Nur sie.
Sie konnte nicht umhin einen gewissen Stolz zu empfinden.
Ach, ich werd noch zum Menschen.
Stolz war so ein Menschending. Sie musste aufpassen, aber dessen war sie sich bei dem ersten Sonnenstrahl bewusst geworden, der ihr außerhalb des Turmes begegnet war. Die Welt war anders als ihre und sie musste alles daran setzen, nicht in ihr zu vergehen. Die Versuchung war da.
Die Blume sprach noch immer mit ihr und sie lauschte angestrengt.
Allein, inmitten all dieses toten Gewebes und niemand hörte sie. Blumen waren selten, das war ein besonderes... etwas.
Sie sah Schicksale in den Dingen, und dieses hier war ihr schon oft begegnet. Es war das eine große, nach dem sie ursprünglich gesucht hatte. Das Schicksal dieses Menschen war von höchster Wichtigkeit, im Himmel war ihm sicherlich eine ganze Galaxie gewidmet. Oder ihr. Das winzige Sternbild, das der Himmel ihr gezeigt hatte, konnte nur ein Splitter dessen sein, was dieses Schicksal zu bieten hatte.
Den Himmel sah sie hier nur selten, vielleicht waren die Menschen deshalb so dumm. Sie sahen nach oben und sahen Staub und Asche. Sie musste denken, dass da oben die Welt zu Ende war.
Zurück zu dem Schicksal, dem Leben, der Existenz, die sie sah.
Menschlich, wie sie dieser Tage war, kostete es sie große Mühen ihren Kopf frei zu behalten von anderen Bildern.
Menschen springen gerne zu vorschnellen Schlüssen, so auch sie, in letzter Zeit.
Sie dachte an den geheimnisvollen Fremden, der sie so faszinierte. Einsam, ja. Von Tod umgeben, ja. Selten... ja. Bilder von ausgemergelten Leichen, ein schlafender Mann in ihrer Mitte, schlichen sich in ihr Blickfeld und sie fegte es bei Seite.
Die Blume stand still. Sie sah die Existenz, ein Stück weit das Leben, aber das Schicksal blieb ihr hier verborgen. Sie müsste raten, und das tat sie nie gerne.
Was würde werden, aus der Blume?
Es gab zu viele Möglichkeiten. Um wirklich aus diesem Bild zu lernen müsste sie es über längere Zeit beobachten. Und was, wenn ein Mensch ankam oder ein Tier, und alles durcheinander brachten?
Sie wünschte sich beinahe die Sterne zurück, unabänderbare Wahrheiten. Die Klarheit fehlte ihr, aber das hier war ihr Weg, der richtige Weg für Yre.
Es war natürlich Unsinn. Die Blume sagte ihr nichts, sie sprach nicht. Die Schicksale waren in Yres Ilfenkopf drin, es brauchte nur etwas, um sie sichtbar zu machen. Um sie aus ihrem eigenen Bewusstsein herauszukitzeln. Siehe die Dinge und lerne aus ihnen. Das war der Weg.
Sie hatte versucht die Augen zu schließen und es so zu versuchen, aber sie hatte immer wieder versagt. Sie war in ihren eigenen Kopf eingetaucht und hatte sich darin nur verlaufen, oder aber war in Träumereien verfallen. Nein, sie brauchte einen Fokus.
Blume.
Knochen.
Menschenknochen, noch dazu. Das waren hier die wichtigsten Bewohner. Denken sie jedenfalls. Etwas Großartiges nährt diese Blume. Etwas Totes, aber etwas, das großartig gewesen war.
Manchmal hatte sie das Gefühl zu schwimmen. War das der richtige Weg?
Sie fühlte in sich und entschied, dass es sich richtig anfühlte. Sie konnte den Weg förmlich sehen, mit Steinen am Rand und festgetretener Erde unter Wehen von Staub und Asche. Jemand war hier schon einmal entlang gelaufen, vor sehr langer Zeit.
Dies war kein neues Geheimnis, das sie verfolgte.
Irritierend. Asche. Vor dem Feuer? Menschen wurden nicht so alt, und ihr Mensch sah noch vergleichsweise jung aus. Das machte keinen Sinn.
Wieder schüttelte sie irritiert den Kopf und betrachtete den Schädel.
Wer hat dich getötet?
"Zeit", schlich sich ein Wort in ihre Gedanken.
Zeit hatte ihn sicherlich zu Knochen werden lassen.
Alt, uralt.
Es war etwas Altes, das hier am Werk war. Es hatte den Mann getötet und ihn zu Knochen werden lassen, und in seiner Mitte lebt nun ein schwächliches, kleines Blümchen und weht im Wind.
Es war kalt geworden.
Mit zusammengezogenen Schultern wuchtete sie sich hoch, ihre Beine fühlten sich schwach und wackelig unter ihr an.
Mit einem letzten, kritischen Blick auf die kleine Ruhestätte wandte sie sich ab und lief zurück zu ihrem Lager.
Vielleicht würde ihr Kopf zu einem späteren Zeitpunkt besser funktionieren, jetzt gerade wollte er scheinbar nur zurück unter die Decke und ein wenig träumen.
"Hm, ich werde wirklich noch zum Menschen.", sagte sie, lachend und kopfschüttelnd.
Vier – Ein Fremder und die Gefahr der Transparenz
Ein namenloser Fremder lag irgendwo im Nichts im Staub, die Hände mit schweren Eisenketten fixiert.
Er wachte auf und das erste was er spürte war, dass er am ganzen Körper zitterte.
Es war Nacht und er war nicht allein.
In seine Schlaftrunkenheit mischte sich Panik, als er unsicher versuchte sich aufzusetzen.
Mit einem dumpfen Geräusch fiel er zurück. Richtig, die Ketten.
Mit zittrigen Fingern versuchte er sie zu lösen, wand sich in seinen Fesseln, aber es half alles nichts, ein Fisch auf dem Trockenen.
Dann hörte er die Schritte. Diese Präsenz, er war schon nah dran gewesen, sie als ein Überbleibsel seines Traumes abzutun.
"Diese Menschen haben dir ein Feuereisen an die Kehle gehalten und deine Seele hat geschrien."
Er kannte diese Stimme. Durch die Dunkelheit erkannte er nur Schatten, eine Robe, grau vielleicht. Die Kapuze hatte sie sich tief ins Gesicht gezogen.
"Was willst du!?"
"Du schreist noch immer. Warum?"
Er versuchte erneut sich aufzurichten, doch vergeblich. Seine Beine sackten unter ihm weg und Schmerz fuhr durch seinen gesamten Körper.
Gerade so schaffte er es, sich gegen den Fels gelehnt hinzusetzen.
Es war sie, kein Zweifel.
"Sie haben dich eingewickelt. Warum haben sie das getan? Damit du dich nicht bewegen kannst. Warum wollen sie nicht, dass du dich bewegst? Weil sie Angst haben. War es Rache? Du hast einen von ihnen angezündet, es war hübsch. Aber er ist tot. Ich verstehe nicht, warum du das getan hast. Die Menschen üben gerne Rache, habe ich gesehen. War das Rache?"
Sie fuhr mit einer Hand über die Eisenkette, die ihn hielt. Der Fels in seinem Rücken war unnachgiebig und kalt von der Nacht, als er sich instinktiv dagegen presste.
Alles was er von ihr sah, war die untere Hälfte ihres Gesichtes. Der Mund, der mit ihm zu reden schien. Oder vielleicht sprach sie auch mit sich selbst? Sollte er antworten? Seine eigene hohe, panische Stimme vom Vortag kam ihm in den Sinn.
Er starrte sie gebannt an. Angstvoll. Was machte ihm solche Angst? Er konnte es sich selbst nicht erklären.
Dann war er frei.
"Die Ketten sind schwer. Ich mag kein Metall, wir haben so etwas nicht. Metall gehört in den Stein, aus dem es kommt. Wenn man es heraus bricht wird es unnatürlich und alles was ihr damit macht ist gefährlich. Menschen binden, Menschen schneiden. Man sollte meinen, ihr Menschen solltet euch verstehen, so wenige wie es nur noch von euch gibt."
Frei und eingesperrt wie ein Tier.
Wieder machte er Anstalten aufzustehen, und wieder fiel er zurück zu Boden, wie ein nasser Sack. Jede Faser seines Körpers schmerzte und eine seltsame Taubheit hielt seine Beine gefangen.
Er fühlte, dass Flucht noch immer keine Option war. Zuviel Flucht in letzter Zeit, es bekam ihm ganz und gar nicht.
Diese Frau, was wollte sie von ihm? Ein Teil von ihm hielt sie noch immer für einen Rachegeist, eine Manifestation seines inneren Dämonen, doch der weitaus größere Teil von ihm versuchte diese Stimme zu übertönen. Nur ein Mädchen, vielleicht eine der Ilfen, von denen diese Leute gesprochen hatten. Aber sicherlich nichts Übernatürliches. Sie ist körperlich schwach, versuchte er sich einzureden. Wenn er erst einmal wieder bei Kräften war, wäre es ein leichtes sie zu überwältigen.
Wie er so halb am Boden und halb gegen den Felsen gelehnt da saß war alles was ihm blieb, sich zurück auf die Macht des Stärkeren zu besinnen und zu hoffen, dass die Macht bald wieder auf seiner Seite sein mochte.
Die Ilfe setzte sich nun ihm gegenüber und schob ihre Kapuze zurück.
Diese Augen! Er erschauerte wieder und es brauchte all seine Kraft nicht den Blick abzuwenden.
"Wieso hast du den Mann angezündet?"
Mühsam holte er Luft und überlegte, ob ihr zu antworten bedeuten würde, dass er nach ihren Regeln spielte. Spielte sie denn?
"Er war ein Heuchler."
Götter, seine Stimme klang unbeschreiblich müde.
"Ein Heuchler?"
"Hast du die Predigt gehört? Der Orden predigt gegen Alkohol und der Prediger konnte kaum stehen, so besoffen war er. Das macht ihn zu einem Heuchler. Der Orden redet vom Feuer und dass es die Sünder holen wird. Ich dachte... ich dachte ich könnte ja mal ihre Prophezeiungen wahr werden lassen... ihnen das Feuer bringen."
Er lachte, kalt und freudlos.
Ihnen das Feuer bringen, war es das, was er getan hatte? So formuliert missfiel ihm die Geschichte zusehends.
"Bist du also der Feuerbringer von dem sie reden?"
"Feuerbringer!?", das war das letzte was er hören wollte, "Ich hab' den Kerl getötet, das ist alles. Ich hab ihn brennen sehen und es war großartig. Diese Leute haben keine Ahnung wovon sie reden... Feuer...das ist nichts, was man anbeten sollte. Wenn es Götter gäbe, Feuer wäre das letzte, was sie auf die Erde schicken würden."
Seine Angst war Gereiztheit gewichen. Dies war kein Gespräch, das er führen wollte.
"Ich hab' dich gesehen, als die Feuerleute dich brennen wollten. Du hattest solche Angst."
Er sah Mitleid in ihrem Blick, es nervte.
"Was interessiert dich das?", fuhr er sie an, ihre Augen antworteten mit diesem widerlich verwirrten Blick, so voller Unschuld.
"Ich hab' dich gesucht. Du hast geweint, ich will nur verstehen-"
"Es gibt nichts zu verstehen!"
Sein Kopf dröhnte.
"Geh."
Er hoffte inständig, dass sie dieses mal auf ihn hören würde.
"Es ist wegen dem Feuer, nicht? Du hasst es. Aber das versteh' ich nicht."
"Sei still.", er fühlte die Wut in sich hochsteigen und mit ihr kehrten seine Kräfte zurück.
Mühsam rappelte er sich auf und stand wackelig an den Felsen gelehnt da, blickte hinunter auf die kleine Ilfe, die zu seinen Füßen saß und ihn ruhig ansah.
"Danke, für die Fesseln.", brachte er noch hervor bevor er sich abstieß und unsicheren Schrittes nach Osten zu laufen begann. Nur weg.
"Warte! Ich versteh dich nicht!"
Ein Blick über die Schulter sagte ihm, dass sie nun auch aufgestanden war und ihm tatsächlich folgte.
"Ich will doch nur wissen warum!"
"Und ich sage, dass es dich nichts angeht und du mich in Ruhe lassen sollst. Ich mein' es ernst."
Jetzt stellte sie sich ihm noch in den Weg, ihr Blick voll Trotz.
"Nenn' mir wenigstens deinen Namen."
"Nein!"
Es reichte. Entnervt rempelte er sie an und schob sich an ihr vorbei.
Wieder spürte er diese Präsenz in seinem Kopf, dieses Tasten. Fremd und falsch, eindringlich. Er sah ihre Augen, obwohl sie hinter ihm stand. Müde fuhr er sich über die Stirn, versuchte das Zittern in der eigenen Hand und den kalten Schweiß zu ignorieren, den er fand.
Dann spürte er ihre Berührung. Eine kleine Hand, die ihn am Arm packte und zurückhielt.
Das nächste was er sah war seine eigene Hand, wie sie sich um ihre Kehle legte und sie mit einer schnellen Bewegung gegen den Felsen schleuderte und dort fixiert hielt.
"Fass mich nicht an!"
Keine Angst in ihren Augen, was war das für ein Mädchen?
Ihre Ruhe irritierte ihn, er drückte zu.
"Ich bin niemand. Mein Leben ist irrelevant und dich hat nicht zu interessieren wer ich bin und warum ich was tue."
Sie hatte aufgehört zu atmen. Normalerweise hechelten sie immer, wenn er ihnen die Luft abschnürte.
"Ich werde dich jetzt loslassen und gehen und du wirst in die andere Richtung verschwinden. Verstanden?"
Mit einem letzten finsteren Blick wandte er sich ab und ging. Hinter sich hörte er sie leise keuchen, dann ihre Stimme seinen Namen rufen.
Nein, dachte er, nein.
Seine Faust traf sie ins Gesicht. So weich, dachte er noch, als sie zu Boden ging.
Er kniete sich neben sie, hielt sie mit einer Hand unten, als sie sich aufrichten wollte. Ihm war schwindelig vor... war das Wut? Auf die Ilfe? Es machte Sinn.
"Nimm das zurück!"
Ihm war klar, wie lächerlich das klang. Sie schwieg.
Verwirrung und das bisschen Blut auf ihrer Wange waren alles, was er von ihr bekam.
"Ich bin nicht..."
Ihm fehlten die Worte.
"Deine Seele schreit schon wieder so."
Das Mitleid in ihrer Stimme machte ihn rasend.
"Sei still, verdammt.", knurrte er und zog sie an den Haaren hoch.
"Du bist wer du bist... leugne das doch nicht. Eine großartige Existenz, nicht? Das Feuer, das große Feuer von dem sie alle reden. Es ist in dir! Ich habe es gesehen, dein Erbe-"
Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, aber er hörte sie, ließ sie fallen und trat zu.
Wieder und wieder und wieder. Hass, Angst, Wut... Die Gefühle überwältigten ihn, es war kaum möglich noch zuzuordnen wem was galt.
Nach einigen Tritten bewegte sie sich nicht mehr.
Er starrte herunter auf das kleine, blasse Ding, das da zusammen gerollt vor ihm lag und leise schluchzte.
"Ich bin nicht-", begann er ein zweites mal, doch wieder fand er keine Worte den Satz zu beenden und so wandte er sich ab und ging.
Das ist keine Flucht, dachte er, doch er glaubte es sich selbst nicht.
Die Wut verrauchte langsam, sie hinterließ Übelkeit und wieder diese kalte Angst, die nach seiner Kehle griff und zu drückte.
Ich flüchte nicht, sagte er sich ein weiteres mal und beschleunigte seinen Schritt.
Fünf – Eine Ilfe, verwirrt
Sie konnte nicht sagen, wie lange sie im Dreck gelegen hatte.
Der Blutgeschmack war nach einer Weile vergangen, sie hatte wohl alles geschluckt.
Das Klingeln in ihren Ohren hatte nachgelassen, aber die Schmerzen hatten danach erst richtig angefangen.
Sie erinnerte sich schwach, dass sie mehrmals versucht hatte sich aufzusetzen. Wie oft es genau war, konnte sich nicht mehr genau sagen.
Wie sie so da lag und jede einzelne Wunde spürte, die niemand ihr zugefügt hatte, ließ sie sich die Sache mit der Menschheit noch einmal durch den Kopf gehen.
Die meisten verstand sie, simpel genug. Der eine, den sie partout nicht zu verstehen in der Lage war, hielt sie auf Abstand, wollte nicht verstanden werden. Ein Name und Schatten in seinem Kopf hatten ihr dabei wenig geholfen. Das interessanteste war dennoch, dass es ihm mit den anderen seiner Rasse nicht besser zu gehen schien.
Sie hatte gesehen, wie man ihn aus der Stadt gejagt hatte, er war selbst ein Monster. Sie hatte bislang keinen wie ihn gesehen. Ein großer Teil von ihr war bislang davon ausgegangen, dass es mit ihm das gleiche war, wie mit ihr. Sie sahen anders aus und den Leuten war das unheimlich. Aber sie konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass da mehr sein musste.
Es ging nicht nur darum, Teile von Leichen zu essen, die man so oder so schon getötet hatte. Es ging darum, Menschen bei lebendigem Leibe zu verbrennen und darum, zitternd und weinend unter einem Stein zu liegen, mitten in der Nacht im Nichts.
Schlussendlich beschloss sie, dass sie sich vorerst mit dem Rest der Menschheit befassen würde.
Irgendwo würde sie schon jemanden finden, der mehr zu bieten hatte, ohne gleich zu einer Gefahr für ihre Gesundheit zu werden.
Schmerz. Es fiel ihr schwer zu differenzieren, was sie empfand. Vieles davon war zweifelsohne körperlicher Natur, der Schmerz, der ihren Kiefer durchdrang, ihr Hals, der bei jedem mal Schlucken weh tat, wie auch, wenn sie ihn mit den Fingerspitzen betastete.
An ihrer Lippe hatte sie Blut gefunden, aber es war mittlerweile getrocknet.
Es war aber gut zu wissen, dass ihres genau so aussah, wie das der Menschen.
Neben all dem, tat ihr aber noch mehr weh.
Ihre Brust fühlte sich an, als hätte er noch immer seinen Fuß darauf stehen und ihr Inneres hatte sich so fest zusammengezogen, dass es ihr fast unmöglich schien zu atmen. Wo sich nur kurze Zeit zuvor scheinbar unendlich viele Fragen aufgehäuft hatten spürte sie jetzt eine Leere und alles woran sie denken konnte, war der Hass gewesen, mit dem er sie angesehen hatte.
Tränen stiegen ihr in die Augen und zum ersten mal dachte sie, dass vielleicht doch ihr Großvater Recht gehabt hatte. Menschen waren wilde Tiere und sie folgten keiner Logik. Unberechenbar.
Erst als die Sonne hoch am Himmel stand, konnte sie die Kraft aufbringen aufzustehen und ihre Sachen zusammenzusuchen.
Langsam und vorsichtig, sich nicht unnötig weh zu tun, machte sie sich auf in die Richtung, aus der niemand scheinbar geflüchtet war.
Noch bevor die Sonne im Westen verschwunden war, erreichte sie das Dorf, in dem es passiert war.
Sechs – Jaris und ein Söldner, die Zweite
Sie hatte ihn brennen sehen wollen.
Jede Nacht sah sie seine vor Angst geweiteten Augen, das reine Entsetzen, und jede Nacht sah sie, wie er in den Flammen aufging. Seine Haut platzte, warf Blasen und verfärbte sich, erst pink, dann rot, dann schwarz... Sie sah seine Augäpfel platzen, diese schwarzen, tiefen Augen, die sie vorher noch so unnachgiebig geglaubt hatte.
Diese elendigen dunklen Haare sah sie brennen, hörte seine entsetzten Schreie, hörte ihn betteln und hörte, wie schließlich der letzte Atem seine Lippen verließ. Diese missmutigen, höhnischen Lippen.
Dann wachte sie aus ihren Tagträumen auf und musste einsehen, dass sie ihn hatte entkommen lassen.
Aber er hatte ihr eine wertvolle Lektion gelehrt: Man spielte nicht mit dem Orden. Der Orden, das war der Bund der Götter. Sie standen im Zeichen des Feuers und Sünder würden bestraft werden.
Akios verhielt sich seltsam, seit diesem Tag.
Ja, sie hatte den Mörder seines Bruders entkommen lassen und ihm seine gerechte Rache verwehrt, aber es war mehr als das.
Am Abend drauf, als sie in einer Taverne Rast machten, hatte er sie beiseite genommen und zur Rede gestellt. Der Orden gäbe den Menschen Hoffnung und kein Sünderblut, hatte er gesagt.
Der andere Sünde war wenige Stunden nach seiner Brennung gestorben.
"Es war ein Test des Feuers, er hat ihn nicht bestanden!", hatte sie sich gerechtfertigt.
"Er hat gesündigt und ich habe ihn geprüft. Die Götter haben ihn als wahren Sünder befunden und ihn sich genommen. Das ist doch genau das, was wir lehren. Das Feuer wird die Sünder von den Reinen trennen."
"Ja, aber es ist das Feuer der Götter, dass sie trennt. Nicht das unsere. Es ist nicht recht, dass wir urteilen!"
Es lag Ärger in seinem Blick, und eine Spur Enttäuschung und etwas anderes.
Entsetzen? War er entsetzt von ihrer Tat? Es war Recht. Sie verstand nicht, was er dagegen einzuwenden hatte.
"Sieh dich um!", hatte sie gerufen, "Die Sünde ist überall. Wo immer man hinblickt, die Sünde kriecht durchs Land, in die Dörfer, in die Menschen. Was hat das Feuer gebracht? Es hat die Sünder in den Menschen hervorgebracht. Wundervoll! Aber sieh dir den König und den Banditen an. Der Sünder ist Egoist und es hält ihn am Leben, der Reine gibt den Anderen und stirbt. Wo ist das Recht?"
Ihr Bruder schüttelte energisch den kahlen Kopf.
"Du verstehst das vollkommen falsch!"
"Nein!", schrie sie beinahe, die anderen Mitglieder ihrer Gruppe horchten nun ebenfalls auf.
"Ich, sehe es genau richtig! Die Götter haben uns das Feuer gesandt, damit die Sünder ans Licht kommen. Es liegt an uns sie nun zu richten!"
Ihre eisblauen Augen sprühten Feuer und Rechtschaffenheit, als sie sich vor ihre Gefährten stellte.
"Wie oft habt ihr Sünder gesehen, die in Saus und Braus leben? Ist das gerecht? Hat das Feuer die Welt besser gemacht? Nein! Es ist an uns das Geschenk der Götter anzunehmen und zu Ende zu bringen, was sie begonnen haben. Ich sage, wir finden diese Sünder und wir brennen sie, einen nach dem anderen, und die Götter werden schon entscheiden, wen von ihnen sie reinigen und wer als wahrer Sünder gerichtet wird. Es ist unsere Aufgabe, unsere Zeit!"
Akios eilte ihr an die Seite und riss sie herum.
"Dummes Kind!"
Sein Kopf war rot vor Wut und in seinen Augen spiegelte sich nun schon so etwas wie Angst.
"Du bist wahnsinnig geworden! Unser Orden ist da um Hoffnung in das Leben der Menschen zu bringen. Alles was die Götter tun hat seinen Zweck und Sinn, es ist Größenwahn, was du vorschlägst. Anmaßend!"
Sie schüttelte den Kopf und sah ihn ruhig an.
"Du warst mir ein großartiger Lehrer, aber du bist alt und müde. Es ist an der Jugend sich die Welt zu nehmen, die ihr zusteht. Mit der Hilfe der Götter haben wir diesen Sünder gerichtet und mit der Hilfe der Götter werden wir auch die anderen richten. Und eines Tages werde ich dir den Kopf dieses Teufels bringen, aber bis dahin gibt es noch zahlreiche andere. Was ist dankbarer, als eine gerettete Seele? Wir werden viele sein, wir werden stark sein. Was waren wir denn vorher?"
Sie wies in die Runde.
"Ein Haufen schwacher, halb verhungerter Kinder, die sich Verpflegung und Unterkunft erhofft hatten. Wir sind wie Mäuse, die leise den Menschen ins Ohr fiepsen und ihr Korn fressen. Ich sage wir werden Raubtiere, sowie das Feuer eines ist und machen dies zu einer besseren Welt, im Namen der Götter!"
Akios wich zurück, langsam den Kopf schüttelnd.
"Du bist fanatisch, dies ist nicht der Weg."
"Fanatisch, ja. Ihr seid ein eingestaubter Orden von alten Geschichten, wir sind das Feuer. Nennt uns Fanatiker, wir sind es, die diese Welt braucht."
Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging.
Erst als sie draußen war sah sie sich um, um zu sehen wer ihr folgte.
Es waren alle.
Sogar Akios lief mit ihr, aber sein Blick zeigte mehr Neugierde in dem See von Unverständnis, Zustimmung suchte sie vergebens.
Sie war bei dem Plan geblieben, zum Kloster zu reisen. Wenn selbst Akios ihr folgte, dann hatte sie gute Chancen auch in der Festung viele der Brüder zu überzeugen.
Der runde, glatzköpfige Mann war immerhin der ruhigste und besonnenste Bruder, den sie kannte.
Einige Tage drauf sprach sie ihn von sich aus an, als er grübelnd mit der Gruppe lief, den Blick auf den Boden gerichtet.
"Alles was ich weiß, habe ich von dir gelernt."
Der Mann blickte sie traurig an.
"Dann verstehe ich nicht, wie das aus dir geworden ist."
"Sieh doch. Alles was du mich gelehrt hast, all das hat mich zu dem einen Entschluss geführt. Es hat das Feuer in mir geweckt, mir klar gemacht, was meine Bestimmung ist. Es ist wichtig, was ich hier tue. Aber genau so wichtig ist es, dass diese alten Lehren, die mich zu dem gemacht haben, was ich heute bin, nicht verloren gehen. Ich sage nicht, dass der Orden eine Gemeinschaft von Kriegern werden soll. Aber ich sage, dass wir in den Krieg ziehen müssen.
Wir müssen wehrhaft werden, unserer Lehren willen. Sonst wird es immer wieder Menschen wie diesen Kerl geben, die glauben mit dem Orden spielen zu können, wie eine Katze mit einer Maus. Wir müssen Löwen werden, um solche Katzen mit einem Schlag unserer Tatze zu vernichten. Aber die Lehren zu verbreiten und den Menschen Hoffnung zu geben ist essentiell. Wir geben ihnen Hoffnung und befreien sie von den Sündern in ihrer Mitte. Es ist eine perfekte Welt, siehst du das nicht?
Akios sah sie geschlagen an. Es war nicht seine Art, nicht sein Weg, aber er verstand was sie meinte und konnte nicht umhin zuzugeben, dass er selbst schon darüber phantasiert hatte. Erstrecht seit dem Tod seines Bruders erschien es ihm wie blanker Hohn, wie er sich friedlich den Sündern gegenüberstellte. Jaris hatte Recht, er hätte den Mann laufen gelassen.
Das Lehre des Feuers war sein Leben, es war an der Zeit, dass er Platz in seinem Herzen für das tatsächliche Feuer machte. Es lebte, die Götter lebten, und sie hatten ihm ein Mädchen gesandt, dass sie in eine bessere Welt führen würde.
Seit der Ausrufung der Fanatiker des Feuers, hatten sie größere Umwege gemacht und viele Dörfer besucht.
In den meisten hielten sie wie üblich ihre Predigten und gaben den Menschen in ihrem harten Leben ein Stück weit Hoffnung, in manchen wurden sie aber auch in ihrer neuen Funktion benötigt und so richteten sie einige Sünder.
Keiner von ihnen hatte überlebt, aber das hatte Jaris nicht als Grund gesehen, ihre Methoden anzuzweifeln.
Jeder ihrer Ordensbrüder, die ihr folgten, hatte die Brennung überlebt, wieso sollte es bei Sündern anders sein, wenn sie willens wären sich dem Feuer hinzugeben?
Sie sah es als Bestätigung ihrer Aufgabe.
Auch hatte sie begonnen ein Schwert zu führen. Es war ein simples Kurzschwert, das sie einem gerichteten Sünder abgenommen hatte. Eine Frau ihrer Statur sollte bewaffnet sein, nie wieder würde sie hilflos da stehen, wenn einer kam ihren Glauben anzugreifen.
Es war in einem unscheinbaren Dorf nahe des Grim, dass sie wieder von dem skrupellosen Söldner hörten.
Er war vor wenigen Tagen in das Dorf gekommen und hatte versprochen sie zu einem horrenden Preis von ihrer Plage zu befreien, einem Nest von Banditen in den Hügeln nördlich des Dorfes.
Ein düsterer Mann sei es gewesen, so sagte der Dorfälteste, und eine Frechheit sei es, ihre Notlage so schamlos auszunutzen.
Aber was blieb ihnen übrig? Wenn die Banditen sich weiter an ihren Vorräten zu schaffen machten, ohne dass sich jemand des Dorfes in der Lage sah sie davon abzuhalten, würden sie alle bald verhungert sein.
Jaris nickte mitfühlend, sie würden hier warten. Etwas in ihrem Inneren sagte ihr, dass dies nur der Söldner sein konnte.
Düster und skrupellos, sie sah ihn schon brennen.
Also warteten sie still in der Taverne und tranken den ihnen angebotenen Dornsaft. Der Söldner hatte angekündigt, dass er ungefähr um diese Zeit wieder zurück sein würde.
Gegen Abend kam dann auch ein Dorfjunge aufgeregt zu ihnen und berichtete, dass der Mann von vorher auf dem Weg zurück sei.
Es dauerte nicht lang, bis die Tür sich öffnete und ein riesenhafter Kerl mit breiten Schultern und einem Zweihänder auf dem Rücken erschien.
Dunkle Haare hatte er nicht, aschblonde Strähnen waren nach hinten in einen unordentlichen Zopf zusammengebunden. Seine Augen waren ein gewöhnliches Grau und sein Gesicht war hart wie gehauener Stein. Nichts an ihm, außer ungefährem Alter und Berufsstand, erinnerte auch nur entfernt an den Söldner, den sie erwartet hatte zu sehen.
Somit beachtete der Mann die Gruppe von Ordensleuten auch nicht weiter und ging geradewegs auf den Dorfältesten zu und sprach ihn an.
"Eure Banditen sind tot, ihr schuldet mir eine ordentliche Belohnung."
Jaris sah zu Akios, der sie ansah. Fragende Blicke trafen sich und sie schienen sich zu einigen diesen Schrank von einem Mann nicht zu richten.
Der Dorfälteste schien anderer Meinung.
"Der Orden sagt, du verlangst zu viel. Du solltest uns helfen, weil wir Hilfe benötigen, nicht für eine Belohnung durch weltliche Güter. Das macht dich zu einem Sünder."
Akios vergrub sein Gesicht in den Händen, Jaris sah den Mann mit offenem Mund an, als er sich langsam zu ihnen umdrehte.
"So. Der Orden sagt ich sei ein Sünder. Meine Sünde ist es also überleben zu wollen? Nennen sie den Fischer einen Sünder weil er seinen Fisch gegen andere Dinge tauscht und ihn nicht verschenkt? Seid ihr Sünder, weil ihr Gaben annehmt und eure Lehren nicht ohne Gegenleistung verteilt?"
Seine Stimme war rau und mächtig wie er selbst.
Jaris hatte Angst. Sie wusste, dass es dumm war, Angst zu haben, vor so etwas weltlichem wie einem Muskelberg, wie der, der vor ihnen stand.
Die Götter waren auf ihrer Seite, wieso hatte sie Angst?
Das musste aufhören.
"Jeder muss von etwas leben. Wir verlangen nichts, die Menschen geben uns, was sie uns geben wollen. Wenn du aus freien Stücken helfen würdest, würden die Menschen dir sicherlich auch aus Dankbarkeit Essen und Trinken geben. Das Leben, das ihr Söldner führt, ist eins von Sündern. Ihr würdet alles tun, solange ihr nur Geld dafür bekämt. Das ist kein ehrenvolles Leben."
Der Mann lachte donnernd.
"Ehrenvoll? Nein. Aber angenehm ist es, und ich wüsste nicht, was es den Orden anginge, wie ich mein Leben lebe. Ja, ich hab schon ganz andere Dinge getötet als ein paar Banditen. Hätte ich das nicht, wäre ich verhungert. Also lasst mich mit eurem Dreck in Frieden."
Er wandte sich wieder ab und dem Dorfältesten zu, für ihn war die Angelegenheit erledigt.
Hätte Jaris bei ihrer Entscheidung bleiben können, sich aus der Sache heraus zu halten, dann wäre dies kein Problem gewesen. Aber jetzt hing sie da drin und eine Niederlage kam nicht in Frage.
Die Überraschung auf ihrer Seite wissend schritt sie siegessicher auf ihn zu, was folgte hatte der Riese sicherlich nicht erwartet.
In dem Moment, in dem die stählerne Spitze ihres Schwertes seinen Adamsapfel berührte verstand auch ihr Gefolge, was sie da tat, und eilten ihr zur Seite, hielten den Mann fest, damit er nicht nach hinten ausweichen konnte.
Den Göttern sei dank, dass sie nun immer Ketten mit sich führten.
So fesselten sie den Söldner kurzerhand und führten ihn unter seinem lautstarken Protest nach draußen. Erst war er belustigt gewesen, doch jetzt schien ihm die Lage bewusst zu werden, in der er sich befand.
Es wäre beinahe Routine gewesen, wäre da nicht die Größe des Mannes. Sie hielt die Klinge mittlerweile von der Seite des Mannes her über dessen Schulter gelegt an seinen Hals, weil der Stahl schon nach wenigen Sekunden unfassbar schwer geworden war. Eine Waffe zu tragen war eine Sache, sie zu führen offensichtlich eine andere. Fünf ihrer Brüder hielten den Mann, der versuchte sich allein durch hin und her werfen seiner Masse loszureißen. Jaris musste höllisch aufpassen, ihm nicht aus Versehen die Kehle aufzuschneiden.
Zur Demonstration ihres Vorhabens hielt sie ihm das Schwert direkt vor die Nase und machte ihm sehr deutlich, dass sie nicht davor zurückschreckte ihn hier und jetzt zu töten, sollte er versuchen zu flüchten. Der Söldner funkelte sie nur bitterböse an.
"Ich wusste nicht, dass euer Pack auch Gott spielt; ich dachte ihr labert von Recht und Ordnung."
Sie strich mit der Spitze über die weiche Haut unter seinem Kinn, endlich erstarrte er, so wie sie es erwartet hatte.
"Es wird sich einiges ändern und du bist Teil dieser Änderung."
Dann hieß sie ihn hinknien und die Dinge nahmen ihren üblichen Lauf.
Bald flammten Graudornen auf dem kleinen Platz zwischen den Häusern auf, dann legte sie die Stange in das Feuer und noch immer ignorierte sie die irritierten Blicke des Mannes. Einige male fragte er, was sie tat. Anders als der Fremde ging er scheinbar nicht davon aus hingerichtet zu werden.
Schaulustige hatten sich selbstverständlich um sie herum versammelt
Die Situation missfiel ihr zunehmend. Der Mann, den sie plante zu brennen, würde schwer zu kontrollieren sein, wenn sein Körper vor Schmerz aufschrie. Sie sah ihn schon mit einer monströsen Brennung und in Ketten davon stürmen, wie einen gebrandmarkten Stier.
Die Stange glühte weiß und Jaris nahm sie schließlich aus dem Feuer und sagte die Worte, wie so oft in den letzten Tagen.
Der Söldner sah sie schräg an, als wüsste er nicht, was sie von ihm wollte.
Wie so oft zuvor fütterte sie ihm die Worte und er wiederholte skeptisch.
"Ist das so eine Art letztes Gebet?", fragte er, als er sein Leben in die Hände der Götter gelegt hatte.
"Nicht das letzte, dein allererstes. Dies ist der Moment, in dem dein Leben beginnt."
Sie sah ihn wohlwollend an, sein Blick gefiel ihr.
Natürlich war er voll von Angst, welcher Mann war das nicht, wenn er in Ketten lag und man ihm ein weißglühendes Eisen an die Kehle hielt.
"Halt still. Es wird weh tun, aber wenn du still hältst wird es ein gerades Mal, das ist ehrenvoller."
Ein seltsames Verständnis zeigte sich in seinem Gesicht und er nickte langsam.
Sie spürte es. So musste es sich anfühlen, wenn ein Mann tatsächlich in die Hände der Götter gelegt wurde.
Dann brannte sie ihn. Als das Eisen seine Haut versengte riss er die Augen auf, sie sah wie sein Blick zu schwimmen begann und hörte den stummen Schrei, der seine leicht geöffneten Lippen verließ.
Sie trat zurück und sah wie er wankte. Ihre Brüder hielten ihn aufrecht, als sein Kopf nach vorne sank und sein Körper schlaff wurde.
Schnell drehten sie ihn auf den Rücken und Akios machte sich sogleich daran, seine Wunde zu versorgen.
"Er wird leben.", sagte Jaris. Sie wusste es. Sie hatte gespürt, dass es jemand besonderes war, als der Älteste das erste mal von ihm gesprochen hatte.
Es war nicht der düstere Fremde, den sie brennen sehen wollte, es war jemand so viel wertvolleres gewesen.
Fürs erste ließ sie den Mann ruhen, er war zu schwer um ihn hinein zu tragen, aber das Wetter war still und so schlugen sie alle ihr Lager auf dem Dorfplatz auf.
Plötzlich fiel ihr das Mädchen auf, dass entfernt von ihnen neben einer Häuserwand stand und alles tat, um bloß nicht aufzufallen.
Im Schatten war sie nur als Umriss zu erkennen, die Kapuze der verwaschenen, grünen Kutte tief ins Gesicht gezogen beobachtete sie die Szenerie.
Die Dorfbewohnern schienen sich allesamt mehr für den gefallenen Söldner zu interessieren, der stöhnend auf der Erde lag und von Akios mit Tinktur und Leinen behandelt wurde.
Jaris lief betont ruhig zu dem Mädchen hin, erst als sie näher herankam fiel ihr auf, dass die kleine ihr höchstens bis zu den Schultern reichte und keine Schuhe trug.
Fast noch ein Kind.
"Kleines, was machst du denn hier so alleine?", sie versuchte ihre Stimme, die sich in letzter Zeit zunehmend an einen scharfen Befehlston gewöhnt hatte, sanft und vertrauenerweckend klingen zu lassen.
"Ich... ich wollte es nur selbst sehen... das Brennen..."
"Verstehst du denn, was die Brennung bedeutet?"
"Ihr nehmt Feuer und benutzt es mit Eisen, und das Opfer stirbt. Aber ihr tut so, als würde es noch leben und als sei das alles eine gute Sache. Die Leute schreien und für manche ist es besser zu sterben, als mit der Stange angefasst zu werden. Wahrscheinlich tut es so weh, dass man lieber sterben will."
Jaris sah sie irritiert an. Wusste das Mädchen, mit wem sie sprach?
"Ja, das tut es, aber darum geht es nicht. Hast du schon einmal eine Predigt des Ordens gehört?"
"Vor einiger Zeit, aber ich habe nicht alles verstanden, was sie sagten. Viel mit Feuer und Göttern und Sünde. Aber das, was ihr Menschen wohl Sünde nennt ist überall, es macht keinen Sinn."
"Es läuft darauf hinaus: Die Welt ist voller böser Menschen. Vor langer Zeit haben die Götter das große Feuer gesandt, damit alle Sünder ihr wahres Gesicht zeigten. Unsere Aufgabe ist es jetzt, die Sünder herauszupicken und sie zu brennen. So wie damals das Feuer es getan hat. Es ist ein Test. Das Feuer brennt die Sünde raus und sie werden bessere Menschen."
"Dann war er... auch ein Sünder in euren Augen."
Die Stimme der Kleinen zitterte leicht.
"Liebes, kennst du ihn? Hat er dir etwas getan?"
Besorgt streckte Jaris die Hand aus und zog die Kapuze ein Stück nach hinten, mit dem was sie sah, hatte sie nicht gerechnet. Erschreckt zog sie die Hand zurück. Was war das für ein Mädchen?
Ihr Gesicht sah anders aus als alles, was sie je gesehen hatte. Breiter und mit hohen Wangenknochen. Ihre mandelförmigen Augen waren schmal und weit auseinander stehend, und ihre Farbe war ein silbrig schimmerndes Grau. Ihr Gesicht war umschlossen von schlohweißen Haaren, die sie vermutlich vor allem anderen unter dieser Kapuze zu verstecken suchte. Dann erst sah sie die Wunden. Auf dem Hals des Mädchens sah sie einen dunkelrot gefärbten Handabdruck, am Kiefer und an einer Wange waren ebenfalls dunkle Schatten zu erkennen.
"Wer...was...", sie wusste nicht was sie zuerst fragen sollte.
Geistesgegenwärtig zupfte sie die Kapuze zurück ins Gesicht der Kleinen und zog sie mit sich hinter eine der Hütten.
Dort lehnte sie sie gegen die Mauer und sah sie durchdringend an.
"Der Mann, hat er dir das angetan?"
"Er will nicht, dass man seinen Namen weiß."
Tausend Fragen schossen ihr auf einmal durch den Kopf, sie beschloss ganz von vorne anzufangen.
"Jetzt erst einmal ganz ruhig. Wie heißt du denn?"
"Yre vom Turm Ygrun, also... Ygrun Yre."
"Yre", was für ein seltsames Mädchen, "diese Wunden.."
"Ich weiß nicht, wie das passiert ist. Nach allem was ich weiß, hätte er dankbar sein sollen. Menschen sind dankbar, wenn man ihnen hilft. Und Menschen fühlen immer so viel, und sie machen keinen Sinn, wenn sie soviel fühlen. Ich wollte nur einem Freund helfen, weil es ihm so schlecht ging mit all den Gefühlen. Aber dafür muss ich ihn ja erst einmal verstehen."
"Einem Freund? Aber nicht dem Mann, der dir das angetan hat?"
Sie wies zurück zum Platz, wo der Söldner lag.
"Der... wer? Den Mann, den du heute gebrannt hast, kenne ich nicht. Ich meine den, den du brennen wolltest, der weggelaufen ist."
Sie erstarrte.
"Der... andere Söldner. Dunkle Haare, dunkle Augen? Er hat dir das angetan?"
"Ja... ich weiß nicht wieso, er ist... seltsam. Ich hab ihn nur verstehen wollen."
"Er ist verrückt, wahnsinnig. Er hat einen meiner Brüder bei lebendigem Leibe verbrannt, weißt du das?"
Die Augen der Kleinen füllten sich mit Tränen, es gab dem Silberschimmer eine weitere Ebene. Hypnotisch.
"Es... es tut mir leid, sprechen wir nicht mehr davon."
Mitleidig betrachtete sie Yre und zupfte ihr die Kapuze tiefer ins Gesicht.
"Vielleicht gehst du besser. Du bist nicht sicher hier. Die Menschen töten, wovor sie Angst haben und sie haben in der Regel Angst vor allem, was sie nicht kennen."
Das war mehr Tiefe, als Yre von dem Feuermädchen erwartet hätte.
Sie schniefte und trat einen Schritt zurück, die Arme um ihren Körper geschlungen.
"Das hat er auch gesagt."
Jaris Blick verhärtete sich, sie hatte es für unmöglich gehalten, dass ihr Hass noch steigen könnte.
"Der Mann ist ein Monster, vergiss ihn. Wir werden ihn noch in die Finger bekommen, und dann werden wir ihn brennen."
"Und alle Sünde und alles Schlechte aus seinem Körper vertreiben?"
"Ja, genau so."
"Das wäre schön. Er ist ein sehr armer Mann, weißt du? Er leidet fürchterlich da drin."
"Er ist böse, schlecht, nichts anderes."
"Böse, so etwas gibt es nicht. Jeder Mensch muss Sinn machen, und sei es nur in seinem eigenen Kopf. Er ist ein armer Mann."
"Du gehst besser, und halt dich fern von Menschen, die nur in ihrem eigenen Kopf Sinn machen."
Sie versuchte ein versöhnliches Lächeln, aber es war zu offensichtlich, was sie dachte.
Ein seltsames Mädchen.
Sieben – Grim und die Abwesenheit der Sterne
Yre hielt sich von nun an fern von den Feuerleuten. Hundert Jahre nach dem Feuer und noch immer war dieses Land besessen davon. Es machte keinen Sinn, oder? Das Feuer war ein Unglück, eine Katastrophe, und die Menschen verehren es wie einen Gott. Es war wohl einfach ein Menschending, an Dinge zu glauben, die man nicht sehen konnte.
Aber sehr viel anders war es mit den Schicksalen, die die Ilfen verfolgten, auch nicht, oder?
Als sie heute am Ufer des Grim saß und nach einem Schicksal Ausschau hielt fühlte sie sich so wenig ilfisch wie nie zuvor. Der Anblick der Wellen, die stetig Schlamm ans Ufer spülten, schien ihr immer wieder die Tränen in die Augen zu treiben. Yre verstand nicht wieso, es machte keinen Sinn. Die Wunden, die Niemand ihr zugefügt hatte waren geheilt, aber ein untergründiger Schmerz war geblieben. So etwas wie eine Schattenhand, die ihre Kehle noch immer umklammert hielt und sie nicht so frei atmen ließ, wie sie gerne wollte.
Ihr Geist schlich auch immer wieder zurück zu dem Tag, sie war es nicht gewohnt keine Kontrolle über ihre Gedanken zu haben. Es irritierte sie. Diese Bahnen, in denen ihre Gedanken liefen, waren menschlich. Sie waren sinnlos, geradeaus und grauenvoll, blind. Nein, das war nicht sie. Mit einem Kopfschütteln versuchte sie die Gedanken abzustreifen und wandte ihren Blick von den Wellen ab. Das Wasser tat ihr nicht gut, schien es.
Mit einem frustrierten Stöhnen ließ sie sich nach hinten fallen, hinein in den weichen Sand des Grimufers.
Im trüben Türkis des Himmels an diesem Tag fand sie schließlich wonach sie suchte. Das Schicksal, das sie so sehr beschäftigte.
Was half es denn, wenn sie schon an nichts anderes denken konnte, dann würde sie wenigstens ilfisch denken.
Ihre Augen verfolgten träge die Wolken, die in einem fort nach Norden zogen. Langsam begannen die schwirrenden und surrenden Insekten in ihrem Kopf sich zu setzen, zu ordnen. Ihre Gedanken waren wieder klar, gerichtet.
Beinahe sofort sah sie abertausende Muster und Gesichter in den Wolken über sich. Menschlich... Das war zu offensichtlich. Sie suchte nach versteckteren Hinweisen, geheimen Botschaften, die nur für Ilfenaugen bestimmt waren.
Es dauerte eine Weile, aber schließlich wurde sie fündig. Luftströmungen. Von Westen, wie es schien. Sie trieben die Wolken von ihrem Kurs ab, stellten sich ihnen entgegen und brachten es alles durcheinander. Zuerst waren da nur leichte Schwankungen, aber schließlich glaubte sie ganze Wirbel in den Wolkenzügen zu sehen. Nein. Was sie sah war im Himmel. Sterne oder Wolken oder was auch immer, alles was man am Himmel sah bezeichnete große Dinge. Große Schicksale, große Lebenswege und große Kämpfe. Das war nicht was sie suchte. Was auch immer sie hier sah, es war doch unmöglich mit Sicherheit zu sagen was es bedeutete. War es nicht genau das, was sie immer an ihren Leuten kritisiert hatte?
Es war zu leicht, die Antworten zu finden, die sie wollte. Und in diesem Moment war sie Mensch, voller Gefühle und nicht in der Lage wirklich klar zu sehen.
Widerwillig drehte sie den Kopf, spürte den nassen Sand an ihrer Wange. Es erinnerte sie.
Sie sah Felsen, von denen so viele das Ufer säumten. Ein perfektes Versteck für eine Ilfe, die nicht gesehen werden wollte.
Der, der sie vor neugierigen Augen schützte, war anders. Hatte sie sich deshalb hier niedergelassen? Die graubraune Wand war rissig, die Zeit hatte an ihr genagt. Mächtige Graudornen hatten sich ihren Weg durch die Felsspalten gesucht, neue Löcher hinterlassen und ganze Stücke aus dem massiven Stein gebrochen. Am Boden lagen sie, zerschmettert und an einigen Stellen von Hochwassern rund gewaschen.
Sie verspürte Mitleid mit dem Stein. Ein so unnachgiebiges Material, besiegt, zerschlagen. Aber er stand noch, der Fels. Er wird vollkommen zerbrechen bevor er umkippt. Die Zeit wird mehr und mehr Schichten abtragen, ihn Stück für Stück zerstören. Was ist mit Feuer? Fragte sie sich. Was wenn das Feuer tatsächlich kommt? Ihr Verstand sagte ihr, dass wenn es kam, es die Dornen, die sich in den Fels bohrten, verbrennen würde. Es würde Löcher zurück lassen, zweifelsohne. Aber die Dornen in seinem Fleisch wären weg, nicht? Seinem Fleisch. Yre verfluchte sich für den Gedanken. Das war nicht die Denkweise, die sie haben sollte. Ilfen denken nicht so, Menschen tun das. Aber es half nichts, sie wusste an wen sie dachte. Kein Zweck das zu leugnen, nicht in ihrem eigenen Kopf.
Es ist etwas in ihm drin, schoss es ihr durch den Kopf. Nun, das war ilfisch. Neugierig stand sie auf und ging näher heran.
Beinahe erwartete sie, dass der Stein unter ihrer Berührung zurück zucken würde. Tatsächlich vernahm sie ein leichtes Grummeln, tief unter sich. Ein Erdbeben, exakt in dem Moment, in dem ihre Hand den Fels berührte. Kalt war er außerdem, dafür, dass die Sonne auf ihn schien.
Yres Gedanken rasten, das war zu offensichtlich. Oder nicht? Es ist etwas in ihm drin. Richtig eindringlich klang diese Eingebung dieses mal.
Sie ließ ihre Hand von dem Gedanken leiten und sah ihre Finger sich um eine arm dicke Ranke schließen. Sie zog, erst vergeblich. Es kostete sie einige Anstrengung und auch ein gutes Stück Überwindung, aber schließlich gab die Pflanze nach und lockerte sich, ließ Yre freie Sicht auf das Innere des Felsens, das durch die bohrende Kraft der Dorne freigelegt wurde. Sie sah Gold und erschauerte in einem Anflug von Kälte. Feine Adern liefen durch den Stein, wanden sich durch das nasskalte Grau und verliehen ihm eine edle Erscheinung, etwas Höheres. Dies war kein normaler Fels, er gehörte auch nicht hier her. Was war das? Was offenbarte sich ihr hier?
Gold.
Es erinnerte sie. Etwas zog und zupfte an ihr, wie ein neugieriges Kind an ihrem Ärmel. Erinnere dich! Das Element der Ilfen war Silber. In ihren unterirdischen Gängen war das doch damals das höchste gewesen, nicht? Silber, wie der Mond... wie sie selbst. Aber Gold, da war etwas mit Gold. Etwas in ihrer Vergangenheit. Nicht Yres, die ihres Volkes. Was kam davor... was waren die Ilfen, bevor sie Ilfen waren? Alt, schoss es ihr durch den Kopf. Ja, sehr alt. Etwas altes war das, in ihr drin. Und in ihm, setzte sie in Gedanken hinzu. Eine Verbindung, eine uralte Verwandtschaft. Was in aller Himmels Namen bedeutete das?
Ihr zeigte sich keine Antwort. Dieses hier vermochte ihr keine Lösung auf ihre Fragen zu geben, die falsche Frage. Hier fand sie nichts.
Mit einem frustrierten Knurren riss sie sich los.
Sie war auf etwas gestoßen, das war ihr klar. Aber was? Und wie würde sie den Rest herausfinden?
Ungeduld, wie menschlich.
Yre atmete tief ein und wieder aus. Ruhig, ganz ruhig. Es half. Das hier war eine große Entdeckung, das spürte sie. Wenn etwas ihr Ilfenblut so in Wallungen bringen konnte, dann war das etwas großes. Nie zuvor hatte sie sich selbst so in das, was sie sah einbezogen gefühlt. Es war neu und sie war sich sicher, dass auch ihre Sippe noch nie davon gehört hatten. Was war das?
Acht – Die Kupfergarde und der Norden
Der Norden des Landes hielt tatsächlich mehr für sie parat als der Süden. Sie hatten davon gehört, dass der Süden, abgesehen von der Wüste, voller Leben und der Norden eine eisige Hölle sei. Aber diese Berichte waren alt und es schien sich tatsächlich ins Gegenteil verkehrt zu haben.
Zweifelsohne war das Land noch immer eine Hölle, durchzogen von Armut, Grausamkeit und Hunger, aber kalt war es nicht. Auch die Händler die unterwegs waren schienen deutlich mehr Waren zu führen, als es im Süden der Fall gewesen war.
'Alles vom Grim', hatte ihnen einer berichtet. Der Grim sei ihre Lebensader, das Grimland ihre Kornkammer. Mit wenig Korn, aber es sei eine.
Und wirklich, wo die Menschen im Süden sich oftmals nur mit Dornsaft und einem Fisch ab und an am Leben hielten hatten die Nordler Ascheknollen, Schwämme, manchmal sogar Fleisch und Brot.
Im Süden hatten sie die Menschen in einem Dorf eine verendete Hyäne essen sehen, hier erlegten Söldner Horntiere und es war ein Fest, wenn ein ganzes Dorf an kam um das Tier zu zerlegen.
Ein simples Leben und immer der Gefahr ausgesetzt, von Banditenbanden heimgesucht zu werden, aber es war ein Leben.
Natürlich trafen sie auch hier immer wieder auf Wilde, nackt und mehr Tier als Mensch vegetierten sie dahin und stahlen sich ihr Überleben zusammen.
Die drei Gardisten halfen so gut sie konnten und zogen so die Dankbarkeit ganzer Regionen auf sich, wenn sie danach Belohnungen ablehnten.
Söldner seien nicht so, sagte man ihnen. Die streiften immer durchs Land und verlangten unverschämte Belohnungen für ihre Dienste. Nicht viel besser als Diebe und Wilde, meinten einige.
Wölfe waren hier ebenfalls ein Problem; ganze Packs ausgehungerter Tiere streiften durch das Land und fielen über Dörfer her, ihre Verzweiflung die einzige Waffe, die sie hatten in einem meist unterlegenen Kampf. Dennoch, ab und an schafften es selbst die ausgemergelten Biester ihre Zähne in einen der Dorfbewohner zu schlagen, oder eines der Kinder, und so waren die Rudel eine stetige Bedrohung.
In all dem Elend gab es aber einen Lichtblick, wie sie bald feststellten.
Als sie eines Tages in ein Dorf unweit des Auslaufes des Niedergrim kamen, sahen sie eine Gruppe seltsamer Gestalten auf dem Dorfplatz stehen und sprechen. Die Dorfleute hingen wie gebannt an ihren Lippen und beachteten nicht einmal die Phönixheimer in ihrem großartigen Aufzug.
Sie sprachen vom Feuer. Ein Ding, das die drei brennend interessierte. Aber sie erzählten nichts davon wie das Feuer über das Hauptland gekommen war und alles, was ihm in den Weg kam zerstört hatte. Nein, sie erzählten davon warum die Welt gebrannt hatte.
Sie redeten von Göttern und von Sünde und von feigen Königen und dergleichen. Wunderbar, diese Menschen würden nie dem feigen Herrscher aus der Eiswüste folgen, dachte sich Vargo.
In Phönixheim gab es natürlich ebenso viele Erzählungen von der Zeit des Feuers, doch sie drehten sich allesamt eher darum, wie die Verbrecher aus der Wüste und ihr Anführer zu Ermond Frostblatt gekrochen kamen und ihn um Gnade angefleht hatten. Natürlich wurde auch von der Hitze berichtet, von dem Schrecken auf einmal auf einem verbrannten Stück Land fest zu sitzen, ohne etwas zu essen und ohne Ausweg.
Hier hingegen hörten die drei Phönixheimer das erste mal etwas, das wie eine Erklärung klang. Auf ihrer Insel hatten sie keine Götter, zu verschieden waren die Hintergründe gewesen, aus denen sie kamen. Sie hatten Kilorn Frostblatt.
Es war eine Offenbarung jetzt von den höheren Existenzen zu hören, diese Götter, die all die Sünde getilgt hatten, um ihr Volk zu prüfen, zu reinigen und in eine bessere Zukunft zu führen.
Sicherlich, der Weg, der vor ihnen lag, war beschwerlich. Sie sahen es selbst, dies war keine ideale Welt. Aber der feste Glaube an weitere Feuer, die die letzten Sünder, die sich im Angesicht ihrer Lage offenbart hatten, tilgen würden... Es machte Sinn, und Sinn war etwas, das das Volk dringend benötigte.
So befremdlich all dies für die Fremdlinge auch war, sie verstanden es und sie fanden es großartig, erhebend.
Nachdem die Predigt vorbei war nahmen erstmals einige Dorfbewohner Kenntnis von den drei seltsamen Gestalten, die die gesamte Zeit hinter ihnen gestanden hatten.
Wie Dominosteine stießen die Leute sich gegenseitig an und nach wenigen Sekunden lag eine angespannte Stille über dem Platz.
Die Dame und Vargo blickten wie üblich zu ihrem Kameraden, doch bevor der etwas sagen konnte kam einer der Ordensbrüder auf sie zu und ergriff das Wort.
"Sprecht, seid ihr diese Söldner, von denen wir hier so viel hören? Was ist das für ein großartiger Aufzug?"
Der Alte wies auf Vargo in seiner imposanten Rüstung.
Bevor Vargo sich zu dem anklagenden Tonfall des Ordensbruders äußern konnte begann Kumrad ihre Lage zu erklären. Er verzichtete nicht darauf, auf den feigen König hinzuweisen, der das Feuer überlebt habe und jetzt gedachte seinen Herrschaftsanspruch geltend zu machen.
Die Menge lauschte aufmerksam, wenngleich sichtlich aufgebracht von dem, was sie da hörten.
Auch der Ordensbruder blickte sie eindringlich an und nickte einige male.
"Der, von dem ihr sprecht, ist hier wohl bekannt, wir nennen ihn einfach nur den Feigling. Niemand wird sich hier von so einem regieren lassen. Aber lasst mich euch versichern, auch wenn wir eure Meinung teilen, es ist nicht an den Menschen sich in die Angelegenheiten der Götter einzumischen. Das Feuer wird wieder kommen, und alles was an Sünde übrig geblieben ist wird zerstört werden. Die alten Steine seiner Burg können ihn kein zweites mal beschützen, glaubt mir."
Die Drei hielten es für besser nicht mehr von ihrer Mission zu reden, von diesem Orden würden sie keine aktive Mithilfe erwarten können. Was schade war, denn auch wenn sie hier nur als Kundschafter unterwegs waren, so wussten sie doch, dass ihre Mission ohne Allianzen mit dem Volk kaum schaffbar sein würde.
Vorerst ließen sie sich weiter von den Ordensleuten in den Beschaffenheiten des Landes unterrichten und waren dankbar für jede Information, die sie erhielten. Von den vielen reisenden Händlern hatten sie sich schon ein gewisses Bild zeichnen lassen, doch alles von einem anderen Blickwinkel aus zu hören war erfrischend und überaus hilfreich.
Die Götter und das Feuer, die Menschen und die Wilden und dazu der ewige Kampf ums Überleben. Als sie sich endlich anschickten weiter zu ziehen, war die Nacht bereits eingebrochen und so ließen sie sich breit schlagen, doch bis zum Morgen zu warten.
Kumrad konnte kaum noch die Augen offen halten, und so übernahm Vargo die Führung und erzählte im Gegenzug von Phönixheim und Kilorn und ließ auch die Entstehungsgeschichte seines Landes nicht aus.
Interessant, dass ihre kleine Truppe ausgerechnet aus den drei Elementen bestand, die ihr Volk begründet hatten. Adel aus dem Hauptland, ein Ministersohn aus dem Außenland und eine Bürgerliche des Wüstenvolks.
Die Dorfbewohner schienen dankbar für die Geschichten und lauschten fasziniert, wie Vargo von fernen Ländern sprach, und von Tieren und Pflanzen, die hier niemand mehr kannte.
Wieder einmal dachte er sich, dass er wirklich mehr hätte mitbringen sollen.
Die Dame hielt sich im Hintergrund, undurchschaubar wie immer.
Die Situation an dem Pass war der einzige Moment gewesen, in dem Vargo das Gefühl hatte ein Stück weit ihr wahres Gesicht zu sehen zu bekommen.
Noch immer war sie ihm suspekt, aber er gab sein bestes sein Misstrauen verdeckt zu halten, sie waren gemeinsam hier und ihre Mission war die gleiche. Und es war Kilorn, der sie ihnen anvertraut hatte. Das musste doch reichen, um eine starke Gemeinschaft zu bilden, nicht?
Als sie dann doch endlich schlafen gingen, eine Wohltat dieses in einem echten Bett zu tun, war die Sonne bereits im Begriff aufzugehen und das karge Zimmer, das man ihnen angeboten hatte, war erfüllt von einem seltsamen Halblicht.
Am nächsten Morgen verabschiedeten sie sich von den Ordensleuten. Auch wenn die ihnen sicherlich nicht in ihrer Sache beistehen würden, es war gut zu wissen, dass es eine spirituelle Instanz gab, die ihr Vorhaben grundsätzlich gut hieß.
Von diesem Abend an erweiterten sie ihre übliche Geschichte um einige Elemente, sie sprachen von Kilorn, der aus der Asche geboren war und im Namen des Feuers das Land zurück zur alten Glorie bringen würde.
Die Leuten hörten so etwas tatsächlich gerne, stellten sie fest. Und so wurden sie von Kundschaftern zu Missionaren.
Neun – Brennende Schafe
Ein namenloser Fremder strich durch eine Wüste aus Staub.
Er war schon wieder geflüchtet.
Nicht vor einer glühenden Eisenstange, nicht vor einem wütenden Mob. Nein, vor einem kleinen Mädchen war er davon gelaufen. Ilfe hin oder her, alles was sie getan hatte war Fragen zu stellen. Fragen, die er nicht ertrug. Das Feuer ist in dir, dein Erbe-, jede Faser seiner Existenz sträubte sich gegen diesen Satz. Wir sind das Feuer, du und ich. Finger, greifend und tastend.
Wieder diese Stimmen aus der Vergangenheit, aus seinem Inneren. Würde es jemals aufhören?
Dazu dieser nagende Selbsthass. Er hatte es fertig gebracht ein wehrloses Mädchen zu schlagen. Noch mehr Finger. Diese Wut, die in ihm hoch gekocht war, was war das, wenn nicht Repräsentant des Feuers in ihm? Schwachsinn. Menschlich, nichts weiter, versuchte er sich zu überzeugen, doch es fiel ihm selbst schwer das zu glauben.
Der Drang sich in sein Schwert zu stürzen war stärker denn je, zu viele altbekannte Stimmen in seinem Kopf, doch Stolz und Trotz hielten ihn beisammen. Die würden ihn nicht besiegen, nie.
Die Schmerzen, die seinen Körper durchzogen, waren nach einigen Kilometern einem beinahe wohligen Brennen gewichen und von Erschöpfung war auch nicht mehr viel zu merken. Etwas trieb ihn voran.
Er rastete erst, als die Sonne hinter ihm unterging.
Er schaffte es kaum zu essen, bevor Schmerz und Erschöpfung wie eine Lawine über ihn her rollten und der Schlaf ihn holte. Und in dem letzten, bewussten Augenblick war ihm schon klar, dass dieser Schlaf kein erholsamer sein sollte.
Er träumte, er schrie, er wachte, er lief.
Unruhig und getrieben wie er war hastete er immer weiter, immer vorwärts, immer weg.
Nach Osten, den Obergrim entlang. Ohne Ziel, ohne Bestimmung. Nur weiter leben.
Am liebsten wäre er sofort nach Norden abgebogen, wieder in seine unendlichen Weiten geflüchtet. Hinein in die Leere, keine Menschen, kein gar nichts.
Aber in der Mitte des Landes wäre das glatter Selbstmord. Nein, erst musste er sich noch eine Weile mit der gut bewohnten Uferregion des Grim herum schlagen. An der Ostküste würde er dann nach Norden ziehen. Heimat, dachte er und sah die leere Ebene vor sich. Frieden, Schlaf, Ruhe vor all dem Lärm im Kopf. Er hatte es bitter nötig.
Aber zuerst lag ein wochenlanger Marsch vor ihm. Mit Dörfern und Händlern und... Ordensgruppen.
Die folgenden Tage waren ähnlich.
Noch getriebener als sonst hastete er durch die trostlose Landschaft, streifte einige Dörfer, doch in keinem hatte er Motivation zu verweilen.
Arbeit fand er hier so gut wie nie und was konnten ihm Siedlungen sonst noch bieten?
Menschliche Nähe, sagte eine Stimme in seinem Inneren, die ihn hämisch auflachen ließ.
So versuchte er der Zivilisation so lange fern zu bleiben, wie es ihm irgendwie möglich war. Seine Vorräte gingen jedoch bald zu Neige und so wich er dieses mal nicht aus, als er in der Ferne ein Dorf erkannte, sondern hielt direkt darauf zu.
Ein Schwert brauchte er auch dringend, die Fanatikerin hatte ihm das Kurzschwert, das er am Gürtel trug, abgenommen. Sein grober Anderthalbhänder blieb ihm zwar, aber er hatte gern eine Auswahl an Waffen dabei und in Bedrängnis erwies ihm das handliche Kurzschwert definitiv bessere Dienste.
Das Dorf war eines der etwas größeren Sorte, schon von weitem sah er vereinzelte Farmen, die sich sternförmig um einige Steinhäuser herum ausbreiteten.
Das Ufer des Grim war nur wenige Kilometer entfernt; kein Wunder also, dass sich hier Siedlungen finden ließen, die man beinahe als Städte bezeichnen konnte.
Schon einige hundert Meter vor dem Zentrum fielen ihm die misstrauischen Blicke der Bauern auf, eine Frau nahm ihre Kinder an der Hand und führte sie schleunigst in die kleine Hütte, die sie ihr Heim nannten.
Skeptischer als sonst.
Gerade so nah am Grim war man Fremden gegenüber normalerweise aufgeschlossener. War hier etwas geschehen? Einen paranoiden Augenblick lang dachte er an den Orden, dieses Mädchen würde nicht ruhen, bis sie ihn tot oder gebrannt sah, dessen war er sich sicher.
Aber unmöglich, dass sie ihm bis hier hin gefolgt waren.
Wenn sie seinen Spuren bei seiner ersten Flucht nicht gefolgt waren schien es nahezu unmöglich, dass sie ihn noch hätten einholen können.
Er erinnerte sich nicht an viele Details seiner panischen Flucht, doch dass er einige Male die Richtung gewechselt hatte wusste er noch.
Unmöglich also, versuchte er sich zu überzeugen.
Als er die kleine Häuseransammlung betrat zeigte sich ihm ein ähnliches Bild.
Aus einigen Metern Entfernung hatte er noch Türen gesehen, die sich schlossen. Nun stand er auf einem verlassenen Dorfplatz, sichtlich irritiert.
War es möglich, dass Wort von der Verbrennung dieses Säufers hierher gelangt war? Zusammen mit einer Beschreibung des Täters, ihm?
Weit war es nicht, und die reisenden Händler redeten gern und viel.
Selbst wenn. Was hat das mit diesen Leuten zu tun? Irritiert steuerte er das größte Gebäude an, in dem er wie üblich die Taverne vermutete.
Und wie üblich lag er richtig. Der Schankraum war in ein schummriges Licht getaucht, einige Männer standen an der Theke versammelt und drehten sich alarmiert um, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
"Grüße.", versuchte er eine freundlichere Stimmung zu erzeugen, er wollte keinen Ärger.
Die hasserfüllten Blicke, die man ihm entgegen schleuderte, teilten ihm deutlich mit, was die Männer von seinem Versuch hielten.
Keine Angst, stellte er verwundert fest.
Wenn sein Ruf ihm voraus geeilt war, wieso fürchteten sie ihn nicht?
Unsicher blieb er vor der Tür stehen.
"Ich brauche Vorräte."
Er kam sich zu dumm dabei vor, ihnen seine Dienste anzubieten. Sollten sie seine Aussage als Forderung verstehen, so sei es. Er wollte nur noch hier weg.
"Du bist der Teufel, der den armen Ordensbruder angezündet hat.", stellte einer der Männer fest.
"Ich habe einen Sünder gerichtet, wenn man so will. Hab' ihm das Feuer gebracht, dass er so vergöttert hat. Ich will hier keinen Ärger, nur Vorräte, bitte."
Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, Abscheu.
Bitte, das Wort war ihm gegen seinen Willen heraus gerutscht. Wer waren die so mit ihm zu reden?
Diese Leute schnaubten noch verächtlich und schüttelten ihre Köpfe.
Aus ihrer Mitte löste sich ein etwas untersetzterer Mann, unter seinem derben Wams lugte der Rand eines Kettenhemdes hervor und an seiner Seite hing ein Langschwert, das schon bessere Tage gesehen hatte.
Der Fremde konnte nicht anders und lachte laut.
Das war also das Geheimnis ihrer Aufsässigkeit, ein abgehalfterter Krieger, der dachte sie beschützen zu können.
"Das ist also, was ihr mir entgegenzusetzen habt?"
Halb belustigt, halb genervt schüttelte er nun seinerseits den Kopf.
Der Krieger kam gemächlichen Schrittes auf ihn zu, die Hand auf dem Knauf seines Schwertes liegend.
"Wir wollen dich hier nicht. Geh, oder du bekommst es mit mir zu tun."
Mit einer geübten Bewegung hatte der Fremde sein Schwert gezogen, er sah den Schreck im Gesicht seines Gegenübers in Anbetracht der doch recht beeindruckenden Klinge.
Der Dorfkrieger fummelte nun seinerseits am Griff seiner Waffe herum und zog sie umständlich aus der Scheide.
So standen sie da und blickten sich fest in die Augen. Normalerweise hasste er dieses Vorspiel, aber in diesem Fall sollte es reichen, um den anderen von seiner Überlegenheit zu überzeugen.
Der glotzte jedoch nur dumm. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben, keine Frage. Aber fehlgeleiteter Stolz gewann die Oberhand und so stürzte er vorwärts, das einhändig zu führende Schwert mit beiden Händen fest umklammert.
Es brauchte einen Schlag um den armen Kerl zu entwaffnen.
Die restlichen Tavernenbesucher, die sich mittlerweile um sie versammelt hatten, johlten und pfiffen.
Sichtlich angestachelt nahm der andere abermals sein Schwert auf, spuckte dem Fremden abfällig vor die Füße und ging auf ihn los.
Dieser parierte ähnlich mühelos, wie beim ersten mal, stieß den Mann mit der flachen Seite seiner Klinge zu Boden und hielt ihm die Spitze des Schwertes an die Kehle.
"Gib es auf!", knurrte er.
Er hatte nicht mit der Hartnäckigkeit der Dorfleute gerechnet.
Einer von ihnen nahm das Langschwert, das einige Meter zur Seite geschlittert war, auf und hielt es nun wiederum dem Fremden an den Hals.
Der lachte.
"Seid ihr wahnsinnig? Ich könnte euch alle hier und jetzt aufschlitzen, wenn ich wollte!"
Wut und Belustigung kämpften noch um die Vorherrschaft.
Wut siegte angesichts der Entschlossenheit in den Gesichtern seiner Gegner.
"Ein Feind des Ordens ist ein Feind von uns!", rief ihm nun einer der Hinteren entgegen, andere pflichteten ihm bei.
"Dann sollt ihr auch sterben wie diese Ordenshunde."
Dem Schwert an seinem Hals hatte er sich mit einem Griff seiner behandschuhten linken Hand schnell entledigt.
Dann blutete der Mann unter seiner eigenen Klinge. Ein schneller Schnitt über die Kehle, ein bitteres Lachen entfuhr ihm.
Jetzt hat auch er sein Mal.
Dann brach Panik aus.
Angst.
Er hatte auf sie gewartet, und endlich war sie gekommen. Süße, pure Angst in den verzerrten Gesichtern seiner Gegner.
Einige starrten noch auf den zuckenden Körper ihres Champions, das Blut schwallte mit den letzten Krämpfen seines sterbenden Herzens aus seinem Hals, floss über den gestampften Lehmboden, der es hungrig auf sog.
Wie paralysiert.
Schafe, jetzt wissen sie wieder, was sie sind.
Einer war gerannt, draußen hörte er seine Schreie in der beginnenden Dämmerung, wie durch einen Schleier. Noch nie hatte er das getan, es war das erste mal. Wilde, Banditen, alle erledigte er im Freien, bestenfalls in Höhlen oder Baracken. Noch nie, nie in seinem Leben hatte er Unglück über ein Dorf gebracht. In ein Heim, in eine Gemeinschaft. Doch, einmal, erinnerte er sich und lächelte. Es tat gut, sich zu erinnern.
Die restlichen Schafe drängten sich in die Ecke der Taverne. Einer flehte ihn an. Erbarmen. Und er lachte, frei.
Dann starben auch sie, mit dem gleichen Mal, das er auch dem anderen gegeben hatte. Seinem Mal. Sein Heiligtum, alles was er hatte.
Draußen sah er gerade noch ein paar wegrennen, blökend.
Er folgte ihnen nicht, wozu auch.
Dann war da Stille.
Leere und Ruhe breitete sich in ihm aus.
Er dachte an das Schlachtfeld in der Taverne; hier draußen könnte man meinen, ihre Welt sei in Ordnung. Kein Lüftchen regte sich, der Dorfplatz lag da wie immer.
Vorräte, richtig. Er ging in die Häuser, selbst für ihn fühlte es sich falsch an. Sie wollten es nicht anders. Er nahm sich was er brauchte und gab ihnen, was sie so sehr zu wollen schienen. Feuer.
"Ja, ja... ich bring' das Feuer...", murmelte er zu sich selbst und dachte an die Ilfe.
Es fühlte sich nicht mehr so schrecklich an. Gerecht, beinahe. Was immer der Orden auch predigte, er nahm es ihnen und machte sich den Wahnsinn zu eigen. Hah, wenn sie hier wäre. Dieser selbstgerechte Blick würde ihr vergehen; er würde wieder das Feuer in ihren Augen sterben sehen, wie an dem Tag, an dem der Säufer gebrannt hatte.
Es war Recht, was er tat.
Flammen loderten an den ärmlicheren Hütten empor, die größeren Steinhäuser taten sich noch schwer, doch schließlich brannten auch sie.
Er stand auf der Mitte des Platzes, umringt von brennenden Monstern, die den Himmel mit ihrem bizarren Flackern erhellten. Meine Dämonen, dachte er sich und sein Mund zuckte.
Angst, Abscheu, Euphorie.
Er stand noch eine Weile, sich nicht im Klaren darüber, ob dies hier nun Heilung oder nur weiterer Wahnsinn war.
Schließlich ging er, erfüllt von einem Gefühl von Macht, nach Osten.
Zehn – Eine neue Gefahr
Die Ausläufer des Niedergrim hatten sie nun schon lange hinter sich gelassen. Sie hatten der Anziehungskraft der Grimgabel widerstanden und waren weiter nach Norden gereist, durch einen Streifen Ödland hindurch und auf den Obergrim zu.
Der Plan war, dem Obergrim nach Westen folgend, dann den Grim entlang und wenn man im Westen auf das Meer stößt, dann ist man zu weit gegangen.
Die Ordensleute hatten ihnen den Weg zu ihrem Kloster so gut es ging beschrieben, ihnen sogar eine Karte in den Staub gezeichnet. Alles sehr improvisiert, aber das Grimufer sei gut bewohnt, man würde schon genug Dörfern finden, in denen man erneut nach dem Weg fragen könne.
Das klang nach einem Plan.
Eine spirituelle Instanz war besser als gar keine, und sie hatten sich entschieden, mit dem Anführer, dem sogenannten Abt zu sprechen.
Es musste doch auch in ihrem Sinn sein, einen würdigen Herrscher zu etablieren, um dem Land eine gut geregelte Struktur zu bringen. Außerdem war da noch die Gefahr, die vom Feigling ausging. Ihr Plan stand fest, zum Kloster sollte es gehen.
Diesen Morgen erreichten sie ein weiteres Dörfchen, eins der letzten am Ende des Obergrim, der hier zu kaum mehr als einem Flüsschen zusammen geschrumpft war.
Sie würden ihm in entgegengesetzter Richtung nach Westen folgen und ihm beim Wachsen zusehen, doch zuerst war da ein Dorf, eine Aufgabe.
Mittlerweile waren ihre Besuche weniger des Kundschaften willens, viel mehr hatten sie es sich zur Aufgabe gemacht die Botschaft zu verbreiten. Die Botschaft, dass es einen König gab, der ihres Landes würdig war. Einer, der aus der Asche geboren war, um sie alle in eine bessere Zukunft zu führen. Der Sohn der Götter mit dem kupferroten Haar.
Der Ausläufer des Obergrim ragte ein gutes Stück weiter ins Land hinein als der des Niedergrim, und so war es nicht verwunderlich, dass die Haupthandelsroute zwischen der östlichen Küstenregion und dem Gebiet um den Grim herum von hier ausging. Eine kürzere Durststrecke bedeutete ein niedrigeres Risiko.
So war das Dorf eins der größten, die sie bei ihrer Reise vom Pass hierher bislang zu Gesicht bekommen hatten.
Die Taverne! Wie üblich hielten sie zielsicher auf das größte Gebäude zu, dies hatte hier sogar zwei Stockwerke und neben geschichteten Steinen war auch Mörtel zum Einsatz gekommen. Umringt war es von einigen weiteren Häusern und zahlreichen Hütten aus Lehm und Stroh, wie sie es bereits aus zahlreichen anderen Dörfern gewohnt waren.
In der Taverne zeigte sich ihnen das übliche Bild. Einige Männer saßen an der Theke, Händler, stellte Vargo mit geübtem Blick fest.
An einem der Tische saßen weitere seiner Sorte, die Reisekleidung unterschied sie deutlich von den Bauern der Region. Bei ihnen saß ein Mann in Rüstung, wohl ein Söldner.
Er redete angeregt auf die Männer ein. Arbeitssuche, vermutete Vargo.
Ungewöhnlich aber die dunklen Haare. Vargo wäre es nicht aufgefallen, doch Kumrad hatte ihn schon vor einer Weile darauf aufmerksam gemacht, dass sie bislang kaum Menschen mit dunkleren Haaren gesehen haben, nie welche mit schwarzen.
Ihre Begleiterin hatte einige male neugierige Blicke auf sich gezogen. Fast mehr noch, als Vargo in seiner prunkvollen Rüstung.
Das Wüstenvolk war tot, das wussten sie alle. Die einzigen Überlebenden waren die, die nach Phönixheim verbannt wurden. Der Rest hatte gebrannt, alle bis auf den Feigling und sein Gefolge.
Dann war da noch der Nordmann.
Sicherlich, bestimmt gab es im Nordteil des Landes mehr Dunkelhaarige als im Süden.
Erst als der Fremde seinen Blick erwiderte fiel ihm auf, dass er ihn angestarrt hatte. Irritiert und bemüht, nicht rot zu werden wandte er sich ab und Kumrad zu, der begonnen hatte mit den Händlern an der Theke zu sprechen.
Sie sprachen über das Wetter, die Lage im Land und den üblichen Kleinkram. Natürlich fragte man sie, wo sie herkämen, aber Kumrad wich der Frage geschickt aus.
Charmantes Wiesel.
So wenig Vargo ihn auch mochte, daran hatte sich nichts geändert, er hatte insgeheim die Qualitäten seines Gefährten schätzen gelernt.
Erst gegen Abend, als die ansässigen Bauern und Handwerker in die Taverne einkehrten, um ihren Feierabend bei gemütlicher Runde ausklingen zu lassen, erst dann ließ sich Kumrad auf die Fragen ein, die sie ihm prompt stellten.
Oder viel mehr stellten sie sie Vargo, Kumrad fing sie elegant ab und antwortete an seiner statt. Sofort herrschte Stille in dem Schankraum, der mittlerweile nur noch von einigen Kerzen in ein schummriges Licht getaucht wurde.
"Wir sind keine Händler, wie ihr bestimmt schon gemerkt habt. Wir sind die Garde von König Kilorn Frostblatt, Sohn von Asche und Feuer, von seinem Volk voll Zuneigung Kupferkönig genannt."
Sofort ging ein Raunen durch den Raum. Gerede von Königen kannte hier niemand, die fand man nur noch in alten Geschichten. Und dort waren alle Könige schreckliche Sünder, die im Feuer ihre gerechte Strafe gefunden hatten.
"Ich weiß was ihr jetzt denkt! Was denkt sich der denn, sich einen König zu nennen! Aber es ist die Wahrheit! Es gibt nur zwei Könige, die das Feuer überlebt haben. Einer war der Vorfahr von Kilorn Kupferkönig, Ermond Frostblatt. Der andere, das war der Feigling, der noch heute in seiner kalten Burg sitzt und seine toten Finger nach euch ausstreckt."
"Kindermärchen!", rief einer der Händler, Kumrad lächelte.
"Das mag man meinen, nicht? Auf dem Weg hierher haben wir Türme gesehen. Kennt ihr diese Türme? Die, mit den blassen Gestalten, die auf euch hinab schauen?"
Ihre Blicke sagten ihm, dass sie wussten, wovon er sprach.
"Wir haben die wildesten Geschichten gehört, als wir hier her kamen. Aber unsere Boten bringen uns schon seit langer Zeit Kunde vom Hauptland. Seit dem Feuer, als die Welt in Schutt und Asche lag. Und wisst ihr was? Es war nur wenige Jahre nach dem Feuer, dass die ersten Türme in den Himmel schossen. Erst im Süden, dann krochen sie immer weiter nach Norden. Immer an der Küste. Ihr seid umringt! Wir nennen sie die Finger des Feiglings, und sie sind bemannt mit seinen Nachfahren. Die Jahre in der Dunkelheit haben ihre Haut weiß wie den Mond werden lassen und ihr Geist ist so verrottet, wie der ihres Vaters. Hört mir zu! Unser König ist der einzig rechtmäßige Herrscher. Er hat sein Volk nicht sterben lassen, er hat unsere Vorväter gerettet, jeden einzelnen. In Zeiten der Not kamen die Leute zu ihm und er hat sie mit offenen Armen empfangen."
Kumrad holte tief Luft und schätzte mit einem beiläufigen Blick in die Runde die Reaktionen der Dorfbewohner ab.
"Er ist bereit auch für euch seine Arme zu öffnen und euch den Frieden zu bringen, den ihr so sehr verdient habt. Er ist der Sohn des Feuers und im Namen der Götter wird er euch in eine bessere Zukunft führen."
Unsicherheit, das war was er sah. Ein klein wenig Unverständnis, aber auch einen Funken Hoffnung.
Ablehnung fand er nur in einem Gesicht, ausgerechnet der Kämpfer. Wunderbar.
"Folgt ihr auch dem Orden?", fragte einer.
Vargo sah unsicher zu seinem Gefährten hinüber. Was sollten sie sagen? Aber der lächelte nur.
"Wir haben vor wenigen Wochen das erste mal von dem Orden erfahren. Überflüssig zu sagen, dass wir ihre Ansichten voll und ganz teilen."
"Unterstützen sie also den Anspruch von eurem König?"
"Sie sagten uns, dass es nicht an ihnen liege zu urteilen. Der Orden vertraut auf die Götter und deren Urteil. Ich sage, dass das Überleben das Frostblattklans für sich spricht. Wir sind auf dem Weg zum großen Kloster des Ordens, wir wollen mit dem Oberhaupt sprechen. Auch wenn sie nicht aktiv in das weltliche Geschehen eingreifen wollen, sicherlich würden sie zustimmen, ihren Einfluss im gesamten Land zu nutzen, um uns bei unserer Sache zu helfen. Es ist unser Ziel, eine Ordnung in das Land zu bringen. Jedes Dorf sollte wieder Wachen haben, die es beschützen. Nur so können eure Städte wachsen, ohne dass Banditen, Wilde und Söldner sie ausnehmen und klein halten. Wir haben es gesehen auf dem Weg, die Lage ist außer Kontrolle. Von dem Süden will ich gar nicht sprechen. Der Norden hat Priorität, das Grimufer muss beschützt werden."
Was er sagte gefiel den Leuten. Warum sollte es auch nicht? Sicherlich, sie hatten so ihre Probleme mit Königen, nichts gutes hörte man von der Zeit, als noch welche das Land regierten. Aber viel davon war ein direktes Resultat der Königskriege, und nun gab es nur zwei Könige und einer würde siegen. Vargo war fest entschlossen alles zu tun, um seinem König den Sieg und diesem verbrannten Land Frieden zu bringen.
Nachdem Kumrad es auf sich genommen hatte den eigentlichen Grund für ihre Reise zu erklären folgte nun der andere Teil, die Neugierde der Dorfleute.
Sie löcherten sie mit Fragen zu Phönixheim, dazu, wie ihre eigenen Vorfahren auf der Insel das Feuer erlebt hatten, das war eine Frage, die Vargo gerne beantwortete, und viele weitere.
Tiere und Pflanzen, allesamt unbekannt geworden im Feuer, wurden mit farbenprächtigen Worten beschrieben, Bild von grünen Wiesen und dem Wald in den Köpfen der Anwesenden gemalt. Das alles würde man selbstverständlich hier einführen, versicherten sie immer wieder. Sie würden Saatgut und Tiere herbringen und das Land würde wieder blühen.
Sie hatten sie auf ihrer Seite, war sich Vargo mittlerweile sicher.
Bis auf diesen Kämpfer, der still in der Ecke saß und sie finster ansah. Kein Freund von uns, entschied der Ritter und ging dennoch zu ihm.
"Du hältst nicht viel von uns, sehe ich."
Er versuchte es neutral klingen zu lassen, bei dem Blick, den er erntete, hätte er dem Fremden genauso gut vor die Füße spucken können.
"Ich halte nicht viel vom Orden und ich halte nicht viel von den Göttern. Wenn ihr vom Orden anerkannt und euer König von den Göttern gesandt ist, dann bin ich wohl euer Feind."
"Harte Worte von einem Mann, der einsam in einer Ecke sitzt. Ich sollte dich hier und jetzt richten und deinen Kopf dem Abt präsentieren."
Der Fremde lachte.
"Das würde ihm gefallen, da bin ich mir sicher."
Die entspannte Haltung des Mannes provozierte ihn mehr, als er zugeben mochte. Nahm er ihn nicht ernst? Sollte er nicht etwas dagegen tun?
Der Kerl mochte ein wenig größer sein als er selbst, aber seine Rüstung war zweifellos die bessere und er hatte mehr Gewicht, dass er beim Schlag in seine Waffe legen konnte. Alles in allem war er zuversichtlich, und da war noch Kumrad.
"Du bist ein Söldner."
"Ein Sünder, in den Augen des Ordens."
"Dann wird das Feuer dich holen, wie es alle Sünder holt." Nicht seine Worte, aber dies war auch nicht sein Land und es klang angemessen in seinen Ohren.
Mit einem letzten, warnenden Blick stand er auf und begab sich zurück zu seinem Gefährten, half ihm die Flut von Fragen zu bewältigen, die noch immer auf den armen Mann einprasselten. Die Ordensleute hatten sehr deutlich gemacht, was sie von selbstgerechtem Handeln hielten, es schien ihm der bessere Weg, den Söldner vorerst Söldner sein zu lassen. Noch hatte er ja nichts getan, außer seinen Unmut zu zeigen und die Händler wären sicherlich nicht sehr erfreut, wenn er ihren Leibwächter für die weitere Route verletzte oder tötete.
Sie saßen noch bis spät in die Nacht im Schankraum. Die Fragen waren schon vor einer Weile versiegt und bald hockten sie nur noch zu zweit vor dem schwelenden Feuer im Kamin. Der Söldner saß noch immer in der Ecke, mit geschlossenen Augen und in seinem Stuhl zusammengesunken. Schlafend. Richtig, jemand wie er bekam sicherlich kein Zimmer in einer Taverne.
Irgendwann war die Dame zu ihnen gestoßen und sie berichteten kurz von den Reaktionen, die sie geerntet hatten.
Vargo erzählte auch mit gesenkter Stimme von seinem Gespräch mit dem Söldner, die Dame warf dem in der Ecke sitzenden daraufhin einen interessierten Blick zu.
"Ein Nordmann.", flüsterte sie, "Ganz so wie Graehl, nicht?"
Vargo zwang sich zu einem Lächeln. Für die Nachfahren des Wüstenvolks von Phönixheim war Graehl von der Krom so etwas wie ein Held. Sicher, als es darauf ankam hatte er seinen eigenen Stolz hinunter geschluckt und hatte Ermond seine Treue geschworen, es war die meist erzählte Geschichte auf der Insel. Aber trotz allem fand Vargo die Faszination in ihrem Blick ein wenig befremdlich.
"Seine Augen sind auch pechschwarz. Aber das kommt im Norden wohl öfter vor. Wenn wir bis oben in die Berge ziehen würden wimmelt es bestimmt von denen. Das ist nichts besonderes. Söldner sind gefährlich, gebt also besser Acht."
Von der Dame erntete er nur einen genervten Blick.
"Ich habe nicht vor, mich mit dem Feind einzulassen. Entspann dich endlich."
Aber es fiel ihm schwer. Wo immer sie auch hinkamen, plötzlich verschwand sie und tauchte erst Stunden später wieder auf. Er dachte eigentlich mit Menschen umgehen zu können, aber dieses mysteriöse Verhalten fand er schwer zu händeln. Kilorn vertraut ihr, sagte er sich immer wieder und fragte sich, ob es jemals helfen würde.
Der Wirt kam und sagte er hätte für sie noch ein Zimmer frei machen können und so zogen sie sich dann auch bald zurück, um in Ruhe die Nacht zu verbringen bevor ihre große Reise entlang des Grims los ging.
Am nächsten Morgen waren die meisten Händler schon wach als sie hinunter in den Schankraum kamen und sich anschickten aufzubrechen.
Es sollte eine ganze Händlerkarawane geben und es würde noch Tage dauern, bis die letzten mit ihren Wägen eintreffen. So verabschiedeten sie sich und zogen schließlich los, mit der Morgensonne im Rücken.
Sie waren nicht weit gegangen, die Sonne hatte ihren Zenit noch nicht erreicht, als sie das erste mal den Mann bemerkten, der ihnen folgte.
Es war nicht zu übersehen, wer es war und es wunderte keinen von ihnen, dass der seltsame Fremde sich doch noch entschlossen hatte, sie zu konfrontieren.
So blieben sie stehen und gingen ihm sogar ein Stück entgegen. In seinem Gesicht lasen sie, was er von ihrer Geste hielt.
"Zu gütig.", knurrte er, als sie schließlich aufeinander trafen, "Ich kann nicht zulassen, dass ihr zum Kloster geht."
Vargo lachte schallend.
"Du willst uns aufhalten? Hat man dir im Norden nicht beigebracht wie man zählt?"
"Drei gegen einen, die Chancen standen schon schlechter für mich. Ein Fetter, ein Mädchen und einer, der aussieht wie ein verfluchter Barde."
Vargo richtete sich zu voller Größe auf und legte eine Hand auf seinen mächtigen Hammer, bereit dem Fremden eine bissige Erwiderung entgegen zu schmettern, doch sein Gegenüber schien genug von der Unterhaltung zu haben und zog sein Schwert.
Eine solche Klinge hatte Vargo noch nie gesehen. Er kannte die Schwerter, die denen der alten Rittern nachempfunden waren, und die, die man ihnen aus dem Außenland gebracht hatte. Er kannte geschwärzten Stahl, aber diese Form kannte er nicht. Kerzengerade und breit, aber länger als die Breitschwerter, die er kannte. Die Spitze war an nur einer Seite abgeschrägt und die grobe Kante wies bedrohlich in ihre Richtung.
Wenn er mit diesem Monstrum auch kämpfen konnte, könnte es gefährlich werden. Mit dieser Waffe war er stärker als Kumrad und sicherlich schneller als er selbst.
Unsinn, versuchte er sich zu überzeugen. Sie waren immer noch zu dritt, es brauchte bloß eine Ablenkung von einer Seite und einen gezielten Angriff von der anderen, seine Rüstung würde ihn nicht lange schützen.
Kumrad die seine aber auch nicht, und so nahm Vargo es auf sich seinen Hammer in die Hand zu nehmen und einen Schritt auf den Mann zuzumachen, so bedrohlich wie er es nur schaffte zu wirken. Er hatte beinahe das Gefühl seine Rüstung müsste scheppern, so unsicher und zittrig fühlte er sich innen drin.
Dann kam der Fremde ihm auch schon wie ein schwarzer Schatten entgegen. Dämonenaugen, dachte er noch, als er den Ausdruck im Gesicht seines Gegners sah. Zu spät sah er, dass der Mann nicht sein Schwert erhoben hatte. Nein, im Bruchteil einer Sekunde hatte er sich gedreht und ihm die Schulter zu gewandt und bevor Vargo reagieren konnte, spürte er einen gewaltigen Stoß gegen die Brust; alle Luft wich ihm mit einem mal aus den Lungen, er verlor das Gleichgewicht und ging zu Boden. Dieses mal hörte er sich Scheppern.
Er sah, dass der Fremde sich gefangen hatte und nun über ihm stand, triumphierend und aufrecht; Vargo lag hilflos am Boden, das Gewicht seiner Rüstung ließ ihn wie einen Stein liegen bleiben und er hatte Mühe zu atmen. Bevor er auch nur versuchen konnte sich aufzurichten, sah er aus halb geschlossenen Augen, wie der Mann sich schon von ihm abwandte und mit erhobenem Schwert auf den Außenländer zu stürzte.
Kumrad hatte währenddessen die Dame hinter sich geschoben und war sofort bereit; flink wie ein Fisch wich er dem mächtigen Hieb aus und, in jeder Hand einen Rapier, wirbelte er los, schneller als Vargos Augen den Klingen folgen konnte. Überraschungsmoment, das war alles was ihm blieb und das wusste er wohl auch. Er konnte nicht darauf hoffen zu parieren oder zu blocken, aber seine Schnelligkeit verschaffte ihm die ersten Schläge, während sein Gegner noch die Macht der gescheiterten Attacke abfing und sein Schwert erneut hob und zwischen sie brachte; doch die dünnen Klingen schienen effektlos an ihm abzuprallen. Vargo brannte die Luft in den Lunge und alle Kraft schien ihm aus dem Körper gezogen worden zu sein, als er sich umständlich auf den Bauch rollte und versuchte seine Arme unter sich zu bekommen, um sich ab zu stützen.
Dann hörte er auch schon, wie die schwarze Klinge erneut über seinen Gefährten herfiel, schneller und wendiger als zuvor. Kumrad wand sich und tänzelte vor dem Söldner herum. Hin und her ging ihr Tanz, sie parierten, wichen aus, konterten, doch die Hiebe des Fremden kamen immer schneller und heftiger, ließen Kumrad immer weniger Möglichkeiten zurückzuschlagen und er war gezwungen Schritt für Schritt nach hinten auszuweichen, gefährlich auf einen mannshohen Fels zu, der am Rand des Weges stand. Vargo schaffte es endlich sich mühsam aufzurappeln, nahm seinen Hammer, den er bei seinem Sturz fallen gelassen hatte und tat das einzige was ihm einfiel, ließ das schwere Ding seinem Gegner von hinten in den Rücken fahren. Der Mann verlor sofort das Gleichgewicht und stürzte, der Hieb seiner Waffe, mit all dem Gewicht seines Sturzes dahinter, verfehlte den Außenländer nur um eine Haaresbreite. Bevor Vargo ein zweites mal den Hammer erheben und auf den am Boden liegenden nieder fahren lassen konnte, hatte Kumrad schon seine Balance zurückerlangt und zugestoßen. Der Fremde versuchte sich aufzurichten, doch die mit mehr Kraft als Präzision nach unten gestoßene Klinge durchbohrte das dicke Leder und versenkte sich von hinten tief in seiner Seite. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen stieß er sich vom Boden ab, rappelte sich auf, griff nach seinem Schwert und mit einem letzten, hasserfüllten Blick stolperte er rückwärts davon. Vargo hob schon den Hammer um ihm nachzustellen, doch Kumrad legte eine Hand auf seinen Oberarm und hielt ihn zurück. Der Fremde drehte sich um und stolperte vorwärts so schnell er konnte.
Die drei blickten ihm mit gemischten Gefühlen nach.
"Wir hätten ihn töten sollen.", sagte Vargo vorwurfsvoll.
"Er war allein. Ich denke nicht, dass wir uns seinetwillen Sorgen machen müssen. Vielleicht überlebt er nicht einmal."
"Es war ein Pieks in die Seite, ich hätte es zu ende bringen können."
"Wer weiß, vielleicht war es ein Pieks an die richtige Stelle? Wenn nicht, lass ihn durchs Land ziehen als lebender Beweise dafür, dass mir der Kupfergarde nicht zu spaßen ist."
Wie sorglos kann man sein?
Kumrad wandte sich der Dame zu.
"Du hättest uns ruhig beistehen können. Wir haben dich kämpfen sehen, du bist gut."
Sie lächelte nur dieses undefinierbare Lächeln.
"Ich überlasse das Kämpfen gerne meinen Männern."
Vargo knurrte innerlich. Diese Frau.
Elf – Die neue Richtung
Nach der Brennung des falschen Söldners rasteten sie oft. Gleich am Tag darauf waren sie losgezogen, aber unzählige Pausen ließen sie nur quälend langsam vorankommen.
Wilhem, so hieß der Söldner, erholte sich gut. Alle Sünder, die sie vor ihm gebrannt hatten, waren schwach gewesen. Kleine Diebe, Betrüger und dergleichen. Wilhem war stark und sein Mal war wunderschön geworden, fand Jaris, als sie sich wie so oft zu ihm setzte während der Rast.
Leider musste sie sich viel zu sehr eingestehen, wie überrascht sie davon war, dass der Mann bei ihnen geblieben war.
Natürlich hatte sie gehofft, dass es so laufen würde, nachdem man einen Sünder gegen seinen ausdrücklichen Willen brannte und der Eifer der Götter sie durchdrang und reinigte, aber es erschien ihr jeden Tag wieder wie ein Wunder, dass Wilhem, schweigsam und groß wie ein Berg, am Rande saß und sie alle bei ihrem alltäglichen Treiben beobachtete.
"Wie geht es deinem Mal?", fragte sie lächelnd, als sie sich neben ihm auf dem Boden niederließ.
Es war ihr Standardgruß und leitete jedes mal ein Austausch von Gedanken zu den Vorkommnissen der letzten Tage ein.
Wie ging es seinem Mal? Was dachte er darüber, nun einer von ihnen zu sein? Und noch wichtiger: Was dachte er darüber, dass es ihm nichts ausmachte?
"Es geht gut, denke ich. Manchmal juckt es und das Schlucken fällt mir noch schwer, aber ich gewöhne mich daran."
"Du hörst zu wie Akios spricht?"
"Ja. Gekannt habe ich die Lehren des Ordens schon vorher, aber interessiert haben sie mich nie. Es war, als wären sie hinter einer Wand gewesen. Eine Mauer aus täglichem Überleben und Essen und so. Das alles scheint so weit weg."
"Hast du mal mit Akios gesprochen?"
Er hatte noch kein Wort mit irgend jemandem außer Jaris gewechselt, das wusste sie.
"Nein. Es fällt mir schwer zu sprechen, eigentlich. Ich habe das Gefühl, als sei mein vorheriges Leben verbrannt. Als läge es irgendwo ganz weit weg, in einem kleinen Aschenhaufen, und ich habe auch überhaupt kein Interesse daran, es wiederzufinden. Da fällt es schwer noch an Worte zu denken, oder an Umgangsformen und andere Leute."
Jaris nickte langsam und nachdenklich.
Bei ihr war es nicht ganz so extrem gewesen, aber ihr Leben war auch kürzer und nicht so geprägt von Gewalt und Leiden.
"Mein Leben vor der Brennung war... nichtig. Ich habe nie hungern müssen, aber etwas hat doch immer gefehlt. Es war einfach leer. Nach der Brennung blieb davon nicht einmal Asche übrig, über der ich hocken und jammern könnte. Ich bin irgendwie froh darum. Aber ich verspreche dir, dein neues Leben wird sich bald füllen mit neuen Aufgaben. Du hast jetzt eine neue Familie in uns."
Der Mann lächelte, aber sie sah, wie es hinter seinen grauen Augen arbeitete.
Ihre kleine Prozession zog noch wochenlang in Richtung des Ordensklosters. Sie durchzogen jedes Dorf, dass ungefähr auf ihrem Weg lag. Jaris konnte nicht mehr zählen, wie viele Sünder sie gebrannt hatten. Überlebt hatten insgesamt nur fünf von ihnen, die nun ähnlich wie Wilhem mit ihnen mit zogen.
Er hatte es sich auch zur Aufgabe gemacht, sich um die Neuankömmlinge zu kümmern. Immerhin kannte er das Gefühl, mit dem sie kämpften, am besten.
Seine Wunde war schon lange geheilt und zurück blieb ein gerades Brandmal, beinahe filigran auf seinem massigen Hals.
Er hatte schon im nächsten Dorf gleich geholfen die Sünder zu fassen, die sich herumtrieben. In dem darauf hatte er angeboten einige Wilde zu richten, die die Gegend heimsuchten.
Und so machte er sich schon bald darauf unendlich nützlich. Richtete Sünder und half im Dorf, während die anderen von ihnen ihre Lehren preisgaben und einmal verteidigte er die Gruppe sogar gegen einen aufgebrachten Dorftrottel.
Der düstere Söldner sollte nur kommen, sagte sie sich.
Sie würde ihn keinesfalls brennen lassen, ohne ihn vorher noch durch Wilhems Hände eine Weile leiden gesehen zu haben.
Die einzige Sorge, die tief in ihrem Inneren verwurzelt blieb, war, ob er die Brennung überleben würde und was wäre wenn.
Starb er, hätten sie ihn genauso gut unter höllischen Qualen ganz verbrennen können. Lebte er, würde er mit ihnen reisen. Zumindest, wenn die Brennung so erfolgreich lief, wie die letzten und die Sünder als neue Menschen hervorgingen.
Das Feuer war ein vergebendes Ding, und sie selbst war noch nicht in der Lage dem Mann zu vergeben. Vielleicht würde sie es nie sein.