Ich bringe ihn um.

Das ist es, was ich tun werde.

Von vornherein.

Gleich auf der ersten Seite.

Ohne ihn zu kennen; bevor ich ihn kennenlerne.

Lieber ein sauberer Mord als ihn kennenlernen. Anonym sozusagen, das erleichtert die Tat. Ich gebe zu, daß mir nicht wohl ist. Mein erster Mord darf mir eine Beunruhigung sein, niemandem, denke ich, geht so ein erster Mord leicht von der Hand.

Die Notwendigkeit der Tat wird dadurch nicht in Frage gestellt. Ein Blick auf Viszman hat genügt, um zu wissen: er oder ich. Also ich.

Bleibt für den Anfang die Frage der Waffen.

Wählen Sie, Viszman.

Viszman weiß nicht, daß er Viszman heißt, und ich weiß nicht, ob er Viszman heißt. Ich will es auch gar nicht wissen. Um keinen Preis will ich ihn kennenlernen. Viszman sitzt schräg gegenüber mit dem Rücken in Fahrtrichtung und sieht durch die Tür hinaus auf den Gang, während ich Fensterplatz sitze. Dazwischen zwei Schweizerinnen, die in etwa zwei Stunden umsteigen werden und weiterfahren nach Bern.

Ich könnte sie im Zug lassen bis Dijon und dann Anschluß nach Basel. Basel liegt auch in der Schweiz, und die Schweizerinnen in unserem Abteil sprechen schweizerdeutsch und löffeln Bananenjoghurt, während sie ihre heute morgen beinah verpaßte Abfahrt mitsamt dem reizenden Hotelgast erzählen, der sie mit seinem Auto zum Zug gebracht hat in allerletzter Sekunde, gerade noch knapp geschafft. Ihr Proviant reicht bis Genf, in ihrer gemeinsamen Reiseplastiktüte sehe ich noch zwei Mandarinen und zwei Äpfel zwischen Mandarinenschalen und leeren Yoghurtbechern, mehr kriegen sie nicht, zwei Dosen Wasser rollen ausgetrunken auf dem Boden des Abteils herum, und im Zug gibt es keinen Speisewagen, nicht einmal eine Minibar.

Verzeihen Sie. Steigen Sie in Lyon aus und fahren dann weiter nach Genf. Von Genf über Lausanne. In Lausanne haben Sie Anschluß nach Bern.

Ich will meinen Mord.

Ob Viszman Deutsch versteht, sehe ich ihm nicht an. Überhaupt sehe ich ihn möglichst nicht noch einmal an. Die Schweizerinnen sind mit ihrer Abfahrt heute früh beschäftigt, und ich rede sowieso nicht mit ihm, weil ich ihn kurz nach Lyon ermorden werde.

Ich stelle es mir schwerer vor, wenn ich zuvor mit ihm spreche oder ihm noch einmal in die Augen sehe.

Da er vermutlich nicht Viszman heißt – es gibt den Zufall, aber er gehört nicht in Bücher, er hat gefälligst im Leben zu bleiben –, antwortet er nicht auf mein: Wählen Sie, Viszman. Vielleicht hat er es auch nicht verstanden, ein Problem der Sprache, ein Problem der Lautstärke sicherlich, weil ich vor den Schweizerinnen, die später als Zeuginnen aussagen könnten – die Ehrlichkeit der Schweizer besonders in Fragen der Wahrheitsfindung bei Mord ist bekannt –, nicht in Abteillautstärke fragen mochte.

Ich will sie nicht in die Sache verwickeln.

Noch könnte ich sie aussteigen lassen. Auf den ersten Seiten tun meine Leute, was ich ihnen sage. Wenn ich sie in eine Bar schicke und dort weißen Whisky trinken lasse, gehen sie widerstandslos hinein und trinken den weißen Whisky, anstatt Kaffee zu bestellen oder Bier oder Limonade. Sie fragen nicht einmal, warum ausgerechnet sie in ausgerechnet dieser Bar ausgerechnet weißen Whisky trinken müssen, alle anderen Gäste trinken Bier, der Kellner versteht nicht, was sie verlangen, weil es alle möglichen Sorten Whisky gibt, aber von weißem Whisky hat er noch nie gehört, meine Leute würden auch viel lieber Bier trinken, als sich erst mit dem Kellner und sodann mit dem Wirt über die Existenz weißen Whiskys zu unterhalten, die dieser bei aller Höflichkeit rundheraus wenn nicht abstreitet, so doch lebhaft bezweifelt. Auf den ersten Seiten bringe ich sogar den Wirt dazu, seine Frau sich an eine Flasche weißen Whisky erinnern zu lassen, die irgendwo endgelagert im Keller herumliegt, Geschenk eines Gastes nach einer Irlandreise, und schließlich sitzen sie brav in der Bar und trinken meinen überteuerten weißen Whisky, weil ich es will. Leider geht das nur auf den ersten Seiten. Nach und nach werden sie renitent.

Trink ich nicht, sagen sie. Mach ich nicht. Sag ich nicht. Mit der setze ich mich nicht an einen Tisch.

Weil ich mir schon denken kann, was die Schweizerinnen in ihrer sprichwörtlichen Ehrlichkeit vor Gericht sagen werden, immerhin keine beliebige Bagatelle, sondern der Mordprozeß Viszman, werde ich nichts, aber auch gar nichts in Abteillautstärke sagen, solange wir nicht in Lyon sind.

Wir sind noch nicht einmal in Valence.

Das Wetter zieht sich zusammen, rechts rauschen die letzten südlichen Felsen vorbei, Kirchtürme aus Eisen, Kirchtürme mit Warzen auf den Dächern, die letzten Madonnen schauen grünlich von den Felsen, das Gespräch der Schweizerinnen ist von dem hilfswilligen morgendlichen Hotelgast wieder in ihren Urlaub zurückgeglitten, eine erste Verwandlung des noch nicht ganz geschlossenen Wanderurlaubs in den Pyrenäen in eine geschlossene Urlaubsgeschichte wird geprobt, in der Pau und Heinrich der Vierte vorkommen, das Herbstlicht, unten die Wärme in den Tälern und oben bereits der Schnee, einige Bergseen sehr grün, Lourdes, ein Abstecher nach Bayonne, eine Urlaubsbekanntschaft, mit der Adressen getauscht worden sind, überflüssigerweise, wie sich später herausstellen wird. Steinpilze werden saisongerecht in den Bericht aufgenommen, Steinpilze à la crème, obwohl ihres Wissens die regional-aquitanische Küche sie mit Knoblauch und Petersilie vorschreibt, in Butter gebraten, diese nun à la crème, ein baskisches Huhn war ein Reinfall und wird fortan nicht mehr erwähnt.

Das alles will mir nicht recht gefallen. Ich will Viszman ermorden und keinen Reisebericht aus den Pyrenäen.

Ich finde: Schweizerinnen haben in den Alpen zu wandern. Um Bern herum gibt es die schönsten Alpen, eine schöne regionale Küche mit Steinpilzen und Käsefondue; und wenn sie durchaus von ihren Männern und Kindern einmal Urlaub brauchen, können sie den in vernünftiger Entfernung im eigenen Land finden, Lausanne beispielsweise, Evian, wenn es denn unbedingt französische Franken sein sollen, mit denen die Reise bezahlt wird, Evian und die dortigen Fischfritüren auf der herbstlich warmen Terrasse am See.

Ich will sie aus dem Zug haben, am liebsten noch vor Valence. Natürlich verstehe ich, daß ihnen einmal im Jahr die geliebten Familien zum Halse heraushängen, und dann werden zum Kinder- und Männerversorgen die Mütter gerufen, die eine reist aus Adliswil herbei, die andere aus Neuchâtel, all das klingt resolut und patent und praktisch, aber hier hat es nichts zu suchen.

Hier wird ein Mord vorbereitet.

Ich müßte noch mal von vorne anfangen.

Ich müßte in einem leeren Abteil anfangen, ohne die harmlosen Schweizerinnen, denen Toulouse überhaupt nicht gefallen hat, eine erstaunlich uninteressante Stadt, aber natürlich kennen sie nur den Bahnhof.

Also von vorne. Einsteigen. Ich mit Reservierung, Fensterplatz Raucher ab Montpellier. Compartiment 23, Place 96. Viszman steigt in Avignon ein. Ob hier frei sei. Er sagt, c’est libre? Ein leiser Akzent in der Stimme. Offenbar hat er nicht reserviert.

Die Schweizerinnen machen Urlaub am Matterhorn, um sich von ihren Familien einmal im Jahr zu erholen. Ich habe ihnen das Wandern ausgeredet und das Skifahren nahegelegt und ihnen abends ausreichende Mengen Grog genehmigt, plus pro Person einen Flirt, wobei der Flirt der Blonden ins Gefährliche rutscht, zumal der betreffende Herr in Konstanz lebt und aus beruflichen Gründen häufig die Schweiz bereist; daß er Pharmavertreter ist, sagt er nicht, sondern macht dunkle Andeutungen, die in Richtung Waffenexporte gehen. Ich habe der Blonden eingeschärft, daß man in ihrem Alter als Hausfrau von solchen Sachen besser die Finger läßt, insbesondere als patente Familienmutter in glücklicher Ehe und vor allem: ausgestattet mit dieser notorischen Schweizer Ehrlichkeit, die mir ein Dorn im Auge ist, sosehr gerade diese Ehrlichkeit bislang zum Gelingen einer Ehe, zum Frieden eines berner Familienlebens beigetragen haben mag, das nun allerdings durch einen konstanzer Flirt am Matterhorn ein wenig ins Schwindeln und durcheinandergeraten wird; aber schließlich kann jedes Familienleben von Zeit zu Zeit ein Durcheinandergeraten vertragen; der Mann der Blonden zum Beispiel, ein Südtiroler, fährt keineswegs, das ahnt sie bloß, während ich es mit Sicherheit weiß, allein aus beruflichen Gründen seit ein paar Monaten dauernd nach Yverdon, das heißt, natürlich ist er dort mit Restaurationsarbeiten an der romanischen Kirche befaßt, natürlich gehört zu diesen Restaurationsarbeiten, daß er die Orgelkonzerte in einem so wunderbaren Gebäude mit einer so wunderbaren Akustik nicht versäumt, die Blonde selbst hat ein Orgelkonzert aus dieser Kirche in Radio Suisse Romande gehört, Sonntag vormittags in der Küche, nicht wissend, daß der Organist eine Organistin ist mit Freizeitinteresse an romanischen Restaurationsarbeiten eines südtiroler Restaurators samt dessen Geburtsstadt Bozen, eine schöne Stadt, Bozen, gelegentliche gemeinsame Reisen nach Bozen werden als Elternbesuche getarnt.

In Wirklichkeit macht sich nur die Organistin etwas aus Orgelmusik. Buxtehude besonders.

Weg mit den Schweizerinnen ans Matterhorn.

Wenn ich Viszman gleich auf der ersten Seite ermorden will, muß es noch vor Lyon sein. Irgendwo zwischen Avignon und Valence, links die über die Ufer gelaufene Rhône, in Pont-Saint-Esprit ist die Brücke gesperrt, der Autoverkehr wird über Orange umgeleitet, wegen des Hochwassers habe ich schließlich den Zug genommen; Qualm auf der anderen Seite des Flusses, bunt bemalte Electricité de France, da ungefähr muß es passieren, spätestens zwischen Pierrelatte und Montélimar.

Und vor allem: gleich auf der ersten Seite. Ohne ihn kennengelernt zu haben, ohne ihn noch mal anzusehen, ohne mit ihm zu sprechen.

Also: ich im Compartiment 23, Place 96 seit Montpellier. Zeitung gelesen, in Marie Claire geblättert. Avignon. Der Zug hat drei Minuten Aufenthalt. Auf dem gegenüberliegenden Gleis laufen Mäuse. C’est libre. Viszman hat seinen Mantel ausgezogen. Die drei Minuten sind um.

Den Schweizerinnen weit weg am Matterhorn habe ich zur Belohnung ihren Urlaub um eine Woche verlängert; sie müßten gerade bei sonnigstem Wetter im Skilift hängen, wenn sie nicht wieder die Nacht durchgemacht haben, in dem Falle wären sie meiner Berechnung nach jetzt beim Frühstücksbuffet und müßten das vollendete Vollkornmüsli mit Weintrauben, Ananas, Nüssen und dicker Sahne loben, während sie unauffällig nach einem konstanzer Waffenhändler und einem einheimischen Skilehrer Ausschau halten, der versprochen hatte, kurz vor dem Kurs zum Kaffee herüberzukommen und sie dann zum Lift zu begleiten, wo die andern Kursteilnehmer schon warten und demnächst in ihren bunten, kniehohen Skistiefeln kalte Füße haben und rote Nasen trotz blauesten Gletscherhimmels, weil ein Skilehrer sich mit einer Brünetten beim Morgenkaffee verplaudert. Was der Skilehrer an unserer grundbiederen Brünetten aus Bern findet, die zudem mit dem Müsli vorsichtig sein sollte wegen der dicken Sahne – der Süßstoff im Kaffee ist die reine Augenwischerei, wenn sie sich jetzt noch einen zweiten Müsliteller genehmigt –, was also der Skilehrer an ihr findet, ist unergründlich und sein Geheimnis.

Trois minutes d’arrêt. Der Zug fährt zehn nach zehn weiter. Die drei Minuten sind um. Wieso fahren wir nicht? Auf dem Nachbargleis rauscht ein Zug durch. Hoffentlich haben die Mäuse ihn beizeiten gehört und sich in Sicherheit bringen können. Zehn Uhr elf. Der Zug fährt aus der Halle, die Stadtmauer leuchtet sandfarben in der Herbstsonne, das Wetter wird sich erst in Valence zusammenziehen, die Platanen glänzen, die Abteiltür geht auf. Rot im Gesicht, fast prustend, gerade noch knapp geschafft; wenn ihnen der Schaffner nicht liebenswürdigerweise die vorletzte Tür aufgehalten, beim Einsteigen Mesdames, allez vite, allez hopp, gesagt hätte mit der Ironie, mit der Schaffner abgehetzte, ungeschickt ihre Koffer hievende rotgesichtige Touristinnen extra galant behandeln, hätten zwei Schweizerinnen in sportlichen Wanderjacken trotz eines freundlichen Hotelgastes den Zug verpaßt.

Nichts zu machen. Sie sind drin. Sie haben sogar reserviert.

Ich werde Viszman kurz nach Lyon ermorden. Jedenfalls vor Mâcon.

Völlig unklar ist, warum meine Schweizerinnen nach ihrem Wanderurlaub in Avignon zusteigen, es würde mich wundern, wenn sie von Toulouse nicht direkt hätten fahren können, zudem waren sie erst im vorletzten Sommer in Avignon, und von daher ist ihnen die Stadt noch in unangenehmster Erinnerung: zwei befreundete Schweizerfamilien mit zusammen fünf Kindern, die mißmutig den heißen Boulevard entlanglatschen und maulen und nicht einsehen, warum man heute nicht am Meer bleibt, sondern bei dieser Scheißhitze in diese Scheißstadt fährt mit diesem Scheißpapstbau, und nicht einmal ein Segeljachthafen, die Stadt ist wegen des Sommertheaters überfüllt und glüht schon um kurz nach halb elf, vor den Restaurants stehen Kellner und flüstern vielsprachig ihr Menü, jedes Haus ein Bordell, das Kellnerflüstern klingt nach Nötigung, wenn nicht sogar richtig gefährlich; also Avignon hat ihnen nicht gefallen im vorletzten Sommer, ein rundherum scheußlicher Tag, und dann ist dem Mann der Brünetten natürlich die Brieftasche aus der Hose geklaut worden, hinten raus aus der hinteren Tasche, wo er sie aus Gewohnheit hineinsteckt, obwohl seine Frau immer sagt, daß er die Brieftasche im Süden nicht offen in der Hose tragen soll, Ausweise, Führerschein, Scheckkarten, aber er ist absolut nicht bereit, eine diebstahlsichere Tasche um den Bauch zu tragen aus purer, überflüssiger männlicher Eitelkeit; sodann die gelangweilte Unfreundlichkeit auf der Gendarmerie, eine unfreundliche Stadt, Avignon, eine infolge des Diebstahls gespannte Stimmung, obwohl man die Kinder schließlich besänftigen konnte, bestechen nämlich: ein Karussell auf dem Platz und ein McDonald’s auf dem Boulevard … Beide finden, daß Avignon jedenfalls keine Stadt ist zum Wiederkommen, eine feindliche Stadt. Mir ist unklar, was sie dort gesucht haben.

Es gehört im übrigen nicht hierher.

Ich könnte sie überreden, in Valence auszusteigen. Sie würden es möglicherweise tun, weil meine Leute am Anfang tun, was ich ihnen sage, aber es wäre unfair von mir, weil es in Valence keinen Anschluß nach Genf gibt. In Bern sitzen fünf Kinder und warten auf ihre erholten Mütter. Hinzu kommt: die Hilfswilligkeit des Hotelgastes heute morgen wäre überflüssig gewesen, und überflüssige Dinge geschehen nur im Leben, während in Büchern jede überflüssige Einzelheit sofort alles verdirbt und strengstens zu meiden ist. Der Hotelgast bleibt uns erhalten, umgestiegen wird in Lyon.

Kurz vor Valence kommt der Schaffner, der vorher Mesdames, allez vite, allez hopp gesagt und mir die Damen eingebrockt hat mit seiner Galanterie, er wird dafür mit erheblichem Übergewicht und einer freundlichen Glatze ausgestattet.

Viszmans Fahrschein ist blau, woraus nicht unbedingt zu schließen ist, daß Viszman Franzose ist, mein Fahrschein ist auch blau, sogar die Fahrscheine der Schweizerinnen sind zu meinem Erstaunen blau, blaue Fahrscheine sagen über die Staatsangehörigkeit nichts aus. Der Schaffner knipst Viszmans Karte und sagt: Ihr Anschlußzug steht auf dem Gleis gegenüber, und Viszman sagt, danke, ich weiß. Ich nehme an, daß er nach Dijon will, vielleicht auch weiter bis Metz, von Metz nach Thionville vermutlich, aber es interessiert mich nicht, wohin er will, vor Mâcon wird er sterben.

Natürlich will er nach Thionville.

Er steckt den Fahrschein ins Jackett, in die Außentasche, und sieht dann hoch. Unwillkürlich sehe ich auch hoch, obwohl ich unter keinen Umständen noch einen Blick mit ihm tauschen wollte, es ist ein Reflex auf seine Kopfbewegung. Er dreht den Blick, ohne einen Umweg über meine Beine zu machen, langsam weg. Der Schaffner knipst bei den Damen weiter, sie haben eine knappe halbe Stunde Aufenthalt in Lyon, wenigstens das geht nach Plan: dafür soll er eine schöne Korsin als Ehefrau haben, der Schaffner, eine, die von morgen an unauffällig Diät kocht, aber so gut, daß er nichts davon merkt. Er hat seine Chance. Zu mir sagt er, umsteigen Metz. Ich sage, ich weiß. Mesdames, sagt er, gute Reise, als ob er Viszman nicht gesehen hätte, was mich natürlich freut, obwohl es vor Gericht nicht verwendbar sein wird; es wird eine Leiche geben und diese vertrackten Schweizerinnen, die sich an Viszman und womöglich an meine tonlose Aufforderung an Viszman, sich seine Todesart auszusuchen, erinnern und in ihrer Ehrlichkeit bezeugen werden, diesen Satz gehört zu haben. Wählen Sie, Viszman.

Wie töte ich ihn? Ich sollte mir darüber langsam Gedanken machen, anstatt den Schweizerinnen zuzuhören bei der Rekonstruktion eines Kuttelgerichts, das ins Fotoalbum aufgenommen werden wird, weil es Gras double heißt; über die Karotten und den Speck sind sie sich einig, weil sie sie identifiziert haben, ein Kalbsfuß wird von der Brünetten irgendwo im Kochvorgang vermutet, da das Gericht geliert, wogegen die Blonde von ihren Schwiegereltern ein Kuttelrezept ohne Kalbsfuß erhalten hat, als sie mit ihrem Mann noch gemeinsam nach Südtirol fuhr, und weder kann sie sich Kalbsfuß in Kutteln denken noch den wirklichen Grund, warum ihr Mann immer noch regelmäßig nach Bozen fährt, aber ohne sie mitzunehmen. Besonders den Kindern fehlen die bozener Großeltern sehr.

Der Blick wird mich nicht aus der Fassung bringen.

Das Wetter hat sich zugezogen, die Rhône dampft, eine Schweizerin hebt endlich die rollenden Blechdosen auf, die unangenehm gescheppert haben, ab heute abend wird sie wieder Kinderspielzeug aufheben, hingeworfene schmutzige Sachen, Fünf-Freunde-Kassetten. Eine Woche, und die Ferien sind vergessen.

Die Augen waren ungefähr grau oder graugrün oder graublau. Nichtssagend natürlich. Dahinter: Viszman. Eine Krankenkassennummer, eine Steuernummer beim Finanzamt, ein Familienstand: verheiratet ledig geschieden. Beruf: keine Ahnung. Ich werde mir keinen Beruf ausdenken für Viszman. Im Grunde ist schon der Name zuviel. Etwas um die Augen herum, nicht der Blick, nur die Augenumgebung, deutet ein Leben an, eine unregelmäßige, eckige Sache mit Rissen und Sprüngen darin, meinetwegen darf er Trotzkist gewesen sein, als er jung war. Heute jedenfalls hat er einen dunkelgrünen Mantel. Das um die Augen herum, sozusagen das Leben, das Leben als Rätsel, nämlich ein Viszman-Rätsel, damit macht er weich, wen er will.

Die Schweizerinnen blättern in ihrer Marie Claire und werden gleich mit den Frisuren anfangen, eine blonde Dauerwelle ist erneuerungsbedürftig oder müßte am besten ganz herausgeschnitten werden, die Mischung aus Blond und Dauerwelle geht auch der tüchtigsten berner Friseuse mal schief, und die wöchentlichen Kurpackungen können daran nichts ändern, einmal frisch durchschneiden, das Ganze, während ein brauner Pagenkopf durch einen Schimmer Kastanie tatsächlich weniger bieder würde. Kastanie oder Mahagoni, wenn sie den Mut dazu findet. Ich beschließe, daß ihrem Skilehrer gleichgültig ist, ob Braun oder Mahagoni, dem Skilehrer geht es ausschließlich um Reife und Üppigkeit und nicht um Tönungsshampoo, während es dem Mann der Brünetten tatsächlich nur ums Geschäft geht, Obst- und Gemüsegroßhandel, Buchführung, Rechnungsprüfung, Ärger mit der Transportgesellschaft, Ärger mit der Transportgewerkschaft, die Ehe ist seit Jahren erloschen. Er sollte sich eine Känguruhtasche um den Bauch binden, anstatt sich beklauen zu lassen aus Eitelkeit. Der Obst- und Gemüsegroßhändler wird mit Sicherheit nichts bemerken, wenn der Pagenkopf umgefärbt wird, und der Pagenkopf wird auch nicht seinetwegen gefärbt. Man ist gleich ein neuer Mensch.

Viszman hat die Augen geschlossen und raucht. Ein Trick, den ich kenne. Sie schließen die Augen und rauchen männlich vor sich hin, damit man hinsieht, und wenn man hinsieht, haben sie einen: man wird weich. Eine bestimmte Müdigkeit kommt vom Leben, und es ist unklar, was einen weichmacht, die Müdigkeit oder das Leben, weil die Müdigkeit nach einer verständigen Frauenhand zu verlangen scheint, die sanft über die Männerstirn streicht, während das Leben diverses Know-how verheißt, Abgründe inbegriffen, daher aus Müdigkeit und gelebtem Leben regelmäßig der nichtssagende Blick, überhaupt das Nichtssagen, Nichtspreisgeben: nur eben Wortkargheit in entscheidenden Augenblicken, ein verheißendes Nichtssagen in den graublauen Augen, weil das Leben ein gelebtes Geheimnis ist, natürlich muß beides verschwiegen werden, das Leben selbst und das damit verbundene Geheimnis bringen jeden denkenden Menschen dazu, den Mund zu halten und nicht herauszutrompeten, was er darüber weiß. An der Müdigkeit um die Augen und an der Wortkargheit erkennt man, ob jemand denken kann, und natürlich kann Viszman denken, auch wenn er in seiner Jugend meinetwegen Trotzkist war, sehr viele denkende Menschen waren schließlich in ihrer Jugend Trotzkisten oder Maoisten oder sonstwelche Kommunisten, Stalinisten, es ist der reine Zufall, daß ich in meiner Jugend nicht Trotzkist oder Stalinist war.

Sterben muß er nicht etwa, weil er Trotzkist war.

Mich jedenfalls macht er nicht weich, ich warte bis Lyon, und dann ist er dran. Sein Geheimnis kann er mit ins Grab nehmen.