Marissa kam aus dem Bad. Sie war in ein riesiges Badetuch gehüllt, das ihr als eine Art Sarong diente. »Guten Morgen«, sagte sie.
»Guten Morgen.«
»Gut geschlafen?«
»Glaub schon.«
»Das freut mich.« Sie ging zum Toilettentisch und öffnete die Handtasche, die sie mitgebracht hatte. Sekunden später trug sie einen winzigen Bikini. Im Spiegel sah sie, daß ich sie beobachtete. »Würde ziemlich albern aussehen, wenn ich in meinem Abendkleid zum Hauptgebäude zurückginge«, sagte sie.
Ich nickte.
»Irgendwelche Wünsche?« fragte sie.
»Nun, etwas Kaffee könnte mir jetzt guttun.«
»Sofort.« Sie drückte auf einen Knopf bei der Tür. »Sonst noch irgend etwas?«
Ich schwang mich aus dem Bett und ging zur Badezimmertür. Dort blieb ich einen Augenblick stehen und drehte mich um. »Bloß nicht so förmlich, Baroneß. Ich dachte, wir sind Freunde. Oder soll das vielleicht heißen, es sei für dich nur ein Job gewesen? Da wäre ich aber verdammt sauer.«
Als ich wieder aus dem Bad kam, sah ich, daß man inzwischen einen kleinen Tisch auf die Terrasse hinausgerollt hatte. Er war recht hübsch gedeckt: weißes Tischtuch, gelbe Stoffservietten, in einer silbernen Kelchvase eine einzige gelbe Rose.
Das Frühstück war das, was man Kontinental-Frühstück zu nennen pflegt - Orangensaft, Kaffee, Brötchen, Hörnchen.
Marissa stand draußen am Geländer und blickte zum Meer. Als sie meine Schritte hörte, drehte sie sich um. »Ich möchte dich um Entschuldigung bitten«, sagte sie.
»Schon gut.«
»Nein, das ist es nicht. Ich meine, ich wollte gar nicht so förmlich sein, nur - ich hab so etwas noch nie zuvor gemacht, und da - da fühlte ich mich so verlegen, so verklemmt. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.«
»Du hast ja nichts Falsches gesagt. Hauptsache ist jedenfalls, daß wir Freunde bleiben.«
Sie lächelte. »Wir sind Freunde. Kaffee?«
»Schwarz, bitte.«
Ich nahm die Tasse, die sie mir reichte. Der Kaffee war wirklich stark. »Was steht für heute auf dem Programm?« fragte ich.
»Um zehn Uhr erwartet euch Dieter beim Hauptgebäude zur Besichtigungstour.«
»Kommst du auch mit?«
»Das glaube ich kaum. Auf mich wartet Arbeit. Doch heute abend um sieben gibt es für euch einen Cocktailempfang. Und die hiesigen Honoratioren werden vollständig anwesend sein. Ich übrigens auch.«
»Und was ist mit dem Dinner?«
»Wenn du willst, komme ich.«
»Also, ich will«, sagte ich. »Und bring diesmal noch etwas anderes mit, das du dir anziehen kannst, wenn du zum Hotel zurückgehst. Denn ob du am Morgen in deinem Büro im Abendkleid aufkreuzt oder im Bikini, ich finde das eine so albern wie das andere.«
Die Besichtigungstour dauerte bis Mittag. Dann knallte die Sonne so heiß herunter, daß nicht einmal die Brise, die vom Ozean her unter dem Verdeck des Jeep hindurchstrich, Erleichterung bringen konnte. Dieter saß am Steuer; ich saß neben ihm, Lonergan hinten. Ab und zu warf ich einen Blick zu meinem Onkel. Falls er sich unbehaglich fühlte, so ließ er sich davon jedenfalls nichts anmerken. Als einziger von uns trug er einen Anzug und sogar eine Krawatte. Immerhin: Auch er schien recht zufrieden, als wir endlich wieder im Hotel waren - eine gute Klimaanlage hatte doch ganz entschieden etwas für sich.
Wir gingen zur Bar. Wie üblich bestellte Lonergan für sich einen trockenen Martini. Ich nahm Gin und Tonic, Dieter Tequila. Wir hatten ein ganz ansehnliches Pensum hinter uns -zwei Golfplätze - der eine mit achtzehn, der andere mit neun Löchern -, zwölf Tennisplätze, einen Vierzig-Pferde-Reitstall, siebzehn Bungalows. Das einzige, was es noch zu besichtigen gab, war das Hauptgebäude.
»Insgesamt hundertundachtzig Suiten gibt es in diesem Gebäude«, erklärte Dieter. »Sie bestehen aus Schlafzimmer, Wohnzimmer, Bar-Küche und zwei Badezimmern. Das Ganze ist auf jeden nur denkbaren Luxus abgestellt, und unsere Kalkulation dabei sah folgendermaßen aus: Der
Durchschnittspreis je Suite sollte pro Tag zweihundert Dollar betragen - bei, im Schnitt, vierzig Prozent belegten Suiten schätzten wir, dabei aus dem Schneider zu sein.«
Lonergan nickte. »Ihren Unterlagen zufolge haben Sie es jedoch nur auf einen Schnitt von fünfzehn Prozent gebracht.«
»In Wirklichkeit«, erklärte Dieter, »lagen wir sogar noch darunter.«
»Wie groß ist Ihre Gesamtkapazität eigentlich?« fragte ich.
»Bei zwei Personen pro Suite und vier pro Bungalow wären es insgesamt vierhundertundachtundzwanzig Betten.«
»Okay. Rechnet man je Gast hundert Dollar pro Tag, so -nun, Sie glaubten also, mit sechzehntausend Dollar pro Tag klarzukommen?«
Dieter nickte. »Bei Vollpension.«
»Und ohne Mahlzeiten?«
»Da wären es nur noch zehntausend Dollar. Allerdings kommt man nicht darum herum, ein kontinentales Frühstück servieren zu lassen. Das gehört sozusagen zu den Auflagen, die man uns behördlicherseits gemacht hat. Doch sind die Kosten dafür nicht groß und in den zehntausend Dollar drin.«
»Ließen sich die Suiten umbauen? Ich meine, könnte man daraus jeweils zwei voneinander getrennte Doppelzimmer machen?«
»Ja. Wir hatten selbst bereits daran gedacht, nur waren wir nicht in der Lage, noch eine Million hineinzustecken.«
»Verstehe.« Ich gab dem Barkellner das Zeichen, mir noch einen Drink zu machen. »Weshalb«, fragte ich Dieter, »hat das Hotel nach Ihrer Meinung nicht so richtig eingeschlagen?«
Seine Antwort kam zu schnell. »Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens haben sich die Fluggesellschaften nicht an ihr Wort gehalten, die Anzahl der Flüge nach hier zu erhöhen; und zweitens wollen uns die Behörden das Spielkasino erst nach den Wahlen eröffnen lassen, obwohl sie uns die entsprechende Lizenz bereits voriges Jahr ausgestellt haben.«
»Und wieso sind Sie so sicher, daß man Ihnen nun endgültig die Erlaubnis erteilen wird?«
»Weil man nicht will, daß wir den Laden dichtmachen. Dafür hat man zuviel Geld investiert.«
»Haben Sie die Zusage schriftlich?«
Er lächelte. »Dies ist Mexiko. Da gibt es so etwas nie schriftlich. Und selbst wenn man es schwarz auf weiß hätte, würde das nicht das geringste bedeuten.«
»Dann könnte man Ihnen die endgültige Erlaubnis also verweigern?«
»Alles ist möglich. Allerdings bezweifle ich, daß es so sein wird. Aber Sie werden selbst urteilen können. Bei der CocktailParty heute abend wird auch der Gouverneur des Staates zugegen sein. Und der Finanzminister aus Mexiko City. Bei ihnen liegt die Entscheidung.«
Das Telefon am Ende der Bar klingelte. Der Barkellner nickte Dieter zu. »Para usted, Exccllencia.«
Dieter nahm den Hörer, sagte ein paar Worte, legte dann auf. »Die offizielle Maschine aus Mexiko City wird bald hier landen, und ich muß zum Empfang der Herren zum Flugplatz. Wenn Sie mich also entschuldigen würden, meine Herren ...«
»Sicher«, sagte ich.
»Ich habe Ihnen fürs Mittagessen im Garten einen Tisch reserviert.«
»Danke.«
Er sah mich an. »Die Baroneß wird jeden Augenblick hier sein, um Sie zu begleiten und dafür zu sorgen, daß Sie sich wohl fühlen.«
»Nochmals besten Dank.«
»Gefällt mir nicht. Irgend etwas ist da nicht in Ordnung«, erklärte Lonergan, nachdem der junge Halsbach verschwunden war.
»Was meinst du?«
»Ich meine, daß es mit dem Spielkasino wohl nie was werden wird. Denn wenn die Sache sicher wäre, würden sich die betreffenden Interessenten hier nur so drängeln und den Halsbachs fast jede gewünschte Summe auf den Tisch legen. Da hätten die mit der Finanzierung keine Probleme.«
»Du könntest recht haben. Aber laß uns das Spielchen ruhig bis zu Ende mitspielen. Morgen werden wir mehr wissen als heute.« Ich sah, wie Marissa die Bar betrat. »Jetzt ist erst mal Zeit zum Mittagessen.«
Das Essen war genauso exzellent wie das Dinner am Abend zuvor. Es gab Fisch, im Gewässer beim Hotel gefangen, einen herrlichen Montrachet, an mir eher verschwendet, doch von meinem Onkel um so mehr genossen, sowie frisches Zitroneneis und Kaffee. Die sanfte Brise, die durch die Bäume strich, brachte eine angenehme Kühlung.
Nach dem Essen erhob sich Marissa. »Im Büro wartet einige Arbeit auf mich. Kann ich heute nachmittag irgend etwas für Sie tun?«
Ich blickte zu meinem Onkel. Er schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf. »Nein, danke. Wir werden wohl nur zu unserem Bungalow zurückgehen und uns vor der Cocktailparty ein wenig ausruhen.«
»Okay. Sollten Sie noch irgendwelche Wünsche haben, so wissen Sie ja, wo ich zu erreichen bin.«
Wir hatten uns gleichfalls erhoben. Als sie jetzt ging, blickte ihr mein Onkel anerkennend nach. »Wirklich prächtig«, sagte er. »Ein Klasseweib.«
Ich musterte ihn überrascht. Lag es am grellen Sonnenlicht, oder wurde er wirklich rot? Er wechselte rasch das Thema. »Wie wär’s mit einem Spaziergang am Strand?«
»Von mir aus gern.«
Als wir zum Wasser kamen, beugte er sich plötzlich vor, zog Schuhe und Socken aus, krempelte seine Hosen ein Stück hoch. Dann watete er, die Schuhe in der Hand, vorsichtig in die Brandung.
Über die Schulter blickte er zu mir zurück. »Es macht dir doch nichts?«
»Woher denn?«
Er war wie ein Kind: hob einen Fuß, ließ ihn gegen das herbeirollende Wasser vorschnellen, hüpfte dann zurück, wie
um sich in Sicherheit zu bringen. Auf seinen Lippen lag ein leises Lächeln, in seinen Augen war ein sonderbarer, entrückter Ausdruck. »Das habe ich seit meinen Kindertagen schon immer tun wollen.«
»Soll das heißen, daß du noch nie -«
»Nein, noch nie«, sagte er hastig. »Ich mußte ja mit elf Jahren schon arbeiten. Deine Mutter war ein Baby, dein Großvater war tot, und deine Großmutter wusch zu Hause für Fremde die Wäsche, um die Familie zusammenzuhalten.«
»Was hast du gemacht?«
»Ich bekam einen Job in Clancy’s Saloon, gegenüber dem Bahnhof in Los Angeles. Dort habe ich ausgefegt und die Spucknäpfe ausgeleert.«
Ich schwieg. Davon hatte ich noch nie etwas gehört. Keiner in der Familie sprach darüber, wie es angefangen hatte.
»Dein Großvater und Clancy waren zusammen bei der Eisenbahn. Dadurch bekam ich den Job.« Er schwieg einige Sekunden, blickte übers Wasser. »Ich erinnere mich noch, wie ich den Union-Pacific-Güterzug in der Mitte des Santa Monica Boulevard herabrollen sah, neben den Geleisen herlief und meinem Vater und Clancy zuwinkte, die vorn auf der großen Dampflok standen.«
»Vom Santa Monica Boulevard sind wir jetzt beide ziemlich weit weg.«
»Ja«, stimmte er zu, »wir beide. Denn auch du hast ja dort praktisch angefangen.«
Ich nickte. Eigentlich schien es kaum glaubhaft: War es wirklich erst fünf Jahre her, daß ich in dem ehemaligen Laden beim Santa Monica Boulevard gestanden und zugesehen hatte, wie Persky die Möbelpacker dirigierte, die das letzte Möbelstück aus dem Büro des Hoollywood Express hinausschafften?
Persky blickte sich im Raum um und vermied es, mich anzusehen. Bis auf Papierreste auf dem Fußboden war nichts zurückgeblieben. »Das wäre dann wohl alles«, sagte er.
Hinter den Möbelpackern ging er hinaus. Draußen auf der Straße war ein Zimmermann dabei, die zerstörte Vorderfront der Ladenfassade wieder zurechtzuflicken. Jetzt probierte er die Tür aus, schwenkte sie hin und her.
Offenbar war er der Meinung, daß sie sich wieder in brauchbarem Zustand befand. »Macht hundert Dollar«, sagte er.
»Gib ihm einen Scheck«, wies ich Verita an, die neben mir stand.
Er wehrte nachdrücklich ab. »Keinen Scheck. Bar auf die Hand.« Für einen Augenblick wollte ich aufbrausen. Dann wurde mir klar, wie lächerlich das gewesen wäre. Unter den gegebenen Umständen hätte ich an seiner Stelle zweifellos genauso gehandelt. Ich steckte die Hand in die Tasche, zog ein Geldscheinbündel hervor. Den obersten Schein, eine HundertDollar-Note, reichte ich ihm.
Er war unverkennbar beeindruckt. »Danke«, sagte er. »Falls Sie mich noch irgendwie brauchen sollten, Anruf genügt.«
Ich schloß die Tür hinter ihm ab und sagte zu Verita: »Konnte wohl nicht von Dauer sein, wäre ja einfach zu schön gewesen.«
»Es hätte schlimmer ausgehen können. Wir wollen nicht vergessen, daß du noch am Leben bist. Und auch nicht pleite. Beides hätte sehr leicht der Fall sein können. Zusammen mit den Fünfundzwanzigtausend, die du bei dem Handel mit Ronzi bekommen hast, sind das für dich einundachtzigtausend auf der Bank.«
»Und wieviel bleibt mir davon nach Abzug aller Schulden und Verpflichtungen? Das müssen wir erst mal ausrechnen.«
Wir gingen nach oben und setzten uns an den Küchentisch, auf den sie die Geschäftsbücher gelegt hatte.
»Zunächst mal die großen Summen«, sagte ich. »Wieviel ist von dem, was Reverend Sam an Vorauszahlungen geleistet hat, noch nicht abgedeckt?«
Sie blätterte. »Er hat dir vierzigtausend gegeben. Sechs Anzeigenseiten hast du für ihn gebracht. Demnach hat er noch vierunddreißigtausend gut.«
»Schreib den Scheck aus.« Ich wartete, bis sie fertig war, setzte meine Unterschrift darunter. »Jetzt zu Lonergan.«
»Ihm schuldest du nichts. Er hat mich heute früh angerufen und gesagt, er habe das alles als Investitionsverlust abgeschrieben.«
»Scheiß auf ihn. Ich brauche seine Wohltätigkeit nicht.«
Sie schwieg.
»Haben wir ihm seinen Anteil an den Anzeigeneinnahmen der letzten Nummer gezahlt?«
»Nein.«
»Wieviel war’s?«
Sie prüfte mit einem raschen Blick nach. »Dreitausendeinhundert.«
»Addiere das zu den Fünfundzwanzigtausend Vorauszahlung und stell den Scheck aus.«
Sie tat es und reichte ihn mir. Anderes schloß sich an, Rechnungen für die Druckerei etc. Summa summarum zwölftausend Dollar. Dann die Gehälter. Siebzehnhundert Dollar.
»Und wieviel ist jetzt noch übrig?« fragte ich.
»Fünftausenddreihundert«, lautete die Antwort. Diesmal brauchte Verita nicht erst in irgendwelchen Unterlagen nachzusehen. Sie hatte die Zahl im Kopf.
»Du hast recht«, sagte ich. »Ich bin tatsächlich nicht pleite.«
Die Tränen begannen ihr die Wangen herabzulaufen.
»He, hast du mir nicht gesagt, es hätte schlimmer ausgehen können? Vor ein paar Monaten war ich absolut auf dem Nullpunkt. Jetzt habe ich immerhin fünf Mille.«
»Es tut - tut mir so leid, Gary.«
Über den Tisch hinweg griff ich nach ihrer Hand. »Da braucht dir nichts leid zu tun. Solange es lief, hat’s ja einen Haufen Spaß gemacht, und es war doch verdammt besser als Schlangestehen bei der Arbeitslosenfürsorge.«
Sie zog ihre Hand fort und blickte vor sich hin. »Ich habe gestern in meinem alten Büro angerufen. Die sagten, am Montag könnte ich wieder anfangen.«
»Hätte ich wieder ein Anrecht auf Unterstützung?«
»Nein.«
»Dann gehst du auch nicht zurück. Wenn ich nicht an deinem Schalter Schlange stehen kann, zu was soll das dann gut sein?«
»Aber ich muß doch arbeiten, Gareth.«
»Du arbeitest ja. Oder habe ich dir etwa gesagt, daß du entlassen bist?«
»Nein - aber.« Sie zögerte. »Ich dachte, das sei alles zu Ende.«
»Zu Ende?« Ich stand auf und holte aus dem Kühlschrank eine Dose Bier. Ich öffnete sie, trank. »Zu Ende?« wiederholte ich. »Ich fange jetzt erst richtig an. Bevor es mit dieser Sache losging, lief ich durch die Gegend wie ein regelrechtes Arschloch, das mit der ganzen Welt zerfallen ist. Doch damit hat sich’s. Das ist vorbei. Wenn ich vorher der Meinung war, daß mich die Welt beim Arsch hatte, so weiß ich jetzt, daß es auch Möglichkeiten gibt, die Welt beim Arsch zu kriegen.«
Unwillkürlich fiel sie ins Spanische. »Usted está muy macho.«
»Das ist es.« Ich quetschte die leere Bierdose mit der Hand zusammen und warf sie in den Abfalleimer. Dann zog ich Verita vom Stuhl hoch und drückte sie an mich. »Das ist es, wonach ich gesucht habe.«
»No comprendo.«
Ich lachte. »Macho. Der Name unseres neuen Magazins.«
Ein halbes Jahr brauchten wir, bis wir die erste Nummer an den Zeitungsständen hatten, und dann entpuppte sich die Sache auch noch als Pleite. Kurz bevor wir mit der Startnummer von Macho herauskamen, war Penthouse auf dem amerikanischen Markt erschienen, und es machte Furore.
Verglich man unser Macho mit Playboy oder mit Penthouse, so schnitten wir beim damaligen Stand der Dinge nicht gerade sehr blendend ab. Ebensogut hätte man den Hollywood Express mit der New York Times vergleichen können.
Penthouse hatte eine neue Masche aufgerissen und zeigte plötzlich schamhaarlos, aber geschmackvoll »unten ohne«, Playboy konterte mit Frontalangriff, allerdings verdeckten wohlfrisierte Schamhaare so ziemlich alles Wesentliche.
Wir lachten, als wir’s sahen. Dabei war’s für uns alles andere als komisch. Das überrollte uns sozusagen, und uns drohte die Luft auszugehen. Weder mit dem einen noch mit dem anderen Magazin konnten wir’s aufnehmen, nicht im Text noch mit den Bildern. Die hatten in jeder Hinsicht die TopTalente: das Beste, was man für Geld, viel Geld, bekommen kann. Wir mußten uns mit dem zufrieden geben, was halt so übrigblieb.
Die zweite Nummer brachten wir mit einem Monat Verspätung an die Zeitungsstände, damit die mehr Chancen hatten, die erste abzusetzen. Bei der dritten Nummer war’s nicht anders. Wieder ein Monat Verspätung. Aber da wußten wir schon, daß wir k.o. waren und daß es sich bestenfalls noch um ein paar Zuckungen handelte. Die Vertriebsfirma kündigte uns den Vertrag, was bedeutete, daß wir unser Magazin selbst an die Zeitungshändler hätten ausliefern müssen. Doch darüber brauchte man gar nicht zu reden. Inzwischen stand ich auch
noch mit fast fünfzig Mille in der Kreide, und es gab keine Hoffnung mehr, genügend Kapital zusammenzukratzen, um auch nur noch eine einzige Nummer herauszubringen.
Wir saßen um den Küchentisch und starrten mit trübem Blick auf die Rechnungen, die sich vor uns stapelten. »Sind das alle?« fragte ich.
Verita nickte.
»Neunundvierzigtausenddreihundertundsiebenundfünfzig Dollar und sechzehn Cent, ohne Gehälter.«
»Und wieviel wäre das noch?«
Sie blickte zu Bobby und Eileen. »Wir haben darüber abgestimmt. Wir verzichten.«
Das war nun schon die zehnte Woche nacheinander, daß sie verzichteten. »Danke«, sagte ich. »Wieviel haben wir auf der Bank.«
Verita prüfte in ihrem Buch nach. »Ungefähr siebenhundert.«
»Scheiße. Da werde ich bis an mein Lebensende abstottern können.«
»Das brauchst du nicht«, sagte Verita. »Du kannst Konkurs beantragen. Sowohl für dich selbst als auch für die Firma. Dann bist du das alles los. Und wenn du willst, kannst du ganz von vorn anfangen.«
»Was wird mit dem Namen?«
»Macho?«
Ich nickte.
»Der geht dir verloren. Ich meine, der gehört dann sozusagen zur restlichen Konkursmasse.«
»Was für eine Konkursmasse denn? Die zweitklassigen Bilder, die Artikel, die niemand will?«
»Mein Vater wäre bereit, dir das Geld zum Weitermachen zu leihen«, erklärte Bobby.
»Richte ihm meinen Dank aus, aber das wäre hinausgeworfenes Geld. Wir haben’s nun mal nicht geschafft. Wir haben einfach nicht landen können.«
»Vielleicht braucht’s nur noch eine Nummer, um richtig anzukommen«, meinte Bobby.
»Keine Chance. Jedenfalls nicht, solange wir zu tun versuchen, was die anderen bereits besser machen.« Ich holte eine Zigarette hervor. »Wenn es uns nicht gelingt, die Sache neuartig aufzuziehen, dann sind wir nichts weiter als eine drittklassige Imitation.«
»Neuartig aufziehen? Ja, wie denn?« fragte Bobby. »Es gibt nur soundsoviel Möglichkeiten, Mädchen zu schießen, und die haben wir alle probiert.«
Ich starrte ihn an. Was mich stutzen ließ, war weniger, was er sagte, als vielleicht, wie er es sagte. Irgendwo in meinem Kopf begann sich ein Rädchen zu drehen.
»Und an Sex-Themen haben die im Playboy und die vom Penthouse auch so ziemlich alles abgehandelt, was es zu beschreiben gibt«, sagte Eileen. »Auf dem Sektor können wir auch nicht mehr viel bieten.«
Ein zweites Rädchen begann sich in meinem Kopf zu drehen. »Vielleicht haben wir das Spiel nach ihren Spielregeln gespielt. Vielleicht waren wir mit dem Express auf dem richtigen Weg, weil wir die Regeln gar nicht kannten und nur eigenen folgten, die wir je nach Situation für uns aufstellten.«
»Ein Magazin, das auf Bundesebene vertrieben wird, ist etwas ganz anderes als ein Lokalblatt«, sagte Eileen.
»Meinst du? Nun, ich glaube das nicht - nicht in diesem Punkt. Thema Nummer Eins interessiert überall, ganz gleich ob in Los Angeles oder an der Ostküste oder im Mittelwesten. Es interessiert alle, und es interessiert alle brennend.«
»Mag sein. Aber in Los Angeles ist man liberaler und toleranter als etwa in - in Squeedunk. Man ist ganz einfach offener.«
»Meinst du etwa, in Squeedunk wird nicht gefickt?«
»Sicher, nur spricht man dort nicht drüber.«
»Ob man dort darüber spricht, finde ich nicht so wichtig. Entscheidend ist, daß man dran denkt und gern darüber liest. Und daß man sich die Bildchen beguckt.«
»Nun, Playboy und Penthouse werden natürlich auch dort gekauft, selbst wenn die Leute so manches hochgestochene Wort nicht verstehen. Das Konzept ist ja doch das gleiche. Es lautet so ungefähr: Die feine Lebensart für jedermann im Schnellverfahren: die >richtigen< Weine und alles was gerade >in< ist, ob Kleidung, Urlaub, Sport, Filme, Bücher oder Essen. Und so weiter und so fort. Mr. Normalverbraucher weiß nun ganz genau, was er beim nächsten Mal zu seinem Kaviar zu bestellen hat, ob 67er Pommard oder Krimsekt. Und er kann sich in aller Gelassenheit in seinen Aston Martin schwingen, um mit seiner Alten zum nächsten Autokino zu fahren.«
Die Mädchen lachten, doch ich blieb stumm. Mir kam das gar nicht so komisch vor. Es war ein Erfolgsrezept, genau das also, was mir fehlte. Statt dessen stand ich mit fünfzigtausend Dollar in der Kreide. Ein Witz, vielleicht - aber einer auf meine Kosten.
Ich stand auf. »Heute abend kommen wir bestimmt keinen Schritt weiter. Übers Wochenende werde ich mal ein bißchen in Klausur gehen und mir den Schädel zerbrechen. Ich habe nämlich das verdammte Gefühl, daß ich gescheitert bin, weil ich zu blind war, das Auf-der-Hand-Liegende zu sehen.«
»Na, wenn’s auf der Hand liegt«, fragte Bobby, »was ist es dann?«
»Klingt wirklich dämlich, nicht? Aber es ist echt die Wahrheit: Ich weiß es einfach nicht.«
Kurz nachdem sie gegangen waren, klingelte das Telefon. Lonergans Stimme klang kühl. »Gareth?«
»Ja, Onkel John.«
»Ich möchte dich sehen.«
Seit über vier Monaten hatten wir uns nicht gesehen oder auch nur miteinander gesprochen, doch ein »Wie geht’s?« oder »Was gibt’s Neues?« konnte er sich offenbar nicht abringen.
Ich hatte für heute die Nase voll. Lonergan hatte mir gerade noch gefehlt. »Du weißt ja, wo ich bin«, sagte ich trotzig.
»Kannst du mich um Mitternacht im Silver Stud treffen?«
»Wozu, zum Teufel«, knurrte ich.
Er blieb gelassen. »Ich habe einen interessanten Vorschlag für dich.«
»Als ich mich das letzte Mal auf einen >interessanten Vorschlag< von dir einließ, wäre ich beinahe draufgegangen.«
»Das war deine eigene Schuld. Du wolltest ja unbedingt auf deine Weise mit bestimmten Problemen fertig werden, statt mir das zu überlassen. Also um Mitternacht. Ich erwarte dich.«
Ich zögerte einen Augenblick. »Okay«, sagte ich dann.
»Gareth.«
»Ja, Onkel John?«
In seiner Stimme klang ein leises Glucksen an. »Tu mir einen Gefallen und parke dein Auto diesmal auf der Straße, ja?«
Bevor ich antworten konnte, hatte er aufgelegt. Nun, in diesem Punkt brauchte er sich bestimmt keine Sorgen zu machen: Ich war bisher noch nicht wieder in die Lage gekommen, mir ein eigenes Auto kaufen zu können. Weit wäre ich damit ohnehin nicht gekommen, und das buchstäblich: Die Finanzierungsfirma, bei der ich in der Kreide stand, hätte garantiert sofort die Hand drauf gelegt.
Als ich das Lokal erreichte, erkannte ich’s kaum wieder. Die Fenster glänzten silbrig, nur zwei Ovale waren ausgespart, durch die man die Lichtreklame sah. Von der Straße her konnte man nicht in das Lokal hineinsehen. Innen war noch mehr verändert worden. Statt des früheren Mobiliars aus Holz sah man jetzt überall nur noch Chrom und schwarzen Kunststoff.
Von der Decke in der Mitte des Raums hingen vier Filmprojektoren herab und warfen in vier verschiedene Richtungen ihre stummen, doch bewegten Bilder auf Leinwände, samt und sonders eindeutige schwule Streifen. Weiter hinten in der Bar spielte auf einem kleinen Podium ein wild aussehendes schwarzes Mädchen Klavier und sang mit heiserer Stimme dazu. Bei dem allgemeinen Lärm verstand ich den Text erst, als ich schon ziemlich dicht bei ihr war: ausgesprochen »warme« Lyrik, gar kein Zweifel.
Der Collector saß auf seinem Stammplatz am Tisch bei der Treppe.
»Was gibt’s hier denn bloß umsonst?« fragte ich.
»Seit dem Umbau ist das immer so. Gerammelt voll. Jede Nacht ist wie Silvester.« Mit einer kurzen Handbewegung forderte er mich auf, bei ihm Platz zu nehmen. Auf dem Tisch stand eine Flasche Whisky. Er nahm ein zweites Glas, tat aus einem Plastikeimer Eiswürfel hinein, füllte es; schob es mir dann hin. »Hier, dein Drink.«
Ich trank einen Schluck. »Wann haben die hier denn umgebaut?«
»Gleich nachdem du deinen Wagen in der Bar geparkt hattest.« Er grinste. »Ich glaube, du hast Lonergan damit wirklich einen Gefallen getan. Die Versicherungsgesellschaft hat alles bezahlt.«
»Scheiße. Ich sollte von Lonergan eigentlich Provision verlangen.«
Der Collector lachte. »Tu’s doch.« Er schenkte sich nach. »Was hast du denn so getrieben?«
»Das Übliche.«
»Lonergan wird sich ein bißchen verspäten.« Er blickte über meine Schulter. »Hast du die Puppe am Klavier gesehen?«
»Ja.«
»Sieht ziemlich wild aus, wie?«
»Ja.«
Er senkte die Stimme, als spräche er zu sich selbst. »Mann, mit der würde ich gerne mal.«
»Warum fragst du sie nicht einfach?«
»Hab ich ja. Aber sie ist nicht interessiert. Einfach nichts zu machen.«
»Vielleicht ist sie ein Onkel«, sagte ich.
»Ist sie bestimmt nicht«, versicherte er hastig. »Ist überhaupt nicht lesbisch. Sie möchte ein Star werden. Shirley Bassey. Aretha Franklin. So in der Art. Sie ist darauf aus, ganz groß zu landen.«
»Dazu wird sie hier kaum Gelegenheit haben.«
»Sag das nicht. Bei der Meute hier kommt sie ganz toll an. Und unter den Warmen sind ja so manche, die einen Haufen Einfluß haben.« Er stand auf. »Sie hat gleich Pause. Ich werde dich mit ihr bekannt machen.«
»Wozu denn das?«
»Teufel, was weiß ich«, sagte er und fügte dann hinzu: »Scheiße, wenn ich mir nicht irgendeinen Trick einfallen ließe, würde sie nicht mal herkommen und sich zu mir setzen.«
Ich sah, daß ihm die Sache wirklich an die Nieren ging. »Okay, bring sie her. Ich werde ihr sagen, du seist der Größte.«
In einem Punkt hatte er jedenfalls recht: Sie brannte nur so vor Ehrgeiz. Kaum saß sie bei uns am Tisch, so steuerte sie auch schon auf ihr Ziel los. »Bill hat mir gesagt, daß Sie Verleger sind. Ich habe da ein paar Songs geschrieben und möchte, daß Sie sich die ansehen.«
»Solch ein Verleger bin ich nicht.«
»So? Was für einer sind Sie denn?«
»Ich mache ein Magazin. Macho.«
Ihr Gesicht war plötzlich ausdrucksleer. »Nie von gehört. Was für eine Art Magazin ist es denn?«
»Playboy. Penthouse. In der Richtung.«
»Ich posiere nicht nackt vor der Kamera«, sagte sie prompt.
Ich fühlte mich provoziert. »Keine Sorge. Ich werde Sie bestimmt nicht bitten. Sie sind zu mager.«
Sie blickte zum Collector. »Wozu verplempere ich meine Zeit mit so einem Knilch?« fragte sie scharf, sprang auf und marschierte davon.
Ich schaute den Collector an. Er war das verkörperte Häufchen Elend. »Genützt habe ich dir wohl nicht gerade«, sagte ich.
Er nickte schwer. »Das hast du sicher nicht.« Er füllte unsere Gläser, wir kippten, er füllte wieder nach. Als Lonergan um halb zwei endlich auftauchte, war ich so voll, daß ich’s kaum noch die Treppe hinauf schaffte, zu seinem Büro.
»Du bist betrunken«, sagte er mißbilligend.
»Und was gibt’s sonst Neues?« fragte ich mit undeutlicher Stimme.
»In dem Zustand kannst du nichts Geschäftliches besprechen.«
»Stimmt genau.« Ich heftete meinen Blick auf ihn. »Willst du wirklich, daß ich wieder nüchtern werde, Onkel John?«
»Das hier ist wichtig.«
»Okay. Dann laß für mich schwarzen Kaffee kommen. Ich bin gleich wieder da.« Sekunden später stand ich in seinem privaten Badezimmer und steckte mir zwei Finger in den Hals. Eins mußte ich feststellen: In der anderen Richtung hatte der Whisky entschieden besser geschmeckt. Anschließend hielt ich meinen Kopf unters kalte Wasser, bis das Stechen in meinen Schläfen aufhörte. Dann rubbelte ich mich mit einem Handtuch trocken und ging ins Büro zurück.
Lonergan schob mir eine dampfende Tasse hin. »Du siehst aus wie eine ertrunkene Ratte.«
Ich schlürfte die schwarze Flüssigkeit in mich hinein. »Aber es ist eine nüchterne ertrunkene Ratte«, sagte ich. »Also -worüber möchtest du mit mir reden?«
»Wie läuft’s mit dem Magazin?«
»Das weißt du doch. Warum fragst du also?«
»Ich möchte, daß du es mir sagst.«
»Ich mache den Laden dicht. Ich bin am Ende. Kaputt. Schluß und aus. Sonst noch was, das du wissen möchtest?«
»Ja. Warum ist es aus?«
Ich leerte die Tasse, bevor ich sprach. Viel, sehr viel hatte ich darüber nachgedacht. »Willst du eine Ausrede oder die Wahrheit?« fragte ich.
»Die Wahrheit.«
»Weil ich ein Idiot war. Was mir leider sehr spät aufgegangen ist. Ich versuchte, ein Magazin a la Playboy oder Penthouse zu machen. Aber das ist nicht meine Stärke.«
»Was ist deine Stärke?«
»Bei mir läuft’s am besten über den Straßenverkauf. Deshalb hatte ich auch mit dem Hollywood Express Erfolg. Ich spreche den Mann auf der Straße unmittelbar an. Beim versnobten Mittelstand mit gesellschaftlichem Ehrgeiz kann ich dagegen nicht landen. Mein bester Schuß geht unter die Gürtellinie und nicht in den Kopf.«
Er schwieg einen Augenblick. »Glaubst du, du bist immer noch imstande, ein Magazin zu machen, das etwas abwirft?«
»Ja.«
»Was braucht’s dazu?«
»Zunächst einmal natürlich Geld. Aber ein ganz wichtiger Faktor ist auch der Vertrieb. Bei den miesen Erfahrungen, die sie gerade mit mir gemacht haben, wird’s nicht leicht sein, einen zu finden. Ich müßte versuchen, einen aufzutun, der bereit ist, ein gewisses Risiko einzugehen.«
»Wenn du das Geld und das Magazin hättest, würdest du dann wieder zu Ronzi gehen?«
»Ich mag den Kerl nicht. Außerdem vertreibt der ja nur auf lokaler Ebene. Ich brauch einen Vertrieb auf Bundesebene.«
»Und wenn er nun einen an der Hand hätte?«
Ich war jetzt nüchtern. Lonergan tat nie etwas ohne Grund. »Heraus mit der Sprache, Onkel John. Was ist mit Ronzi?«
»Persky hat mit dem Express eine gewaltige Bauchlandung gemacht, und Ronzi mußte ganz schön in die Tasche greifen. Jetzt muß er unbedingt mit was Gutem kommen, um seinen Partnern im Osten zu beweisen, was er eigentlich wert ist.«
»Hat er dich gebeten, dich mit mir in Verbindung zu setzen?«
»Nicht ausdrücklich. Aber er hat durchblicken lassen, daß er einem Handel nicht abgeneigt wäre.«
»Der Express ist für mich passé.«
»Du weißt sehr genau, daß es darum nicht mehr geht. Nein, ich spreche vom Magazin. Von deinem neuen Magazin. Macho. Das ist etwas, das die Italiener verstehen würden.«
»Ich will keine Partner. Und die Spaghetti kämen schon gar nicht in Frage.«
»Das Magazin gehört dir. Sie hätten nur den Vertrieb.«
Ich überlegte einen Augenblick. »Aber mir würde das nötige Kapital fehlen, um überhaupt eine Nummer herauszubringen. Ich stehe jetzt mit fünfzigtausend in der Kreide, und meine Gläubiger ziehen nicht weiter mit.«
»Gegen die Zusicherung von zwei Jahren Exklusiv-Vertrieb könnte ich diese Leute vielleicht dazu bringen, dir hunderttausend vorzuschießen.«
»Ein Jahr ist genug. Und keine persönliche Haftung, falls das Magazin eingeht. Dann verlieren sie ihr Geld, Punkt.«
»Für jemanden, der so hart auf dem Arsch gelandet ist -«, er musterte mich scharf, »- spuckst du ziemlich große Töne.«
»Warum auch nicht?« fragte ich grinsend. »Was habe ich denn noch zu verlieren?«
»Ich hätte dich betrunken lassen sollen. Dann wäre es leichter gewesen, mit dir zu verhandeln.«
»Warum?« Mir kam ein Gedanke. »Bist du bei Ronzi irgendwie beteiligt?«
»Nein. Aber er glaubt noch immer, daß ich bei dir beteiligt bin. Und daß nur für Italiener Blut dicker ist als Wasser.«
Plötzlich sah ich vieles klar. Was immer Lonergan mir genommen hatte, es war eigentlich sein Eigentum gewesen. Nie hatte er etwas genommen, das mir gehörte. Er hatte mich für seine Zwecke benutzt. Doch genau das gleiche hatte ich mit ihm getan. Und hätte er am Ende nicht schützend die Hand über mich gehalten, so wäre ich nicht heil davongekommen.
Ich sah ihn an. »Onkel John, ich hab’s mir gerade anders überlegt.«
»Anders überlegt? Was denn?«
»Das mit dem Partner. Ich will einen. Dich.«
Ich sah, wie sich sein Adamsapfel ruckhaft auf und ab bewegte. Er schluckte hart, zwinkerte heftig, begann seine Brille zu putzen; setzte sie sich wieder auf. »Ich fühle mich geschmeichelt«, sagte er mit heiserer Stimme. »Wieviel wird es mich kosten?«
»Fünfzigtausend brauche ich, um aus der Kreide zu kommen. Und danach brauche ich weitere hunderttausend, um das Magazin so aufzuziehen, wie ich mir das vorstelle. Falls Ronzi mir hunderttausend vorstreckt, hänge ich also immer noch mit fünfzigtausend drin. Nun gut - fünfzig Riesen bringen dir zehn Prozent.«
»Zehn Prozent sind für die Katz«, sagte er. »Soviel bekommt man ja schon als Finderlohn, und dabei investiert man nichts.«
»Das ist mein Angebot.«
Er musterte mich einen Augenblick. »Ich mache dir ein besseres. Ich gebe dir hunderttausend für zwanzig Prozent. Und du hast das Sagen. Damit bekommst du eine echte Chance.«
»Und wenn die Sache in die Hosen geht und du dein Geld verlierst?«
»Dann werde ich mein Kopfkissen naßweinen. Aber du schuldest mir nichts.«
Ich starrte ihn an. Daß ich ihm die Partnerschaft angeboten hatte, schien mir selbst kaum begreiflich. Nie hätte ich geglaubt, daß ich das je tun würde. Nicht nach dem, was mit meinem Vater geschehen war. Er und Onkel John, sie waren Partner gewesen, und mein Vater hatte sich das Leben genommen, weil Onkel John ihm seine Hilfe verweigert hatte.
Er reagierte, als habe er meine Gedanken gelesen. »Dein Vater war ein schwacher Mann. Er tat etwas, das er nicht hätte tun sollen. Als es herauskam, machte er die Sache noch schlimmer, indem er andere Menschen hineinzog, Menschen, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen. Schließlich wandte er sich an mich und bat um Hilfe, doch es gab nichts mehr, das ich - oder irgend jemand sonst - tun konnte. Ich riet ihm, die Wahrheit zu sagen und die Konsequenzen auf sich zu nehmen. Ich sagte ihm, wenn er wieder herauskäme, würde ich ihm beim Neubeginn helfen. Doch es war ihm unmöglich, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. An seinem Ruf lag ihm mehr als an deiner Mutter und an dir. Und so schrieb er diesen Brief, in dem er alles mir anlastete. Das machte Schlagzeilen, und es gab genügend Leute, denen ich so unsympathisch war, daß sie dem nur zu gern Glauben schenkten. Aber hast du dich auch schon mal gefragt, weshalb ich nicht vor Gericht gestellt wurde, wenn an den Vorwürfen was dran war?«
Ich ließ ihn reden.
»Nun, die Behörden sind weiß Gott jedem Vorwurf auf den Grund gegangen. Und kein einziger traf zu. Denn du kannst mir glauben, hätten sie auch nur den Schatten eines Beweises gegen mich gefunden, so wäre es ihnen ein wahres Vergnügen gewesen, mich am nächsten Baum aufzuknüpfen.« Wieder nahm er seine Brille ab, wieder putzte er die Gläser. »Entschuldige. Ich weiß gar nicht, wie ich darauf gekommen bin. Es war nie meine Absicht, so über deinen Vater zu reden. Aber das hat immer zwischen uns gestanden. Als das damals passierte, warst du noch ein Kind, und du bist sozusagen damit aufgewachsen. Selbst auf deine Einstellung zu deiner Mutter hat das seine Auswirkung gehabt, denn du hast nie verstanden, weshalb die Beziehungen zwischen ihr und mir so ungetrübt blieben, als ob nichts geschehen sei.«
Ich sah ihn wortlos an. Was hätte ich auch sagen sollen? Das gehörte alles der Vergangenheit an und ließ sich nicht mehr ändern. Wieder schien er meine Gedanken zu lesen.
»Es ist lange her. Und es hat nichts mit dem zu tun, worüber wir sprachen.«
Ich nickte.
»Gilt der Handel also?« fragte er ein wenig zögernd, als fürchte er eine Zurückweisung.
Ich hielt ihm meine Hand hin. »Ja, Partner.«
Er nahm meine Hand in seine beiden Hände, und ich spürte den festen Druck. Die Augen hinter den Brillengläsern zwinkerten. »Wir werden Erfolg haben. Du wirst es sehen.«
Auch ich kniff jetzt kurz die Augen zusammen: ein eigentümliches Brennen machte sie so trocken. »Ja, das werden wir«, sagte ich. »Und ich werde mich verdammt zusammennehmen, um dich nicht zu enttäuschen.«
»Wo wir jetzt Partner sind, Sohn, werde ich diesem Ithaker erst mal flüstern, daß er wenigstens zweihunderttausend ausspucken muß, wenn er den alleinigen Vertrieb haben will.«
»Onkel John, vergißt du unsere Abmachung? Du hast doch gesagt, daß ich das Sagen habe.«
»Will mich ja gar nicht einmischen«, versicherte er hastig. »Aber du wirst genug damit zu tun haben, das Magazin herauszubringen. Und außerdem werde ich mit dem Schweinehund besser fertig als irgend jemand sonst. Er weiß verdammt gut, wie ich’s ihm eintränken kann - daß nämlich in den Straßen von Los Angeles kein einziger Laster mehr von ihm fährt.«
Das war ein unwiderlegbares Argument. Er konnte die einzige Sprache sprechen, welche die Spaghetti verstanden. »Okay, Onkel John. Du hast die Sache mit Ronzi angefangen, bringe sie also auch zum Abschluß.« Plötzlich überwältigte mich ein wahrer Bärenhunger. Ich stand auf.
»Wo willst du hin?«
»Ich bin halb verhungert. Es ist jetzt zwei Uhr früh, und seit dem Mittag habe ich nichts mehr gegessen.«
Er steckte die Hand in die Tasche. »Hast du überhaupt Geld?«
Ich lachte. »Ja, habe ich. Daran hat’s nicht gefehlt, nur an der nötigen Zeit. Ich hatte einfach zuviel zu tun.«
»Und wo willst du jetzt hin?«
»Zum Bagel-Imbiß in der Fairfax. Die haben noch um diese Zeit geöffnet.«
»Bill soll dich hinfahren und auf dich warten. Dann kann er dich nach Hause bringen. Ich möchte nicht, daß du nachts in den Straßen umherwanderst.«
»Ich bin ein großer Junge, Onkel John, und bisher hast du dir meinetwegen nie Sorgen gemacht.«
»Bisher waren wir auch noch nicht Partner«, sagte er. »Jetzt habe ich mehr in dich investiert als Blut.«
MACHO - riesige Buchstaben auf königsblauem Samthintergrund.
Auf der linken Seite in kleineren weißen Buchstaben: »Für den maskulinen Mann.« Auf der rechten Seite, im gleichen Schrifttyp: »2. Jahrgang, 1. Nummer.«
Das Bild: ein nacktes Mädchen mit Cowboyhut auf dem Kopf, in der klassischen aggressiven Pose des Revolverhelden, in jeder Hand einen Colt, der auf den Leser gerichtet ist. Ein Cellophanüberzug mit aufgedrucktem weißem Spitzen-Bikini bedeckt Brüste und Geschlecht. Durch die Spitzen hindurch sieht man Brustwarzen und Schamhaare schimmern. Links vom Foto, von oben nach unten verlaufend, der erste Teil der Frage: »Bist du Manns genug?« Auf der rechten Seite, parallel dazu, der zweite Teil: »Mir den Bikini auszuziehen?«
Sonst kein Wort, nicht eine einzige Silbe. Nur ganz oben rechts der Preis: $ 1,25.
Auf der Innenseite der Titelseite in schwarzen Buchstaben: »Unser neues Symbol -« Jetzt riesige rote Buchstaben: Der Kampfhahn! Und das Bild dazu, ganz im Pop-Stil, ein echtes Kunstwerk von prachtvoller Wirkung. Es stellt das Wort »Cock« in seiner vollen Doppelbedeutung dar, als »Hahn« und als »Schwanz« - nämlich einen Phallus, ein fast zum Bersten erigiertes Glied, darüber ein Kampfhahn mit geschwollenem rotem Kamm, vorgerecktem scharfem Schnabel und Krallen mit Sporen. Der Hahnenkörper besteht aus gewaltigen männlichen Hoden. Der Vogel scheint in der Luft zu schweben
- im Begriff, sich auf ein unter ihm liegendes nacktes Mädchen zu stürzen. Text: »Für den maskulinen Mann. Der Mann, der bereit ist, für das zu kämpfen, was er will, bekommt auch, was er will.«
Auf der folgenden Seite dann das Editorial des Verlegers:
Kaufen Sie dieses Magazin nicht, wenn -Sie Häschen mögen - dann kaufen Sie lieber ein Kaninchen Sie Schoßtierchen mögen - dann kaufen Sie sich lieber einen Pudel
Kaufen Sie dieses Magazin, wenn -
Sie Mädchen mögen - Wir haben sechs in dieser Nummer. Dreißig Seiten nackte Schönheit in allen Größen, Formen und Farben. Ihnen zur Freude, um Ihnen die Freuden des Lebens zu zeigen
Sie Sex mögen - Wir haben Stories, Artikel, Witz, Cartoons, Phantasien, Fetische, die sich alle um Thema Nummer eins drehen - das Thema, über das Männer mehr sprechen, mehr nachdenken, das sie mehr beschäftigt als jedes andere, Geld eingeschlossen. Sechzig Seiten voll Sex, nichts als Sex. Wir werden Ihnen nicht sagen, welches Auto oder welche Stereo-Anlage sie sich kaufen oder was Sie anziehen sollen. Wer kann sich superteure Sachen schon leisten? Eins aber können Sie sich leisten: Spaß. Und Sex ist Spaß. Für 1 Dollar und 25 Cent pro Monat werden wir Ihnen mehr Vergnügen bieten, als Sie sich’s je haben träumen lassen
Das verspreche ich Ihnen.
(Unterschrift) Gareth Brendan, Verleger
P. S. Besondere Anmerkung des Verlegers:
In dieser Nummer, wie auch in allen folgenden, werden Sie in der Mitte ein aufklappbares Faltbild finden, in Lebensgröße. Auf 55 mal 80 Zentimetern bringen wir die »Supermuschi des Monats«!
Auf dem Riesenfoto zeigen wir nichts als die wunderschöne, einladende rosa Muschi, die jeden Kampfhahn begierig
darauf macht, mehr von dem Mädchen zu sehen, dem sie gehört. Blättern Sie also um, und Sie finden zehn weitere Superfotos von der »Supermuschi des Monats«. Wenn das nicht wirkt, gibt’s nur noch eins:
- Gehen Sie zum Arzt oder
- Stecken Sie das Faltbild mit Ihrem Namen und Ihrer Adresse in einen Umschlag und schicken Sie uns das Ganze, damit wir Ihnen den vollen Kaufpreis des Magazins zurückerstatten. Der Rest des Magazins bleibt Ihr unbestrittenes Eigentum.
(gezeichnet) G. B., Verleger
Drei Monate nach Beginn unserer Partnerschaft standen Lonergan und ich vor der ersten Probenummer: Seite für Seite war sie an die Wand geheftet. Aber erst nach vier Monaten harter Arbeit war das Magazin so weit, daß es in Druck gehen konnte, und an den Verkaufsständen hing es erst im April des folgenden Jahres. Wir stießen auf alle möglichen Reproduktionsprobleme - das Rosa war nicht rosa genug, und die Muschis sahen auf den Fotos häufig aus wie Dörrobst. Wie alles an einer Frau wirkten sie mit Make-up und Frisur eindeutig attraktiver. Und so kam es, daß wir eine ganz neue Art der Schönheitspflege entwickelten.
Wir konnten hören, wie Bobby die Modelle anschrie. Lonergan trat vom Wasser auf den Sand, sprang hastig zurück. »Mein Gott, das ist ja glühend heiß!«
»Warte einen Augenblick. Die sollen uns ein Handtuch bringen, damit du dir die Füße trocknen und wieder in die Schuhe schlüpfen kannst.« Ich wölbte meine Hände trichterförmig vor dem Mund und rief der Kamera-Crew zu, daß wir ein Handtuch brauchten.
Gleich darauf kam ein Modell auf uns zugerannt. Sie war völlig nackt und schwenkte das Handtuch. »Ist es das, was Sie haben wollen, Mr. Brendan?«
»Ganz recht.« Ich sah, wie mein Onkel sich von dem Mädchen wegwandte und aufs Meer hinausblickte. Unwillkürlich lächelte ich. »Wie heißen Sie?«
»Samantha Jones.«
»Samantha, wären Sie so nett, Mr. Lonergan die Füße zu trocknen und ihm in seine Schuhe zu helfen?«
»Schon gut«, sagte mein Onkel hastig. »Das kann ich auch selbst.«
»Sei nicht albern. Das macht Samantha nichts aus.«
Sie kniete zu seinen Füßen nieder. Starr heftete er seinen Blick auf einen fernen Punkt, während sie seinen rechten Fuß anhob und abzutrocknen begann. Lonergan geriet aus dem Gleichgewicht. »Stützen Sie doch eine Hand auf meine Schulter«, sagte Samantha. »Dann ist es sicher leichter.«
»Nein, nein, schon gut«, beteuerte er. Und verlor ums Haar wieder das Gleichgewicht.
Sie griff nach seinem Arm, um ihn zu stützen - legte seine Hand dann auf ihre Schulter. »Na, ist das so nicht doch besser?«
Lonergan gab keine Antwort, blieb jedoch auf einem Bein stehen, sein Gesicht dem Meer zugewandt.
»Du befindest dich in guten Händen«, sagte ich zu ihm. »Ich werde mal rübergehen, um zu sehen, was dort los ist.«
Bobby schrie noch immer die Modelle an. »Du dämliche Ziege! Du sollst nicht sauer aussehen, sondern scharf! Als ob du’s nicht abwarten könntest!«
Das Mädchen war den Tränen nah. »Aber Bobby, das ist so ein komisches Gefühl. Ich hab’s noch nie gesehen. Nicht so. Ich meine, so rasiert und frisiert, daß alles vorguckt.«
»Oh, verdammt«, brüllte Bobby. »Genau so soll’s doch sein! Was denkst du denn, was wir fotografieren? Deine Augäpfel?« Angewidert wandte er sich ab. »Menschenskind ...« Er sah mich. »Wir werden überhaupt nicht fertig.«
»Mach mal Pause«, sagte ich. »Und komm mit.«
»Pause«, rief er über die Schulter und ging neben mir den Strand entlang. »Was ist denn?«
Ich betrachtete ihn. Sein Gesicht war vor Hitze stark gerötet, von der Stirn tropfte ihm Schweiß. »Wie lange bist du schon hier in der Sonne?«
»Ungefähr zwei Stunden.«
»Wie fühlst du dich?«
»Heiß ist mir, so heiß wie noch nie.«
»Was glaubst du, wie sich die Mädchen fühlen?«
Ein oder zwei Sekunden blickte er mich stumm an. »Aber wir brauchen die Sonne doch.«
»Wenn du sie noch eine Weile in dieser Glut läßt, dann landet ihr alle im Krankenhaus.«
»Ich werde mit der Serie nie fertig werden.«
»Den Rest kannst du jederzeit im Studio erledigen. Wann kommt King Dong?«
»Mit der Maschine heute nachmittag.«
»Das kannst du dann morgen schießen. Das ist etwas, das sich im Studio nicht machen läßt. Ist wegen der Kostüme alles arrangiert?«
»Die bringt er mit.«
»Na, dann ist ja alles in Ordnung.«
Er nickte. »Ja. Morgen früh um sieben geht’s ab zur Klause.«
»Zur Klause?« Ich verstand nicht, was er meinte.
»Die Mission meines Vaters«, erklärte er. »Liegt rund dreißig Kilometer von hier am Rand des Dschungels.«
»Hm, Klause«, sagte ich. »Na ja, paßt vielleicht zu einer Mission. Wen bekehren sie denn da? Die Indios?«
Er lachte. »So eine Mission ist das nicht. Es ist eher so etwas wie eine Schule oder Hochschule. Dort erhalten die Kandidaten für die zweite Ebene Unterricht, damit sie sich als Lehrer qualifizieren können. Klause wird’s genannt, weil man dort keinerlei direkte Kommunikation mit der Außenwelt hat, kein Radio, kein Telefon. Nur die Versorgungslaster erscheinen und verschwinden wieder.«
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich plötzlich. Beunruhigt musterte er mich. »War’s sehr schlimm mit mir, Gareth?«
»Du hattest ganz einfach zuviel Sonne.«
»Tut mir leid. Ich engagiere mich immer so sehr.«
»Ist ja in Ordnung. Vergiß dabei nur nicht, daß Menschen keine Kameras und Modelle keine Ausrüstungsgegenstände sind.«
Er nickte und ging zu seinen Leuten zurück. Gleich darauf hörte ich seine Stimme. »Packt zusammen. Für heute ist Feierabend. Morgen früh um sieben geht’s dann los.«
Während ich in Richtung Bungalow ging, holte mich Lonergan ein. »Das war wirklich nicht nötig«, sagte er.
Ich spielte den Begriffsstutzigen. »Was meinst du?«
»Du weißt schon. War wirklich peinlich, mir von einem nackten Mädchen die Füße trocknen zu lassen. Wenn da nun jemand ein Foto geschossen hätte?«
»Verdammt!« sagte ich in gespielter Verärgerung. »Wußte doch, daß ich was vergessen hatte!«
»Ich möchte nur mal wissen, weshalb ich mich überhaupt mit dir abgebe.«
»Das kann ich dir sagen.« Ich hielt die Bungalowtür für ihn auf. »Wüßtest du sonst jemanden, der es möglich macht, daß du dir einen Kindheitstraum verwirklichst und barfuß in der Brandung watest?«
Verita wartete auf mich. »Du hast dir mit dem Rückweg vom Mittagessen viel Zeit gelassen.«
»Lonergan hatte Lust auf einen Strandspaziergang. Er ist sogar in der Brandung gewatet. Und du? Du bist ja sehr schnell fertig geworden.«
»Es war einfach. Murtagh hatte recht. Alles lag schon für mich bereit. Keinerlei Tricks. Alles völlig offen. Die Bücher stützen die Behauptungen der Halsbachs. Sowohl was die Kosten als auch die Verluste betrifft.«
»Trotzdem siehst du mir ziemlich nachdenklich aus.«
»Paßt irgendwie nicht. Daß alles so ordentlich geführt ist. Mexikanisch ist das nun wirklich nicht.« Sie nippte an ihrem Cocktail. »Nachdem ich mit den Büchern fertig war, machte ich einen Spaziergang zum Flugplatz und sprach mit einigen der Mechaniker.«
Der Butler trat ein. Ich ließ mir einen Whisky mit Eis geben, Lonergan hielt sich an seinen gewohnten Martini. Als der Butler wieder verschwunden war, fuhr Verita fort: »Weißt du, daß etwa dreißig Privatmaschinen jede Woche den Flugplatz benutzen?«
»Nein.«
»Etwa die Hälfte davon gehört Grundbesitzern, die nicht allzu weit von hier wohnen.«
»Und die andere Hälfte?«
»Für die ist das hier nur Zwischenstation. Sie landen, tanken auf, starten wieder. Länger als eine Stunde halten sie sich selten auf.«
»Irgendeine Ahnung, wo sie herkommen?«
»Von der Baja-Halbinsel, sagen die Mechaniker. Aber das ergibt keinen Sinn. La Paz wäre für sie näher. Wir liegen hier hundert Kilometer weiter weg. Noch etwas. Sie fliegen alle immer in eine bestimmte Richtung. Nach Norden. Beim Flug südwärts landet hier nie eine zwischen.«
»Wie steht’s mit Unterlagen? Halten die auf dem Flugplatz alles schriftlich fest?«
»Kein Gedanke. Sie handhaben das auf mexikanische Weise. Sie haben eine Kassette, und da tun sie einfach das Geld rein, das sie einnehmen - für den Treibstoff, die Landegebühr und so weiter.«
»Gibt’s dort einen Beamten vom mexikanischen Zoll?«
»Nein, nur einen von der örtlichen Polizei. Und der schlief die ganze Zeit, während ich dort war.«
Ich blickte zu Lonergan. »Was hältst du von der Sache?«
»Rauschgift, wahrscheinlich. Aber das heißt noch nicht, daß Halsbachs ihre Finger mit drin haben müssen. Wäre das der Fall, so würden sie kaum so begierig nach Kaufinteressenten Ausschau halten. Das Drogen-Geschäft würde wohl mehr abwerfen als das Hotelgewerbe. Mehr als genug sogar, um irgendwelche Verluste wettzumachen.«
»Wie wollen wir der Sache auf den Grund kommen?«
Er sah Verita an. »Sie hatten auch private Geldgeber. Ist aus den Büchern irgend etwas Genaueres darüber zu ersehen?«
»Nein. Einen Teil des Geldes haben sie selbst aufgebracht. Der Rest kam von einem Syndikat.«
»Läßt sich nicht feststellen, wer zu diesem Syndikat gehört?« fragte ich.
Lonergan hob die Schultern. »Schweizer Banken.«
Ich blickte zu Verita. »Meinst du, daß Julio was wissen könnte?«
Sie leerte ihr Glas. »Du kannst ihn ja fragen, wenn wir wieder in Los Angeles sind.«
Doch so lange brauchte ich nicht zu warten. Beim Empfang am Nachmittag war Julio zur Stelle. Und Eileen auch.
Als sie eintrafen, war die Cocktail-Party allerdings schon fast vorüber. Ich hatte gerade dem Gouverneur für sein Interesse gedankt und für seine Bereitwilligkeit, mir etwas von seiner so kostbaren Zeit zu opfern.
»Nein, Señor Brendan«, protestierte er in fast akzentfreiem Englisch. »Wir sind es, die Ihnen für Ihr Interesse Dank schulden. Nach unserer Überzeugung haben wir hier das womöglich schönste Urlaubsterritorium auf der ganzen Welt, und mit Hilfe der Anstrengungen, die Sie und andere Menschen Ihrer Art vielleicht auf sich nehmen werden, mag es sich in ein wahrhaftiges Paradies verwandeln. Ich bitte Sie um Ihre Mitwirkung.«
»Danke, Exzellenz. Im Augenblick habe ich da nur eine Sorge: Wann wird das Spielkasino Eröffnung feiern dürfen? Das ist ein - nein, der entscheidende Faktor für den Erfolg eines Unternehmens, wie ich es plane.«
»Nun, soweit es die Einwilligung der lokalen Behörden betrifft, ist alles geregelt. Jetzt müssen wir noch auf die Erlaubnis durch die Bundesregierung warten.«
»Und wie lange, glauben Sie, wird das noch dauern?«
»Wir haben alle nur verfügbaren Hebel in Bewegung gesetzt.«
Ich dachte nicht daran, ihn vom Haken zu lassen. »Ohne ein definitives Datum, Exzellenz, kann ich ein Investment dieser Größenordnung nicht in Angriff nehmen.«
»Ich werde alles in meinen Kräften Stehende tun, um Ihnen eine baldige Antwort zukommen zu lassen«, erwiderte er glatt.
»Leider muß ich mich nun empfehlen. Ich werde in La Paz bei einem wichtigen Dinner erwartet.«
»Nochmals vielen Dank, Exzellenz.«
Er machte eine Verbeugung und reichte mir die Hand. »Hasta la vista, Señor Brendan.« Sein Händeschütteln war das eines Politikers: mit genau bemessener - und natürlich vorgetäuschter - Herzlichkeit. Er verbeugte sich ein zweites Mal und durchquerte dann, sich von den anderen verabschiedend, den Raum. Sofort folgten ihm seine beiden Leibwächter. Die engen Anzüge, die sie trugen, ließen die Ausbuchtung der Pistolen unter ihren Armen deutlich erkennen.
Ich trat zu Lonergan. »Verpflichtet hat er sich zu nichts«, sagte ich als Antwort auf seine unausgesprochene Frage. »Nur einen Haufen Versprechungen hat er gemacht.«
Er schwieg. Seine Augen glitten zur Tür. Ich folgte seinem Blick und sah Eileen und Julio, die gerade eintraten.
Der Gouverneur blieb stehen, offenkundig überrascht. Dann umarmten sich die beiden Männer und schüttelten einander die Hände. Sie wechselten ein paar Worte. Danach trat Julio weiter in den Raum, während der Gouverneur im Korridor verschwand.
Julio schien alle hier zu kennen. Aufmerksam beobachtete ich ihn, als er hier und dort stehenblieb, um ein paar Floskeln zu tauschen. Die Reaktion der Leute war überaus aufschlußreich. Er schien in ihren Augen so etwas wie ein König zu sein. Geradezu untertänig gaben sie sich, wollten möglichst von ihm gesehen werden. Um den Gouverneur hatten sie nicht halb soviel Getue gemacht.
Eileen kam zu mir rüber. Sie beugte sich vor, so daß ich sie auf die Wange küssen konnte. »Überraschung!« flüsterte sie.
Ich lachte.
Sie sah Lonergan. »Hallo, Onkel John.«
Er lächelte und küßte sie auf die Wange. »Meine Liebe.«
Ihre Augen saugten sich an Marissa fest, die sich gerade mit Dieter und zwei Mexikanern unterhielt. »Ist das deine neue Eroberung?« fragte sie leise.
»He!« sagte ich. »Du kennst die Spielregeln doch. Du fragst mich nicht, ich frage dich nicht.«
»Sie ist schön.«
Der Ausdruck auf ihrem Gesicht, den kannte ich. Ab und zu gab es für sie ein Mädchen, das ... so wie jetzt. Sie war einfach hingerissen.
Ich stöhnte. »Doch nicht schon wieder! Warum muß es immer eine von meinen sein?«
Sie lächelte. »Das habe ich dir ja schon gesagt. Wir haben den gleichen Geschmack.«
Ich deutete auf Julio, der noch inmitten einer Gruppe stand. »Wann hast du herausgefunden, daß er herkommt?«
»Erst im Flugzeug.«
»Und was erzählte er dir so?«
»Nicht allzuviel. Wußtest du, daß er von hier stammt? Und daß seine ganze Familie immer noch hier lebt?«
»Nein.«
»Merkwürdig. Ich meine, Verita hätte es doch erwähnen können.«
»Das Thema ist nie aufs Tapet gekommen.«
Sie nahm mich beim Arm. »Deine Freundin schaut zu uns herüber. Meinst du nicht, es ist Zeit, uns miteinander bekannt zu machen?«
Ich saß im warmen Wasser der Badewanne, Schaum bis zur Nase und wundersame Gedanken im Kopf, als Eileen eintrat. »Zeit zum Abendessen kann’s doch noch nicht sein. Wir sind ja gerade erst mit der Cocktail-Party fertig.«
»Du hast Besuch. Julio und die Halsbachs,père etfils.«
»Scheiße. Ich hab wirklich keine Lust, die jetzt zu sehen.« Ich glitt tiefer in die Wanne. »Sage ihnen, daß ich sie beim Essen treffe.«
Sie nickte und ging hinaus. Gleich darauf war sie wieder da. »Julio sagt, es sei sehr wichtig.«
»Verdammt.« Ich raffte mich hoch. »Finde bitte heraus, ob Onkel John dabeisein kann. Ich bin in einer Minute soweit.«
Ich stellte mich unter den Strahl der kalten Dusche, rubbelte mich trocken, schlüpfte in einen Bademantel und ging ins Wohnzimmer.
Onkel John war vollständig angekleidet und nippte gerade an seinem Martini. Die anderen tranken Tequila. Ich ging hinter die Bar und goß mir Eiswasser in ein Glas. Eileen war verschwunden. Ich lehnte mich auf die Bar. »Okay, Julio, was ist denn so wichtig?«
»Verita hat mir gesagt, daß sie mit der Prüfung der Bücher bereits fertig ist und daß es nach ihrer Meinung da nichts zu beanstanden gibt.«
»Das stimmt.«
»Und was halten Sie davon?«
»Wovon?«
»Von dem Projekt.«
»Ich bin noch am Überlegen.«
»Sie haben alle Informationen. Was wollen Sie noch wissen?«
Ich schaute zu Lonergan rüber. Sein Gesicht wirkte ausdruckslos. »Nichts eigentlich. Allerdings kann ich eine gewisse Neugier nicht verhehlen. Wie passen Sie in dieses Bild?«
Julios Stimme klang geradezu sanft. »Ich bin die Schweizer Bank.«
Ich nickte.
»Sie scheinen nicht überrascht zu sein.«
»Es ließ sich denken. Allerdings war ich mir nicht ganz sicher, daß Sie über Kapital in dieser Größenordnung verfügen.«
»Ich arbeite hart.«
»Und warum verbuttern Sie Ihr Geld ausgerechnet hier unten?«
Ich sah einen Hauch von Röte in sein Gesicht steigen. »Meine Familie stammt von hier. Alles arme campesinos. Es war eine Gelegenheit, hier Erwerbsmöglichkeiten zu schaffen und den Leuten etwas Gutes zu tun.«
»Es wäre billiger gewesen, jedem pro Monat hundert Dollar zu schicken.«
»Unsereins hat seinen Stolz«, sagte er. »Wohltätigkeit wollen wir nicht.«
»Bei der eigenen Familie ist’s keine Wohltätigkeit«, erklärte ich und trank mein Eiswasser. »Ich bekomme allmählich das Gefühl, daß die Sache für meinen Geschmack zu größenwahnsinnig sein könnte.«
»Wenn’s mit dem Spielkasino erst mal läuft, ist das hier eine Goldmine.«
»Julio, wir kennen uns schon sehr lange. Habe ich Sie je beschissen?«
»Nein, Lieutenant, nie.«
»Also bescheißen Sie mich auch nicht. Wir wissen doch beide, daß die Sache mit dem Spielkasino hier nicht laufen wird. Jedenfalls nicht, bevor man so was nicht in ganz Mexiko gestattet. Oder meinen Sie, daß Acapulco das stillschweigend hinnehmen und irgendeiner Konkurrenz den Vortritt lassen würde?«
»Wir haben Zusagen. Von den höchsten Stellen.«
»Das sind Versprechungen, weiter nichts. Da muß schon was Konkretes kommen, bevor ich daran glaube. Der Gouverneur hat mir ja selbst gesagt, daß die offizielle Erlaubnis durch die Bundesregierung noch aussteht.« Wieder trank ich einen Schluck Eiswasser. »Und ohne die Erlaubnis zur Eröffnung des Spielkasinos ist die ganze Anlage hier nicht einmal wert, niedergebrannt zu werden.«
Julio schwieg.
Zum ersten Mal ließ sich der alte Graf vernehmen. »Mit Hilfe Ihrer Pläne zur touristischen Erschließung, von denen Sie mir erzählt haben, könnte die Sache doch profitabel werden.«
»Vorausgesetzt, sie ließen sich verwirklichen. Allerdings -so wie es jetzt mit den Kosten aussieht, würde selbst das nicht viel helfen. Günstigstenfalls käme ich gerade aus dem Schneider.«
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie nicht interessiert sind?«
»Damit will ich sagen, daß ich mir die Sache noch durch den Kopf gehen lasse. Sollten Sie andere Kaufinteressenten haben, so steht es Ihnen natürlich frei, mit ihnen zu verhandeln.«
Der alte Graf erhob sich. »Ich danke Ihnen, daß Sie so offen gesprochen haben, Mr. Brendan. Wir werden uns wieder treffen, wenn Sie zu einem Entschluß gelangt sind.«
»Ja.«
Dieter stand auf und folgte seinem Vater zur Tür. Julio blieb sitzen. »Ich komme später nach«, sagte er und wartete, bis sich die Tür hinter den beiden schloß. Dann wandte er sich zu mir herum. »Okay, Lieutenant, jetzt können wir uns unterhalten.«
»Dieses Blech über die Familie kaufe ich Ihnen nicht ab, Julio. Bei den vier Millionen, die Sie hier reingesteckt haben, gab’s für Sie bestimmt bessere Gründe.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel fünfzehn Privatmaschinen pro Woche. Die alle nach Norden fliegen.«
Er schwieg. Dann hob er sein Glas, trank einen Schluck Tequila. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, doch seine Augen blickten kalt. »Wo haben Sie das gehört?«
»Man kann die Leute nicht am Reden hindern.«
»Solches Gerede könnte manchen Kopf und Kragen kosten.«
»Solches Gerede könnte mich das Geschäft kosten, falls ich mich in diesen Komplex einkaufe.«
»Das Hotel hat mit dem Flugplatz nichts zu schaffen. Er gehört ihm ja nicht einmal.«
»Wem gehört er denn?«
»Der lokalen Verwaltung.«
Ich lachte. »Dann kriegen die Halsbachs von der fetten Wurst also nicht mal den kleinsten Bissen? Gehen völlig leer aus?«
»Sie haben das Hotel gebaut, nicht ich.«
»Und wer hat sie in dem Glauben gewiegt, sie würden das Spielkasino aufziehen können? Sie haben hier viele Freunde, Julio. Das konnte ich auf der Cocktail-Party ja selbst sehen.«
»Wenn’s nicht zu diesem Knall mit Dieters schwulen Freunden gekommen wäre, hätte die Sache mit dem Hotel bestens laufen können.«
»Daran ist nun nichts mehr zu ändern.«
Julio blickte zu meinem Onkel. Seine Stimme klang sehr respektvoll. »Wo liegen Ihre Interessen hierbei, Mr. Lonergan?«
»Ich bin nur ein Beobachter. Was Ihr Busineß betrifft, so interessiert es mich nicht. Sie wissen, daß ich nicht deale.«
Julio wandte sich wieder zu mir. »Falls Sie das hier kaufen, wo komme ich dann ins Spiel?«
»Überhaupt nicht. Das heißt, gegen die >Schweizer Bank< habe ich nichts, aber diese Privatmaschinen dürfen sich hier nirgends mehr blicken lassen.«
»Da hängt für mich ein Haufen Geld mit drin, und der Verlust .«
Ich unterbrach ihn. »Sie werden Ihre Entscheidung treffen müssen, bevor ich meine treffe.«
Julio erhob sich. »Wir haben beide eine Menge zu überlegen.«
»Allerdings.« Nachdem er verschwunden war, fragte ich meinen Onkel: »Nun?«
»Ich weiß nicht recht«, sagte Lonergan. »Bei dem, was der wöchentlich so umsetzt, würde ich auf ganz beträchtliche Gesamtbeträge tippen, wenigstens in Höhe von einer Million. Und darauf verzichtet der bestimmt nicht so leicht.«
»Julio ist sehr beunruhigt«, sagte Verita beim Abendessen zu mir. »Er hat das Gefühl, daß du ihn nicht magst.«
»Ich mag ihn sogar sehr gern. Aber von seinem Busineß will ich nichts, aber auch gar nichts in meiner Nähe haben.«
»Du hast ihn nicht zum Essen eingeladen.«
Plötzlich begriff ich. Das Gesicht wahren, darauf kam es ganz entscheidend an. Schließlich waren wir alte Freunde, waren zusammen in der Army gewesen. »Wo ist er?«
»In seinem Zimmer.«
»Ruf ihn an und bitte ihn, herunterzukommen. Sag ihm, ich hätte ihn nicht ausdrücklich eingeladen, weil es für mich selbstverständlich war, daß er mit uns ißt.«
Sie nickte und verließ die Tafel.
Eileen sah mich an. »Was ist denn?«
»Nichts!«
Sie schaute auf Lonergan. »Warum sagst du ihm nicht, daß er sich nur um die Magazine kümmern soll, Onkel John? All das braucht er doch gar nicht.«
»Er hat noch nie auf mich gehört, auch nicht, als er jung war. Weshalb sollte er jetzt damit anfangen?«
Verita kam zurück. »Er wird gleich unten sein. Er freut sich sehr.«
Fünf Minuten später erschien er, in prachtvollem weißem Tropenanzug, übers ganze Gesicht strahlend. »Entschuldigt, daß ich mich verspätet habe«, sagte er.
Bald darauf kamen auch Dieter und Marissa. Das Essen war wiederum exzellent, und als wir uns von der Tafel erhoben, wirkten alle äußerst zufrieden.
»Heute abend gibt es am Strand noch eine Mariachi-Schau und folkloristische Tänze«, sagte Dieter. »Falls Sie also Lust haben, sich das anzusehen .«
»Ich bin nicht mehr so jung wie ihr anderen«, erklärte Lonergan. »Ich werde mich also besser in mein Bett verfügen.«
Ich sah ihn an. In Los Angeles ging er vor fünf Uhr früh nie zu Bett. Und jetzt war es noch ein Stück vor Mitternacht. »Fühlst du dich nicht wohl?« fragte ich ihn.
»Doch, doch, ausgezeichnet. Nur den vielen Sonnenschein und all die frische Luft bin ich nicht gewohnt.« Er sagte gute Nacht und entschwand.
Wir folgten Dieter. Bald waren wir am Strand. Eine Art Lagerfeuer flammte, und auf dem Boden lagen Wolldecken. In der Nähe des Feuers spielte eine fünf Mann starke Band »La Cucaracha«. Wir nahmen ein paar Decken, legten sie zusammen, setzten uns. Nach und nach erschienen weitere Gäste am Strand.
Dieter zog ein goldenes Zigarettenetui hervor und bot jedem von uns ans. »Eine rauchen?«
Es war ein Shit wie Dynamit, und im Handumdrehen war ich high. Ich sah mich nach den Mädchen um. Sie spürten’s auch. Dieter ebenfalls. Julio dagegen paffte seinen Joint einfach so weg. Bei ihm schien der Stoff überhaupt keine Wirkung zu haben.
Die Tänzer begannen. Sie waren Amateure, gehörten wohl fast alle zum Hotelpersonal. Aber sie hatten ihren Spaß dran, tanzten voll Hingabe und Leidenschaft. Der heiße Rhythmus packte auch uns. Plötzlich sprang Marissa auf und tanzte mit. Gleich darauf folgte Verita und, nach kurzem Zögern, auch Eileen. Lächelnd beobachtete Julio beide. Verita beugte sich vor und zog ihn hoch.
Julio und Verita waren so ausgezeichnet, daß nach einer Weile alle zu tanzen aufhörten, um ihnen zuzusehen. Ich lehnte mich auf die Wolldecke zurück.
Dieter saß mir gegenüber. »Sie müssen uns für sehr dumm halten, Mr. Brendan. Ich meine, weil wir gar nicht wirklich wissen, was hier vor sich geht.«
Ich schwieg.
»Aber wir können nichts daran ändern. Vergessen Sie nicht, daß wir sozusagen Neuankömmlinge sind. Ein böses Wort von entsprechender Seite würde genügen, und - und wir wären unseren Besitz los.«
»Sie sind mexikanische Staatsangehörige. Wenn man mit Ihnen so etwas machen kann, was dann erst mit mir?«
»Das ist nicht das gleiche. Sie sind ein Gringo. Auch wenn man hier Gringos nicht mag, so respektiert man doch das Geld und hofft, daß Sie gutes Busineß herbringen. Nie würde man es wagen, Sie sich wirklich zu Feinden zu machen. Außerdem ist da ja auch noch Ihr Onkel.«
»Was ist mit ihm?«
»Nun, er ist in Los Angeles ein überaus wichtiger Mann, nicht wahr? Ich glaube, er ist der einzige Mann, vor dem Julio Respekt hat. Julio ist hier unten ein sehr wichtiger Mann, aber Ihr Onkel ist noch wichtiger. Wir haben gehört, daß Julio in
Los Angeles gar nicht existieren könnte, wenn Ihr Onkel das nicht wollte.«
Ich sah zu Julio hin, der noch immer mit Verita tanzte. Er lächelte und schien sehr glücklich zu sein. Eines fiel mir auf: Irgendwie sahen die Männer, die im Kreis um die Tanzenden standen und zuschauten, genauso aus wie Julio. Er war hier wahrhaft zu Hause.
Unwillkürlich dachte ich an Lonergan. Er war sofort nach dem Essen zu Bett gegangen. Und plötzlich wurde mir bewußt, daß sich seit Julios Auftauchen sein Verhalten fast abrupt verändert hatte. Er hatte sich sofort zurückgezogen. Wie der Boß, der sich mit einem Angestellten nicht gemein machen will. Ich erinnerte mich, daß er einmal gesagt hatte: »Wie lange, glaubst du wohl, wärst du am Leben geblieben, wenn ich dich nicht beschützt hätte? Wie lange hätte Julio dir geholfen, wenn ich ihm nicht einen entsprechenden Wink gegeben hätte? ... Du wärst den Wölfen zum Fraß vorgeworfen worden.«
Ich betrachtete Dieter. »Wieviel wissen Sie nun wirklich von den Vorgängen hier?« fragte ich schließlich.
»Genug, um Ihnen sagen zu können, daß Julio Ihnen zuliebe bestimmt nicht darauf verzichten wird, seine Maschinen hier auf dem Flugplatz landen zu lassen. Der einzige Mann, der ihn dazu bringen könnte, ist Ihr Onkel.«
Ausgestreckt lag ich auf der Wolldecke und ließ mich von der Musik umwirbeln. Der Nachthimmel war purpurschwarz, und die Sterne glichen winzigen flackernden Weihnachtslichtern. Ich schwebte zwischen ihnen hindurch und fragte mich unwillkürlich, ob es wohl wirklich so etwas wie einen Weihnachtsmann gab. Leise klang Marissas Stimme an mein Ohr. »Deine Freundin ist sehr hübsch.«
»Sie behauptet von dir das gleiche.« Ich rollte herum, auf den Bauch, und hielt ihr meinen Joint hin.
Sie machte einige Züge und gab ihn mir zurück. »Ich bin traurig«, sagte sie.
»Weshalb? Das Leben hier unten ist doch wunderschön.«
»Nichts ist, was es zu sein scheint, nicht wahr?«
»Wirklichkeit ist, was immer du siehst. Auch wenn niemand sonst auf der Welt sieht, was du siehst, so ist es deshalb doch um nichts weniger wirklich.«
Sie lächelte. »Du hast auf alles eine Antwort.«
»Ich wünschte, so wär’s.« Ich setzte mich auf. »Das Leben wäre einfacher.«
Lautes Gelächter zog unsere Aufmerksamkeit an. Die Modelle, Bobby, die Crew und King Dong waren zu den anderen gestoßen. Immer wilder wirbelte es um das Feuer herum.
Bobby ließ sich neben mir auf die Wolldecke sacken. »Als sie die Musik hörten, konnte ich sie einfach nicht zurückhalten.«
»Ist doch okay. Sollen sie ihren Spaß haben.«
»Die kriege ich doch nie munter für morgen früh um sieben.«
»Relax.« Ich reichte ihm den Joint.
Er sog tief. »Wie läuft’s?«
»Okay.«
»Hast du dich schon entschieden?«
»Nein, noch nicht.«
»Wenn’s am Geld liegt ... von meinem Vater soll ich dir ausrichten, daß er interessiert ist.«
»Es liegt nicht am Geld.«
Er blickte zu Marissa. »Mit Ihnen würde ich gerne eine Serie schießen.«
Sie musterte ihn verwirrt.
»Fotos«, erklärte ich.
»Oh.« Sie lächelte. »Das wäre wohl nichts für mich.«
»Sie haben einen prachtvollen Körper«, sagte er. »Und ein schönes Gesicht.«
»Ich bin nicht der Typ dafür. Es wäre mir zu peinlich.«
»Mach ihr klar, daß wir so was ganz cool angehen«, sagte Bobby zu mir.
»Ich bin sicher, daß sie das weiß.«
»Eine große Hilfe bist du als Verleger nicht gerade. Ein Centerfold mit ihr, das war doch das reine Dynamit.«
»Wenn ich mich auf deinen Job so gut verstünde wie auf meinen, könnte ich ihn ja gleich mit übernehmen«, sagte ich.
Er machte wieder einen Zug, gab mir den Joint dann zurück. »Dann eben nicht«, sagte er und stand auf. »Die Musik ist phantastisch.«
Sie waren jetzt bei einer heißen Salsa. Ich streckte Marissa meine Hand hin.
»Komm«, sagte ich. Die Musiker spielten schneller und immer schneller, ein Wahnsinnstempo. Eine Stunde später waren wir bis auf den letzten Faden durchgeschwitzt und glichen nassen Lappen. Ich ging zu meiner Wolldecke zurück und setzte mich. Die Kondition von früher besaß ich nicht mehr, Alterserscheinungen offenbar.
Samantha, das Modell, war’s, die die Sache in Gang brachte. Plötzlich hielt sie ihren BH in der einen und ihren
Rock in der anderen Hand. »Ich halt’s einfach nicht mehr aus!« rief sie und lief aufs Wasser zu. »Wer als letzter drin ist, ist ein Stinktier!«
Im Nu waren auch die anderen Modelle nackt, und dann rissen wir uns alle um die Wette die Kleider vom Leib und jagten auf das Wasser zu. Mitten im allgemeinen Trubel hörte die Band auf einmal zu spielen auf, brach urplötzlich ab; und die Stille hatte etwas seltsam Schockierendes.
Ich wandte mich um. Alle, Männer wie Frauen, starrten auf King Dong. Langsam streifte er seine Hose von den Beinen, und seine Nacktheit löste eine eigentümliche, kollektive Reaktion aus: ein leises Keuchen, ein kurzes, hastiges Luftholen.
Ich beobachtete die anderen. Dieter schienen buchstäblich die Augen überzugehen. Julio stand mit offenem Mund. Auch die Mädchen starrten stumm und fasziniert, außerstande, den Blick abzuwenden. Ich ließ meine Augen weitergleiten. Wer immer behauptet, daß Frauen nicht auf einen großen Penis ansprechen, hat von der Wirklichkeit nicht den leisesten Schimmer.
Julio durchbrach die Stille. »El toro«, sagte er.
Alle lachten. »Ich kann’s einfach nicht glauben«, versicherte er. Aus seiner Stimme klang Bewunderung, wenn nicht Verehrung. Er wollte auf King Dong zugehen, doch dieser hatte sich bereits in Bewegung gesetzt und rannte zum Wasser, in das er mit einem Hechtsprung eintauchte. Die Mädchen sammelten sich um die Stelle, und als er wieder hochkam, ertönte ihr schrilles Gelächter.
Eileen ließ sich neben mir auf die Wolldecke sinken. »Mir sind die Knie schwach geworden.«
Ich lachte. »Hat er dich auch angedreht?«
»Ich bin richtig naß, nur vom Hingucken. Dabei dachte ich, ich hätte schon alles gesehen.«
»Das waren nur Bilder. Das hier ist Wirklichkeit.«
»Wie der wohl ist, wenn er steif wird«, sagte sie.
»Das wirst du nie zu sehen kriegen.«
»Wieso nicht?«
»Bevor sein Ding auch nur halbsteif ist, hat’s aus seinem Körper alles Blut abgezogen, und er wird bewußtlos«, erklärte ich mit völlig ernster Miene.
»Sehr witzig«, sagte sie und hob die Hand, als wollte sie mich schlagen. Dann lachte sie.
Ich sah, daß Marissa uns beobachtete. Ihr Gesicht hatte einen eigentümlichen Ausdruck. Ich streckte die Hand nach ihr aus.
Sie nahm sie, und ich zog sie auf meine andere Seite. Sie wirkte verspannt, und so beugte ich mich zu ihr und küßte sie. Ihre Lippen waren weich und feucht.
Nach einigen Sekunden löste sie sich von mir. »Ich glaube, ich gehe besser auf mein Zimmer!«
»Ich dachte, du bist mit mir zusammen.«
Ihr Blick suchte Eileen. »Nicht, wenn deine Freundin hier ist.«
»Nichts hat sich geändert. Wir sind doch alle Freunde, oder?«
»Sehr richtig«, sagte Eileen leise. »Freunde.« Zart berührte sie Marissas Gesicht mit den Fingern. »Freunde teilen miteinander. Freunde lieben einander.«
Marissas Augen weiteten sich. »Ich weiß nicht. Ich habe noch nie -« Sie brach ab, und wie ein Zittern überlief es sie plötzlich. »All dieses Zeug ... ich bin richtig fertig.« Abrupt erhob sie sich. Und stand, schwankend. »Ich werde auf mein Zimmer gehen.«
Zwei Schritte machte sie, bevor sie taumelnd zu stürzen begann.
Ich fing sie gerade noch rechtzeitig auf und legte sie sacht auf die Wolldecke. Ihr Gesicht war bleich, auf der Oberlippe standen winzige Schweißperlen. Ich fühlte ihren Puls. Er war in Ordnung.
Eileen sah mich verschreckt an. »Sie ist nur ohnmächtig«, beschwichtigte ich sie.
»Kann ich irgend etwas tun?«
»Eine feuchte Kompresse auf ihrer Stirn könnte nicht schaden.«
Eileen griff nach dem Halstuch, das sie noch umgebunden trug. Sie löste es vom Hals, rannte zum Wasser. Viel nützen würde das wohl kaum, doch für Eileen mochte es immerhin eine Beruhigung sein. Das einzige, was Marissa wirklich helfen konnte, war Schlaf.
Gemeinsam brachten wir sie zum Bungalow. Dort legte ich sie auf die Couch. Auf dem kleinen Tisch davor lag ein Zettel: »Gareth - ich dachte, es ist für alle Teile bequemer, wenn ich ins Hauptgebäude umziehe. Bis morgen früh also.«
»Wir können sie im anderen Schlafzimmer unterbringen«, sagte ich. »Onkel John ist ausgezogen.«
Während Eileen die Bewußtlose im Schlafzimmer auskleidete, ging ich ins Wohnzimmer und machte mir einen Drink. Ich fühlte mich nüchtern und hellwach.
Ich nahm den Drink, ging damit hinaus in den Garten und setzte mich in einen Sessel. Aus einiger Entfernung scholl Gelächter. Es kam von den Modellen, die zu ihren Bungalows zurückgingen. Ich hörte Bobbys Stimme: Anweisungen an die Crew für die Arbeit am nächsten Morgen. Dann wieder Stille. Ich trank einen Schluck. Die Party war vorüber.
Eileen kam in den Garten und stand dann neben meinem Sessel. »Sie schläft.«
Ich schwieg.
»Ich fliege mit der Morgenmaschine zurück.«
Ich hob den Kopf, sah sie an.
»Ich hätte nicht herkommen sollen. Ich habe hier nichts zu suchen. Meine Arbeit ist für das Magazin ... dort bin ich am richtigen Platz.«
»He«, sagte ich, »weshalb denn bloß solche Gefühle?«
»Ich war eifersüchtig. Solange es sich um irgendein Mädchen in Los Angeles dreht, verdaue ich das ja. Aber sobald du fort bist, beginne ich, an einer Art Verfolgungswahn zu leiden. Immer meine ich, du könntest eine finden, bei der du wirklich Sinn und Verstand verlierst.«
»Du solltest wissen, daß du dich auf mich verlassen kannst«, sagte ich leichthin. »Ich meine, wenn ich eine finde, bist du bestimmt die erste, die ich’s wissen lasse.«
Doch zu Scherzen war sie ganz und gar nicht aufgelegt. »Du Mistkerl!« fauchte sie mich an. »Ich will nicht die erste sein, die es erfährt! Sag’s doch lieber deiner Mutter! Sie ist’s ja, die mir damit in den Ohren liegt, daß du heiraten solltest. Siebenunddreißig, sagt sie, da wird’s wirklich Zeit, daß du eine Familie gründest.«
Ich musterte sie verdutzt. »Damit liegt sie dir in den Ohren?«
»Und ob!« erwiderte sie gereizt.
»Warum sagt sie denn zu mir nie was?«
»Was weiß ich«, gab sie zurück. »Deine Mutter hat jedenfalls Angst vor dir. Sie sagt, sie hat noch nie mit dir reden können. Aber wenn sie mir wieder mal damit kommt, werde ich ihr klarmachen, daß es mich einen Dreck angeht, was verdammt noch mal du tust!«
Ich griff nach ihrer Hand. »Nur nicht so aufgebracht«, sagte ich.
Plötzlich wirkte sie sehr weich. Ich zog sie zu mir, streichelte ihr Gesicht, fühlte die Tränen auf ihren Wangen. »So schlimm ist es doch gar nicht, Eileen.«
»O doch, das ist es«, sagte sie und richtete sich wieder auf. »Und diesmal bin ich auch so richtig voll reingesegelt, nicht wahr? Habe gegen sämtliche Spielregeln verstoßen. Habe mich total danebenbenommen.«
Ich legte einen Finger auf ihre Lippen. »Psst!« sagte ich. »Ich wußte gar nicht, daß es Vorschriften gibt, wie Menschen einander zu lieben haben.«
Einen Augenblick starrte sie mich wortlos an. Dann beugte sie sich wieder vor, lehnte ihren Kopf gegen meine Brust. »Gareth«, sagte sie leise, »wie ist das alles nur so kompliziert geworden? Weshalb kann das nicht mehr so einfach sein, wie es einmal war?«
Ich antwortete nicht.
Ihre Stimme klang noch leiser: »Weißt du noch, wie es war, als wir damals mit dem Magazin anfingen? Daß der Tag einfach nicht genug Stunden für uns hatte? Und ich zu dir kam, um in der kleinen Wohnung über dem Laden mit dir zu leben? Da gab es nur dich und mich.«
»Ja«, sagte ich und strich ihr wieder über die Wange. Doch ich dachte: Es ist wirklich sonderbar mit der Erinnerung. Jeder bewahrt darin nur das auf, was ihm wichtig erscheint. Und was ihm nicht wichtig vorkommt, tut er als belanglos ab.
Von ihrem Standpunkt aus hatte Eileen wahrscheinlich recht. Es hatte damals nur uns beide gegeben. Eines hatte sie allerdings vergessen. Auch Denise war noch dagewesen.
Als Eileen einen Hefter vor mich auf den Küchentisch legte, klang ihre Stimme müde. »Das ist >Phantasie-Trips< für die Mai-Ausgabe. Tausend Wörter für >seinen Trip<, zwölfhundert für >ihren Trip<.«
»Warum kriegt sie mehr Wörter als er?« fragte ich. »Ich weiß zwar, daß Frauen mehr reden, aber -«
Sie war zu erschöpft, um sich provozieren zu lassen. »Weibliche Sexualphantasien gehen mir halt leichter von der Hand als männliche. Doch ob nun das eine oder das andere -ich glaube nicht, daß ich das noch länger hinkriege. Meine Phantasie ist ausgelaugt. Wir brauchen Hilfe.«
Ich öffnete den Hefter. Mit den entsprechenden Illustrationen konnte der Artikel bis auf etwa sechs Seiten gestreckt werden. Ich hob den Kopf und sah sie an. »Bleib erst mal am Ball, Baby. Nächste Woche sind wir an den Verkaufsständen, und wenn’s so läuft, wie ich mir das vorstelle, kannst du dir jede Menge Hilfe engagieren.« Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war bereits nach zwei Uhr morgens. »Fahr nach Hause und schlaf erst einmal. Danach sehen wir dann weiter.«
»Morgen - nein, heute - ist Sonntag.«
Wieder warf ich einen Blick auf meine Uhr. Tatsächlich, sie hatte recht.
»Dann bleib im Bett und schlaf dich richtig aus.«
»Ich muß noch vier Artikel schreiben und die dritte Folge der Modernen Fanny Hill«, erklärte sie.
»Das hat auch noch bis Montag Zeit.«
»Und was wirst du tun?«
»Bobby hat mir sechs Layouts dagelassen. Ich muß die Fotos auswählen, mich für eine Supermöse entscheiden und einiges an Begleittext aushecken. Mir geht’s auch nicht viel
anders als dir. Zum Thema Nymphomaninnen will mir nichts mehr einfallen.«
»Müssen’s denn dauernd Nymphomaninnen sein?« fragte sie.
Ich lächelte. »Wenn auf jedem Bild zu sehen ist, wie sie an ihrer Muschi rumspielt, woran soll ich sie dann denken lassen -an den Kirchgang am kommenden Sonntag?«
»Es hat so was Verächtliches, Herabsetzendes. Manchmal denke ich -« Sie brach ab und erhob sich.
»Was denkst du?«
»Ist nicht weiter wichtig. Ich bin wohl nur übermüdet.«
»Sag’s doch. Wenn du’s denkst, sprich’s auch aus.«
»Wir lassen alles so billig erscheinen. Als ob es auf der ganzen Welt nichts anderes gäbe als Schwänze und Fotzen. Um so etwas zu verzapfen, hätte ich wahrhaftig kein Studium gebraucht.«
»Du hast die Wahl. Wenn du nicht willst, mußt du ja nicht.«
»Und du, Gareth? Hast du eine Wahl?«
»Nicht mehr. Ich hab’s mir mal eingebildet, doch inzwischen weiß ich’s besser. Als ich aus Vietnam zurückkam, hatte ich große Träume. Ich wollte allen die Augen öffnen. Wollte ihnen sagen, auf was für einem Scheißkarren wir sitzen. Mächtige Talfahrt, bis es eines Tages urgewaltig kracht. Hörte mir bloß keiner zu. Nur ein paar Politiker polkten sich was raus, für ihre eigenen egoistischen Zwecke. Aber sonst? Den Leuten war das alles scheißegal. Und meine Träume sind - na, was sind sie? Geplatzt oder so. Endgültig. Und jetzt gebe ich den Leuten, was sie wirklich wollen. Und sie werden alles so mit ihren eigenen Illusionen garnieren wie ihre Autos, ihr Bier und ihr Fernsehen.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Nein. Ich suche nur eine Rechtfertigung für das, was ich tue.« Ich stand auf. »Aber irgendwie glaube ich, daß ich erwachsen geworden bin. Wenn ich schon nicht gegen die
Gesellschaft anstinken und sie umkrempeln kann, wie’s meinen Vorstellungen entspräche, dann ist’s wohl vernünftiger, ich mische mit und mache das Beste draus. Das Spiel hat einen Namen - Geld. Wenn das hier hinhaut, werde ich eine Menge Geld machen.«
»Wird dich das glücklich machen?«
»Das weiß ich nicht. Aber als ich pleite war, war ich auch nicht glücklich, und es wird sicher wesentlich komfortabler sein, wenn ich mich als reicher Mann unglücklich fühle.«
Sie nickte nachdenklich. »Vielleicht hast du recht.« Ein erschöpftes Seufzen kam über ihre Lippen. »Ich werde deinen Rat befolgen und den ganzen Sonntag im Bett bleiben, um mich richtig auszuschlafen.«
»Gut. Ich bring dich zu deinem Wagen.«
Die Straßen waren fast völlig leer. Während wir zu der Ecke gingen, wo sie ihren Wagen geparkt hatte, kam nur ab und zu ein Auto vorüber.
Sie schloß die Tür auf, stieg ein und kurbelte das Fenster runter. »Allmählich kommt’s mir albern vor, immer so spät in der Nacht nach Hause zu fahren und am nächsten Morgen wieder früh zurückzukommen.«
Ich schwieg.
»Gareth, warum sagst du nie, daß ich über Nacht bleiben soll?«
»In der Wohnung? Du weißt doch, was für ein Loch das ist. Überall liegt Papier verstreut wie - wie in einem richtigen Scheißhaus.«
»Du hast schon Mädchen dort gehabt. Warum nicht mich?«
»Du bist anders.«
»Inwiefern?« fragte sie. »Ich tue es auch gern.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht.«
»Du siehst in mir immer noch die Unschuld vom Lande. Aber da irrst du dich. Ich weiß schon, worum sich deine Gedanken drehen, und verstehe das. Ich hab’s auch schon mit
Mädchen gemacht. Also? Das ist nicht wirklich wichtig. Die Beziehung zueinander ist es. Du bist mir alles andere als gleichgültig.«
»Das weiß ich. Nur - mit dir ist das eben nicht so.«
»Sondern?«
»Bei dir wäre das Bindung, Verpflichtung, Verantwortung.«
»Und so etwas willst du nicht?«
»Nicht, bevor ich nicht weiß, wo ich bin und wer ich bin.«
Sie ließ den Motor an, beugte dann den Kopf aus dem Fenster. Ich küßte sie. »Ich weiß, wer du bist, Gareth«, sagte sie leise. »Warum du nicht?«
Ich sah, wie das Auto in Richtung Beverly Hills fuhr. Einige Sekunden blickte ich ihm noch nach. Dann drehte ich mich um und ging langsam zum Laden zurück. Als ich die Schlüssel hervorholen wollte, stellte sich heraus, daß ich sie gar nicht brauchte. Offenbar hatte ich vergessen, die Tür abzuschließen.
Ich trat ein, sicherte sie von innen, ging die Treppe hinauf zur Wohnung.
Kopfschüttelnd starrte ich auf die Papiere, die über den ganzen Küchentisch verstreut lagen. Im Vergleich zu diesem Magazin war der Hollywood Express das reine Kinderspiel gewesen. Buchstäblich alles war da leichter, ob’s nun die Zusammenstellung, die Bilder, die Schrifttypen oder den Druck betraf. Bei diesem Magazin dagegen, Herrgott, was schien da nicht absolut wichtig zu sein? Das galt sogar für die Klammern, die ein Heft zusammenhielten.
Ich machte mir eine Tasse Kaffee, setzte mich und öffnete den ersten Hefter. Laut lachte ich über den Titel: Popologie oder Was uns der Hintern über den Charakter verrät. Da wurde allen Ernstes behauptet, daß der Hintern eines Mädchens nicht weniger Aufschluß über ihren Charakter gab als ihr Gesicht. Detailliert wurde dargelegt, was die einzelnen Merkmale jeweils »aussagten«, Charakteristiken wie: hoch, niedrig, breit, stramm, hart, weich, schlaff, wabblig, groß, klein, vorstehend, eingezogen; selbst aus einem möglichen Größenunterschied der beiden Hinterbacken ließ sich, dem Verfasser zufolge, eine bestimmte Bedeutung ablesen. Fünfundzwanzig Dollar hatten wir einem mit Eileen befreundeten College-Studenten für den Artikel bezahlt, und der Junge war das Geld wirklich wert. Er schien sehr eingehende Studien betrieben zu haben.
Ich kippte den Rest des Kaffees in mich hinein. Hinter mir glaubte ich plötzlich das leise Knarren der Schlafzimmertür zu hören. Jetzt hatte ich wohl Halluzinationen. Schließlich war ich allein in der Wohnung.
Dann hörte ich wieder das Knarren und stand auf. Mir blieb der Mund offenstehen. In der offenen Schlafzimmertür stand Denise, und zwar in der französischen Zofentracht, die sie seit fast einem Jahr nicht mehr angehabt hatte. »Oh, Scheiße«, sagte ich.
Langsam kam sie näher, mit großen Augen. »Gareth«, fragte sie leise, »kann ich meinen alten Job wiederhaben?«
Für einen Augenblick blieb ich stumm. Dann begriff ich, daß sie keine Halluzination war. Ich streckte ihr die Arme entgegen. Sie schmiegte sich hinein und lehnte ihr Gesicht gegen meine Brust. »He, Baby«, sagte ich, »wo hast du denn gesteckt?«
Ich spürte das Zittern in ihrem Körper. Obwohl ihre Stimme gedämpft klang, hörte ich doch den Ausdruck von Verletztheit, ja Schmerz. »Gareth, Gareth«, sagte sie, »du hast mich nicht gerufen, wie du’s doch versprochen hattest.«
Wie ein Jockey saß sie auf mir, die Knie angewinkelt, die Schenkel gegen meine Hüften gepreßt. Sacht hob und senkte sich ihr Körper. Mein Schwanz schien in warmem Öl zu gleiten. Sie beugte sich vor, so daß ihre Brüste meine Brust berührten, und küßte mich. Jetzt lag sie fast flach auf mir, und ich spürte deutlicher den Druck ihres Venushügels. Wieder schüttelte ein Orgasmus ihren Körper. »Oh, Geliebter«, sagte sie.
Ich nahm ihr Gesicht zwischen meine Hände, hielt sie so. Nach Sekunden richtete sie ihren Oberkörper auf und sah mich an. Ich war noch in ihr, und sie blieb so sitzen, den Blick immer noch auf mich gerichtet. »Deine Energiepartikel sind zerstreut«, sagte sie.
Ich lächelte. »Das glaub’ ich gern.« Über ihren Schultern sah ich das durchs Fenster schimmernde Tageslicht. »Wir ficken schon seit Stunden.«
»Das ist nicht der Grund. Ich habe das Gefühl, tausendmal gekommen zu sein; aber du bist nicht ein einziges Mal gekommen. Ich bin jetzt auf der dritten Ebene. Ich weiß über solche Dinge Bescheid.«
»Hatte ich total vergessen«, sagte ich. »Frieden und Liebe.«
»Frieden und Liebe«, erwiderte sie automatisch. »Ich weiß jetzt viel mehr als letztes Mal, als wir zusammen waren.« Sie hob sich höher und bewegte sich vorwärts, bis sie sich über meinem Gesicht befand.
Ich wölbte meine Hände um ihre Hinterbacken und zog sie zu mir herab. Sie war Honig und Myrrhe, Granatapfel und Mandarine, Glühwein und Bergtau und alles, wonach Liebe schmeckt. Ich spürte, wie sich ihre Muskeln spannten, als abermals ein Orgasmus sie durchlief, und ich badete in ihrer Süße.
Diesmal glitt sie von mir herab und streckte sich auf den Rücken. Heftig hob und senkte sich ihr Brustkorb. Nach einer Weile setzte sie sich auf und beugte sich über mich. Sanft spannten sich ihre Finger um mein Glied, sie betrachtete es. »Er ist schön«, sagte sie und küßte ihn. Dann nahm sie die Eichel in den Mund, und ihre Zunge zuckte sanft über die Spitze. Schließlich schmiegte sie meinen Schwanz an ihre Wange. Die Augen hielt sie geschlossen. »Wenn du doch nur kommen könntest, Gareth.«
»Ich hab’s dir ja gesagt. Ich hab zuviel um die Ohren.«
Sie öffnete die Augen und sah mich an. »Nein, das ist es nicht.«
»Was ist es dann?«
»Du liebst sie.«
Ich musterte sie verblüfft. »Ich? Wen denn?«
»Eileen.«
»Du bist verrückt.«
»Nein, bin ich nicht«, versicherte sie mit ernstem Gesicht. »Ich habe dir ja gesagt, daß ich auf der dritten Ebene bin. Ich sehe Dinge jetzt deutlicher. Als du mit ihr aus dem Haus kamst, war ich auf der anderen Straßenseite. Ihr seid dann zum Auto gegangen, und ich konnte eure Auren sehen. Sie verschmolzen miteinander, in Liebe, und als du sie küßtest, war da genug Licht, um die Nacht in den Tag zu verwandeln.«
Ich schwieg.
»Eins verstehe ich aber nicht«, sagte sie mit verwunderter Stimme. »Warum ist sie nicht hier bei dir?«
Ich sah sie an.
»Ich hätte bestimmt nichts dagegen«, fuhr sie fort. »Ich liebe dich, und ihr liebt einander, also liebe ich auch sie.«
Als ich aufwachte, war es später Nachmittag. Die Sonne sank dem westlichen Horizont entgegen. Ich setzte mich auf und griff automatisch nach einer Zigarette. Die Schlafzimmertür war geschlossen, doch aus dem anderen Raum hörte ich Radiomusik. Ich steckte die Zigarette an und ging ins Bad. Als ich wieder herauskam, wartete Denise mit einem Tablett auf mich. »Geh wieder ins Bett«, sagte sie.
»Auf mich wartet Arbeit.«
»Geh wieder ins Bett und iß dein Frühstück«, sagte sie energisch. »Du arbeitest heute nicht. Du mußt deinen Energiepartikeln Gelegenheit geben, sich wieder zu sammeln.«
Der Geruch des Kaffees und der Eier ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Daß ich so ausgehungert war, hatte ich nicht gewußt. Ich kletterte wieder ins Bett, und sie stellte das Tablett auf meine Oberschenkel.
Während sie Kaffee einschenkte, griff ich nach dem Glas mit dem Orangensaft. »Ich wußte gar nicht, daß wir im Kühlschrank noch was zu essen hatten«, sagte ich.
»Während du schliefst, war ich einkaufen«, erklärte sie. »Es war überhaupt nichts mehr zu essen da.«
Ich trank den Orangensaft aus und langte kräftig zu. Sie beobachtete mich einen Augenblick, ging dann zur Tür. »Ruf mich, wenn du fertig bist, damit ich das Tablett holen kann. Du schläfst dann weiter.«
»Und was machst du?«
»Aufräumen. Das ist ja eine ganz unglaubliche Unordnung. Hier ist schon seit Monaten nicht mehr saubergemacht worden.«
Sie schloß die Tür hinter sich, und ich machte mich ans Steak. Es war einfach vollkommen, ganz zart, noch rosa. Auch die Eier entsprachen genau meinem Geschmack, weich, doch richtig warm. Ich aß, als hätte ich seit Monaten keinen einzigen Bissen bekommen.
Sie schien so etwas wie einen eingebauten Sensor zu besitzen. Kaum hatte ich zu Ende gegessen und mir eine zweite Tasse Kaffee eingegossen, erschien sie auch schon wieder. Sie griff nach dem Tablett.
»Laß die Kaffeekanne hier«, sagte ich.
»Nicht mehr als zwei Tassen. Ich möchte, daß du wieder einschläfst.«
»Aber ich bin doch gar nicht müde.«
Ein Irrtum, wie sich zeigte. Da mir die Augen ein wenig brannten, legte ich mich nochmals hin - und als nächstes war es dann neun Uhr abends. Wieder schien bei Denise so etwas wie ein Sensor in Betrieb zu sein; denn kaum war ich aufgewacht, trat sie auch schon ins Zimmer.
»Was hast du mir bloß in den Kaffee getan?« fragte ich. »Ich bin ja weggekippt wie ein Sack.«
»Nichts. Du hast nur dein Schlafdefizit ausgeglichen. Und jetzt nimm ein schönes heißes Bad, während ich das Bett frisch beziehe. Anschließend kannst du dann in einen bequemen Bademantel schlüpfen und zum Essen kommen. Ich habe ein prächtiges Brathähnchen im Ofen.«
Dagegen war nun wirklich nichts einzuwenden. So gut hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Ich stand auf und küßte sie auf die Nase. »He, warum bist du eigentlich so gut zu mir?«
»Ich habe dir doch gesagt, daß ich dich liebe«, erklärte sie in sachlichem Ton. »Und jetzt geh und nimm dein Bad.«
Als ich eine halbe Stunde später aus der Wanne kletterte, besaß die ganze Welt für mich eine Art Strahlenglanz. Während ich mir die Haare kämmte, suchten meine Augen schon den Bademantel. Ich konnte ihn nirgends entdecken. Wieder im Schlafzimmer, sah ich ihn auf dem Bett, frisch gewaschen und gebügelt. Ich schlüpfte hinein und ging ins Wohnzimmer. Und dort blieb ich vor Überraschung wie angewurzelt stehen.
Das ganze Mobiliar war völlig umgestellt. Auf einmal schien der Raum die doppelte Größe zu haben. Der Arbeitsplatz befand sich jetzt neben der Eingangstür, die Couch an der Wand gegenüber, mit einem niedrigen
Couchtisch davor. Auch ein Sessel fehlte nicht, und das Ganze bildete eine gemütliche Sitzecke. Der kleine, runde Eßtisch aus der Küche stand vor dem Fenster und war geschmackvoll mit zartrosa Tischtuch, Tellern, Weingläsern und Silberzeug gedeckt. Die Mitte des Tisches nahm eine Kombination aus kristallenem Kerzenhalter und Blumenvase ein, mit einer einzigen Rose und einer roten, brennenden Kerze. Daneben stand eine bereits geöffnete Flasche Château Mouton Rothschild. Doch was mich buchstäblich sprachlos machte, war der Anblick von Eileen, die mit einem Glas Whisky mit Eis auf mich zukam.
»Gefällt’s dir?« fragte sie. »Wir haben den ganzen Nachmittag gearbeitet.«
Ich starrte sie an wie ein Idiot.
Denise kam, sie trug einen Koffer. »Setzt euch und genießt eure Drinks, während ich Eileens Sachen auspacke.«
Ich fand die Sprache wieder. »Was - was hat dich zu dem Entschluß gebracht, hierherzukommen, Eileen?« fragte ich.
Die Antwort gab Denise. »Ich habe sie angerufen und ihr von euren Auren erzählt.«
»Ach was, das ist doch verrücktes Zeug!«
»Meinst du? Du brauchst ja nur euch beide anzusehen. Das Licht, das von euch ausgeht, erhellt das ganze Zimmer.«
Sie ging ins Schlafzimmer, und ich sah Eileen an. »Glaubst du solchen Scheiß?«
»Muß ich ja wohl. Schließlich bin ich hier, oder?«
Ich stellte das Glas ab, und sie glitt in meine Arme. Ihre Lippen waren weich, ihr Mund warm und süß, und der Druck ihres Körpers schien mir etwas zu geben, das mir stets gefehlt hatte: eine Art Gegenbild zu meinem Körper.
Der Tisch war nur für uns beide gedeckt, und als ich Denise aufforderte, sich zu uns zu setzen, lehnte sie ab. »Eure Auren sind für mich noch nicht bereit«, sagte sie.
Worüber Eileen und ich sprachen, weiß ich nicht mehr. Das Essen war köstlich, aber ich erinnere mich nicht mehr daran, daß ich etwas aß. Dann war es plötzlich Mitternacht, und Denise war verschwunden. Weder Eileen noch ich hatten sie gehen sehen.
»Wo ist sie hin?«
»Ich weiß nicht.«
Ich nippte am Wein. »Ob sie womöglich Aschenputtel ist?«
Eileen lachte. »Nein. Das bin ich. Und du bist der Prinz.«
Ich nahm die Flasche Wein. »Komm ins Schlafzimmer.« Ich öffnete die Tür und stand einen Augenblick still. Auch im Schlafzimmer hatte Denise so etwas wie einen Märchenzauber geschaffen. Das Bett war für uns bereit, auf dem Nachttisch brannte eine Kerze; und auf dem Kopfkissen lag ein Zettel.
Eileen trat ans Bett und nahm den Zettel.
»Was steht drauf?« fragte ich.
»Frieden und Liebe«, erwiderte sie.
Ich stellte die Weinflasche auf den Nachttisch. »Vorhin«, sagte ich, »hast du meine Frage nicht beantwortet. Ich meine, was genau hat Denise dir erzählt, daß du dann hergekommen bist?«
»Sie sagte, ich sei die einzige, bei der du kommen könntest. Nur ich könne bewirken, daß sich deine Energiepartikel wieder zu voller Kraft sammeln.«
»Glaubst du das?«
»Natürlich«, erwiderte sie. »Denise hat mir erzählt, daß du die ganze Nacht nicht gekommen bist, kein einziges Mal.« Sie trat zu mir, öffnete meinen Bademantel. Dann beugte sie sich vor und preßte ihre Lippen auf meine Brustwarzen. Während ihre Finger sacht über meinen Körper glitten, tief hinab, sagte sie: »Heute nacht wird das anders sein.«
Ich wußte nicht, wie recht sie hatte. Noch wußte ich es nicht, doch ich entdeckte es bald. Wenn ich in ihr war, dann war das kein Ficken - es war wie eine Heimkehr. Und wenn ich sie trank, dann war das nicht einfach ein Lecken - es war ein wirkliches Trinken, ein Schlucken von Lebenssäften. Saugte ich an ihren Brüsten, so war ich ihr Kind, das sich von der Milch nährte, die sie für mich gemacht hatte; und immer, wenn sie mir gab, nahm sie von mir, denn sie war der ewige Brunnen meines Lebens.
Ich legte mich auf das Kissen zurück. Ihr Kopf ruhte auf meiner Schulter, und sie drehte mir ihr Gesicht zu. »Ich liebe dich«, sagte sie.
Ich setzte zu einer Antwort an.
Rasch legte sie einen Finger auf meine Lippen. »Sag nichts. Nicht jetzt. Die Zeit ist noch nicht gekommen.«
Ich schwieg. Ich wußte, daß es noch vieles gab, das ich an mir selbst erkennen mußte.
»Gib mir einen Gutenachtkuß, Liebster. Und dann laß uns schlafen.«
In der frühen Morgendämmerung wurde ich wach. Mein erster Blick fiel auf Eileen. Sie lag noch in tiefem Schlaf, und ihr Gesicht wirkte weich und sehr verletzlich. Ich wollte sie berühren, sie streicheln; doch statt dessen stand ich auf, zog leise die Fenstervorhänge zu, ging aus dem jetzt verdunkelten Raum ins Wohnzimmer, durchquerte es und betrat die Küche. Dort knipste ich das Licht an und begann, die Kaffeemaschine zu füllen.
»Darum werde ich mich kümmern«, erklang Denises Stimme hinter mir.
Ich drehte mich um.
Nackt stand sie in der Türöffnung. »Wo kommst du denn her?« fragte ich.
»Von dort«, erwiderte sie. Mein Blick folgte ihrem ausgestreckten Finger. Und jetzt sah ich das Leintuch, die Decke und das Kissen auf der Couch. »Ich dachte, du seist weggegangen«, sagte ich.
»Wie könnte ich so etwas tun?« fragte sie und nahm mir den Kaffeekrug aus der Hand. »Ich arbeite ja hier, nicht?« Mit einem Löffel füllte sie Kaffeepulver ein. »Aber ich dachte mir, es sei gut, euch beide eine Weile allein zu lassen.«
»Das ist nett von dir«, sagte ich. »Endgültig fortgegangen bist du also nicht. Aber wann bist du denn wieder zurückgekommen?«
»Gleich nachdem ihr im Wohnzimmer das Licht ausgemacht habt.«
»Dann warst du die ganze Nacht hier?«
»Ja.« Sie lächelte. »Es war schön. Und ich hatte recht, siehst du. Sie hat deine Energiepartikel wieder gesammelt. Viermal bist du gekommen.«
»Ich habe nicht Buch geführt«, sagte ich sarkastisch. »Was hast du gemacht? Durchs Schlüsselloch gelinst?«
»Das brauche ich nicht«, erwiderte sie ernst. »Ich bin auf deine Aura eingestimmt. Und bei jedem Mal bin ich mit dir gekommen, kinetisch.«
»Ach, Scheiße«, sagte ich ärgerlich. »So was wie eine Privatsphäre gibt’s für mich jetzt wohl überhaupt nicht mehr, wie? Hör mal, das wird einfach nichts.«
»Sei nicht so negativ. Wir sind alle gut füreinander. Alles wird sich wunderbar einspielen.« Sie trat näher und berührte mich. »Siehst du? Ich weiß schon, wovon ich rede. Du hast einen Steifen. Das hab ich an deiner Aura gespürt, als du ins Zimmer kamst.«
Ich starrte sie sprachlos an.
»Hättest du gern einen kleinen Fick, während der Kaffee kocht?« fragte sie mit todernstem Gesicht.
Ich lachte laut auf. In ihrer Miene spiegelte sich Verwirrung. Ich beugte mich vor, küßte sie auf die Haare. »Du bist wirklich schön«, sagte ich. »Und ungeheuer verführerisch. Doch im Augenblick - im Augenblick muß ich ganz einfach mal pissen.«
In der dritten Aprilwoche lag Macho an den Zeitungsständen auf. Am drauffolgenden Montag begann eine großangelegte Werbekampagne in Fernsehen, Rundfunk und Presse. Es war so etwas wie eine Aktion »Feuer aus allen Rohren«, die eine ganze Woche laufen sollte; doch es kam anders.
Am Mittwoch waren wir von den Bildschirmen völlig verschwunden, und nur noch ein Drittel der Rundfunksender brachte unsere Spots. Nur noch eine Handvoll Zeitungen akzeptierte unsere Anzeigen. Am Freitag beschlagnahmte die Polizei in einer Reihe von Städten das Magazin an insgesamt dreiundneunzig Verkaufsständen und verhaftete zweiundvierzig Händler. In der rechten Presse lief man Sturm gegen die Tatsache, daß in den Medien überhaupt eine Werbekampagne für ein derartiges Magazin laufen konnte. Daß am Montag und Dienstag die gleichen Zeitungen selbst unsere Anzeigen gebracht hatten, wurde geflissentlich verschwiegen. Am Sonntag wurde mir durch zwei Beamte der Stadtpolizei eine amtliche Vorladung zugestellt: Am kommenden Freitag sollte ich vor Gericht erscheinen, wegen angeblicher öffentlicher Ruhestörung und Erregung öffentlicher Ärgernisse. Eine solche Sache ließen sich weder Rundfunk, Fernsehen noch Presse entgehen: Alle brachten sie entsprechende Meldungen. Am Mittwoch, zwei Tage also, bevor ich vor Gericht erscheinen sollte, schrie Ronzi hysterisch nach Nachschub. Die gesamte Auflage in Höhe einer Million war verkauft. Eine Millionen-Auflage ausverkauft!
Am Donnerstagabend erschien die Gastgeberin der wichtigsten nationalen Talkschau mit einem riesigen weißen Cowboyhut und in einen Plastiksack mit aufgemaltem gepunktetem Bikini gehüllt am Bildschirm. In jeder Hand hielt sie einen Revolver. Herausfordernd trat sie ganz nah an die
Kamera und fragte mit schriller, aufreizender Stimme: »Bist du Manns genug - mir den Bikini auszuziehen?«
Das Publikum überschlug sich fast vor Begeisterung, während im Hintergrund Pistol Packin’ Mama gespielt wurde. Wir waren alle um den Fernseher versammelt. Einer der Vertriebsleute im Osten hatte uns rechtzeitig verständigt: Dort war das Programm schon drei Stunden eher über die Bildschirme geflimmert. »Mann«, sagte Ronzi, »wenn das kein Aufhänger ist. Sie müssen unbedingt nachdrucken lassen. Das macht glatt noch mal fünfhunderttausend.«
»Nichts zu wollen«, erklärte ich. »Ich habe die Druckerei gerade angewiesen, den Druck der nächsten Nummer anlaufen zu lassen.«
»Dann hätten wir ja über zwei Wochen nichts an den V erkaufsständen.«
»Stimmt genau.«
Er blickte zu Lonergan. »Können Sie ihn nicht dazu bringen, Vernunft anzunehmen?«
Lonergan lächelte. »Er ist der Verleger.«
»Herr des Himmels«, jammerte Ronzi, »da halten wir dreihundert Riesen in der Hand - und Sie sorgen dafür, daß uns diese wunderschönen Kohlen durch die Finger gleiten.«
»Das sehe ich etwas anders. Wir werden denen gehörig den Mund wäßrig machen. Auf die nächste Nummer stürzen sie sich dann, bloß um zu sehen, was ihnen bisher entgangen ist.«
»Ich kann einfach nicht gewinnen«, sagte Ronzi ärgerlich.
»Sie haben ja schon gewonnen. Bei der ersten Nummer haben Sie sich gleich einen Fünf-Prozent-Bonus verdient.«
»Geben Sie mir den auch bei der nächsten Nummer, und ich sorge dafür, daß Sie wieder eine Million Auflage absetzen.«
Ich lachte laut. »Das war eigentlich eine Sonderprämie, um Ihnen zu zeigen, daß ein solcher Verkaufserfolg unbedingt drin war. Aber ich will Ihnen etwas verraten - mein Auftrag für die Druckerei lautet auf eineinviertel Million Auflage.«
»Sie müssen wirklich verrückt sein! Wie kommen Sie auf die Idee, daß wir eine solche Auflage an den Mann bringen können?«
»Wie ich drauf komme? Nun, nicht zuletzt durch Sie. Wenn Sie einen Verkaufserfolg nicht für eine todsichere Sache hielten, würden Sie gar nicht erst versuchen, wieder den Bonus auszuhandeln.«
»Was bringen Sie auf dem Titelblatt?«
»Die Grundidee ist dieselbe. Nur dreht uns das Girl diesmal den Rücken zu, die Hände auf die Knie gestützt, den Oberkörper also vorgebeugt. Sie trägt einen roten Minirock, der ihr knapp den Hintern bedeckt und den man wegnehmen kann. Genau wie bei der letzten Nummer den Bikini. Der Text ist praktisch der gleiche: >Bist du Manns genug - mir den Rock auszuziehen?<«
Er nickte zufrieden. »Gefällt mir.«
»Danke. Was gibt’s Neues über die verhafteten Zeitungshändler?«
»Bis auf zwei sind alle sehr glimpflich davongekommen, zum Teil mit leichten Geldbußen. Elftausend kostet uns die Sache bis jetzt, Anwaltshonorare inklusive.«
»Und die beiden, was ist mit denen?«
»Die haben kommende Woche Gerichtstermin. Doch wir erwarten weiter keine Schwierigkeiten.«
»Gut. Schicken Sie jedem der verhafteten Händler einhundert Dollar. Als Zeichen meiner Anerkennung für ihre Unterstützung. «
»Was soll der Quatsch!? Wenn sich das rumspricht, rennen die Händler überall zu den Bullen und flehen sie an, sie doch ja einzulochen.«
Ich lachte. »Tun Sie’s trotzdem.«
»Okay. Ist ja Ihr Geld.«
Nachdem er gegangen war, sagte ich zu Lonergan: »Hoffentlich komme ich morgen auch so glimpflich davon wie die Händler.«
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, erwiderte er ruhig. »Die Klage wird abgewiesen.«
Und genau das geschah dann auch.
Ich erschien in Begleitung eines Anwalts im Gerichtssaal, doch ich hätte auch allein kommen können: Der Mann kam nicht dazu, auch nur ein einziges Wort zu äußern. Nachdem die Anklage verlesen worden war, wurde ich gar nicht erst gefragt, ob ich auf »schuldig« oder »unschuldig« plädiere; denn der Richter rief den Staatsanwalt und meinen Verteidiger sofort zu sich nach vorn.
Ich beugte mich vor, um besser zu verstehen, was dort gesprochen wurde. Der Anklagevertreter sagte etwas von »Herstellung pornographischer Produkte« sowie »Anstiftung zum Vertrieb derselben«. Von der Antwort des Richters bekam ich nur Bruchstücke mit. »Fällt nicht unter die herangezogenen Paragraphen ... öffentliche Ruhestörung ... Erregung öffentlichen Ärgernisses.« Er bedeutete den Anwälten, zu ihren Plätzen zurückzugehen. Noch bevor sie diese erreicht hatten, schlug er mit seinem Hammer auf den Richtertisch und verkündete, die Klage sei »wegen Nichtanwendbarkeit der von der Staatsanwaltschaft herangezogenen Paragraphen« abgewiesen.
Als ich aus dem Gerichtssaal kam, warteten im Korridor die Reporter und die Fernsehleute mit den Kameras. Sie umdrängten mich.
»Sind Sie mit der Entscheidung des Richters zufrieden?«
»Natürlich«, erwiderte ich.
»Auf welcher Grundlage, glauben Sie, ist der Richter zu seiner Entscheidung gelangt?«
Ich blickte zu meinem Anwalt. Jetzt hatte er endlich Gelegenheit, etwas zu sagen. »Ich glaube, der Richter hat die
Klage gegen Mr. Brendan abgewiesen, weil ihm klar war, daß es sich dabei um eine Art Schikane von Seiten der Staatsanwaltschaft handelte. Die Herren zweifelten offenbar von vornherein daran, Mr. Brendan mit Hilfe anderer Paragraphen ein Bein stellen zu können.«
»Wird Ihr Magazin also wieder an den Zeitungsständen zu haben sein?«
»Wir haben uns nie von dort vertreiben lassen«, erklärte ich.
»Na, ich habe an einer ganzen Reihe von Ständen versucht, ein Exemplar zu kaufen, aber keins bekommen«, sagte der Reporter.
»Dafür gab es einen einfachen Grund. Die gesamte Auflage ist verkauft.«
»Und wenn man noch ein Exemplar haben möchte, wo kann man eins bekommen?«
»Versuchen Sie’s doch mal bei Ihrem Nachbarn. Wenn er Ihnen sein Exemplar schon nicht verkauft, vielleicht pumpt er’s Ihnen wenigstens.«
»Bringen Sie das Magazin auch weiterhin heraus?«
»Allerdings. Die nächste Nummer befindet sich bereits im Druck und dürfte in etwa zwei Wochen ausgeliefert werden.«
»Wird das Titelblatt der nächsten Nummer auch so aufreizend sein wie das der vorigen?«
»Das Urteil darüber möchte ich Ihnen überlassen«, sagte ich und zog aus der Aktenmappe, die ich bei mir hatte, ein Muster. Damit es auch alle deutlich sehen konnten, hielt ich es hoch über meinen Kopf. Sofort zuckten die Blitzlichter der Fotografen, und die TV-Kameras surrten.
Und so war das Titelblatt der nächsten Nummer dann im Fernsehen zu sehen, eine unbezahlbare Reklame: Bereits in der ersten Woche nach ihrem Erscheinen war nirgends mehr ein Exemplar zu haben, und von Monat zu Monat erhöhten wir die Auflage um fünfzig- bis hunderttausend Stück. Ein halbes Jahr später wurden von Macho im Schnitt monatlich anderthalb
Millionen Exemplare verkauft, und jede Nummer brachte uns über eine halbe Million Dollar Reingewinn.
Im August wurde mir schließlich klar, daß wir uns zu einem Unternehmen von beträchtlichen Ausmaßen entwickelt hatten. Wir begannen, aus allen Nähten zu platzen. Der Laden unter der Wohnung reichte natürlich nicht mehr, und so mieteten wir weitere Ladenräume in der Nähe. Als sich in unmittelbarer Nachbarschaft nichts mehr befand, mußten wir mit Räumlichkeiten vorliebnehmen, die nicht ganz so günstig lagen. Sie waren mehrere Häuserblocks entfernt.
In unserem ersten Laden brachten wir die Buchhaltung und die Redaktionsräume unter. Verita verfügte in ihrer Abteilung über sieben Buchhalter und zwei Sekretärinnen, Eileen hatte zwölf Redakteure und vier Sekretärinnen. Einen der neugemieteten Läden richteten wir für Bobby als Foto-Studio ein. Ihm standen jetzt vier Fotografen und drei Assistenten zur Seite. Dazu kamen noch ein Requisiteur, ein Fachmann für die Studioaufbauten, ein Kostümbildner, ein Fotoredakteur und zwei Sekretärinnen. Die Herstellung mit insgesamt zwölf Angestellten war in einem weiteren Laden untergebracht. In den zuletzt gemieteten Räumen befanden sich die Abteilungen »Post«, »Cartoon« und »Illustration«. Die beiden Telefonistinnen mitgerechnet, die mit ihrem Klappschrank unter der Treppe im alten Gebäude hockten, verfügten wir über insgesamt vierundsechzig Angestellte.
Unter den jetzigen Umständen gab es für Denise auch nicht die leiseste Hoffnung, die Wohnung länger in Ordnung zu halten: Den ganzen Tag über hielten wir dort Sitzungen ab, und oft genug ging das bis spät in die Nacht. So sah es in den Räumen ganz schlicht chaotisch aus, obwohl abends regelmäßig eine Reinigungsequipe erschien.
Die Hitze des Augusttages hatte sich auch zu dieser späten Stunde noch keineswegs gelegt. Trotz der inzwischen eingebauten Klimaanlage war die Luft warm und stickig.
Unsere Sitzung näherte sich ihrem Ende. Um neun Uhr abends hatte sie begonnen, inzwischen war es bereits nach Mitternacht.
»Gibt’s noch was, bevor wir Schluß machen?« fragte ich.
Der junge Schwarze, der für die Postabteilung verantwortlich war, meldete sich. »Ja, Mr. Brendan«, sagte er zögernd, »ich hätte da noch was.«
Es war das erste Mal, daß er den Mund auftat in den drei Monaten, seit er an den Sitzungen teilnahm. »Ja, Jack?«
Befangen blickte er sich im Kreis der Anwesenden um. »Ich weiß zwar nicht, ob’s zur Sache gehört, aber vielleicht erinnern Sie sich noch an die Artikelserie, die wir vor ein paar Monaten brachten - über Ehehilfen und Aphrodisiaka?«
»Ja.«
»Seit die Artikel erschienen, haben wir pro Woche so fünf-bis sechshundert Briefe bekommen, in denen angefragt wird, wo man solche Sachen kaufen kann.«
»Setzen Sie einen Formbrief auf, in dem Sie den Leuten erklären, daß sie mit ihren Wünschen zum nächsten Sex-Shop gehen sollen«, sagte ich.
»Die Briefe kommen fast ausschließlich aus Kleinstädten oder anderen Orten, wo es so etwas wie einen Sex-Shop gar nicht gibt. Die Leute dort kennen so was einfach nicht, und selbst wenn’s irgendwo bei ihnen in der Nähe einen Sex-Shop geben sollte - also ich habe das Gefühl, daß es ihnen zu peinlich wäre, dort hineinzugehen.«
Ich begriff, daß er auf etwas Bestimmtes hinauswollte. »Ja, da ist was dran«, sagte ich und nickte, um ihn zu ermutigen. Tatsächlich wirkte er sofort ein wenig selbstbewußter. »Ich hab mir das gründlich durch den Kopf gehen lassen und bin zum Sex-Shop unten beim Pussycat Theater gegangen, um mich mit dem Besitzer zu unterhalten. Er wurde ganz aufgeregt und meinte, er sei bereit, in jeder Ausgabe des Magazins zwei volle Anzeigenseiten zu kaufen. Als ich ihm erklärte, daß wir keine Anzeigen direkt annähmen, machte er das Angebot, eine
Versandabteilung einzurichten und uns mit zwanzig Prozent am Großhandelspreis zu beteiligen.«
»Interessant«, sagte ich, hatte jedoch das Gefühl, daß er noch nicht fertig war.
»Das fand ich auch«, fuhr er fort. »Und so tat ich mich denn noch ein bißchen um. Inzwischen weiß ich, wo man das meiste Zeug kaufen kann. Außerdem stellte sich heraus, daß die Gewinnspannen ganz ungeheuer sind - sie liegen so zwischen zweihundert und tausend Prozent. Die zwanzig Prozent, die der uns auf die Großhandelspreise anbot, sind also der reine Witz.«
»Und - Sie haben eine Idee?«
»Ja, Sir«, erwiderte er. »Zu unserem Laden im nächsten Block gehört ein großer Keller. Dort könnte ich die gängigsten Artikel lagern; und wenn wir selbst die Bestellungen aus den Briefen erledigen, können wir pro Monat dreißig- bis vierzigtausend Dollar umsetzen, ungefähr die Hälfte als Reingewinn.«
Ich nickte. Ob wir nun ins Versandgeschäft einstiegen oder nicht, Jack würde bestimmt nicht mehr lange auf seinem jetzigen Posten bleiben. Er hatte bewiesen, daß sein Kopf zu was taugte.
»Gut überlegt«, sagte ich. »Setzen Sie sich mit Verita zusammen und kalkulieren Sie durch, wie es mit den Kosten dafür aussähe. Sobald wir die Fakten schwarz auf weiß haben, treffe ich die Entscheidung.«
»Danke«, sagte er.
Ich ließ den Blick durchs Zimmer gleiten. »Sonst noch was?«
Es gab keinen weiteren Punkt, und so löste sich die Versammlung auf. Nur Bobby, Verita, Eileen, Denise und ich blieben im Zimmer.
Eileen und Denise begannen, die Gläser wegzuräumen und die Aschenbecher auszuleeren. »Was hältst du von Jacks Idee?« fragte ich Verita.
»Die Sache ist interessant«, erwiderte sie. »Er hat vor ungefähr zwei Wochen mit mir darüber gesprochen, und ich sagte ihm, er solle der Angelegenheit nachgehen.«
»Du hast mir gegenüber nichts davon erwähnt.«
Sie lächelte. »Es war ja seine Idee.«