los-las-sen!«, verlangte der Exekutor.

Er schien sich voll darauf zu verlassen, dass wir ihm nichts anhaben konnten, solange wir nicht wussten, wo sich seine Geisel befand.

Der Silberdämon lockerte widerstrebend seinen Griff. Ich hätte Yoolapan am liebsten mit geweihtem Silber vollgepumpt, aber Allegra sollte darunter nicht leiden.

Mr. Silver ließ die Arme sinken und trat zurück. Hohn und Verachtung funkelten in Yoolapans Augen. Ich setzte dem Höllenwesen meinen Colt Diamondback ins Genick.

»Du führst uns jetzt zu dem Mädchen, sonst erledige ich dich schneller, als du Loxagon sagen kannst.«

Yoolapan verzog das Gesicht. »Du scheinst mir vorhin nicht zugehört zu haben, Dämonenhasser. Allegra lebt nur, solange ich lebe.«

Das konnte stimmen, konnte aber auch ein Bluff sein. »Wir wollen sie sehen.« Ich versetzte dem Exekutor einen harten Stoß. »Los!«

Yoolapan setzte sich träge in Bewegung. Er hatte es nicht eilig. Natürlich nicht. Aber wir. Ich stieß ihn abermals hart und ungeduldig vorwärts. Er knurrte gereizt, doch das kratzte mich nicht.

Unaufhörlich tropfte sein schwarzes Blut auf den Boden. Es quoll wie altes Motoröl aus den Wunden, die Mr. Silver und ich ihm zugefügt hatten.

Ich presste meine Lippen zusammen. Vermochte er die Blutung nicht zu stoppen? Würde er verbluten – und Allegra mit in den Tod nehmen?

»Schneller, du lahmarschiger Bastard!«, herrschte ich den Exekutor an.

Sein hasserfüllter Blick spießte mich förmlich auf, doch ich blieb unbeeindruckt. Was konnte er mir jetzt noch anhaben? So fertig, wie er war.

Oder … spielte er nur den Angeschlagenen? Um uns in Sicherheit zu wiegen? Um uns glauben zu machen, wir wären ihm überlegen?

Wie durchtrieben war dieser hinterhältige Mistkerl? Es sollte sich in der nächsten Sekunde herausstellen, was der Höllensohn noch alles auf dem Kasten hatte.

 

Krachend und splitternd flog eine der Türen auf. Wir sahen Allegra Harden.

Mein Herz übersprang einen Schlag. Das Mädchen schwebte.

Es hing knapp unter der Kellerdecke in der Luft, wurde von Yoolapans Magie gehalten und blutete genau da, wo auch der Exekutor blutete. Es gab nur einen einzigen Unterschied: Allegras Blut war rot!

Ich rief Mr. Silver zu, er solle die schwarze Verbindung kappen.

»Assyn aomg!«, brüllte der Ex-Dämon.

Ich stürmte gleichzeitig vorwärts, um den Teenager aufzufangen, sobald Yoolapans Zauber zerstört war. Und da fiel Allegra auch schon.

Ich streckte gehetzt die Arme vor. Das Mädchen fiel gegen meine Brust. Allegra war nicht viel schwerer als eine Puppe aus Styropor.

Ich ließ sie sanft zu Boden gleiten, zog meine Arme behutsam unter ihrem Körper hervor und wirbelte herum, um die restlichen Silberkugeln, die sich noch in der Trommel meines Colt Diamondback befanden, auf den Exekutor abzufeuern.

Jetzt, wo er mit seiner Geisel nicht mehr magisch verbunden war, konnte ich das riskieren. Kein Treffer würde dem Teenager mehr schaden.

Doch …

Yoolapan war verschwunden.

»Ich glaub's nicht!«, entfuhr es mir. »Wo ist er hingekommen? Er war doch eben noch da.«

»Er hat uns geschickt mit Allegra abgelenkt«, knirschte Mr. Silver. »Machte sich aus dem Staub, während ich mich auf die magische Verbindung konzentrierte, die zwischen ihm und dem Mädchen bestand.«

Aus der unübersichtlich verästelten Weite des Kellers hallte uns ein triumphierendes Gelächter entgegen. Wut schoss in mir hoch. Verflucht, wir hatten zwar Allegra Harden aus den Klauen dieses gefährlichen Dämons gerettet, aber es war uns nicht gelungen, das Höllenwesen zu eliminieren.

»Diese Runde geht an euch«, gab Yoolapan grollend zu. Seine Stimme wurde hörbar dünner, löste sich mehr und mehr auf. Offenbar befand sich nicht mehr viel von ihm im Keller des Crystal Palace Hotels. »Aber so schnell gibt sich Loxagons Exekutor nicht geschlagen«, ließ er uns wissen. »Wir sehen uns wieder. Vielleicht schon sehr bald. Und dann wird euch meine rächende Faust grausam treffen.«

Ein Heulen und Brausen jagte durch den Hotelkeller und verlor sich im Nichts.

»Mist!«, fauchte ich wütend und stieß meinen Revolver enttäuscht ins Leder.

Mr. Silver zog seine silbernen Augenbrauen zusammen. »Jetzt wird er sich irgendwo verkriechen, seine Wunden lecken und versuchen, so rasch wie möglich wieder zu Kräften zu kommen, und dann wird er die grausame Mission, für die Loxagon ihn ausgewählt hat, fortsetzen.«

»Noch einer, den wir nicht gleich beim ersten Aufeinandertreffen geschafft haben!«, sagte ich verbittert.

»Vielleicht geschah es zu unserem Schutz.«

»Zu unserem Schutz? Machst du Witze?«

Die Perlmuttaugen des Silberdämons funkelten. »Wer vom Erfolg zu sehr verwöhnt wird, wird oft leichtsinnig.«

»Ich hätte Yoolapan trotzdem lieber schon heute plattgemacht«, grummelte ich.

»Wir kriegen ihn beim nächsten Mal«, tröstete mich der Silberdämon.

»Du hast ihm sämtliche Schlangen ausgerissen …«

»Sie werden nachwachsen.«

»Ich habe ihm ein paar geweihte Silberkugeln in den gottverdammten Wanst gejagt«, sagte ich leidenschaftlich.

»Sein schwarzer Körper wird sie abstoßen und ausscheiden.«

»Mit anderen Worten, er wird bald wieder der Alte sein«, knirschte ich.

»Damit müssen wir rechnen«, bemerkte der Ex-Dämon.

Allegra Harden stöhnte.

Ich betrachtete das blutüberströmte Mädchen mit sorgenumwölkter Stirn. »Kannst du ihr helfen, Silver?«

Der Hüne sank neben dem Teenager auf die Knie, hielt seine Hände über das geistig total weggetretene Mädchen, aktivierte seine Heilkräfte und ließ sie langsam in Allegras Kopf fließen. Langsam deshalb, damit die Vierzehnjährige keinen magischen Schock davontrug, an dessen Folgen sie womöglich ihr ganzes Leben lang zu leiden hatte.

Die Heilmagie des Ex-Dämons griff erfreulicherweise hervorragend. Sie stoppte nicht nur die starken Blutungen, sondern entfernte auch das viele Blut, das Allegra so erschreckend aussehen ließ.

Es begann zuerst silbern zu glänzen und löste sich sodann allmählich auf. Auch die Wunden, die meine Kugeln in Yoolapans Körper gestanzt hatten, schlossen sich bei Allegra Harden, die jetzt aussah, als würde sie völlig entspannt schlafen. Ich atmete erleichtert auf.

Mr. Silver sorgte dafür, dass das Mädchen wieder zu Kräften kam, und dann weckte er die Kleine. Selten hatte mich jemand so verwirrt angesehen.

Allegra hatte keine Ahnung, was geschehen war, dass ihr Leben noch vor kurzem an einem hauchdünnen Faden gehangen hatte, und das war gut so.

Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie mit dem Bus nach Hause fahren wollte. Dann war ihr Film glücklicherweise gerissen.

Wir stellten sie behutsam auf die Beine und sagten, wir würden sie zu ihren Eltern bringen. Sie nickte und folgte uns. Im Festsaal hatte Mr. Silver dann einen unglaublichen magischen Kraftakt zu stemmen.

Er schuf eine Silberblase, die den gesamten Raum einschloss, löschte alle aufgezeichneten Bild- und Tondokumente aus den Fotoapparaten und Videokameras – und sämtliche Erinnerungen an das, was Travis Harden getan hatte, aus den Köpfen der Gäste. Nur Vicky, Roxane, Cruv und mich nahm er davon aus. Unser Tisch wurde neu gedeckt. Nun auch für Allegra. Sie nahm zwischen ihren Eltern Platz.

Niemand stellte Fragen. Der Galaabend lief absolut programmgemäß ab. Ansprachen wurden gehalten. Manche waren interessant und unterhaltsam, andere zum Gähnen langweilig. Auch Travis Harden und Tucker Peckinpah hielten Reden, und im Anschluss daran übernahm der Industrielle feierlich und hochoffiziell die geplante Schirmherrschaft über Hardens gemeinnützige Organisationen und brachte sich mit einem Scheck ein, dessen Höhe ihm Standing Ovations bescherte.

Die Medienberichte überschlugen sich tags darauf vor Begeisterung, und nichts von dem, was Yoolapan angezettelt hatte, gelangte an die Öffentlichkeit.

Weil sich – dank Mr. Silvers magischem Zauber – niemand daran erinnern konnte. Wenn wir es nicht besser gewusst hätten, hätten sogar wir glatt meinen können, all das Schreckliche wäre nie vorgefallen.

Aber es war geschehen.

Und es würde wieder passieren.

Irgendwann.

Und irgendwo …


ENDE