Geld, Kredit und Banken
Wer in den Vereinigten Staaten bar bezahlt, ist generell suspekt. Um kreditwürdig zu sein, müssen Sie Schulden haben. Diese Behauptung mag Ihnen ob ihrer Absurdität etwas eigenwillig erscheinen, aber es ist wirklich so: Die für uns Europäer als die verläßlichst erscheinende Zahlungsform, das Bargeld, ist in Amerika das Stigma des Bankrotteurs, dem niemand mehr Kredit zu gewähren bereit ist.
Wundern Sie sich also nicht, wenn das keep smiling auf dem Gesicht des Empfangschefs in dem Augenblick einfriert, in dem er Sie nach Ihrer Zahlungsmodalität fragt und Sie unschuldig »cash« antworten. Und versuchen Sie erst gar nicht, ihm die beleidigende Absurdität seiner Forderung nach Vorausbeza hlung Ihres Zimmers klarzumachen – die Szene wäre ein geradezu klassisches Beispiel zweier verschiedener, unvereinbarer Auffassungen derselben Wirklichkeit, wie sie unzähligen menschlichen Konflikten zugrunde liegt. Was immer Sie sagen mögen, er wird auf Vorauszahlung bestehen, besonders, wenn Sie mit leichtem Gepäck reisen und keine Reservierung gemacht haben.
Doch zurück zu den Mysterien der amerikanischen Auffassung vom Geld. Wie gesagt, um respektabel zu sein, müssen Sie Schulden haben. Um aber die notwendigen Schulden zu machen, müssen Sie jeweils bereits Schulden haben – und da liegt der Hund begraben. Denn wie durchbricht man als Neuangekommener diesen Teufelskreis? Das ist ein Problem, das Ihnen in den verschiedensten Zusammenhängen unterlaufen kann; zum Beispiel auch mit Versicherungsgesellschaften, dem Telefon, dem Elektro- und Gaswerk, dem Vermieter oder Grundstücksmakler, kurz, überall dort, wo man Ihnen gegenüber zur Einschätzung Ihrer Zurechnungsfähigkeit, Kreditwürdigkeit, Solidität und dergleichen einen nachweisbaren Präzedenzfall Ihrerseits voraussetzt, den Sie aber deswegen nicht erbringen können, weil Sie bisher eben noch keinen Kredit in den USA aufnahmen oder benötigten, noch nicht chauffierten und sich daher als risikowürdiger Fahrer ausweisen können, Telefonrechnungen bisher weder bezahlten noch unbezahlt ließen und so weiter.
Diesem Teufel können Sie aber mit dem Beelzebub einer glorreichen amerikanischen Erfindung beikommen: der Kreditkarte. Der Besitz von Kreditkarten ist der stolze Nachweis, daß Sie dem Orden der bis über die Ohren verschuldeten Durchschnittsamerikaner angehören. Auf den Antragsformularen, die Sie vermutlich schon im Nachrichtenmagazin der Fluggesellschaft, in Hotels, Banken, Restaurants, Wechselstuben und Tankstellen fanden, wird der Erwerb dieser Karten als kinderleicht hingestellt – ist es aber schon längst nicht mehr. Besonders für den Ausländer, der weder Wohnsitz noch Bankkonto oder Einkommen in den USA hat, sind sie heute praktisch unerhältlich. Aber haben Sie erst einmal ein oder zwei dieser Plastikdinger, dann sind Sie zum Schuldenmachen nachgerade berechtigt. Die Art und Weise, wie dabei aus nichts etwas (Ihr Kredit) entsteht, ist einfach faszinierend – sozusagen ein Akt der Urzeugung. Kein Wunder, wenn sich der Kreditkartenschwindel jährlich auf Milliarden von Dollar beläuft. [8] Mir ist nur noch eine andere vergleichbare Absurdität bekannt:
In weit höherem Maße als in Europa erfordern die amerikanischen Gesetze die Beibringung eines kompletten Satzes von Fingerabdrücken für gewisse Ansuchen (wie berufliche Zulassungen, Konzessionen verschiedener Art, Waffenscheine und so weiter). Diese Fingerabdrücke läßt man sich bei der Polizei abnehmen. Die Einschaltung der Polizei soll offensichtlich verhindern, daß jemand (zum Beispiel ein Vorbestrafter) in betrügerischer Absicht die Fingerabdrücke einer anderen Person als die seinen einreicht. Um so verblüffender ist es daher, wenn der Polizist nach vollzogener Amtshandlung Sie keineswegs nach einem Identitätsausweis fragt, sondern das Eintragen der Personalien in das Formular seelenruhig Ihnen überläßt. Doch dies nur nebenbei. Zurück zum Geld.
Die Verwendung von Schecks anstelle von Bargeld hat in den USA astronomische Ausmaße erreicht, und das System ist so eingespielt, daß die Bank den von Ihnen heute irgendwo ausgestellten Scheck meist schon morgen gegen Ihr Konto verbucht – vorausgesetzt natürlich, daß er vom Empfänger sofort zum Inkasso eingereicht wurde und sich die Transaktion in geographischer Nähe Ihrer Bank abspielte. Fast alle Geschäfte (nicht aber Restaurants) nehmen ad hoc ausgestellte, persönliche Schecks an, vorausgesetzt, daß man in der betreffenden Gegend wohnt und sich durch Führerschein und zusätzlich irgendeine Kreditkarte ausweisen kann. Für den ausländischen Besucher sind diese Angaben natürlich zwecklos; er wird sich mit Bargeld oder den ohnedies viel sichereren, auf Dollar ausgestellten Reiseschecks Behelfen müssen. Euroschecks scheinen in den Staaten auf wenig Gegenliebe zu stoßen, da sie als Zahlungsmittel noch nicht genügend bekannt sein dürften.
Im Vergleich zu europäischen Banken (besonders im internationalen Geldverkehr) lassen die Dienstleistungen der amerikanischen Geldinstitute sehr zu wünschen übrig. Nur auf den bargeldlosen Verkehr und das gigantische Kreditsystem sind sie gut eingespielt, denn dies ist das Hauptanliegen ihrer Kunden. Es wäre aber ein Irrtum anzunehmen, daß die Amerikaner daher wahre Finanzexperten sein müssen. Daß dies nicht der Fall ist, bewies eine vor einigen Jahren von der American Express Company durchgeführte Befragung von 202 wahllos angesprochenen Kunden in großen Geschäftszentren von Atlanta, Massapequa, Chicago und Los Angeles. Es stellte sich heraus, daß nur ganz wenige der Befragten sich über die legale Basis (einschließlich ihrer eigenen Rechte) der Verwendung von Kreditkarten und dergleichen im klaren waren; die überwiegende Mehrzahl dieser Personen war außerstande, auch nur eine von zehn einfachen diesbezüglichen Fragen richtig zu beantworten.
Kreditkarten wie persönliche Schecks nähren die Illusion, selbst jederzeit nach Belieben Geld erzeugen zu können. Daraus erklärt sich wohl ihre ungeheure Beliebtheit (und vermutlich die ebenso ungeheure innere Verschuldung des Landes). Wie oft wird es Ihnen zustoßen, bei einer Kasse warten zu müssen, weil jemand vor Ihnen mit dem Ritual der Bezahlung mit Kreditkarte oder dem zeitraubenden Ausschreiben eines Schecks für $ 1,27 beschäftigt ist. Trösten Sie sich, denn noch größere Dinge bahnen sich an, nämlich die sogenannte schecklose Gesellschaft. Dies bedeutet keineswegs eine Rückkehr zum einfachen Bargeld. Es handelt sich vielmehr um eine Art Superkreditkarte, ein Plastikkärtchen, in das der Name der Bank und die Kontonummer einmagnetisiert sind. Überall wird es dann statt Registrierkassen elektronische »Kassen« geben, in die die Karte und der betreffende Betrag eingeführt werden, worauf das betreffende Konto automatisch um die Kaufsumme belastet beziehungsweise eine eventuelle Kontoüberziehung sofort gemeldet wird. Welche Möglichkeiten, sich fremder Konten zu bedienen, dann elektronisch begabten Betrügern offenstehen werden, läßt sich vorläufig auch nicht annähernd ausmalen.
Freilich ist es noch nicht soweit. Aber Ihr Konto ist auf keinen Fall Ihre Privatsache. Ein Bankgeheimnis im europäischen Sinne gibt es in den USA nicht. Nicht nur kann praktisch jede Behörde, oft ohne gerichtliche Verfügung, von Ihrer Bank Auskunft über Ihre Finanzen, Überweisungen, Hypotheken und so weiter erhalten, sondern selbst Privatpersonen (zum Beispiel Geschäftsleuten) wird angeblich bereitwillig Auskunft darüber erteilt, wieviel Geld Sie haben. Banken sind verpflichtet, jede Überweisung auf Mikrofilm aufzunehmen und jederzeit für behördliche Kontrollen verfügbar zu machen. Die von Ihnen ausgestellten Schecks gehen nach Inkasso einmal im Monat mit dem Kontoauszug an Sie, den Aussteller, zurück. Dies ist überaus praktisch, da es die Ausstellung von Bestätigungen unnötig macht; Ihr Scheck mit dem Inkassovermerk ist Ihre Zahlungsbestätigung.
In einer grundsätzlich puritanischen Gesellschaft, wie es die amerikanische auch heute noch ist, steht Reichtum bekanntlich für den sichtbaren Beweis des Wohlwollens Gottes. Geld, der Geldwert von Besitz, die Höhe des eigenen Einkommens und so weiter sind daher durchaus stubenreine Gesprächsthemen und äußerer Ausdruck von Rechtschaffenheit. Dies mag zum Teil den schlechten Eindruck erklären, den das Abheben größerer Bargeldbeträge hervorruft (Bargeld ist anonym!), und die geradezu obszöne Anrüchigkeit schweizerischer oder bahamenischer Nummernkonten, hinter denen die amerikanischen Finanz- und Steuerbehörden mit ingrimmiger, eines besseren Zweckes würdiger Hartnäckigkeit her sind.
Im Vergleich zu vielen europäischen Staaten ist die amerikanische Einkommenssteuer relativ niedrig. Dieser Vorteil wird allerdings durch zahlreiche Nebensteuern aufgehoben, wie zum Beispiel der state tax (der Einkommensteuer des Bundesstaates, in dem man seinen festen Wohnsitz hat), womöglich noch einer city tax, zum Beispiel in New York, und einer großen Zahl weiterer Steuern, von denen Ihnen als Besucher auf jeden Fall die in vielen Bundesstaaten bestehende sales tax (Verkaufssteuer) auffallen dürfte, die oft sogar auf Speisen in Restaurants erhoben wird. Alles ist also 5-7% teurer als angeschrieben, und außerdem ist der zu zahlende Betrag daher immer ungerade. Wie sehr Sie auch versuchen mögen, Ihre einzelnen Cents loszuwerden, Sie werden immer neue bekommen. Die einzige andere Verwendung dafür sind die Parkuhren in Kleinstädten, die Ihnen für einen Cent zwölf Minuten Parkzeit bewilligen.
Und nun noch eine letzte das Geld betreffende Anmerkung. So unglaublich es Ihnen scheinen mag, in Amerika läßt sich der Preis einer Ware herunterhandeln – und zwar nicht der irgendeiner Dutzendware in einem Kaufhaus oder im Delikatessenlädchen in der 72. Straße,sondern dort, wo Sie es am wenigsten erwarten würden: in den eleganten, teuren Geschäften. Falls Ihnen Talent und Freude am Handeln angeboren sind, ist Ihr Erfolg fast garantiert – besonders dann, wenn Sie Ihren ausländischen Akzent so geschickt zu verwenden verstehen, daß Sie einerseits als Nichtamerikaner sich sozusagen Narrenfreiheit verschaffen, andererseits aber das amerikanische Englisch doch genügend beherrschen. Und damit sind wir bei der Sprache angelangt; einem unerschöpflichen Thema, auf das hier nur einige dürftige Hinweise gegeben werden können.