25
Sobald Tse-Mallory mit dem Skimmer in der Nähe des Podestes gelandet war, stieg Truzenzuzex aus und eilte hinüber, um Clarity zu helfen. Sylzenzuzex hastete direkt hinter ihrem älteren Verwandten her, und Tse-Mallory schloss sich ihnen Augenblicke später an. Der Philosoph sah zu seinem erkennbar erschöpften jungen Freund auf.
»Wie ich sehe, hast du mal wieder mit der Ewigkeit geplaudert. Ich würde allerdings gern wissen, warum und was du damit bezwecken wolltest.«
Als der ausgelaugte Flinx sich daranmachte, alles zu erklären, waren die beiden Wissenschaftler und Sylzenzuzex schnell fasziniert. Und nachdem er alles berichtet hatte, war es Tse-Mallory, der das Offensichtliche laut aussprach - eine Eigenart, zu der doch eher Menschen als Thranx neigten.
»Eine funktionierende Xunca-Verteidigung!« Die Augen des Soldaten und Soziologen glänzten, als er über die möglichen Konsequenzen nachdachte. »Ist es der Große Attraktor?«
»Nein«, teilte Flinx ihm mit. »Es könnte sich in der Gegend befinden, aber es ist nicht der Attraktor.«
Tse-Mallory starrte den Boden an, während er laut nachdachte. »Es gibt keinen Grund dafür, eine Verteidigungswaffe so weit weg zu positionieren, wenn es nicht irgendeine Verbindung gibt.« Er sah auf. »Das Krang hat nicht etwa eine beschrieben, oder?«
Flinx schüttelte den Kopf. »›Geh dorthin‹, hat es gesagt. Und es hat eine mögliche Methode erwähnt, wie man dorthin gelangen kann.« Hoffnungsvoll blickte er seine Freunde an. »Ich weiß genug, um mir sicher zu sein, dass sich die Koordinaten dieser hypothetischen Verbindung innerhalb der Grenzen des Commonwealth befinden, aber es handelt sich um einen Ort, den ich bei all meinen Reisen niemals aufgesucht habe.«
»Dann würde ich sagen, dass du das sehr bald nachholen wirst.« Der strahlende Tse-Mallory drehte sich um und schlug seinem langjährigen Gefährten auf die Rückseite des Thorax. Der Klang, als das Fleisch auf das Chitin prallte, erinnerte an eine Trommel. »Mein alter Freund, es sieht ganz so aus, als wäre die Vernichtung der Zivilisation noch lange keine beschlossene Sache!«
»Meine Mobilität wird allerdings arg zu leiden haben, kral!l!l, wenn du mich weiter so schlägst«, klickte Truzenzuzex barsch. Angesichts der zahlreichen freundschaftlichen Klapser, die der Philosoph im Laufe der Jahre von seinem Freund erhalten hatte, klang diese Beschwerde allerdings nicht sehr überzeugend.
Sie machten sich daran, das provisorische Lager abzubauen, und bereiteten sich darauf vor, dem Krang und der verlassenen Welt Booster den Rücken zuzukehren, als Tse-Mallory auf einmal beim Packen innehielt und den geschäftigen Flinx bei seiner Arbeit unterbrach. Der junge Mann sah überrascht auf.
»Bran?«
»Diese Koordinaten.« Tse-Mallory sah ihn fast schon erwartungsvoll an. »Wenn du dich an sie erinnern kannst, ohne dein Kommunikationsgerät zu Hilfe zu nehmen, dann wäre es nett, wenn du sie mir noch einmal nennen könntest.« Flinx kam der Bitte nach. Als er fertig war, nickte der Soziologe und Soldat langsam. »Ich könnte schwören ... Ich bin mir fast sicher, dass ich diesen Ort kenne.«
»Ich habe auch viel darüber nachgedacht. Ist es Horseye?«, fragte Flinx voller Hoffnung. Nach allem, was er über diese faszinierende Welt und ihre drei einheimischen intelligenten Spezies gehört hatte, hätte er ihr nur zu gern selbst einen Besuch abgestattet und die Ausgrabungsstätte des Xunca-Warnsystems mit eigenen Augen gesehen.
Tse-Mallory musste ihn jedoch enttäuschen. »Horseye ist es nicht. Es gab da vor über einem Jahr einen Bericht, der von einigen Xenologen zweiter Stufe bei der Wissenschaftszentrale eingereicht wurde. Neben dem erwarteten Material wurden auch einige seltsame Zusatzinformationen übermittelt. Da er von unserem Interesse für derartige Dinge weiß, hat einer unserer Kontakte aus der Kirche alles an Tru und mich weitergeleitet. Doch da wir damit beschäftigt waren, auf die genesende Clarity aufzupassen und auf deine Rückkehr zu warten, konnten wir uns nicht darin vertiefen oder genauer nachfragen. Aber diese Koordinaten ...« Seine Stimme wurde immer leiser, während er versuchte, sich zu erinnern.
Zehn Minuten später schreckte ein lauter Ausruf von Tse-Mallory alle auf, und sie ließen alles stehen und liegen, um zu ihm zu eilen. Als Flinx bei ihm war, wobei sich Pip gut an seiner Schulter festhalten musste, um nicht herunterzufallen, unterhielten sich die beiden Wissenschaftler bereits aufgeregt über Details, denen Flinx nicht so ganz folgen konnte.
Clarity kam ebenfalls angerannt und neben ihm zum Stehen. »Worüber reden sie denn jetzt schon wieder?«
»Keine Ahnung.« Auf die Gefahr hin, für unhöflich gehalten zu werden, erhob er die Stimme. »Bran, Tru! Wenn ihr etwas herausgefunden habt, dann wäre es sehr nett von euch, uns das ebenfalls mitzuteilen!«
Augenblicklich stellten die beiden Freunde ihren schnell geführten Dialog ein.
»Natürlich, mein Junge, natürlich!« Tse-Mallory drehte sich zu Flinx um und schlug ihm enthusiastisch auf den Rücken. Verärgert breitete Pip die Flügel aus für den Fall, dass sie schnell verschwinden musste. Und Flinx empfand nicht zum ersten Mal Mitgefühl für Truzenzuzex, der Tse-Mallorys Überschwänglichkeit noch viel öfter ertragen musste als er selbst.
»Diese Koordinaten.« Der alte Wissenschaftler schien jetzt förmlich zu glühen, was Flinx schon seit einiger Zeit nicht mehr bei ihm gesehen hatte. »Sie liegen im Senisran-System! Allerdings beziehen sie sich nicht direkt auf diese Wasserwelt, sondern auf etwas im naheliegenden Asteroidengürtel - das System hat zwei, einen zwischen dem dritten und dem vierten Planeten und einen weiteren, der dem zehnten und letzten Planeten am nächsten liegt, sich aber außerhalb von dessen Orbit befindet.« Er wackelte mit einem dicken Finger vor Flinx' Gesicht herum. »Das ist höchst bemerkenswert. Alles, was du vom Krang erfahren hast, passt zu dem Bericht, den wir vor Kurzem erhalten haben und den ich vorhin schon erwähnt hatte.«
»Inwiefern?«, erkundigte sich Sylzenzuzex.
Die Begeisterung des älteren Menschen schien ein wenig nachzulassen. »Ich bin mir nicht ganz sicher. Wie ich Flinx bereits erzählt habe, war der Bericht ... seltsam.« Jetzt strahlte er wieder. »Natürlich«, fügte er amüsiert hinzu, »kann man das, was wir dort zu finden hoffen, in keiner Hinsicht als ›seltsam‹ bezeichnen. Oh nein.« Mit diesen Worten wandte er sich von den jungen Leuten ab und erneut Truzenzuzex zu, um diesem den Rest seiner Enthüllung mitzuteilen. Einen Augenblick später hätte der ehrenwerte Thranx in dem gewaltigen Eingang des Krang vor lauter Freude beinahe ein Rad geschlagen.
Wenigstens sind meine Mentoren guten Mutes, dachte Flinx. Auf die Gefahr hin, ihrem Enthusiasmus einen Dämpfer zu verpassen, sah er sich jedoch gezwungen, ihnen zu erklären, dass das Krang alle an ihn übermittelten Informationen als Legende bezeichnet hatte.
»Es wird sehr viel mehr als eine ›Legende‹ sein, wenn es wirklich mit bestimmten Aspekten dieses Berichts übereinstimmt, mein Junge«, versicherte ihm Tse-Mallory.
»Ich würde auf jeden Fall gern mehr über diesen geheimnisvollen Bericht erfahren.« Wie immer galt Claritys erste Sorge Flinx' Wohlergehen. »Welcher lebensbedrohlichen, den Verstand quälenden Aufgabe wollt ihr ihn denn jetzt schon wieder aussetzen?«
»Ich glaube nicht, dass es hier nur um Flinx geht«, meinte Truzenzuzex zu ihr. »Wir alle stecken gemeinsam in der Sache, so viel steht fest, im Guten wie im Bösen, bis zum nächsten Ei.« Dann streckte er eine Fußhand aus, und vier harte Finger griffen sanft nach ihrem Unterarm. »Bran und ich haben über ein Jahr damit zugebracht, auf dich aufzupassen, während du dich erholt hast, Clarity. Und ich kann dir versichern, dass wir nicht vorhaben, diese harte Arbeit beiläufig zunichte zu machen.«
»Nicht einmal, wenn das Schicksal der Galaxie auf dem Spiel steht?«, fragte sie ihn. Doch er hatte sich schon wieder abgewandt und machte sich daran, den Abbau des Lagers weiter voranzutreiben und die restlichen Vorräte einzupacken. Ihren letzten Kommentar schien er nicht gehört zu haben - oder vielleicht doch?
***
Im Verlauf der langweiligen Reise aus dem Blight heraus und zurück in den vertrauten Raum des Commonwealth hatten sie genug Zeit, um über eine Reihe von Optionen zu diskutieren. Natürlich hing alles davon ab, ob sich an dem Ort, den das Krang Flinx genannt hatte, wirklich etwas befand oder ob es ihm nur die Koordinaten eines Mythos gegeben hatte.
Der Bericht, der den Weg zur Wissenschaftszentrale auf der Erde gefunden hatte, konnte jedenfalls nicht als Legende eingestuft werden. Er war von zwei angesehenen Xenologen im Verlauf ihrer diplomatischen und wissenschaftlichen Arbeit bei den Einheimischen von Senisran erstellt und aufgezeichnet worden. Da es darin von ungewöhnlichen Vermutungen und Hypothesen nur so wimmelte, bestand kein wirklicher Anlass, schnellstmöglich ein größeres, besser ausgerüstetes und kostenintensiveres Forschungsteam auf die Wasserwelt zu schicken. Außerdem hatten die Einheimischen, von denen ein großer Teil der im Bericht stehenden Informationen stammte, für den Fall, dass eine solche Expedition gestartet wurde, angedroht, die bedeutsamen Relikte, die die Xenologen beschrieben hatten, zu zerstören, indem sie diese weit verstreut im Ozean versenkten. Es war offensichtlich, dass jeder, der eine offizielle Nachverfolgung des Berichts anstrebte, mit äußerster Vorsicht vorgehen musste.
Doch diese Sorgen interessierten die Passagiere an Bord der Teacher nicht, da sie nicht vorhatten, auf Senisran zu landen, und auch nicht damit rechneten, überhaupt in Kontakt mit den kratzbürstigen Einheimischen zu kommen.
Der äußere Asteroidengürtel, in dem die vom Krang übermittelten Koordinaten lagen, befand sich weit genug von der Sonne entfernt, sodass er durchaus auch im interstellaren Raum hätte liegen können. Jemand, der zufällig auf diesen zirkumstellaren Ring aus Stein und Metall, zusammengepresstem Staub und gefrorenem Eis stieß, hätte durchaus auf den Gedanken kommen können, dass er sich gar nicht mehr in einem Sternensystem befand, wäre da nicht der Jovian-große Gasriese ganz in der Nähe gewesen. Wobei »in der Nähe« im interplanetaren Sinn zu verstehen war. Der riesige Planet lag zwar weit genug entfernt, sodass seine tobenden Stürme und Doppelringe zwar aus dem Abschnitt des Asteroidengürtels, in dem die Teacher zum Stillstand kam, deutlich zu erkennen waren, seine Strahlung, sein starkes Magnetfeld und seine Schwerkraft jedoch keine Gefahr mehr darstellten.
»Wir sind da.« Die Teacher neigte auch in ihren besten Zeiten nicht zu überschwänglichen Ankündigungen.
Da das Schiff zwischen zahlreichen Felsbrocken und Planetoiden schwebte, aus denen der Asteroidengürtel bestand, überwachte es ständig seine Umgebung, falls etwas, das klein und massiv war und sich schneller bewegte als andere Bestandteile des Gürtels eine Gefahr für sie und ihre verletzlichen organischen Passagiere darstellen sollte. In der ersten Woche, in der sie ihre Suche durchführten, hatte die Teacher ihre Waffen mehrfach einsetzen müssen, um mehrere dieser geringfügigen, auf Kollisionskurs befindlichen Gefahren auszuschalten. In der zweiten Woche hoffte Flinx schon fast, dass etwas (Kleines und letzten Endes Harmloses, aber Lautes) an den Sensoren der Teacher vorbeischlüpfen und das Schiff treffen würde. Es hätte schließlich keine größere Gefahr für sie bedeutet als die Langeweile, die sie alle zu übermannen drohte.
»Es wäre hilfreich, wenn wir genauer wüssten, wonach wir eigentlich suchen«, meinte Clarity zu ihm, als sie am letzten Tag der zweiten Woche an den Koordinaten suchten, die das Krang ihm gegeben hatte.
»Wir suchen nach einer Verbindung.« Flinx stand an der vorderen Konsole und starrte aus dem Aussichtsfenster. Der Caplis-Generator am anderen Ende der Teacher war dunkel. Sie konnten das KK-Antriebsfeld in der Nähe derart vieler großer massiver Objekte nicht einsetzen, aber das war auch gar nicht nötig.
»Wie gesagt«, wiederholte Clarity mit einer für sie untypischen Verärgerung in der Stimme, »es wäre hilfreich, wenn wir genauer wüssten, wonach wir suchen.«
Flinx' Antwort klang ziemlich schnippisch. »Es tut mir so leid. Ich hatte dieses perfekte 3-D-Bild einer vierhundert Millionen Jahre alten Xunca-Alarmwaffe in meiner Tasche, scheine es aber irgendwo verloren zu haben.« Doch als er sah, wie sie auf seine Worte reagierte, überkam ihn die Reue.
»Entschuldige bitte, Clarity. Es tut mir leid.« Als er auf sie zugehen wollte, streckte sie die Hand aus, um ihn daran zu hindern.
»Vergiss es. Wir suchen seit Wochen, und da wir nichts finden konnten, sind wir alle frustriert und gereizt.« Sie sah sich um, um sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich alleine waren. »Hast du Syl in letzter Zeit beobachtet? Sie ist so angespannt, dass sie einige Zentimeter am Ende jeder ihrer Eiablegeröhren abgekaut hat.«
Flinx wusste, dass die Teacher ihr Bestes gab. Aber wie jede KI, selbst eine, die mit symbolischer Logik ausgestattet war, blieb sie im Kern doch nur eine Maschine. Sie konnte und würde fleißig nach allem suchen - wenn sie doch nur in der Lage gewesen wären, ihr zu sagen, wonach sie überhaupt suchen sollte. Doch in dieser Hinsicht hatte sich das Tar-Aiym Krang leider als bedauerlich uninformativ erwiesen.
Sicher würden sie irgendwann etwas finden. Sie mussten einfach nur weiterhin die Objekte scannen und analysieren, aus denen der Asteroidengürtel bestand, bis sie darauf stießen - nur auf was?
»Wir werden es wissen, wenn wir es sehen«, hatte der optimistische Truzenzuzex gemeint. »Der Komplex auf Horseye würde kein Signal in eine Ecke des leeren Raums senden.«
Zumindest mussten sie nicht die ferne Sonne umkreisen und den gesamten Asteroidengürtel durchsuchen. Sie hatten nur den Teil zu durchkämmen, der in der Nähe des äußeren Gasriesen lag, das Gebiet, auf das die Koordinaten, die sie vom Krang erhalten hatten, zutrafen. Doch für das Auge von Mensch und Thranx schien sich der eine Quadratkilometer aus umhertreibendem toten Felsen nicht vom anderen zu unterscheiden.
Als sich die dritte Woche des Suchens ihrem Ende näherte, setzte die Teacher ihre unermüdliche Erkundung fort. Die weniger geduldigen organischen Lebensformen an Bord standen jedoch kurz davor, an tödlicher Langeweile zugrunde zu gehen.
»Es funktioniert nicht.« Truzenzuzex klickte ungeduldig, als seine vier gegenüberliegenden Kieferknochen den Rest seiner Morgenmahlzeit zerkauten.
»Eine unbestreitbare Beobachtung.« Sylzenzuzex legte den Kopf in den Nacken und saugte den Rest einer blauen Flüssigkeit aus einem Zylinder mit spiralförmiger Trinköffnung. Die normalerweise sehr ausgeglichene Sicherheitsoffizierin wurde zunehmend fast schon ebenso reizbar wie ihr verehrter älterer Verwandter.
Auch Flinx musste zugeben, dass keiner von ihnen in letzter Zeit gute Laune hatte. Das Versprechen, das sie aus dem fernen Booster-System hierher gelockt hatte, hatte in den Wochen der endlosen Langeweile, die nur hin und wieder dadurch unterbrochen wurde, dass man einer letzten Endes erfolglosen Idee nachging, seinen Reiz verloren. Und jetzt sah es fast so aus, als wolle der Philosoph einen neuen Vorschlag machen. Das Interesse dafür war bei all seinen Gefährten äußerst gering.
Bis sie hörten, worum es ging.
»Auf dieser Reise haben wir nichts von Wert erfahren, dr!app, bis Flinx mit dem Krang kommuniziert hat. Es kommt mir so vor, als würden wir uns hier in einer ähnlichen Situation befinden.«
Tse-Mallory schob seinen Stuhl vom Tisch weg, wobei er darauf achtete, nicht die großen spachtelförmigen Blätter der drei dekorativen Pflanzen, die hinter ihm wuchsen, zu zerstören. Ein Teil der importierten Flora, die in Flinx' Privatbereich wuchs, war derart gut gediehen, dass er an vielen anderen Stellen auf der Teacher Sprösslinge und Ableger gepflanzt hatte. Ihr Grün verlieh vielen der nüchternen Ecken des Schiffes etwas mehr Leben.
»Wenn hier ein ähnliches Gerät herumtreiben würde«, stellte der Soldat und Soziologe fest, »dann hätte es doch inzwischen längst auf Flinx' Anwesenheit reagieren müssen, oder nicht?« Er drehte sich von seinem alten Freund zu dem schweigsamen Thema ihres Gesprächs um. »Hast du irgendetwas gespürt, seitdem wir hier angekommen sind, Flinx? Eine fremde Präsenz, irgendetwas, das dem Krang oder der umherwandernden Waffenplattform ähnelt?«
Flinx schüttelte den Kopf, während ihm Clarity eine vom Schiff zubereitete mit simulierten Wolkenbeeren gefüllte Pastete reichte. »Nein, nichts«, erwiderte er und begann zu essen.
»Ich habe mir überlegt«, sinnierte der Philosoph laut, »dass die Nähe zu uns anderen möglicherweise seine Empfindsamkeit irgendwie beeinflussen oder verringern könnte. Oder vielleicht beeinträchtigt sie auch umgekehrt das Wahrnehmungsvermögen vom dem, was wir suchen.«
Tse-Mallory klang interessiert. »Du willst mit deinen vielen Worten zum Ausdruck bringen, dass der Rest von uns die Signale stören könnte.«
»Eine einfache Analogie für das, was wir als eine außerordentlich fortschrittliche Interaktion ansehen müssen, so sie denn existiert, aber ja.«
»Und wie sollen wir deiner Meinung nach diese theoretische Blockade überwinden?«
Beide Fühler zeigten in Flinx' Richtung, als Truzenzuzex ihren jungen Gastgeber beäugte. »Wir sollten etwas experimentieren und ihn von der möglichen Störungsquelle, nämlich von uns, isolieren. Flinx, ich bin der Meinung, dass du mal einen ausgiebigen Spaziergang machen solltest, während sich das Schiff zu einer anderen Position begibt.«
Flinx blieben die Reste der Pastete im Hals stecken. Pip und Scrap reagierten auf seine abrupte emotionale Reaktion, indem sie plötzlich an der Stelle, an der sie aneinander gekuschelt inmitten der angenehmen Vegetation lagen, den Kopf hoben.
»Ich habe eine bessere Idee.« Flinx starrte den Philosophen finster an. »Wieso geht ihr nicht alle spazieren und ich bleibe an Bord des Schiffes?«
Die neben ihm sitzende Clarity boxte ihn in die Rippen. Da sie merkten, dass weder der Schlag noch dessen Verursacherin den Beginn eines tatsächlichen Konflikts darstellten, beschlossen beide Minidrachen, einfach weiterzuschlafen. »Ich etwa auch?«
»Nein, du natürlich nicht, Clarity.« Gefangen zwischen einer Frau und einer Theorie spürte Flinx, dass er in einer Zwickmühle war. Um sich daraus zu befreien, wandte er sich an Tse-Mallory. »Bran, was denkst du? Ist das, was Tru vermutet, tatsächlich denkbar?«
Der kräftig gebaute Soziologe teilte ihm seine Meinung unverzüglich mit. »Nichts anderes scheint zu funktionieren. Und ich wüsste nicht, was daraus Negatives entstehen könnte.« Er musterte den jungen Mann. »Es sei denn, du hast Angst davor, da draußen ganz alleine zu sein.«
Flinx schüttelte den Kopf. »Ich habe zu viel Zeit damit verbracht, alleine durch den Weltraum zu reisen, um mich jetzt noch zu fürchten. Respekt habe ich schon. Ehrfurcht verspüre ich ebenfalls. Aber ich habe keine Angst.« Erneut sah er Truzenzuzex an. »Wann sollen wir mit diesem Experiment beginnen, Tru?«
Der Philosoph machte eine Geste mit allen vier Händen. »Die gestrige Suche hat keine neuen Erkenntnisse gebracht. Wenn ich von unseren bisherigen Ergebnissen ausgehe, dann werden wir auch morgen keine Entdeckungen machen. Also wäre heute ein guter Zeitpunkt für eine Ausnahme. Falls du natürlich Zeit brauchst, um dich erst mit dem Gedanken anzufreunden ...«
Nachdem er den Rest der Pastete heruntergeschluckt hatte, stand Flinx auf. »Ich werde die Teacher anweisen, einen Raumanzug bereitzumachen.« Er blickte auf Clarity hinab, »Geht das für dich in Ordnung?«
Sie zögerte einen Augenblick und warf den beiden erwartungsvollen Wissenschaftlern einen schnellen Blick zu. »Wenn Bran und Tru es für sicher halten, sollten wir es wohl versuchen. Allerdings gefällt mir der Gedanke überhaupt nicht, dass du den Kontakt zu irgendeiner Art von Gerät von irgendeiner uralten fremdartigen Zivilisation herstellen könntest. Und erst recht nicht, wenn das über eine Schnittstelle geschieht, die dich vom Schiff wegführen könnte.« Jetzt wirkte sie nicht mehr ganz so besorgt. »Aber genau das ist es, weswegen wir hier sind und was wir tun wollen.«
Lächelnd zerzauste er ihr das Haar. Sie reagierte darauf, indem sie eine Grimasse schnitt. »Keine Sorge, ich werde keine Dummheiten machen. Und ich werde die ganze Zeit an dich denken.«
Truzenzuzex schüttelte traurig den Kopf. »Das wäre wenig hilfreich. Wenn du da draußen bist, solltest du denken wie ein Xunca.«
Das hätte Flinx auch gern getan - nur dass niemand mehr wusste, wie die Xunca gedacht hatten, und das schon seit Hunderten Millionen von Jahren.
***
Das Verlassen des Schiffes gestaltete sich interessanter, als er erwartet hatte. Im Laufe der Jahre hatte er das Äußere der Teacher zwar schon aus jedem nur denkbaren Winkel gesehen, doch das war so gut wie immer aus dem komfortablen Inneren eines ihrer beiden Shuttles geschehen. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal mit nichts als einem Raumanzug am Leib im Weltall unterwegs gewesen war.
Die Sterne waren sehr hell, und die sich vor ihm abzeichnende gestreifte Masse des äußeren Gasriesens des Systems schimmerte hell und farbenfroh vor ihm.
»Ist alles in Ordnung, Flinx?«, erkundigte sich Tse-Mallorys Stimme, die gedämpft und moduliert aus dem Kopflautsprecher des Anzugs drang.
»Mir geht es gut. Bringen wir's hinter uns. Schiff?«
»Flinx?«, antwortete die Teacher prompt.
»Zieh dich zurück. Befolge die Anweisungen der verehrten Herren Tse-Mallory und Truzenzuzex, bis du von mir etwas anderes hörst.«
»Ich werde Ihre Lebenszeichen weiterhin hinsichtlich jeglicher Abnormalität überwachen«, erwiderte die KI des Schiffes. »Ihr Blutdruck beträgt momentan beispielsweise ...«
Flinx unterbrach sie. Er wusste, wie die Teacher sein konnte, insbesondere dann, wenn sie sich um ihn Sorgen machte. »Du kannst mir die ganzen Statistiken aufzählen, wenn ich wieder an Bord bin. Um das Experiment des Philosophen angemessen durchführen zu können, darf ich nichts hören.«
Eine weitere Stimme drang an sein Ohr: Clarity. »Ich weiß, dass du nach einem Tar-Aiym-Kontakt oder etwas Ähnlichem suchen sollst, Flinx, aber ... pass auf, was du dir wünschst.«
»Ich wünschte, ich wäre wieder auf dem Schiff«, erwiderte er darauf. »Ich wünschte, ich ...«
»Flinx ...« Truzenzuzex' perfekt moduliertes Terranglo klang ebenso ernst wie suggestiv.
»Ich weiß, ich weiß. Ich soll denken wie ein Xunca. Dann also Ruhe hier«, murmelte er.
Die Teacher begann allmählich, sich von ihm wegzubewegen. Die Beschleunigung geschah sehr langsam. Indem er die Antriebseinheit seines Anzugs aktivierte, bewegte sich Flinx in die entgegengesetzte Richtung. Das Gefühl seines Gewichts verschwand schnell - sobald er das künstliche Gravitationsfeld des Schiffes verlassen hatte, spürte er, wie er schwebte, fiel und inmitten des Asteoridenfeldes herumtrieb.
Zehn Minuten später sauste er an seinem ersten Planetoiden vorbei. Dieser hatte in etwa die Größe des Stuhls, auf dem er beim Frühstück gesessen hatte. Der Klumpen aus dunklem, steinhartem Material sah verhältnismäßig massiv aus. Es handelte sich bei diesem also nicht um ein Aggregat. Mithilfe des Antriebssystems seines Anzugs drehte er sich um die eigene Achse - und erschrak. Die Teacher war nirgendwo zu sehen.
Es dauerte einen Moment, bis er sie entdeckt hatte - einen winzigen Lichtpunkt, der sich in einem bestimmten Winkel zu den anderen herumtreibenden Formen von ihm wegbewegte. Welche Distanz würde Truzenzuzex wohl als notwendig erachten? Er hatte nicht geprahlt, als er dem Philosophen versichert hatte, dass er ganz alleine im Weltraum keine Angst verspüren würde. Die Teacher wusste in jeder Nanosekunde genau, wo er sich befand. Sie würde - und konnte - seine Position niemals verlieren.
Oder etwa doch?
Würde er trotz aller Vorsichtsmaßnahmen allein und verloren hier draußen enden, dazu verdammt, auf ewig zwischen den zerschmetterten Überresten eines fremden Planetensystems herumzuschweben, bis die Luft in seinem Anzug nicht länger ausreichend recycelt werden konnte und er sterben würde, allein unter ...
Hör auf damit, schalt er sich. Die Teacher weiß immer, wo du bist. Sie ist gleich da drüben, du kannst sie sogar noch sehen. Zwar weit entfernt, aber dennoch ist sie über deine Präsenz und deine Position stets informiert. Du bist nicht isoliert. Du wurdest nicht verlassen.
Du erfüllst nicht die Bitte deines Mentors, sondern verschwendest deine Konzentration für einen solchen Unsinn.
Also beruhigte er sich und gab sein Bestes, um beruhigende Anzeichen hinsichtlich seines Blutdrucks und anderer relevanter biologischer Indikatoren an die besorgte Teacher zu übermitteln. Er zwang sich, sich auf den Grund für diese Exkursion zu konzentrieren. Er projizierte, so gut er konnte, und versuchte sich an den Geisteszustand zu erinnern, in den er eintrat, wenn er unter den Tar-Aiym-Kontaktkuppeln lag, um diesen nachzuahmen. Dummerweise war das unidentifizierte Was-auch-immer, zu dem er den Kontakt aufnehmen wollte, nicht von den Tar-Aiym gebaut worden. Über die Xunca war außer der Tatsache, dass sie irgendwann mal existiert hatten, nur sehr wenig bekannt. Und von ihren Arbeiten wusste man nur das bisschen, was man dank der Studien des Alarmkomplexes auf Horseye erfahren hatte.
Als sein Körper so dahinschwebte, streiften auch seine Gedanken umher. Er merkte, dass er von den größeren Asteroiden und dem jovianischen Riesen weg und zu den weiter entfernt liegenden Sternen sah. Diese sahen ebenfalls sehr beeindruckend aus, und das, was sie repräsentierten, stimmte ihn fröhlich. Es war erschreckend, sich auszumalen, dass sie alle verschwinden konnten, nacheinander ausgelöscht wie Kerzen, wenn sie von der bösen Unglaublichkeit aufgesaugt und absorbiert wurden, die noch immer auf sie zuraste.
Der Kontrast zu den trostlosen Felsen, zwischen denen er herumtrieb, war bemerkenswert. Düster und leblos trieben sie unaufhörlich in ihrem ursprünglichen Orbit dahin. Er passte seine Geschwindigkeit an und ließ sich nun mit demselben Tempo dahintreiben. Manche Steintrümmer kamen ihm recht nahe. Vorsichtig streckte er einen Arm in der Schwerelosigkeit aus und legte seine Finger um den, der ihm am nächsten war. Seine Berührung bewirkte, dass der Feinstaub, der sich dank des minimalen Gravitationsfeldes des Steins auf der harten Oberfläche gesammelt hatte, davonschwebte. Ein winziger Teil davon blieb an seiner behandschuhten Hand hängen.
Mit der anderen Hand wischte er den Staub fort und rieb dann langsam an dem faustgroßen Stein herum. Noch mehr Staub schwebte davon und vergrößerte die Anzahl der Objekte im Orbit, ohne ihre kollektive Masse zu verändern. Blinzelnd hielt er sich den kartoffelgroßen Stein dichter vor das Gesicht. Konnte er da etwa einen Hauch von Farbe erkennen? Er artikulierte einen Befehl, woraufhin das externe Licht an der Gesichtsplatte des Anzugs anging.
An dem Stein war zweifellos Farbe zu erkennen, stellte er fest. An der Stelle, an der er den Staub weggewischt hatte, wies der Stein eine sichtbare Grünschattierung auf. Nun ja, das Mineral Olivin war ein bekannter Bestandteil vieler Asteroiden und Meteore. Es hier vorzufinden, sollte ihn also nicht überraschen. Er ließ den Stein los und von sich wegtreiben, dann griff er nach einem anderen, der in etwa die Größe einer Melone hatte. Nachdem er ihn mit den Fingern bearbeitet hatte, kam dieselbe grünliche Verfärbung zutage. Während er ihn genauer untersuchte, erregte etwas, das er im Augenwinkel sah, seine Aufmerksamkeit.
Der erste Stein kam zu ihm zurück.
Erschrocken ließ er den Brocken los, den er sich gerade angesehen hatte, und hob die Hand, um den ersten Stein abzuwehren, doch das war gar nicht nötig. Es stellte sich heraus, dass der Stein nicht auf ihn zuflog, sondern sich auf das zweite, größere Trümmerstück zubewegte, das er festgehalten hatte. Als sich diese beiden Steine völlig lautlos trafen, schienen sie miteinander zu verschmelzen. Während dieses Vorgangs flackerten kurz grüne Funken auf und erleuchteten die Übergänge. Flinx hätte die beiden Steine fasziniert weiterbeobachtet, wenn er nicht von einem anderen unerwarteten Phänomen abgelenkt worden wäre. Als er sich umsah, bemerkte er, dass mehrere andere Steine, die er allerdings bisher nicht berührt hatte, langsam in seine Richtung trieben. Sie näherten sich ihm, und die, die den Kurs änderten, um ihm auszuweichen, und dabei in den Vektor eines anderen Steins vordrangen, führten eine ähnliche leuchtende Verschmelzung durch wie die ersten beiden Steine.
Daraufhin passte er seine Position an, indem er langsam eine Pirouette flog. Was er dabei sah, bewirkte, dass ihm vor Staunen der Mund offen stand. Es sah so aus, als ob jeder Kiesel, jeder Stein, jeder Planetoid, den er sehen konnte, jetzt in Bewegung war.
Einige von ihnen, die bereits miteinander verschmolzen waren, begannen, blassgrün zu leuchten.
Hastig aktivierte er die Kommunikationseinheit seines Anzugs. »Schiff, ich glaube, es wäre besser, wenn du zurückkommst und mich abholst. Hier passiert irgendetwas. Einige der Steine in meiner Nähe bewegen sich. Viele davon haben sich bereits vermischt oder sind verschmolzen - ich bin mir nicht ganz sicher, welche Methode dabei im Spiel war.«
Die Teacher reagierte sofort. »Ich bin bereits unterwegs, Flinx. Ich habe den Beginn desselben unidentifizierten Prozesses hier entdeckt. Ich werde an Ihrer Position so schnell eintreffen, wie es machbar und sicher ist.«
»Ich glaube nicht, dass du dich besonders beeilen musst, wenn du bereits unterwegs bist.« Flinx sah wie verzaubert zu, wie sich immer mehr Bestandteile der steinigen Materie in seiner Nähe vereinten. Der Prozess schien immer schneller voranzugehen. »Ich sehe hier keine Gefahr. Zwar ist ein großer Teil der Materie hier in Bewegung, aber sie scheint mir aus dem Weg zu gehen.«
»Wir sollten lieber kein unnötiges Risiko eingehen, Flinx«, ermahnte ihn das Schiff. »Sie wurden zwar noch nicht getroffen, aber wir können nicht davon ausgehen, dass Ihnen bei so vielen Objekten im Orbit alle ausweichen können.«
»Ich mache mir keine Sorgen.« Im Inneren des Anzugs lächelte Flinx. »Du bist ziemlich gut darin, die Bewegung von Objekten vorherzusagen.«
»Das ist richtig«, entgegnete die Teacher. »Doch aufgrund der Anzahl der kleineren Objekte, die augenblicklich in Bewegung sind, kann ich nicht alle davon auf Dauer überwachen.«
Flinx' Lächeln verschwand, und er runzelte die Stirn. Die Fähigkeiten der Teacher in Bezug auf die Berechnung und Voraussage waren außergewöhnlich gut. »Das verstehe ich nicht.« Er sah sich erneut um. »Wie viele der steinigen Objekte bewegen sich auf mich zu?«
»Alle.«
Er schwieg einen Moment lang und fragte sich, ob er sich vielleicht verhört hatte. »Ich bin nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe, Schiff. Alle Objekte in meiner Nähe bewegen sich auf mich zu?«
»Das hängt davon ab, wie Sie ›Nähe‹ definieren, Flinx.« Die Stimme der Teacher klang so trocken und leidenschaftslos wie immer. »Sie bewegen sich alle in Ihre Richtung. Der komplette Asteroidengürtel, Milliarden und Abermilliarden einzelner Objekte, alles ist in Bewegung und macht den Anschein, als würde es sich langsam, aber immer schneller zusammenziehen. Und Sie befinden sich in etwa im Zentrum des Ganzen.«
Unsicher sah sich Flinx um. Es beunruhigte ihn nicht, dass Felsen und Steine jeder Größe und Form, so weit er in jede Richtung blicken konnte, auf ihn zurasten. Es machte ihm auch nichts aus, dass immer mehr von ihnen gegeneinander prallten und miteinander verschmolzen, sodass langsam nicht weit von der Stelle, an der er schwebte, eine große, grüne, glühende Form Konturen annahm. Smaragdfarbene Funken flogen in alle Richtungen und erleuchteten die Dunkelheit. Es kam ihm so vor, als würde er über den Amboss von Vulkan hinwegschweben.
Erst als ein Trio aus drei Asteroiden, von denen jeder einen Durchmesser von etwa fünfzig Kilometern hatte, aus der Finsternis kam und mit großer Geschwindigkeit auf ihn zuraste, begann er endlich zu verstehen, von welcher Größenordnung die Teacher gesprochen hatte.