Kapitel 6

Haschisch

- Georg Danzer -

Ich steuerte auf die Schweizer Grenze zu und klammerte mich am Lenkrad fest. Gleich ist es geschafft, versuchte ich mich zu beruhigen. Und dann wird erst mal eine geraucht. Egal, wie ich es sonst mit dem Rauchen hielt. Ich zitterte wie vor einer Prüfung. Es war ja auch eine, wenn man die Aktion, die vor uns lag, genau durchdachte. Auch Renate und Nele schwiegen angespannt und büffelten Vokabeln.

Wie ging das noch mal, mit Zollbeamten flirten? Und was machte man, wenn die nicht flirten wollten? Mit zwanzig wäre ein Hund im Auto kein Problem gewesen, da hätte der Beamte uns wahrscheinlich einfach nur zugezwinkert und uns durchgewinkt. Aber wie würden die Zöllner mit drei alten Hühnern wie uns umgehen? Meine Nase begann zu laufen, wie immer, wenn ich im Stress war und das Adrenalin den Weg aus dem Körper suchte. Ausgerechnet jetzt. »Gib mir mal ein Tempo!« Ich streckte die Hand zu Renate aus und bekam ein Stofftaschentuch gereicht. »Oder du nimmst Klopapier«, bot sie mir als Alternative an. Nein danke, ich hatte nicht vor, mir den Teint mit Schmirgelpapier zu ruinieren.

Noch fünfhundert Meter bis zur Landesgrenze. Fahren Sie langsam. Tempo drosseln auf dreißig Stundenkilometer.

Ja, meine Göttin, ja. Ich rollte mit den Augen. Die Schweiz machte mir gehörig Angst.

Fips hatte sich die letzten Stunden im Auto brav verhalten, und ich betete, dass er dies auch an der Grenze tat. Vielleicht hätten wir ihm eine Portion Baldrian verpassen sollen.

»Gleich ist’s geschafft, Fipsi«, murmelte Nele hinten beruhigend auf ihn ein. Dann wechselte sie in ihre beste Erzieherinnenstimme: »Na komm schon, Fipsi, sei schön brav. Geh da rein.«

»Himmel, bist du immer noch nicht so weit?«, fragte ich sie und fuhr vorsichtshalber auf den Standstreifen.

»Nicht stehen bleiben!«, kreischte Madame Hysterica an meiner rechten Seite. »Das sieht total verdächtig aus. Fahr weiter!«

»Wenn sie ihn doch noch nicht im Sack hat«, erklärte ich ihr bockig.

Nele sagte gar nichts. Das machte sie immer so, wenn die Gefühle hochkochten, aber im jetzigen Fall nahm das von der Spannung keinen Strich. Es machte mich eher ärgerlich, wie sie mit dem Hund hinter mir rumzappelte. Erst wollen sie schmuggeln, die feinen Damen, und dann bekommen sie das Notwendigste nicht hin.

»Er lässt sich nicht mehr so einfach in den Rucksack bugsieren wie bei unseren Proben«, japste Nele und kämpfte weiter mit dem Tier. Im Rotkreuzladen hatte Sonja Brot, Butter und Marmelade auf den Tisch gestellt und uns eine große Kanne Tee gekocht. Als Retterinnen von Fips wurden wir gut umsorgt. Und gemeinsam probten wir die Rucksacknummer. Fips schien sich daran allerdings nicht zu erinnern. Dass jedes Hundelebensjahr sieben Menschenjahren entspricht, hat die Tierkunde längst erforscht, aber um wie viel langsamer sie denken, weiß kein Mensch, dabei wäre das jetzt mal richtig interessant gewesen. Fips wehrte sich heftig und jaulte zum Steinerweichen.

»Ooooch nö!«, protestierte ich und stierte angefressen aus dem Fenster. Einen Rucksack als Schmuggelbehältnis, das hatte ich ja gleich für eine blöde Idee gehalten, doch Nele hatte darauf bestanden. »Der Rucksack ist unauffällig, und Fips bekommt darin gut Luft. Außerdem passt er zwischen meine Füße.«

»Fips, nun mach schon.« Nele wurde ungeduldig.

»Du darfst ihn nicht so anherrschen«, ermahnte Renate sie. Pädagoginnen unter sich, welche würde gewinnen? Erzieherin oder Lehrerin?

»Anfrauschen«, korrigierte ich mit müdem Geist.

»Er ist drin.« Nele atmete auf. »Wartet, ich mach nur eben die Schnallen ein bisschen weiter auf.«

Unruhig trommelte ich mit den Fingern auf das Lenkrad und ärgerte mich, dass sie den Hund nicht rechtzeitig verpackt hatte. »Was ist, Nele? Können wir endlich über die Grenze?«

»Geh mit dem Sitz noch ein bisschen zurück, dann sieht ihn auch wirklich niemand«, befahl mir Nele heiser.

»Weiter zurück geht nicht, dann mach ich Hackfleisch aus ihm«, entgegnete ich. Außerdem hatte die Einstellung des Sitzes nur zwei Stufen, und ich hatte ihn bereits so weit wie möglich zurückgeschoben. Vorsichtig trat ich aufs Gas, und wir rollten wieder auf die Grenze zu.

»Ruhig jetzt. Verhaltet euch möglichst unauffällig.« Sie hatte die Zollbeamten im Visier. »Passt auf, die sehen misstrauisch aus«, wisperte sie uns zu und zog ihren Ausschnitt etwas tiefer. Lässig und mit dem unschuldigsten Lächeln, das ihr möglich war, schob sie sich mit der Sonnenbrille die Haare aus der Stirn.

Wenn ich nicht so angespannt gewesen wäre, hätte ich sie gefragt, was Alice Schwarzer wohl dazu sagen würde. Aber leider stand ich für feministische Hinweise gerade zu sehr unter Strom. Warum hatte ich mich nur auf die Geschichte mit dem Köter eingelassen?

Gemächlich rollte Fuchur auf die Schranke zu.

»Grüezi.« Ein junger Schweizer Zollbeamter mit gesunden roten Wangen und grauer Uniform schlängelte sich durchs Seitenfenster. »Das hat gedauert, odrrr?« Er ließ den Blick ausgiebig durch das Wageninnere schweifen. »Haben Sie etwas zu verzollen?«

»Wollen Sie unsere Ausweise sehen?«, fragte ich hastig und drückte ihm auch gleich die drei Plastikkarten in die Hand. Der Zöllner besah sich die Ausweise aufmerksam und studierte jedes Gesicht dazu.

»Die Autopapiere bitte auch. Nehmen Sie an einer Oldtimerrallye teil? Oder ist das eine Mottofahrt?«

Meinte er uns oder den Wagen? Ich hielt lieber den Mund und lächelte ergeben. Auch das hätte Alice Schwarzer nicht gepasst. Brav reichte Renate dem Zöllner Fuchurs Pass. Der Zöllner beobachtete sie mit Röntgenbrille. Keine von Renates Handbewegungen entging ihm, und ich verbuchte das auf der miesen Karmaseite.

Gleich filzt er uns wegen der Kassetten, dachte ich, der weiß doch gar nicht, was das für schwarze Plastikteile sind. Renate legte sich ins Zeug, zwinkerte mit den Lidern, bastelte Grübchen, lächelte kokett und senkte sich tief und tiefer, damit ihr Ausschnitt gut zur Geltung kam. Der junge Mann blieb völlig unbeeindruckt und konzentrierte sich auf die Papiere. Ich spürte eine Bewegung im Rücken, und mein Magen begann zu flattern. Wie lange wollte der denn noch auf den Fahrzeugschein starren? Das war die Quittung, weil ich auf den Standstreifen gefahren war und wir eine Ewigkeit bis zur Grenze brauchten. Das Schneckentempo musste ihn ja argwöhnisch stimmen, das hatte er bestimmt in der Zöllnerschule so gelernt. Renates Zauber wich ihr langsam und frustriert aus dem Gesicht.

»Haben Sie nun etwas dabei, das anzumelden ist?«, fragte der Zollbeamte und sah sich noch einmal gründlich um.

»Nö«, hauchte Renate. Mein Blick fiel auf die vielen anderen Autos, die einfach weiterfahren konnten. Alle durften in die Schweiz, egal, was sie hineinschmuggelten, Hauptsache, sie fuhren ein normales Auto und trugen normale Kleidung.

»Und wie lange wollen Sie in der Schweiz bleiben?«, fragte der Beamte.

»Wir sind nur auf der Durchfahrt nach Italien.« Nele beugte sich eifrig vor und übernahm das Reden. »Zelturlaub.« Sie deutete auf das Chaos um sich herum.

»Zelten, aha.« Er zögerte einen Moment. »Und dabei essen Sie so viel Hundefutter?«

Verdammt, das Hundefutter!

Seine Augen ruhten auf dem Hundefuttersack, den uns Sonja mitgegeben hatte. Erst jetzt fiel mir auf, welche unsinnige Menge wir im Auto hatten. Mist! Da hatten wir stundenlang überlegt, wie wir Fips über die Grenze schmuggeln sollten, hatten ihn mühsam auf den Rucksack konditioniert, und nun flogen wir auf, nicht seinetwegen, sondern wegen der Frolic-Tüte. Der Sack war derart fulminant, geradeso als würde sich darin ein Kind verstecken. Das war eine Lebensration Futter für den Hund, alles völlig Panne und übertrieben. Ängstlich knabberte ich auf meiner Lippe. Die Zeiger der Autouhr tickten bedrohlich laut in meinem Ohr.

»Was ist nun damit?« Der Zollbeamte erinnerte mich dabei an die heilige Inquisition, und ich straffte schon mal meinen Rücken.

»Na ja«, Nele stieß mir mit dem Knie ins Kreuz, oder war das doch Fips, der bereits aus dem Sack gesprungen war? Ich drehte mich um und wusste nicht, wie ich ihr helfen sollte. Doch Nele zog sich bereits selber aus dem Sumpf. Geistesgegenwärtig, wie ich sie nur aus dem Kindergarten kannte, schmiss sie sich an den Trockenfuttersack und umarmte ihn so heftig, wie ich sie hatte nie ihren Mann umarmen sehen.

»Ach das, das ist doch nur ein Spaß«, sie zuckte mit den Achseln und lachte künstlich. »Den habe ich zum Geburtstag geschenkt bekommen.« Wieder ein Lachen, diesmal hörbar schrill. »Von … von … von … meinem Hund.« Neurotische Schnappatmung setzte bei ihr ein. »Der ist aber nicht hier, der ist daheim, der muss im Auto immer kotzen.«

Das war’s, dachte ich. Jetzt heißt es: »Aussteigen, umdrehen, Hände auf das Wagendach!«

Aber das Glück hatte uns offenbar einen echten Hundenarren beschert. »Ach, wie schade. Allein zu Hause, der arme Kerl. Was ist es denn für eine Rasse?«

»Ein … ein … so einer, der in einer Handtasche wohnt.«

Falsche Antwort. So etwas würde keine Hundebesitzerin der Welt über ihren kleinen Liebling sagen.

»Mhm.« Wir bekamen unsere Papiere in den Wagen gereicht. Sich das Kinn kraulend, richtete sich der Zöllner auf. »Philipp? Philipp, bist du da fertig?«, rief sein Kollege plötzlich.

Philipp sah zu ihm hinüber. »Was ist?«, fragte er so langsam, wie nur ein Schweizer fragen kann.

»Philipp, komm mal her, ich brauch dich hier.«

Ich konnte fühlen, wie es in Philipp zog. Waren wir tatsächlich nur verrückt, oder gingen ihm mit uns womöglich echte, grausame Verbrecherinnen durch die Lappen?

Noch einmal, wie zum Abschied, wanderten seine Augen zum Hundefutter hin. Nele öffnete die Tüte. »Mögen Sie was davon? Ist echt knusprig und völlig ohne Fleisch.« Jetzt fiel die Kugel in ihr Loch.

»Weiter!«, forderte er uns lässig auf, und seine Hand wedelte sehr schnell. »Fahren Sie weiter!«

Ich atmete ungläubig durch und drückte, so tief ich konnte, auf das Gas. »Fahren Sie weiter!« Hatte er befohlen, aber eigentlich »Machen Sie, dass Sie wegkommen!« aus tiefster Brust gemeint. Es war egal.

Ungläubig ob unseres Glücks, trat ich aufs Gas. Ich fuhr, so schnell ich durfte, und warf nicht einen Blick in den Rückspiegel. Keine von uns sagte ein Wort. Irgendwann öffnete Nele einen Flachmann und reichte ihn herum, obwohl das, besonders in der Schweiz, absolut verboten ist.

Der alte Zauber, der uns verband, war plötzlich spürbar. Wir waren Komplizinnen, wir waren eine Gang, wir waren drei tollkühne Bräute in einer roten Kiste.

»Wir waren gut«, sagte ich voller Überzeugung. Wir waren immer gut, wenn wir zu dritt waren.