Die Inspektorin schläft jetzt tief, Viszman liest über Tahiti, das Buch hält er mit der linken Hand.
Für den Fall, daß Barbagelata in Mâcon nicht einsteigt, sondern die Frechheit besitzt, eine nachweislich von ihm wenn nicht verursachte, so doch drahtzieherisch weltweit geförderte Klimakatastrophe mit seinem Volvo und einem Chauffeur zu durchfahren, zu durchschiffen vielmehr, wie man nach einem Blick aus dem Zug annehmen muß, wird man sehen müssen, wie man ihn dennoch zu fassen kriegt.
Ein Mord an Viszman hieße, die Minderheit konsequenter Diderot-Leser empfindlich zu schwächen. Das nicht! Viszman und ich ziehen am selben Strang, und die Geschichte ist voller Beispiele dafür, wie sehr es politischen Zielen schadet, wenn man sie aus den Augen verliert und ausgerechnet jene, die am selben Strang ziehen, erledigt und die eigenen Leute ermordet und liquidiert: Barbagelata, dieser gewissenlose Hasardeur und Profiteur, bleibt am Leben, reibt sich die Hände und sahnt ab.
Rein geschäftlich gesehen, bringt es mich nicht in den Verdacht, Diderot und dem konsequenten Antikapitalismus untreu zu werden, wenn ich mir sage, daß es nicht vernünftig sein kann, durch einen Mord an Viszman meine Leserschaft um ein volles Viertel zu reduzieren, selbst wenn mein Verleger mir morgen abend mit leuchtenden Augen eine Vervielfachung meiner Leserschaft ankündigen wird, indem er von mindestens zwei, drei Fällen berichtet, in denen ein Mordfall ein unerhört wirksames Mittel zur schriftstellerischen Qualitätssteigerung gewesen sei, überhaupt: alles Zweit-, sogar Drittklassige sei durch nichts besser als durch einen Mord in Erstklassiges zu verwandeln, sagt der Verleger und kann Namen und Zahlen nennen.
Mir ist es unangenehm, daß mein Verleger nur an Mord denkt, den Mord an sich und die dank des Mordes steigenden Verkaufszahlen. Ich sage, hören Sie (natürlich bleibe ich beim »Sie«, das der Verleger indessen überhört), es ist eben nicht das gleiche, ob ich Viszman mit einem Schlag auf den Hinterkopf töte wie ein elender KGB-Attentäter oder ob ich mit Viszman gemeinsam der internationalen Korruption radikalindividualistisch den Kampf ansage; aber, wie gesagt: schriftstellerische Ehre interessiert ihn nicht, der Mangel an schriftstellerischem Handwerk, den er beklagt, ist vollauf kompensiert durch den Mord.
Während unseres Gesprächs sitzt Viszman schweigend, mit zum Glück völlig intaktem Kopf dabei und macht sich ein Bild von einem Verleger, den er bisher für integer hielt, da er meine Bücher publiziert hat (Viszman stellt ein Viertel meiner Leserschaft, woraus hervorgeht: seine Sprachkenntnisse, mindestens passive Kenntnisse der deutschen Sprache sind beachtlich; daß er an unserem Gespräch nicht teilnimmt, liegt an seiner bekannten männlichen Wortkargheit); blitzblank indessen kündet das überteuerte verlegerische Schuhwerk davon, daß der Mann sich und mich bedenkenlos den Medien ausliefern wird.
Im Grunde wäre meinem Verleger Mord aus Leidenschaft lieber, aber er nimmt es, wie es kommt, Hauptsache eine Leiche.
Vous avez l’heure, Monsieur? sagt Viszman. Er hat sich an den älteren der beiden Inspektoren gewandt, weil ihm klar ist, daß ich keine Uhr trage, nicht einmal eine Uhr besitze, abgesehen von einem Reisewecker in meiner Tasche, der ein Geschenk meiner Großmutter aus Zeitz ist, der Enkelin mit lieben Wünschen für die Zukunft zu ihrer Konfirmation; abgesehen von diesem Kleinstwecker lehne ich Uhren ebenso konsequent ab wie Viszman, der an meinem Schuhwerk natürlich längst erkannt hat, daß ein Fünftel der europäischen Kulturkritik und Uhrenverweigerer in seinem Abteil sitzt; daher richtet er listig die Frage nach der Uhrzeit an den Vertreter des Alibi-Rousseauismus, der sich arglos selbst kompromittiert mit seiner Antwort. Treize heures moins douze.
Merci, sagt Viszman, und schon sucht sein Blick meine Augen, selbstverständlich ohne Umweg über meine Beine in ihren schwarzen Strümpfen, Blick gegen Blick: bei aller Verschwiegenheit ein unverhohlener Verschwörerblick, Einverständnis in der Verachtung nicht nur der Zeit, der zerhackten, die uns beide nichts angeht; verstümmelt und gerastert liegt die Zeit auf den Leben der Uhrenbesitzer, das Uhrendiktat verwüstet unmerklich die Leben, vernichtet die Leben und bringt die Uhrenbesitzer schließlich zeittaktig um die Ecke; dagegen unverhohlenes Einverständnis in meinem Blick. Kein Erröten meinerseits diesmal, da von unernster Frivolität keine Rede sein kann zwischen uns, es geht um den Naturzustand, den ein verwässerter Rousseauismus feige verschweigt, indem er die Sümpfe behördenintern versickern, folglich vertrocknen läßt, es geht um die Wiederherstellung des Naturzustands auf Tahiti.
Monsieur Barbagelatas Volvo mitsamt Chauffeur hat gegen die Sintflut nichts ausrichten können. Die Saône ist als Saône nicht mehr dort, wo sie sonst ist, sondern, soweit man sieht, überall, die Saône geht in die Moselle über, die Moselle in den Rhein, in die Donau, flächendeckend, Straßen sind untergegangen, versunken, von Straßensperrung kann keine Rede sein, weil von Straßen und Weinernte keine Rede sein kann, ein Jammer um den diesjährigen Burgunder, hier und da schwimmt ein Hüttendach auf der Flut, Monsieur Barbagelata hätte seinen Volvo beizeiten umbauen sollen in ein Amphibienfahrzeug, um den Folgen seines antieuropäischen Tuns zu entkommen; sein Chauffeur hat sein Bestes gewollt und gegeben, aber wo keine Autobahn ist, versagt der Wille des besten Chauffeurs. In Tournus haben sie aufgeben müssen, überall stehen Lastwagen quer in der Pampe, der Verkehrsfunk spricht vom Einsatz des Militärs. Also umkehren. Schließlich haben sie pünktlich Mâcon erreicht. Den Volvo einbruchssicher in der Tiefgarage geparkt, aus derselben Tiefgarage per Mobiltelefon den Strohmann auf dem laufenden gehalten. Insbesondere über den Militäreinsatz.
Die Kleine in Martigues muß nicht angerufen werden, weil sie demnächst einundzwanzig ist und ersetzt wird durch eine neue. Die Sonnencreme und die Kreolenohrringe und noch ein paar andere Preziosen kann sie behalten.
Da stehen sie. SNCF. Gare de Mâcon. Unauffällig bewaffnet, der Chauffeur eins neunzig, breit wie ein Riese, Body-guard.
Der Kleinen wäre es auch gar nicht recht, jetzt angerufen zu werden. Sie lackiert sich soeben die Fingernägel giftgrün, was sie immer macht, wenn Monsieur ein paar Tage verreist, und sie kann es nicht leiden, den Telefonhörer mit frisch lackierten und noch nicht getrockneten Fingernägeln zu halten, weil sie damit unweigerlich in die Haare gerät, und dann kann sie noch mal von vorn anfangen mit der Lackiererei, die Haare haben grüne Lacksträhnen und müssen mit Nagellackentferner entgrünt und dann frisch gewaschen werden, weil der Nagellackentferner so stinkt.
Die Kleine wird nichts dagegen haben, wenn sie ersetzt wird. Sie langweilt sich in Martigues. Barbagelata hat weder sichtbare noch unsichtbare Vorzüge, er ist einfach nur machtbesessen, folglich hat er sie auch im Bett noch nie auf die Idee gebracht, daß da was dran sei, was nur halbwegs die Sache lohnt. Sie wird noch drauf kommen, aber erst Jahre später, im Augenblick hat sie es satt, zur Dekoration hier herumzulungern, das Grüne auf den Fingernägeln ist sozusagen Protest, wenngleich Protest in Maßen, da der grüne Protest zwar grün, aber lackförmig ist. Trotzdem: wenn Barbagelata das sehen würde, könnte sie gleich ihre Koffer packen. Es wäre ihr recht. Martigues stinkt ihr. Martigues im Oktober besonders, mit den Rentnern und mittelalterlichen Holländerpaaren. Die Preziosen des Barbagelata hat sie, wie ihr die Mutter geraten hat, großenteils flüssig gemacht und die Hälfte des Geldes auf die Bank getragen, Credit Lyonnais Marseille, die andere Hälfte spekuliert für sie ein Agent an der Börse, der hat ihr auch den Dow-Jones-Index beigebracht, den sie parat hat und auswendig kann wie die beiden Inspektoren ihre Tischtennisturniere.
Das hat mir Sylvie selbst erzählt, als sie aus Martigues zurückkam, die Mutter der Kleinen: wir sitzen wie immer auf der Esplanade in Montpellier, Sylvie und ich, gerade noch einen Platz gekriegt, bevor die Kongreßleute mit den Namensschildern am dunkelroten Jackett über die Pavillons herfallen, und dann ist der Pot-a-feu alle, bevor wir eine Chance hatten, aber wir sitzen, und Sylvie sagt, grauenvoll. Was? sage ich, weil die Sonne scheint, obwohl es schon Mitte Oktober ist. Ein Kleinkind ist gerade in den Springbrunnen gefallen, herausgezogen worden, und gleich fällt es noch mal hinein, bevor es klatschnaß auf ein Pony gesetzt wird. Schwimmen und Reiten auf einmal. Also was soll jetzt grauenvoll sein?
Der Typ. Martigues. Drei Tage lang Mistral. Die Villa. Alles. Vor allem der Typ. Ein Wind zum Kopfschmerzenkriegen. Länger als drei Tage hält das da keiner aus. Ungefähr unser Alter, der Typ, Kohle ohne Ende und sonst nichts dran. Dreck am Stecken. Soviel ist sicher. Ich hab ihr die Telefonnummer von Robert gegeben. Robert kennt sich aus mit so Sachen.
Was für Sachen?
Wertpapiere und so.
Was für ein Robert?
Das Fleisch war zäher als sonst, die Kongreßleute standen ungeduldig vor den Pavillons und warteten auf freiwerdende Plätze, also habe ich nicht weiter nach dem Typ gefragt. Sonst hätte ich gleich gewußt, daß Sylvies Tochter die Kleine von Barbagelata ist, ich hätte Sylvie gewarnt und ihr geraten, sie für eine Zeit aus Martigues rauszuholen, weil wir Barbagelata umbringen werden. Die Kleine ist natürlich verdächtig. Sobald man ihre Konten und Wertpapiere überprüft, kommt sie unweigerlich in Verdacht.
Angesichts des Weltuntergangs im Burgund draußen erklären sich die Inspektoren im Abteil für außerstande, irgendwelche Nationalparks und Naturschutzgebiete zu inspizieren. Ich halte das Unwetter für einen nationalen Anschlag auf das Eindringen des Rousseauismus in die staatliche Bürokratie, indem man alle drei Inspektoren mutwillig daran hindert, begradigte Flüsse und trockengelegte Sümpfe zu inspizieren, überhaupt Flüsse und Sümpfe zu finden im gesamtnationalen, wenn nicht europäischen Totalschlamm, dem indes der Hauptschuldige bislang entkommen zu sein scheint.
Scheint!
Da steht er nämlich mit dem Muskelprotz von Body-guard und Ex-Chauffeur auf dem Bahnsteig, bis unter die Zähne bewaffnet, und wartet auf den Zug nach Dijon. Als wir durchfahren, langsam, wie es sich gehört, um den Mäusen auf den Gleisen Gelegenheit zu geben, sich unter die Erde zu retten, sehe ich ihre dummen Gesichter.
Der Zug hält heute nicht in Mâcon!
Dies nicht etwa wegen meiner mangelhaften schriftstellerischen Personen- und Zugführung, ganz und gar nicht, sondern er fährt heute ausnahmsweise einmal durch, weil mir angesichts des Riesen neben Barbagelata mulmig wird: das Risiko, daß Viszman etwas passiert und ich Europa allein retten muß, ist mir, ehrlich gesagt, zu groß. Sichtbarlich treibt Viszman keinerlei Muskelsport und ist anderthalb Köpfe kleiner als dieses Monster von einem Leibwächter, der ihn leicht umhusten könnte.
Viszman selbst fürchtet sich offenbar gar nicht. Er fürchtet sich so wenig, daß er es gelassen verschmäht, beim Durchfahren des Bahnhofs von Mâcon überhaupt aus dem Fenster zu schauen und sich seine Opfer mit ihren leeren Gesichtern anzusehen. Selbst wenn er den Riesen gesehen hätte, wäre er furchtlos, nehme ich an.
So wie er vorhin gefragt hat: Vous avez l’heure, Monsieur, muß man Furchtlosigkeit und Souveränität annehmen. Seiner selbst und seiner gesammelten Lebenserfahrung gewiß, hat ein Diderot-Kenner und Kritiker der Zerstörung Europas, der sich seit Jahren (seit er nämlich dem Trotzkismus abgeschworen hat, dieser Jugendsünde) in der Minderheit weiß – umzingelt gleichsam von blanken Schuhen und Uhrwerken allüberall –, hat also ein Einzelkämpfer für den Naturzustand nach der Uhrzeit gefragt, die er doch ablehnt; eine politische Frage selbstverständlich, die Frage selbst eine Losung; das Ergebnis der Befragung wie erwartet: der Rousseauismus hat sich durch Bürokratie korrumpieren lassen.
Daher die Müdigkeit um die Augen. Lebenserfahrung. Einsamkeit. Furcht hingegen und infolgedessen: keine.
Mir aber ist um Viszman etwas bange, wenn ich auf dem Bahnsteig Barbagelatas Muskelprotz sehe, der sogar die Regeln der Perspektive außer Kraft setzt, indem er nicht kleiner wird, als der Zug weiterfährt, an ihnen vorbei und durch den Bahnhof durch und weiter. Barbagelata wird kleiner, wie es die Optik von ihm verlangt, aber der Riese wächst über die Strommasten hinaus.
Mein lieber Viszman, dem wären wir nicht gewachsen. Männliche Furchtlosigkeit in Kombination mit weiblicher Realitätstüchtigkeit ist unschlagbar.
Ich bin froh, daß wir nicht angehalten haben.
Die Inspektorin ist wach geworden und bietet reihum wieder Kaugummi an, um sich selbst den Schlafgeschmack aus dem Mund zu vertreiben. Natürlich hätte sie auch ihrem Erzfeind Kaugummi angeboten, sogar dessen Handlanger hätte ein Kaugummi bekommen, Viszman lehnt wieder ab, auch für mich, nein danke (das Ablehnen eines Kaugummi-Angebots im Sinne diderotscher Kritik an der Kolonialisierung der Welt).
Hunger kriege ich langsam, vor allem Durst, Bahnfahren macht schrecklich durstig, blödsinnigerweise habe ich extra wegen dieser Schweizerinnen die Minibar abgeschafft, obwohl sie längst freiwillig ausgestiegen sind.
Als ob die Minibar sie daran gehindert hätte, nach Bern zu fahren, wo ein Obst- und Gemüsegroßhändler sich wenig für die durcheinandergebrachte Buchhaltung interessiert, die seine Frau schon in Ordnung bringen könnte, wenn da nicht Schlimmeres wäre, das die Buchhaltung zur Bagatelle macht: massenhaft Ärger, diesmal nicht mit der Transportgewerkschaft, die ihrerseits ins Schwimmen geraten ist durch die Unwetterkatastrophe, sondern weil jeglicher Obst- und Gemüsegroßhandel zum Erliegen gekommen ist beziehungsweise ertrunken auf der untergegangenen Autobahn. Bern selbst ist zwar nicht betroffen, überhaupt ragt die Schweiz aus der Angelegenheit vorbildlich oben heraus, insbesondere mit ihren Alpen, das Matterhorn ragt sogar in beneidenswert blauen Himmel hinein; trotzdem kann das hervorragende Hotel sein vorzügliches Müsli ab morgen nur noch mit Dosenobst reichen, weil die Versorgung zusammengebrochen ist. Zählen Sie schon mal das Kirschkompott.
Ein berner Obst- und Gemüsegroßhändler rauft sich die Haare und wartet nun doch mit einiger Unruhe auf seine Frau, die ihm heute abend, wenn die Kinder früh im Bett sind, weil morgen die Schule anfängt, ausrechnen wird, ob er zur Stunde noch Großhändler ist oder bereits bankrott, sämtliche Lkws sind überhaupt nicht angekommen, sondern stehen quer auf der Autobahn. Was da an Fracht vergammelt. Nicht auszudenken.
Minibar! Keine im Zug. Ein Gespräch nicht nur über die notorische Über- oder Unterheizung der Zugabteile, sondern auch über Durst und Hunger, die Nichtbefriedigung menschlicher Grundbedürfnisse, ein zentrales europäisches Thema im Sinne Diderots mit Hinweis auf die Zustände in Tahiti und insbesondere in den SNCF-Einrichtungen zwischen Montpellier und Metz, wäre fällig statt eines Kaugummis, den drei korrupte Naturzuständige mit Sicherheit auch unserem Erzfeind und Weltzerstörer angeboten hätten, säße er jetzt im Abteil; schon deshalb habe ich ihn nicht einsteigen, sondern stehenlassen: es wäre mir unangenehm gewesen, mit ansehen zu müssen, wie sich der Rousseauismus im Laufe zweier Jahrhunderte in blankes Kriechertum verkehrt und verwandelt hat, bloß weil sämtliche Inspektionsbeamte einmal jährlich eingeladen werden in eine Villa am Mittelmeer und sich durch eine – zugegebenermaßen phänomenale – Bouillabaisse zum Schweigen bringen lassen. Denn soviel ist klar: nützt die Veröffentlichung der mit bloßem Auge aus dem Zug heraus erkennbaren Mißstände in den Naturparks, in der Natur überhaupt, diesem Barbagelata, dann nützt ihm ein Verschweigen der Mißstände, förmlich eine unverfrorene Leugnung geradezu angesichts ihrer Unübersehbarkeit, erst recht und noch sehr viel mehr, insofern als Barbagelata von der Zerstörung Europas und Tahitis stillschweigend heimlich im dunkeln profitiert. Und keiner sagt was.
Der Frau eines Obst- und Gemüsegroßhändlers müßte man auch einmal etwas sagen: nämlich daß ihre vorgeblich beste Freundin Doro sie nicht nur mißbraucht hat als Alibi-Pyrenäen-Touristin, sondern durch ihre gefährliche Liebschaft mit dem konstanzer Kontaktmann gewissermaßen indirekt mitschuldig ist am Ruin der berner Firma. Daß der Pharmavertreter seit Jahren tatkräftigen Einsatz für die Betonierung des Bodensees und sämtlicher Flüsse um Konstanz herum leistet, müßte man ihr einmal sagen (ungeheure Mengen Beton sind dafür erforderlich; die erwähnten Kontakte Barbagelatas zur Immobilien- und Baubranche überprüfen!), wenn sie in ihrer Biederkeit nicht selbst dahinterkommt, sondern glaubt, ihr Ruin kam vom Himmel und von der ertrunkenen Autobahn, ohne zu ahnen, wie erfolgreich der Strohmann bei der Knüpfung des bekannten, wenngleich verschwiegenen, daher unsichtbaren internationalen Netzes war, eines feingesponnenen Nylonnetzes zwischen Industrie, Betonierbranche und Barbagelata. Deshalb fährt er so viel herum.
Das müßte man ihr einmal sagen. Dann nämlich ginge das anstehende Verfahren in Sachen Sorgerecht für die beiden Kinder wohl anders aus, als es ausgehen wird, wenn der Südtiroler weiterhin nichts als das lahme Argument ins Feld führt, die Kinder sollten von der nachweislich gemeingefährlichen, da messerstechenden, Hinterräder aufschlitzenden Doro weg und in der Pestalozzi-Stadt Yverdon in Sicherheit gebracht werden, einen groben Abriß der Pestalozzi-Pädagogik sowie einen Besuch des ehemaligen Pestalozzi-Kindererziehungsheims hat ihm die Organistin ohne allzuviel Engagement vermittelt; sie will die beiden bestehenden Kinder eigentlich nicht, die ewig nur schlecht gelaunt sind, wenn sie sonntags nach Yverdon kommen, in die Orgelkonzerte setzen sie keinen Fuß, sondern warten, bis es vorbei ist, vor der Glotze; die Organistin will allmählich selber welche, also eigene Kinder, also gelungene Kinder. Sie wird sich wundern, aber warum sollte sie sich nicht wundern, warum sollte die Technik der Personenführung nur Schriftstellerinnen ein Rätsel sein und nicht auch einmal einer Organistin?
Über Châlon kreisen Hubschrauber, um sich den Untergang einer Stadt von oben anzuschauen. Viel mehr können sie höchstwahrscheinlich nicht tun.
Doros Freundin, anstatt den offenliegenden Zusammenhängen einmal nachzugehen, wird mit der Mittleren morgen zum Zahnarzt gehen; die ganze Familie geht demnächst noch einmal zum Zahnarzt, weil man nicht weiß, ob die Privatkrankenkasse auch weiterhin großzügig alles erstatten wird nach der Pleite; aber: erst einmal das Konkursverfahren hinter sich bringen und sich dann um die Kasse kümmern, vorher alle noch einmal zum Zahnarzt schicken, den Zahnarztbesuch als jährliche Routineuntersuchung erscheinen lassen, möglichst normal wirken, sich nichts anmerken lassen, die Fassade wahren, solange nicht heraus ist, ob uns das Haus überhaupt noch gehört, die elektrische Sprenganlage, die diesjährigen Blattläuse und Dahlien.