Kapitel 12

Seit drei Tagen nun weiß ich, dass es sich um Lea Aurelius handelt und seit drei Tagen bin ich jede Mittagspause in der Bahnhofstraße, direkt vor ihrer Wohnung. Ich schaffe es einfach nicht, an ihrer Türe zu klingeln. Immer wenn ich vor ihrer Wohnung stehe, würge ich mein Brötchen herunter, denn eigentlich kann ich nichts essen bei dem Gedanken, dass sie dort drin ist und jeden Moment rauskommen kann. Ständig lasse ich es darauf ankommen, dass sie herauskommt und fortwährend mache ich mir darüber Gedanken, was ich zu ihr sagen soll. Wenn sie wüsste, dass ich es bin, der bald in ihrer alten Wohnung leben wird, sie würde bestimmt staunen.

Heute Mittag kann ich meine Möbel in die Wohnung räumen, denn laut dem aktuellen Mieter sei heute Mittag alles draußen. Da bin ich sehr gespannt, ob das stimmt, denn dieser Derek macht mir ganz und gar nicht einen zuverlässigen Eindruck.

„Katner? Hast du heute Mittag Zeit?“

„Zeit ist grundsätzlich Mangelware. Also überlege dir gut, wofür ich Zeit haben soll, Noah.“

„Für einen Umzug?“

„Einen was? Wer bin ich denn seit Neuestem? Noah, bring mir einen Kunden, dann habe ich Zeit.“

„Es sind nur ein paar Sachen. Eine Couch, ein Bett … Eben die schweren Sachen.“

„Eine Couch und ein Bett. Dabei bin ich dir behilflich, aber nur, weil du vor kurzem eine neue Kundin an Land gezogen hast. Und ich werde dir nur bei diesen zwei Dingen helfen und außerdem werde ich das Zeug nur in den Transporter tragen. Für die Wohnung musst du dir jemand anderen suchen. Mehr als 15 Minuten kann ich nicht opfern.“

„Sehr großzügig von dir, Katner.“

„Ich weiß. Was tut man nicht alles für ein gutes Arbeitsklima.“

„Ist 14 Uhr in Ordnung?“

„14 Uhr bis 14:15 Uhr. Bis heute Mittag.“

Schon seit Tagen geht Sarah nicht mehr zur Arbeit. Sie weiß von der neuen Wohnung und ist seither immer auf der Hut, um nichts zu verpassen. Heute ist der Tag, an dem der Umzug beginnt. Bis hierher hat sie jeden Morgen den Frühstückstisch gerichtet und ist nicht mehr von meiner Seite gewichen. Für sie war es ein Kampf, für mich eine Last, die mich immer mehr von ihr weggedrängt hat. Mittlerweile bin ich sogar richtig froh, wenn ich von ihr weg bin und wieder frei atmen kann.

Jeden Moment ist es 14 Uhr. So wie ich Katner kenne, ist er auf die Minute pünktlich. Er nimmt es mit der Zeit sehr genau, fast so, als wäre jede Minute preislich kalkuliert.

„Es ist also dein Ernst? Du ziehst aus?“, platzt Sarah hervor, als ich gerade meine Schublade im Büro ausräume.

„Ja, das ist es. Du siehst es doch.“

„Tu das nicht, Noah“, sagt sie plötzlich in einem flehenden Tonfall und als ich sie anschaue, fließen Tränen an ihrem Gesicht herunter.

„Es tut mir einfach nur leid, Sarah. Dass unsere Ehe kaputt ist, dass ich ausziehe. Aber was soll ich machen? Bei dir bleiben? Unglücklich sein? Sollen wir etwa beide so unser Leben fortführen?“

„Wir bekommen das wieder hin. Ich habe einen Vorschlag. Du ziehst dort ein und wir machen eine Pause. Wir werden uns wieder finden, Noah. Ich liebe dich doch.“

Bei diesen Worten muss ich schlucken und jetzt tut sie mir wieder sehr leid. Am liebsten würde ich sie in den Arm nehmen und ihr versprechen, dass alles wieder gut wird. Aber ich kann es nicht, denn es wird niemals wieder gut, nicht als Paar. Aber ich glaube, von einer Freundschaft möchte sie jetzt noch nichts hören.

„Noah, es kann losgehen“, sagt Katner, als er, ohne geklingelt zu haben, in die Wohnung hineinstolziert.

„Ja, es kann sofort losgehen“, sage ich ihm und bin froh, dass er genau in diesem Moment gekommen ist. So muss ich Sarah nicht mehr antworten und kann die Situation umspielen. Katner allerdings schaut zwischen mir und Sarah hin und her und scheint die Situation verstanden zu haben. Während wir gemeinsam den Bettkasten in den Transporter bringen, sagt Katner schnaufend: „Hast du dir das wirklich gut überlegt?“

„Was? Dass ich ausziehe?“

„Dass du deine Frau verlassen willst!“

„Ich verlasse sie nicht erst, wenn ich ausziehe. Ich habe sie schon längst verlassen, Katner.“

„Du bist ein Idiot. Schau sie dir doch an? Weißt du, wie viele froh wären, so eine Frau zu haben?“

Mit dem Bettkasten in der Hand bleibe ich stehen und schaue ihn an.

„Katner, ich habe mich in eine andere Frau verliebt.“

In diesem Moment sehe ich Sarah an der Türe stehen. Die Wut steht ihr im Gesicht geschrieben und wieder fließen Tränen. Ich habe Sarah nicht bemerkt und hätte in ihrer Gegenwart nie gesagt, dass ich mich eine andere Frau verliebt habe. Jetzt fühle ich mich wie ein Ehebrecher. Beide schauen wir uns an und ich versuche, ihr mit meinem Blick „Entschuldigung“ zu sagen, doch ihr platzt der Kragen: „Hast du Katner auch erzählt, wie lange du hinter meinem Rücken schon eine Affäre hast? Und weiß er auch, dass die besagte Person in einer Wohnung, die Katner Company vermietet, lebt?“

„Ist es etwa die, der ich die Schlüssel übergeben habe?“, fragt Katner auf einmal. Ich sehe Sarah an, dann wieder ihn und im Moment bekomme ich keinen Ton heraus. Katner schaut mich sehr misstrauisch an und meint: „Jetzt gehen mir einige Lichter auf. Aber wieso musste ich dann zur Schlüsselübergabe?“

Katner hat mittlerweile wieder vergessen, dass Sarah noch immer alles mithören kann und noch wütender geworden ist.

„Ich kann den Kasten nicht mehr allzu lange halten. Komm, lass ihn uns in den Transporter bringen.“ Mittlerweile haben wir die Couch auch reingebracht und es ist 14:25 Uhr.

„Zehn Minuten, Noah.“

„Oh, es wurden zehn Minuten mehr. Das tut mir leid.“

„Dafür gibst du eine Runde im ‚Little Ben‘ aus und erzählst mir mal, was da gerade los ist bei euch. Hier geht es ja zu wie in einer Achterbahn.“

„Ist gut, ich gebe dir eine Runde aus und vielen Dank für deine Hilfe so weit.“

„Ja, ja, bis dann.“ Und schon wieder ist er weg.

An der Wohnung im Liliental 9a angekommen, sehe ich vor ihr einen weiteren Transporter stehen. Das war ja klar. Nun ist dieser Derek zeitgleich mit mir am Umziehen. Na, das kann ja ein Durcheinander werden. Bevor ich damit beginne, alles einzuräumen, möchte ich mich zuerst vergewissern, wie viel Platz ich in der neuen Wohnung habe. Die Türe steht offen und ich glaube nicht, dass es ihn stört, wenn ich einfach hineingehe. Als ich die Türe aufmache, bleibe ich wie angewurzelt stehen. Keinen Schritt weiter wage ich zu gehen. Diese Frau auf dem Boden … das ist doch die Frau, die ich suche! Das ist doch Lea Aurelius! Mit langsamen Schritten trete ich neben sie. Kein „Guten Tag“, kein „Hallo“ will mir über die Lippen kommen. Sie schaut gerade ein Foto an und kann sich kaum von ihm lösen, so vertieft scheint sie in es zu sein. Wie wunderschön ihr Haar ist. Jetzt schaut sie auf meine Schuhe.

„Derek? Ist was?“, fragt sie.

Was soll ich bloß sagen. Am besten, ich bleibe einfach so stehen. Dann schaut sie ganz langsam nach oben und sieht mich. Sie sieht mich – endlich. Sie weiß sofort, wer ich bin, und jetzt sehe ich auch ihr Gesicht, das ich so lange gesucht habe. Und sie ist es tatsächlich. Während ich sie betrachte, muss ich für ein paar Sekunden darüber nachdenken, dass es sich bei dieser Person um Lea Aurelius handelt. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich bereits so oft Kontakt mit ihr hatte. Jetzt steht sie auf, putzt sich ihre Hände an der Hose ab und gibt mir die Hand. Irgendwas hat sie gesagt, aber ich konnte ihre Worte einfach nicht verstehen.

„Hallo“, wage ich endlich zu sagen. Wir schauen uns beide in die Augen und niemand tut etwas, als dann Derek unerwartet in das Zimmer kommt. Er möchte etwas von Lea. Ich weiß nicht, was er ihr sagt, denn immerzu kann ich nur in ihr Gesicht schauen. Sie nickt ihm zu und er geht wieder. Beide schauen wir uns wieder an. Es fällt mir schwer, diesen Lippen vor mir zu widerstehen. Soll ich es einfach tun? Soll ich sie küssen? Langsam beuge ich mich nach vorne und berühre sie sanft mit meinem Mund, doch traue ich mich nicht, sie zu küssen. Sanft berühre ich mit meinen Lippen die ihren und taste mich dann vor zu ihrem Hals. Was mache ich da bloß? Aber ich kann nicht anders. Ihr Duft macht mich wahnsinnig. Plötzlich umfasst sie mich an meinen Hüften und ich verliere beinahe den Verstand. Mein Herz pocht schneller, mein Atem wird tiefer und auch ich höre sie erregt atmen. Ich möchte sie an meinem ganzen Körper fühlen. Dann umfasse auch ich sie, drücke sie näher an mich und sie stöhnt dabei leise auf. Ihre Brüste verraten, wie erregt sie sein muss. Langsam fahre ich mit meinem Mund weiter an ihr herunter, an ihren Schultern entlang. Ich stelle mir vor, was ich tun werde, wenn ich an ihrer Bluse bin und irgendwann an ihrem Dekolleté. Ihre Knöpfe werde ich einzeln mit meinen Zähnen aufmachen und dabei ihren Duft in jeder Pore wahrnehmen. Als ich an ihrem Schulterende angekommen bin, stürzt dieser Derek erneut herein. Lea löst sich abrupt und wendet sich von mir ab. Beim Herausgehen schaut sie noch einmal zurück und schaut mir dabei tief in die Augen. Diese Frau raubt mir sämtliche Sinne und ich weiß jetzt schon, dass es sich bei ihr um tiefe Liebe handelt. Mein Handy klingelt und reißt mich aus meinen Gedanken.

„Hallo“, sage ich, noch immer in meinem Herzen in einer andere Welt.

„Noah?“, schreit Katner in mein Handy.

„Was ist los, Katner?“

„Deine Möbel wirst du ja wohl schon alle in der neuen Wohnung haben. Ich brauche dich jetzt.“

„Nein ich habe noch gar nichts drin.“

„Trotzdem, du musst kommen. Wir haben ein kurzfristiges Meeting. Es geht noch einmal um die Japanverträge.“

„Kannst du das nicht alleine machen? Es geht jetzt wirklich …“

„Es muss gehen. Noah, es muss. Ich erwarte dich hier in einer halben Stunde.“

Und schon hat er aufgelegt. Ich bin hin und her gerissen. Immerhin ist Lea im Nebenraum. Wie lange musste ich nach ihr suchen, um sie endlich so nahe bei mir zu haben. Die Nerven von Katner sind allerdings allmählich sehr angespannt und wenn ich ihn bei diesem Meeting alleine lasse, werde ich bald mit einer Abmahnung rechnen müssen. Er lässt viel bei mir durchgehen, wenn es aber um die Japangeschäfte geht, da kennt er keine Gnade. Kurz entschlossen und schweren Herzens nehme ich einen Zettel aus meiner Jackentasche und einen Stift zur Hand.

„Liebe Lea, ich bin verzaubert. Du verzauberst mich. Nicht erst seit eben. Seit Wochen. Nein, seit es dich gibt. Bitte melde dich. Meine Nummer steht unten.“

Ich lege ihr den Zettel auf den Boden, wo sie gesessen hat. Dort wird sie ihn bestimmt nicht übersehen.

Auf der Fahrt ins Büro kann ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Im Moment weiß ich nicht, wohin mit meinen Glücksgefühlen, und aus irgendeinem Grund gräbt sich ein riesen großes Loch in meine Magengegend hinein. Mein Gefühl sagt mir, dass ich sie wieder verloren habe. Aber warum fühle ich so? Meine Nummer habe ich ihr hinterlassen, und sie scheint sich mindestens genauso über mich gefreut zu haben wie ich mich über sie. Sie wird sich melden, ganz sicher. Außerdem weiß ich jetzt, wo sie wohnt. Es ist mir ein Rätsel, warum sich diese Ängste in mir aufbauen. In Katners Büro angekommen, kann es endlich losgehen.

„Die Konferenzschaltung ist freigeschaltet. Sie können loslegen, Herr Hillings ist mittlerweile auch eingetroffen.“ Während der ganzen Besprechung bin ich nur halb bei der Sache. Immer wieder muss mich Katner ermahnen, aufzupassen. Zum Glück können mich die Verhandlungspartner nicht sehen. Als das Gespräch beendet ist und wir uns verabschiedet haben, schaut mich Katner mit bösen Blicken an.

„So kann es nicht weitergehen, Noah. Was auch immer gerade in deinem Privatleben los ist, wenn du es nicht von deinem Beruf trennen kannst, dann …“

„Was dann? Dann werde ich gekündigt? Ist es das, was du sagen möchtest?“, frage ich ihn und schaue ihn ebenfalls wütend an.

„Das könnte irgendwann passieren“, sagt er und lässt mich in seinem Büro alleine zurück.

Zu Hause angekommen, begegnet mir wieder einmal Sarah: „Na, war der Umzug erfolgreich heute?“

„Es ist noch alles im Transporter. Ich hatte keine Zeit mehr.“

„Keine Zeit für den Umzug? Aber genau dafür hast du dir doch freigenommen?“

„Sarah, ich möchte dir nicht erklären, warum und wieso es nicht geklappt hat, okay?“

„Bestimmt ist dir ein ganz wichtiger Termin dazwischengekommen. Lass mich raten, deine Affäre ist dir dazwischengekommen.“

„Ja, du hast Recht. Nur, dass es nicht meine Affäre ist. Es ist meine Liebe“, sage ich ihr voller Wut und ich fühle dabei eine Genugtuung. Sarah schaut mich entrüstet an und rennt aus dem Zimmer.

Mein Jackett und die Aktentasche lege ich über den Stuhl und bin froh, endlich unter die Dusche zu kommen. Nachdem ich ausgiebig und lange geduscht habe, setze ich mich auf die Couch, hole meine Aktentasche und möchte mein Handy herausholen. Es könnte immerhin sein, dass Lea sich meldet, jetzt, da sie meine Nummer hat. Wo ist es nur? Auch in meinem Jackett ist es nicht. Habe ich es etwa im Büro vergessen? Panik steigt in mir hoch bei dem Gedanken, dass sie sich gemeldet hat und ich ihr nicht antworten kann.

„Sarah, hast du mein Handy gesehen?“, frage ich sie, während sie am Bürotisch sitzt und mich irgendwie mit einem zufriedenen Lächeln anschaut.

„Nein, wieso sollte ich?“

Ohne ihr zu antworten, schnappe ich mir meine Trainingsjacke, die über dem Stuhl hängt, auf dem sie sitzt, ziehe sie mir drüber und mache mich sofort auf.

Im Büro habe ich mittlerweile alles auseinandergenommen. Das gibt es doch nicht. Wo ist mein Handy?

„Noah, du bist noch hier?“, fragt mich Katner, als er an meinem Büro vorbeigeht und durch die Glastür blickt.

„Ich suche mein Handy, hast du es gesehen?“

„Dein Handy? Ich habe Besseres zu tun, als auf dein Handy aufzupassen. Und wie siehst du überhaupt aus? Ist das jetzt eine neue Mode, im Trainingsanzug ins Geschäft zu gehen?“

„Katner, ich bin nicht zum Arbeiten hier. Ich suche mein Handy“, schreie ich ihn an. Katner scheint über meinen Tonfall empört zu sein.

„Was ist los mit dir? Noah, mache Urlaub oder nimm dir frei oder sonst etwas, aber so kann ich dich nicht mehr hier haben.“

„Was? Du willst mich zwangsbeurlauben?“

„So ähnlich, nenne es, wie du möchtest. Aber lasse dich die nächsten zwei Wochen hier nicht mehr blicken. Und regele in der Zwischenzeit dein Privatleben. Das ist ja kein Zustand“, sagt Katner und knallt die Türe hinter sich zu, als er geht. Vielleicht ist das wirklich das Beste. Zwar warten einige Termine auf mich, aber das wird jemand anderes übernehmen müssen oder Katner eben selbst. Zu Hause wieder angekommen, suche ich noch einmal verzweifelt in der Aktentasche nach meinem Handy. Wieder ohne Erfolg. In meinem Jackett sehe ich ebenfalls nach – und wie durch ein Wunder ist es da. Überglücklich schaue ich sofort in meinen Nachrichten, ob Lea etwas geschickt hat. Leider ist jedoch keine Meldung von ihr gekommen. Auch kein Anruf in Abwesenheit. Ob sie meine Nachricht in Dereks Wohnung erhalten hat? Sofort schnappe ich mir die Schlüssel und fahre zu Dereks Wohnung. Ich halte das einfach nicht aus, wenn ich nicht weiß, ob sie meine Nachricht erhalten hat.

„Hallo, möchten Sie etwa jetzt Ihre Möbel reinstellen? Es ist bald schon Mitternacht und …“

„Nein, möchte ich nicht. Ich muss nur kurz in die Wohnung“, sage ich Derek und stoße ihn einfach zur Seite. Derek schaut mir verdutzt hinterher, lässt mich aber gewähren. An der Stelle, wo ich den Zettel hinterlassen habe, liegt nichts mehr.

„Derek, hier lag ein Zettel. Haben Sie ihn gesehen oder womöglich weggeschmissen?“

„Ich habe keinen Zettel gesehen.“

„Sind Sie sich ganz sicher? Und woher kennen Sie Lea?“

„Lea? Aha, es geht Ihnen also um sie. Sie sind gekommen, um mit mir über sie zu reden. Ja, ja, sie ist schon heiß, was?“

„Hat sie etwas gesagt? Von einer Nachricht vielleicht?“

„Es tut mir leid, sie hat nichts gesagt.“

„Haben Sie Leas Nummer?“

„Ja, die habe ich.“

„Ich brauche sie dringend! Derek, bitte, es ist ein Notfall.“

„Ein Notfall? Moment, ich rufe Lea kurz an und frage sie, ob es in Ordnung ist, wenn ich Ihnen die Nummer gebe.“

Er ruft sie an und ich halte die Anspannung kaum aus. Warum hat sie sich noch nicht gemeldet? Falls sie den Zettel nicht gefunden hat, dann kann ich sie zumindest auf diesem Wege sofort erreichen. „Lea? Hier ist Derek. Herr Hillings ist bei mir und er möchte deine …“

Was ist los? Abrupt hat er aufgehört zu sprechen. Offensichtlich hört er ihr zu und schaut mich derweil ganz skeptisch an. Nun verabschiedet er sich von ihr, legt den Hörer weg und bittet mich, zu gehen.

„Aber ich verstehe nicht. Was ist denn los? Was hat sie gesagt?“

„Es ist besser, wenn Sie gehen. Und brechen Sie ihr nicht noch einmal das Herz, sonst breche ich Ihnen etwas anderes“, sagt er mit einem eisernen Blick. Meine Welt ist völlig auf den Kopf gestellt. Was ist nur los?

„Derek, bitte sagen Sie mir, was los ist? Warum Herz brechen, das habe ich doch gar nicht getan!“, sage ich, und kaum habe ich das ausgesprochen, knallt er mir die Türe vor meinem Gesicht zu. Zutiefst betrübt und völlig durcheinander bleibe ich an seiner Türe stehen. Ich will und kann einfach nicht so nach Hause fahren und werde versuchen, sie in ihrer Wohnung anzutreffen.

An der Bahnhofstraße angekommen, parke ich direkt vor ihrer Wohnung. Die Lichter sind aus. Sie scheint nicht zu Hause zu sein. Trotzdem klingele ich an der Türe, doch nachdem ich das mehrmals ein halbe Stunde lang getan habe, muss ich akzeptieren, dass sie nicht da ist. Wieder fahre ich zu Derek und versuche noch einmal herauszufinden, was sie vorhin am Telefon gesagt hat.

„Verstehen Sie nicht? Sie will nichts mehr von Ihnen wissen.“

„Aber das kann ich einfach nicht glauben. Was hat sie Ihnen vorhin gesagt? Und glauben Sie mir, ich werde Sie die ganze Nacht belästigen, ehe Sie mir nicht sagen, was los ist.“

Derek schaut mich wütend an und ich habe das Gefühl, dass es nicht mehr lange dauert und er mir einen Kinnhaken versetzt, aber dieses Risiko werde ich eingehen.

„Gut, ich sage Ihnen, was Lea gesagt hat: Sie meinte, dass sie nichts mehr von Ihnen hören oder sehen möchte. Sie hätten sie zutiefst verletzt und nachdem Sie sie getroffen haben, wäre Ihnen klar geworden, wie sehr Sie doch Ihre Frau lieben. Aber was sage ich Ihnen da, das wissen Sie ja selbst.“

„Was? Das ist nicht wahr. Wieso sagt sie so etwas?“

„Das hat sie mir gesagt und mehr weiß ich nicht. Also, würden Sie mich jetzt bitteschön nicht mehr belästigen?“

„Ist gut. Vielen Dank“, sage ich mit gesenktem Kopf und einer tiefen Wunde in meinem Herzen.

In dieser Nacht kann ich kaum schlafen. Der Gedanke, warum Lea so über mich denkt, zermürbt mich. Warum nur, Lea? Gerade erst habe ich dich wieder gefunden und jetzt bist du weg. Einfach so.

Der Frühstücktisch ist wie immer gerichtet. Dieses Mal hat Sarah sogar ein Lächeln im Gesicht und sagt: „Guten Morgen, mein Schatz.“ Traurig, wütend und enttäuscht wandert mein Blick zu dem ihren und statt ihr ein Wort darauf zu erwidern, bringen meine Blicke zum Ausdruck, wie sehr ich sie nicht mehr neben mir ertragen kann.

„Noah, ich habe über alles nachgedacht. Es ist gut, dass du fürs Erste in eine neue Wohnung ziehst und später versuchen wir es einfach noch einmal. Ich weiß, dass du mich liebst und nicht sie.“

Diese Worte klingen so ähnlich wie die von gestern, bei Derek. Jeden Moment drohe ich zu platzen.

„Sarah, lass mich endgültig in Ruhe. Ende dieser Woche bin ich ganz weg und von dir habe ich mich schon länger getrennt. Es gibt kein Zurück mehr, kapier das endlich. Und woher willst du wissen, dass ich dich liebe und nicht sie?“

Mit starren Augen blickt sie mich an. Fast sieht es so aus, als hätte sie ein Schutzschild um sich gebaut und als sei sie gegen alles resistent, was sie nicht hören möchte.

„Ich weiß es nicht, aber zumindest weiß sie es jetzt“, sagt Sarah und verlässt den Küchentisch. Tausend Fragen steigen in mir auf. Wovon spricht sie? Ein ungutes Gefühl sagt mir plötzlich, dass Sarah im Spiel war.

„Wo hast du sie schon wieder gesehen? Und was hast du ihr erzählt? Etwa, dass ich dich liebe?“

Seelenruhig räumt sie das Geschirr in der Küche weg, ohne sich ein einziges Mal nach mir umzudrehen und mir zu antworten. Plötzlich ergreift mich eine unsagbare Wut und ich packe sie sehr hart an ihrem Arm.

„Du tust mir weh“, schreit Sarah und versucht sich loszureißen.

„Es ist mir egal, ob es dir weh tut. Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was du mir antust?“

„Du hast mir weitaus Schlimmeres angetan. Was ist los? Hat sie es etwa kapiert?“

„Was kapiert?“, frage ich sie und immer noch lasse ich sie nicht los. Als sie mir wieder nicht antwortet, ergreife ich sie zusätzlich mit der anderen Hand und fasse so stark zu, dass sie wieder laut aufschreit.

„Lass mich los, Noah. Bist du wahnsinnig?“

„Sage mir, was du ihr gesagt hast, vorher werde ich dich nicht wieder loslassen.“

„Zieh mich aus“, sagt sie.

Als sie das sagt, fasse ich noch stärker zu.

„Das ist kein Spiel, Sarah. Ich bin nicht scharf auf dich, wenn du das denkst. Ich könnte dich erwürgen, wenn du mir nicht sofort sagst, was …“

„Sie weiß es eben. Ich habe ihr geschrieben, dass du mich liebst“, sagt Sarah plötzlich, und wie gelähmt lasse ich sie los. „Geschrieben? Hast du etwa ihre Nummer? Und wieso glaubt sie dir?“

„Sie glaubt nicht mir, aber dir schon, so wie es aussieht.“

„Was willst du mir damit sagen?“

„Noah, ich musste das tun. Sie hat dir gestern eine SMS geschrieben und ich habe ihr von deinem Handy aus zurückgeschrieben und habe so getan, als würdest du es ihr schreiben. Bitte Noah, ich liebe dich und musste das einfach machen. Du warst unter der Dusche, dein Handy hat gepiepst und später hat sie versucht, dich anzurufen.“

„Hast du dann mit ihr gesprochen?“

„Nein, natürlich nicht. Ich habe ihren Anruf nicht entgegengenommen.“

„Geh mir aus den Augen. Du bist das Letzte“, sage ich ihr, packe meine Sachen und bin verschwunden.

Auf dem Weg ins Büro fällt mir ein, dass ich ja zwangsbeurlaubt wurde. Das kommt mir gerade recht, denn heute wäre ich zu nichts mehr imstande gewesen. Sofort fahre ich zur Bahnhofstraße, um sie vielleicht noch zu erwischen. Dort angekommen, sind noch alle Rollladen unten. Es ist 08:46 Uhr. Bestimmt schläft sie noch. Ich möchte sie nicht stören und beschließe, vor ihrer Wohnung zu warten, bis sie die Rollladen hochzieht.

Mittlerweile ist es 10:53 Uhr. Immer noch gibt es keine Reaktion aus ihrer Wohnung. Vielleicht sollte ich doch klingeln. Spontan beschließe ich, es zu tun. Einmal klingeln – zweimal – dreimal. Beim zehnten Mal gebe ich auf. Wo bist du nur? Vielleicht ist sie wieder bei Derek.

„Hallo Derek!“

„Oh, hallo. Die Möbel sind heute Mittag draußen. Dann können Sie Ihr ganzes Zeug einräumen.“

„War sie bei Ihnen?“

„Wer … Lea? Heute noch nicht.“

„Kommt sie heute denn noch?“

„Haben wir gestern nicht beschlossen, dass sie mich nicht mehr damit belästigen sollen?“

„Ich weiß, aber es handelt sich alles um ein großes Missverständnis. Meine Frau hat …“

„Es ist mir egal, was passiert ist. Lea hat mir ausdrücklich gesagt, dass sie Sie nicht mehr sehen möchte. In Ordnung?“

„Geben Sie mir bitte Ihre Nummer. Ich muss sie sprechen.“ Plötzlich kommt Derek wütend auf mich zugestürmt, packt mich am Kragen und schaut mich wieder mit diesem kalten Ausdruck an.

„Es reicht, Herr Hillings.“

Jetzt habe auch ich verstanden, dass ich von Derek keine Informationen erhalten werde. Gut, dann werde ich eben so lange an ihrer Wohnung auf sie warten, bis ich sie sehe. Irgendwann wird sie doch in ihre Wohnung gehen.

Es ist 19:36 Uhr. Seit heute Mittag stehe ich in der Bahnhofstraße und warte auf sie. Immer noch sind alle Rollläden unten und noch immer ist sie nicht gekommen. Heute habe ich noch nichts gegessen, weshalb ich beschließe, in Marcos Bar zu gehen, um dort eine Kleinigkeit zu mir zu nehmen. In Marcos Bar bin ich ihr vielleicht immer noch näher als sonst irgendwo. Und wer weiß, ob ich sie dort sehen werde?

Kaum habe ich Marcos Bar betreten, treffen mich einige böse Blicke. Habe ich was Falsches getan? Unsicher gehe ich weiter und suche mir einen Tisch. Auch hier gibt es keine Spur von Lea.

„Was möchten Sie?“, fragt mich Marco in einem sehr schroffen Ton.

„Die Snackkarte bitte“, sage ich und wage kaum zu sprechen. Er knallt mir die Karte auf den Tisch und schaut mich weiterhin sehr böse an.

„Entschuldigen Sie, aber ist irgendetwas nicht in Ordnung?“, frage ich.

„Sie haben versucht, mich zu verarschen, Mister. Hier haben Sie Ihr Foto wieder, das möchte niemand haben und die Frau, für die es bestimmt war, die möchte von Ihnen sowieso nichts mehr wissen.“

Mein Herz bleibt fast stehen. Ich kann das einfach nicht glauben.

„Haben Sie sie gesehen?“

„Oh ja, und sie hat mir alles erzählt. Sie können froh sein, dass ich heute einen guten Tag habe. Niemand bricht Lea Aurelius einfach so das Herz, verstanden?“

„Wo ist sie? Hören Sie, das ist ein Missverständnis.“

„Lea Aurelius ist für sie gestorben.“

„Aber bitte sagen Sie mir, wo sie ist, ich werde …“

„Lea ist weg. Schlagen Sie sich Lea ein für alle Mal aus dem Kopf, denn für die nächste lange Zeit wird sie nicht mehr hierherkommen.“

„Nicht mehr in diese Bar?“

„Nicht mehr in diese Gegend. Nicht mehr in dieses Land. Und das alles wegen Ihnen.“

„Nicht mehr in dieses Land?“, frage ich ungläubig. Doch Marco antwortet mir nicht mehr. Stattdessen kehrt er mir den Rücken zu und lässt mich mit der Speisekarte alleine. Den Appetit hat es mir augenblicklich verschlagen und ich möchte nur noch weg von hier.

Die letzten Nächte habe ich in einer Pension verbracht, denn Sarah wollte ich keinesfalls mehr begegnen. Mein Handy hatte ich tagsüber immer ausgeschaltet, um nichts von Sarah hören zu müssen. Abends jedoch habe ich es angemacht, in der Hoffnung, dass Lea mir eine Nachricht zukommen hat lassen. Allerdings war das nie der Fall, stattdessen musste ich etliche Nachrichten von Sarah lesen, in denen sie mir mitteilte, welche Sorgen sie sich machen würde und wie sie mich lieben und vermissen würde. Wäre nicht noch ein Funken Hoffnung in mir, dass Lea sich melden könnte, dann hätte ich das Handy schon längst in alle Einzelteile auseinandergebaut und hätte Sarah die Überreste in einem Umschlag zukommen lassen. Zwischenzeitlich meldete sich sogar Katner und fragte, wie es mir gehe und wann ich wieder einsatzfähig sei. Ich habe ihm lediglich gesagt, dass alles noch viel schlimmer ist und dass ich nicht weiß, wann ich wiederkommen werde.

Endlich ist das Wochenende da und ich habe die Tage und Nächte, in denen ich in der Pension eingeschlossen war, überstanden. Sofort mache ich mich an den Umzug und vergeude keine Sekunde. Im Transporter sind noch all meine Sachen, was heißt, dass ich nicht mehr nach Hause fahren muss, zu Sarah. Außer ein paar Kleidern und einigen Kleinigkeiten habe ich alles, was ich brauche. Eine Couch, ein Bett und einen Schrank. Mehr brauche ich momentan nicht, wobei mir das Wichtigste fehlt – Lea.

Nach dem Umzug nächste Woche werde ich wieder ins Büro gehen und mich mit Terminen ablenken. Außerdem werde ich dann erfahren, was mit der Wohnung wird, in die Lea erst kürzlich eingezogen ist. Ob sie die Wohnung schon gekündigt hat?

„Oh, guten Morgen, Noah. Ein ganz fremdes Gesicht.“

„Guten Morgen Katner. So fremd ist es auch wieder nicht. Immerhin waren es nur ein paar Tage, an denen ich gefehlt habe.

„Geht es dir besser?“, fragt mich Katner.

„Es geht mir den Umständen entsprechend, aber es muss ja weitergehen. Katner, hast du etwas von Lea Aurelius gehört?“

„Nein, wieso sollte ich?“

„Hat sie nichts wegen der Wohnung gesagt? Sie ist ausgezogen.“

„Sie ist was? Und das erfahre ich erst jetzt? Sie kann doch nicht einfach …“

„Ich sehe nach dem Rechten.“

„Ja, das ist wohl besser so. Immerhin kommt das alles von deiner Baustelle.“

Wie habe ich Katners Aussetzer und Wutausbrüche vermisst. Er ist immer in Rage, und wenn es etwas gibt, was ihn nicht stört, dann, im ‚Little Ben‘ eine Flasche Bier in der Hand zu halten.

Frau Krause in der Buchhaltung hat bisher keine Kündigung erhalten, deshalb beschließe ich, mit einem Zweitschlüssel in die Wohnung zu gehen. Als ich aufschließe, beginnen meine Hände zu zittern. Ganz nervös und vorsichtig mache ich die Türe weiter auf, bis ich hineingehen kann. Alles ist noch dunkel, da immer noch die Rollläden unten sind. Ich mache das Licht an und sehe eine karge Wohnungseinrichtung vor mir. Eine Couch ist noch da und ein paar Kartons sind aufeinandergestapelt. Die restlichen Räume sind leer, fast so, als wären sie kaum benutzt worden. Es wundert mich nicht, sie war ja nicht lange hier drin. Mein Herz schmerzt bei dem Gedanken, dass sie mir immer so nah war, und wenn ich in ihrer Wohnung herumgehe, meine ich, ihren Duft ein wenig wahrzunehmen. Unweigerlich steigen Tränen in mir auf und ich muss mich für einen Moment auf die Couch setzen. Meine Tränen kann ich nicht zurückhalten und lasse ihnen freien Lauf. Wieso hat das Schicksal so gespielt? Das Leben ist nicht fair. Als ich meine Blicke auf der Couch umherschweifen lasse, um mir vorzustellen, wie sie auf ihr lag, sehe ich einen Zettel, der seitlich in die Couch hineingeklemmt ist. Mein Herz pocht wieder schneller, als ich ihn auseinanderfalte. Denn egal, was sie geschrieben hat, wenigstens ein Zeichen von ihr, mehr möchte ich im Moment nicht.

„Sehr geehrte Company Katner,

ich möchte mich für meinen schnellen Aufbruch entschuldigen. Bitte sehen Sie dies als meine Kündigung an. Die nächsten drei Monate werde ich natürlich bezahlen – wenn auch in Raten. Leider konnte ich nicht alle Möbel mitnehmen, aber vielleicht finden Sie eine Verwendung für sie.

Mit freundlichen Grüßen, Lea Aurelius.“

Sie ist einfach weg und ich habe nicht die geringste Ahnung, wo sie sein könnte. Wieso konnte sie nicht warten, bis ich ihr alles erklärt habe? Mein Herz ist sehr schwer, aber ich kann dich nicht mehr suchen. Die Personen, die mir weiterhelfen könnten, werden es nicht tun. Für sie bin ich ein gnadenloser Herzensbrecher, deshalb kann ich ihnen nicht mehr unter die Augen treten. Meine Lea – wo auch immer du bist, mit meinem blutenden Herzen wünsche ich dir ein glückliches Leben mit einem Mann, der dich nicht suchen muss, und dich glücklich macht.

Mit der Kündigung in der Hand schließe ich die Türe hinter mir wieder zu. Mein Körper bebt, mein Verstand scheint zu schwinden und meine Traurigkeit überwältigt mich. Auf dem Weg zurück ins Büro schaffe ich es nicht, die Tränen, die aus meiner tiefen Verletzung hervorströmen, zu halten. Dabei habe ich nicht bemerkt, wie mir einige Tränen auf den Zettel mit der Kündigung gefallen sind. Die Tinte ist überall verschmiert und man kann nur noch bruchstückhaft die Zeilen erkennen, die sie geschrieben hat. Im Büro angekommen, lege ich die verschmierte Kündigung auf Katners Schreibtisch. „Was ist das?“, fragt er.

„Es ist ihre Kündigung. Sie bezahlt die nächsten drei Monate, vielleicht auch in Raten. Ein paar Möbelstücke sind noch drin, aber wir können sofort inserieren und jemand anderen reinlassen.“

„Das soll eine Kündigung sein? Das sieht aus wie das letzte Hemd aus der Kanalisation.“

„Ja, der Regen. Aber ich habe den Zettel gelesen, als die Schrift noch ordentlich zu erkennen war.“

„Aha“, entgegnet mir Katner und sieht mir dabei in die Augen. Er ahnt, was mit dem Zettel geschehen ist, denn als er ein Blick nach draußen wirft und keine einzige Wolke am Himmel erkennen kann, schaut er mich an und sagt kein Wort, was für ihn sehr ungewöhnlich ist.

„Ist gut, ich nehme dieses Exemplar als Beleg für ihre Kündigung“, sagt Katner, und ich verlasse den Raum.

Wieder einmal seit langer Zeit sitze ich in der Geschäftskantine. Heute gibt es eine Spargelcremesuppe und als Hauptmenü Rigatoni mit Käse überbacken. Das hört sich gut an und ich bestelle dieses Menü, obwohl ich überhaupt keinen Hunger verspüre, aber ich muss versuchen weiterzuleben, am besten, indem ich mich dazu zwinge, zu funktionieren. Irgendwann werden bestimmt alle Gefühle erloschen sein. Wieder sitze ich an dem Platz in der Kantine, von dem aus ich das Gemälde von „Monet“ mit der Abendstimmung aus Venedig betrachten kann. Dieses Mal und stärker denn je verspüre ich wieder diese Sehnsucht, wenn ich das Bild anschaue. Wieder möchte ich einfach nur weg und verschwinden, so wie vor einigen Monaten, bevor ich Lea gesehen habe. Ich bin zwar erst in die neue Wohnung eingezogen, aber na und? Ich habe genug finanzielle Rücklagen, keine Kinder, meine Ehe ist vorbei und die Frau meiner Träume ist auch weg. Ich möchte weg – nach Venedig.