12

 

 

»Ich muß eine Liste erstellen«, äußerte Mevancy nal Chardaz. Sie sprach im Brustton der Autorität. Wir saßen in einem Raum im Obergeschoß von Lulli Quincys Logierhaus. Auf dem Tisch vor uns befanden sich die Überreste des ersten Frühstücks, die Strahlen der Sonnen stachen schräg durch die quadratischen Fenster, und Mevancy gab sich überaus geschäftsmäßig.

Ich mußte an eine Verszeile aus einer Operette von Gilbert und Sullivan denken, in der von einer ›kleinen Liste‹ die Rede war.

»Ich meine es ernst, Kohlkopf. Ich habe dir noch nicht verziehen, daß du ...«

Offenbar hatte einer meiner Mundwinkel gezuckt, so daß sie sich einbildete, ich habe gelächelt. »Ich stimme dir zu, daß die Sache ernst ist«, entgegnete ich und versuchte mit Nachdruck zu sprechen. »Kannst du dich denn an alle erinnern?«

»Natürlich, du Fambly.«

»Vergiß nicht, daß ich flach auf dem Rücken lag und mich nicht rühren konnte.«

»Ach, ich erinnere mich ganz deutlich, wie ich dich ins Freie gezerrt habe.«

Ich wollte schon mit den Dingen dagegenhalten, die ich getan hatte, hielt mich aber zurück. Ein galanter vallianischer Koter hatte es nicht nötig, das Gedächtnis einer Dame auf diese Weise aufzufrischen. Statt dessen sagte ich: »Ich habe ein kleines Schmuckstück aus Gold oder Messing aufgelesen, nach dem der arme Rafael greifen wollte ...«

»Ach! Also, wo ist es?«

»Die Drikinger haben es.«

Sie fluchte auf ihre damenhafte Weise, nahm sich dann aber zusammen. »Das heißt, das Ding könnte bei den Sachen sein, die Leotes von seinem Überfall auf das Banditenlager mitbrachte. Du weißt schon, als wir das Rapier erbeuteten, das du wie ein Onker mit dir herumschleppst.«

»Was findest du denn so verdammt wichtig an dem Stück?«

Sie runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht. Und das ist die Wahrheit. Aber San Tuong Mishuro war sehr bekümmert, es verloren zu haben. Er fing immer wieder davon an.«

»Hm. Na, dann steht er also auf der Liste.«

Sie schrieb den Namen an das Kopfende des Papiers. »Und Dame Floria.«

»Die Lynxora Floria Inglewong, ja. Und Lynxor Nanji na Fuokane.«

»Nanji Tawang«, sagte sie und zog eine Grimasse. »Ja, vermutlich hast du recht. Er muß auch auf die Liste.«

»Erwähnt wurden ein Lynxor und eine Lynxora Shalang.«

»Ach, die dicke Thyllis. Die sind in Larishsmot geblieben.«

»Das wäre also alles ...?«

»Nein. Wenn du für die Everoinye arbeiten willst, mußt du dich klüger anstellen, Drajak. Anwesend waren auch die Bediensteten und Sklaven. Außerdem Olipen, ein Kaufmann aus Guishsmot, ein frischvermähltes junges Paar, Listi und Larrigen Parfang aus Makilorn, Margon der Ron, ein Zhan-Paktun, und Frau Telsi, eine Dame unbestimmten Berufes. Sie alle reisten mit der Karawane.«

»Und wurden alle gerettet?«

»Natürlich.«

»Nun«, sagte ich ein wenig mürrisch, »dann ist das ja keine kleine Liste mehr, oder?«

Mevancy klopfte auf das Papier. »Eine dieser Personen muß beschützt werden ...«

»Meiner Meinung nach handelt es sich um San Tuong Mishuro«, legte ich mich fest. »Er ist typisch für die Art Person, um die die Herren der Sterne sich kümmern.«

»Deine Ansicht wird Berücksichtigung finden, wenn ich meine Entscheidung treffe«, sagte sie ernst. Ich lachte nicht laut auf.

Ich beschäftigte mich mit der irdenen Schale, die die Palines enthielt. Sie wenigstens war wirklich in dieser Situation, die für mich immer unwirklichere Züge annahm.

Aber ich ruhte in der Wirklichkeit. Ich wußte, daß die Herren der Sterne mich gnadenlos zur Erde zurückschicken würden, wenn ich hier und jetzt versagte.

Vielleicht ... vielleicht aber auch nicht – zumindest wenn ich meine jüngsten Berührungen mit den hohen Wesen berücksichtigte ...

»Ja«, sagte sie, »ich finde eher, daß Margon der Ron, unser Zhan-Paktun, gut passen würde.«

Behutsam fragte ich: »Hast du große Erfahrungen mit Söldnern?«

»Ich weiß, eine Person, die die goldene Pakzhan um den Hals trägt, ist ein großartiger Kämpfer und als Krieger berühmt.«

»Nun ja, auf manche trifft das zu.«

»Ach du!« entfuhr es ihr. »Was meinst du damit – außer den Widerspenstigen zu spielen?«

»Du meinst, ich sei eifersüchtig auf sie? Nein!« Ich spürte, wie sich meine Lippen spannten. »O nein!«

»Also, wir stellen jedenfalls fest, wo er wohnt, und schauen uns an, was es zu sehen gibt.«

»Als Anführerin der Expedition«, sagte ich, »könntest du deine Befehle nicht klarer formulieren. Geh voran, meine Dame!«

Im Vergleich zu anderen mir bekannten Städten – beispielsweise Ruathytu oder Vondium oder Zenicce – war das große Makilorn im Grunde klein. Wahrscheinlich hatte es nicht mehr als hunderttausend Einwohner. Die Stadt erstreckte sich an beiden Ufern des Flusses und bot so manche architektonische Überraschung. Viele Gebäude erinnerten mich an das Grabmal von Dschingis-Khan – Kuppeln, auffällige Dacherker, sechs oder acht Außenwände, feierlich wirkend. Dabei handelte es sich nicht um Grabmäler, sondern um die von Leben erfüllten Häuser einer geschäftigen Bevölkerung. Die Gräber befanden sich draußen im Ödland, die hier kaum noch Wüste genannt werden konnte. Das Land stieg steil an, und nach Sitten, die aus der Zeit stammten, da die Menschen ihre Höhlen noch nicht verlassen hatten, wurden die Toten in Mausoleen und Gräbern begraben, die aus dem Felsgestein herausgehauen worden waren. Als ich die Stadt der Toten im Ödland besuchte, fühlte ich mich nicht an die majestätischen Gräber von Ägypten erinnert; eher mußte ich an die geheimnisvolle Stadt Petra denken und die Reichtümer, die dort zu entdecken waren. Schließlich hielt sich Jean Louis Burckhardt, der mit Recht als der erste Europäer seit den Kreuzzügen bezeichnet wurde, der das legendäre Petra sah, lediglich einen Tag lang dort auf und opferte Harun eine Ziege. Etwas von diesem Glanz sah ich auch in Makilorn. O ja, in dem verschwommenen rosaroten Mondlicht Kregens ließ sich dieser Ort wahrlich mit der ›rosaroten Stadt, halb so alt wie die Zeit‹ verwechseln.

Denn infolge der Ereignisse um die Efeu-Stadt war Makilorn noch relativ jung.

Mevancy verlor keine Zeit. Forsch und umsichtig machte sie sich an ihre Arbeit für die Herren der Sterne.

Notgedrungen marschierte ich hinter ihr her.

Zugleich kam ich mir schon damals gemein vor, weil ich mich doch insgeheim über das arme Mädchen lustig machte. Sie brachte natürliche Talente für ihre Aufgaben mit. Die Dinge mußten getan werden, also erledigte sie sie nach bestem Vermögen.

Es gab in Makilorn nicht viele Blumen. Jeder Quadratzoll des Landes wurde vordringlich für die Ernährung benutzt – entweder als Weideland oder für die Landwirtschaft. Einige der größeren Anwesen zierten sich mit vereinzelten irdenen Wannen, in denen in nachlässig eingeschütteter Erde Blumen gediehen. Natürlich waren Palines die gebräuchlichsten Topfpflanzen.

Einige Tempel hatten ungeheure Ausmaße. Tsung-Tan, die allgemein anerkannte Gottheit dieses Landes, war gut versorgt. Ich sah Prozessionen, die sich durch die Straßen schlängelten, und mußte an zu Hause denken, wo sich Züge über die Alleen und Boulevards neben den Kanälen bewegten und der inbrünstige Ruf nach OO-lie O-paz! OO-lie O-opaz in sonoren Wogen zum Himmel aufstieg und die Tauben zwischen den Türmen kreisen ließ. Hier machten sich die religiös Orientierten mit Gongs bemerkbar und läuteten Glocken und sangen im Namen Tsung-Tans – und doch lagen Welten zwischen den religiösen Praktiken. In Vallia sind Opaz und der Geist des Unsichtbaren Zwillings Gottheiten, die als wohltätiger Oberherr der Menschheit verehrt werden – mit allerlei sich fortpflanzenden Konsequenzen in der Interpretation und im Leben der Gläubigen. Hier in Tsungfaril, in Makilorn, wurde Tsung-Tan als der große Versorger gefeiert, der dem einzelnen seinen Platz im Paradies des Gilium freihielt. Die Menschen gingen nicht so weit zu behaupten, das Leben auf Kregen sei mit dem Leben in der Hölle gleichzusetzen – jedenfalls die meisten nicht. Es gab eine große, individualistische Sekte, die diesen Anspruch erhob. Unter Gläubigen gab es kaum Reibungen; alle waren sich einig, das einzige Ziel im Leben sei es, in den Himmel befördert zu werden, an den Ort, den Tsung-Tan jedem einzelnen im Gilium reserviert hatte.

Dies führte zu einem Mangel an Interesse für das Hier und Jetzt, für die Befriedigung unmittelbarer Bedürfnisse.

Mevancy und ich hatten den Eindruck, als stünden die Tsungfariler im Bann einer Gleichgültigkeit, die sich in jeden Aspekt des Lebens spiegelte.

Ausländer eilten herum und erledigten allerlei Dinge, als Angestellte oder auf eigene Rechnung. Ich hatte Mevancy auf das Thema Paol-ur-bliem angesprochen, wohl wissend, daß ich mich auf schwankenden Grund begab, wenn ich wieder von Leotes anfing. Dennoch hatte er sehr munter gewirkt, obwohl er Tsungfariler gewesen war. Sie hatte mich allerdings abgewiesen. »Es wird kommen der Tag, an dem ich dir alles erzähle, Kohlkopf«, sagte sie.

Einige der Ausländer in der Stadt stammten aus Walfarg. Walfarg hatte einst über ganz Loh und Pandahem geherrscht, weite Ländereien östlich von Turismond. Dieses prächtige, riesige Lohische Reich war heute verschwunden. Hier und dort gab es kleine Überreste von Kultur und Lebensgewohnheiten. Tsungfaril selbst wies einige Hinweise auf. Die religiösen Überzeugungen und die Isolation des Volkes führten aber zu einer ganz eigenen Kultur. Ich sah Frauen mit Gesichtsschleiern unterschiedlicher Muster und Farben herumgehen, Frauen aus anderen Teilen Lohs. In der Stadt gab es eine Enklave von Häusern im walfargschen Stil, mit versteckten ummauerten Gärten, in denen sich die verschleierten Frauen ausruhen konnten.

Ich fand den Gedanken komisch, daß Mevancy vielleicht einen Schleier tragen müßte.

Der alte Lorn-Weg setzte sich in westlicher Richtung fort, und es gab im Süden der Stadt einen ordentlichen Fährendienst. Das Gebiet, das in einer normalen Stadt Drinnik der Reisenden genannt wurde, war hier nur widerstrebend zur Verfügung gestellt worden – wie die Erde in den Blumentöpfen. Wenn man aus einem Stück Boden keine Nahrung gewinnen konnte, war er wertlos; nach Möglichkeit nutzte man die Flächen praktisch. O nein, die Makilorner wußten, wozu solche Einrichtungen nötig waren, aber sie forderten von jedem, der den Fluß der Treibenden Blätter überqueren wollte, einen hohen Preis. Irgendwie konnte man sie verstehen. Mevancy allerdings begriff das alles nicht und ließ sich mit der Besatzung der Fähre auf einen hitzigen Wortwechsel ein.

Ich begab mich zu ihr, lehnte mich auf die Mauer und schaute über den Fluß.

»Unerhört!« ließ sich Mevancy vernehmen. »Zwei Leute, ohne Gepäck, die heute nachmittag zurückkehren wollen, eine garantierte Doppelpassage! Und ihr wollt mir dafür einen Ming abknöpfen! Seid ihr verrückt? Ein ganzes Goldstück?«

»Du kannst ja schwimmen, meine Dame.«

Der Fährmann trug einen schiefen Turban aus grauem Stoff; er war kein Sklave. Die Sklaven standen an den Tauen, mit denen die Fähre über den Fluß gezerrt wurde. Dabei handelte es sich um flache Nachen. Wollte ein Schiff quer zur Fährstrecke den Fluß hinauf- oder hinabfahren, wurden die Taue gelockert und sanken auf den Flußboden. Er herrschte ein ziemlich lebhafter Verkehr, und nicht wenige kleinere Boote schienen mit prallen Segeln um die Wette zu fahren.

Mevancy biß sich auf die Lippen und deutete auf das Wasser. »Schwimmen? Mit denen da?«

Die schwarzen Doppelflossen, die hier und dort aus dem Fluß ragten, wirkten nicht gerade einladend. Es waren nicht viele; aber einer dieser Raubfische reichte mit seinen Zähnen aus, um so ein Schwimmunternehmen zu etwas Endgültigem zu machen.

Meine Erinnerungen kehrten zum Fluß des Blutigen Bisses zurück. Ich unterdrückte die aufkommenden Gedanken an Seg und Milsi und meine Abenteuer am Kazzchun-Fluß. Mevancy fauchte: »Und wieviel für eine einzige Person, du hartherziger Drikinger?«

Der Mann blieb völlig ungerührt. Sein faltiges braunes Gesicht, aus dem Klugheit sprach, wandte sich dem Mädchen zu. Abschätzend musterte er Mevancy. »Du brauchst mich nicht zu beschimpfen, meine Dame, denn ich bin Aron der Fährmann, Sohn Arons des Fährmanns, und mein Glaube an Tsung-Tan ist unerschütterlich.« Dann schlug er zu wie ein Risslaca: »Fünfundvierzig Silber-Khans.«

Ich fürchtete schon, Mevancy werde einen Herzschlag erleiden. Ihr Gesicht lief rot an. Sie schüttelte vor der geldgierigen Nase Arons des Fährmannes die Faust. Sie brachte vor Erregung kaum noch ein klares Wort heraus. »Ein Gold-Ming enthält nur sechzig Silber-Khans!« keuchte sie schließlich. »Du bist ein ...« Heftig japsend atmete sie ein und schwenkte die Arme. Dann fuhr sie herum und starrte mich zornig an, der ich gelassen auf der Mauer lehnte.

»Und du brauchst da nicht so selbstgefällig herumzustehen, Kohlkopf!«

Ich war so vernünftig, den Mund zu halten.

Die letzten Karren und Tiere und Passagiere für die bevorstehende Überfahrt der Fähre drängten sich nur etwa einen Fuß über dem Wasser auf dem flachen Deck. Aron der Fährmann reckte sich und zupfte sich die braune Robe zurecht. In seinem Gürtel steckte ein unangenehm aussehender Krummdolch, der mich an einen havilfarischen Kalider denken ließ. So eine Waffe konnte mit einem Stich tückische Wirkung entfalten.

»Du mußt dich entscheiden. Wir legen jetzt ab.«

Das tonlose häßliche Knallen einer Peitsche fuhr durch die heiße Luft. Die Sklaven ächzten, stellten sich in Position und griffen nach den Tauen.

Ich mußte meine Gefühle im Zaum halten. Hier und jetzt vermochte ich nichts gegen die verabscheuungswürdige Einrichtung der Sklaverei zu unternehmen. Doch eines Tages, wenn Opaz wollte, würden meine Freunde und ich dafür sorgen, daß überall in Paz nur freie Menschen lebten.

»Ach, bei Spurl! Na schön! Du Räuber.« Mit diesen Worten schleuderte Ming Aron förmlich einen Gold-Ming zu und schob sich heftig an ihm vorbei. Ich folgte ihr.

Im Vorbeigehen fragte ich Aron: »Für die Rückkehr kostet es noch einen Ming?«

»Und ob, Walfger.« Er sprach mich nicht als Edelmann an, ›Walfger‹ war die lohische Bezeichnung für ›Herr‹ und entsprach etwa dem havilfarischen ›Horter‹ und dem vallianischen ›Koter‹.

Ich war nicht so töricht, ihn zu bedrohen oder zu sagen, daß ich mich bei den anderen Passagieren nach den Preisen erkundigen würden, die sie bezahlten. Ich würde es einfach herausfinden.

Das Westufer unterschied sich ein wenig von der Ostseite, vor allem wohl weil es weniger Tempel und mehr Gewerbegebiete gab. Es gab natürlich das Labyrinth schmaler Straßen und Gassen, das sich in den meisten Städten findet; hier aber verdiente das Gewirr der Wohn- und Arbeitsstätten kaum den Namen Aracloins, die umfassende Bezeichnung für Siedlungen und Sukhs.

Wir fanden die Anschrift, ein großes Gasthaus, das beinahe ebenso stilvoll war wie Lulli Quincys Logierhaus. Noch beim Eintreten beschäftigte ich mich mit den neuen Erkenntnissen, die ich über Mevancys Charakter gewonnen hatte. Für unsere Unterkunft mußte sie so ziemlich den Spitzenpreis zahlen; dagegen hatte sie sich wegen eines einzelnen Gold-Mings für die Überfahrt aufgeregt. Wobei ich nicht daran zweifelte, daß Aron der Fährmann ein hilfloses Opfer gewittert und tüchtig zugeschlagen hatte.

Ich kannte die Leute auf unserer kleinen Liste – oder sollte ich sagen: Mevancys kleiner Liste? – aus meiner Zeit bei der Karawane. Mevancy hatte mir gesagt, daß sie und Rafael die meisten in einer Gruppe ins Freie geschafft hatten, auf einem Weg durch das Feuer, das sich zunächst vor allem in Form von Rauch geäußert hatte. Erst später hatten die Flammen um sich gegriffen.

Eine liederlich wirkende große Frau, die Cham kaute, berichtete uns, daß der riesige Paktun sich empfohlen habe und es nicht schade um ihn sei.

Ich gebe zu, daß mich diese Nachricht doch sehr zufriedenstellte.

Da ich nicht recht wußte, was Mevancy mit ihrem Besuch bezweckte, hatte ich eine unangenehme Szene erwartet. Ich meine, wollte das Mädchen Margon den Ron Tag und Nacht bewachen lassen? Sie stand neben mir und schaute zu, wie die dicken Wangen der Frau sich mit der Ladung Cham bewegten. Schließlich sagte sie leise: »Danke, Walfgera«, und verließ ruhig das Haus.

»Einen können wir durchstreichen«, sagte ich.

»Anzunehmen. Er ist fort. Wäre er unser Ziel gewesen, hätte man uns längst hinter ihm hergeschickt.«

»Ja.«

Ich wollte schon fragen: ›Na, und wen hältst du jetzt für unseren Kandidaten?‹, als sie mit energisch zuvorkam: »Die Parfangs. Listi und Larrigen. Die beiden sind frisch verheiratet und haben nicht viel Geld. Sie wohnen auf dieser Seite des Flusses.«

Mit der komischen Zurückhaltung, die mir allmählich zur Gewohnheit wurde, wenn ich die hochnäsige junge Dame auf etwas hinweisen wollte, das sie wohl übersehen hatte, sagte ich: »Die haben es bestimmt nicht gern, wenn sie ständig beobachtet werden.«

»Die Flitterwochen sind doch wohl vorbei.«

Zynisch war sie auch noch, unsere junge Dame!

»In deiner Heimat gehen wohl viele Ehen schief, wie?«

Sie schenkte mir keine Antwort, sondern marschierte mit gewohnt geschmeidigen Schritten auf die schmale Straße zu, in der das Liebespaar wohnte. Larrigen Parfangs Beruf paßte wohl zu seinem ruhigen Temperament. Er war Schreiber und organisierte das Beladen von Schiffen, die auf dem Fluß fuhren. Er war in Larishsmot gewesen, um die Eltern seiner Braut zu besuchen. Angesichts der Entfernungen, die hier im Spiel waren, schien sich eine romantische Geschichte abgespielt zu haben. Karawanenmeister forderten und erhielten hohe Preise für ihre Dienste, dazu mußten Ausrüstung und Tiere gekauft oder gemietet werden. Kein Wunder, daß die Frischvermählten sich einschränken mußten. Ob sie unsere Kandidaten waren? Die Antwort war: durchaus möglich! Vielleicht würden sie ein Kind bekommen, das irgendeinen Teil dieser Zivilisation zu verändern vermochte, das vielleicht die Vernichtung von Millionen auslöste oder das die Geschichte in eine neue Bahn lenkte.

Die beiden waren nicht zu Hause, und Mevancy biß sich auf die Unterlippe.

»Was jetzt, meine Dame?« fragte ich grausam.

»Ach du!« fauchte sie, aber ihrer Reaktion fehlte die Schärfe.

»Ich glaube, ich spaziere mal zum Hafen hinab. Vielleicht finde ich sie dort.«

»Schön.« Sie warf den Kopf in den Nacken. »Ich gehe los und ...«

Ich unterbrach sie. »Ich halte es für am besten, wenn wir zusammenbleiben.«

»Kohlkopf, ich hab' dir schon mal gesagt – das Denken erledige ich!«

Sie ließ sich nicht umstimmen. Vermutlich hätte ich nicht allein zum Flußufer gehen sollen; damals hatte ich nur das Gefühl, daß es vielleicht ganz nützlich sei, wenn ich ein wenig Zeit für mich hätte.

Makilorn war den Anblick von durchreisenden Fremden gewöhnt, so daß mir ein Großteil der Fremdenfeindlichkeit erspart blieb, die sich in vielen Gegenden der Erde findet, allerdings erheblich weniger auf Kregen. Die Sonnen von Scorpio spiegelten sich im Wasser. Weiter hinten herrschte an den Fisch-Schuppen ein lebhaftes Treiben. Ich wandte mich zurück, um am Ufer entlangzuschauen; von Mevancy war nichts zu sehen. Ich wanderte zu den Fischern und erreichte ohne großes Gefeilsche, daß Kang der Haken uns in seinem Boot für einen Silber-Khan übersetzen wollte.

»Die Fährleute sind gierige Stranks«, sagte er und deutete mit einem braunen Daumen auf die Doppelflossen, die durch das Wasser schnitten. »Es kommt vor, daß sie Leute, die nicht bezahlen wollen, über Bord stoßen.«

»Das Geld bringen die Karren, weißt du«, sagte ein Bursche mit dicken Koteletten, der förmlich verstrickt war in das Netz, das er flickte.

»Aye«, bestätigte Kang, »die Karren und Tiere.«

»Ich bin in etwa einer Bur zurück«, sagte ich und machte mich auf, um Mevancy zu suchen.

Die Uferzone vor den Schuppen der Fischerleute war mit behauenen Steinblöcken aufgemauert worden. So wichtig die Fischer für die Stadt auch waren, hatte man sie nun auf einem schlammigen Stück Ufer vor den Schuppen zusammengedrängt. Natürlich erleichterte das das Zuwasserlassen der Boote.

Ich war der Auffassung, die Herren der Sterne würden dafür sorgen, daß wir in der Nähe der Person waren, die wir schützen sollten, sobald diese Person in Schwierigkeiten geriet. So hielt ich es für völlig sinnlos, überall in der Stadt herumzulaufen. Aber wie sollte ich dies meiner Kommandeuse begreiflich machen?

Hinter dem befestigten Ufer erhoben sich die Lagerhäuser mit ihren hohen Backsteinmauern. Hier irgendwo verbrachte Larrigen Parfang seine Tage, indem er die Frachtlisten der Schiffe erstellte.

Inmitten der Leute, die hier ihren Geschäften nachgingen, hielt ich die Augen offen.

Vermutlich hatte Mevancy eingesehen, wie sinnlos ihr Vorhaben war, denn sie kam mir am Ufer mit energischen Schritten entgegen. Ich beobachtete sie und bewunderte zum wiederholten Mal den geschmeidigen Schwung ihrer Hüften. Dann brüllte ich los.

»Mevancy! Hinter dir!«

Sie fuhr sofort herum. Die drei häßlichen Burschen, die sich plötzlich aus einer entgegenkommenden Gruppe Lagerarbeiter lösten, hoben schweren Knüppel. Sie waren in Lumpen gekleidet, die Gesichter schmutzig. Sie sprangen auf Mevancy zu, die allein am Ufer stand.

Sie streckte die Arme gerade nach unten, dann hob sie sie um fünfundvierzig Grad. Ich sah die Nähte ihrer Ärmel aufplatzen. Der erste der drei Banditen torkelte kreischend zurück und zupfte an seinem zerstörten Gesicht. Überall sickerte Blut. Der zweite versuchte auszuweichen, doch auch sein Gesicht zeigte sich plötzlich blutig und entstellt. Seine Züge waren bedeckt von Gebilden, die wie Nadeln aussahen. Der dritte Angreifer erreichte Mevancy und prallte aus vollem Lauf gegen sie.

Sie versuchte dem verzweifelten Angriff auszuweichen.

Beinahe wäre es ihr gelungen. Der Kerl versuchte sie zu packen, und ich sah, wie sein Gesicht förmlich aufplatzte. Die Anstrengung kostete Mevancy aber das Gleichgewicht.

Der Unhold kreischte, fuhr sich mit den Händen im Gesicht herum und torkelte zusammengekrümmt im Kreis.

Ich beachtete ihn nicht.

Mevancy stolperte, torkelte, versuchte wieder ins Lot zu kommen. Vergeblich.

Lautlos stürzte sie ins Wasser. Sofort näherten sich zwei Flossenpaare.