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Ein berechenbarer Handel ist wie ein fader Eintopf; das Wagnis ist die Würze eines jeden Geschäfts.

Bedeutsamste Regel der Bitterreichen Händler

Bis in die frühen Abendstunden hinein wanderte Namakan mit seinem Meister die Narbe entlang. Anfangs passierten sie noch die Obsthaine und die abgeernteten Felder Brückheims, die Namakan daran erinnerten, wie nah der Winter doch schon war. Nach einer Weile wurden aus den Spalieren und Feldern Weiden, auf denen die Zahl der Schafe, Ziegen und Gänse stetig abnahm, je weiter sie sich von der Siedlung entfernten.

Schließlich, als die Sonne ihnen schon ihre Schatten ins Riesenhafte verzerrt den Weg vorausschickte, lag zu ihrer Linken nur noch Wald, in dessen Wipfeln der Wind Warnungen vor der unermesslichen Tiefe der Narbe zu wispern schien.

Die Schlucht zu ihrer Rechten schüchterte Namakan gehörig ein, und viele Male ging er so dicht am linken Wegesrand, dass das Unterholz des Waldes nach seinem Umhang griff. Dann musste er an Hände denken, die ihn packen und in den Abgrund schleudern wollten. Und an den armen Obristen, der von einem der großen Menschen von der Brücke geworfen worden war.

Er wagte es nicht, der Frage nachzugehen, ob die Narbe in ihrem Verlauf überall gleich tief war, denn das hätte bedeutet, regelmäßig an ihren Rand zu treten und hinabzuschauen.

Ich weiß, was dann geschehen würde. Sie würde zu mir wispern. Spring. Spring, und du bist bei ihr und deinen Geschwistern. Spring, und du musst kein Blut mehr sehen. Du musst nie mehr etwas sehen. Spring.

Was hingegen ohne jedes Risiko zu erkennen war, war die schwankende Breite der Narbe: Mal war die andere Seite nah genug, um die einzelnen Zapfen an den Tannen dort drüben zu erkennen, mal verschwammen die Bäume zu einer diesigen, grünen Wand. Niemals jedoch rückten die beiden Seiten nah genug zusammen, um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, mit einem Sprung über die Kluft hinwegzusetzen – das hätte sogar an der allerschmalsten Stelle nicht einmal ein Reiter auf einem der gewaltigen Menschenpferde geschafft.

In seinem Innern zog es Namakan längst zu einer anderen Düsternis hin, die ihn erschreckte: Er hatte vorhin auf der Brücke einen Mann getötet.

Er dachte an die vielen Geschichten, die Lodaja ihm und den anderen immer über die Heldentaten von Bilur Imir erzählt hatte. Davon, wie Bilur Imir den Schädel des Dämonenfürsten Ferlikan gespalten hatte. Wie Banilodur, der Anführer der Meuchlergilde von Goldfurt, von ihm mit bloßen Händen erwürgt worden war. Wie er den Sieben Blutroten Brüdern – finsteren Totenbeschwörern, deren verderbte Zauber einen ganzen Landstrich entvölkert hatten – ihr eigenes Gift aus zerkochten Leichen zu trinken gegeben hatte.

Die meisten Geschichten endeten damit, dass Bilur Imir lachend seine Siege feierte – in einer Taverne an der nächsten Reichsstraße, in der Zechhalle einer Zwergensippe, im Schlafgemach einer von ihm geretteten Edeldame.

Namakan hingegen war ganz und gar nicht nach Feiern zumute.

»Was bist du so schweigsam?«, fragte Dalarr ihn irgendwann, einen Mundwinkel mürrisch nach oben gezogen. »Hast du deine Zunge verschluckt?«

»Nein«, antwortete Namakan wahrheitsgemäß. »Ich muss nur dauernd an den Mann denken, dem ich die Hellebarde in den Kopf geschlagen habe.«

»Was ist damit?« Dalarr runzelte in leichtem Unglauben die Stirn. »Wäre es dir lieber, du hättest nicht eingegriffen und ich wäre jetzt an seiner Stelle tot? Sag es ruhig, wenn es so ist.«

»Was denkst du bloß von mir, Meister?«, fragte Namakan entsetzt.

»Im Augenblick denke ich, du weinst um verschüttete Milch und Kinder, die schon längst im Brunnen ersoffen sind. Spar dir die Tränen, du altes Klageweib. Sei kein Fifl.«

Namakan verstand zu wenig von Dalarrs alter Sprache, um zu wissen, was genau ein Fifl war, aber es klang nicht gerade schmeichelhaft. »Dieser Mann«, versuchte Namakan sich zu rechtfertigen, »er war der Erste, den ich …«

»Ach, du alter Spertill«, belegte ihn Dalarr mit einem weiteren rätselhaften Schimpfwort und winkte ab. »Das erste Mal tut immer weh, wenn man die Weiber fragt. Ich will dir sagen, wie es ist: Dieser Kerl hätte dich oder mich umgebracht, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Du hast ihn getötet, um etwas zu beschützen, das dir am Herzen liegt. Unter den Leuten, bei denen ich aufgewachsen bin, ist das eine Tat, auf die man stolz sein kann, und keine, wegen der man sich auch nur ein einziges Haar grau grämen muss.«

Das hörte sich alles richtig und nachvollziehbar an, aber dennoch reichte es nicht aus, um Namakans Unbehagen einfach fortzuwischen. »Ich bin vielleicht kein Held, Meister«, räumte er ein.

Dalarr seufzte. »Das verlange ich auch gar nicht von dir. Alles, was ich von dir verlange, ist, dass du auch beim nächsten Mal wieder zuschlägst, wenn sich jemand von hinten an mich heranschleichen will. Einverstanden?«

Namakan nickte. »Einverstanden.«

Dalarr war zufrieden. »Gut, und jetzt haben wir genug über alte Leichen geredet. Lass uns lieber über die nächste Möglichkeit sprechen, neue zu machen. Wir werden verfolgt.« Dalarr sagte dies in einem Plauderton, als wären sie ein Paar Höflinge in einem jener fernen Palastgärten, die in der Welt jenseits der Berge auf Namakan warteten. »Schon eine ganze Weile. Es können nicht viele sein, wahrscheinlich nur einer. Er stellt sich nicht sonderlich geschickt an.«

Namakan war entsetzt, achtete aber darauf, sein bisheriges Tempo beizubehalten, obwohl ihm jemand anscheinend unsichtbare Felsbrocken an die Füße gebunden hatte. »Woher weißt du das, Meister?«

»Wenn du dich umdrehen würdest – was du auf keinen Fall tun wirst, wenn dir etwas an der Unversehrtheit deiner Backen liegt –, würdest du sehen, dass nicht nur vor uns Vögel aus dem Dickicht auffliegen. Sie fliegen auch ein ganzes Stück hinter uns wieder auf, so als würden sie schon wieder von irgendetwas aufgeschreckt.« Dalarr lächelte. »Das heißt, dass wir es entweder mit den unruhigsten Vögeln diesseits der Narbe zu tun haben, oder …«

»Wir werden verfolgt«, brachte Namakan den Gedanken atemlos zu Ende.

»Und es spricht alles für einen einzelnen Verfolger oder zumindest eine sehr kleine Gruppe«, fuhr Dalarr fort, »weil sie sich entlang des Weges am Waldrand halten müssen, denn sonst würden wir sie zu schnell bemerken, sobald wir uns zufällig einmal umdrehen.« Er räusperte sich. »Schön, geben wir ihnen ein Schauspiel.«

Dalarr blieb unvermittelt stehen, packte Namakan an der Kapuze und schüttelte ihn. »Was? Schon wieder?«, rief er dabei laut, und einen kurzen Moment fürchtete Namakan, er könnte den Zorn seines Meisters wirklich geweckt haben. Dann bemerkte er das listige Funkeln in Dalarrs Augen. »Wie passt nur so viel Pisse in einen Bauch?« Er hob den Arm und fuchtelte wild damit in Richtung Unterholz. »Na, dann mach eben. Worauf wartest du? Dass ich dir den Hosenlatz aufknöpfe und den Gondull halte?« Er stemmte die Arme in die Hüften und fügte leiser einen Nachsatz hinzu, bei dem sich seine Lippen kaum bewegten. »Geh in den Wald, schleich dich zurück und stelle ihn.«

»Und dann?«, wisperte Namakan, dessen Gondull angesichts dieser Aufgabe derart zusammenschnurrte, dass er niemals hätte Wasser lassen können. Selbst dann, wenn das alles nicht nur eine Posse gewesen wäre.

Dalarrs Blick huschte zu dem Jagddolch an Namakans Gürtel. »Stell dich nicht dumm. Wenn es mehrere sind, zählst du sie und kommst wieder. Ist es nur einer, legst du ihn um. Du weißt doch jetzt, wie es geht.«

Namakan schlug sich ein kleines Stück den Hang hinauf, auf dem der Wald sanft anstieg.

»Aber nicht zu lange, hörst du?« Das Dickicht dämpfte Dalarrs Stimme mehr und mehr. »Oder düngst du gleich die Bäume mit? Wenn ja, dann sieh zu, dass du dir nicht die Hosen versaust.«

Namakan wandte sich nach links, in die Richtung, in der sich der mutmaßliche Verfolger befand. Er hatte drei oder vier Schritte auf dem weichen Waldboden gemacht, als sich sein Umhang an einem Ast verfing. Er streifte den Umhang ab und schlich weiter, den Blick zwischen Stämmen, Zweigen und Laub fest auf den Weg gerichtet.

Er fühlte ungefähr das, was er immer in sich gespürt hatte, wenn er früher mit seinem Meister auf die Jagd nach Murmeltieren oder Wildschafen gegangen war: eine gespannte Erwartung, die sein Herz schneller schlagen ließ und ihn zwang, sich bewusst darauf zu konzentrieren, seinen Atem ruhig zu halten.

O ihr Untrennbaren, steht mir bei!

Namakan huschte weiter durch den sonderbar stillen Wald. Da war kein Vogelzwitschern, kein sachtes Rascheln. Nur sein eigener Atem, das feine Knistern von trockenen Blättern unter seinen Sohlen – und natürlich, inzwischen wie aus weiter Ferne, Dalarrs ungehaltene Stimme.

»Muss ich dir etwa doch helfen?« Der Meister blieb in der Rolle, die er sich für dieses makabre Schmierenstück ausgesucht hatte. »Findest du was nicht? Schau eben genauer hin!«

Am Wegesrand entdeckte Namakan einen kleinen Felsen, an dem er vor gar nicht allzu langer Zeit aus der anderen Richtung kommend vorbeigegangen war. Er erinnerte sich nur aus einem einzigen Grund an ihn. Ich musste ihm ausweichen, näher an die Narbe.

Dann sah er die Gestalt, die sich hinter den Felsen geduckt hatte. Der Meister hatte recht; der Verfolger war allein. Noch dazu war es kein Unbekannter. Der Händler, dem Namakan in Brückheim begegnet war, bot ein sonderbares Bild: Mit der Kiepe auf dem Rücken und dem Bauchladen vor dem Wanst verschwand der Rest seines Körpers in dieser geduckten Haltung beinahe hinter lackiertem Holz und geflochtenen Weidenruten. Als hätten ein Schrank und ein Korb plötzlich Laufen gelernt …

Namakan näherte sich dem Felsen mit angehaltenem Atem, wählte jeden einzelnen Schritt langsam und mit Bedacht. Ich darf ihn nicht aufscheuchen, sonst … sonst was? Zweifel zupften zaghaft an seinem Denken. Er ist nur ein Händler, kein Mörder. Er hat nicht einmal eine Waffe. Aber warum geht er uns dann nach? Ich kann ihn doch nicht einfach abstechen.

Lautlos wie ein Schatten glitt Namakan aus dem Wald. Er stand so dicht hinter dem zusammengekauerten Händler, dass er seinen Schweiß und das abgescheuerte Leder der Kiepenriemen riechen konnte.

In einer Geschichte über Bilur Imir wäre der Ablauf der nächsten Augenblicke von raschem, entschlossenem Handeln bestimmt gewesen. Ein Sprung auf den überrumpelten Gegner, ein Packen seiner Haare, ein Zurückreißen seines Kopfes, damit die Kehle bloßlag. Und dann …

Namakan sah, wie sich die Muskeln im Nacken des Händlers anspannten. Verflucht! Er weiß, dass ich hier bin!

Es klirrte, rappelte und klapperte leise in seinem Bauchladen, als der Händler sich umständlich umdrehte. Er zuckte zusammen und plumpste auf den Hintern, als er Namakan bemerkte. Wäre die Kiepe nicht gewesen, wäre er vermutlich ganz umgekippt. Sein Blick haftete auf der Dolchspitze, und seine Augen weiteten sich vor Schreck, so weit es seine speckigen Wangen zuließen. »Ich … ich … ich …«

Schnell! Stoß zu!, flüsterte eine garstige Stimme in Namakan. Eine Stimme, erweckt von Zorn, Trauer und Erschütterung. Schnell, bevor er schreit!

»Ich … ich …« Der Händler zog die Oberschenkel an und stieß die Füße in die weiche Erde des Wegesrands, um so ein Stück von Namakan wegzurutschen. Das Unterfangen endete damit, dass die Kiepe gegen den Felsen stieß. Ein paar der geflochtenen Weidenruten knackten bedenklich. »Ich tu dir nichts. Steck doch den Zahnstocher weg, mein Junge! Kennst du mich denn nicht mehr? Ich bin’s. Wikowar aus Brückheim. Wir haben geredet.«

Namakan fiel auf, dass er die Finger so fest um den Griff des Dolchs geschlossen hatte, dass sich seine Nägel in den Handballen bohrten. »Warum verfolgst du uns? Warst du dabei? Hast du sie umgebracht?«

Wikowar leckte sich nervös die Lippen. »Was? Ich weiß nicht, was du mir sagen willst, Junge. Ich habe niemanden umgebracht. Und auch niemanden verfolgt. Es ist doch nicht verboten, den gleichen Weg zu gehen wie jemand anders, oder?«

»Namakan!« Dalarr kam den Weg heruntergelaufen, die Brauen düster zusammengezogen, das kürzere seiner beiden Schwerter in der Hand. »Du sollst den Kerl kaltmachen und kein beschissenes Schwätzchen mit ihm halten.«

»Er sagt, er hätte uns nicht verfolgt!«, rief Namakan ihm entgegen.

»Das würde ich an seiner Stelle auch behaupten«, rief Dalarr grimmig zurück. Er war im Nu am Felsen angelangt und trat mit erhobener Waffe um ihn herum.

»Nicht, nicht«, bettelte der Händler und streckte Dalarr flehentlich die Arme entgegen. »Ich geb’s ja zu. Ich geb’s ja zu. Ich bin euch nachgelaufen, ja.«

»Siehst du wohl?«, knurrte Dalarr in Namakans Richtung.

»Aber ich habe niemanden umgebracht«, beteuerte Wikowar. »Ehrlich nicht. So was käme mir nie in den Sinn. Ich wüsste auch gar nicht, wie das geht. Ich bin doch nur ein einfacher Händler, der mit seinen Waren durch die Lande …«

»Halt die Fresse!«, herrschte ihn Dalarr an, aber er schlug nicht zu.

Namakan war die Miene, die sein Meister inzwischen aufgesetzt hatte, wohlvertraut. Er hat sein Gesicht für schwierige Entscheidungen. Wie beim Abwiegen von Skaldat für eine neue Legierung. »Was ist, wenn er die Wahrheit sagt, Meister? Wenn er nur zufällig in die gleiche Richtung unterwegs war?«

»Es ist die Wahrheit«, jammerte Wikowar. »Nichts als die reinste Wahrheit. Reiner als das Frühlingswasser in den Bächen, reiner als die erste Wolke des Win…«

»Du sollst die Fresse halten, habe ich gesagt.« Dalarr wandte sich an Namakan. »Warum hat er dann versucht, sich vor uns zu verstecken? Hm? Was meinst du?«

»Es spielt keine Rolle, was ich meine, Meister.« Das tut es für dich ja sonst auch nie. Namakan ließ den Dolch ein Stück sinken und zeigte damit auf den vor Angst bibbernden Händler. »Wir können ihn fragen.«

»Dann frag ihn.«

»Und?« Namakan sah dem Händler in die gehetzten Augen. »Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?«

Wikowar öffnete und schloss mehrfach tonlos den Mund, als wäre er ein an Land geratener Karpfen, und schaute misstrauisch zu Dalarr auf. Erst als der große Mensch nickte, fasste er sich ein Herz. »Ich verfolge euch nicht. Verfolgen ist das falsche Wort. Ich bin euch nachgelaufen, aber nicht, weil ich es auf euch abgesehen habe oder so.« Er legte die Hände behutsam auf dem Bauchladen ab. »Ich muss meine Waren loswerden. Und jetzt, wo die Brücke Geschichte ist, kann ich nicht mehr von den Almen herunter. Ich habe zufällig gehört, wie ihr euch darüber unterhalten habt, dass es noch einen anderen Weg gibt. Da dachte ich mir, ich gehe euch nach.«

Dalarr schüttelte den Kopf. »Ich und mein großes Maul.«

»Und wieso wirst du deine Waren nicht auf den Almen los?«, wollte Namakan wissen.

»Da kaufe ich sie doch ein«, erklärte Wikowar. Die zittrige Verzweiflung in seiner Stimme verwandelte sich in eine geradezu überhebliche Festigkeit, vermutlich weil er sich nun auf sicherem Terrain wähnte. »So mache ich das immer: Ich klappere die Dörfer, Weiler und Höfe auf den Almen ab. Die Leute verkaufen mir allerlei Kleinkram, der in meinen Laden und in meine Kiepe passt. Knöpfe aus Horn, kleine Säckchen mit gesammelten Kräutern für Tee, mit Blumen bemalte Fingerhüte, solche Dinge eben. Dann gehe ich über die Brücke und reise durch die Reiche der großen Menschen. Viele von ihnen sind ganz versessen auf Sachen, die wir vom Talvolk gemacht haben. Sie glauben, wir stünden unter dem Schutz irgendwelcher Geister aus den Bergen und es würde Glück bringen, etwas im Haus oder um den Hals zu haben, was durch Halblingshände entstanden ist.«

»Du bist also ein Scharlatan«, grunzte Dalarr. »Ein Scharlatan, der die Gutgläubigkeit anderer ausnutzt.«

»Ich bin ein ehrbarer Kaufmann«, wandte Wikowar ein.

»Sag ich doch.« Dalarr verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die halb belustigt, halb angewidert war.

»Jedenfalls«, fuhr der Händler fort, »habe ich nur darauf gehofft, dass ihr mich irgendwie über die Narbe bringen könntet.«

»Und da ist dir nie eingefallen, uns darum zu bitten, ob du uns begleiten kannst?« Namakan kam sich mit dem Dolch in der Hand zusehends albern vor. Der Händler wirkte mittlerweile auf ihn ungefähr so bedrohlich wie ein Stück Brot.

»Dieses Wagnis wollte ich nicht eingehen.« Wikowar lugte zu Dalarr hinauf. »Nach dem, wie er mit diesen Kerlen auf der Brücke umgesprungen ist, machte dein langer Freund auf mich nicht gerade den Eindruck von jemandem, der sich gern auf ausschweifende Verhandlungen einlässt.«

»Wie wahr, wie wahr«, raunte Dalarr.

»Aber uns einfach so nachzulaufen, auch auf die Gefahr hin, dass so etwas geschieht wie jetzt, das war dir nicht zu riskant?«

Wikowar bedachte Namakans Frage mit einem Schulterzucken, das den Inhalt seines Ladens erneut zum Klirren, Rappeln und Klappern brachte. »Ich habe die Gefahren gründlich abgewogen, mein Junge, und ich habe darauf gebaut, dass ihr mich schon nicht umbringen werdet, falls ich mich von euch erwischen lasse.« Seine dicken Lippen schmatzten, als er sie zu einem Lächeln zwang. »Da habe ich mich doch nicht verrechnet, oder?« Wikowars Blick wanderte von Namakan zu Dalarr. »Oder?«

Dalarr schwieg.

Namakan sah zu seinem Meister. Warum sagt er nichts? Er muss doch etwas sagen! »Meister?«

Dalarr mahlte einen Augenblick mit den Kiefern. Dann zuckte sein Kopf zu Namakan herum. »Du bist kein Kind mehr. Es wird höchste Zeit, dass du lernst, wie man eine schwierige Entscheidung allein trifft.« Er steckte Swiputir in die Scheide an seinem Gürtel, raffte seinen neuen, zu kurzen Umhang, den ihm ein dankbarer Mann von der Brückheimer Wache geschenkt hatte, fester um sich und stapfte davon.

»Allerhöchste Zeit«, hörte Namakan ihn noch einmal murmeln, ehe er allein vor dem auf dem Boden hockenden Händler stand, dessen Leben er unvermittelt in der Hand hielt.

»Mach jetzt keine Dummheiten, mein Junge«, krächzte Wikowar. »Bitte nicht …«

Doch Namakan konnte letztlich nicht anders.