»Wie schön, daß Sie endlich die Güte haben, sich danach zu erkundigen, Sir«, sagte Bobby und ging hinaus. Gleich darauf erschien er mit einem weiteren Tablett. Zusammen mit Denise kletterte er zu uns, und im Schneidersitz saßen sie dann uns gegenüber auf dem Bett, zwischen sich ihr Frühstück.

Plötzlich fiel mir etwas ein. »Die Anzeige deines Vaters«, sagte ich zu Bobby. »Die habe ich ja noch nicht gesehen.«

»Die haben wir noch gestern abend hingeschafft. Sie ist auf dem hinteren Umschlag.«

Ich drehte das Heft um. Mein Blick fiel auf Reverend Sams lächelndes Gesicht: das Standardbild, das ich schon in vielen anderen Blättern gesehen hatte. Der Text jedoch unterschied sich vom üblichen. Unter der Hauptschlagzeile Die Kirche der sieben Ebenen fanden sich nur wenige knappe Sätze: »Was Sie mit Ihrem Körper tun, ist Ihre Sache. Was Sie mit Ihrer Seele tun, ist unsere. Wir möchten Ihnen helfen, den Gott Ihrer Erwartungen zu finden.«

»Meint er das wirklich so, Bobby?«

»Ja«, erwiderte Denise an seiner Stelle. »Ich habe ihm gesagt, wie ich für die Fotos posieren mußte. Er hatte offenbar nichts dagegen. Ich habe ihm auch gesagt, was ich für Sie empfinde.«

»Was hat das damit zu tun?«

Sie lächelte. »Ich dachte mir schon, daß du’s vielleicht vergessen hast.« Sie beugte sich vor und küßte mich auf den Mund. »Ich bin heute achtzehn geworden.«

Die Entfernung zwischen Hollywood und Bel Air betrug eine Million Dollar. Als ich am Haupttor an der Quartier-Streife vorüberkam, blickten die kein zweites Mal hin, sondern ließen mich unbeanstandet passieren. Was Wunder: Ich fuhr ja Bobbys Rolls, und der war so gut wie ein Wappenschild, womöglich besser. Hätte ich etwas Geringeres gefahren als eine Caddy oder einen Lincoln Continental, so wäre ich mit Sicherheit angehalten worden. Ich bog in den Stone Canyon Drive ein, der zu meiner Mutter führte.

Die Straßen waren dunkel und menschenleer. Aus den Häusern zu beiden Seiten fiel Licht, doch irgendwelche Geräusche drangen nicht hervor. In der Auffahrt zum Haus meiner Mutter stand bereits Lonergans Wagen. Sein Chauffeur lehnte sich gegen die große schwarze Caddy-Limousine. Ich hielt unmittelbar dahinter. Als ich ausstieg, musterte mich der Mann neugierig. Zu erkennen schien er mich nicht. Nun ja, der teure Rolls, die formelle Krawatte, solche Attribute konnte er bei mir wirklich kaum vermuten, und so hielt er mich augenscheinlich für einen Fremden.

Ich drückte auf die Klingel an der Haustür. Sanftes Schellen

- wie Glöckchengebimmel - erklang. Dann ging die Tür auf. Ich sah einen mir unbekannten Butler.

»Ich bin Gareth«, sagte ich und trat an ihm vorbei in die Eingangshalle.

Sein Gesicht blieb völlig unbewegt. »Mr. Lonergan befindet sich in der Bibliothek. Ihre Frau Mutter wird jeden Augenblick herunterkommen.«

Diese Art »offizieller Verlautbarung« war mir wahrhaftig nicht neu, und ich wußte: Punkt acht Uhr bedeutete, daß meine Mutter ungefähr um halb neun fertig sein würde.

Lonergan stand am Fenster der Bibliothek. Einen Drink in der Hand, blickte er hinaus auf den beleuchteten Swimmingpool und den Tennisplatz.

»Darf ich Ihnen einen Drink servieren, Sir?« fragte der Butler, als sich Lonergan zu mir herumwandte.

»Was trinkst du?« fragte ich Lonergan.

»Martini.«

»Nehme ich auch.«

»Das Haus ist noch genauso schön wie an dem Tag, als du eingezogen bist, Gareth. Erinnerst du dich noch?«

»Das glaube ich kaum. Schließlich war ich damals ja erst ein Jahr alt oder so.«

Der Butler reichte mir meinen Drink und verschwand. Ich nahm einen Schluck, und das Zeug schien in mir zu explodieren. Verdammt - zu spät fiel mir ein, daß ich Martinis nicht vertrug. Vorsichtig stellte ich das Glas ab.

Lonergan beobachtete mich. »Daß du damals noch so klein warst, daran habe ich nicht gedacht. Die Zeit vergeht so schnell, so wahnsinnig schnell manchmal.«

Ich schwieg.

»Du wirkst irgendwie verändert«, sagte er.

»Das liegt an den feinen Klamotten. Mutter wollte unbedingt, daß ich mich in Schale schmeiße.«

»Solltest du öfter tun. Du siehst gut da drin aus.«

»Danke.« Ich ging zur Bar und machte mir einen Whisky mit Wasser. »Martinis sind für mich zuviel«, sagte ich.

Er lächelte. »Einen vor dem Dinner finde ich ganz appetitanregend.« Nicht weit von mir setzte er sich auf eine der Couches. »Daß du nicht mehr hier wohnst, fehlt dir das nicht irgendwie?«

»Nein.«

»Und warum nicht?«

»Es ist ein Getto.«

»Getto?«

Ich nahm auf der Couch ihm gegenüber Platz. Zwischen uns stand der niedrige Tisch. »Die Mauern draußen trennen diesen Ort von der übrigen Welt. Sicher, an Reichtum fehlt’s nicht. Trotzdem ist und bleibt es ein Getto. Der Unterschied ist nur: Die Menschen wollen gar nicht heraus.«

»In diesem Licht habe ich das noch nie gesehen«, sagte er und trank wieder einen Schluck von seinem Martini. »Dein Blatt gefällt mir nicht«, fuhr er im Gesprächston fort. »Ich ziehe meinen Anzeigenauftrag zurück.«

»Wenn du das tust, verklage ich dich bis zum Weißbluten«, erklärte ich ruhig. »Wir haben einen festen Vertrag miteinander.«

»Es ist ein unmoralisches Blatt mit Bildern nackter Mädchen und Artikeln, die sich eingehend mit Sex befassen. Kein Gericht im ganzen Land würde mich zwingen, den Vertrag einzuhalten, wenn ich ein Exemplar von deinem Express vorlege.«

Ich lachte. »Würde ich dir aber nicht raten. Zu viele deiner geschäftlichen Interessen könnten eine Überprüfung wohl kaum vertragen. Zumindest nicht, wenn man Moralität als Maßstab anlegt.«

»Meinst du das ernst?«

Ich begegnete seinem Blick. »Darauf kannst du Gift nehmen. Du bist es doch gewesen, der mich gedrängt hat, das Blatt zu übernehmen. Was hast du denn von mir erwartet? Daß ich in Perskys Fußstapfen trete und in den Bankrott segle? Ich habe mich in die Sache eingelassen, um Geld zu machen - und nicht, um dir als Wäscherei zu dienen, die dir dreckige Lumpen in blütenweißes Leinen verwandelt.«

»Wie hoch ist die Auflage?«

»Fünfzigtausend. Das sind fünfunddreißigtausend mehr, als Persky je geschafft hat. Und wenn du smart bist, kaufst du bei einer solchen Auflagenhöhe noch zwei Anzeigenseiten zu deinen vier dazu. Bei solchen Zahlen gibt’s für mich gar keine Frage, daß du das vor dir selbst verantworten kannst.«

»Wie willst du wissen, daß es dabei bleibt?«

»Es wird dabei bleiben. Ronzi ist schließlich kein Idiot. Und er hat für uns die Signale auf freie Fahrt gestellt.«

»Ronzis Mafia«, sagte er mißbilligend.

»Und?«

»Mit solchen Leuten willst du dich doch nicht näher einlassen ...«

Ich lachte. »Und er hat mich vor Leuten wie dich gewarnt.«

Wir hörten Mutters Schritte auf der Treppe. »Komm am Montag in mein Büro«, sagte er. »Dann werden wir uns darüber unterhalten.«

»Da gibt es nichts weiter zu besprechen. Außerdem habe ich zu tun. Ich muß die nächste Nummer vorbereiten.«

Mutter trat ein, und wir erhoben uns. Alles, was recht war: Sie war schon eine tolle Erscheinung. Mit ihren zweiundfünfzig Jahren sah sie allerhöchstens aus wie fünfunddreißig. Ihr gebräuntes Gesicht war ohne Falten, ihr Haar glänzte noch genauso blond wie in meiner Kinderzeit, und ihr Körper wirkte überaus geschmeidig, was sie zweifellos nicht zuletzt der Tatsache verdankte, daß sie jeden Tag Tennis spielte.

Sie trat auf mich zu und hielt mir eine Wange hin, zum Kuß. »Dünn siehst du aus«, sagte sie.

Sie schaffte es doch jedes Mal, aus dem Handgelenk sozusagen: Plötzlich war ich wieder fünfzehn; nichts als Arme und Beine - und ohne Zunge.

Sie wartete auch gar nicht erst auf eine Antwort von mir. »Findest du nicht auch, daß er dünn aussieht, John?«

Um seine Lippen spielte ein schwaches Lächeln. »An deiner Stelle würde ich mir um ihn keine Sorgen machen«, sagte er trocken. »Er scheint mir durchaus in der Lage zu sein, gut auf sich selbst aufzupassen.«

»Von richtiger Diät versteht er doch absolut nichts. Ich möchte wetten, daß er seit Monaten keinen grünen Salat gegessen hat. Nun, Gareth - hast du?«

»Ich wußte nicht, daß man von grünem Salat dick wird.«

»Sei nicht sarkastisch, Gareth. Du weißt ganz genau, was ich meine.«

»Mutter«, sagte ich scharf.

Plötzlich klang in ihrer Stimme ein nervöses Zittern. »Was ist?«

Ich schluckte meinen Ärger herunter: Eine Verständigung mit mir, das machte ich mir klar, war für sie genauso schwierig wie für mich eine Verständigung mit ihr. Es gab zwischen uns einfach keine Gemeinsamkeiten: keinen Grund und Boden, wenn man so wollte, auf dem wir beide standen. Und das war traurig; im tiefsten sogar sehr traurig.

Ich versuchte, meiner Stimme einen unbeschwerten Klang zu geben. »Du siehst wunderschön aus, Mutter.«

Sie lächelte. »Meinst du wirklich?«

»O ja. Und das weißt du auch.«

Hier befanden wir uns auf sicherem Territorium. Ihrem Territorium. Sie fühlte sich sichtlich wohler. »Muß ich auch. Schön aussehen, meine ich. Mit der Jugendlichkeit, das ist ja heutzutage solch ein Kult.«

Nicht bei den Jungen, dachte ich für mich. »Darf ich dir einen Drink machen?« fragte ich.

»Ein Glas Weißwein«, sagte sie. »Enthält weniger Kalorien.«

Ich ging hinter die Bar. Als ich den Weißwein aus dem Kühlschrank nahm, läutete die Türglocke. Ich öffnete die Flasche und warf meiner Mutter einen fragenden Blick zu. Hatte sie nicht gesagt, wir würden zum Abendessen ganz unter uns sein, sie, Onkel John und ich?

Sie sah die Frage in meinen Augen. »Ich dachte mir, es wäre nett, noch jemanden einzuladen. Schon, damit wir bei Tisch ein

Quartett sind. Es handelt sich um eine junge Dame«, sagte sie, während sie das Glas nahm, das ich ihr reichte. »Du wirst dich an sie erinnern, von früher her. Eileen Sheridan. Sie hatte deinen Vater sehr gern.«

Dies war nicht die Zeit, Tatsachen ins Lot zu rücken: Immerhin erinnerte ich mich, daß Eileen noch ihre Zahnklammer getragen hatte, als mein Vater damals starb. Mutter begrüßte ihren neuen Gast an der Tür zur Bibliothek. Eileen hatte sich verändert, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Sehr verändert sogar.

Über die Bar hinweg reichte sie mir die Hand und lächelte. Ihre Zähne waren kalifornisch weiß und ebenmäßig. »Hallo, Gareth. Nett, dich wiederzusehen.«

»Eileen«, sagte ich. Die Berührung ihrer Hand vermittelte jenen gewissen Bel Air Touch: eine Mischung aus der Überschwenglichkeit der Mädchen aus Beverly Hills und der schlaffen Höflichkeit der Mädchen von Holmsby Hills. Ja, dachte ich: ernst, höflich, cool. »Was trinkst du?«

»Was trinkt ihr?« kam prompt ihre Gegenfrage. Erst mal herausfinden, wie’s hier im Establishment lief. Bloß keine Wellen schlagen. Aber dann fiel mir ein, daß ich ja vor wenigen Minuten das gleiche getan hatte.

»Ich halte mich an einem Whisky fest. Onkel John schwört auf Martinis. Und Mutter trinkt einen hiesigen Weißwein.«

»Ich werde auch den Hiesigen nehmen.« Eine Pause trat ein. »Das ist ein bildschöner Rolls, den du da draußen hast«, sagte sie schließlich, um Konversation zu machen.

»Rolls? Was für ein Rolls denn?« Mutters Stimme klang gereizt. »Daß du einen Rolls hast, hast du mir ja gar nicht erzählt.«

»Du wolltest doch, daß ich mir eine Krawatte umbinde, Mutter«, sagte ich. »Wie hätte es wohl ausgesehen, wenn ich per Anhalter hergekommen wäre?«

»Wenn es nicht dein Wagen ist, wem gehört er dann?« Meine Mutter ließ sich nicht ablenken. Was reiche Freunde anging - das war in ihren Augen okay.

»Einem Freund.«

»Freund oder Freundin? Etwa der Mexikanerin, die sich heute früh bei dir am Telefon meldete?« fragte sie mißtrauisch.

»Nein, Mutter.« Ich lachte. »Die fährt einen alten, verbeulten Valiant, den die Wächter am Haupttor niemals durchlassen würden.«

»Du willst es mir nicht sagen«, warf sie mir vor.

»Okay, Mutter. Wenn du’s unbedingt wissen willst - er gehört einem jungen Mann, der bei mir wohnt. Er möchte mein Sklave sein.«

Sie verstand überhaupt nicht, wovon ich sprach. »Sklave?«

»Ja. Er möchte für mich kochen, saubermachen, einfach alles, weißt du.«

»Und er besitzt einen Rolls-Royce? Wo hat er den denn her?«

»Nun, sein Vater ist reich.«

Plötzlich begriff sie. »Ist er - äh?«

Ich ergänzte das Wort. »Homosexuell, meinst du? Ja, Mutter, er ist schwul.«

Sie starrte mich an. Ihre Hand, die gerade im Begriff gewesen war, das Glas Wein zum Mund zu heben, hielt mitten in der Bewegung inne.

»Es ist angerichtet«, meldete der Butler von der Tür her.

Ich lächelte meine Mutter an. »Nun, wollen wir zum Essen gehen?«

Wortlos betraten wir das Eßzimmer. Meine Mutter hatte es wahrhaftig an nichts fehlen lassen - da waren die goldenen Bestecke, da war das Coalport-Porzellan, da war das Bacarat-Kristall. Und im hohen Kerzenhalter, dessen Sockel mit Blumen geschmückt war, flackerten Kerzen. »Der Tisch ist wirklich bildschön, Mrs. Brendan«, sagte Eileen.

»Danke«, erwiderte Mutter abwesend. Weiter wurde kein Wort gesprochen, jedenfalls nicht, solange der Butler den Salat servierte. Erst nachdem er verschwunden war, brach Mutter das Schweigen. »Ich verstehe dich nicht, Gareth! Wie kannst du so etwas tun?«

»Ich tue doch gar nichts, Mutter. Ich habe nur gesagt, daß er bei mir wohnt.«

Sie erhob sich plötzlich. »Ich glaube, ich muß mich übergeben.«

»Margaret!« sagte mein Onkel scharf. »Setz dich!«

Einen Augenblick starrte sie ihn an. Dann ließ sie sich auf ihren Stuhl sinken.

»Du hast ihn zu einem ruhigen Familienessen eingeladen«, sagte Onkel John, und seine Stimme klang jetzt sanft. »Doch kaum hattest du ihn gesehen, hast du auch schon auf ihm herumgehackt.«

»Aber - aber, John!«

Er dachte nicht daran, sich von ihr das Wort abschneiden zu lassen. »Jetzt werden wir ein nettes, ruhiges Abendessen haben

- genau wie du’s gesagt hast. Falls du im übrigen jemanden brauchst, der dir bezeugt, daß dein Sohn ein richtiger Mann ist, so laß dir von mir versichern, daß in ihm mehr Mumm und Murks steckt, als das bei seinem Vater je der Fall war.«

»Möge seine Seele in Frieden ruhen«, sagte ich, und mein Tonfall klang eigentümlich breit. Ich blickte zu Eileen. »War wirklich nett, dich wiederzusehen.« Rasch stand ich auf. »Vielen Dank, daß du dich zu meinem Fürsprecher machst, Onkel John, aber das hilft auch nicht. Ich gehöre nicht hierher, schon seit langem nicht. Tut mir leid, Mutter.«

Ich war bereits an der Ausgangstür, als Onkel John mich einholte. »Gareth, benimm dich nicht wie ein Kind.«

Meine Stimme klang verbittert. »Ich benehme mich keineswegs wie ein Kind. Ein Kind würde am Tisch sitzen bleiben und sich den ganzen Scheiß gefallen lassen.«

»Gareth«, sagte er geduldig. »Sie ist erregt - durcheinander. Du weißt doch, wie wichtig ihr dieser Abend ist. Bitte, komm zum Tisch zurück.«

Ich starrte ihn an. Hatte er schon jemals »bitte« zu mir gesagt? Ich konnte mich kaum erinnern.

»Geh drüber weg«, sagte er. »Dadurch, daß du auf sie wütend bist, wird auch nichts gebessert. Für keinen von euch.«

Ich nickte. Er hatte recht.

Ich führte mich wirklich wie ein Kind auf. Ich reagierte ihr gegenüber so, wie ich es von klein auf getan hatte. Wenn ich’s nicht mehr aushielt, lief ich davon und verkroch mich in einem Schmollwinkel.

Wir kehrten zum Tisch zurück. »Tut mir leid, Mutter«, sagte ich und nahm wieder Platz.

Der Rest der Mahlzeit verging ohne weiteres Blutvergießen.

Nach dem Essen gingen wir zum Kaffee wieder in die Bibliothek. Der Kaffee wurde in winzigen Täßchen serviert, der Kognak in vorgewärmten Kognakschwenkern.

»Wie gern, wie leidenschaftlich gern«, sagte Mutter, »hat dein Vater hier seinen Kaffee genommen. Er liebte es, hier auf dieser Couch zu sitzen und hinauszuschauen zum Springbrunnen und zu den Lichtern im Pool.« Unvermittelt begann sie zu weinen.

Eileen legte einen Arm um ihre Schultern. »Sie dürfen nicht weinen, Mrs. Brendan«, sagte sie. »Das ist alles Vergangenheit.«

»Nicht für mich«, erwiderte Mutter mit angespannter, fast zorniger Stimme. »Nicht, ehe ich nicht weiß, warum er mir das angetan hat.«

»Er hat es nicht dir angetan«, sagte ich. »Er hat es sich selbst angetan, Mutter.«

»Aber weshalb nur, das verstehe ich nicht. Man hat von ihm doch nichts weiter verlangt, als daß er einige Fragen beantwortet. Die Ermittlungen haben dann später ergeben, daß er nichts Unrechtes getan hatte.«

Das war ihre Überzeugung. Tatsache blieb jedoch, daß man sich amtlicherseits darüber im klaren war: Einen Toten konnte man nicht ins Gefängnis stecken. Also zogen sie einen Schlußstrich, die Behörden, und legten den Fall ad acta.

Ich blickte zu meinem Onkel. Sein Gesicht wirkte eigentümlich unbeteiligt. »Vielleicht könntest du’s ihr erklären, Onkel John«, sagte ich.

»Das habe ich bereits getan. Ich habe deiner Mutter gesagt, daß er ein Narr war. Es hätte ihm überhaupt nichts passieren können.«

Das glaubte ich genausowenig wie er selbst. Er hatte zwei Geschichten parat, eine für mich, die andere für meine Mutter.

»Wovor hatte er dann Angst?« fragte ich. »Für den Einsturz dieses Schulgebäudes konnte man ihn doch nicht verantwortlich machen.«

Die Stimme meines Onkels klang ausdruckslos. »Vielleicht fürchtete er, die Politiker würden ihm die Schuld dafür zuschieben wollen, daß sie vernachlässigt hatten, striktere Qualitätskontrollen in ihren Verträgen zu verankern.«

»Könnte es vielleicht sein, daß sich jemand an die Politiker herangemacht hat, um sie zu eben dieser Nachlässigkeit zu veranlassen?« fragte ich.

Sein Blick blieb gelassen. »Wie soll ich das wissen?«

»Onkel John hat recht«, sagte ich. »Vater hat den Vertrag erfüllt. Wenn der Vertrag nichts taugte, so konnte man ihm daraus keinen Vorwurf machen. Leider war jedoch Vater selbst außerstande, sich von Schuld freizusprechen. Er wußte, daß so manches nicht der sonstigen Norm entsprach. Und so tat er, was er dann tat, und es bleibt dir nichts, als dich damit abzufinden. Wenn du das erst einmal getan hast, dann kannst du auch einen Schlußstrich ziehen und wieder ein normales Leben führen.«

»So etwas wie ein normales Leben gibt es für mich nicht«, erklärte sie.

»Hör doch schon mit dem Quatsch auf, Mutter«, sagte ich. »Du spielst doch wohl immer noch Tennis, oder?«

Ihr Blick senkte sich. Sie wußte, was ich meinte. Für Tennisprofis hatte sie eine Schwäche, und dieser und jener hatte nicht nur auf dem Tennisplatz so etwas wie einen Ballwechsel mit ihr gehabt, wie ich wußte.

»Hast du schon mal daran gedacht, dich wiederzuverheiraten, Mutter?« fragte ich.

»Wer würde schon eine alte Frau wie mich heiraten wollen?«

Ich lachte. »Du bist nicht alt, und das weißt du auch. Außerdem bist du eine schöne Frau und hast ein paar Millionen auf der Bank. Das ist eine unschlagbare Kombination. Du brauchst nur mal deinen Panzer abzulegen. Auch empfiehlt es sich, einen Mann, der einen Annäherungsversuch macht, nicht von vornherein mit Gletscherkälte zu schocken.«

Für einen Augenblick wirkte sie unsicher. Einerseits schmeichelten ihr meine Worte, andererseits war sie sehr bemüht, die angemessene Haltung zu bewahren.

»Gareth, vergiß nicht, daß du mit deiner Mutter sprichst.«

Ich lachte. »Das vergesse ich schon nicht. Im übrigen - da ich wohl nicht das Produkt einer unbefleckten Empfängnis bin, möchte ich dich daran erinnern, daß es immer noch Spaß macht.«

Sie schüttelte den Kopf. »Mit dir ist wohl nicht zu reden, wie? Gibt es denn gar nichts mehr, was dir heilig ist, Gareth? Wovor du noch Achtung hast?«

»Nein, Mutter. Nicht mehr. Früher einmal, ja, da habe ich an so manches geglaubt. An Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Anstand. Aber wenn man damit oft genug auf die Schnauze fällt, wird man allmählich kuriert. Und ich bin oft genug auf die Schnauze gefallen - auf die Schnauze gefallen worden.«

Sie gab sich Mühe, nicht allzu deutlich zusammenzuzucken. »Und worauf bist du aus - jetzt?«

»Ich will reich sein. Aber nicht einfach reich, so wie Vater es gewesen ist, nicht einmal reich reich wie Onkel John, sondern superreich. Wenn man superreich ist, dann hat man die Welt am Kanthaken. Mit Geld läßt sich alles kaufen - die Society, die Politiker, Besitz, Macht. Geld braucht man dazu, mehr nicht. Und der Witz bei allem ist, daß man überhaupt nicht zu bezahlen braucht, wenn man das Geld erst mal hat. Dann überschlagen sich nämlich alle, um einem umsonst zu Gefallen zu sein.«

»Und du meinst, mit deinem Blatt läßt sich dieses Ziel erreichen?« fragte Onkel John. Aus seiner Stimme klang so etwas wie milde Neugier.

»Nein, Onkel John. Aber es ist ein Anfang.« Ich erhob mich. »Es ist nach zehn, Mutter«, sagte ich. »Mich erwartet noch Arbeit.«

»Was für Arbeit denn?«

»Seit heute morgen liegt das Blatt in Hollywood zum Verkauf aus. Ich möchte mal hin und sehen, ob die Sache läuft.«

»Ich habe noch kein Exemplar davon zu Gesicht bekommen. Würdest du mir eins schicken?«

»Natürlich.«

Onkel John räusperte sich. »Ich glaube kaum, daß du dich für diese Art Magazin interessieren würdest, Margaret.«

»Wieso nicht?«

»Nun, es ist - äh - ziemlich pornographisch.«

Meine Mutter schaute mich am. »Stimmt das?«

»Das ist Onkel Johns Meinung. Ich finde das nicht. Lies es selbst und bilde dir dein eigenes Urteil.«

»Das werde ich«, sagte sie entschieden. »Schick’s mir also.«

»Ich muß gleichfalls gehen«, erklärte Eileen. »Ich habe morgen schon in aller Frühe Vorlesungen.«

Wir verabschiedeten uns. Ich küßte Mutter auf die Wange und ließ sie in der Gesellschaft von Onkel John zurück. Zusammen mit Eileen ging ich hinaus. Die einzigen Autos in der Auffahrt waren der Rolls und der große Caddy. »Wo hast du denn deinen Wagen?« fragte ich.

»Ich bin zu Fuß herübergekommen. Es ist nur zwei Häuser von hier, wie du dich vielleicht noch erinnerst.«

Es fiel mir wieder ein. »Ich bring dich hin«, sagte ich. »Steig ein.«

Während ich das Auto aus der Ausfahrt manövrierte, zündete sie eine Zigarette an. »Sag mal, kann ich mit dir in die Stadt mitfahren?«

»Klar doch.« Im schwachen Schein der Lichter vom Armaturenbrett betrachtete ich kurz ihr Gesicht. »Warum bist du heute abend gekommen?«

»Ich war neugierig auf dich. Ich hatte so viele Geschichten über dich gehört. Du bist doch nicht wirklich schwul, nicht wahr?«

Ich begegnete ihrem Blick. »Manchmal.«

»Die meisten Männer, die behaupten, daß sie bi sind, sind in Wirklichkeit nur eins von beidem.«

»Willst du einen Beweis?« Ich nahm ihre Hand und schob sie nach unten, gegen meinen Steifen.

Sie zog ihre Hand fort. »Ich glaube dir.«

»Soll ich dich jetzt nach Hause bringen?«

»Nein. Außerdem möchte ich mir ein Exemplar von deinem Blatt besorgen, um selber zu sehen, wie es ist.«

Ich hielt bei einer Parkuhr. Auf der anderen Straßenseite, vor dem Ranch Market von La Brea, befand sich ein Zeitungsstand. Wir blieben im Auto sitzen und beobachteten die Szene. Wie gewöhnlich war der Stamm der Nutten schon auf Achse. Ihre Gesichter wirkten wie die verkörperte Langeweile, denn eigentlich war es für sie noch zu früh. So richtig ging das erst gegen Mitternacht los. Hatten sie sich bis ein Uhr früh keinen Freier geangelt, so machten sie erst mal Halbzeit.

Wir stiegen aus und überquerten die Straße. Ich begann an der Ecke: ging langsam an den Reihen der Taschenbücher und Magazine vorbei, hielt Ausschau nach meinem Blatt. Ich entdeckte es ganz in der Nähe der Kasse.

Eileen hielt sich ein Stück von mir entfernt, während ich den interessierten Kunden spielte und nach einem Exemplar griff.

Ich wollte es öffnen, doch es war an den Ecken sorgfältig mit durchsichtigen Klebestreifen verschlossen.

Der Mann an der Kasse musterte mich nur mit einem kurzen Blick, bevor er zu sprechen begann. Dann glitten seine Augen hastig hin und her: sondierten rundum das Gelände.

»Kostet Sie fünfzig Cents, wenn Sie sich die Muschi ansehen wollen«, sagte er.

»Woher weiß ich, daß sich die Sache auch lohnt?«

Mit dem Daumen wies er über seine Schulter. Ich warf einen Blick hinter den Stand. Und dort war, mit Reißzwecken an der Bretterwand, das Klappbild aus der Heftmitte befestigt.

»Fünfzig Cents«, sagte er mit krächzender Stimme.

»Ist das erste Mal, daß ich dieses Blatt sehe«, sagte ich, während ich ihm das Geld gab.

»Ist auch heute erst rausgekommen.«

»Und wie geht es?«

»Heute nachmittag hatte ich fünfzig Stück. Davon sind nur noch so zirka fünf übrig.« Zum ersten Mal faßte er mich richtig ins Auge. »Sind Sie von der Polizei?«

»Nein. Ich bin der Verleger.«

Sein gegerbtes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Na, da haben Sie aber wirklich was Heißes, Sohnemann. Müßte Ihnen einen Haufen Kohlen einbringen, wenn Ihnen niemand dazwi schenfunkt.«

»Danke.«

»Vielleicht können Sie mir helfen. Ich habe Ronzi angerufen, weil ich noch hundert Stück haben wollte. Fürs Wochenende, wo’s besonders gut läuft.«

»Und was hat er gesagt?«

»Nichts zu machen. Sind keine mehr da, sagt er. Tut mir jetzt leid, daß ich nicht auch die hundert genommen habe, die er gleich auch noch bei mir absetzen wollte.«

»Ich will sehen, was sich tun läßt.«

Genauso war’s bei den anderen Zeitungsständen, die wir uns ansahen - am Hollywood Boulevard, am Sunset, an der Western Avenue. Wir fuhren zu Eileens Haus zurück, machten jedoch vorher im Beverly Wilshire Hotel Zwischenstation. Dort, im Kiosk, befand sich das Blatt nicht auf dem kleinen Ständer, sondern im Verkaufsautomaten. Wir sahen noch, wie ein Mann Münzen einwarf und sich das letzte Exemplar nahm.

An der Theke bestellte ich für Eileen einen Kaffee und für mich ein Bitter Lemon. Während ich die bittere Süße in mich einschlürfte, beobachtete ich, wie Eileen sich sorgfältig das Blatt ansah. Schließlich sah sie auf. »Nicht übel.«

Ich steckte mir eine Zigarette an. »Danke.«

»Wenn ich deinem Ego damit nicht zu nahe trete, möchte ich gern ein paar Vorschläge machen.«

»Schieß nur los.«

»Das Blatt ist mit Schwung gemacht, man spürt die Vitalität«, sagte sie und nahm mir die Zigarette aus der Hand. »Doch es gibt eine Menge, wovon du keine Ahnung hast.«

Ich nickte zum Zeichen, daß sie fortfahren sollte, und steckte mir eine zweite Zigarette an.

»Zunächst einmal - es ist alles im selben Stil geschrieben. Es macht den Eindruck, als habe das alles ein einziger Mann geschrieben.«

»Stimmt«, sagte ich. »War auch nur einer - ich.«

»Nicht schlecht«, versicherte sie. »Aber eine andere Gangart könnte der Text zwischendurch schon mal vertragen. Der nächste Punkt: Den Leitartikel bringst du auf Seite sieben. Der sollte immer auf Seite drei stehen, damit er dem Leser sofort ins Auge fällt, wenn er das Blatt öffnet.«

Ich schwieg.

»Soll ich fortfahren?«

Ich nickte.

»Die Typographie - also das haut einfach nicht hin. Wer das gesetzt hat, wußte offenbar überhaupt nicht, worum es

eigentlich ging. Ein anderes Druckbild, und das Blatt wirkt optisch sofort lebendiger. Wer ist für den Satz verantwortlich?«

»Das macht der Drucker.«

»Dafür verlangt er bestimmt einen Haufen Geld. Für rund dreitausend Dollar würdest du dir sicher eine eigene Setzmaschine anschaffen können. Damit läßt sich eine bessere Arbeit leisten, und die Investition sollte sich schon in wenigen Monaten amortisiert haben.«

»Das klingt ja, als ob du Experte wärst.«

»Vier Jahre lang hatte ich Zeitungswissenschaften als Hauptfach. Meinen Abschluß habe ich bereits gemacht, und jetzt arbeite ich an meiner Doktorarbeit. Seit zwei Jahren bin ich Chefredakteurin des Trojan.«

»Dann bist du also Experte. Deine kritischen Anmerkungen weiß ich zu schätzen. Sie klingen sehr vernünftig.«

»Wenn du willst, komm ich mal gern zu euch in die Redaktion und sehe, ob ich irgendwie von Nutzen sein kann.«

»Das wäre nett, aber woher das Interesse?«

»Wahrscheinlich, weil du da was wirklich Neues hast. So richtig begreife ich’s zwar noch nicht, aber irgendwie habe ich das Gefühl, daß es sich dabei um eine neue Art von ... ja, von Kommunikation handelt. Zwischenmenschliche Beziehungen. Das Blatt scheint buchstäblich zu seinen Lesern zu sprechen; scheint Dinge zu sagen, über die sie vielleicht nachgedacht, die sie jedoch nie wirklich in Worte gekleidet haben.«

»Ich nehme das als Kompliment.«

Sie sah mich sehr direkt an. »So ist’s auch gemeint.«

Ich griff nach der Rechnung. »Danke. Und jetzt werde ich dich nach Hause bringen. Ruf mich doch an, wenn es dir paßt, vorbeizukommen.«

Sie lächelte. »Wie wär’s denn mit morgen nachmittag?«

Als ich vor unserem Büro hielt, sah ich, daß Licht brannte. Die Tür war unverschlossen. Persky saß an seinem Schreibtisch. »Ich habe auf Sie gewartet«, sagte er.

»Was gibt’s denn?«

»Seit sieben Uhr abends sitzt Ronzi mir im Genick. Er will am Morgen weitere fünftausend Stück. Von überall rufen ihn die Händler an, sagt er.«

»Gut. Aber bestellen Sie ihm: nein.«

»Er sagt, er bezahlt bar auf die Hand.«

»Er kann die Stückzahl für die Ausgabe in der nächsten Woche erhöhen. Die Bestellung nehmen wir gern entgegen. Jetzt sollen die ruhig ein bißchen lechzen. Das schärft ihnen den Appetit. Und Ronzi kann sich’s leisten. Ich hatte mich mit ihm auf einen Endpreis von fünfunddreißig Cents für die Zeitungsstände geeinigt. Er hat fünfzehn Cents draufgeschlagen und uns beschissen. Er kann uns mal.«

»Ich glaube, ich kann ihn bis zehntausend hochkitzeln. Das wären noch einmal fünfzehnhundert, Gareth.«

»Wenn der jetzt auf dem trocknen sitzt, wird er für nächste Woche zwanzigtausend mehr ordern. Sagen Sie ihm, ich will jetzt nicht.«

»Ich bin seit langem in diesem Gewerbe, Gareth. Wenn man eine Chance bekommt, muß man zugreifen.«

»Wir werden noch lange in diesem Gewerbe bleiben. Da müssen wir erst mal laufen lernen, bevor wir einen Sprint einlegen können.« Ich wandte mich zur Treppe. »Wieviel würde eine Setzmaschine kosten?«

»Eine gute - gebraucht etwa dreitausend, neu ungefähr achttausend.«

»Fangen Sie gleich morgen an, sich nach einer guten gebrauchten Maschine umzusehen«, sagte ich und dachte:

Eileen weiß offenbar wirklich, wovon sie spricht. »Bobby noch da? Ich habe sein Auto zurückgebracht.«

Persky betrachtete mich mit einem sonderbaren Blick. »Er ist vor ungefähr einer Stunde mit einem Taxi weg. Sagte, er wollte zu einer Kostümparty oder so.«

»Kostümparty?«

Persky lachte. »So hab ich ihn noch nie gesehen. War zurechtgemacht, von Kopf bis Fuß sozusagen. Rouge, Lippenstift, Augenbrauenstift; und außerdem steckte er in schwarzem, glänzendem Leder mit Hosen, die so eng waren wie ... wie Strümpfe.«

»Sagte er, wo er hinwollte?«

»Kein Wort. Sauste los wie eine Rakete von der Startrampe.«

»Scheiße.« Eigentlich hätte ich den Rolls in die Garage bringen müssen. Aber die lag vier Häuserblocks entfernt, und ich war einfach zu faul. »Gute Nacht«, sagte ich und stieg die Treppe hinauf.

Ich öffnete die Wohnungstür. Vom Schlafzimmer her trat Denise ein. Noch immer trug sie die französische Zofentracht, die sie schon am Morgen angehabt hatte. »Darf ich Ihr Jackett haben, Sir?«

»Was tust du denn hier?«

»Bobby hat mich angewiesen, im Dienst zu bleiben, Sir«, sagte sie mit unbewegtem Gesicht.

»Im Dienst?«

»Ja, Sir. Er ist zu einer Party.«

»Wo steckt Verita?«

»Sie ist nach Hause gefahren. Sie sagte, sie müsse für eine ganze Woche die Wäsche nachholen.« Sie glitt hinter mich und half mir aus dem Jackett. »Kann ich Ihnen einen Drink machen, Sir?«

»Ich brauche einen«, sagte ich und streckte mich auf der Couch aus. Sie beugte sich über die Bar, und ich kam in den

Genuß, ihr Hinterteil zu betrachten, ein wirkliches Prachtstück. Dann reichte sie mir ein Glas, und ich nahm einen kräftigen Schluck.    »Was    habt    ihr drei gemacht? Habt ihr darum

geknobelt, wer mich heute nacht kriegt?«

»Nein, Sir.«

»Verdammt, hör endlich auf, mich Sir zu nennen. Du weißt, wie ich heiße.«

»Aber ich bin im Dienst, Sir. Bobby bat mich zu bleiben, als er den Anruf erhielt. Er sagte, Sie seien nicht gern allein.«

»Wann kam der Anruf denn?«

»Etwa um zehn. Danach war er ganz aufgeregt. Er zog sich sehr sorgfältig an, machte richtiggehend Toilette. Und er war ziemlich    high.    Ich    glaube, er    hat zwei Prisen Koks

genommen.«

Herrgott, dachte ich: Bei so viel Koks muß er ja wirklich von der Startrampe geschossen sein, genau wie Persky sagte. »Scheint sich um eine tolle Party zu handeln. Hat er gesagt, wer sie gibt?«

»Nein,    aber    ich bekam mit,    daß er am Telefon mit

jemandem sprach, der >Kitty< hieß.«

Ich spürte, wie sich plötzlich meine Gesichtsmuskeln spannten. Sie bemerkte die Veränderung. »Stimmt da irgendwas nicht?«

»Weiß    ich nicht«,    sagte ich    grimmig. Wenn dies die

beziehungsweise der Kitty war, von dem ich gehört hatte, dann saß Bobby gewaltig in der Scheiße. Kitty - richtiger Name: James Hutchinson - führte die gemeinste Bande von Tunten an, deren Spezialität Leder und S/M waren: Lederfetischismus und Sadomasochismus also. Er stammte aus einer alten Pasadena-Familie, die im Geld schwamm und in der Provinzpolitik eine Menge Einfluß besaß. Es hieß, daß er jeden Monat eine Party gab, die er »Jungfrau des Monats-Party« nannte, und daß einige der Jungens, denen diese Ehre zuteil geworden war, sich im Krankenhaus wiedergefunden hatten.

Zweifellos wäre er schon längst in eine Anstalt eingewiesen worden, doch davor schützten ihn seine Beziehungen.

»Hat Bobby gesagt, wo die Party stattfindet?« fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf.

Ich nahm das Telefonbuch zur Hand. Hutchinson konnte ich nicht finden. Ich versuchte es bei der Auskunft. Aber auch dort hatte man seine Nummer nicht, zumindest nicht unter den offiziellen. »Welche Taxigesellschaft hat er angerufen, Denise?«

»Die Gelben.«

Ich rief dort an, aber man weigerte sich, mir irgend etwas zu sagen. Lediglich der Polizei dürften sie Auskunft geben. Ich drückte auf den Knopf, wählte eine andere Nummer.

Eine mürrische Stimme meldete sich. »Silver Stud.«

»Mr. Lonergan bitte. Gareth Brendan am Apparat.« Einen Augenblick später erklang die Stimme meines Onkels.

»Ja, Gareth?«

»Ich brauche deine Hilfe, Onkel John. Ich fürchte nämlich, daß sich mein junger Freund in einer schlimmen Klemme befindet.«

»In was für einer Klemme denn?«

»Ich vermute, daß er für eine Party von James Hutchinson zur Jungfrau des Monats gewählt worden ist.«

»Was soll ich tun?«

»Er ist mit einem Gelben Taxi zu der Party gefahren. Ich möchte wissen, wo sie stattfindet.«

»Bleib am Apparat.« Vom anderen Ende der Leitung kam ein Klicken. Eine knappe Minute später meldete er sich wieder. In der Stadt gab es nicht viele Leute, die ihm etwas abschlugen. Die Adresse, die er mir nannte, befand sich mitten in dem feudalen Wohnviertel beim Mulholland Drive.

»Danke, Onkel John.«

»Augenblick noch«, sagte er rasch. »Was willst du tun?«

»Hinfahren und ihn rausholen.«

»Allein?«

»Ist ja niemand weiter da.«

»Du könntest umkommen.«

»Das hat man mir schon in Vietnam gesagt. Aber ich lebe noch.«

»Hierfür kriegst du keine Medaille. Wo bist du jetzt?«

»In meiner Wohnung über dem Büro.«

»Warte dort. In zehn Minuten habe ich jemanden, der dir helfen wird.«

»Das brauchst du nicht zu tun, Onkel John. Es ist ja nicht dein Problem.«

Seine Stimme klang gereizt. »Du bist schließlich mein Neffe, nicht wahr?«

»Ja.«

»Dann warte dort. Du bist mein Problem.«

Es klickte. Er war fort.

»Alles in Ordnung?« fragte Denise angespannt.

»Es wird in Ordnung kommen«, sagte ich.

Auf Lonergans Wort war Verlaß. Nach etwa zehn Minuten hörte ich von der Straße her eine Hupe. Direkt hinter dem Rolls stand der Jaguar des Collectors. Ich ging zur Tür.

»Es wird dir doch nichts passieren!« sagte Denise ängstlich.

»Keine Sorge«, erwiderte ich. »Ich bin bald wieder da.«

Ich ging nach unten auf die Straße und steckte meinen Kopf durch das offene Fenster des Jaguars. »Schließen Sie Ihren Wagen ab«, sagte ich. »Wir nehmen den Rolls.«

»Lonergan hat gesagt, Sie würden mir alles erklären«, meinte er, als wir losfuhren.

»Mein kleiner Freund ist für eine von Hutchinsons Parties zur Jungfrau des Monats gewählt worden.«

»Und wir holen ihn da raus?«

»Ja.«

»Eifersüchtig?«

»Nein.«

»Wozu dann die Umstände? Kleine Jungs wie ihn gibt’s im Dutzend billiger. Früher oder später landen sie alle dort.« Er zog eine Zigarette hervor. »Die lieben so was doch. Sind direkt scharf darauf.«

»Er ist romantisch. Er weiß nicht, wie schlimm die ihm mitspielen können.«

»Auch das wollen diese kleinen Jungs.«

»Wenn ich der Meinung wäre, daß es das ist, was ihn reizt -daß er der Typ dafür ist -, dann würden wir jetzt nicht hinfahren.«

Wir waren nicht mehr allzu weit von der angegebenen Adresse entfernt.

Der Collector zog ein paar Lederhandschuhe aus der Tasche und streifte sie sich über. »Für Sie habe ich auch ein Paar«, sagte er und reichte mir die Handschuhe. »Ich habe keine Lust, mir die Hände zu verletzen.«

Für normale Handschuhe waren sie eigentümlich schwer. Auch fühlten sie sich ein wenig steif an. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Da ist Stahldraht drin«, erklärte er. »Ziehen Sie die Dinger lieber an. Ich kenne diese Bande.«

Das Haus lag ein Stück von der Straße entfernt, hinter einer hohen Mauer und einem eisernen Tor. Als wir auf die Sprechanlage zuhielten, sah ich das Licht und die Fernsehanlage. »Gehen Sie auf Tauchstation«, sagte ich zum Collector. Ich hielt und streckte durch das Fenster die Hand nach dem Hörer. Sobald ich ihn in der Hand hielt, flammte Flutlicht auf, und das Fernsehauge beobachtete mich. Im Hörer klickte es, und aus dem Hintergrund scholl laute Musik.

Die Stimme klang blechern. »Wer ist da?«

»Gareth Brendan. Bobby Gannon hat mir gesagt, ich soll ihn hier treffen.«

Es klickte wieder. Die Überwachungsanlage, das erkannte ich, wurde so gesteuert, daß sie jetzt das Auto »ins Auge« faßte. Ich war froh, daß ich den Rolls genommen hatte. Die blecherne Stimme hallte in meinem Ohr wider. »Einen Augenblick.«

Fast fünf Minuten vergingen, bevor die Stimme wieder erklang. »Hier ist niemand, der so heißt.«

Ich zwang mich zu einem schrillen und wütenden Lachen. »Ha, sag Kitty, daß das mein Sklave ist, den er da fickt, und wenn er mich nicht einläßt, dann breche ich mit diesem Rolls durch das Scheißtor.«

»Augenblick.«

Eine Pause. Ich wartete.

Dann: »Okay. Stellen Sie Ihren Wagen auf dem Parkplatz unmittelbar hinter dem Tor ab und kommen Sie zu Fuß die Auffahrt herauf.«

Langsam schwenkten die Torflügel auf. Jetzt ging auch über der Auffahrt Flutlicht an. Das bedeutete:    weitere

Überwachungsanlagen. »Bleiben Sie auf Tauchstation«, sagte ich zum Collector. »Warten Sie, bis ich im Haus bin und die Lichter hier wieder ausgehen. Fahren Sie den Rolls dann zur Eingangstür und warten Sie hier draußen auf mich.«

»Was ist, wenn Sie mich brauchen?«

»Dann brüll ich nach Ihnen.«

»Okay.«

Während ich über die Auffahrt in Richtung Haus ging, spürte ich die wachsamen Fernsehkameras auf mir. Bevor ich auf die Klingel drücken konnte, öffnete sich die Eingangstür.

Eine breitschultrige, vierschrötige Tunte musterte mich. Mit dem Daumen wies der Kerl über die Schulter zurück zum Wohnzimmer. »Die Party ist da drin.«

Aus einer eingebauten Stereo-Anlage dröhnte Musik, und im Raum roch es nach Hasch und Amphetamin. Das Licht war so stark gedämpft, daß ich ein oder zwei Sekunden brauchte, um meine Augen daran zu gewöhnen. Im Zimmer befanden sich fünf oder sechs Schwule, zwei in Frauenkleidern, die übrigen in Lederkluft. Bobby konnte ich nirgends entdecken.

Einer von denen in Frauenkleidern kam auf mich zu. Er sah aus wie Mae West - aufgeschwemmter Typ mit knalliger Blondperücke. Seine Lippen waren grell purpurn geschminkt, und über den dicken Augenlidern mit den falschen Wimpern lagen dunkle Schatten mit Flitterglanz.

Die Stimme, eigentlich ein rauher Bariton, versuchte angestrengt, sich als Sopran zu geben. »Ich bin Kitty«, sagte er. »Nehmen Sie einen Drink.«

Ich folgte ihm zur Bar. »Whisky mit Eis«, sagte ich zu dem kleinen Filipino im weißen Jackett. Aufmerksam beobachtete ich, wie er einschenkte, und nahm ihm das Glas aus der Hand. Es war mehr als ratsam, hier nichts zu riskieren. Für einen Knockout-Drink hatte ich wahrhaftig keine Verwendung.

»Prost«, sagte ich und drehte mich wieder Kitty zu. Der Whisky schmeckte sauber. »Wo ist Bobby?«

Kitty lächelte. »Sie sind wirklich eigensinnig. Sie sehen doch selbst, daß er nicht hier ist.«

Ich stellte mich dumm. »Das verstehe ich nicht. Er hat mir doch gesagt, daß ich ihn hier treffen soll.«

»Wann hat er Ihnen das gesagt?«

»Als ich nach Hause kam, lag ein Zettel von ihm für mich da. Ich war bei meiner Mutter zum Abendessen.«

»Der beste Freund eines Jungen ist seine Mutter«, sagte er.

Ich hob mein Glas. »Darauf will ich trinken.«

Kittys Blick war auf meine Hände gerichtet. »Warum ziehen Sie Ihre Handschuhe nicht aus?«

»Ich leide an einer Pilzkrankheit«, sagte ich. »Ansteckende Sache.«

Kitty lachte. »Ist immerhin was Neues. Kommen Sie, ich möchte Sie den anderen vorstellen.« Er drehte sich um. »Girls, das ist Gareth. Er ist hergekommen, um hier nach seinem Sklaven zu suchen.«

Sie kicherten, und einer der Leder-Boys trat auf uns zu. »Er ist süß«, flötete er. »Ich hätte gar nichts dagegen, sein Sklave zu sein.«

»Du bist zu groß«, sagte ich zu ihm. »Ich hätte Angst vor dir. Ich steh auf zarte, sanfte Typen.«

»Ich kann sanft sein«, lispelte er und legte eine Hand auf meinen Arm. Wie stählerne Krallen gruben sich seine Finger ein. »Ich werde dir nicht sehr weh tun.«

Ich lächelte, packte ihn bei der Gurgel. Zwischen Daumen und Zeigefinger quetschte ich seinen Adamsapfel. »Ich werde dir auch nicht sehr weh tun«, sagte ich und beobachtete, wie er purpurfaben anlief, während er nach Luft rang.

Schlaff glitt seine Hand von meinem Arm.

Kittys Stimme klang sachlich. »Er bekommt nicht genug Luft.«

»Ganz recht«, erwiderte ich im gleichen Tonfall. Doch ich ließ nicht los.

»Vorsicht. Er hat ein schwaches Herz.«

Jetzt löste ich meinen Griff. Der Lederne sank keuchend auf die Knie. »Mit einem schwachen Herzen sollte man keine anstrengenden Spielchen spielen«, sagte ich.

Der Leder-Boy starrte zu mir hoch. »War wunderschön«, ächzte er. »Ich hatte einen superphantastischen Orgasmus. Ich dachte, ich müßte sterben.«

Ich wandte mich zu Kitty. »Bildschön haben Sie’s hier.«

Er lächelte selbstzufrieden. »Danke.«

Ich trat zu einem zierlichen Tisch bei der Couch. »Ein wunderschönes Stück.«

»Kaum zu bezahlen, echt Chippendale.« Aus seiner Stimme klang Stolz. »Ich habe zwei davon. Auf jeder Seite der Couch einen.«

»Wirklich?« Mit einem Karateschlag ließ ich meine Hand herabsausen. Der Tisch zersplitterte, und ich bewegte mich auf den anderen zu.

Kitty stieß einen Schrei aus. »Was tun Sie denn da!?«

»Hat Bobby Ihnen das nicht erzählt? Mobiliar zertrümmern

- das ist meine Masche.« Wieder hob ich die Hand.

»Stoppt ihn doch - irgendeiner!« schrie Kitty. »Jeder der Tische ist dreißigtausend Dollar wert.«

Im Türrahmen tauchte der bullige Typ auf, der mich eingelassen hatte. Einen Augenblick blieb er stehen, nahm die Szene in sich auf. Dann stürmte er auf mich zu. Ohne mich vom Tisch zu entfernen, ließ ich mein Bein hochschwingen: traf ihn mit dem Fuß voll im Gesicht. Er taumelte zurück, krachte zu Boden. Aus Nase und Mund stürzte Blut. »Mein weißer Teppich!« schrie Kitty. »Ich werde ohnmächtig!«

»Lieber nicht«, sagte ich. »Denn wenn du wieder aufwachst, findest du im ganzen Haus kein heiles Möbelstück mehr.«

»Du mußt den Jungen wirklich sehr lieben.«

»Darauf kannst du Gift nehmen«, sagte ich grimmig.

»Okay. Komm mit. Ich führe dich zu ihm.«

»Zuerst muß die Vordertür geöffnet werden.«

Kitty nickte. Die andere Tunte in den Frauenkleidern stöckelte zum Ausgang, machte die Tür auf.

»Bill!« brüllte ich.

Kaum hatte ich seinen Namen ausgesprochen, erschien auch schon die massige Gestalt des Collectors im Türrahmen. Er sah den bulligen Typ auf dem Fußboden und grinste breit. Hell glänzten die weißen Zähne im schwarzen Gesicht. »Richtiges Fest hier, wie?«

»Behalte die andern im Auge. Ich gehe mit Kitty, um den Jungen zu holen.«

Plötzlich hielt er eine Magnum .357 in der Hand. »Okay, Gentlemen - oder Ladies oder was immer ihr seid -, auf den Fußboden mit euch, Gesicht nach unten, Hände hinter den Kopf.«

Sekunden später lagen sie alle ausgestreckt auf dem Teppich. Er nickte zufrieden. »Richtig cool ist das, Mann.«

Ich folgte Kitty durch einen Korridor zu einer Treppe, die zum Keller führte.

Am Fuß der Treppe befand sich ein Raum - ein besonderer Raum.

Die Wände waren ledergepolstert. Von einer Unzahl von Haken hing das größte Arsenal von Peitschen, Handschellen und Beinfesseln, das mir denkbar schien. In der Mitte des Raums befanden sich zwei Gegenstände, von denen ich schon gehört, die ich jedoch noch nie gesehen hatte. Der eine war ein Gefangenenblock, wie ihn vor Zeiten einmal die Puritaner benutzt hatten - oder doch so etwas Ähnliches. Bei diesem Block mußte das Opfer allerdings niederknien, um seine Arme und Beine durch die Löcher zu stecken. Unten am Block sah ich Fetzen von Lederkleidung, und in der Nähe lag ein Paar Schuhe.

Der zweite Gegenstand war eine Folterleiter, auch Streckbett genannt. Darauf lag Bobby, völlig nackt und mit langgestreckten Gliedern. Eine der Sprossen drückte seinen Unterleib stark heraus, ein tief obszöner Anblick. Der Kopf hing ihm auf die Brust, und ich sah, daß seine Augen geschlossen waren.

»Bobby«, sagte ich.

Er hob den Kopf und versuchte, die Augen zu öffnen. »Gareth«, kam es kaum hörbar über seine geschwollenen Lippen, »du bist auch zur Party gekommen.« Dann sackte sein Kopf nach vorn.

An den Wandhaken sah ich, was ich suchte - ein Hundehalsband, ein sogenanntes Stachelhalsband. Dazu gehörte eine kurze Leine.

»An die Wand!« sagte ich.

Zum ersten Mal klang aus Kittys Stimme Furcht. »Was willst du mit mir machen?«

Doch er gehorchte, drehte sich mit dem Gesicht zur Wand. Ich stemmte eine Hand zwischen seine Schulterblätter, hielt ihn so an Ort und Stelle. Mit der freien Hand nahm ich das Stachelshalsband vom Haken, stülpte es Kitty über den Kopf, zog es mit kurzem Ruck strammer.

Er schrie vor Schmerz, fuhr sich mit krallengleichen Fingern an die Kehle.

Bobby versuchte ein Lächeln. »Gut, du spielst auch mit«, flüsterte er.

Ich zerrte kurz an der Leine, zog Kitty hinüber zur Folterleiter. »Binde ihn los.«

Mit hektischen Bewegungen befreite Kitty meinen Freund von den Fuß- und Handfesseln. Bobby sackte herab, doch ich stand schon bereit, um ihn aufzufangen. Schlaff hing er über meiner Schulter.

Wieder zog ich mit kurzem Ruck an der Leine. »Nach oben.«

Der Collector grinste, als er Kitty mit dem Stachelhalsband sah. »Hast dir einen neuen Köter zugelegt?«

»Gehen wir«, sagte ich. Wir bewegten uns zur offenen Tür. Kitty zog ich mit mir. »Öffne das Tor«, befahl ich ihm.

Er griff nach einem Telefon bei der Tür und drückte auf zwei Knöpfe. Plötzlich konnte man auf einem Bildschirm erkennen, daß die Torflügel langsam aufschwangen.

Ich ließ mir vom Collector die Pistole geben. »Bring Bobby ins Auto«, sagte ich.

Er nahm den Geschundenen so behutsam, als handle es sich um eine zerbrechliche Porzellanfigur. Ich blickte wieder zu Kitty. »Was habt ihr ihm gegeben?«

»Nichts. Er hat das freiwillig gemacht, war mit allem einverstanden.«

Ich zerrte an der Leine. Er begann zu husten. »Verdammtes Lügenmaul!« fuhr ich ihn an. »Aber du machst mir nichts vor. Ich habe seine Augen gesehen.«

Er krallte die Finger ins Halsband, lockerte es. »Engelsstaub und Acid.«

Einen Augenblick starrte ich ihn noch an. Dann ließ ich die Leine los und ging hinaus.

Kitty rief hinter mir her: »Kannst ihn gern haben. Viel ist mit ihm wirklich nicht los ...«

Noch befand ich mich bei der Tür, war erst ein ganz kurzes Stück von ihm entfernt. Ohne mich auch nur umzudrehen, traf ich ihn voll: traf ihn mit einem Rückwärts-Kick. Deutlich konnte ich spüren, wie mein Schuhabsatz gegen seinen Unterkiefer schmetterte. Als ich zurückblickte, sah ich, daß sich sein Kinn ziemlich unmittelbar unter seiner Nase befand und daß aus seinem Mund Blut hervorzuschießen begann.

»Schweinehund!« sagte ich.

Der Collector saß am Steuer. Ich schob mich neben ihn. »Hast du gesehen, wie der Rücken von dem Jungen aussieht?« fragte er.

Ich drehte mich um und sah nach hinten. Der Collector hatte Bobby auf den Rücksitz des Wagens gelegt, und der Junge lag auf dem Bauch. Von den Schultern bis zum Hintern schien er nur aus rohem Fleisch zu bestehen. Die Kerle hatten offenbar nichts bei ihm ausgelassen, außer vielleicht ihm die Haut bei lebendigem Leibe abzuziehen.

»Wir werden ihn zu einer Unfallstation bringen, Bill.«

Das Tor lag inzwischen hinter uns. »Dann hast du die Bullen auf dem Hals. Und die stellen Fragen.«

»Der Junge braucht einen Arzt.«

»Ich weiß da was, wo man keine Fragen stellt.« Es handelte sich um ein kleines Privatkrankenhaus in West Los Angeles, und das Personal dort verstand sich auf sein Fach. Ich wartete, bis der Arzt aus dem Behandlungszimmer auftauchte.

»Wie geht es ihm?«

»Er wird wieder in Ordnung kommen. Aber drei Wochen muß er mindestens hierbleiben.«

»Daß es so schlimm ist, habe ich nicht gedacht.«

»Die Drogen fallen nicht weiter ins Gewicht. Auch der Rücken ist nicht so schlimm, wie er aussieht. Aber die inneren Verletzungen.«

»Ich werde mich mit seinem Vater in Verbindung setzen«, sagte ich.

Der Arzt nickte mit ernstem Gesicht. »Sie können Reverend Sam versichern, daß er auf unsere Diskretion zählen kann.«

»Sie kennen den Jungen?« fragte ich überrascht.

»Nein. Aber Mr. Lonergan hat angerufen und uns mitgeteilt, daß Sie womöglich zu uns kommen würden.«

Lonergan schien immer an alles zu denken. Ob er auch wußte, wie ich einem Vater, der mir seinen Sohn anvertraut hatte, das Vorgefallene möglichst schonend beibrachte? Und ihm also eingestand, daß ich versagt hatte?

Im Wartezimmer sah ich den Collector am Münzfernsprecher. »Lonergan - für dich«, sagte er.

Die Stimme meines Onkels klang ruhig. »Wie geht es dem Jungen?«

»Er ist übel verletzt. Aber er wird durchkommen. Ich wollte gerade seinen Vater anrufen.«

»Das habe ich bereits getan. Er ist schon auf dem Weg. Ich schicke einen Wagen, der dich nach Hause bringt.«

»Ich habe den Rolls hier.«

»Die Polizei sucht dich. Laß die Schlüssel dort, für Reverend Sam, und mach, daß du fortkommst.«

»Ich hätte nicht gedacht, daß die so dumm sind, die Polizei zu verständigen.«

»Du hast zwei Männer krankenhausreif geschlagen«, sagte er trocken. »Und die Polizei will ja immer alles ganz genau wissen. Ihren Fragen geht man besser aus dem Wege. Für den Augenblick hast du allerdings nichts weiter zu befürchten. Deinen Namen hat niemand genannt.«

Mein Onkel verstand es immer wieder, mich zu verblüffen. Er schien überall Ohren zu haben. »Wenn du nach Hause kommst, dann bleibe dort, bis du von mir hörst. In der Frühe werde ich über diese Angelegenheit genauer im Bilde sein.«

»Ich muß mit Reverend Sam sprechen und ihm erklären, was geschehen ist.«

»Das kannst du morgen tun. Verschwinde jetzt dort von der Bildfläche.«:

Ein Klicken: Seine Stimme war fort. Plötzlich hatte sie ganz und gar nicht mehr ruhig und gelassen geklungen - und das kam sonst bei ihm so gut wie nie vor.

Der Collector streckte mir seine Hand hin. »Gib mir die Autoschlüssel.«

Ich tat es und folgte ihm zum Pult, wo er die Schlüssel einer Krankenschwester gab. Wir verließen das Gebäude.

»An der Ecke ist eine Cafeteria, die die ganze Nacht geöffnet hat«, sagte er. »Dort werden wir abgeholt.«

Wortlos schritten wir die Straße entlang. Nichts war zu hören als das leise Scharren unserer Füße auf dem Gehsteig und, dann und wann, ein Auto auf dem Fahrdamm. Wir betraten das Restaurant. Die Uhr hinter der Theke zeigte auf Viertel nach vier.

Der Kellner stellte dampfende Kaffeetassen vor uns hin. »Was darf’s denn sein, Leute?«

»Sandwich mit Schinken und Ei«, sagte der Collector. Er sah mich fragend an.

Ich schüttelte den Kopf. »Nichts.«

Der Kaffee war siedend heiß. Ich kramte in meinen Taschen, suchte nach einer Zigarette. Der Collector hielt mir ein Päckchen hin. Ich nahm eine, steckte sie mir an.

Hungrig griff der Collector nach dem Sandwich, das der Kellner ihm brachte. Er biß ein Riesenstück ab, sprach mit vollem Mund. »Hast du all den Scheiß in der Army gelernt?«

»Was für einen Scheiß?«

»Den Judokram. Das mit dem Fußtritt, diesem Rückwärtskick und so.« Aus seiner Stimme klang ein Hauch von Bewunderung.

»Das ist kein Judo. Und so etwas lernt man auch nicht in der Army.«

»Kein Judo? Was dann?«

»Savate. Eine französische Sache. Das habe ich mir von einem Ex-Serganten der Fremdenlegion beibringen lassen. Er war nach dem Abzug der Franzosen in Saigon geblieben.«

Er biß wieder in sein Sandwich. In seiner Kehle war ein leises Glucksen. »Mann, ich wünschte, ich könnte das auch. Sah richtig graziös aus, wie bei einem Ballettänzer. Lonergan hat mir gesagt, daß die drei Stunden brauchen werden, bis sie ihm den Unterkiefer mit Draht zurechtgeflickt haben. Und mindestens ein Vierteljahr lang wird er durch einen Strohhalm Suppen schlürfen müssen oder so was Ähnliches.«

»Der Schweinehund kann von Glück sagen, daß ich ihn nicht umgebracht habe.«

Der Collector musterte mich ein oder zwei Sekunden stumm. Dann sagte er: »Du bist mir schon ein Typ, Gareth. Aus dir werde ich einfach nicht schlau. Die ganze Zeit schon bin ich bei dir total auf dem Holzweg gewesen. Konnte nie kapieren, weshalb Lonergan so viel persönliches Interesse für dich zeigte.«

»Jetzt weißt du’s. Ich bin sein Neffe.«

»Es ist nicht nur das. Familie und so, alles gut und schön, aber deswegen schmeißt Lonergan sich nun wirklich nicht gleich weg. Das ist bei dir noch was anderes für ihn.« Er blickte zum Fenster; stand dann auf, warf zwei Dollar auf die Theke. »Das Auto ist da. Gehen wir.«

Als ich vor der Wohnungstür stand, fühlte ich mich knochenmüde. Schon wollte ich die Schlüssel hervorholen, doch dann sah ich, daß die Tür einen Spalt geöffnet war. Ich ließ sie aufschwingen.

Denise, noch immer in Zofentracht, war auf der Couch eingeschlafen. Zum Schutz gegen das Licht hatte sie den rechten Unterarm über die Augen gelegt.

Ich holte eine Decke aus dem Schlafzimmer und deckte sie damit zu. Sie bewegte sich nicht. Ich schüttelte den Kopf. Die Arglosen, die Unerfahrenen. So klug kamen sie sich vor. Doch sie wußten nichts.

Denise war achtzehn, Bobby neunzehn. Für beide war das Leben noch ein Traum, eine Idealvorstellung, erfüllt von Schönheit und menschlichem Anstand.

Scheiße. Ich ging wieder ins Schlafzimmer, schüttelte mir die Schuhe von den Füßen und ließ mich aufs Bett fallen. So

arglos, so unerfahren, so unschuldig war auch ich einmal gewesen ... war gewesen ... gewesen ... Ich schloß die Augen.

Aus der Vergangenheit kamen Stimmen hoch, hallten durch mein Gehirn. Mein Onkel sprach, ich stand wie angewurzelt hinter der Tür der Bibliothek. »Du wirst es ihm sagen müssen.«

Die Stimme meiner Mutter antwortete. Gedämpft drang sie durch das dicke Holz der Tür, und ich hörte den Schmerz.

»Ich kann nicht, John, ich kann nicht.«

»Früher oder später wird er es ohnehin herausfinden. Du mußt es ihm sagen.«

»Nein, John, nein.«

Dann hörte ich hinter mir die Schritte meines Vaters und drehte mich herum. Und ich machte dabei genügend Lärm: Die beiden in der Bibliothek verstummten.

Ich wollte nicht, daß man meinem Vater weh tat. Ich wollte ihm jeden Schmerz ersparen. Ich war so klug. Ich war so unerfahren. Ich war sechzehn. Und ich irrte mich so sehr. Die Stimmen verklangen, und ich schlief.

Dann spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. »Gareth! Gareth! Wach auf!«

Das war keine Stimme aus einem Traum. Ich öffnete die Augen. Denise schüttelte mich. »Was? Was?« murmelte ich.

»Du hast gerufen und geschrien.«

Benommen schüttelte ich den Kopf. »Nein.«

»Du hast einen bösen Traum gehabt.«

»Entschuldige.« Ich setzte mich auf, suchte nach einer Zigarette, fand sie. Meine Hände zitterten.

»Wie fühlst du dich?«

»Gut«, sagte ich. »Gut.«

»Hast du Bobby gefunden?«

»Ja.« Die Zigarette half mir. »Er hatte Verletzungen. Ich brachte ihn in ein Krankenhaus.« Beunruhigt sah sie mich an, und ich fügte hastig hinzu: »Er wird wieder in Ordnung kommen.«

»Was haben die denn mit ihm angestellt?«

»Unter Drogen gesetzt und gefoltert und vergewaltigt.«

Plötzlich brannten in meinen Augen Tränen. Ich versuchte, sie zurückzuhalten; vergeblich.

Sie richtete sich auf. »Ich bringe dir eine Tasse warme Milch.«

Als ich reagierte, war sie bereits an der Tür. »Halt!« sagte ich. »Ich bin alt genug für einen Whisky.«

»Wir werden ihn mit der Milch mixen. Zieh inzwischen deine Sachen aus.«

Nach einiger Zeit erschien sie wieder. Auf einem Tablett brachte sie eine Tasse mit warmer Milch. Daneben stand eine Flasche Whisky. Tadelnd betrachtete Denise mein Hemd und meine Jeans, die beim Bett auf dem Fußboden lagen. »Also, ordentlich bist du wirklich nicht«, sagte sie, während sie das Tablett absetzte.

»Hab ich auch nie behauptet.«

Sie hob meine Sachen auf und trug sie zum Schrank. Ich nahm einen Schluck von der Milch, in die sie Whisky getan hatte. Einfach scheußlich. Ich stellte die Tasse aus der Hand und trank direkt aus der Flasche.

»Mogeln gilt nicht«, sagte sie über die Schulter. »Trink die Milch.«

Ich betrachtete sie. Ihr Kleid war stark verknittert. »Sag mal«, fragte ich, »willst du diese Kluft überhaupt nicht mehr ausziehen?«

»Versuch nicht, das Thema zu wechseln. Trink die Milch.«

Ich leerte die Tasse. »Okay. Und jetzt schäl dich aus den Klamotten und komm ins Bett.«

Sie zögerte einen Augenblick. Dann setzte sie sich nicht weit vom Fußende des Bettes auf einen Stuhl. Die Augen fast starr auf mich gerichtet, beugte sie sich vor und öffnete die Schnallen ihrer Pumps. Sie streifte sich die Schuhe von den Füßen. Die schwarze Strumpfhose folgte. Säuberlich legte sie sie über die Rückenlehne des Stuhls. Während ihre Hände nach dem Reißverschluß auf ihrem Rücken tasteten, sagte sie: »Mach das Licht aus. Ich möchte nicht, daß dich das aufreizt. Ich möchte, daß du schläfst.«

»Zu spät. Ich bin schon so wild, daß ich jeden Augenblick kommen könnte.«

»Mach das Licht aus«, wiederholte sie und blieb bewegungslos sitzen.

Ich tat’s. Dann hörte ich ein Rascheln, von ihrem Kleid offenbar, und gleich darauf spürte ich auf dem Bett ihr Gewicht. Ich streckte die Hände nach ihr.

Sie wehrte mich ab. »Nein«, sagte sie mit Nachdruck. »Du bist innerlich zu sehr angespannt. Ich möchte ja, daß du mich liebst, aber nicht bloß so - als Ventil für deine Nervenanspannung, meine ich.«

»Was ist daran denn verkehrt? Weißt du was Besseres, um die Anspannung loszuwerden?«

»Ja. Die Übung der fünften Ebene.«

»Was, zum Teufel, ist denn das? Irgendein Mumpitz, den man dir im Workshop beigebracht hat?«

»Tu, was ich sage«, beharrte sie. »Leg dich flach auf den Rücken, die Hände an den Seiten, und schließ die Augen. Löse deinen Körper aus aller Verkrampfung, laß ihn los. Und öffne dich von innen, ganz weit. Ich werde dich an verschiedenen Stellen gleichzeitig mit beiden Händen berühren. Meine rechte Hand wird der Yin-Kontakt sein und meine linke Hand der Yang-Kontakt. Die Strömungen deines Körpers werden durch mich hindurchfließen und ihr natürliches Gleichgewicht zurückgewinnen. Jedes Mal, wenn ich dich berühre, werde ich dich fragen, ob du mich fühlst; spürst du beide Hände, dann sag ja. Verstanden?«

»Ja.«

Sie legte mir eine Hand flach auf die Brust und drückte mich sacht zurück. Als ich dann lang ausgestreckt lag, zog sie das Kissen unter meinem Kopf weg und schob mir die zusammengerollte Decke unter die Füße. »Ist’s so bequem?«

»Ja.«

»Mach die Augen zu, und wir fangen an.«

Sanft und leicht wie Federn berührten mich ihre Finger an den Schläfen. »Fühlst du mich?«

»Ja.«

An meinen Wangen. An meinen Füßen. An meinen Knien. An meinen Schultern. An meinen Brustwarzen. An meinen Armen. »Fühlst du mich?«

»Ja.«

An meinen Rippen. An meinen Hüften. An meinem Kinn. An meinen Waden. An meinen Schenkeln. Ich fühlte ihre Hände wieder an meinen Schläfen; und dann, als sie sich über mich beugte, die Wärme ihrer Brüste auf meinem Gesicht. »Fühlst du mich?«

»Ja.« Mir kam ein Gedanke. »Wenn deine Hände Yin und Yang sind, müßten deine Brüste dann nicht auch Yin und Yang sein?«

Sie überlegte einen Augenblick. »Vielleicht.«

»Nun?«

»Du bist ein schwieriger Fall«, sagte sie. Dann ließ sie sich neben mich gleiten, zog meinen Kopf zu ihren Brüsten. »Ist es so besser?«

»Ja.« Sie waren warm, so warm. Ich vergrub mein Gesicht zwischen ihnen.

»Versuch zu schlafen«, sagte sie leise.

Ich schloß die Augen. Ein Gefühl absoluter Geborgenheit hüllte mich ein. In meinem Magen lösten sich die Knoten, und meine Muskeln, ja, selbst die Knochen schienen weich und schlaff zu werden. Ich preßte die Lippen seitlich gegen ihre Brust. So müde war ich, daß es mich viel Mühe kostete, auch nur den Mund aufzumachen. »Weißt du, daß du wunderschöne Brüste hast?«

Ich glaubte, ihre Antwort zu hören, ein leises »Danke«. Doch sicher konnte ich da nicht sein. Denn ich lag bereits im Schlaf.

Es klopfte an der Tür. Durch Dunkelheit versuchte ich emporzutauchen. »Herein.«

Sonnenhelle fiel durch die geöffnete Tür, eine wahre Flut, wie mir schien. Ich blinzelte benommen.

Denise trat ein. Sie trug ein Tablett mit Orangensaft und Kaffee, das sie wortlos aufs Bett stellte.

Hinter ihr kam Verita.

»Tut mir leid, dich aufzuwecken«, sagte sie, und ihr leichter mexikanischer Akzent klang wegen ihrer Erregung stärker durch als sonst. »Aber Persky meint, es sei sehr wichtig.«

Meine Augen gewöhnten sich an das Licht. »Wie spät ist es?«

»Elf.«

Ich stand auf und ging mit bloßen Füßen ins Bad, wo ich den Klosettdeckel hochklappte. »Worum dreht sich’s denn?« rief ich.

»Mr. Ronzi ist unten. Er muß dich unbedingt sehen, sagt er.«

»Okay, in zehn Minuten bin ich unten, sag ihm das.« Ich trat unter die Dusche, drehte sie voll auf. Als ich ins Schlafzimmer zurückkehrte, war Verita verschwunden, aber Denise war noch dort.

Sie hielt mir das Glas Orangensaft hin. »Trink.«

Ich nippte. Der Saft war eiskalt und frisch ausgepreßt. »Wie lange willst du diese alberne Zofentracht denn noch tragen?« fragte ich.

»Sie gefällt dir nicht?«

»Das hat nichts damit zu tun. Doch, sie gefällt mir. Bloß -sie dreht mich dauernd an. Französische Zofentracht, das wirkt bei mir so wie ein Fetisch.«

Sie verstand nicht. »Wie kommt man denn zu so was?«

Ich lachte. »Als ich noch ein Junge war, hatten wir eine französische Zofe. Ich stelle mich immer unten an die Treppe und versuchte, ihr unter den Rock zu linsen. Und dann ging ich auf mein Zimmer und hab’s mir selbst gemacht.«

Sie lächelte nicht. »Das ist dumm.«

»Vielleicht. Aber es ist so ziemlich das Übliche.« Ich unterbrach mich. »Läßt sich womöglich mal für eine Nummer verwenden, erinnere mich daran.«

Sie nahm das leere Glas, reichte mir den Kaffee. »Da waren ein paar Anrufe für dich.« Sie hielt mir einen Zettel hin.

Ich setzte mich aufs Bett und schlürfte den Kaffee. »Lies mal vor. Meine Augen sind noch nicht ganz klar.«

Sie blickte auf das Papier. »Miß Sheridan möchte wissen, ob vierzehn Uhr für heute noch recht ist. Mr. Lonergan will sich später wieder melden. Dann deine Mutter. Ruf sie heute abend an.«

»Nichts von Reverend Sam?«

Sie schüttelte den Kopf.

Die Sache gefiel mir nicht. »Versuch, ihn für mich an den Apparat zu bekommen.«

Sie ging zum Telefon, und ich begann, mich anzuziehen. Nach einiger Zeit legte sie den Hörer aus der Hand.

»Er ist nicht zu Hause, nicht in der Kirche, nicht im Workshop«, sagte sie.

»Versuch’s im Krankenhaus.«

Ich war in Jeans und Schuhen und hatte mir gerade das Hemd zugeknöpft, als sie mir den Hörer hinhielt. »Er kommt an den Apparat.«

Alle Kraft schien aus seiner Stimme entschwunden zu sein. »Gareth?«

»Ja, Sir. Wie geht’s Bobby?«

»Man hat ihn wieder in den Operationssaal gebracht.«

»Ich dachte -«

Er unterbrach mich. »Die Blutungen hörten nicht auf, und ohne einen Eingriff scheint man nicht feststellen zu können, woher sie kommen.«

»Ich fahre sofort zum Krankenhaus.«

»Nein.« Seine Stimme klang kräftiger. »Sie können hier nichts tun. Er wird zwei Stunden im Operationssaal sein. Und ich, ich bin ja hier. Sobald ich etwas weiß, rufe ich Sie an.«

»Es tut mir so leid. Ich wußte ja nicht, was er vorhatte. Hätte ich’s gewußt, hätte ich ihn zurückgehalten.«

Seine Stimme war sanft. »Machen Sie sich keine Vorwürfe. Sie haben alles getan, was Sie tun konnten. Schließlich muß am Ende jeder die Verantwortung für sich selbst übernehmen und akzeptieren.«

Ganz konnte ich mich von meinem Schuldgefühl nicht befreien, doch was Reverend Sam da sagte, war ein gewichtiges Argument. Bobby neigte nun einmal zur Unterwürfigkeit, und von seiner gewöhnlichen Passivität bis zum ausgewachsenen Masochismus war es kein allzu großer Sprung. Außerdem war er immer noch naiv genug zu glauben, es handle sich um Spiel und Spaß.

»Wie geht es ihm?« fragte Denise.

»Man hat ihn gerade wieder in den Operationssaal geschafft«, sagte ich mit schwerer Stimme. »Man will herausfinden, wodurch die Blutungen verursacht werden -damit man sie endlich zum Stillstand bringen kann.«

Sie griff nach meiner Hand. »Ich werde für ihn beten.«

Ich blickte ihr in die ernsten Augen. »Tu das«, sagte ich und wandte mich zur Tür.

Ihre Frage ließ mich mitten in der Bewegung innehalten. »Du glaubst nicht an Gott, nicht wahr?«

Ich dachte an all die Brutalität und Gewalttätigkeit, die Zerstörung und Vernichtung, die ich in meinem Leben gesehen hatte. »Nein«, erwiderte ich.

Ihre Stimme klang sehr sanft. »Ich fühle eine große Sorge um dich.«

Ich sah die Tränen in ihren Augen. Nur die Unschuldigen können an Gott glauben. »Mit mir brauchst du kein Mitleid zu empfinden«, sagte ich. »Nein, ich brauch dir wirklich nicht leid zu tun. Ich bin ja nicht verletzt worden, ich habe keine Schmerzen.«

Ihre Augen schienen mir in die Seele zu blicken. »Versuche nicht, mir etwas vorzumachen. Du bist tief verletzt, und du hast immer Schmerzen. Niemand, den ich kenne, leidet so wie du.«

»Liefern Sie mir noch tausend Stück, bis Montag kann ich sie absetzen«, sagte Ronzi.

»Ist nicht drin.«

»Seien Sie doch kein Idiot. Sie haben da eine heiße Sache. Nützen Sie die Chance. Wie wollen Sie wissen, ob die nächste Nummer auch so gut ist?«

»Sie wird besser sein. Und wenn Sie smart sind, dann ordern Sie davon gleich fünfundsiebzigtausend auf einmal.«

»Sie sind übergeschnappt. Das hat’s noch nie gegeben, daß eins von diesen Blättern in so hoher Auflage rausgekommen und auch verkauft worden ist. Nicht mal über fünfzigtausend hatten wir bisher, war einfach nicht drin.«

»Wenn ich noch zehntausend drucken würde, könnten wir’s schon diesmal schaffen. Es ist also drin.«

Er schwieg.

Ich ließ nicht locker. »Das wären sechzigtausend gewesen. Bei dem, was ich in der nächsten Nummer bringe, gehen fünfundsiebzigtausend weg wie nichts.«

»Wieso, was soll’s denn da geben?«

»Umschlag und Faltbild innen vierfarbig.«

»Mann, das können Sie sich nicht leisten. Da machen Sie Pleite. Denn mehr als fünfunddreißig Cents spuckt Ihnen kein Kunde für ein Heft aus.«

»Ronzi«, sagte ich, »versuchen Sie doch nicht, mich vollzuscheißen. Sie haben den Preis ja schon auf fünfzig Cents erhöht. Und das ist jetzt mein neuer Preis.«

Er blickte zu Persky. »Der Kerl ist doch meschugge.«

Persky gab keine Antwort.

Ich winkte Verita. »Bitte, die Farbabzüge von dem Mädchen, das wir nächste Woche bringen.«

Sie kam und breitete die Fotos auf meinem Schreibtisch aus.

Das Mädchen war eine bildhübsche Eurasierin mit fast endlos langem Haar. Als Hintergrund diente eine Flughafenszene.

Ich schob Ronzi die Bilder zu, hübsch eins nach dem anderen und genau in der richtigen Sequenz: vom Augenblick, wo sie aus dem Flugzeug stieg, bis zu jenem Moment, wo sie im Schlafzimmer nackt auf einem Bett lag, die Arme um die leicht angewinkelten Beine geschlungen.

»Das können Sie doch nicht bringen«, sagte Ronzi. »Da sieht man ja alles.«

»Ist bereits im Druck.«

»Damit kriegen Sie Ärger.«

»Das ist mein Problem.«

»Das ist auch meins. Ich mach den Vertrieb. Und ich habe so schon genug Ärger am Hals.«

»Wollen Sie aussteigen?«

»Hab ich nicht gesagt«, erklärte er hastig.

»Ich dränge Sie nicht. Überlegen Sie sich die Sache in aller Ruhe. Wenn Sie nicht mehr wollen, kann ich bestimmt die von Ace oder von Curtis für den Vertrieb interessieren.«

Er sah mich giftig an. »Scheißkerl - okay, ich akzeptiere.«

»Fünfundsiebzigtausend«, sagte ich.

Er nickte. »Fünfundsiebzigtausend.« Sein Blick glitt kurz zu Persky. »Können wir uns irgendwo unter vier Augen unterhalten?« fragte er mich.

»Was Sie sagen wollen, können Sie auch hier sagen.«

»Nichts Geschäftliches. Was Persönliches.« Er folgte mir die Treppe hinauf, zur Wohnung. Denise öffnete die Tür. Statt der Zofentracht trug sie jetzt wieder Jeans und ein Hemd. Das stand ihr noch besser. Ich führte Ronzi ins Schlafzimmer und schloß hinter uns die Tür.

Dann deutete ich auf einen Stuhl. Er nahm Platz. Ich setzte mich auf den Bettrand. »Okay. Was Persönliches. Und was wäre das?«

»Ich habe mich mit meinen Kontaktleuten im Osten in Verbindung gesetzt. Wir sind der Meinung, daß Sie in diesem Gewerbe eine große Zukunft haben.«

»Besten Dank für das Vertrauen. Aber was soll das Ganze bedeuten?«

»Es bedeutet, daß wir einsteigen wollen. Lonergan ist ein kleiner Fisch. Mit unserer Hilfe können Sie ganz groß herauskommen. Nicht nur im Bereich von Los Angeles oder in ganz Kalifornien. Nein - von Küste zu Küste. Und das bedeutet echt großes Geld. Riesenkohlen.«

»Keine Partner. Ich bleibe lieber mein eigener Herr.«

»Nun kommen Sie schon, Gareth. Wir wissen doch, daß Lonergan bei Ihnen mit drin ist.«

»Irrtum. Ich habe mit ihm nur einen Vertrag über Anzeigen. Weiter nichts. Das habe ich Ihnen wohl nicht richtig klargemacht.«

»Okay, um so besser. Das macht die Sache nur leichter. Wir blättern Ihnen hunderttausend hin und sind dafür mit fünfzig Prozent beteiligt. Sie kümmern sich um Ihr Blatt, und wir sorgen für den Vertrieb im ganzen Land.«

»Nein.«

»Seien Sie kein Idiot. Wir würden Sie zum Millionär machen.«

»Geben Sie mir jetzt eine Million für das halbe Blatt, und Sie überzeugen mich.«

Er explodierte. »Sie sind besoffen. Wie kommen Sie darauf, daß Ihr Scheißblatt eine Million wert ist?«

»Auf den Gedanken haben Sie mich ja gebracht.«

»Aber das gilt doch nur, wenn Sie bundesweit vertrieben werden.«

»Genau das ist meine Absicht.«

»Mann, das schaffen Sie nie, nicht ohne uns. Wir haben für Sie den exklusiven Vertrieb, und wenn wir das nicht bundesweit aufziehen, ist da niemand weiter - dann ist für Sie die Luft raus.«

»Unsere Abmachung gilt nur für ein Jahr.«

»Aber bis dahin haben Sie überall Nachahmer gefunden. Da hat man Ihr Rezept garantiert überall kopiert. Bundesweit hat das dann keine Durchschlagskraft mehr.«

Ich blieb stumm. Verdammt, er hatte recht. Ohne ihn kam ich nicht weiter. Ich saß fest. »Muß ich mir durch den Kopf gehen lassen«, sagte ich.

»Wieviel Bedenkzeit wollen Sie?«

»Einen Monat.«

»Vierzehn Tage haben Sie. Länger kann ich die nicht hinhalten.« Er stand auf und ging zur Tür; blickte sich von dort noch einmal zu mir um. »Ganz ehrlich, Gareth - Sie sind wirklich ein sonderbarer Vogel. Vor ein paar Wochen sind Sie fast auf dem Zahnfleisch gekrochen und mußten froh sein, wenn Sie mit den Schecks von der Arbeitslosenfürsorge irgendwie über die Runden kamen. Jetzt biete ich Ihnen glatte Hunderttausend, und Sie wollen Bedenkzeit. Was ist mit Ihnen? Haben Sie keine Lust, reich zu werden?«

»Sie lassen einen wichtigen Punkt außer acht, Ronzi.«

»Nämlich?«

Ich lächelte ihn an. »Soviel bedeutet Geld mir nicht. Ich bin reich zur Welt gekommen.«

»Wir stecken in der Klemme«, sagte Persky. »Der Drucker hat mir gerade mitgeteilt, daß wir noch vier Seiten Text brauchen.«

»Wie, zum Teufel, ist denn das passiert? Wieviel Zeit bleibt uns noch?«

»Ein Tag. Er braucht’s bis Montag früh, wenn er die fünfundsiebzigtausend Stück schaffen soll.«

»Verdammt.« Ich starrte auf die Schreibtischplatte. Wie sollte ich das schaffen? Auch für die folgenden Nummern mußte vorgesorgt werden.

»Er will die Antwort sofort. Nur dann kann er die Nummer rechtzeitig fertig haben.«

»Sagen Sie ihm, daß er bis Montag früh seinen Text hat.«

Persky ging zu seinem Schreibtisch zurück. Ich blickte zu Eileen, die vor wenigen Minuten gekommen war und mir jetzt gegenübersaß. Auf ihrem Gesicht sah ich ein leichtes Lächeln. »Habt ihr damit bei eurem Blatt auch Ärger?« fragte ich.

»Nein, bei uns ist das durchs allgemeine Programm praktisch von vornherein festgelegt.« Sie erhob sich. »Ich glaube, ich gehe besser. Du steckst bis über beide Ohren in der Arbeit. Wir können uns ja ein andermal unterhalten.«

»Du brauchst nicht zu gehen«, versicherte ich hastig. »So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Alles in allem bleiben mir noch sechsunddreißig Stunden.«

»Du brauchst ein paar Autoren, Gareth. Du kannst das nicht alles selber erledigen.«

»Darum werde ich mich nächste Woche kümmern. Im Augenblick sitze ich in der Klemme.« Ich betrachtete sie aufmerksam. »Vielleicht könntest du mir helfen. Ich habe da eine Idee, meine jedoch, daß besser eine Frau über das Thema schreiben sollte.«

»Ich habe nicht viel Zeit. Im College gibt’s für mich eine Menge zu tun.«

»Okay. War nur so ein Gedanke. Würde dich wahrscheinlich sowieso nicht interessieren.«

Sie setzte sich wieder. »Erzähl mir trotzdem.«

»Bisher kümmern sich all diese Magazine nur um Männer und ihre sexuellen Phantasien. Ich glaube, ein Artikel über weibliche Sexualphantasien könnte sich sehr interessant lesen.«

Sie überlegte einen Augenblick. »Ja, vielleicht.«

»Meinst du, du könntest so was schreiben?«

»Nicht so eilig. Was weiß ich denn schon über das Thema? Ich bin kein Experte.«

»Ich auch nicht. Ich meine, ich habe nicht den blassesten Dunst, wie man eine Zeitung oder ein Magazin macht, und trotzdem werde ich jede Woche mein Blatt zusammenstoppeln.«

»Das ist nicht das gleiche.«

Ich lächelte. »Hast du sexuelle Phantasien?«

»Das ist eine alberne Frage. Natürlich habe ich welche. Wie alle Menschen.«

»Dann bist du eine Expertin. Vor allem, wenn du über deine eigenen Phantasien schreibst.«

»Aber das ist doch etwas Privates, ist ganz und gar meine Intimsphäre«, protestierte sie.

»Das bleibt auch ganz unter uns. Niemand sonst erfährt etwas davon. Wir gebrauchen fiktive Namen. Für den Leser werden das die Phantasien von Mary X., Jane Y. und Susan Z. sein.«

Sie lachte. »Klingt, als ob’s ein Kinderspiel wäre.«

»Nun, es könnte jedenfalls Spaß machen.«

»Du wirst vielleicht entdecken, daß ich eine sehr schmutzige Phantasie besitze.«

»Geistige Masturbation ist auch nicht so übel. Also was meinst du?«

»Ich könnt’s ja mal versuchen. Aber fest versprechen tu ich nichts.«

»Da drüben sind ein freier Schreibtisch und eine S chreib maschine.«

»Du meinst, ich soll mich so Hals über Kopf dranmachen?«

»Uns bleiben nur sechsunddreißig Stunden.« Als ich einen Blick auf die Layouts für die nächsten Nummern warf, wurde mir klar, daß dies erst ein Anfang war: der Anfang eines ständigen erbitterten Kampfes gegen Termine, die auf Gedeih und Verderb eingehalten werden mußten. Ich hob den Kopf, blickte wieder zu Eileen. »Du hast hundertprozentig recht. Ich brauche Autoren. Wärst du bereit, Textredakteur bei mir zu werden?«

»Bist du nicht ein bißchen vorschnell? Du weißt ja nicht mal, ob ich überhaupt was tauge.«

»Wenn deine Phantasie so schmutzig ist, wie du meinst, dann bist du für mich gut genug.«

Sie lachte. Irgendwie schien ihr das zu schmeicheln. »Warten wir, bis ich mit dem Artikel fertig bin«, sagte sie. »Dann werden wir uns entscheiden.«

»Abgemacht.« Ich hielt ihr meine Hand hin.

»Wie du mich dazu überredet hast, weiß ich immer noch nicht«, erklärte sie, als wir uns die Hände schüttelten.

»Die letzten Worte einer Jungfrau«, sagte ich und ging zur Tür, wo ich mich noch einmal umdrehte. Sie saß bereits am Schreibtisch, den Blick auf ein leeres Blatt Papier gerichtet.

Ich stieg die Treppe hinauf. Eine kalte Dusche würde mir jetzt guttun. Viel geschlafen hatte ich letzte Nacht ja wirklich nicht, und ich spürte, wie ich immer müder wurde.

Als ich aus dem Bad kam, wartete Verita auf mich. »Ich habe da ein paar Schecks, die du unterschreiben mußt.«

»Okay.«

Sie folgte mir in die Küche und legte die Unterschriftenmappe vor mir auf den Tisch.

»Wie stehen wir?« fragte ich, während ich unterschrieb.

Aus ihrer Stimme klang Zufriedenheit. »Nicht übel. Die Auflage von fünfundsiebzigtausend in der nächsten Woche bringt uns elftausendzweihundertfünfzig Dollar ein - die Anzeigen nicht gerechnet. Alles in allem kämen wir auf fünfzehntausend Dollar.«

»Netto?«

»Netto.« Sie lächelte.

Ronzi war alles andere als ein Dummkopf, gar keine Frage. Hunderttausend Dollar für eine Dreiviertelmillion im Jahr, ein prachtvolles Geschäft. Für ihn. Er war mir in der Kalkulation ein gutes Stück voraus gewesen, verdammt. Ich drehte den Kopf, sah Verita an. »Vielleicht kündigst du jetzt bei deiner Dienststelle, hm?«

»Habe ich bereits getan, gestern.«

»Gut. Ab nächste Woche bekommst du hundert Dollar mehr.«

»Das ist nicht nötig, das brauchst du nicht zu tun.«

»Ohne dich wäre die ganze Sache überhaupt nicht in Gang gekommen. Da wäre ich aufgeschmissen gewesen, das weißt du. Und wenn ich’s schaffe, dann du auch.«

»Es ist nicht das Geld, Gary«, sagte sie sehr ernst. »Das wirst du doch wissen.«

»Das weiß ich auch.« Ich beugte mich zu ihr, küßte sie auf die Wange. »Heute abend feiern wir. Ich fahre mit dir zum La Cantina, wo wir uns das beste mexikanische Essen vorsetzen lassen, das es in der ganzen Stadt gibt. Danach fahren wir wieder her und drehen auf.«

»Das würde mir echt gefallen.«

Doch daraus wurde überhaupt nichts. Eine halbe Stunde später erhielt ich aus dem Krankenhaus einen Anruf. Bobby wollte mich sehen. Ich griff nach den Schlüsseln für Veritas Auto und rannte los.

Als ich den Parkplatz erreichte, sah ich, daß der Rolls noch immer dort stand, wo ich ihn gelassen hatte. Unmittelbar hinter der Eingangstür des Krankenhauses wartete Reverend Sam auf mich. »Wie geht es ihm?« fragte ich.

Sein Gesicht war grau und müde. »Man hat die Blutungen endlich gestoppt.«

»Gut.«

»Für eine Weile stand es auf Messers Schneide. Die Blutungen waren so stark, daß man mit den Transfusionen gar nicht mehr nachkam.« Er nahm meine Hand. »Jetzt besteht er darauf, Sie erst zu sehen, ehe er einschläft.«:

»Nun, ich bin ja hier.«

Reverend Sam öffnete die Tür zu Bobbys Zimmer, und wir gingen hinein. Bobby hing am »Tropf«, eine Sonde in der Nase.

Auf einem Stuhl saß eine Krankenschwester. Sie erhob sich. Mißbilligend musterte sie mich. »Daß Sie mir aber ja nicht zu lange bleiben«, sagte sie und ging hinaus.

Wir traten ans Bett. »Bobby«, sagte Reverend Sam.

Er rührte sich nicht.

»Bobby, Gareth ist hier.«

Langsam öffnete er die Augen. Und erkannte mich. Auf seinen blutleeren Lippen erschien ein schwaches Lächeln und verschwand sofort wieder. Seine Stimme war nur ein Flüstern. »Gareth, bist du nicht böse auf mich?«

»Natürlich nicht.«

»Ich hatte solche Angst, daß du ... böse auf mich bist.« Er blinkte leicht mit den Augen. Ich nahm seine Hand, drückte sie. »Ich habe mir dabei doch . ... gar nichts weiter gedacht. Ich meinte halt, es würde Spaß machen.«

»Es ist vorbei«, sagte ich. »Denk nicht mehr dran.«

»Mein Job - ich möchte ihn nicht verlieren.«

»Du wirst ihn auch nicht verlieren. Werde nur wieder gesund. Wenn du aus dem Krankenhaus kommst, ist dein Job für dich da.«

»Aber daß du auch wirklich nicht böse auf mich bist.«

»Bin ich doch nicht. Sieh du nur zu, daß du wieder gesund wirst. Wir brauchen dich sehr für unser Blatt. Dein FotoLayout war ja der Grund dafür, daß die Startnummer weggegangen ist wie warme Semmeln.«

Auf seinen Lippen erschien wieder das schwache Lächeln. »Wirklich?«

»Wirklich. Ronzi will, daß wir von der nächsten Nummer fünfundsiebzigtausend Stück auflegen.«

»Wie schön.« Er blickte zu seinem Vater. »Tut mir leid, Dad.«

»Ist gut, Sohn. Mach nur, was Gareth sagt, und werde wieder gesund. Das ist mein einziger Wunsch.«

»Ich liebe dich, Vater. Ich habe dich immer geliebt. Das weißt du.«

»Und ich liebe dich. Weißt du das, Sohn?«

»Ja, ich weiß es, Vater. Aber ich war nie das, was du wolltest.«

Reverend Sam blickte zu mir. Ich sah den Schmerz und die Tränen in seinen Augen. Dann beugte er sich über Bobby und küßte ihn auf die Wange. »Du bist mein Sohn. Wir lieben einander. Das ist alles, was ich will.«

Geschäftig trat die Krankenschwester wieder ein.

»Das war lange genug«, befand sie streng. »Jetzt braucht er Ruhe.«

Draußen auf dem Korridor sagte ich zu Bobbys Vater: »Sie brauchen auch unbedingt Ruhe. Sonst machen Sie uns noch schlapp und werden hier gleichfalls Patient.«

Ein erschöpftes Lächeln glitt über seine Lippen. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Ist auch überflüssig. Denn dafür sind Freunde ja da. Außerdem ist Bobby ein ganz besonderer Junge.«

»Sie glauben das wirklich?«

»Ja. Was er braucht, ist Zeit. Er wird sich selbst finden.«

Müde schüttelte er den Kopf. »Was ich immer noch nicht verstehe - wie können Menschen nur so etwas tun.«

»Es sind kranke Menschen«, sagte ich. »Ich wußte gar nicht, daß es so etwas überhaupt gibt. Man müßte da etwas unternehmen. Bobby wird doch kaum der einzige sein, mit dem sie so was gemacht haben.«

»Nein, wahrscheinlich nicht.«

Er musterte mich mit einem merkwürdigen Blick. »Lonergan hat mich gebeten, mich nicht an die Polizei zu wenden. Er meint, das würde Sie in Schwierigkeiten bringen.«

»Ich habe zwei von denen krankenhausreif geschlagen, und sie haben mich angezeigt«, erklärte ich. »Die Polizei sucht nach mir. Jedes Wort von Ihnen könnte die Beamten direkt zu mir führen.«

»Aber welcher Richter würde Sie denn verurteilen, wenn er hört, was wirklich vorgefallen ist? Keiner.«

»Vielleicht. Aber ganz so sicher bin ich da nicht. Schließlich ist Bobby freiwillig hingegangen, während ich dann so etwas wie Hausfriedensbruch verübt habe und gewalttätig geworden bin. Im übrigen dürften Gerichte einem Homosexuellen, der sich selbst in eine Lage gebracht hat, wo er vergewaltigt werden konnte, kaum viel Verständnis entgegenbringen. Nein, irgendwelche Sympathie würde man bestimmt nicht zeigen.«

Reverend Sam schwieg einen Augenblick. »Dann handelt es sich wohl um keinen Ausnahmefall?«

»Nein, wirklich nicht. So etwas passiert allein in dieser Stadt im Jahr so etwa zehntausend Mal.«

»Gott.« Er atmete tief.

Ich legte eine Hand auf seine Schulter. »Fahren Sie jetzt nach Hause und schlafen Sie erst einmal. Wir können uns morgen weiterunterhalten.« Als wir schon beim Ausgang waren, erklang hinter uns plötzlich eine Stimme. »Mr. Brendan.« Es war jemand von der Aufnahme.

»Ja?«

»Ich habe einen Anruf für Sie.«

»Warten Sie nicht auf mich, Reverend Sam«, sagte ich. »Wir sehen uns morgen.«

Als ich den Telefonhörer nahm, sah ich, wie die massige Gestalt in den Mercedes stieg und davonfuhr. »Hallo«, sagte ich.

»Ich habe Mr. Lonergan für Sie«, meldete eine Frauenstimme.

Ein Klicken; dann erklang seine Stimme. »Gareth, wo bist du jetzt?«

»Im Krankenhaus. Noch immer dort, wo mich deine Sekretärin erreicht hat.«

»Gut. Fahre auf keinen Fall zu deinem Büro zurück.«

»Auf mich wartet Arbeit. Ich muß die Nummer für die nächste Woche abschließen.«

»Vom Friedhof aus wirst du dein Blatt kaum noch redigieren können«, sagte er mit seiner flachen, ausdruckslosen Stimme. »Ich habe gerade erfahren, daß man ein paar Killertypen auf dich angesetzt hat.«

»Das soll wohl ein Witz sein.«

»Über so etwas mache ich keine Witze«, erwiderte er leicht gereizt. »Das Pflaster hier ist für dich jedenfalls zu heiß. Mach, daß du aus der Stadt kommst - bis ich die Sache wieder ins Lot gebracht habe.«

»Die wollen mich umlegen lassen? Ja, glauben sie denn, damit durchzukommen?«

»Deine Freunde von dieser Schwulen-Party besitzen eine Menge Einfluß. Die können sich so manche Extratour leisten. Nun, ich werde die Sache schon in Ordnung bringen, doch es kann einige Zeit dauern. Und ich möchte nicht, daß du inzwischen umgelegt wirst.«

»Scheiße.«

»Sorge dafür, daß niemand weiß, wo du untergetaucht bist. Menschen reden nun mal, ob sie wollen oder nicht. Ein falsches Wort, und dein Begräbnis könnte fällig sein.«

Plötzlich war ich wütend. »Ich laß mich nicht so herumstoßen. Ich fahr zu dem Haus beim Mulholland Drive und bring das Schwein um.«

»Damit würdest du’s denen leicht machen. Noch bevor du bei der Tür wärst, hätten die dich abgeknallt. Tu also, was ich dir sage.«

Ich schwieg.

»Hast du gehört?«

»Ja.«

»Und wirst du tun, was ich dir sage?«

»Bleibt mir eine Wahl?«

»Nein.«

»Dann werde ich’s tun.«

Ich vernahm, wie er kaum hörbar einatmete. Ob es ein Seufzer der Erleichterung war, ließ sich nicht sagen. Doch seine Stimme hatte jetzt mehr Nachdruck. »Sieh zu, daß du schleunigst da rauskommst, hörst du? Und rufe mich morgen abend um sechs an. Ich setze dich dann genau ins Bild.«

»Okay.«

»Und sei vorsichtig«, warnte er. »Es sind Profis, die sie auf dich angesetzt haben. Riskiere also nichts. Für die ist das ein Job, und da meinen sie es gottverdammt ernst.«

Er brach ab. Ein Klicken zeigte, daß er aufgelegt hatte. Einige Sekunden hielt ich den Hörer noch in der Hand.

»Irgend etwas nicht in Ordnung?« fragte die Schwester von der Aufnahme.

»Oh, alles bestens, danke«, sagte ich und verließ das Gebäude.

Als ich den Parkplatz betrat und die beiden Männer neben dem Rolls sah, wußte ich sofort, daß ich einen Fehler gemacht hatte. Nächstes Mal würde ich bestimmt auf Lonergan hören, wenn er mir riet, vorsichtig zu sein. Ich wäre ja losgerannt, nur: Im selben Augenblick, als ich die beiden sah, sahen die beiden auch mich. Rennen hätte eine Kugel in den Rücken bedeutet. Und so ging ich weiter. Allerdings nicht zum Rolls, sondern zum Valiant. Die beiden beobachteten, wie ich in das kleine Auto einstieg und den Zündschlüssel hervorholte.

Der größere der beiden Männer kam um den Rolls herum und legte seine Hand auf den Rand der Fensterscheibe des Valiant, die halb heruntergekurbelt war. »Wissen Sie, wem der Rolls gehört?«

»Nein.«

»Wir suchen einen ziemlich großen Mann - müßte so etwa Ihre Größe haben -, der dieses Auto gefahren hat. Haben Sie im Krankenhaus jemand gesehen, auf den die Beschreibung paßt?«

»Seid ihr beiden von der Polizei?«

»Privatdetektive. Der Kerl ist mit seinen Raten im Rückstand.«

Ich blickte zum Rolls, dann wieder zu ihm. »Hör mal«, sagte ich. »Wenn ihr zwanzig Dollar ausspuckt, laß ich euch den Schlitten mit’m Draht an.«

Er funkelte mich böse an. »Spar dir solche Sprüche, verstanden! Also - hast du den Fahrer nun gesehen oder nicht?«

»Hab ich nicht. Nein, so ‘nen Typ bestimmt nicht.«

Er nahm seine Hand vom Fenster. »Okay. Dann verschwinde.«

Ich legte den Rückwärtsgang ein und stieß zurück.

»Augenblick mal!« rief der Mann, der auf der anderen Seite des Rolls stand.

Für den Bruchteil einer Sekunde spielte ich mit dem Gedanken, Gas zu geben und davonzujagen. Doch in der Hand des Mannes sah ich das Glänzen von Metall: eine Magnum . 357, silberblau, mit Schalldämpfer. Einer Pistolenkugel konnte ich auch durch einen Blitzstart nicht entkommen. Ich bremste.

Jetzt erst sah ich, daß neben dem Rolls - auf der anderen Seite - eine Limousine geparkt war. Der Mann trat zur hinteren Tür, riß sie auf. Eine Gestalt war zu erkennen. Sie lag auf dem Boden vor dem Rücksitz. »Du!« befahl der Mann. »Steh auf!«

Die Person gehorchte. Langsam erhob sie sich. Als ich sah, wer es war, vergaß ich für einen Augenblick zu atmen. Doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Mit unbewegter Miene blickte ich Denise ins Gesicht und betete.

»Kennst du diesen Kerl?« knurrte er.

Sie betrachtete mich aus geschwollenen Augen. Auf ihrer Wange sah ich eine dunkel angelaufene Stelle, offenbar die Spur eines Faustschlags. Ich packte das Lenkrad fester, so daß niemand das Zittern in meinen Händen sehen konnte.

»Nein«, erwiderte Denise, und ich sah, daß auch ihre Lippen geschwollen waren.

Der Mann drehte mir sein Gesicht zu. Ich hielt den Atem an. Dann nickte er. »Hau ab mit deiner Karre«, sagte er zu mir.

Ich legte wieder den Rückwärtsgang ein, und während ich zurückstieß, konnte ich beobachten, wie der Kerl Denise in die Limousine stieß und die Tür hinter ihr zuknallte. Im Rückspiegel sah ich, daß die beiden Männer, jetzt wieder beim Rolls, aufmerksam hinter mir herblickten, bis ich am anderen Ende des Parkplatzes in die Ausfahrt einbog. Dann wandten sie sich ab. Wahrscheinlich wäre ich weitergefahren, aber dann sah ich durch die Heckscheibe der Limousine das Gesicht von Denise.

Das schaffte mich. Bitterer Gallensaft stieg mir in die Kehle. Die Unschuldigen. Warum bloß immer die Unschuldigen? Mir war genauso zumute wie an jenem Tag in Vietnam, an dem wir in das Dorf vorgedrungen waren und ich dort in den Trümmern die verstümmelten, teilweise völlig zerfetzten Leichen der Frauen und Kindern gesehen hatte, Folge des Artilleriebeschusses von unserer Seite.

Ich war fast aus der Ausfahrt heraus, als es passierte. Eine reine Reflexhandlung. Ohne zu überlegen bog ich in die Einfahrtsspur, schaltete runter und trat voll aufs Gaspedal. Der kleine Valiant schoß mit einem Satz vorwärts.

Der Kerl mit der Pistole war der erste, der mich kommen sah. Er hob die Hand mit der Waffe. Während ich wie wild das Lenkrad drehte, erkannte ich deutlich sein verblüfftes Gesicht. Ich erwischte ihn, ihn und seinen Kumpel: Mit der Seitenwand des kleinen Autos erwischte ich beide und nagelte sie gleichsam gegen den Rolls.

Ich fühlte den Aufprall, hörte das Krachen. Dann wurde der Valiant, einem Autoscooter auf einem Rummelplatz ähnlich, ein Stück zurückgeschleudert. Wieder drehte ich wie wild das Lenkrad, manövrierte den Valiant völlig herum, bremste, hielt, sprang heraus.

Die beiden Männer lagen auf dem Boden. Ihre Beine, offenbar gebrochen, wirkten eigentümlich verdreht, wie aus den Gelenken gerenkt. Der mit der Pistole war bewußtlos und lag mit dem Kopf unter dem einen Stoßdämpfer des Rolls. Der andere klammerte sich halb sitzend an der Stoßstange fest. Sein Gesicht war kalkweiß, und er schwitzte vor Schmerz. Seine Pistole lag neben ihm auf dem Boden.

Ich hob sie auf. Im selben Augenblick stieg Denise aus der Limousine. Sie weinte. »Los, ins Auto!« sagte ich zu ihr, bevor sie sprechen konnte.

Sie schien erstarrt zu sein. Ich gab ihr einen harten Stoß. »Alles in Ordnung. Los, ins Auto!«

Noch immer rührte sie sich nicht. Ich beugte mich zu dem Mann. »Für wen arbeitet ihr?«

»Zum Henker mit dir, du verrücktes Schwein!«

Ich entsicherte die Pistole, schoß. Zwischen seinen Beinen schlug die Kugel in den Boden.

»Die nächste kriegst du in die Eier.«

Er preßte die Lippen zusammen.

Ich schob die Mündung der Pistole zwischen seine Oberschenkel. Er schrie fast: »Das weiß ich nicht!«

»Du lügst!« Ich krümmte den rechten Zeigefinger, schien im Begriff abzudrücken.

»Nein!« kreischte er. »Der Auftrag ist von der Ostküste gekommen. Einen Riesen sollen wir kriegen, wenn wir dir eins verpassen.«

Ich starrte ihm ins Gesicht. Einen Mann, der lügt, wenn man ihm eine Pistole gegen die Eier drückt, den gibt es wohl nicht. »Johnny wollte dir gleich eins verpassen, als du auf den Parkplatz kamst. Aber ich hab zu ihm gesagt: >Warte!<«

»Das stimmt, Gareth«, sagte Denise plötzlich. »Ich hab’s gehört.«

»Steig ins Auto«, befahl ich wieder, ohne ihn auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen.

»Ich hab dir das Leben gerettet«, sagte er schrill. »Und ihr auch.«

Ich richtete mich auf, sicherte die Pistole. »Ich schick dir ein Dankschreiben«, versicherte ich.

Dann nahm ich Denise beim Arm und schob sie zum Valiant. Die Türen auf der Beifahrerseite waren völlig eingedrückt. Daher bugsierte ich Denise am Lenkrad vorbei und stieg hinter ihr ein. Im Krankenhaus schien inzwischen Alarm geschlagen worden zu sein. Den Krach des Zusammenpralls hätten wohl auch nur Tote überhören können.

Doch man hatte sich, vorsichtshalber vermutlich, mit irgendwelchen Aktionen Zeit gelassen. Als jetzt aus der

Vordertür ein Männerkopf auftauchte, waren wir praktisch schon vom Parkplatz.

Ein Stück weit fuhren wir wortlos. Dann fragte ich: »Wie haben die Kerle dich geschnappt?«

»Die hatten ihre Limousine vor dem Büro geparkt. Als ich auf die Straße trat, stieg der größere aus und fragte mich, ob du noch im Büro seist. Nein, sagte ich, du seist zum Krankenhaus gefahren. Ob du noch den Rolls hättest, wollte er wissen. Dummerweise sagte ich ja. Dann fragte er, welches Krankenhaus. Das wüßte ich nicht, sagte ich. Und da zerrte er mich dann ins Auto und schlug mich.« Sie begann zu weinen. »Ich wollte ihnen nichts sagen, aber er schlug und schlug.«

Ich legte einen Arm um ihre Schultern und zog ihren Kopf an mich. »Ist schon gut. Ist schon gut.«

Nach einigen Augenblicken hörte sie auf zu weinen. »Wer sind die Männer? Warum sind sie hinter dir her?«

»Bobbys Ex-Freunde wollen’s mir heimzahlen. Was ich gestern nacht getan habe, gefällt ihnen nicht.«

»Was du heute nacht getan hast, wird ihnen auch nicht gefallen.«

Ich warf ihr einen raschen Blick zu.

Es klang ironisch, fast zynisch. Doch ich begriff, daß sie es in aller Naivität sagte. Ich lächelte. »Da dürftest du recht haben.«

»Was wirst du jetzt tun?«

»Ich muß für eine Weile aus der Stadt verschwinden. Lonergan sagt, er braucht Zeit, um diese Sache in Ordnung zu bringen. Wo ich untertauchen werde, habe ich mir noch nicht genau überlegt.«

»Ich weiß da was«, sagte sie. »Dort werden sie uns nie finden.«

»Uns?«

»Ja. Ohne mich kommst du dort nicht rein. Aufgenommen wird nur jemand, den ein Mitglied mitbringt.«

»Was ist denn das? Worum handelt sich’s überhaupt?«

»Um Reverend Sams Farm in Fullerton.«

»Leben da nicht auch welche von den Jungs, die beim Renovieren des Büros mitgeholfen haben?«

»Ja.«

»Dann scheidet das aus. Ich muß etwas finden, wo mich niemand kennt.«

Sie betrachtete mich aufmerksam. »Wenn du dir die Haare schwarz färbst, würde dich nicht mal deine eigene Mutter erkennen.«

Am Abend um sieben Uhr saß ich nicht weit von der Schnellstraße in einem Motelzimmer: das Gesicht mit Hilfe eines Schnellbräunungsmittels dunkler getönt und über dem nassen Haar eine Plastikkappe. Als ich im Büro anrief, meldete sich Verita.

»Wo bist du?« fragte sie. »Wir haben im Krankenhaus angerufen, aber dort sagte man uns, du seist schon vor fast zwei Stunden fort.«

»Es hat plötzlich ein Problem gegeben. Lonergan meinte, ich sollte lieber für ein paar Tage aus der Stadt verschwinden. Am Telefon kann ich dir nichts Genaueres darüber sagen, doch es kommt alles wieder in Ordnung.«

»Bist du sicher?«

»Ja. Aber du wirst dafür sorgen müssen, daß das Blatt termingerecht rauskommt. Sind Persky und Eileen da?«

»Ja.«

»Sollen sich an die anderen Apparate hängen und zuhören.« Ich vernahm das Klicken, als sie sich einschalteten. »Eileen, dich muß ich um einen besonderen Gefallen bitten. Du wirst den Text für die nächste Nummer beschaffen müssen.«

»Gareth, ich weiß nicht, was ich schreiben soll.«

»Mir egal, wie du’s machst. Drucke, was du willst. Leserbriefe, Reklametexte, ganz egal was - Hauptsache, die

Seiten werden irgendwie voll, bis ich wieder da bin. Es ist unheimlich wichtig, daß wir auch nicht mit einer einzigen Nummer ausfallen. Verstehst du?«

»Ja, ich verstehe.«

»Danke. Wie kommst du mit dem Artikel voran?«

»In dem Thema steckt viel mehr, als ich anfangs dachte.«

»Gut. Streck’s. Vielleicht machen wir eine Artikelserie draus. Persky?«

»Ja, Gareth.«

»Bleiben Sie dem Drucker im Nacken. Sorgen Sie dafür, daß Ronzi die fünfundsiebzigtausend Exemplare bekommt.«

»Er hat sich gerade gemeldet. Sie sollen ihn sofort anrufen. Ich glaube, die Bestellung macht ihm Kummer.«

»Ich werde ihn anrufen, sobald wir mit diesem Gespräch fertig sind. Die Hauptsache ist, daß alles weiterläuft. Wenn uns eine Nummer platzt, gehen wir baden.«

»Ist es dir recht, wenn ich mir vom College ein paar Autoren beschaffe?« fragte Eileen.

»Du tust, was du für richtig hältst. Während meiner Abwesenheit bist du die Chefredakteurin. Das Blatt ist dein Baby.«

»Wie wird das mit den Rechnungen?« fragte Verita.

»Die bezahlst du. Die Bank hat ja deine Unterschrift.« Ich sah auf. Denise gestikulierte. Es wurde Zeit, das Färbungsmittel aus den Haaren zu spülen. »Übrigens solltest du dich besser nach einem anderen Auto umsehen. Deinen alten Valiant habe ich ziemlich zu Schrott gefahren.«

»Du bist doch nicht verletzt?« fragte sie hastig.

»Nein, keine Sorge. Alles in Ordnung. Wenn wir die nächste Nummer rausbringen, können wir’s uns leisten, dir einen neuen Wagen zu kaufen.« Denise hüpfte ungeduldig vor mir auf und ab und deutete auf meinen Kopf. »Ich muß jetzt Schluß machen. Ich rufe in ein paar Tagen wieder an.«

Ich drückte auf die Gabel. »Nur noch ein Anruf«, sagte ich zu Denise. Dann wählte ich Ronzis Nummer.

»Gareth«, sagte ich, als er sich meldete. »Was ist los?«

»Was los ist? Nun, meine Kontakte im Osten haben mir da was gemeldet. Scheint, daß Sie’s geschafft haben, ein paar hochwichtige Leute gegen sich aufzubringen.«

»Und?«

»Die sind so stinkwütend, daß man Killer auf Sie angesetzt hat.«

»Das weiß ich. Aber Lonergan bringt das schon wieder in Ordnung. Alles nur ein Irrtum.«

»Irrtümer spielen keine Rolle mehr, wenn Sie tot sind.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Meine Freunde haben mir versichert, wenn wir Partner sind, passiert Ihnen nichts. Sich mit der >Familie< anlegen, das wagt keiner.«

»Wieviel Zeit lassen Sie mir, bis Sie die Antwort von mir haben wollen?«

»Vierundzwanzig Stunden.«

»Ich melde mich wieder bei Ihnen. Inzwischen läuft jedoch unsere Abmachung über die fünfundsiebzigtausend Exemplare weiter, oder?«

»Ja. An Abmachungen halten wir uns. Da gibt’s keinen Rückzieher.«

»Das wollte ich hören«, sagte ich und legte auf. Ich blickte zu Denise. »Was tun wir jetzt?«

»Dir die Haare ausspülen«, sagte sie und streifte sich ein Paar Plastikhandschuhe über.

Ich ging ins Bad und beugte den Kopf übers Waschbecken. Zweimal wusch sie mir die Haare mit Shampoo durch, und als ich mich schließlich aufrichtete und in den Spiegel blickte, mußte ich zugeben, daß sie recht gehabt hatte.

Nicht nur meine Mutter würde mich nicht erkennen. Ich erkannte mich nicht einmal selbst.

Als wir endlich auf dem Feldweg vor dem Farmhaus hielten, war es bereits nach Mitternacht. Nirgends hinter den Fenstern zeigte sich Licht, und alles war sehr still. Ich schaltete den Motor und die Scheinwerfer aus, blickte zu Denise. »Da scheint alles zu schlafen.«

»Das macht nichts«, sagte sie und stieg aus. »Die Zimmer für die Gäste sind nicht abgeschlossen.«

Ich folgte ihr die Stufen zur Veranda hinauf und dann in eine Tür. Das einzige Geräusch war das Knarren der Fußbodenbretter unter unseren Füßen. Ich stieß gegen einen Stuhl.

»Nimm meine Hand«, sagte sie.

Es war, als spielten wir Blindekuh. Ich konnte nicht sehen, wohin sie mich führte; sie jedoch schien genau zu wissen, wo sie sich befand. Ich rannte nicht gegen die Wand und fiel nicht mehr über Möbel.

Wir erreichten die Tür, und sie klopfte leise. »Nur für den Fall, daß schon jemand drin ist«, flüsterte sie.

Niemand antwortete. Sie öffnete die Tür, ließ mich eintreten, zog die Tür leise hinter uns zu. »Hast du ein Streichholz?« fragte sie.

Ich zog eine Schachtel hervor, gab sie ihr. Sie riß ein Streichholz an. Rasch sah ich mich im Zimmer um. An der gegenüberliegenden Wand befanden sich ein schmales Bett und eine Kommode, auf der eine Porzellanschüssel und ein Wasserkrug standen. Über der Kommode hing ein Spiegel. An der anderen Wand sah ich ein Holzspind, ganz in der Nähe gab es ein kleines Flügelfenster. Das brennende Streichholz flackerte heftig, erlosch.

Im Dunkeln hörte ich, wie Denise das Zimmer durchquerte. Sie schien eine Schublade aufzuziehen. Sekunden später riß sie

wieder ein Streichholz an. Sie nahm eine Kerze aus der Schublade, hielt die Flamme an den Docht. Dann steckte sie die Kerze in einen Kerzenhalter, den sie neben die Waschschüssel auf der Kommode stellte.

Ich blickte zur Zimmerdecke, an der eine Lampe hing.

»Warum knipst du nicht einfach das Licht an?« fragte ich.

»Der Strom schaltet automatisch um neun Uhr ab, um zu sparen. Außerdem ist abends nach neun kaum noch jemand von uns auf. Schließlich beginnt der Arbeitstag für uns auch schon früh um fünf.«

»Wieviel Leute sind denn hier?«

»Dreißig, manchmal vierzig. Das kommt drauf an.«

»Worauf kommt es an?«

»Ob sie hier sein wollen oder nicht. In der Hauptsache handelt es sich um Jugendliche, die von irgendeiner Sucht loszukommen versuchen.«

»Drogen.«

»Und Alkohol.«

»Was tun sie?«

»Arbeiten auf der Farm. Beten. Holen sich Rat.«

»Was baut ihr hier an?«

»Menschen, sagt Reverend Sam.«

Ich schwieg einen Augenblick. Dann nickte ich. Vielleicht hatte er recht. Zumindest versuchte man es. Ich zog eine Zigarette hervor, steckte sie an der Kerze an. Als ich mich wieder umdrehte, hatte Denise ihre Schuhe ausgezogen und lag auf dem Bett. »Müde?« fragte ich.

Sie nickte, sah mich an.

»Ich auch«, sagte ich und zog mein Jackett aus. »Meinst du, daß wir auf dem schmalen Ding beide Platz haben, ohne daß einer irgendwann rausfällt?«:

Sie starrte mich an, gab keine Antwort. Wie ein Zittern überlief es sie, und ich sah Tränen in ihren Augen.

»Was ist denn?« fragte ich. Dann begriff ich: Sie hatte die Pistole gesehen, die in meinem Gürtel steckte. Ich zog die Waffe heraus und legte sie auf die Kommode.

»Ich habe Angst«, flüsterte Denise, offenbar buchstäblich von Furcht geschüttelt.

Ich setzte mich auf den Bettrand und zog ihren Kopf an meine Brust. »Es ist vorbei. Du brauchst jetzt keine Angst zu haben.«

»Die wollten dich umbringen.«

»Das ist ihnen nicht gelungen.«

»Man wird es wieder versuchen.«

»In ein paar Tagen hat Lonergan die Sache bestimmt bereinigt. Dann ist unser Leben wieder normal.«

Sie sah zu mir auf, betrachtete mein Gesicht. »Hättest du den Mann umgebracht, wenn ich nicht für ihn eingetreten wäre?«

»Weiß ich nicht. Als ich aus Vietnam zurückkam, war mir jeder Gedanke an Gewalttätigkeit verhaßt. Ich konnte das einfach nicht mehr ertragen. Doch dort auf dem Parkplatz, als ich dein Gesicht sah, da - ich dachte nicht mehr, ich fühlte nur noch Wut.« Ich strich ihr mit einem Finger über die Wange. »Morgen wirst du wohl ein ganz gewaltiges Veilchen haben«, sagte ich.

Sie musterte mich verständnislos.

»Ein blaues Auge«, erklärte ich.

Schon war sie aus dem Bett und stand vor dem Spiegel. »Igitt! Sieht ja scheußlich aus!«

Ich lächelte. »Da habe ich schon Schlimmeres gesehen.«

»Kann man denn nichts dagegen tun?«

»Ein Beefsteak dagegen pressen.«

»So etwas haben wir doch nicht.«

»Kalte Kompressen. Eis.«

»Haben wir auch nicht.«

»Dann hast du dein blaues Auge.«

»Das fürchte ich auch. Sehe ich komisch aus?«

Ich unterdrückte ein Lächeln. »Nein.«

Plötzlich blies sie die Kerze aus. »So, jetzt brauchst du dir’s nicht mehr anzusehen.«

»Hat mich auch nicht weiter gestört.«

»Aber mich stört’s. Ich mag nicht so komisch aussehen.«

Ich zog an meiner Zigarette. Das brennende Ende glühte in der Dunkelheit, und ich sah, wie sich Denise das Hemd aufzuknöpfen begann. Stoff raschelte, und dann kroch sie an mir vorbei ins Bett. Als ich die Hand nach ihr ausstreckte, lag sie bereits unter der Wolldecke.

Ich stand auf, drückte im Kerzenhalter meine Zigarette aus, wollte mir das Hemd über den Kopf ziehen.

»Gareth.«

»Ja?«

»Darf ich dich ausziehen?« Ohne meine Antwort abzuwarten, erhob sie sich auf die Knie, knöpfte mein Hemd auf, streifte es mir vom Körper, ließ es auf den Fußboden fallen. Ihre Finger strichen mir sacht über die Brustwarzen. »Ist dir kalt?«

»Nein.« Ich zog sie an mich.

Sanft wehrte sie mich ab. »Noch nicht.« Mit Lippen, Zunge und Zähnen liebkoste sie meine Brustwarzen, während ihre Finger meinen Gürtel aufschnallten und den Reißverschluß meiner Hose öffneten. Meine Jeans rutschten tiefer, und Denise wölbte ihre Hände um meine Hoden.

»Die sind ja so groß und geschwollen«, sagte sie leise, und ich spürte, wie ihre Wange über meinen Bauch glitt, tiefer. Ihr Mund suchte mein Glied, ihre Zähne berührten sacht meine Hoden.

»Okay. Das ist genug«, sagte ich und schob sie sacht von mir fort.

Ihre Stimme klang gekränkt. »Was ist denn, Gareth? Magst du das nicht?«

»Doch, sehr sogar.« Ich lachte. »Aber wenn ich nicht endlich die Jeans von den Beinen bekomme, fall ich noch auf die Nase.«

Fürs Ficken war’s ein Prachtbett, schmal und fest, doch schlafen konnten wir darauf zusammen nur nach der »Löffelmethode«. Ich lag mit dem Rücken zur Wand und schob einen Arm unter ihren Kopf, während sie sich rückwärts an mich schmiegte. »Bequem so?« fragte ich.

»Mm-hmm.«

Ich schloß die Augen.

»War’s schön für dich?«

Da spielte das Alter offenbar nicht die geringste Rolle: Das fragten sie alle. »Es war wunderschön.«

Sie schwieg einen Augenblick, sagte dann: »Du wirst wieder steif, ich kann’s spüren.«

»Versuchen wir, zu schlafen. Das gibt sich schon wieder.«

Sie scheuerte ihr Hinterteil gegen mich.

»Herrgott, Denise, in der Stellung ist das doch nichts.«

»Steck ihn in mich rein«, flüsterte sie erregt. »So möchte ich schlafen - wenn du in mir bist.« Sie bewegte sich sacht, und ich drang mühelos in sie ein.

Ruhig lagen wir da, und ich begann, vor mich hin zu dösen. »Ich möchte, daß du mit mir alles machst, was du mit anderen gemacht hast«, flüsterte Denise.

»Fangen wir gleich damit an. Schlafen wir.« Ich war hundemüde.

»Ich möchte alles sein, wonach du dich je gesehnt hast. Ich liebe dich, Gareth. Du bist ein wunderbarer Mann. Und du nimmst andere Menschen ernst. Du machst dir viel mehr Gedanken und Sorgen als irgend jemand sonst, den ich kenne.«

Damit schlief sie ein, während ich jetzt hellwach war. Leise stand ich auf und zog mich an. Dann steckte ich die Pistole in meinen Gürtel und tastete in der Dunkelheit, bis ich die Tür zur Veranda fand.

Ich öffnete sie und trat hinaus. Im Osten schimmerte bereits die erste Morgenhelle. Ich stellte mich ans Geländer und steckte mir eine Zigarette an. Die Luft war kalt, und ich hüllte mich fester in mein Jackett. Dann hörte ich, wie hinter mir der Holzfußboden knarrte. Ich fuhr herum, die Pistole in der Hand.

Der Mann war groß und hatte einen Bart. Er trug ein kariertes Holzfällerhemd und verwaschene Arbeitsjeans. Seine dunklen Augen blickten auf die Waffe in meiner Hand. Seine Stimme klang ruhig. »Du kannst die Pistole wegstecken. Du bist hier willkommen. Ich bin Bruder Jonathan.«

Er lächelte. Und die Wärme seines Lächelns ließ seine Worte sehr mild klingen. »Übrigens - wenn du dir das nächste Mal das Haar färbst, dann solltest du dir auch die Augenbrauen entsprechend färben.«

Ich schob die Pistole in meinen Gürtel zurück. Er stellte sich neben mich. »Ist das dein Auto?«

»Ja.«

»Es sieht aus, als wäre es von einem Laster angefahren worden.«

Ich gab keine Antwort.

»Stell’s lieber dort drüben in der Scheune unter. Jeden Morgen gegen acht kommt die Highway-Streife hier vorbei.« Er sah mich an. »Versteckst du dich vor der Polizei?«

»Nein.« Das war wenigstens die Wahrheit.

»Aber du versteckst dich vor jemandem?«

»Ja.« Ich schleuderte den Rest meiner Zigarette über das Geländer. Ein Funkenregen sprühte, erlosch. Ich überlegte hastig. Nein, das hier war nicht der richtige Unterschlupf. Je mehr der Tag heraufdämmerte, desto offener und ungeschützter wirkte hier alles. »Würden Sie Denise bitte etwas von mir ausrichten?«

»Ihr etwas ausrichten?« Seine Stimme klang verwundert.

»Sagen Sie ihr, daß ich’s für besser halte, von hier zu verschwinden. Sie soll mit dem Büro in Verbindung bleiben. Sobald die Lage klar ist, lasse ich mich wieder sehen.« Ich begann, die Stufen hinabzusteigen.

»Du brauchst nicht fortzugehen, Gareth. Du bist hier sicher.«

Abrupt blieb ich stehen. »Woher kennen Sie meinen Namen?«

Er lachte leise. »Keine Sorge. Ich bin kein Gedankenleser. Denise hat mich aus einem Motel angerufen, als ihr auf dem Weg hierher wart. Sie sagte mir, daß sie dich zur Farm bringen wollte und daß niemand wissen soll, wer du bist.«

»Das hätte sie nicht tun dürfen.«

»Sei nicht zornig auf sie. So oder so hätte sie mir die Wahrheit ja doch sagen müssen. Wir halten nichts davon, einander anzulügen.«

»Je mehr Leute wissen, wer ich bin, desto gefährlicher wird es für mich. Und nicht nur für mich. Für alle. Es ist besser, wenn ich verschwinde.«

»Der einzige >Name<, den du hier irgend jemandem nennen mußt, ist Bruder. Bei uns ist dein Geheimnis gut aufgehoben.«

Ich schwieg.

»Wo wolltest du jetzt schon hin?« fragte er. »Du siehst erschöpft aus. Hast du denn in dieser Nacht überhaupt geschlafen?«

Ich sah ihn an. »In dem schmalen Bett?«

»Schmales Bett?« Einen Augenblick starrte er mich verständnislos an, dann spielte ein breites Lächeln um seine Lippen. »Du warst in einem ganz kleinen Zimmer? In dem sich nichts weiter befand als das schmale Bett - und eine Kommode und ein Spind?«

Ich nickte. Er begann zu lachen. »Was ist denn so komisch?« fragte ich.

»Das kleine Luder.« Er gluckste. »Ich habe ihr gesagt, sie soll das große Zimmer nehmen. Das mit den zwei Betten.«

Jetzt war ich es, der einen Augenblick verständnislos starrte. Dann stimmte ich in sein Lachen ein. Eine Frau war nun einmal eine Frau. Ob jung oder alt: in allen steckte ein gut Stück raffiniertes Weibchen.

»Komm«, sagte er, »ich mach dir mal eine Tasse Kaffee, und dann gehst du ins Bett. So allmählich beginne ich zu ahnen, weshalb du so müde aussiehst.«

Zunächst stellte ich das Auto in der Scheune unter, dann folgte ich ihm in die Küche. Es war ein großer Raum im hinteren Teil des Hauses. Auf einem altmodischen Herd, wie man ihn früher in Gaststätten benutzt hatte, brodelte bereits ein Kessel mit Wasser.

Bruder Jonathan goß zwei Tassen Kaffee auf, und wir setzten uns an den Holztisch.

»Du wirst dich in unseren Tagesablauf einfügen müssen«, erklärte er, »denn sonst -«

»Okay, kapiert«, sagte ich. »Auffallen darf und will ich auf gar keinen Fall.«

»Wecken um fünf, Andacht um halb sechs. Um sechs sind wir draußen auf den Feldern bei der Arbeit. Mittagessen gibt’s um elf, dann wird wieder gearbeitet, bis um halb vier. Danach ist Freizeit bis zum Abendessen um sechs, und dann hast du wieder frei, bis um neun, wenn’s Licht ausgeht.«

»Klingt nach einem sehr gesunden Leben.«

»Ist es auch. Wie lange willst du bleiben?«

»Ich weiß nicht. Allerhöchstens vierzehn Tage, vielleicht aber auch nur einen oder zwei.«

»Ich muß dich bitten, mir die Pistole zu geben. Wenn du gehst, erhältst du sie natürlich wieder zurück.«

Ich gab sie ihm, und er prüfte, ob sie gesichert war, und legte sie dann auf den Tisch. »Das ist ein häßliches Spielzeug.«

»Sie kennen sich mit Pistolen aus?«

»Ich war früher einmal Polizist. Als ich dann pensioniert wurde, erkannte ich, wie leer und sinnlos mein Leben war - bis ich Reverend Sam traf und religiös wurde. Jetzt hat mein Leben wieder einen Sinn.« Er musterte mich. »Glaubst du an Gott?«

Ich hielt seinem forschenden Blick stand. »Nein, eigentlich nicht.«

Aus seiner Stimme klang Bedauern. »Schade. Wirklich schade. Du läßt dir da etwas Gutes entgehen.«

Ich schwieg.

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Es ist fast fünf. Ich bring dich besser vor dem allgemeinen Wecken auf dein Zimmer, sonst kommst du überhaupt nicht zum Schlafen.

Wenn du wach wirst, such nach mir. Ich bin bestimmt irgendwo in der Nähe.«

Als ich aufwachte, war es Nachmittag, bereits halb vier vorbei. Meine Jeans und die anderen Sachen fand ich nicht, dafür jedoch ein Holzfällerhemd und Arbeitsjeans, wie Bruder Jonathan sie getragen hatte. Alles war säuberlich auf einen Stuhl gelegt worden.

Ich stand auf, ging ins Bad, stellte mich unter die Dusche. Warmes Wasser gab es nicht, und der kalte Strahl machte mich sehr schnell richtig wach. Mit klappernden Zähnen rieb ich mich trocken. Dann ging ich ins Zimmer zurück. Ich hatte mir gerade die Jeans angezogen, als sich die Tür öffnete.

Denise kam herein, lächelte. »Du bist schon wach?«

Ich nickte.

»Als ich vor ungefähr einer Stunde hereinschaute, hast du noch ganz fest geschlafen. Bruder Jonathan schickt dir diesen Rasierapparat und einen Augenbrauenstift.«

Ich sagte nichts.

»Bist du böse auf mich?«

»Nein.«

»Aber warum sagst du dann nichts?«

»Weil’s nichts weiter zu sagen gibt.« Ich nahm den Rasierapparat und den Augenbrauenstift und ging wieder ins Bad. Sie stellte sich an die Tür und sah zu, wie ich mich rasierte. Im Spiegel betrachtete ich ihr Gesicht. »Dein blaues Auge ist gar nicht so schlimm geworden, wie ich erwartet habe.«

»Ganz furchtbar ist’s«, sagte sie. »Aber ich habe eine Menge Make-up draufgeknallt.« Sie trat zu mir. »Soll ich dir die Augenbrauen machen?«