3_Ueberschrift.tif

3_Initiale.tifmeisen sind Fachkräfte für Schmerz. Wenn Sie diesbezüglich Fragen haben, dann schauen Sie bei den kleinen Krabblern vorbei: Auf dem Schmidt Sting Pain Index dominieren sie jedenfalls das Feld nach Belieben. Was die Österreicher im Skispringen sind, das sind die Ameisen im Wehtun. Gold und Bronze gehen an Ameisen, von zehn Punkterängen sind vier von Ameisen belegt. Der Schmidt-Stichschmerz-Index listet auf, welche Stiche von welchen Insekten welche Schmerzen bereiten. Erstellt hat den Index aber nicht, wie der Name nahelegen würde, ein SS-Obersturmbannführer Schmidt, der sich im Zweiten Weltkrieg mit dem Zufügen von Schmerzen beschäftigte, sondern ein gemütlicher wirkender, inzwischen pensionierter Beamter des US-amerikanischen Landwirtschaftsministeriums namens Dr. Justin O. Schmidt. Und zwar in seiner Dienstzeit. Im Laufe der Jahre wurde er von über 150 Insektenarten gestochen. Die empfundenen Schmerzen fasste er in einem Katalog zusammen und beschrieb sie ziemlich blumig.7 Platz 10 geht an die sympathische Blutbiene, Platz 1 an die 24-Stunden-Ameise. Der Stich der Blutbiene ist laut Schmidt „leicht, flüchtig, fast fruchtig, als ob ein winziger Funke ein einziges Haar auf dem Arm ansengt“. Das klingt fast wie die Beschreibung eines Sommeliers, und das kann man locker aushalten. Der englische Name sweat bee für Blutbiene ist übrigens präziser und deutet an, worauf es diese Biene abgesehen hat. Auf den menschlichen Schweiß. Bei den Menschenweibchen ist Schweißgeruch in der Regel nicht besonders beliebt, bei diesen Bienenweibchen aber schon. Oder auch bei Gelsenweibchen. Gelsen aka Stechmücken gehören vermutlich zu den unbeliebtesten Tieren der Welt. Sie sind als Nutztiere nicht zu gebrauchen, weder zur Bewachung des Hauses noch zum Streicheln, und das Fleisch kann man auch nicht essen. Warum kommen sie dann trotzdem dauernd zu den Menschen? Weil es für die Gelsen günstig ist. Sie brauchen, wie viele andere Insekten auch, Östrogen. Sie könnten es zwar selber herstellen, aber sie gehen lieber shoppen, indem sie es übers Blut abzapfen, etwa bei Menschenfrauen, das ist bequemer. Wie finden uns die Gelsen immer so zielsicher, geht das über GPS-Ortung übers Handy? Nein. Gelsen werden durch Kohlendioxid angelockt. Die grobe Ortung erfolgt also etwa durch die ausgeatmete Luft. Wenn ein Mensch neben einem kokelnden Grill steht und ausatmet, ist er ganz vorne dabei. Wenn man also auf einer Gartenparty ein paar brennende Fackeln aufstellt, um die Gelsen zu vertreiben, gelingt damit das Gegenteil. Außerdem produzieren wir in unserem Schweiß Buttersäure, das dient den Gelsen im Nahanflug zur Orientierung. Das heißt, wenn auf einem Gartenfest viele Gelsen sind, dann wäre als Gelsenfänger eine verschwitzte Frau, die neben einem Grill stehend nach Atem ringt, die beste Wahl.

Gelsenstiche sind allerdings eher lästig als schmerzhaft. Über einen Gelsenstich kann die 24-Stunden-Ameise, die die Stichschmerz-Charts anführt, vermutlich nur lachen. Ihr Schmerz fühlt sich laut Justin O. Schmidt an wie „reiner, intensiver, strahlender Schmerz. Als ob man über glühende Kohlen läuft und dabei einen sieben Zentimeter langen, rostigen Nagel in der Ferse stecken hat.“ Warum der Nagel sieben Zentimeter lang und rostig sein muss, ist nicht bekannt, aber der Schmerz muss höllisch sein. Der Name der 24-Stunden-Ameise gibt nämlich den Zeithorizont an, nach dem die Schmerzen wieder nachlassen. Und ihr englischer Name bullet ant präzisiert, dass es dabei einen Tag lang so wehtut, als sei man von einer Gewehrkugel getroffen worden.

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FACT BOX | Schmerz

Schmerz ist eine unangenehme bis äußerst unerträgliche Sinneswahrnehmung, die in der Regel mit einer Verletzung des Organismus einhergeht.

Der menschliche Körper besitzt eigene Rezeptoren für Schmerzen, genauso wie er Rezeptoren für Wärme oder Kälte hat. Diese Rezeptoren, auch als Nozizeptoren bekannt, sind gleichmäßig über den gesamten Körper verteilt. Sie befinden sich nicht nur in der Haut, sondern auch in der Muskulatur und den Eingeweiden, mit Ausnahme des Gehirns und der Leber. Sie reagieren auf mechanische, insbesondere starke oder spitze Reize. Andere Rezeptoren reagieren nur auf Hitze beziehungsweise auf chemische Reize wie Säuren. Und dann gibt es noch Rezeptoren, die auf alle drei Reize reagieren. Werden andere Rezeptoren längere Zeit übermäßig aktiviert, dann reagiert das nachgeschaltete Neuron damit, dass es nach einiger Zeit weniger Signale an das Gehirn weiterschickt. Man spricht hier von Adaption. Leider zeigen die Nozizeptoren dieses Verhalten nicht, sondern das genaue Gegenteil: Die Rezeptoren bleiben aktiv, auch wenn der Reiz verschwindet. Zusätzlich gibt es noch Substanzen, die der Körper ausschüttet, wie Histamin oder Serotonin, welche die Nozizeptoren zusätzlich aktivieren. Das Serotonin führt zwar auch dazu, dass die Blutgefäße erweitert werden, womit es leichter zu einer Heilung kommen kann, aber es tut halt noch weh.

Zusätzlich wird ein Nervenwachstumsfaktor ausgeschüttet, der sogenannte schlafende Rezeptoren aktiviert. Beziehungsweise veranlasst der Nervenwachstumsfaktor, dass die bisher aktiven Nozizeptoren noch weiter sprießen und in das entzündete Gebiet einwachsen. Der Schmerz wird verstärkt – leider.

Schmerzen können über zwei verschiedene Neuronen weitergeleitet werden. So gibt es einerseits eine langsame Reizweiterleitung, zum Beispiel, wenn wir eine Herdplatte anfassen. Im Rückenmark kommt es zu einer Reflexverschaltung, somit ziehen wir die Hand zurück, aber es braucht noch etwas, bis der Schmerzreiz ins Gehirn gelangt. Anders verhält es sich, wenn uns eine Biene in den kleinen Finger sticht. Das erfahren wir sofort – hier sind die schnellen Neuronen aktiv.

Im Gehirn werden die Reize einerseits von der Großhirnrinde lokalisiert und andererseits vom Mandelkern bewertet. In der Großhirnrinde gibt es einen Bereich, der für die Wahrnehmung der Körperoberfläche zuständig ist. Die Bereiche, die auf der Haut benachbart sind, sind dies meist auch in der Großhirnrinde. Dort wird der Schmerz ebenfalls wahrgenommen, lokalisiert und schließlich vom Mandelkern qualitativ bewertet. Der entscheidet dann, ob es wehtut oder ob es echt wehtut oder ob es nur kurz wehtut, weil der Mandelkern dann sehr schnell das Endorphinsystem – das körpereigene Opiatsystem – aktiviert.

Problematisch ist eine Ortung der Schmerzen, wenn die Signale aus dem Inneren des Körpers kommen. Da hatte das Gehirn noch nicht ausreichend Möglichkeiten zu lernen, von wo der Schmerz kommt.

Eine wesentliche Unterscheidung des Schmerzes ist die zwischen akuten und chronischen Schmerzen. Der akute Schmerz ist klar über einen Auslöser definiert. Sobald der Auslöser aufhört, wird auch dieser Schmerz nicht mehr wahrgenommen. Akuter Schmerz ist für die Diagnose von Beschwerden enorm wichtig.

Von einem chronischen Schmerz spricht man, wenn er länger als drei Monate dauert. Gerade Rückenschmerzen oder Phantomschmerzen sind typische Beispiele.

In vielen Fällen sind die Ursachen multikausal, das heißt, die organischen Ursachen sind nur ein kleiner Teil. Wesentlich sind auch Probleme mit dem sozialen Umfeld, welche sich dann als Schmerz äußern. Hier kann den Patienten mit einer guten Psychotherapie geholfen werden, nachdem alle organischen Ursachen ausgeschlossen wurden. Dafür sind in den letzten Jahren spezielle Schmerzambulanzen entstanden, die hier wahre Wunder vollbringen können.

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Ob das dem Pistolenkrebs imponiert, ist aber nicht ganz sicher, denn der kann seine Gegner erledigen, ohne sie zu berühren. Der pistolshrimp, wie er auf Englisch heißt, ballert sie ab, obwohl er nur Platzpatronen verwendet. Er erlegt seine Beute mit einem lauten Knallen, das er mit einer seiner beiden Scheren erzeugt. Und zwar unter Wasser, im Meer. Sein Lebensraum ist das Benthal. Das liegt allerdings nicht, wie der Name andeuten könnte, zwischen zwei Bergen und ist nur über eine schmale Passstraße mit dem Postautobus zu erreichen. Benthal nennt man den gesamten Bodenbereich von Gewässern. Und dort besiedelt der Pistolenkrebs vor allem Korallenriffe.

Seine Waffe trägt er übrigens nicht im Holster, sondern er hat sie immer gezogen. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Knallschere an einem seiner Vorderbeine. Sie ist fast halb so lang wie der gesamte Krebs. Der Supergimmick an ihr ist ein beweglicher Zahn, den der Krebs spannt wie den Hahn einer Pistole, um ihn mit enormer Geschwindigkeit in eine gegenüberliegende Grube schnappen zu lassen. Wobei enorm natürlich relativ zu sehen ist. Die sechs Meter pro Sekunde, die der Krebs dabei erreicht, entsprechen rund 22 Kilometern pro Stunde. Der Mensch nennt so etwas verkehrsberuhigte Zone, der Krebs gibt dabei Gummi. Die schnelle Bewegung erzeugt nämlich auch einen Hohlraum im Wasser.

Diese sogenannte Kavitationsblase implodiert kurz nach dem Schuss mit einem lauten Knall. Der Wasserstrahl, der dabei ausgestoßen wird, erreicht dann schon 25 Meter pro Sekunde. Das entspricht bereits 90 Kilometern pro Stunde und bringt, wenn es im Ortsgebiet passiert, 160 Euro Strafe, einen Monat Fahrverbot und drei Punkte in Flensburg (in Österreich wird nur zwei Wochen der Führerschein entzogen und werden bloß 70 Euro fällig – bei elf Kilometern pro Stunde mehr können es dann aber bis zu 2.180 Euro sein). Und nicht nur der Wasserstrahl ist schnell, der Knall ist auch laut, bis zu 150 Dezibel. In der Kavitationsblase werden zudem sagenhafte Temperaturen von mehr als 5.000°C erreicht. Doch damit nicht genug: Das Zuschnappen der Schere ist so kraftvoll, dass sogar ein Lichtblitz entsteht. 150 Dezibel sind fast so laut wie ein Raketenstart, und zwar einer großen Rakete, die ins All fliegt, und das ist wirklich laut. Und 5.000°C entsprechen fast der Temperatur auf der Sonnenoberfläche. Von wegen verkehrsberuhigte Zone. Bei einem Krebs-Quartett wäre der Pistolenkrebs ein sicherer Stich. Auch die Beutetiere des Pistolenkrebses – kleine Krabben, Würmer und kleine Fische – sind beeindruckt, vor allem wegen der Druckwelle, und fallen in Ohnmacht. So kann der Krebs sie bequem einsammeln und verspeisen und braucht nicht so zu hetzen vor dem Essen. Quasi ein ballistischer Slow-Food-Spezialist.

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FACT BOX | Lärm

Als stillstes Örtchen auf Erden gibt das GUINNESS BUCH DER REKORDE den Schallmessraum des Ortfield-Labors in Minneapolis (Minnesota) an. Akustiker testen hier Lautsprecher und Mikrofone. Toningenieure haben einen Restschall von minus 9,4 Dezibel (dB) gemessen. Die negative Dezibel-Zahl herrscht dort, weil ein Meter dicke und über den ganzen Raum verteilte Kunststoffkanten jedes Geräusch schlucken. Erst ein dreimal so lautes Geräusch würde die menschliche Hörschwelle von null Dezibel erreichen.

Der lauteste Ort der Welt ist im Vergleich dazu schon ziemlich ungemütlich: die Rampe des Spaceshuttles während des Starts (in Cape Canaveral, Florida). NASA-Ingenieure haben einen Schallpegel von 180 Dezibel gemessen, das ist 10.000-mal lauter als Discomusik einen Meter vor dem Basslautsprecher und etwa 300-mal so laut wie ein Geräusch, das für das menschliche Ohr schmerzhaft ist. Die Konsequenz: Bei diesem Pegel wäre man nach einigen Sekunden taub. Auch nach physikalischen Gesetzen kann ein Geräusch kaum lauter werden, da die Schallwellen sonst kleine Vakuumlöcher in die Luft reißen würden.

Eine Erhöhung des Schalldruckpegels um zehn Dezibel wird subjektiv als Verdoppelung der vorhergehenden Lautstärke wahrgenommen. Eine leise Unterhaltung mit 40 Dezibel ist somit nicht viermal so laut wie das normale Atmen mit zehn Dezibel, sondern achtmal lauter.

Die Verdoppelung einer Lärmquelle (zum Beispiel von 20 auf 40 Pkw) verursacht hingegen objektiv eine Zunahme des Schalldruckpegels um nur drei Dezibel.

0 dB Hörschwelle

10 dB Blätterrauschen, normales Atmen

20 dB Flüstern, ruhiges Zimmer, Rundfunkstudio, ruhiger Garten

30 dB Kühlschrankbrummen

40 dB Leise Unterhaltung

50 dB Normale Unterhaltung in Zimmerlautstärke, Geschirrspüler

60 dB Laute Unterhaltung, Fernseher in Zimmerlautstärke

70 dB Bürolärm, Haushaltslärm, Pkw

75 dB Fahrradglocke

80 dB Starker Straßenlärm, Staubsauger, Schreien, Kinderlärm

88 dB Umweltfreundliche Rasenmäher

90 dB Autohupen, Lkw-Fahrgeräusch, Schnarchgeräusch

100 dB Motorrad, Kreissäge, Presslufthammer, Discomusik

110 dB Schnellzug in geringer Entfernung, Rockkonzert

120 dB Flugzeug in geringer Entfernung, Schreirekord, Gehörschäden bei kurzfristiger Einwirkung

130 dB Schmerzschwelle, Düsenflugzeug oder Sirene in geringer Entfernung

140 dB Gewehrschuss

160 dB Geschützknall, Knall bei einer Airbag-Entfaltung

170 dB Ohrfeige aufs Ohr

180 dB Raketenstart

190 dB Innere Verletzungen, Hautverbrennungen, Tod

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Um leiser zu sein, bräuchte der Pistolenkrebs einen Schalldämpfer. In seinem Fall würde der tatsächlich ausreichen, um den Knall zu dämpfen. Bei Faustfeuerwaffen, wie wir Menschen sie verwenden, entstehen in der Regel zwei Knalle, und nur einer davon kann unterdrückt werden. Anders als in Filmen gezeigt, hört man also nicht nur ein Plopp, wenn man mit einem Silencer arbeitet. Der erste Knall entsteht, wenn die Treibladung explodiert und die Patrone durch den Lauf gedrückt wird. Diesen Knall kann man nicht dämpfen. Er ist ungefähr so laut, wie wenn man eine Tür sehr unfreundlich und schnell schließt. Der zweite Knall entsteht, weil auch die Luft durch die bewegte Patrone aus dem Lauf gedrückt wird. Das ist ein Überschallknall, den können wir dämpfen. Dazu muss entweder die Luft, die sich mit einer sehr hohen Geschwindigkeit aus dem Lauf bewegt, abgebremst werden, oder das Projektil fliegt nur mit Unterschall. In Deutschland ist der Besitz von Schalldämpfern bewilligungspflichtig, in Österreich und der Schweiz sind Besitz und Kauf von Schalldämpfern in der Regel verboten. Wie kommt man also an einen Schalldämpfer?

Am besten selber bauen. Vielleicht vor Weihnachten, als Geschenk für die Eltern, denn über selber Gebasteltes freuen sich die am meisten, wie gesagt wird. Man nehme eine leere Kunststoffflasche und fülle diese mit Watte. Diese Kunststoffflasche befestige man auf dem Lauf der Pistole, sehr fest, sonst fliegt sie beim Schuss weg und bringt keine Lärmminderung. Wird nun die Luft im Lauf durch die Bewegung der Patrone angeschoben, so verhindert die Watte, dass sich die Luft weiterbewegt. Und dämpft den Schall. So einfach kann ein persönliches Weihnachtsgeschenk sein. Vielleicht noch mit Geschenkpapier umwickeln, und dem erweiterten Selbstmord bei Zimmerlautstärke steht nichts mehr im Wege. Allerdings gehört da schon noch eine gehörige psychische Störung dazu, bevor man so etwas macht. Und die kann man sich in der Regel nicht so einfach basteln. Also, keine Angst und viel Spaß beim Selbermachen!

Die Geräusche der Pistolenkrebse sind übrigens so laut, dass sie sogar die Sonargeräte von Schiffen stören können. Man kennt das Knallen der Pistolenkrebse schon lange. Seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Weltmeere werden vor allem zur militärischen Aufklärung abgehört, etwa um die Bewegungen feindlicher Schiffe und U-Boote detektieren zu können. Und da ist der Pistolenkrebs immer wieder als Störenfried aufgefallen. Seit der Kalte Krieg vorbei ist, werden die Mikrofone vermehrt für die Forschung verwendet, sind immer empfindlicher geworden und haben ganz neue Geräusche zutage gefördert, die man sich erst nicht erklären konnte.

Der Hering furzt, die Forscher lachen, so kann man billig Freude machen

Wenn Menschen in der Lage sind, mit ihrem Enddarm einen Melodienreigen zu gestalten, dann können sie darauf eine berufliche Karriere begründen. Der wohl berühmteste Kunstfurzer der Geschichte war der Franzose Joseph Pujol, genannt Le Pétomane, der Ende des 19. Jahrhunderts sehr erfolgreich im Pariser Moulin Rouge auftrat und dort unter anderem die Marseillaise zum Besten gab. Heute ist der Brite Paul Oldfield als Mr. Methane mit einer ähnlichen Performance erfolgreich, er kann den Donauwalzer. Vermutlich wird es aber noch einige Jahre dauern, bis er in den Goldenen Saal des Wiener Musikverein eingeladen wird, um die Zugabe des Neujahrkonzerts gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern zu intonieren. Bei uns Menschen sorgt so eine Begabung für Aufsehen, für Heringe des Pazifiks ist das Alltag. Wenn sie furzen, sagen sie danach nicht Entschuldigung oder brechen in schallendes Lachen aus und beginnen zu wacheln*. Für Heringe bedeutet Furzen Kommunizieren. Herausgefunden haben das Ben Wilson und seine Kolleginnen und Kollegen von der University of British Columbia. Heringe können sich laut ihren Forschungen durch 0,6 bis 7,6 Sekunden währendes Furzen unterhalten. Immerhin über mehr als drei Oktaven. Sie machen das, indem sie Luft aus ihrer Schwimmblase in den Analtrakt pressen. Es handelt sich dabei also nicht um Blähgase, die bei der Verdauung entstehen, im Gegenteil furzen Heringe, die nicht gefüttert werden, umso mehr. Vermutlich geraten sie dann in Streit, wohin sie essen gehen sollen, wenn es so weit ist, und ob man sicherheitshalber einen Tisch reservieren lassen soll, aber bitte nicht wieder direkt vor der Toilette etc. pp. Dass sie sich dabei gegenseitig den Zeigefinger hinhalten und den anderen ersuchen, er möge einmal kurz anziehen, wurde nicht beobachtet.

* Sich Luft zuzufächeln.

Bombä, Alder

Viele Menschen, vor allem junge Männer, sind sehr glücklich und stolz, wenn es ihnen gelingt, einen Darmwind zum Brennen zu bringen. Manche filmen den Vorgang und stellen den Mitschnitt im Internet zur Begutachtung aus. Ob es besser ist, Flatulenzen mit dem Feuerzeug oder mit Zündhölzern zu entflammen, darüber gehen die Lehrmeinungen auseinander.

Über so etwas kann der Bombardierkäfer nur schmunzeln. Wenn er denn schmunzeln kann. Denn wenn man ihm sagt: „Come on baby, light your fire“, dann lässt er sich nicht zweimal bitten. Evolution ist ein faszinierender Vorgang. Was sich als günstig erweist, um seine Geschlechtsmerkmale in die nächste Generation zu bringen, das wird in der Entwicklung bevorzugt.

Und so hat der Bombardierkäfer mit der Zeit einen regelrechten Explosionsapparat ans hintere Ende seines Körpers bekommen. Wann sich wo und warum entschieden hat, dass es für diesen Käfer günstig ist, dass er ein ätzendes, fast 100°C heißes Gasgemisch mit einem Knall aus seinem Hinterleib auf seine Feinde schießen kann, lässt sich heute nicht mehr sagen. Aber er kann es. Der Bombardierkäfer hat sogar ein regelrechtes Chemielabor in seinem Kofferraum: Wasserstoffperoxid, Hydrochinon, Katalase, Peroxidase, you name it. Menschen verwenden Wasserstoffperoxid in jungen Jahren zum Blondieren der Haare, im Alter wird es nicht mehr so gut abgebaut und macht die Haare unerwünschterweise grau. Für derlei kosmetische Sperenzchen hat der Bombardierkäfer nichts übrig. Er vermischt Wasserstoffperoxid in hoher Konzentration mit Hydrochinon, dieses wird im Rahmen einer katalytischen Reaktion oxidiert, jenes gespalten. Heraus kommt, im wahrsten Sinne des Wortes, ein brühend heißes Gasgemisch und jagt möglicherweise einen verblüfften Frosch, der den Käfer verspeisen wollte, in die Flucht. Wenn der erste Schuss nicht getroffen haben sollte, kann der Käfer nachlegen, er ist nämlich eine Repetierkanone. Er kann sogar um die Ecke schießen. Sollten die Käfer nach uns Menschen die dominante Spezies auf der Erde werden, wofür manches spricht, dann wäre der Bombardierkäfer für die Neuverfilmung von James Bond erste Wahl.

Wenn das so heiß ist, warum verbrüht sich der Käfer da nicht oder fängt gar Feuer? Ganz einfach. Die Evolution ist kein Depp, und wem sie eine Kanone in den Hintern entwickelt, dem gibt sie eine schützende Haut gratis dazu. Und 100°C, die reichen nicht aus, um diesen Käfer zu entzünden. Wie entsteht Feuer? Welche Bedingungen wir dafür benötigen, lässt sich mittels eines Verbrennungsdreiecks erklären: bestehend aus brennbarem Material, Sauerstoff, Wärme. Brennbares Material wäre der Käfer, aber seine Abschussvorrichtung ist vom Hersteller für hohe Temperaturen ausgerichtet. Da nützt es dann nichts, wenn genügend Sauerstoff vorhanden ist. Außerdem liegt der Flammpunkt eines Bombardierkäfers über 100°C.

Löschen geht übrigens logischerweise genau umgekehrt. Man kann das Brennmaterial entfernen, bei Waldbränden etwa eine Brandschneise schlagen, kann das Feuer ersticken oder ihm durch Wasser die Wärme entziehen. Das ist der Grund, warum Wasser Feuer löscht. Nicht weil dann alles nass ist, sondern weil es zu kalt für einen Brand wird.

Deshalb bleiben nach einer sogenannten spontanen Selbstentzündung oft auch die Extremitäten über und viele innere Organe. Spontane menschliche Selbstentzündung ist die Bezeichnung für eine Legende, nach der menschliche Körper ohne erkennbaren Grund von selbst verbrennen. Ohne Anzünden. Die Umgebung nimmt dabei kaum Schaden.

Wie kann das sein? Zauberei?

Natürlich nicht. Aber so etwas kommt manchmal tatsächlich vor. Wie das?

Am wahrscheinlichsten kommt die Theorie des multiplen Dochteffekts zum Tragen: Kleidungsstücke fangen Feuer, wirken als mehrlagige Dochte und sorgen für eine lange Branddauer, denn das Unterhautfettgewebe verflüssigt sich und das eigene Körperfett dient als Kerzenwachs. Fett brennt sehr gut. Man ist quasi sein eigenes Teelicht. Warum aber versuchen Menschen, die plötzlich brennen, nicht den Brand zu löschen, oder holen Hilfe? Die Menschen, bei denen das Phänomen der spontanen Selbstentzündung beschrieben wurde, waren meist stark betäubt, durch Alkohol oder Tabletten. Sie schlafen ein, während sie vielleicht noch eine Zigarette in der Hand haben, die entzündet die Kleidung, und schließlich brennt der Rauchwarenliebhaber. Spontan ist dabei gar nichts.

Die Enden der Gliedmaßen und innere Organe brennen dabei übrigens nicht. Warum? Damit ein Körper verbrennt, braucht man hohe Temperaturen – bei der Feuerbestattung eines Leichnams werden bis zu 1.200°C erreicht. Im Inneren des Körpers befindet sich oft noch Flüssigkeit. Und durch den rapiden Temperaturabfall von den oberen Körperregionen des sitzenden Spontanentzündeten hinab zu seinen Füßen kann das Feuer auch leicht ausgehen. Deshalb geraten nur von Kleidung bedeckte Körperteile in Brand, während frei liegende Partien unbeschädigt bleiben. Außerdem befindet sich in den Unterschenkeln nicht so viel Fett. Wenn jemand im Fauteuil sitzend während des Mittagsschläfchens Feuer fängt, dann verbrennt ein Teil von ihm selber, und er beendet dadurch sein Leben, die Einrichtung rundherum bleibt aber so gut wie erhalten, weil die Hitze nicht ausreicht, um den übrigen Raum zu entflammen. Das heißt für die Wohnungseigentümer: Ein bisschen zusammenkehren und lüften, und man kann die Wohnung gleich weitervermieten. Einerseits angenehm, weil sich der Mietausfall in Grenzen hält, andererseits enttäuschend: Da brennt es einmal, man könnte endlich die Hausratversicherung ausnutzen, und dann kommt die doch wieder davon.

Pingu macht Druck

Das Abendland ist auf die Dreiheit geprägt – Dreiklang, Dreifaltigkeit, Es-Ich-Über-Ich – deshalb wollen auch wir die furzenden Heringe und den Bombardierkäfer als Rektalartisten nicht zu zweit lassen, sondern das Triptychon vervollständigen. Wer hilft mit? Die Adelie-Pinguine.

Tierfilme sind bei hoch entwickelten Säugetieren aka Menschen sehr beliebt. Weil Tiere mitunter sehr putzig sind, weil sie sich bei der Fortpflanzung eigenartig gebärden oder weil sie Sachen können, die lustig ausschauen. Adelie-Pinguine beispielsweise können nicht nur gut schwimmen und erstklassig von Seeleoparden gefressen werden, sondern sie haben auch eine ganz eigene Technik entwickelt, ihr Nest von Fäkalien frei zu halten.

Adelie-Pinguine können extrem druckvoll defäzieren, um beim „Gang zur Toilette“ weder Gefieder noch Nest zu beschmutzen. Sie stellen sich an den steinigen Rand ihres Nestes, Rückseite nach außen, und entledigen sich ihrer Exkremente mit immensem Druck. Mit bis zu 60.000 Pascal. Das weiß man woher? Indem man die Pinguine beobachtet hat. Muss man mögen, aber wenn alles passt, wie bei Victor Benno Meyer-Rochow von der Jacobs University Bremen und Jozsef Gal von der Loránd-Eötvös-Universität in Ungarn, dann kann man dafür den begehrten Ig Nobel Prize bekommen.

Um den Druck zu errechnen, gibt es eine Formel, und wenn man alle Parameter einsetzt, kommt man auf die Reichweite. Adelie-Pinguine gacken respektive kacken bis zu 40 Zentimeter weit. Klingt zuerst nicht sehr beeindruckend. Aber diese Tiere sind klein und leicht. Wenn man das auf die Größe eines erwachsenen Menschen umrechnet, wären es über zwölf Meter. Wenn wir Menschen so weit gacken könnten, gäb’s sicher gleich Weltmeisterschaften im Weitscheißen. Wäre interessant, welche Sponsoren da einsteigen. Und wenn man als Sportler im Stadion in die richtige Richtung zielt, kann man auch die eine oder andere VIP-Loge treffen. Damit so eine Veranstaltung irgendeinen Sinn hat.

Ob es aber wirklich so toll ist, mit Hochdruck das große Geschäft zu verrichten, muss dahingestellt bleiben. Denn die Nester der Adelie-Pinguine liegen in ihren Kolonien relativ nahe beieinander, man kann also vermuten, es kommt nichts weg: Was in der Sippe passiert, bleibt in der Sippe.

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Formel für Pinguinweitpfeffern

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R … Reichweite

v … Abschussgeschwindigkeit

α… Abschusswinkel

g … Erdbeschleunigung

h … Abschusshöhe

p … Druck

ρ… Dichte

R = 5 m für waagrechten Abschuss

R = 12,3 m für Abschuss unter α = 45 °

v = 11 m/s = 40 km/h

g = 9,81 m/s2

h = 1 m

p = 60 kPa = 60.000 Pascal

ρ = 1.000 kg/m3

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Nicht nur der Kot der Adelie-Pinguine hat in der Wissenschaft Karriere gemacht, auch die Fäzes der Kaiserpinguine sorgen für Aufsehen und die Vermählung basaler Bedürfnisse mit Hightech. Kaiserpinguine sind bei der Erderwärmung vermutlich nicht auf der Gewinnerseite, denn das Meereis, auf dem sie einen beträchtlichen Teil des Winters verbringen, wird durch höhere Temperaturen weniger.

Da Pinguine nicht sehr groß sind, kann man sie nur bei sehr hoher Auflösung via Satellitenaufnahme beobachten. Weil sie aber mehrere Monate quasi stationär auf dem Eis bleiben, schmücken sie ihren Winterwohnsitz durch ihren Kot derart aus, dass er sich farblich vom restlichen Untergrund abhebt. Dadurch kann man ihre Wanderbewegung während eines Jahreskreises nachvollziehen und schauen, ob die Bestände durch den Klimawandel dezimiert werden. Die Fäkalien auf der Erde sind aber nicht nur vom Weltall aus zu beobachten, umgekehrt geht es genauso gut. Dafür sorgt die Internationale Raumstation ISS.

Der Transport von Material auf eine und von einer Raumstation zurück ist sehr teuer, die Frachtkosten pro Kilogramm betragen rund 60.000 Euro. Und pro Tag fallen etliche Kilogramm Ausscheidungen (Kohlendioxid, Kot, Urin etc.) an. Alles wird, soweit möglich, wiederverwertet. Auch der Kot. Das geht grundsätzlich ganz gut, durch Dehydrierung wird etwa das gesamte Wasser abgezogen und durch Elektrolyse wieder brauchbar gemacht, aber alles kann man nicht noch einmal verwenden.

Was passiert nun mit den entwässerten Fäkalienresten, die man nicht mehr aufbereiten kann? Werden die einfach via Plumpsklo hinausgeschleudert? Im Weltall gibt es ja keine Anrainer, die sich beschweren könnten.

Nein, einfach rauswerfen wäre viel zu gefährlich. Die ISS selber und Satelliten im Umkreis wären in Gefahr. Die ISS kreist mit knapp 30.000 Kilometern pro Stunde um die Erde. Die Fäkalien würden sehr schnell gefrieren und dann als steinharte Brocken mit der gleichen Geschwindigkeit herumsausen. Ein Satellit, der mit leicht unterschiedlicher Flugbahn unterwegs ist, hält einen Zusammenstoß mit einem gefrorenen Haufen möglicherweise nicht aus. Es würde schon reichen, wenn er ins Taumeln gerät oder einzelne Sensoren beschädigt werden. Er wäre dann zwar als Satellit unbrauchbar, aber als Weltraumschrott höchst gefährlich.

Deshalb wird, was nach dem Entfeuchten übrig bleibt, von der ISS ausquartiert. Das heißt, ein Raumschiff, das von der ISS zur Erde zurückfliegt, nimmt ein Transportmodul mit den entwässerten Fäkalien eine Zeit lang mit, und vor dem Wiedereintritt wird das Transportmodul abgestoßen und verglüht kontrolliert in der Erdatmosphäre. Das Verglühen kann man übrigens auch sehen, wenn die Verhältnisse passen. Vor allem in der Nacht ist es zuweilen gut sichtbar am Himmel.

Das heißt, wenn ein frisch verliebtes Paar am Nachthimmel eine Sternschnuppe beobachtet, dann kann es sein, dass während sich die beiden bei deren Anblick ewige Liebe wünschen, einfach nur gepresster Astronautenkot verglüht. Wenn das keine solide Basis für eine glückliche Beziehung ist.

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Zimmerservice: Super-Continental Breakfast

Die NASA hatte für die Mannschaft des Spaceshuttle Atlantis einen osmotischen Urin-Recycling-Beutel entwickelt, der binnen weniger Stunden aus Urin Trinkwasser herstellt. Und nicht nur das, das Endprodukt dieses chemischen Prozesses schmeckt nicht nach Wasser, sondern nach Orangensaft, vergleichbar mit der beliebten Sorte Capri Sonne. Eine nette Idee für ein selber gemachtes Gastgeschenk. Sollte die Belegschaft auf der Raumstation planen, am nächsten Morgen ein Continental Breakfast einzunehmen, dann könnte ein Gute-Nacht-Dialog zwischen den Astronauten enden: „Geht ihr schon einmal schlafen, ich mach uns noch Orangensaft fürs Frühstück.“

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Den Ig Nobel Prize gab es übrigens nicht nur für kotende Pinguine, sondern auch für schwebende Frösche. Gemeint sind aber nicht jene Exemplare, die den Wohnsitz wechseln müssen, wenn eine Windhose ihren Stammteich ausfegt, die Frösche durch die Luft wirbelt und fern der Heimat wieder absetzt, sondern magnetische Frösche.

Wie kann ein Frosch magnetisch werden? Indem man dem Frosch nicht wie in der Kindheit eine Zigarette in den Mund steckt, sondern einen Nagel? Nicht ganz. Die meisten Substanzen, Objekte und Tiere wie Frösche sind unmagnetisch und damit zunächst vollkommen unfähig, in einem Magnetfeld zu schweben. Betrachtet man solche unmagnetischen Stoffe aber genauer, so stellt man fest, dass sie gar nicht völlig unmagnetisch sind, sondern nur etwa eine Milliarde Mal weniger magnetisch als zum Beispiel Eisen. Um solche Stoffe zum Schweben zu bringen, muss das Magnetfeld sehr stark sein. Wie stark, hängt von Volumen und Gewicht des Körpers ab. Für einen Frosch braucht man ein Magnetfeld mit einer Stärke von zehn Tesla. Der Frosch ist nach dem Flug im Magnetfeld aber nicht magnetischer als zuvor. Das heißt, man kann mit ihm danach nicht den Nordpol bestimmen oder ihn als Kühlschrankmagneten verwenden. Für einen Menschen bräuchte man übrigens ein Feld mit 40 Tesla. Aber das wäre nicht sehr gesund, und außerdem bräuchte man dafür wegen des enormen Stromverbrauchs ein eigenes Kernkraftwerk. In Zeiten von Energiewenden bringt man so ein Experiment niemals durch die Ethikkommission. Obwohl Michael Berry von der University of Bristol, einer der beiden Preisträger und Erfinder des Froschschwebeexperimentes, sich ohne Weiteres für einen Jungfernflug zur Verfügung stellen würde.

Der zweite Preisträger, sein Kollege Andre Geim, dürfte wenig später dann sehr wohl geschwebt sein, nämlich im siebten Himmel. Er bekam nicht nur im Jahr 2000 den Ig Nobel Prize, sondern zehn Jahre danach auch noch den Nur-Nobelpreis, ohne Ig. Gemeinsam mit Konstantin Novoselov für ihre Arbeiten an Graphen.

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FACT BOX | Graphen

Graphen, das klingt eher nach Mathematik, nicht nach Physik. Graphen (mit Betonung auf „e“) ist aber ein naher Verwandter des Graphits, des weichen Materials, das wir alle von Bleistiftminen kennen. Eine einzige dieser Lagen im Graphit, die nur ein Kohlenstoffatom dick ist, nennt man Graphen. Um dieses herzustellen, haben Geim und Novoselov eine verblüffend einfache Methode entwickelt. Sie lösten das Graphen von einem Stück Graphit ab, mithilfe eines ziemlich gewöhnlichen Klebebands. Und zwar schon zu einer Zeit, als noch niemand glaubte, dass Materialien mit einer Dicke von lediglich einer einzigen Atomschicht stabil sein können. Das kann im Prinzip jeder bei sich zu Hause auch machen. Man schreibt mit einem Bleistift auf ein Blatt Papier. Dann drückt man mit der Klebefläche eines Post-its auf die Bleistiftspuren, entfernt das Post-it wieder, und hat Graphen. Dafür bekommt man aber keinen Nobelpreis, denn die große Leistung bestünde darin, das Graphen auch wieder vom Klebestreifen herunterzubekommen.

Graphen ist eine Million Mal dünner als ein Blatt Papier, härter als Diamant und hat die höchste Reißfestigkeit, die je ermittelt wurde. Das könnte zu Transistoren führen, die wesentlich schneller arbeiten als die aus Silizium. Und Weltraumingenieure träumen bereits davon, dass man mithilfe der fantastischen Eigenschaften von Graphen vielleicht sogar den sagenumwobenen Weltraumlift weiterentwickeln könnte, der es ermöglichen soll, ganz ohne Rakete mit einem Aufzug ins All zu kommen.

Momentan gibt es dabei noch viele ungelöste Probleme, unter anderem das, aus welchem Material das Band bestehen soll, an dem sich der Lift in den Weltraum hinaufhantelt. Dieses Band muss nämlich extrem hohe Belastungen aushalten, darf aber nicht zu schwer sein, und Graphen könnte das eines Tages schaffen.

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Ein Quantum Frosch

Im Märchen vom Froschkönig kann der Frosch zwar nicht schweben, aber kurze Zeit fliegen. Nachdem die Prinzessin nicht mehr mit ihm schmusen will, knallt sie ihn wutentbrannt, angeekelt und lautstark an die Wand. Warum macht sie das? Weil sie stärker ist. Der Frosch ist in der Erzählung nicht giftig wie seine Artgenossen, die Pfeilfrösche, und muss deshalb die Reise gegen die Raumgrenze aka Mauer antreten. (Wenn der Name nicht schon anderwärtig besetzt wäre, könnte man fast von einer Geräuschprinzessin* sprechen.) Im Märchen geschieht das Märchenhafte, der Frosch verschwindet und es erscheint ein wunderschöner Prinz. Typisch Märchen? Von wegen. So etwas kann jederzeit überall passieren, wenn man einen Frosch gegen die Wand wirft. Man muss sich nur in Quantenphysik auskennen und dem Frosch ehrlicherweise vor dem Wurf sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Märchen wiederholt, extrem gering ist. Wie soll das gehen?

Mithilfe des Tunneleffektes. Bevor wir zum Tunneleffekt kommen, machen wir einen Crashkurs in Quantenmechanik, damit Sie den Tunneleffekt verstehen können.** Es ist nicht sehr schwer, aber aufpassen muss man trotzdem. Setzen Sie sich gerade hin, das ist angeblich gut für die Wirbelsäule.

Also, erste Frage: Wo sind Sie? Würden Sie mit „hier“ antworten, wäre das wie die Antwort eines Mathematikers: Richtig, aber niemand kann damit was anfangen. Was wäre physikalisch korrekt?

In der sichtbaren Welt kann man ganz genau sagen, wo Sie sich befinden. In der submikroskopischen Welt aber ist das nicht möglich. Nehmen wir an, Sie sind ein Lichtteilchen. In der Welt des Allerkleinsten, da sind Sie nicht an einem bestimmten Ort, sondern Sie haben eine Aufenthaltswahrscheinlichkeit. Klingt wie eine Vertröstung der Asylbehörde, ist aber Physik. Und Ihre Aufenthaltswahrscheinlichkeit hat die Form einer Glockenkurve. Das bedeutet, dass es einen Bereich gibt, in dem Sie am wahrscheinlichsten sind, aber Sie könnten bei einer neuen Messung theoretisch und für kurze Zeit auch ganz woanders sein. Weil die Glockenkurve einen Bereich beschreibt, der nicht abgeschlossen und eigentlich unendlich ist, könnten Sie als Lichtteilchen theoretisch auch mal schnell in der Andromeda-Galaxie vorbeischauen.

Wie weit weg wäre das?

Circa eine Dreiviertelmillion Parsec.

Gern geschehen, Sie haben gefragt.

Könnten Sie dort hin- und dann zurückkommen und sagen: Die Andromeda-Galaxie ist sehr malerisch? Leider nein. Aber nicht weil die Andromeda-Galaxie hässlich ist, sondern weil Sie so kurz dort sind, dass es nicht einmal auffallen würde. Wenn Sie jetzt sagen: „Gut, dann war ich jetzt dort“, dann wäre das zwar nicht auszuschließen, aber sehr unwahrscheinlich. Die Lebensdauer unseres Universums wäre bei Weitem zu kurz, als dass Ihnen als Mensch das einmal passieren könnte.

Ende des Crashkurses.

Jetzt wissen Sie, wo Sie sein könnten, wenn sie ein Lichtteilchen wären, aber das ist noch nicht der Tunneleffekt, das war nur eine minimale Einführung in Quantenmechanik, damit Sie den Tunneleffekt verstehen können. Alles so weit klar? Gut. Dann nehmen wir uns den Tunneleffekt vor. Mein Kommando wird lauten: Auf die Plätze, fertig, los! Also, mein Kommando gilt: Auf die Plätze, fertig, und off we go. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit, die im Rahmen der Quantenmechanik für sehr, sehr kleine Teilchen gilt und die die Form einer Glockenkurve hat, diese Aufenthaltswahrscheinlichkeit für Lichtteilchen kann man sozusagen teilen.

Und wie?