7
Ich, Dray Prescot, Lord von Strombor und Krozair von Zy, war an jenem Abend, da ich die Beine über die Bordwand baumeln ließ und den Untergang der Zwillingssonne beobachtete, alles andere als glücklich.
Strom Hangol war brüllend und das blanke Rapier schwenkend hinter mir hergerannt. Ich hatte nicht gewartet. Rendi der Kiel, Kapitän des Bootes, hielt es ebenfalls für angebracht, nicht zu verweilen. Ich war also vor einem Feind ausgerissen. Nun ja, nicht zum erstenmal ergriff ich die Flucht und war – bei Vox! – ziemlich sicher, daß ich auch in Zukunft fliehen würde, wenn es mir richtig erschien. Ich bin nicht mehr der störrische, unbeugsame Dray Prescot, der unter die Sonnen von Scorpio verschlagen worden war.
Andererseits kann ich heute sturer und gewalttätiger sein als je zuvor. Im Verlauf der Jahresperioden hat sich allerdings die Richtung dieser Ausbrüche kanalisiert.
Der Fluß gurgelte unter mir, und ich versuchte mich mit meinem Schicksal abzufinden. Die Ufer wechselten in Höhe und Ausblick. Nach Osten hin erstreckte sich flaches Wüstenland. Die Bewässerungskanäle der Stadt bestimmten noch eine Zeitlang das Westufer, durchsetzt mit Gebäuden und kleinen Dörfern, die bald zurückbleiben würden. Der Fluß des Einsseins hatte vermutlich seine Quelle in einer großen Bergkette inmitten des Dschungels von Chem. Wenn er mich in den Westen des Südlohischen Meeres trug, konnte ich von dort nach Osten segeln und mein Königreich Djanduin besuchen. Dies schien mir eine besonders reizvolle Möglichkeit zu sein.
Die beiden Sonnen versanken in Strömen karmesinroten und jadegrünen, orangeroten und smaragdgrünen Lichts, das bis hin zu Gold und Umbrabraun wechselte. Luz und Walig rückten unter den Horizont, doch das Licht wich nicht vom Himmel, denn die Sterne begannen zu leuchten, und die beiden sich ewig umkreisenden zweiten Monde Kregens verbreiteten ihren verschwommenen rosaroten Schimmer. Mondblütenduft wehte vom Ostufer herüber. Der durchdringende Geruch das Flusses, durchdrungen von Geheimnissen aus den Zeiten, ehe der erste Mensch über diese Gewässer segelte, stieg rings um das Boot auf. Nun ja, es stimmte mich traurig, Mevancy zurückzulassen; aber ich würde mich dazu zwingen, mein Schicksal hinzunehmen und die Dinge voranzutreiben, die auf Kregen getan werden mußten.
Im abschließenden Zusammenstoß der Farben, als der letzte Sonnenstreifen verschwand und die Sterne blinkten und die Zwillinge über mir kreisten, nahm ich durch das Grün und Rot und Rosa einen vagen blauen Schimmer wahr, der sich zwischen mir und den Sternen ausbreitete.
Das Blau wurde stärker und umströmte mich und bildete die Riesengestalt des Phantom-Skorpions. Eine seltsame Kälte überkam mich. Ich schnappte nach Luft, als ich in die Höhe gehoben wurde, denn einen verrückten kreiselnden Augenblick lang sah ich das Flachboot über meinem Kopf segeln, dann wurde ich mit heftigem Ruck im Dreck abgesetzt.
Als ich den Staub ausgespuckt hatte, der mir in den Kehle saß, tastete ich als erstes nach meinem Schwert. Es hing noch an meiner Seite. Der blaue Schein verschwand, mit ihm der durchscheinende Skorpion. Ich richtete mich auf. Also, wo war ich nur?
»Beim widerlichen baumelnden linken Augapfel Makki-Grodnos!« sagte ich schweratmend. »Bei der fröhlichen Hölle, welches Spiel treiben die Everoinye mit mir?«
Denn ich saß im Dreck einer Dorfstraße, und der Umriß der Kirche oder des Tempels am Ufer machte mir klar, daß wir an dieser Silhouette vor nicht allzu langer Zeit vorbeigeglitten waren. Die Herren der Sterne wollten nicht, daß ich diesen Ort verließ.
Aber – was sollte ich nicht verlassen? Ich ächzte nicht, als ich mich auf die Füße stemmte; aber die harte Landung spürte ich in allen Knochen. Sollte ich bei der Karawane bleiben? Bei Mevancy? Hier in Ankharum? Vielleicht war einer der Angehörigen der Karawane das Objekt der Sorge der Herren der Sterne. Ich wußte es nicht.
Aber ich würde es herausfinden. Langsam begann ich den Rückmarsch.
Ich legte immer wieder Pausen ein, hielt sorgsam nach Gefahren Ausschau und beeilte mich nicht; so dauerte der Marsch durch schmale Gassen, über Bewässerungskanäle und durch Dörfer beinahe bis zum Sonnenaufgang. Schließlich kroch ich in unsere Unterkunft, fand eine bequeme Stelle auf einem Strohhaufen bei der Eingangstür und legte mich schlafen.
Etwas Hartes und Spitzes stieß mir in die Rippen. Ich rollte herum und sah, daß mich ein großer Zeh berührt hatte, dessen sorgfältig geschnittener Nagel rosafarben schimmerte.
Ich ließ den Blick hochwandern – vorbei an dem hübschen Zehennagel, an dem wohlgeformten Fuß, dem vollkommenen Fußgelenk und der prächtig geschwungenen Wade bis zum Rand eines violetten Handtuchs, das den Rest eines schönen Schenkels und der ausschwingenden Hüften verdeckte.
»Du verflixter Onker!« sagte sie. »Hangol, dieser Shint, hat sich wutschnaubend geschworen, dich beim ersten Wiedersehen sofort zu töten. Du hirnloser Nichtsnutz! Zum Teufel, weshalb, bist du zurückgekommen?«
Was mir in diesem Moment auffiel, war der seidige Schimmer ihrer Haut. Ich schaute in ihr Gesicht – das nicht von auffälliger Schönheit war, aber seine Kraft aus der Entschlossenheit und seelischen Festigkeit des Mädchens bezog – und bemerkte darin schwarze Gewitterwolken, die geeignet waren, ein ganzes Regiment Luftkavallerie in Flammen aufgehen und abstürzen zu lassen.
»Nun ja«, sagte ich, hielt inne und wiederholte: »Nun ja.« Dann schwieg ich.
»Nun ja?« fauchte sie und zog das violette Handtuch enger. Auf den Unterarmen wirkte die lieblich glatte Haut irgendwie anders, in der Körnigkeit spiegelte sich das Licht auf andere Weise.
Ich hatte keine Geschichte parat, um meine Rückkehr zu erklären, und im Augenblick wollte mir auch nichts einfallen. Sie bemerkte meinen Blick auf ihre nackten Arme und lief rot an – was sie plötzlich noch viel attraktiver machte.
»Ach du!« entfuhr es ihr. »Na gut, du Kohlkopf! Wir frühstücken gleich, dann muß ich Rikky Tardish besuchen. Vielleicht kann ich dich irgendwie aus der Klemme holen, du Get-Onker!«
Nachdem sie sich angezogen hatte, frühstückten wir im oben gelegenen Raum – und die Speisen konnten sich wirklich sehen lassen, besonders für einen armen Kerl wie ich, der die ganze Nacht fastend gewandert war. Sie hatte die Ärmel ihrer Tunika enger als sonst zusammengezogen, so daß von der körnigen Haut nur kleine ovale Stellen zu sehen waren. Wenn sie als Kind einen Unfall erlitten hatte – vielleicht mit kochendem Wasser –, sollte sie sich dessen nicht schämen. Irgendwie hatte ich den Eindruck, daß sie sich, wenn sie wirklich durch einen Unfall entstellt worden war, nicht beschämt sein, sondern eher ärgerlich und trotzig reagieren würde.
»Ist dir denn völlig egal, was aus dir wird, Kohlkopf?«
»Normalerweise nicht«, antwortete ich ruhig. Ich muß ehrlich sagen, ich freute mich, wieder an Gesprächen teilnehmen zu können, auch wenn ich normalerweise eher zuhöre als spreche. »Aber es gibt Dinge, die Vorrang haben. Im Augenblick ist Frühstücken das wichtigste. Danach werde ich mir überlegen, wie ich meinem Tod entgehen kann.«
»Ich habe mir das schon überlegt. Du mußt Hangol aus dem Weg gehen – schau dich doch an! Du bist kaum stark genug, dir eine Scheibe Brot abzuschneiden!«
Sie übertrieb – aber nicht viel, bei Krun!
Sie fuhr fort, und ihre Nasenflügel waren dabei in heftigster Bewegung: »Um die Hauptstadt zu erreichen, müssen wir den Farang Parang durchqueren. Wenn wir erst dort sind, können wir ...«
»Vielleicht sollten wir uns das erst überlegen, wenn wir wirklich dort sind.«
Sie funkelte mich an. Dann: »Du bist verdammt frech, Drajak. Aber wahrscheinlich hast du recht.«
»Wer ist dieser Rikky Tardish?«
»Ah!« Sie wurde sichtlich munterer und erinnerte mich plötzlich an ein kleines Mädchen, das einen Streich plante. »Er hält sich für einen raffinierten Burschen, wird aber von allen ausgenutzt. Er leitet eine reisende Artistentruppe.«
Ich wußte sofort, was sie im Schilde führte.
Ich ächzte nicht. Bisher hatte ich dem alten Klischee ausweichen können, wie es in so manchen Geschichten der Erde und Kregens zu finden ist – wie der Held oder die Heldin sich in einem Zirkus oder bei einer Schauspielertruppe versteckt. Am nächsten war ich diesem Umstand gekommen, als ich mich bei Rollo dem Kreis und seinen Künstlern aufhielt. Zirkusse liegen mir nicht. Aber in dieser Sache hatte sie recht: Ich mußte Hangol aus dem Weg gehen, zumindest in der nächsten Zeit.
»Du wirst ein grünes Gesicht und eine rote Nase bekommen, und deine Ohren werden riesig sein.«
Sie schnalzte bei dieser Vorstellung nicht gerade mit der Zunge, doch ihre Augen funkelten, und ihre Lippen kräuselten sich, und ich wußte, daß sie ihren Spaß an der Entwicklung hatte.
»Du bist ja schlimmer als eine Hexe aus Loh!« rief ich und versuchte nicht hitzig zu sprechen.
Natürlich meinte ich diese Bemerkung nicht wörtlich – natürlich nicht!
Ihr Gesicht umwölkte sich. »Gegenüber Rikky Tardish«, sagte sie ernst, »darfst du Hexen oder Zauberer von Walfarg nicht erwähnen.« Sie blies die Wangen auf und fügte hinzu: »Es gab eine Zeit, da stand er im Bann einer Hexe von Walfarg und tat Dinge, die er vergessen möchte, Dinge, die ihm noch heute Alpträume bescheren.«
Ich dachte an Kov Vodun Alloran, der ebenfalls im Einfluß einer Hexe gestanden und in Vallia großen Schaden angerichtet hatte, ehe Drak und Silda ihn retten konnten. Kov Vodun hatte die Stimme gegen Hamal erhoben, so wie Cato sein ›Ceterum censeo Cartharginem esse delendam‹ gesprochen hatte. Nun waren Vallia und Hamal Verbündete, und die Drohung war seit langem verstummt.
Diese Erinnerung an die große Welt, in der ich mich bewegte, war nicht entmutigend. Die Herren der Sterne hatten mich mit einem Auftrag hierhergebracht, der noch nicht ausgeführt war. In diesem endlosen, weiten Südloh waren die Menschen von der großen Welt abgeschnitten, das stimmt; aber sie hatten ihre eigene Art, die Dinge zu tun, sie hatten ihre Zivilisation und religiösen Überzeugungen. Sie waren nicht barbarisch. Was mich – abgesehen von meiner körperlichen Schwäche – hätte verstimmen können, war die Vorstellung, daß ich erst von hier fort konnte, wenn ich entdeckt hatte, was ich für die Everoinye erledigen sollte, und es dann erledigt hatte. So war ich, Dray Prescot, gewillt, noch ein Weilchen geduldig zu sein. Aber danach ...
»Wenn sich«, sagte ich bedeutsam, »dieser Rikky Tardish mit einer Hexe aus Loh eingelassen hat, einer Hexe aus Walfarg, wie ihr sie hier nennt, dann hat er verdient, was er durchmacht.«
Sie warf mir einen scharfen Blick zu. »Du redest beinahe, als hättest du selbst ...«
»O nein«, antwortete ich hastig. »So dumm bin ich nicht.«
Ich hatte keine Lust, Einzelheiten über meinen Kampf gegen Csitra preiszugeben, dieser Hexe aus Loh. Und bei Zair! Wie lange schien das doch alles zurückzuliegen!
»Nun ja«, sagte sie munter und warf sich eine Paline in den Mund, »dann wollen wir losziehen und grüne Farbe für dein Gesicht besorgen. Und große Ohren.« Geschäftig verließ sie den Frühstückstisch. Ächzend folgte ich ihr.
Wenn ein Mädchen seinem Opfer nicht mehr die Kissen aufschütteln kann, sucht es sich andere Wege, ihn teuflisch zu quälen. Ein grünes Gesicht! Und Ohren!
Nun ja, überlegte ich niedergeschlagen, während ich hinter Mevancy hermarschierte, immerhin konnte ich die rote Farbe meiner Nase als tröstend empfinden, bei Zim-Zair!
Rikky Tardish entsprach dem Bild, das Mevancy von ihm entworfen hatte. Ein lebhafter, intelligenter Mann, der sich selbst für einen Teufelskerl hielt, wie es in einem späteren Zeitalter heißen würde, wurde er in der kurzen Zeit, die Mevancy und ich mit ihm sprachen, dreimal übers Ohr gehauen. Einmal kam ein zerlumptes Subjekt, borgte sich Gold und verschwand pfeifend. Ein Mädchen sagte ihm, sie habe Kopfschmerzen, und durfte gehen, woraufhin sie später mit ihrem Liebhaber in einer heruntergekommenen Schänke gesehen wurde. Und einmal schwor ein Viehhändler, der Mytzer, den er anzubieten habe, sei bei bester Gesundheit; das Tier starb aber kurze Zeit später an fortgeschrittenen Koliken.
»Die ganze Zeit, Mevancy?« fragte Tardish.
»Die ganze Zeit«, antwortete Mevancy entschlossen, »bis du Makilorn erreichst.«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch Mevancy kam mir zuvor: »Halt deine dumme Weinschnute, Drajak! Die ganze Zeit! Dernun?«
»Aber ...«, würgte ich hervor. »Die Ohren? Doch nicht die Ohren!«
»Die Ohren, Kohlkopf!«
Ich stöhnte. Die entschlußfreudige junge Dame verurteilte mich dazu, Tag und Nacht mit einem grünen Gesicht, einer roten Nase und aufgesetzten künstlichen Ohren zuzubringen. Gar nicht zu reden von dem lächerlichen Kostüm, das ich dabei tragen mußte.
»Ich kenne Strom Hangol zwar erst seit kurzem – zum Glück«, sagte Rikky Tardish, »aber er scheint mir ein ... ein ...«
»All das und noch mehr«, warf Mevancy ein. »Und nimm dich vor ihm in acht, er braucht keinen Vorwand, um seine Talente zur Schau zu stellen.«
»Ein grünes Gesicht!« stöhnte ich. »Mann!«
»Wie ich schon sagte, Kohlkopf: Ich fühle mich für dich nicht mehr verantwortlich. Wenn du weiter solche Fortschritte machst und deine rote Nase aus allem Ärger heraushältst, bis du Makilorn erreichst, müßtest du wieder bei Kräften sein. Ich wiederhole, ich möchte keine Entschädigung. Und jetzt ...«
»Du verläßt mich?«
»Richtig. Ich sage dir Remberee, Drajak. Ich fahre flußabwärts. Mein Flachboot wartet, ich will zur Mittstunde bereits unterwegs sein.«