13

Mit seinen acht Gliedmaßen kann sich ein Thranx auf beeindruckende Weise gegen jeden Widersacher zur Wehr setzen. Die großen Facettenaugen ermöglichen ein hervorragendes peripheres Sehen, sodass er potenzielle Gefahren aus Blickwinkeln erkennen kann, die einem Menschen verwehrt bleiben. Die fedrigen Fühler entdecken ferner Gerüche und plötzliche Veränderungen des Luftdrucks.

Er war zwar nicht mehr der Jüngste und auch nicht mehr so empfänglich für seine Umgebung, wie er es früher gewesen war, aber für sein Alter war Truzenzuzex noch in bemerkenswerter Verfassung. Daher erschreckte es ihn umso mehr, dass er von hinten überrascht wurde. Er hatte die Annäherung seines Widersachers nicht gespürt. Vielleicht war er einfach zu entspannt gewesen. Die sichere Umgebung des unterirdischen Parks hatte ihn dazu bewogen, seine sonst übliche Wachsamkeit ein wenig zu vernachlässigen. Das Alter brachte ein Gefühl der Sicherheit mit sich, das sich in Gleichgültigkeit äußerte.

Das Gewicht auf seinem Rücken bewirkte, dass er nach vorn auf den Wanderweg stürzte. Was immer ihn getroffen hatte, war größer und schwerer als ein Thranx. Während sich sein Angreifer auf ihn stürzte, versuchte er, dessen Gestalt zu identifizieren. Es konnte kein AAnn sein, nicht hier auf New Riviera. Angesichts der Masse und Beschaffenheit handelte es sich vermutlich um einen Menschen. Aber warum dieser Angriff? Truzenzuzexs Unterschenkel wurden vom Körper des Menschen zu Boden gedrückt, und seine Fußhände hatten nur wenig Platz, um sich zu bewegen. Seine Echthände waren alles, womit er sich verteidigen konnte. Auch wenn sie eher schwach waren, zögerte er nicht, damit zuzuschlagen.

»Au!« Prompt rollte der attackierende Mensch vom kämpferischen Philosophen herunter und griff sich ins Gesicht. Auf seiner Wange zeichnete sich bereits ein dünner roter Striemen ab.

Während er mit einer Hand reflexartig nach dem langen, schmalen Kratzer griff, war Flinx geistesgegenwärtig genug, mit der anderen die aufgeregte Pip festzuhalten, die sofort auf den sich gerade aufrappelnden Thranx losgehen wollte.

Truzenzuzex taumelte auf alle vier Echtbeine und benutzte eine Fußhand, um das kompakte Lesegerät aufzuheben, das er beim Spaziergang benutzt hatte. Mit einer zweiten Fußhand schnappte er sich das Trinkgefäß, das ihm bei dem Angriff aus der Hand gefallen war, und streckte dann beide Echthände vor sich aus, während er die Kampfhaltung einnahm. Erst in diesem Moment konnte er den Eindringling richtig erkennen. Daraufhin warf er den Projektor und den Kelch mit spiralförmiger Trinköffnung augenblicklich beiseite.

»Larve! Du bist jedes Mal größer, wenn ich dich sehe, aber immer noch so beklagenswert impulsiv.« Da er jetzt alle vier Hände frei hatte, konnte er seine Beobachtung mit einer umfangreichen und eloquenten Geste der Dummheit dritten Grades untermalen.

Clarity war hinter Flinx hergeeilt und stand jetzt neben ihm, um sich den Schnitt auf seiner Wange anzusehen. Da er den Tumult hinter sich gehört hatte, kam der grinsende Bran Tse-Mallory den Weg zurückgerannt, um sich zu seinem Freund zu gesellen. Dann stellte er sich hinter Truzenzuzex und richtete sorgfältig einen seiner verkümmerten Deckflügel, der in dem kurzen Handgemenge ein wenig verschoben worden war.

»Deine Reflexe sind jedenfalls nicht so langsam wie du selbst, mein Freund«, spottete Tse-Mallory laut.

»Junger Narr!« Mit einer Echthand griff der Philosoph nach oben, um übergenau einen seiner Fühler zu richten, und starrte zu Flinx hinüber, der sich gerade wieder aufrappelte. »Ich hätte dich umbringen können, crr!ltt

Flinx zuckte zusammen, als Clarity den Schnitt berührte. Scrap saß auf ihrer Schulter und reckte sich ein wenig, um mit seiner Zunge vorsichtig die Wunde zu berühren. Da sie die Emotionen ihres Herrn spürte, ignorierte Pip die Sache einfach. Der Schnitt war nur oberflächlich und würde bald wieder verheilt sein.

»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Tru.« Die durch den Schlag hervorgerufene Blutung hatte bereits aufgehört.

Tse-Mallory ging um seinen insektoiden Freund herum. »Ich glaube, mit diesem Sprung aus den Büschen wollte unser junger Freund dich überraschen.«

Mit großer Würde streckte Eint Truzenzuzex die Beine unter sich, senkte seinen Thorax, sodass seine Fußhände auf der ordentlich geharkten, mit Pilzen bedeckten Landschaft standen, die von dem Fußweg, auf dem er spazieren gegangen war, durchschnitten wurde, und dann stand er wieder fest auf allen sechs Beinen.

»Ich akzeptiere die Erklärung. Betrachte mich als überrascht.« Daraufhin ging der Philosoph zu Flinx hinüber und lehnte sich auf seine vier Echtbeine gestützt nach hinten. Selbst in dieser veränderten, teilweise erhöhten Position reichte sein Kopf gerade mal bis zu Flinx' Brust. Ungeduldig wackelte er mit den Fühlern.

Flinx beugte sich vor, sodass die beiden Fühlerspitzen den Kontakt zu seiner Stirn herstellen konnten, bevor er sie sanft mit seinen Fingerspitzen berührte. Als die Begrüßung abgeschlossen war, ging der Thranx einige Schritte zurück, um seinen Freund gründlich in Augenschein zu nehmen.

»Es ist dir gelungen, mich mit deiner Anwesenheit zu erschrecken.« Der chitinöse, herzförmige Kopf drehte sich zu Clarity um. »Und es ist offensichtlich, dass du den Kontakt hergestellt und deine charmante und jetzt wieder vollkommen genesene Freundin genauso erschreckt hast. Ich vermute, es wäre zu viel erwartet, dass du uns nun mitteilst, du hättest deine Reise erfolgreich beendet und den Kontakt zu der uralten Waffenplattform der Tar-Aiym hergestellt?«

»Das wäre es.« Seltsam, dachte Flinx. Trotz all der Dinge, die er durchgemacht hatte, allem, was er erleben musste, und obwohl er so viel reifer geworden war, fühlte er sich in der einschüchternden Gegenwart von Tse-Mallory und Truzenzuzex noch immer wie ein Kind.

»Du hast gründlich gesucht, nehme ich an?«, wollte der Thranx wissen.

Wie immer war es bei seinen Facettenaugen schwer zu sagen, wo diese genau hinblickten. »Nicht so gründlich, wie es mir möglich gewesen wäre, muss ich zu meiner Schande gestehen. Ich ... Ich wurde abgelenkt«, fügte er entschuldigend hinzu.

Tse-Mallory runzelte die Stirn und wirkte ganz und gar nicht erfreut. »Das Schicksal der ganzen Zivilisation, der kompletten Galaxie steht möglicherweise auf dem Spiel, und du lässt dich ablenken?«

Clarity eilte ihm sofort zu Hilfe. »Lasst es ihn erklären. Er steht unter großem Druck.«

»Das bezweifelt keiner von uns.« Truzenzuzexs Tonfall war ebenso trocken wie die Wüsten von Blasusarr. »Doch die Lage ist nun mal sehr ernst, und es bleibt eigentlich keine Zeit, persönlichen exzentrischen Neigungen nachzugehen.« Als ihm bewusst wurde, dass er möglicherweise zu grob klang, fügte er hinzu: »Was machen deine Kopfschmerzen? Sind sie immer noch so stark wie früher? Treten sie immer noch so häufig auf?«

»Sie kommen und gehen«, gab Flinx zu. »Manchmal sind sie so heftig, dass sie mich umhauen, dann wieder nur ziemlich lästig. Wenn es losgeht, weiß ich nie, ob es diesmal wirklich schlimm wird oder wie lange sie andauern werden.«

Tse-Mallory setzte sich vorsichtig auf einen der herumstehenden Otoidian-Pilze. Das schwammige braungraue Gewächs wurde unter seinem Gewicht zusammengedrückt, schien es jedoch auszuhalten. »Du hast gesagt, du wärst abgelenkt worden, Flinx. Was genau hat dich abgelenkt?«

Flinx hockte sich auf den gepflasterten Weg, verschränkte die Beine und ließ die Arme herabhängen. Clarity ließ sich neben ihm nieder und legte ihm beruhigend eine Hand auf den rechten Oberschenkel.

»Zuerst war es nur eine Depression, ein allgemeines Unwohlsein. Die Teacher gab ihr Bestes, um mich aufzuheitern, aber ich stellte fest, dass die einzige Lösung, um daraus auftauchen zu können, darin bestand, mich tief in die Zivilisation zu versenken, ins Bewusstsein. Um so einige Dinge darüber und auch über mich zu erfahren.«

»Und was hast du herausgefunden?«, wollte Tse-Mallory nachdenklich wissen.

Ein Paar silbriger Etelel sauste an dem jungen Mann und seinem Mentor vorbei, und ihre pinselartigen Flügel drehten sich wie wild, damit sie nicht vom Himmel fielen. Zwar waren sie hier in den kultivierten unterirdischen Gärten von Nur/New Riviera heimisch, aber sie erinnerten Truzenzuzex trotzdem stets an unterirdische Flugwesen auf seiner Heimatwelt Hivehom, die sich ähnlich entwickelt hatten.

»Ich habe herausgefunden, dass die Menschheit und die Homanxheit es wert sind, gerettet zu werden. Dass trotz all ihrer Fehler und Unzulänglichkeiten ein Funke Intelligenz es rechtfertigt, dafür zu kämpfen.« Er sah dem älteren Mann fest in die Augen. »Selbst wenn diese Intelligenz nicht homanx und feindselig ist. Ich habe gelernt, dass das Bewusstsein für jede Art der progressiven Evolution unerlässlich ist, unabhängig von ihrem Ursprung. Außerdem erfuhr ich ...« Er wandte sich von Tse-Mallory ab und sah erneut Clarity an. »Außerdem habe ich eine Menge über mich selbst gelernt.«

»Und was weißt du jetzt über dich?«, fragte Tse-Mallory.

Flinx zögerte einen Moment. Dann lächelte er Clarity und seine alten Freunde an. Pip, die auf seiner Schulter lag, kuschelte sich dichter an ihn. »Dass ich glücklich sein kann. Vielleicht. Aber dass ich auch eine Verantwortung habe, die ich zwar nur zu gern vergessen würde, aber nicht zugunsten meines eigenen Glücks vernachlässigen darf. Und dass ich, wenn ich auch nur darauf hoffen will, der Verantwortung, die mir übertragen wurde, gerecht zu werden, die Hilfe und die Unterstützung anderer brauche.«

Beiläufig pflückte Tse-Mallory einen Zweig voller mit Sporen gefüllter Kugeln von einem Gewächs, das in der Nähe seiner Füße stand, und nickte verständnisvoll. »Du trägst eine schreckliche Last, Flinx. Tru und ich, wir haben uns große Sorgen gemacht, wie du damit fertig wirst, nachdem du alleine von New Riviera fliehen und uns alle zurücklassen musstest.« Er blickte auf. »Nach allem, was du gerade erzählt hast, ist offensichtlich, dass du damit nur fertig werden konntest, indem du die Suche ignoriert hast. Aber von jetzt an musst du das nicht mehr tun. Tru und ich werden immer bei dir sein.«

»Ebenso wie ich.« Claritys Finger drückten Flinx' Bein fest.

Obwohl er das hörte, verschwand die furchtbare Sorge, die sein ständiger Begleiter war, nicht, und Flinx ahnte, dass sie vermutlich immer da sein würde. Aber er fühlte sich besser, zuversichtlicher als in den Monaten, die er ziellos durch den Blight geflogen war und sich dann auf den verschiedenartigen Welten des Arms herumgetrieben hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass er trotz seiner größtmöglichen Bemühungen den Kontakt zu der umherwandernden Tar-Aiym-Waffenplattform nie mehr herstellen konnte, war groß, und selbst wenn es ihm gelang, konnte sich jeder Versuch, sie gegen das nahende Böse einzusetzen, als ebenso sinnlos erweisen, wie er sich in der Theorie bereits anhörte. Doch zumindest würde er das alles jetzt nicht mehr länger ganz ohne Begleitung tun müssen, er wäre nicht mehr alleine in dem gewaltigen Plusraum, abgesehen von der getreuen Gesellschaft eines tröstlichen, aber seelenlosen Schiffes.

»Du fängst doch jetzt nicht an zu weinen, oder?« Tse-Mallory sah seinen jungen Freund besorgt an. »Weinen kannst du, wenn die Gefahr gebannt ist, wenn die Bedrohung nicht mehr existiert - aber nicht jetzt.«

Flinx rieb sich das rechte Auge. Vielleicht drückte er dabei auch ein bisschen fest zu. Jedenfalls vergoss er keine Träne. »Ich freue mich nur so, euch alle wiederzusehen.« Er legte einen Arm um Clarity und zog sie an sich. Die beiden fliegenden Schlangen, die nun gegeneinander gedrückt wurden, glitten gereizt in entgegengesetzte Richtungen davon, um sich eine Stelle mit etwas mehr Platz zu suchen.

»Dieses Mal wird es keine Verzögerung und keine Fehler geben.« Tse-Mallory erhob sich von seinem Pilzsitz. Zwar war es in dem unterirdischen Park, der speziell für die Thranx angelegt worden war, recht angenehm, doch er zog den warmen Sonnenschein auf der Oberfläche von Nur vor. »Tru und ich können sofort aufbrechen.« Er sah Clarity fragend an. »Was ist mit dir? Hast du schon Vorbereitungen getroffen?«

»Einige schon, aber ich kann nicht wie ihr beide einfach verschwinden. Ich brauche ein bisschen Zeit, um alles in die Wege zu leiten.« Sie ignorierte Flinx' ausgestreckte Hand und stand auf. »Hier würden mich einige Leute vermissen, wenn ich einfach verschwinde, und sie könnten nach mir suchen.«

Trotz seiner für ihn typischen Selbstbeherrschung verfinsterte sich Flinx' Gesichtsausdruck ein wenig. »Tambrogh Barryn beispielsweise?«

Sie schnitt eine Grimasse. »Sei nicht albern. Ich muss das medizinische Personal benachrichtigen, das mich betreut hat, meine Kollegen bei Ulricam, einige engere Freunde und andere Leute.« Sie warf Tse-Mallory einen Blick zu. »Wir können ja nicht alle berühmte, unabhängige, reiche Wissenschaftler, Philosophen oder interstellare Vagabunden sein, die nach Lust und Laune aufbrechen und einen Streifzug durch die Galaxie machen können.«

»Ich mache keine ›Streifzüge‹«, korrigierte Truzenzuzex sie trocken. »Ich kann schnell planen.«

Tse-Mallory lächelte nachdenklich. »Reichen dir einige Tage, um deine Angelegenheiten zu regeln?« Als sie nickte, wandte er sich an Flinx. »Und dir?«

Flinx musste nicht groß nachdenken. Er war die Abflugprozedur schon viele Male auf vielen verschiedenen Welten durchgegangen. »Es gibt einige Nahrungsmittel und Vorräte, die die Teacher nicht synthetisieren kann. Außerdem wissen wir nicht, wie lange wir fort sein werden. Daher wäre es gut, die Suche in dem Wissen neu zu beginnen, dass das Schiff gut vorbereitet ist.«

Anstatt darauf zu antworten, sah Tse-Mallory seinen Gefährten an. »Tru?«

Der Thranx machte eine ungeduldige Geste. »Menschen finden immer Gründe für eine Verzögerung. Aber ich muss zugeben, dass die Logik unseres jungen Freundes nachvollziehbar ist. Nun gut. Einige Tage. Ich werde die Zeit bis zu unserer Abreise nutzen, um gewisse Nachrichten an Berufskollegen zu verfassen und abzusenden.«

»Was für Nachrichten?«, fragte Flinx neugierig.

Die großen goldenen Augen des Thranx-Philosophen richteten sich ungeduldig auf ihn. »Die Art von Nachrichten, die sich für Freunde und Kollegen als nützlich erweisen werden, falls wir nicht zurückkommen sollten.«

***

Effrom war völlig außer Atem, als er den Treffpunkt erreichte. Dieser befand sich natürlich im Freien, um sowohl Anonymität als auch Privatsphäre zu gewährleisten. Sobald er sich neben dem öffentlichen Healthirl blicken ließ, begannen sich die anderen langsam in seine Richtung zu bewegen. Währenddessen atmete Effrom ebenso wie mehrere Dutzend anderer Bürger, die sich im Strudel des Healthirls befanden, den schweren atmosphärischen Cocktail des überwachten Wirbelwinds ein. Das heutige Breitenspektrum war mit dem Duft terranischer Pfirsiche versetzt. Effrom achtete darauf, das vorbeugende Mittel für die Atmung gut einzuatmen, auch wenn er eigentlich nicht hergekommen war, um seine Gesundheit zu verbessern.

Tuoela, Ambreleon und die anderen hatten im Inneren des sich mit langsamer Geschwindigkeit bewegenden gezähmten Zyklons auf ihn gewartet. Während sie sich nun ein Stück von den anderen Bürgern forttreiben ließen, sammelten sie unterwegs noch eine kleine Gruppe in der Nähe des Zentrums dieses gesundheitsfördernden Sturms ein. Dort konnten sie einander gut verstehen, aber sich auch relativ sicher sein, dass ihre Unterhaltung von niemandem belauscht werden konnte, weder von einer Person noch auf elektronischem Wege.

»Wir haben den Alarm empfangen.« Tuoela führte ein kleines Geschäft, das Ziergegenstände von verschiedenen Welten importierte und diese als Dekoration für Geburtstage bis hin zu zeremoniellen Essen verkaufte. Auf den Straßen der Hauptstadt wäre sie selbst den misstrauischsten Polizisten oder vorsichtigsten Regierungsagenten nicht weiter aufgefallen, ebenso wenig wie ihre momentan anwesenden Begleiter. Ihre perfekte Gewöhnlichkeit sicherte ihnen die dauerhafte Anonymität.

»Alle sind aufgeregt.« Canodoce war nur etwas jünger als die Frau, die neben ihm schwebte. »Wir haben darauf gehofft und gewartet. Kannst du es wirklich bestätigen?«

Er war zwar nicht weniger aufgeregt als seine Kameraden, aber Effrom gelang es, seine Emotionen unter Kontrolle zu behalten. »Der, der die Reinheit gefährdet, ist in der Tat zurückgekehrt. Ich habe ihn selbst bei mehreren Gelegenheiten gesehen. Seine Identität steht zweifelsfrei fest.« Er atmete die belebende, gesundheitsfördernde Luft des Orkans tief ein. »Und sie wird überdies noch bestätigt durch die Tatsache, dass dieselbe fliegende Kreatur ihn überall hin begleitet.«

Ambreleons Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Das ist die Art von Verifikation, auf die ich hätte verzichten können.« Er griff sich an die rechte Halsseite. Mehrere Operationen hatten die Verletzung, die er sich während des Kampfes am Raumhafen zugezogen hatte, zwar beseitigen können, doch kein Arzt oder Medizintechniker war in der Lage, den Phantomschmerz zu beseitigen, der ihn immerwährend heimsuchte. »Die fliegende Schlange tötet.«

»Darum werden wir uns zu gegebener Zeit kümmern.« Tuoela klang sehr zuversichtlich. Endlich war ihre Geduld belohnt worden. »Der Plan war genial, die Genesung der Frau zu überwachen. Unsere Kollegen haben den Mann fast augenblicklich aus den Augen verloren. Basierend auf dem, was bekannt war und was wir seitdem erfahren haben, war zu erwarten, dass er eines Tages zu ihr zurückkehren wird.« Ein dünnes Lächeln zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. »Die Liebe ist ein sehr geschickter Verräter.«

»Das ermöglicht uns erneut, unsere heilige Pflicht zu tun.« Canodoce sehnte sich nach dem allumfassenden Tod, der seinem eigenen folgen konnte, und wirkte schon beinahe ekstatisch. »Wir können jetzt handeln, um die Reinheit, die kommen wird, zu bewahren.«

»Um das tun zu können, müssen wir den großen Einmischer von seinem kleinen Beschützer trennen«, warf Tuoela dazwischen.

»Von seinen Beschützern«, wurde sie von Effrom korrigiert. »Die anderen, die am Raumhafen waren und ihm bei der Flucht geholfen haben, sind ebenfalls zurückgekehrt.«

Tuoela wirkte nicht erfreut. »Weitere Komplikationen. Aber dennoch werden wir siegen.« Im tosenden Wind des verjüngenden Luftstroms blinzelnd betrachtete sie ihre Freunde und Kollegen. »Wir haben zu lange gewartet, als dass es anders kommen könnte. Möge es jetzt und hier beginnen. Als Erstes kommen wir zur Logistik.« Sie wandte sich an M'dbane, die mittleren Alters war. »Ich fürchte mich vor dem Tod zwar ebenso wenig wie jeder andere von uns, aber ich würde es doch bevorzugen, das nahende Ende lebendig begrüßen zu können. Und ich vermute, das gilt für euch alle.« Zustimmendes Murmeln bestätigte ihre Vermutung. »Daher wird es Selbstmordattentate erst geben, wenn uns keine andere Möglichkeit mehr bleibt. Ein solcher Versuch würde vermutlich ohnehin scheitern.«

»Warum das?« Canodoce war zwar größer und stärker als jeder andere aus der Gruppe, aber auch noch relativ neu dabei.

Sie sah ihm in die Augen. »Es wurde festgestellt, dass der Einmischer Gefühle erkennen kann. Je stärker die Emotion, desto leichter kann er sie empfangen. Ob in der Isolation oder inmitten vieler Leute - ein Selbstmörder würde immer deutlich auffallen. Bis zu einem gewissen Grad lassen sich Gefühle durch Medikamente unterdrücken. Aber diese verbergen nicht nur die Emotionen, sondern beeinträchtigen auch die Fähigkeiten. Wir müssen da das richtige Gleichgewicht finden.« Bei den folgenden Worten wandte sie sich wieder an alle. »Das haben wir aus den zahlreichen gescheiterten Versuchen, den Einmischer zu eliminieren, gelernt. Wir dürfen nicht erneut versagen. Möglicherweise bekommen wir nie wieder eine weitere Chance.«

»Wenn man unsere vorherigen misslungenen Attentate auf ihn bedenkt, wird er dann jetzt, da er nach Nur zurückgekehrt ist, nicht besonders vorsichtig sein?« Beulleus Gesicht erinnerte die anderen immer an einen gestrandeten Fisch, und es schien auch seiner Persönlichkeit zu entsprechen.

»Er macht zumindest nicht den Anschein.« Effrom war bei dieser Einschätzung sehr zuversichtlich. »Ich habe ihn bei mehreren Gelegenheiten beobachtet, aber ich konnte nie erkennen, dass er besondere Vorkehrungen getroffen hätte, außer dass sich die fliegende Kreatur ständig in seiner Nähe aufhält. Vielleicht glaubt er, sein älterer menschlicher Freund und der Thranx seien Schutz genug.«

»Wahrscheinlicher ist doch«, warf Ambreleon ein, »dass er nichts über unsere Stärke und unsere Hartnäckigkeit weiß und glaubt, er hätte uns am Raumhafen bereits den tödlichen Schlag versetzt.«

Tuoela nickte. »Das wäre noch viel besser, wenn er glaubt, wir wären alle tot, verkrüppelt oder verbannt worden. Es ist durchaus denkbar, dass er sich das Ausmaß der Hingabe zum Orden, welche jene von uns verspüren, die überlebt haben, nicht einmal vorstellen kann.« Ein leises, aber anhaltendes bestätigendes Gemurmel erhob sich in der Versammlung, und dann richtete sich Tuoela an den dicklichen Angestellten eines der angesehensten Forschungsunternehmen von New Riviera.

»Was gibt es Neues von der Reinheit?«

»Sie kommt immer noch näher.« Die Stimme des Mannes klang hoch und piepsend, als würde er ständig in einem Zustand der Angst verharren. Doch seine Unbarmherzigkeit und seine intellektuellen Fähigkeiten wurden von seinen stimmlichen Mängeln nicht beeinträchtigt, ebenso wenig von der Tatsache, dass er fast schon als Psychopath galt. »Unsere verdeckten Kontaktpersonen auf der Erde haben es bestätigt.« Er verdrehte die Augen gen Himmel. »Möge ich lange genug leben, um ihr Eintreffen mitzuerleben und in das große Nichts gezogen zu werden! Der Einmischer kann sie nicht aufhalten. Nichts und niemand kann sie aufhalten.« Ein leichter Anfall halbreligiöser Ekstase schien ihn zu befallen, woraufhin er den Blick senkte und seine Augen schloss. »Alles wird reingewaschen und neu erschaffen.«

»Dennoch«, meinte Tuoela ernst, »haben wir vom Orden geschworen, sicherzustellen, dass sich der Reinheit nichts entgegen stellt, was sie aufhalten oder verhindern könnte, damit sich ihr Schicksal in dieser kleinen Ecke des Kosmos erfüllt. Das bedeutet, dass wir den Einmischer und das Rätsel, das er darstellt, ausschalten müssen.« Als sie sich jetzt noch einmal an alle Anwesenden wandte, hatte sich der Duft des um sie herumwirbelnden Windes von Pfirsich zu Cupuaçu verändert.

»Das dürfte kein Problem darstellen, da wir nun besser wissen, womit wir es zu tun haben. Wir müssen uns keiner ganzen Armee stellen. Zwei Männer, zwei fliegende Kreaturen, eine Frau und ein Thranx. Es stimmt, dass wir die Fähigkeit dieser kleinen Gruppe, sich der Absolution mit Gewalt zu widersetzen, mehrmals unterschätzt haben, doch diesen Fehler werden wir nicht noch einmal machen.«

»Wie sollen wir vorgehen?« Obwohl Canodoce kleiner war als der rundliche Forscher, sah er den anderen Mann nicht als Überlegenen an. Innerhalb des Ordens waren alle gleich. Im Tod, in der Reinheit, würde sie nichts voneinander unterscheiden. Das war ein beruhigender Gedanke. Jene, die glaubten, ihre Mission sei es, dem Tod den Weg zu bereiten, fürchteten diesen nicht.

»Wir müssen uns um jeden einzeln kümmern.« Tuoela erinnerte sich: »Als wir versucht haben, sie an jenem Tag am Raumhafen auszuschalten, konnten sie ihre Verteidigung konzentrieren und sich gegenseitig unterstützen. Der große Mann und der Thranx sind klug, aber sie sind alt. Die kleinen fliegenden Kreaturen fürchte ich mehr.« Sie sah in M'dbanes Richtung. »Auch wenn es anscheinend nur sehr wenig aufschlussreiche Informationen über sie gibt, hat Olu einige äußerst hilfreiche Nachforschungen über diese Kreaturen angestellt, die uns sehr helfen werden, wenn wir es das nächste Mal mit ihnen zu tun bekommen. Die Frau hätten wir beim ersten Mal schon fast getötet. Sie stellt überhaupt kein Problem dar. Es ist der Einmischer selbst, der immer noch die größte Hürde für uns ist.«

»Wie sollen wir ihn eliminieren?« Ambreleon musste zugeben, dass er zwar die sich erholende Frau mit beobachtet, sich über den restlichen Verlauf der Dinge aber nur wenig Gedanken gemacht hatte.

»Uns stehen einige Optionen offen, auf die wir alle bei Bedarf zurückgreifen können.« Tuoelas unbeirrbare Zuversicht inspirierte alle. »Dieses Mal wird nichts dem Zufall überlassen.« Jetzt lächelte sie grimmig und wirkte eher wie eine Wölfin als wie eine Geschäftsfrau.

»Ich habe Vorkehrungen getroffen und professionelle Hilfe angefordert.«