3 Wer sind die Täter?
3.1 Gibt es besondere Merkmale der Täter?
Im Rahmen einer großen deutschen Studie von Wetzels (1977) wurden 3.289 Menschen im Alter von 16 bis 59 Jahren zu den Erfahrungen ihrer Kindheit befragt. Fast ausschließlich waren die Täter Männer (94,7 %). Sind Frauen Täter, so als Mittäterinnen. Sie unterstützten einen männlichen Täter. Während ein Viertel der Täter Unbekannte sowie ein weiteres Viertel Familienangehörige waren, waren fast die Hälfte der Täter Bekannte der Familie (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Bekanntheitsgrad der Täter (Prozentangaben)
Von einer sexuellen Missbrauchshandlung mit Körperkontakt vor dem 16. Lebensjahr durch einen nahen Familienangehörigen wie den Vater, Stiefvater, Onkel, Großvater oder Bruder berichten 2,6 % der Frauen bzw. 0,9 % der Männer.
Findet ein Missbrauch innerhalb einer Familie statt, so ist es recht wahrscheinlich, dass es einen erneuten Übergriff gibt. Außerhalb der Familie findet häufiger ein einmaliger Übergriff statt (vgl. Abbildung 3). Ungefähr ein Drittel der Täter sind Jugendliche.
Schwere Formen des Missbrauchs (Eindringen mit dem Penis, Gegenstand oder Finger) verüben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Täter aus dem Familienkreis. Dies war der Fall bei ungefähr der Hälfte der Täter aus dem Familienkreis im Vergleich zu einem Drittel der Täter aus dem Bekanntenkreis (wie z. B. Babysitter, Trainer, Nachhilfelehrer, Musiklehrer). Kinder von Alleinerziehenden sind gefährdeter. Täter scheinen diese Familien attraktiver zu finden, da sie einen leichteren Zugang zur Familie und damit zum Kind finden können. Das Alter des ersten Missbrauchs liegt bei Opfern von Tätern aus dem Familienkreis (ca. 10 Jahre) unter dem von Tätern aus dem Bekanntenkreis (ca. 11 Jahre).
Abbildung 3: Häufigkeit der Übergriffe innerhalb bzw. außerhalb der Familie (Prozentangaben)
Häufiger noch als bei Mädchen werden Jungen außerhalb der Kernfamilie, durch männliche Verwandte, Bekannte der Familie oder ältere Freunde der Jungen missbraucht. Tendenziell ist der Missbrauch von Jungen häufiger mit körperlicher Gewalt verbunden.
3.2 Welche Arten von Tätern gibt es?
Die Studien, die versuchen, mehr über die Täter herauszufinden, haben ähnliche Probleme wie die Studien zu den Opfern sexuellen Missbrauchs. Oftmals können nur bereits verurteilte Täter befragt werden. Das Problem ist aber: Nur ein Teil der Täter wird angezeigt und ein noch geringerer Teil verurteilt. Befragt man also nur die verurteilten Straftäter, kann man davon ausgehen, dass nur ein Bruchteil der Täter erfasst wird.
Grundsätzlich kennen wir zwei Arten von Tätern. Pädophile oder hebephile Täter haben vor allem ein sexuelles Interesse an Kindern bzw. pubertierenden Jugendlichen. Der größere Teil der Täter jedoch interessiert sich eher für erwachsene Partner. Allerdings fällt es ihnen schwer, gleichaltrige Menschen anzusprechen oder sie haben leichteren Zugang zu Kindern. Kinder werden als „Ersatz“ für gleichaltrige Sexualpartner ausgenutzt.
Pädophile bzw. hebephile Täter
Die Pädo- wie auch Hebephilie gelten als eine psychische Erkrankung. Sie zählen zu den sogenannten Störungen der Sexualpräferenzen. Bei einer Störung der Sexualpräferenz werden Menschen von untypischen Dingen, Menschen bzw. Situation erregt und wünschen eine Befriedigung durch den Kontakt mit diesem „Objekt“. Dies können nicht menschliche Objekte wie z. B. Fetische sein. Fetische können Schuhe, Kleidungsstücke oder bestimmte Materialien wie Leder sein. Auch das Leiden oder die Demütigung der eigenen Person oder des Partners können intensive, wiederkehrende sexuell erregende Fantasien auslösen. Das Beobachten anderer Menschen, insbesondere in intimen Momenten oder die Neigung, die eigenen Genitalien vor anderen Menschen zu entblößen, führt zu Erregung und zumeist zur Selbstbefriedigung.
Menschen, die durch vorpubertäre Kinder oder Kinder in einem frühen Stadium der Pubertät erregt werden, werden als pädophil bezeichnet. Werden Menschen von pubertierenden Jugendlichen angezogen, gelten sie als hebephil. Diese Störung beginnt häufig in den späten Jugendjahren. Manche Pädo- bzw. Hebephile werden jedoch nie oder erst im mittleren Lebensalter übergriffig. Die meisten Menschen mit Störungen der Sexualpräferenz bevorzugen ein bestimmtes Geschlecht oder eine bestimmte Altersgruppe. Mädchen werden meistens im Alter von 8 bis 10 Jahren zum Objekt des Interesses für Pädophile. Jungen werden häufiger Opfer, wenn sie ein wenig älter sind.
Pädo- bzw. hebephile Täter gelten als eher still, zurückgezogen und schüchtern. Sie werden als unreif beschrieben und zeigen große Ängste, in einer gleichwertigen Beziehung zu einem anderen Erwachsenen zu versagen.
Fast die Hälfte einer Gruppe von Pädophilen berichtet, in ihrer Kindheit selbst missbraucht worden zu sein. Sie selbst zeigten ein hohes Interesse an Kindern, die in dem Alter waren, in dem sie selbst missbraucht worden waren.
Diese Täter suchen sich häufig eine berufliche oder ehrenamtliche Tätigkeit, die ihnen intensiven Kontakt mit Kindern ermöglicht. So arbeiten sie z. B. als Sporttrainer, Leiter von Sommercamps oder Ferienfreizeiten etc. Das Internet bietet durch offene Foren fast unbegrenzte Kontaktmöglichkeiten für Pädophile. In Chatforen können sie sich unkontrolliert als Kinder oder Jugendliche ausgeben.
Kinder als leicht zugängliche „Sexualpartner“
Die weitaus größere Gruppe von Tätern besteht aus Menschen, die eigentlich an erwachsenen Sexualpartnern interessiert sind. Könnten sie Kontakt zu einem gleichaltrigen Menschen aufbauen und aufrechterhalten, so würden sie Sexualität mit diesem Menschen bevorzugen.
Ist jedoch der Kontakt zu einem gleichaltrigen, geeigneten Partner erschwert, so suchen sich manche Menschen „Ersatzpartner“, mit denen sie ihr sexuelles Interesse befriedigen können. Übergriffe auf ein Kind können dann stattfinden, wenn mehrere Bedingungen erfüllt sind: (a) der Täter empfindet den Missbrauch eines Kindes nicht als etwas Verwerfliches; (b) ihm steht kein anderer, erwachsener Sexualpartner zur Verfügung; (c) er hat einen leichten Zugang zu dem Kind.
Gründe für einen erschwerten Zugang zu einem erwachsenen Partner können vielfältig sein. Der potenzielle Täter könnte sehr schüchtern sein, Angst haben, im Kontakt zu einem anderen Menschen zu versagen, oder selbst sexuell unattraktiv auf andere Menschen wirken. Auch eine bestimmte Lebensform wie z. B. das Zölibat kann den Kontakt zu einem passenden Partner einschränken.
Das Opfer wird gewählt, weil der Zugang zu ihm leicht ist. So nutzen die Täter häufig ihre Position als Familienmitglied, Freund oder Bekannter des Kindes aus. Manche Täter engagieren sich beruflich oder in ihrer Freizeit bei Aktivitäten, die ihnen den Kontakt zu Kindern erleichtern.
Gerade im familiären Umfeld ist ein sexueller Kindesmissbrauch mit gesellschaftlichen Tabus belegt. Diese Übergriffe werden von der Öffentlichkeit, wenn sie denn bekannt werden, verurteilt. Tabugrenzen (wie das Verbot eines sexuellen Kontaktes zwischen nahen Familienangehörigen, z. B. leiblichen Geschwistern, Eltern und Kindern) werden üblicherweise geachtet. Die Überschreitung dieser Grenzen gelingt manchen Tätern nur, wenn sie alkoholisiert sind oder unter Drogen stehen. Drogen enthemmen Menschen und können es Tätern „erleichtern“, die Tabugrenzen zu überschreiten.
Ein weiterer Punkt, der ebenfalls enthemmend wirkt, sind die Erfahrungen, die Täter selbst in ihrer Kindheit gemacht haben. Wurden auch sie als Kinder missbraucht, dann haben sie gelernt, dass dies normal ist, dass Kinder Erwachsenen ausgeliefert sind und deren Wünschen zu entsprechen haben. Die Erfahrung von Gewalt in der eigenen Kindheit kann die eigene Weitergabe von Gewalt an die nächste Generation fördern.
Zusammenfassung
Täter sind zumeist Bekannte der Familie. Findet ein Missbrauch in der Familie statt, so ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es einen erneuten Übergriff gibt.
Schwere Übergriffe finden mit höherer Wahrscheinlichkeit im familiären Umfeld statt.
Es wird zwischen pädophilen Tätern und solchen Tätern unterschieden, die den „leichteren Zugang“ zu Kindern ausnutzen.