
Harold
Robbins
rp • •
Roman
Deutsch von Günter Panske
Dieses Buch gehört Grace -denn Grace gehört zu mir
Einzig berechtigte Übertragung
aus dem Amerikanischen
Titel des Originals: »Dreams Die First«
Lizenzausgabe mit Genehmigung des Scherz Verlages, Bern für die Bertelsmann Club GmbH, Gütersloh die Europäische Bildungsgemeinschaft Verlags-GmbH, Stuttgart die Buchgemeinschaft Donauland Kremayr & Scheriau, Wien und die Buch- und Schallplattenfreunde GmbH, Zug/Schweiz Diese Lizenz gilt auch für die Deutsche Buch-Gemeinschaft C. A. Kochs Verlag Nachf., Berlin - Darmstadt - Wien Copyright © 1977 by Harold Robbins
Gesamtdeutsche Rechte beim Scherz Verlag, Bern und München Gesamtherstellung: Wiener Verlag Buch-Nr. 012468
Erstes Buch Die untere Seite
Als ich aufwachte, war es fünf Uhr nachmittags. Im Zimmer stank es nach kaltem Zigarettenrauch und billigem, säuerlichem Rotwein. Ich wälzte mich aus dem Bett, stolperte über den jungen Burschen, der davor auf dem Fußboden schlief, und schlug ums Haar lang hin. Verdutzt starrte ich ihn an. Er war nackt. Wie er dort hingekommen war oder woher, ich wußte es nicht. Schlimmer noch: ich wußte nicht einmal, wer er war.
Bewegungslos lag er, während ich das Zimmer durchquerte, das Rouleau hochzog und das Fenster öffnete. Es heißt zwar, in Südkalifornien regne es nie. Aber das sind alles nur Sprüche. Jetzt jedenfalls sprühte mich der Wind so mit Wasser voll, daß ich das Gefühl hatte, unter einer kalten Dusche zu stehen. Ich fluchte und schloß das Fenster wieder.
Sogar der Junge vorm Bett hatte vom Regen was abbekommen; aber munter wurde er trotzdem nicht. Er rollte nur auf die Seite und krümmte sich so stark zusammen, daß seine Knie die Brust berührten. Im Bogen ging ich um ihn herum zum Badezimmer. Noch blieb mir eine halbe Stunde, um mir von der Arbeitslosenfürsorge meinen Scheck abzuholen. Wenn ich mich beeilte, konnte ich’s noch schaffen.
Zehn Minuten später trat ich vor die Haustür. Der Collector
- der Eintreiber - saß in seinem neuen, roten Jaguar, 68er Modell, und wartete auf mich. Daß er den Verkehr behinderte, der von der Schnellstraße kam, scherte ihn offenbar nicht. Mit einem Satz überquerte ich den regenüberfluteten Bürgersteig und stieg zu ihm ein. Er hob kurz die Hand, eine Art Begrüßung.
Bevor er den Mund aufmachen konnte, sagte ich:
»Ich hab mein Geld noch nicht. Ich war gerade auf dem Weg zur Arbeitslosenfürsorge.«
Sein glänzendes schwarzes Gesicht verzog sich zu einem leichten Lächeln.
»Okay, Gareth«, sagte er, »hab ich mir schon gedacht. Ich fahr dich hin.« Er lenkte seinen Jaguar in den Verkehrsstrom. Das wilde Protestgehupe hinter ihm störte ihn nicht.
»Die Geschäfte müssen ja ziemlich schlecht gehen, wenn Lonergan Sie hinter so kleinen Fischen herschickt.«
Er lächelte noch immer. »Lonergan hat da so einen Grundsatz: >Kümmre dich um die Pennies, und die Dollars rollen von selbst an.<«
Mir fiel keine passende Antwort ein. Die Geschichte bei Lonergan lief schon so lange, daß ich kaum noch wußte, wie alles mal begonnen hatte. So vor drei oder vier Monaten, als ich meinen ersten Arbeitslosenscheck bekam, war ich plötzlich ziemlich klamm und mußte mir was pumpen. Danach kam ich dann nicht mehr klar - bis zu diesem Tag nicht. Jedesmal wurden mir prompt zehn Dollar abgezwackt: Woche für Woche gab ich ihm meinen Scheck über sechzig Dollar und bekam dafür von ihm fünfzig Dollar in bar. Ja, direkt auf die Hand. Hätte ich’s nur ein einziges Mal geschafft, in einer Woche ohne die fünfzig über die Runden zu kommen, so hätte ich mich von ihm freigeschwommen. Aber so war’s nun mal nicht. Ich kam nicht klar und saß bei ihm am Kanthaken.
Der Collector bog auf den Parkplatz ein und hielt vor dem Eingang. »Ich warte hier«, sagte er. »Hol dir dein Papierchen.«
Ich sprang aus dem Wagen und rannte zur Tür. Gerade als der Wächter kam, um abzuschließen, war ich drin. An meinem Stammschalter sah ich Verita, die Mexikanerin. »Ja, um Himmels willen, Gary«, rief sie, »warum kommst du denn so spät?«
»Na, was glaubst du wohl? Ich habe mich nach einem Job umgesehen.«
»Was du nicht sagst!« Sie zog die Formulare aus der Schublade und schob sie mir entgegen. »Ach was - es regnet, und du bleibst im Bett, vertreibst dir die Zeit mit Bumsen und wartest, daß der Regen aufhört.«
»Oh, Baby«, sagte ich. »Das doch nur, wenn du bei mir bist.« Ich unterschrieb das Formular. »Gibt doch keine, die mich immer wieder so auf Touren bringt wie du.«
Sie gab mir den Scheck, lächelte. »Jede Wette - das sagst du zu allen.«
Ich faltete den Scheck, steckte ihn ein. »Du verkennst mich. Kannst sie ja fragen, wenn du willst.«
»Ich koche heute abend mexikanisch«, sagte sie. »Gute enchiladas. Tacos mit richtigem Rindfleisch. Rotwein. Kommst du?«
»Kann nicht, Verita. Ehrlich. Hab ‘ne Verabredung mit so einem Kerl - wegen ‘nem Job.«
Sie zog ein Gesicht. »Immer, wenn ein Mann >ehrlich< zu mir sagt, weiß ich, daß er lügt.«
»Vielleicht nächste Woche«, sagte ich und wandte mich zur Tür.
»Eine nächste Woche wird es nicht geben«, rief sie hinter mir her.
Aber ich war bereits bei der Tür, und erst, als ich in das Auto stieg, begriff ich richtig, was sie meinte.
Der Collector hielt mir bereits den Füller hin. Ich nahm, unterschrieb den Scheck, gab ihn dem Collector. Er warf einen Blick auf meine Unterschrift, steckte den Scheck ein. »Gut.« Er nickte. Plötzlich klang seine Stimme eigentümlich ausdruckslos. »Aussteigen!«
Ich starrte ihn verdutzt an. »Aber Sie haben mir ja noch nicht meine Fünfzig gegeben.«
»Ist nicht mehr drin«, sagte er. »Dein Kredit ist gerade ausgelaufen.«
»Was soll das!? Das ist doch praktisch eine feste Abmachung.«
»Nur solange du deine Schecks bekommst. Aber du bist nun mal nicht so im Bild wie - Lonergan. Er weiß, daß dies dein letzter Scheck ist und daß du frühestens in drei Monaten wieder drankommst.«
»Scheiße! Was soll ich jetzt tun? Ich bin pleite.«
»Du könntest’s ja wieder mal mit Arbeit versuchen«, sagte er, streckte seinen Arm an mir vorbei und stieß die Tür auf. Als ich aussteigen wollte, hielt er mich einen Augenblick zurück. »Lonergan hat mir aufgetragen, dir zu sagen - wenn du wirklich wieder arbeiten willst, dann sollst du dich um Viertel nach zwölf bei ihm in seinem Büro sehen lassen.«
Kaum war ich ausgestiegen, zog er die Tür hinter mir zu und fuhr los. Ich stand da, und der Regen strömte mir übers Gesicht. Ich kramte in meinen Taschen und fand schließlich ein zerdrücktes Zigarettenpäckchen. So drei oder vier waren noch drin. Ich ging zum Gebäude zurück, stand hier im Windschatten und steckte mir eine an.
Als ich den Kopf hob, sah ich, daß Verita eben in ihrem alten Valiant vom Parkplatz fahren wollte. Ich winkte. Sie hielt, und ich rannte hin und stieg ein.
»Ich bin erst für dreißig Minuten nach zwölf verabredet«, sagte ich. »Wenn dein Angebot also noch gilt -«
Sie hatte eine kleine Atelierwohnung bei der Olivera Street. Wenn man den Kopf weit genug aus dem Fenster steckte, konnte man unten die hellen Lichter der Straße sehen, auf der immer Betrieb herrschte. Den Chicanos schien der Regen nichts auszumachen. Nach dem Abendessen brachen sie, wie stets, zu einem Bummel durch das Viertel auf. Dazu nahmen sie gewöhnlich ihre Kinder mit. Dieser »Bummel« fand erst um zwei Uhr früh ein Ende, wenn überall dichtgemacht wurde. Dann gingen die armen Chicanos mit ihren Kindern nach Hause, während jene, die sich’s leisten konnten, dorthin abschwirrten, wo auch nach der offiziellen Schlußzeit noch was los war. Mexikaner taten nachts alles mögliche, nur schlafen mochten sie um diese Zeit nicht.
»Hier ist Johnny!« Aus dem Fernseher hinter mir, am Fuß des Bettes, klang Ed McMahons Stimme. Ich hob den Kopf.
Veritas Hände schoben mich wieder zwischen ihre Beine. »Nicht aufhören, Gary. Das ist ja so gut!«
Ich sah auf, betrachtete sie. Auf ihrem Gesicht lag jener eigentümliche Ausdruck fast grimmiger Entschlossenheit, der anzeigte, daß sie zum Orgasmus kommen wollte. Ich ließ drei Finger in sie hineingleiten und bewegte ihren Kitzler zwischen meinen Zähnen sacht hin und her. Deutlich spürte ich, wie sich ihr ganzer Körper spannte, als es ihr kam. Heftig atmete sie aus: ein Stöhnen; gestaute Luft, die jetzt fast explosionsartig entwich. In meinen Händen spürte ich ihr Fleisch, die Schenkel, den Hintern, noch immer zitternd. Allmählich klang es ab. Sie öffnete die Augen.
Sacht bewegte sie den Kopf von Seite zu Seite. »Du machst das so gut, Gary. Keiner kann es so wie du.«
Ich schwieg.
Sie streckte die Hand aus. Ihre Finger spielten in meinem Haar, strichen es mir aus der Stirn. »Ich sehe so gern deinen Blondkopf dort unten zwischen meinen Beinen. Meine Haare sind so dunkel und deine so hell.«
Ich wälzte mich herum, wollte aus dem Bett.
Sie hielt mich zurück. »Mußt du wirklich gehen? Es regnet immer noch. Du kannst heute nacht bei mir bleiben.«
»Ich habe nicht gelogen. Ich bin wirklich verabredet. Es ist wegen einem Job.«
»Wegen einem Job?« fragte sie zweifelnd. »Wer bestellt dich nachts um halb eins zum Gespräch über einen Job?«
Ich griff nach meinen Jeans. »Lonergan.«
»Oh.« Sie stand auf und ging in Richtung Badezimmer. »Ich wasche mich schnell. Bin gleich wieder da. Ich fahre dich hin.«
Im Auto wechselten wir kein Wort, bis sie vor dem »Silver Stud« hielt. Wir waren am Ziel.
»Soll ich auf dich warten?« fragte sie.
»Nein. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird.«
Sie zögerte einen Augenblick. »Er taugt nichts, Gary. Sei vorsichtig.«
Ich sah sie fragend an.
»Er wartet auf Leute, die kein Geld haben. Die saugt er dann aus. Ich kenne Männer und Frauen, die für ihn anschaffen gehen - ja, auf den Strich gehen. Manchmal läßt er den Collector vor unserem Büro auf sie warten; an dem Tag, wenn sie ihren letzten Scheck bekommen. So wie er diesmal auf dich gewartet hat.«
Ich war überrascht: darüber, daß sie den Eintreiber offenbar bemerkt hatte. »Ich habe nicht die Absicht, für irgendwen auf den Strich zu gehen.«
Ihre Augen glänzten. »Hast du Geld?«
»Ich werde schon zurechtkommen.«
Aus ihrem Portemonnaie holte sie einen Zehn-DollarSchein; drückte ihn mir in die Hand. »Nimm«, sagte sie mit ernstem Gesicht. »Ohne Geld in der Tasche sollte niemand zu Lonergan gehen.«
Ich zögerte.
»Ist ja nur geliehen«, fügte sie rasch hinzu. »Du gibst mir’s zurück, wenn du einen Job hast.«
Ich warf einen Blick auf den Schein, nickte dann und steckte ihn weg. »Danke.« Während sie mich noch musterte, beugte ich mich zu ihr und küßte sie.
Der Regen hatte nachgelassen. Ich wartete, bis sich der alte Valiant wieder in Bewegung setzte. Das Auto verschwand. Erst jetzt betrat ich die Silver-Stud-Bar.
Sie war fast leer. Nur ein paar Dreigroschenjungen hockten herum; Berufsschwule, die sich an ihren Drinks festhielten. Blitzschnell taxierten sie mich, ebenso rasch erlosch ihr
Interesse wieder. Ich gehörte nicht zur Klasse derer, auf die sie warteten: Für die reichen Tunten von den Hügeln war’s immer noch zu früh. Ich ging an der Theke vorbei. Um zu Lonergans Büro zu gelangen, mußte man ganz hinten eine Treppe hinauf.
Jetzt sah ich, daß der Collector dort saß: an einem Tisch im Dunkeln, ganz in der Nähe der Treppe. Er hob die Hand. »Lonergan verspätet sich. Er ist noch nicht da.«
Ich nickte.
Er deutete auf einen Stuhl. »Setz dich und nimm einen Drink.«
Ich musterte ihn mit erhobenen Augenbrauen.
Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Grinsen. Hell blitzten seine weißen Zähne in der Dunkelheit. »Ich spendier dir einen. Was darf’s denn sein?«
»Whisky mit Eis.« Ich nahm Platz.
Der Kellner kam, stellte den Drink vor mich hin. Ich nahm einen Schluck, genoß den Geschmack: ein sauberes, frisches Gefühl.
»Du siehst ganz schön geschafft aus, Mann«, sagte der Collector. »So als ob du heute nacht etwas zuviel mexikanischen Chili gegessen hättest.«
»Wie kommt’s, daß Sie über das, was ich tue, so genau im Bilde sind? Ich muß ja wirklich wichtig sein.«
Der Collector lachte. »Du bist nicht wichtig, o nein. Lonergan ist wichtig. Und Lonergan legt nun mal großen Wert darauf, über Leute im Bilde zu sein, mit denen er Geschäfte machen will.«
Lonergan kam so gegen eins. Ohne uns auch nur einen einzigen Blick zuzuwerfen, ging er an unserem Tisch vorbei und stieg, von seinem Leibwächter gefolgt, die Treppe hinauf. Ich erhob mich.
Der Collector winkte mich zurück. »Nur langsam, Mann. Wenn er dich sehen will, läßt er dich holen.«
»Er ist so schnell an uns vorbeigegangen, daß er mich bestimmt nicht bemerkt hat.«
»Er hat dich bemerkt. Dem entgeht nichts.« Auf einen Wink von ihm brachte der Kellner noch einen Drink.
Ich hob mein Glas und ließ den Blick durch die Bar gleiten. Langsam kam Leben in die Bude. Die Tunten von Beverly Hills und Bel Air tauchten auf. Sie hatten inzwischen ihre Dinner-Verpflichtungen mit irgendwelchen »Society-Ladies« hinter sich gebracht und sahen ganz so aus, als wollten sie nach all der Anstrengung endlich zu ihrem Vergnügen kommen. Einer von ihnen bemerkte meine neugierigen Blicke. Offenbar glaubte er, daß ich ihn abtaxierte. Hoffnungsvoll machte er ein paar Schritte auf mich zu. Dann sah er den Collector und ging zur Bar zurück.
Der Collector lachte auf. »Bist ‘n hübscher Junge. Mit deinen hellblonden Haaren könntest du bei solchen Typen groß landen und kräftig abkassieren.«
»Ist das vielleicht der Job, über den Lonergan mit mir reden will?«
»Mann, woher soll ich das wissen? Sowas bindet der mir doch nicht auf die Nase.«
Eine halbe Stunde später winke der Leibwächter vom Fuß der Treppe her. Ich ließ meinen Drink auf dem Tisch stehen und folgte dem Mann nach oben. Er öffnete die Tür zum Büro, schloß sie hinter mir und blieb draußen im Korridor.
Von der Bar drang nicht das leiseste Geräusch herauf. Der Raum war offenbar schalldicht. Schwach nur hörte man das Summen der Klimaanlage. Das Mobiliar wirkte sehr nüchtern, streng sachlich. Ein großer Schreibtisch beherrschte die Szene. Von einer abgeschirmten, runden Lampe fiel Neonlicht auf die Papiere, die auf der Schreibtischplatte lagen.
Lonergan, das Gesicht halb im Schatten verborgen, saß hinter dem Schreibtisch. Er hob den Kopf. »Hallo, Gareth.« Seine Stimme wirkte genauso neutral wie seine Krawatte, wie sein Hemd, wie sein elegantes Jackett mit den drei Knöpfen.
»Hallo, Onkel John.« Ich rührte mich nicht von der Stelle; machte keine Bewegung auf den Stuhl zu, der vor dem Schreibtisch stand.
»Setz dich«, sagte er.
Wortlos nahm ich auf dem Stuhl mit der steifen Rückenlehne Platz.
»Deine Mutter hat seit über zwei Monaten nichts von dir gehört. «
Ich schwieg.
Aus seiner Stimme klang kein Vorwurf. »Sie macht sich deinetwegen Sorgen.«
»Ich dachte, du hältst sie auf dem laufenden.«
»Das tu ich nicht«, erwiderte er kurz. »Du kennst meine Devise. Aus Familienangelegenheiten halte ich mich raus. Sie ist meine Schwester, du bist ihr Sohn. Wenn es zwischen euch Kommunikationsprobleme gibt, so müßt ihr sie selber lösen.«
»Warum sprichst du dann davon?«
»Weil sie mich darum gebeten hat.«
Ich wollte aufstehen. Er hob die Hand. »Wir sind noch nicht fertig. Ich habe ein Angebot für dich, wie du weißt.«
»Der Collector sagt, es handelt sich um einen Job.«
Er schüttelte den Kopf. »Menschen sind nun mal dumm. Wenn sie was ausrichten sollen, bringen sie’s durcheinander.«
»Okay«, sagte ich.
Hinter der kleinen, altmodischen Brille mit den in Gold gefaßten Gläsern funkelten seine Augen. »Für die Rolle, die du dir zurechtgeschneidert hast, wirst du langsam ein bißchen alt. Hippies um die Dreißig wirken irgendwie deplaziert.«
Ich schwieg.
»Kerouac, Ginsberg, Leary - sie alle verschwinden ziemlich rasch im Gestern. Nicht mal das ganz junge Volk hört da noch zu.«
Ich fischte meine letzte Zigarette hervor, steckte sie an. Worauf er hinauswollte, wußte ich nicht.
»Deine Helden, wohin sind sie entschwunden?«
»Ich habe nie irgendwelche Helden gehabt. Vielleicht mit einer einzigen Ausnahme, und die warst du. Aber damit ist’s vorbei seit dem Tag, als sich mein Vater umgebracht hat.«
Seine Stimme klang ausdruckslos. »Dein Vater war ein Schwächling.«
»Mein Vater konnte den Gedanken nicht ertragen, für dich in den Knast zu gehen. Und deshalb wählte er die schnellere Methode.«
»Die paar Jährchen hätte er auf einer Backe abgesessen. Und nach seiner Entlassung hätte er dann gelebt wie die Made im Speck.«
»Wenn das so leicht war, warum hast du es dann nicht getan?«
Ein schattenhaftes Lächeln glitt über seine Lippen. »Weil ich ein Geschäft habe, um das ich mich kümmern muß. Das wußte dein Vater, als wir unsere Abmachung trafen.«
Wortlos zog ich an meiner Zigarette.
Er nahm ein Stück Papier vom Schreibtisch. »Weißt du, daß du nicht mal mehr das FBI interessierst? Man war dort der Meinung, daß es sich nicht lohne, dich im Auge zu behalten.«
Ich lächelte. »Nicht sehr schmeichelhaft, wie?«
»Möchtest du wissen, weshalb?« Er wartete meine Antwort nicht ab. »Du warst denen zu intellektuell. Sie meinten, du würdest nie einen guten Revolutionär abgeben. Du sahst ja immer beide Seiten eines Problems und fandest auch für beide Argumente.«
»Und trotzdem haben die sich die Mühe gemacht, mir jeden Job zu versauen, den ich gekriegt hatte?«
»Das war, bevor sie bei dir klarsahen. Jetzt ist ihnen das egal.«
»Hilft mir jetzt bloß nichts mehr. Die Schweinerei ist komplett. Überall, wo ich vielleicht einen Job kriegen könnte, ist man über die Geschichte im Bilde.«
»Deshalb habe ich dich ja herbestellt.« Er schwieg einen Augenblick. »Vielleicht ist es an der Zeit, daß du auf eigene Faust was versuchst - geschäftlich selbständig wirst.«
»Als was? Als Taxifahrer? Willst du mir ein Taxi kaufen, Onkel John?«
»Nein. Aber wie wär’s mit einer eigenen Wochenzeitschrift?«
Ich starrte ihn mit offenem Mund an. »Das soll wohl ein Witz sein.«
»Nein.« Wieder klang seine Stimme völlig ausdruckslos.
»Irgendwo hat die Sache doch einen Haken. Ich meine, dabei muß doch was für dich rausspringen.«
»Sicher. Tut’s auch. Was den Inseratenteil betrifft, so ist das ganz und gar meine Sache. Mit dem Rest der Zeitschrift kannst du anstellen, was du willst. Bring dort, was immer dir in den Kram paßt. Mir soll das egal sein.«
»Die Inserate bringen das Geld. Und wie komme ich zu was?«
»Durch die verkaufte Auflage. Was da an Reingewinn bleibt, gehört dir. Außerdem beteilige ich mich an den Kosten
- mit zehn Prozent von meinem Profit aus den Anzeigen.«
»Wem soll die Zeitschrift gehören?«
»Dir.«
»Wo kommt das Startkapital her?«
»Nicht nötig«, erwiderte er. »Das Blatt hat seinen Start bereits hinter sich. Hast es vielleicht schon mal hier oder dort gesehen. Der Hollywood Express.«
Ich drückte meine Zigarette aus. Für einen Augenblick hatte ich so etwas wie eine freudige Erregung verspürt. Damit war’s jetzt vorbei. Der Hollywood Express war das, was man ein Wegwerfblatt nennt. Ab und zu fand sich ein Exemplar davon in meinem Briefkasten.
Ich wußte, was er dachte. »Was hast du denn erwartet? Die Los Angeles Times?«
»Der Express ist keine Zeitung oder Zeitschrift.«
»Das ist Ansichtssache«, sagte er. »Für mich sind acht bedruckte Seiten Zeitungspapier eine Zeitung oder Zeitschrift.«
Ich versuchte, eine Zigarette hervorzufischen, doch das leere Päckchen gab nichts mehr her. Über den Schreibtisch hinweg schob er mir eine Schachtel zu. Ich nahm eine Zigarette heraus, steckte sie an.
»Arbeitslosenunterstützung beziehst du nicht mehr«, sagte er. »Und es gibt keine Zeitungs- oder Zeitschriftenredaktion, wo man dich nehmen würde; das weißt du. Als freier Schriftsteller, der seine Sachen an Magazine verkauft, seien es nun gewöhnliche oder hochnoble, könntest du dich nicht durchschlagen. Dafür schreibst du einfach nicht gut genug. Und was deinen Roman betrifft - nun, der ist von allen Verlagen abgelehnt worden.«
»Warum ausgerechnet ich, Onkel John?« fragte ich. »Du mußt doch einen Besseren auf deiner Liste haben.«
Er sah mich an. »Verbuch es auf das Konto Eitelkeit.« Er gestattete sich ein schwaches Lächeln. »In dir steckt was - da tut sich was, könnte man sagen. Was es ist? Nun, vielleicht die Art und Weise, wie du dich selbst siehst. Oder die Gesellschaft. Du begegnest allem mit Skepsis. Und trotzdem glaubst du noch an die Menschen. Reimt sich einfach nicht zusammen.
Jedenfalls nicht für mich.« Abrupt wechselte er das Thema. »Wie lange ist es eigentlich her, seit du aus der Army bist?«
»Fünf Jahre. Nach meiner Rückkehr aus Vietnam behielten sie mich noch ein Jahr lang bei dem Verein. Gefiel ihnen wohl nicht, der Gedanke. Ich meine, daß nach seiner Entlassung aus der Army ausgerechnet ein Green Beret gegen den Krieg protestiert.«
»Als ehemaliger GI hättest du Anrecht auf ein Darlehen, und mit Hilfe dieses GI-Darlehens könntest du die Zeitschrift übernehmen«, sagte er.
»Mit der Sache ist es dir wirklich ernst, wie?« Die Überraschung in meiner Stimme war nicht zu überhören.
»Bei geschäftlichen Dingen ist es mir immer ernst«, erklärte
er.
»Und was springt für dich dabei heraus?«
Er nahm seine Brille ab, putzte die Gläser, setzte die Brille wieder auf. In seinen Augen war ein harter heller Glanz. »Vier Seiten Inserate zu tausend Dollar je Seite. Macht mithin viertausend Dollar pro Woche.«
»Ausgeschlossen. Bei dem Wurstblatt verkaufen sich pro Monat nicht einmal zehn Zeilen.«
»Das ist mein Problem. Für die zehn Prozent, die du von mir bekommst, hast du nichts weiter zu tun, als die Seiten zu füllen.«
»Wie meinst du das? Daß ich mir den Text aus den Fingern sauge? Einfach so?«
Er nickte.
»Wer bezahlt das?«
Er zuckte mit den Achseln. »Das Geld kommt bar herein. Pro Zeile ein Dollar, pro Inserat jeweils vier bis zehn Dollar. Das läuft über die Werbeagentur, und du streichst deine zehn Prozent ein.«
Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Bei meinem Onkel waren Bargeschäfte an der Tagesordnung, und mit Hilfe dieser Methode konnte er das Geld ziemlich überzeugend »sauberwaschen«. Wollte man sonst, unter der Hand, »schwarzes« Geld in »weißes« verwandeln, so hatte man für vierzig Dollar jeweils fünfzig hinzublättern; das war der übliche Kurs. Mit Hilfe dieser Inseraten-Masche würde der Spaß meinen Onkel nur zehn Prozent kosten. »Das muß ich mir durch den Kopf gehen lassen«, sagte ich.
»Tu das. Bill wird dich morgen früh abholen und zu dem Blatt fahren, damit du dir den Laden ansehen kannst.«
»Bill?«
»Der Collector.«
»Oh.« Irgendwie verblüffte es mich, daß dieser Kerl überhaupt einen Namen hatte. Ich stand auf.
»Morgen nacht kommst du zur selben Zeit wieder her und gibst mir deine Antwort.«
»Okay.« Ich wandte mich zum Gehen.
Der Regen verdunstete auf dem Beton, und von den Straßen stieg ein eigentümlich dumpfer Geruch auf. Je weiter man nach East Los Angeles kam, desto enger wurden die Straßen. Die alten Häuser lehnten aneinander, als müßten sie sich gegenseitig stützen. Kein Licht brannte, und die Straßen lagen fast völlig im Dunkeln. Doch in den Schatten spürte ich Leben und Bewegung. Es war etwas, das ich gleichsam witterte, denn sehen konnte ich nichts. Plötzlich wurde mir bewußt, daß ich in der Mitte der Straße ging, während meine Augen die Dunkelheit durchforschten. Fast war es, als sei ich nach Vietnam zurückgekehrt.
Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, durchzudrehen. Du bist hier in Los Angeles, sagte ich mir vor. Du gehst eine Straße entlang, eine Straße in der Stadt und nicht einen Dschungelpfad.
Ich sah nichts. Ich hörte nichts. Doch ich wußte, daß dort etwas war, und ließ mich zur Seite fallen. In der Dunkelheit pfiff der Totschläger an meinem Kopf vorbei.
Als ich mich aufrichtete, stand er dort, auf dem braunen Gesicht ein dümmliches Grinsen. Schlaff baumelte von seiner rechten Hand der Totschläger, in der linken hielt er die unvermeidliche Flasche. »Dir zieh ich eins über, Weißer«, sagte er.
Sein Blick war verschwommen, und er schwankte leicht: wie im Rhythmus einer Musik, die nur er hören konnte. »Ich zieh dir eins über, Weißer«, wiederholte er, auf dem Gesicht noch immer das dümmliche, leere Lächeln.
Ich fixierte ihn, versuchte seinen Heroinnebel zu durchdringen. »Tu das, und ich bring dich um«, sagte ich mit ruhiger Stimme.
Schroff schien die Musik in seinem Kopf abzubrechen. Er schwankte nicht länger. Mühsam versuchte er, mich deutlicher ins Auge zu fassen. Seine Stimme klang verwirrt. »Mich umbringen? Aber warum denn? Hab dir doch nichts getan.«
Ein Auto bog um die Ecke, das Licht der Scheinwerfer fiel auf ihn. Zum ersten Mal konnte ich ihn deutlich sehen. Er war noch ein halbes Kind. Siebzehn. Vielleicht achtzehn. Das Gesicht noch voller Pickel, über die auch sein dünner Bart nicht hinwegtäuschen konnte. Langsam traten wir zurück: jeder auf seine Seite der Straße, damit das Auto zwischen uns hindurch konnte.
Es fuhr vorüber, und ich sah, daß er wieder zurückgetaucht war in die tiefen Schatten. Sorgsam suchte ich mit meinen Augen die Straße ab, konnte jedoch nirgends etwas entdecken. Dennoch setzte ich mich erst in Bewegung, als mir das Radar in meinem Kopf meldete, daß er wirklich verschwunden war. Dann kehrte ich zur Straßenmitte zurück und ging weiter.
Du wirst alt und sentimental, Gareth, sagte ich zu mir selbst. Schlimmer noch: dumm. Mitleid mit einem Junkie? Was soll das? Mit seinem Totschläger hätte er dir den Schädel zerschmettern können. Und trotzdem tat er mir leid. Es war nun mal so: Wußte man nicht, wie wunderbar man sich mit Hilfe einer Spritze für eine Weile von allem Schmerz befreien konnte, so fühlte man da vielleicht anders. Aber wenn man’s wußte, so konnte man nur ein tiefes Bedauern empfinden. Denn die Erlösung war immer nur kurz, das Grauen dafür um so schlimmer. In Vietnam hatte ich erlebt, daß mehr Männer der Nadel zum Opfer fielen als den Kugeln.
Es war bereits halb vier, als ich endlich Veritas Haustür erreichte. Ich drückte auf die Klingel. Nach Sekunden erklang aus der Sprechanlage ihre Stimme, dünn, furchtsam. »Wer ist denn da?«
»Gareth. Darf ich nach oben kommen?«
»Stimmt irgend etwas nicht?«
»Doch, doch. Soweit ist alles in Ordnung. Aber ich muß mit dir reden.«
Ich hörte ein Surren, drückte die Tür auf. Bald war ich oben. Verita wartete am Eingang auf mich. Ich folgte ihr in die Wohnung, und sie Schloß die Tür hinter uns zu.
»Tut mir leid, wenn ich dich aufgeweckt habe.«
»Macht nichts. Ich konnte sowieso nicht richtig schlafen.« Aus dem Schlafzimmer hörte man den Fernseher. Ich zog den Zehn-Dollar-Schein hervor, den sie mir gegeben hatte. »Hab das Geld nicht gebraucht«, sagte ich. »Da, nimm nur.«
»Deshalb brauchtest du doch nicht zurückkommen.«
»Nimm, bitte. Es ist mir wirklich lieber.«
Sie tat’s. »Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
»Ja, gern.«
Während sie den Kaffee machte, setzte ich mich an den Tisch. Sie reichte mir eine Tasse, nahm dann mir gegenüber Platz. Fragend sah sie mich an.
Ich schlürfte vorsichtig. Der Kaffee war heiß und stark. »Könnte sein«, sagte ich und begegnete ihrem Blick, »daß ich mir irgendwo was geholt und dich dann angesteckt habe.«
Zwei oder drei Sekunden blieb sie still. Doch als sie dann sprach, klang aus ihrer Stimme kein Vorwurf und keine Wehleidigkeit. »Warum hast du nicht schon früher was gesagt?«
»Weil ich’s nicht wußte.«
»Du solltest dir besser eine Penizillinspritze verpassen lassen.«
Sie schlürfte ihren Kaffee.
»Hast du eine Zigarette?« fragte ich.
Sie nickte. Aus einer Schublade holte sie ein Päckchen und reichte es mir. »Tut mir leid«, sagte ich. »Wenn du willst, gehe ich jetzt.«
»Nein«, erwiderte sie sofort. »Ich bin nicht böse auf dich. Die meisten Männer hätten nichts gesagt. Ich werde morgen zum Arzt gehen.«
»Das Geld für die Spritze bekommst du von mir, sobald ich was habe.«
»Sie wird nichts kosten. Mein Arzt arbeitet in der Klinik.« Sie schwieg einen Augenblick. »Hatte Lonergan keinen Job für dich?«
»Einen Job nicht, nein. Er will, daß ich eine Zeitung kaufe.«
»Eine Zeitung? Kaufen!? Ist er verrückt?«
»Klar ist er das. Doch das ist eine andere Geschichte.«
»Und woher sollst du das Geld dafür nehmen?«
»Als Ex-GI hätte ich wohl Anspruch auf ein Darlehen. Lonergan meint jedenfalls, er könnte mir eins verschaffen.«
»Und was springt für ihn dabei heraus?« fragte sie mißtrauisch.
»Der Anzeigenteil. Das läuft über seine Gesellschaft.«
»Was für eine Zeitung soll das bloß sein, die man so einfach kaufen kann.«
»Genaugenommen ist es keine Zeitung, sondern eine Zeitschrift. Der Hollywood Express.«
»Ach, das Blatt«, sagte sie mit sonderbarer Betonung.
»Weißt du irgendwas darüber?« fragte ich. »Dann sag’s mir.«
»Es taugt nichts«, erklärte sie und schüttelte den Kopf. »Damit gibt es immer nur Ärger.«
»Inwiefern?«
»Im Büro haben wir eine Liste. Von Arbeitgebern und Firmen, die sich beim Finanzamt was haben zuschulden kommen lassen und die fälligen Steuern nicht bezahlen. Der Express steht mit dreißigtausend zu Buche. Plus Zinsen. Wenn du das Blatt kaufst, könntest du zahlungspflichtig werden.«
»Meinst du, daß Lonergan das weiß?«
»Er weiß ja sonst auch immer alles«, erwiderte sie ohne Umschweife.
Ich nickte. In der Tat: so etwas würde seiner
Aufmerksamkeit nie entgehen. Was mochte er nur im Schilde führen? Mich in eine solche Klemme bringen - nein, davon hatte er nichts, das war für ihn die Mühe nicht wert.
»Hast du eingewilligt?« fragte sie.
»Ich habe ihm gesagt, daß ich’s mir überlegen will. Morgen, nein, heute früh soll ich mir den Laden mal ansehen.«
Sie griff nach einer Zigarette. »Ich wäre gern dabei.«
»Weshalb? Was könntest du tun?«
»Vielleicht nichts. Aber ich bin amtlich zugelassener Wirtschaftsprüfer. Und so verstehe ich mich zumindest auf die Bücher.«
»So richtig amtlich zugelassen?«
Sie nickte.
»Was tust du dann bei der Arbeitslosenfürsorge?« Bevor ich mich unter Kontrolle hatte, war die Frage heraus. Eine idiotische Frage. Denn für eine Chicana mußte es natürlich verteufelt schwer sein, einen Job als Wirtschaftsprüfer zu bekommen. »Ich wäre dir dankbar, wenn du mitkommen würdest«, sagte ich.
Sie lächelte. »Okay. Um welche Zeit?«
»Der Collector holt mich am Morgen ab. Ich werde jetzt machen, daß ich nach Hause komme. Dann kannst du noch etwas schlafen.«
»Es ist jetzt nach vier. Du bleibst besser hier. Am Morgen fahre ich dich dann rüber.«
»Aber was ist mit deinem Dienst?«
»Wir haben doch Samstag.« Sie nahm die Kaffeetassen und stellte sie ins Spülbecken. »Das Büro ist geschlossen.«
Als wir um zehn Uhr vormittags zu meinem Haus kamen, wartete dort bereits der Collector in seinem roten Jaguar. Ich trat auf das Auto zu, steckte den Kopf durchs Fenster. »Schlafen Sie eigentlich nie?« fragte ich.
Er grinste. »Nicht, wenn ich für Lonergan arbeite.« Im Rückspiegel blickte er zu Veritas altem Valiant. »Wie hat’s die Puppe denn aufgenommen, das mit dem Tripper?«
»Sie trägt mir nichts nach.«
»Hab ich mir schon gedacht, als ich sah, daß sie dich zur Klinik in Cedars fuhr. Habt ihr euch eure Spritzen verpassen lassen?«
Ich nickte. »Ich kapiere das einfach nicht. Ich meine, Lonergan läßt mich von Ihnen beschatten - man sollte eigentlich annehmen, er hätte wichtigere Aufgaben für Sie.«
»Ich tu, was man mir sagt.« Er zog eine Zigarette hervor, steckte sie sich zwischen die Lippen. »Was ist? Kann’s losgehen?«
»Ich will nur nach oben und mich umziehen. Dann können wir drei losfahren.«
»Drei?«
Mit dem Kopf wies ich auf Verita, die ausgestiegen war und sich uns näherte. »Sie kommt mit.«
»Wozu? Von ihr hat Lonergan nichts gesagt.«
»Sie ist meine Buchprüferin. Schließlich weiß auch Lonergan, daß niemand eine Firma oder einen Betrieb übernimmt, wenn er die Bücher nicht von einem Experten seines Vertrauens hat prüfen lassen.«
Zum ersten Mal war es mir gelungen, ihn in seiner Selbstsicherheit zu beirren. »So? Na, ich weiß nicht.«
Ich deutete auf das Telefon unter seinem Armaturenbrett. »Rufen Sie ihn doch an und fragen Sie ihn. Ich gehe inzwischen nach oben. Wenn’s okay ist, hupen Sie, und ich komme runter. Wenn nicht, dann vergessen wir die ganze Geschichte.«
Während er nach dem Hörer griff, betraten wir das Haus. Verita folgte mir die Treppe hinauf und in die Wohnung. Ich öffnete die Tür und starrte verblüfft. Noch nie hatte das Appartement so ausgesehen.
Hier war so gründlich saubergemacht worden, daß selbst die Fenster und das schäbige Mobiliar glänzten. Und als ich ins Schlafzimmer trat, sah ich, daß alle meine Hemden gewaschen und gebügelt waren; und gebügelt waren praktisch auch sämtliche anderen Kleidungsstücke.
»Du hast ja großes Talent als Hausfrau«, sagte Verita. »Das hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen.«
Bevor ich antworten konnte, öffnete sich die Badezimmertür, und der Junge kam heraus. Bis auf die umgebundene Schürze war er nackt. In der einen Hand hielt er eine Flasche Reinigungsmittel, in der anderen eine Bürste. Er starrte uns an. »Wer seid ihr?« fragte er.
»Ich bin Gareth«, sagte ich. »Ich wohne hier.«
Sein Gesicht hellte sich auf, ein strahlendes Lächeln erschien. »Oh, Gareth, ich liebe dich«, sagte er. »Ich möchte für dich saubermachen und kochen und waschen und bügeln. Ich möchte dein Sklave sein.«
Im selben Augenblick kam vom Jaguar unten ein lautes Hupen. Verwirrt sah ich zu Verita, schaute dann wieder zu dem jungen Mann. Alles schien so überaus konfus.
Die Büroräume des Hollywood Express befanden sich in einem schäbigen Gebäude am Santa Monica Boulevard, etwa einen Häuserblock von den Goldwyn-Studios entfernt. Der Collector parkte seinen Jaguar an einer Stelle, wo absolutes Parkverbot bestand. Nicht nur das. Zu allem verstand er es auch noch, seinen Wagen so zu placieren, daß er an der nahen Bushaltestelle die haltenden Busse behindern mußte. Für Verkehrszeichen schien der Collector nichts als Verachtung übrig zu haben.
Im Parterre des Gebäudes waren die Fensterscheiben mit schmutzigweißer Farbe gestrichen, so daß man nicht in die Räume blicken konnte. Darauf hatte man schwarze Buchstaben gepinselt: den Namen des Blattes.
Der Collector öffnete die Tür und trat ein. Den Wänden des Raums entlang standen acht oder neun verwaiste Schreibtische. Ganz hinten befand sich ein großes Wandbrett, auf dem mit roten, gelben und blauen Haftnadeln alle möglichen Papiere aufgespießt waren.
»Ist hier jemand?« rief der Collector.
In einem Hinterzimmer knarrte eine Tür. Dann trat ein Mann mittleren Alters ein, ein müder, schlaffer Typ. Er trocknete sich die Hände mit einem Papierhandtuch, das er achtlos fallen ließ, während er auf uns zukam.
»Sie haben sich um eine Stunde verspätet«, sagte er vorwurfsvoll.
»Ach was.« Der Collector musterte ihn. »Ich bin nicht zu spät. Sie sind zu früh gekommen.«
»Aber Lonergan hat doch gesagt -« Unter dem starren Blick des Collectors verstummte der Mann.
Der Collector deutete in meine Richtung. »Gareth Brendan, Joe Persky.«
Freudlos schüttelte mir der Mann die Hand. Selbst in seinem kleinen Finger schien eine tiefe Müdigkeit zu sitzen. »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
Ich nickte. »Das ist Verita Velasquez, meine Buchhalterin.«
Er gab ihr die Hand, blickte dann wieder zu mir. »Lonergan hat gesagt, Sie seien daran interessiert, das Blatt zu kaufen.«
»Freut mich, daß er Ihnen das gesagt hat. Ich habe erst vergangene Nacht davon erfahren.«
Persky wandte sich wieder dem Collector zu. Zum ersten Mal wurde in seiner Stimme so etwas wie eine Emotion spürbar.
»Was, zum Teufel, dreht Lonergan da? Er hat mir gesagt, er hätte einen echten Kaufinteressenten.«
Der Collector musterte ihn wortlos.
Persky blickte wieder zu mir. »Sind Sie nun interessiert oder nicht?«
»Vielleicht. Das kommt ganz darauf an. Ich möchte mir Ihren Betrieb erst mal ansehen. Dann kann ich mich entscheiden.«
»Da gibt’s nichts weiter zu sehen. Ist alles hier.«
»Das hört sich nicht so an, als ob Sie verkaufen wollen. Vielleicht vergessen wir die ganze Sache am besten.«
»Er hat keine Wahl«, sagte der Collector. »Lonergan sagt, daß er verkaufen will.«
Einen Augenblick herrschte Schweigen. Dann schien der Mann seinen Zorn nur noch mit Mühe zu beherrschen. »Also, was wollen Sie wissen?« fragte er.
»Das Übliche. Auflagenhöhe, verkaufte Auflage, Einkünfte aus dem Anzeigenteil, laufende Kosten. Wenn Sie Miß Velasquez Ihre Bücher zeigen, können wir bestimmt alles erfahren, was wir erfahren wollen.«
Er musterte mich verdrossen. »So richtig Buch geführt haben wir nie.«
»Irgendwelche Unterlagen müssen Sie doch haben. Ohne die entsprechenden Informationen wären Sie doch aufgeschmissen.«
»Ach was. Bei mir lief praktisch alles im Barverkehr. Das Geld kam rein, und wenn’s da war, bezahlte ich. Das ist alles.«
Ich blickte zum Collector. »Weiß Lonergan das?«
Der Collector hob die Schultern. Dumme Frage von mir. Natürlich wußte Lonergan Bescheid. Ich sah wieder zu Persky. »Ein paar Zahlen werden Sie doch zur Verfügung haben. Schließlich mußten Sie eine Steuererklärung abgeben.«
»Davon habe ich keine Kopien.«
»Irgend jemand muß welche haben. Ihr Buchhalter?«
»Hab keinen gehabt. Hab alles selber gemacht. Sogar in die Briefkästen hab ich das Blatt selbst gesteckt.«
Ich hatte genug. Wenn Lonergan glaubte, daß ich verrückt sei - so verrückt, mich auf diese faule Sache einzulassen -, dann war er jedenfalls verrückter als ich.
»Gehen wir«, sagte ich zum Collector.
Für den Bruchteil einer Sekunde stand der Collector völlig bewegungslos. Dann schoß seine Hand so blitzschnell vor, daß ich sie kaum sah. Persky wurde mit dem Rücken gegen einen Schreibtisch geschleudert. Er preßte beide Hände gegen seinen Leib, krümmte sich. In seiner Kehle würgte es, er schien sich übergeben zu müssen.
Der Collector sagte mit unbewegter Stimme: »Gib dem Mann die Informationen, die er haben will.«
Aus Perskys Kehle klang es wie ein Krächzen. »Woher weiß ich, daß die beiden hier nicht von der Steuerfahndung sind? Und ich brauche ja kein Belastungsmaterial gegen mich selbst zu liefern.«
»Bist wohl beknackt! Von der Steuerfahndung würde doch keiner Lonergan seinen Kies wiederbeschaffen.«
Langsam richtete Persky sich auf. In sein Gesicht kehrte die normale Färbung zurück. »Hier habe ich die Bücher nicht. Die sind in meiner Wohnung.«
»Dann werden wir sie uns halt dort ansehen«, sagte ich. »Wo ist Ihre Wohnung?«
»Oben«, erwiderte er. »Über dem Laden.«
Verita legte die Geschäftsbücher und einen Stapel Papiere auf den Küchentisch. »Wird eine Weile dauern, bis ich hiermit fertig bin.«
»Wie lange?« fragte ich.
»Kann sein, daß ich den ganzen Tag dafür brauche. Es ist ein einziges Durcheinander.« Sie blickte zu Persky. »Haben Sie vielleicht einen Schreibblock, in vier Spalten unterteilt?«
»Was Sie sehen, ist alles, was ich habe.«
»Dann werde ich mich zu einem Schreibwarengeschäft aufmachen und mir besorgen, was ich brauche«, sagte sie.
Nachdem sie verschwunden war, fragte Persky: »Möchten Sie ein Bier?«
»Ja, gern«, sagte ich.
Ich folgte ihm in die Küche. Er nahm zwei Dosen Bier aus dem Kühlschrank, reichte mir eine. »Haben Sie schon mal eine Zeitung oder Zeitschrift herausgegeben?« fragte er.
»Nein.«
Ich ließ mir das Bier in die Kehle laufen. Wir tranken gleich aus der Dose. Das Bier war nicht kalt, nur leidlich kühl.
Er bemerkte meinen Gesichtsausdruck. »Der verdammte Kühlschrank ist nicht richtig in Ordnung. Manchmal funktioniert er, manchmal nicht. Wenn Sie nie ein Blatt herausgegeben haben, wieso sind Sie dann an diesem interessiert?«
»Ich habe nicht gesagt, daß ich interessiert bin. Es war Lonergans Idee.«
»Aus welchem Grund nimmt er an, daß Sie so etwas überhaupt können?«
»Keine Ahnung. Vielleicht, weil ich früher für Magazine geschrieben und daran mitgearbeitet habe.«
»Aber das ist doch ein ganz anderes Paar Schuhe«, sagte er. Ein eigentümliches Lächeln glitt über sein Gesicht. »Hat Lonergan Sie wohl auch am Arsch.«
»Nein. Ich bin mit ihm klar.« Was sogar stimmte: Im Augenblick schuldete ich ihm nichts.
Er schwieg einige Sekunden. »Sehen Sie sich bloß vor. Lonergan hat inzwischen die halbe Welt am Arsch. Jetzt ist er darauf aus, auch noch den Rest abzuklemmen.«
Ich blieb stumm.
Zum ersten Mal zeigte sich auf seinem Gesicht ein Ausdruck von Interesse. »Geschrieben haben Sie, sagen Sie? Was denn so?«
»Artikel, Kommentare, Lyrik, Prosa. Ich habe mich an allem versucht.«
»Und? Hat’s was getaugt?«
»Nicht allzu viel.«
»Wenn ich als Schriftsteller auch nur halbwegs was auf dem Kasten hätte, wäre ich zufrieden. Aber ich bringe keinen einzigen anständigen Satz zusammen. Früher hab ich mir das mal eingebildet. So bin ich auch bei diesem Blatt gelandet.«
»Was haben Sie denn vorher gemacht?«
»Ich habe für verschiedene Blätter dieser Art gearbeitet. War das, was man Vertriebsleiter nennt - für den Absatz zuständig. Die machten sich alle recht gut, und viel Mühe kostete es auch nicht. Als sich dann die Chance bot, dies hier zu kriegen, griff ich zu.« Er atmete tief durch. »War aber alles andere als ein Honigschlecken.«
»Wie sind Sie denn an Lonergan geraten?«
»Na, wie gerät man schon an Lonergan? Man ist ein bißchen knapp bei Kasse. Er hilft einem aus. Und schon steht man richtig in der Kreide, und er hat einen beim Arsch.«
»Sie hatten doch ein Geschäft. Da konnten Sie sich doch an die Banken wenden.«
»Ach, Scheiß. Bei denen war ich gleich beim ersten Mal durch.«
»Wieviel schulden Sie Lonergan?«
»Teufel, was weiß ich. Wie soll man da auf dem laufenden bleiben bei diesem verrückten Sechs-für-fünf-System, Woche für Woche? Das wächst sich zur Lawine aus und deckt einen komplett zu. Würde mich nicht wundern, wenn ich inzwischen mit einer Million bei ihm in der Kreide stehe.«
Als Verita abends um sechs mit allem fertig war, stellte sich heraus, daß er Lonergan neunzehntausend Dollar schuldete. Dazu kamen noch achttausend Dollar für Drucker sowie Lieferanten und siebenunddreißigtausend Dollar an Steuerschulden. An Aktivposten - wenn man’s so nennen wollte - blieb praktisch nichts außer ein paar lumpigen alten Schreibtischen.
»Vierundsechzigtausend Dollar«, sagte ich. »Eine runde Summe.«
Er starrte auf den gelben Bogen Papier, der mit Veritas kleinen, sehr säuberlich geschriebenen Zahlen bedeckt war. Mit belegter Stimme sagte er: »Allmächtiger! Ich wußte ja, daß es viel war, aber wenn man’s so sieht, dann - dann kriegt man’s mit der Angst.«
Verita versuchte, ihn zu beschwichtigen. »Zu veräußern haben Sie praktisch nichts. Das beste wäre es, wenn Sie Ihren Bankrott erklären.«
Er starrte sie an. »Wäre ich damit auch meine Steuerschulden los?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Steuerschulden werden nicht erlassen.«
»Und Lonergan hätte ich auch nicht vom Hals. Der läßt sich durch niemanden und nichts um was bringen. Wer das versucht, ist total geliefert.« Seine Stimme klang dumpf. Er blickte zu mir. »Was tun wir jetzt?«
Er tat mir leid. Dann stieg Wut in mir auf, gegen mich selbst. Ich hatte ganz einfach mit zu vielen Leuten Mitleid. Sogar die Gelben hatten mir leid getan, die ich in Vietnam ins Visier bekam. Als ich das erste Mal auf einen zielte, brachte ich’s nicht fertig, den Finger am Abzug durchzukrümmen. Erst als rund um mich das Buschwerk von Kugeln zerfetzt wurde und ich begriff, daß der dort mein Feind war, tat mir niemand mehr leid, und ich drückte ab.
Ich hätte damals von vornherein kein Mitleid empfinden dürfen. Und jetzt? Jetzt war das nicht anders. Ich hatte einfach nicht das Recht zu einem solchen Gefühl; mir selbst gegenüber nicht.
Mitleid - für wen denn? Für den jungen Burschen, der mir in der vergangenen Nacht beinahe den Schädel eingeschlagen hatte? Oder für dieses Arschloch hier, das bereit war, Lonergan bei jeder Gemeinheit zu helfen, durch die der mich reinlegen wollte?
Ich blickte zu Verita. »Gehen wir. Diesen Hollywood Express lassen wir besser sausen.«
Sie stand auf. Persky griff nach meinem Arm. »Aber Lonergan hat doch gesagt -«
Mit einem Ruck schüttelte ich ihn von mir ab. »Mir doch scheißegal, was Lonergan gesagt hat. Wenn Lonergan Ihr Blatt haben will, soll er’s selber kaufen. Mit seinem eigenen Geld, nicht mit meinem.«
»Der Collector kommt um sieben, um Sie abzuholen. Was soll ich ihm sagen?«
»Sagen Sie ihm, was ich zu Ihnen gesagt habe. Er kann das dann ja Lonergan ausrichten. Ich mache jetzt, daß ich nach Hause komme.«
Verita hatte ihr Auto in der Nähe meiner Wohnung stehenlassen, und so gingen wir zu Fuß zurück. Rund eine Stunde brauchten wir.
»Ich werde jetzt nach Hause fahren«, sagte sie, als wir das Haus erreichten.
»Nein, komm mit nach oben. Ich habe eine Flasche Wein, trinken wir ein Gläschen. Ich möchte dir für das danken, was du getan hast.«
Sie lachte. »Es hat mir Spaß gemacht. Für diese Art von Arbeit bin ich immerhin sechs Jahre lang ausgebildet worden. Heute hatte ich zum ersten Mal die Gelegenheit, sie auch auszuüben.«
Sie betrachtete mich aus den Winkeln ihrer leicht mandelförmigen Augen. »Aber - dieser junge Mann?«
Ich lächelte sie an. »Der ist inzwischen wahrscheinlich verschwunden.« Doch ich irrte mich.
Als wir durch die Tür traten, empfing uns der köstliche Geruch von Roastbeef. Der Tisch war für zwei gedeckt -Porzellan, Kristall, Stoffservietten, schweres Silberzeug, auch Kerzen.
»Du lebst aber ganz gut«, sagte Verita und sah mich an.
»All das Zeug gehört mir nicht. Das hab ich noch nie gesehen.«
Ich ging in die Küche. Der junge Mann stand am Herd. Er trug weiße Leinenhosen, eine karierte Jacke, ein seidenes Hemd und - nachlässig umgebunden - eine Foulard-Krawatte von St. Laurent.
Als ich eintrat, drehte er sich um. »Das Essen ist in ungefähr zwanzig Minuten fertig.« Er lächelte. »Geh nur wieder ins Zimmer und entspann dich. Ich bin gleich zur Stelle, um dir einen Drink zu machen.«
Ohne eine Antwort ging ich ins Wohnzimmer zurück. »Er sagt, er wird gleich kommen, um uns einen Drink zu machen«, erklärte ich mit einer Stimme, aus der deutlich meine Verwirrung klang.
Sie lachte. »Na, da scheinst du dir diesmal ja ein As gezogen zu haben.«
Der Junge kam aus der Küche, trat zu dem kleinen Schränkten an der Wand und öffnete es. Im Fach standen, säuberlich aufgereiht, die Flaschen - Wodka, Gin, Vermouth. Wortlos nahm er aus einem goldglänzenden Eimer ein paar Eisstücke, tat sie in ein Glas, füllte es mit Whisky. Dann wandte er sich zu mir um, reichte mir das Glas. »Du trinkst doch Whisky, wenn ich mich recht erinnere.«
Ich nickte und nahm den Drink. Er blickte zu Verita. »Was möchten Sie haben?«
»Wodka Tonic?« Es klang wie eine Frage.
Er nickte und holte aus einem unteren Fach eine Flasche Tonic. Rasch mixte er ihr den Drink. Sie nahm das Glas, und wir standen beide und starrten ihn an. Er schien unsere Verblüffung nicht zu beachten.
»He -« rief ich, als er in Richtung Küchentür ging.
Er drehte sich um. »Ja?«
»Wo kommen all diese Sachen her?«
»Hab ich telefonisch bestellt, und man hat geliefert.«
»Hast du telefonisch bestellt, und man hat geliefert«, wiederholte ich. »Einfach so?«
Er nickte. »Die waren ganz reizend. Ich habe ihnen gesagt, daß sie sich beeilen sollen, weil ich alles zum Abendessen brauchte.«
Ich musterte ihn argwöhnisch. »Wollten die kein Geld von dir haben oder so?«
»Wozu denn? Ich hab’s auf Kredit gekauft.«
Mir sträubte sich das Fell. »Daran, wie ich das bezahlen soll, hast du wohl nicht gedacht? Ich hab kein Geld.«
»Spielt keine Rolle. Ich hab dir doch gesagt, daß ich reich bin.«
»Wann hast du mir das gesagt?«
»Letzte Nacht. Erinnerst du dich nicht mehr?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich erinnere mich an gar nichts mehr.«
»Du hast mir deine Lyrik vorgelesen. Das Fenster stand offen, und es begann zu regnen. Du warst nackt, und du hast gesagt, daß der Herrgott deine Sünden abwäscht. Es war wunderschön. Dann fingst du an zu weinen. Du sagtest, in der Welt sei es so beschissen, weil sich alles nur um Geld dreht, und wenn alle reich geboren worden wären, gäb’s keine Probleme. Da sagte ich dir dann, daß ich reich sei und trotzdem Probleme hätte. Und ich tat dir leid. Da habe ich mich in dich verliebt. Mitleid hat noch nie jemand für mich empfunden.«
»Oh, Scheiße«, sagte ich. »Ich muß stinkbesoffen gewesen sein.«
»Nein«, widersprach er hastig. »Du warst völlig bei dir. Du hast es fertig gebracht, daß ich Dinge klarer sah als je zuvor.«
»Wirklich?«
Er nickte. »Ich rief meinen Vater an und sagte ihm, daß ich ihm verzeihe.«
Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wovon er sprach. Er bemerkte den Ausdruck auf meinem Gesicht. »Du erinnerst dich wirklich an gar nichts mehr, wie?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Du standest als Anhalter auf dem Hollywood Boulevard -«
Plötzlich blitzte eine Erinnerung in mir auf. »Das silberblaue Rolls Coupé?«
»Ja. Ich nahm dich mit, und wir kamen ins Gespräch. Ich sagte, ich würde dich nach Hause fahren, aber du meintest, einen solchen Schlitten würden sie bei euch im Viertel glatt auseinandermontieren. Und so stellten wir das Auto in einer Garage unter.«
Allmählich kehrten weitere Erinnerungsfetzen zurück. In einer Getränkehandlung hatten wir ein paar Flaschen Wein gekauft, das heißt, er hatte bezahlt. Dann waren wir in meine Wohnung gegangen und hatten uns unterhalten: in der Hauptsache über seinen Vater - daß der einfach nicht mit der Tatsache fertig wurde, daß sein Sohn schwul war; und daß er alles daran setzte, ihn vor seiner Gemeinde verborgen zu halten, ihn gleichsam zu unterschlagen. Schließlich war Reverend Sam Gannon fast so berühmt wie Billy Graham, Oral Roberts und Kathryn Kuhlman zusammen. Nahezu Woche für Woche sah man ihn im Fernsehen, wo er der Welt verkündete, Gott heile alles. Dabei hatte Gott ja nicht mal bei seinem eigenen Sohn wirklich etwas ausrichten können. Jesus tat so ziemlich, was ihm paßte, und geriet ganz schön in den Schlamassel, wie man sah. Jetzt erinnerte ich mich auch, daß ich dem Jungen gesagt hatte, das solle er mal seinem Vater erklären. Wir hatten nur miteinander palavert. Miteinander geschlafen hatten wir nicht.
»Okay, Bobby«, sagte ich, nachdem mir endlich auch sein, Name eingefallen war. »Jetzt hab ich wieder alles beisammen.«
»Gut«, erwiderte er mit einem Lächeln. »Dann relaxe, während ich das Essen mache.«
»Wir müssen miteinander reden«, sagte ich.
Er nickte. »Nach dem Essen.«
Verita sah mich an. »Lonergan wird das nicht schmecken.«
»Scheiß auf ihn.«
»So einfach ist das nicht. Lonergan ist aus ganz hartem Holz. Meistens bekommt er, worauf er aus ist.«
»Diesmal aber nicht.«
Ihre Augen wurden dunkel. »Du wirst von ihm hören.«
Damit sollte sie recht behalten. Wir waren gerade mit dem Essen fertig, als es klopfte. Ich wollte aufstehen.
»Bleib du nur bei deinem Kaffee«, sagte Bobby und öffnete die Tür. Über seine Schulter hinweg konnte ich den Collector sehen.
Er schob sich an Bobby vorbei. Seine Augen glitten durchs Zimmer. Dann blickte er zu mir. »Du kommst von beiden Seiten voll auf deine Kosten, wie?«
»Ich versuch mein Bestes.«
»Lonergan will dich sehen.«
»Okay. Sagen Sie ihm, daß ich später rüberkommen werde.«
»Er will dich jetzt sehen.«
»Das hat keine Eile. Wir haben nichts miteinander zu reden. Außerdem bin ich noch nicht mit dem Essen fertig.«
Es war ein Instinkt, der mich seine Bewegung wahrnehmen ließ; ich witterte sie gleichsam. Vor sieben Jahren, bei den Green Berets, hatte ich über eine wesentlich schnellere Reaktion verfügt; aber ich war immer noch viel schneller, als er erwarten konnte. Mein Knie und mein Ellbogen schnellten hoch: Das Knie prallte gegen seine Hoden, den Ellbogen rammte ich ihm gegen den Adamsapfel. Er gab ein sonderbares Grunzen von sich und stürzte auf die Knie. Dann rollte er langsam auf den Rücken. Aus seinem Gesicht, das sich zu einem eigentümlich fahlen Graublau verfärbt hatte, quollen die Augen. Sein Mund stand offen; während er mit beiden Händen nach seinen Genitalien griff, rang er keuchend nach Luft.
Ich beobachtete ihn. Deutlich sah ich, wie nach einem Augenblick seine natürliche schwarze Gesichtsfarbe zurückkehrte. Ohne mich von meinem Stuhl zu erheben, nahm ich das Steakmesser und setzte die Spitze an seine Kehle. Gleichzeitig öffnete ich sein Jackett und zog seine Pistole aus seinem Gürtelhalfter. Ich wartete, bis er wieder bei Atem war. »Herumstoßen laß ich mich nicht. Ich hatte doch gesagt, ich würde später kommen.«
Schieläugig blickte er auf das Messer an seiner Kehle. Von der immer noch offenen Tür klang Lonergans Stimme. »Fühlst du dich jetzt besser, Gareth?«
Schlank und blaß stand er da, und die Augen hinter den goldumrandeten Brillengläsern waren verengt. Er trat ins Zimmer. Ihm auf den Fersen folgte sein Leibwächter. »Du hast dich bewiesen. Jetzt kannst du ihn aufstehen lassen.«
Ich richtete mich auf, legte das Messer wieder auf den Tisch.
Dann sah ich ihn an. »Du hast meine Nachricht erhalten?«
Er nickte.
»Ich bin an dem Blatt nicht interessiert. Das wäre, als wollte ich mich in einen sicheren Bankrott einkaufen.«
»Du hast recht.«
Ich schwieg.
»Wenn du das Angebot akzeptiert hättest, hätte ich den Handel nicht gemacht. Dämlichkeit kann ich nicht ausstehen.«
»Was willst du dann noch?«
»Würdest du das Blatt übernehmen, wenn es keinerlei Verpflichtungen gäbe?«
Ich blickte zu Verita. Sie antwortete mit einem kaum merklichen Nicken. Ich sah wieder zu ihm. »Ja.«
»Wegen der anfallenden Betriebskosten müßtest du allerdings dennoch ein Darlehen aufnehmen.«
Verita kam mir mit der Antwort zuvor. »Das kann er sich nur leisten, wenn er von den Werbeeinnahmen fünfundzwanzig Prozent erhält.«
»Du hast eine recht clevere Buchhalterin«, sagte er. »Zwanzig Prozent.«
Wieder blickte ich zu Verita. »Mit zwanzig Prozent könnten wir gerade noch zurechtkommen«, erklärte sie. »Aber verflixt knapp würde es werden.«
»Das muß ich mir durch den Kopf gehen lassen«, sagte ich zu ihm. »Morgen früh gebe ich dir Bescheid.«
Seine Stimme klang hart. »Du wirst es mir jetzt sagen.«
Wortlos grübelte ich. Teufel auch, ich hatte doch nicht die geringste Ahnung, wie man so ein Blatt betrieb, selbst wenn es nur so ein Reklamefetzen war.
»Hast du Angst, daß du dich übernimmst, Gareth? Daß du damit nicht zu Rande kommst? Konntest den Mund ziemlich voll nehmen, solange es ums Schreiben ging und um die Theorie, wie man publizistisch etwas aufziehen müßte. Jetzt ist alles anders, wie? Wo’s dein eigenes Geld wäre, das du reinsteckst.«
Ich schwieg noch immer.
»Dein Vater hat wenigstens einen Versuch gewagt, auch wenn es ihm dann am Mumm fehlte, die Sache mit allen Konsequenzen zu Ende zu führen. Du hast ja nicht mal den Mumm, einen Anfang zu riskieren.« Seine Stimme hatte einen eisigen Klang.
Genau so hatte ich diese Stimme noch in Erinnerung: aus meinen Kindertagen. In ihr spiegelte sich die kontrollierte Verachtung, die er für die ganze Welt empfand. Plötzlich wurde ich wütend. Weder er noch seine verdammte Stimme würden mich zu etwas bewegen, das ich nicht tun wollte.
»Ich brauche Hilfe«, sagte ich. »Leute mit Erfahrung. Wird Persky zur Verfügung stehen?«
»Wenn du ihn haben willst.«
»Ich brauche einen Mann fürs Layout, Reporter und Fotografen.«
»Es gibt Agenturen, auf die du bei Bedarf zurückgreifen kannst. Solche Leute brauchst du nicht extra einzustellen«, erklärte er.
»Hast du ausgerechnet, wie viele Exemplare ich zu je einem Vierteldollar verkaufen müßte, um klarzukommen?« fragte ich Verita.
»Ungefähr fünfzehntausend«, erwiderte sie. »Aber für das Blatt hat noch nie jemand was bezahlt.«
»Das weiß ich. Doch ich denke nicht daran, ein derartiges Blatt aufzuziehen. Ich will eine Chance haben, wirklich Geld zu verdienen.«
Lonergan lächelte plötzlich. Für einen Augenblick glaubte ich fast, er habe so etwas wie einen Sinn für Humor. »Gareth«, sagte er, »mir will beinahe scheinen, daß du langsam erwachsen wirst. Dies ist das erste Mal, daß du Interesse an Geld zeigst.«
»Was ist daran verkehrt, Onkel John? Der Reichtum scheint deinen Lebensstil ja nicht verhunzt zu haben.«
»Er könnte aber deinen verhunzen.«
»Darauf will ich’s ankommen lassen.«
»Dann ist der Handel zwischen uns also klar?«
Ich nickte. Dann beugte ich mich vor und half dem Collector auf die Füße. Ich gab ihm seine Pistole. Er nahm sie.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Aber ich werde nun mal nervös, wenn sich jemand allzu hastig auf mich zubewegt.«
Aus seiner Kehle drang ein unverständliches Grunzen.
»Wird Ihnen noch ein paar Tage weh tun«, sagte ich. »Ihre Kehle, meine ich. Aber machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Nur schön mit warmem Salzwasser gurgeln, und die Sache kommt schon wieder in Ordnung.«
»Los, Bill«, sagte Lonergan. »Gehen wir, damit diese guten Leute ihr Essen beenden können.«
Er ging zur Tür, drehte sich dort noch einmal zu mir um. »Morgen vormittag um elf in meinem Büro in Beverly Hills.«
»Ich werde zur Stelle sein.«
»Gute Nacht, Gareth.«
»Gute Nacht, Onkel John.«
Die Tür schloß sich hinter ihm, und ich blickte zu Verita. »Scheint, daß wir ins Verlagsgeschäft einsteigen«, sagte ich.
Sie schwieg.
»Du wist natürlich mitmachen.«
»Aber mein Job.«
»Ich biete dir einen besseren. Da hast du Gelegenheit zu tun, wofür du ausgebildet worden bist. Außerdem brauche ich dich. Du weißt, daß ich kein Geschäftsmann bin.«
Sie betrachtete mich einen Augenblick. »Ich könnte mir unbezahlten Urlaub nehmen, während wir’s mit einer Probezeit versuchen, um zu sehen, wie sich alles anläßt.«:
»Damit wäre ich einverstanden. Auf diese Weise würdest du wenigstens weiter keinen Schaden haben, wenn ich eine Bauchlandung mache.«
»Ich habe so ein merkwürdiges Gefühl«, sagte sie mit gedämpfter Stimme.
»Was für ein Gefühl denn?«
»Deine Sterne stehen anders. Und dein Lebenspfad wird sich ändern.«
»Ich weiß nicht, was das bedeutet. Ist es gut oder schlecht?«
Sie zögerte. »Gut, glaube ich.«
Es klopfte. Ich wollte die Tür öffnen, doch Bobby kam mir zuvor. Über seinen Kopf hinweg blickte der Leibwächter zu mir. »Mr. Lonergan läßt fragen, ob er Sie von einem Auto abholen lassen soll.«
»Besten Dank«, sagte ich. »Aber richten Sie ihm aus, daß ich zum Glück über einen fahrbaren Untersatz verfügen kann.«
Die Tür schloß sich, Bobby kam zurück. Mit großen Augen trat er auf mich zu. »Ist das wahr - du kaufst eine Zeitschrift?«
»Ja«, sagte ich. »Nichts Berauschendes, aber immerhin - ein Blatt.«
»Bei meiner College-Zeitung hab ich die Graphik gemacht«, erklärte er. »Du weißt schon, Layout und so.«
Ich lachte. »Okay. Dann hast du einen Job. Du bist jetzt Chefgraphiker des Hollywood Express.«
Plötzlich schüttelten wir uns alle vor Gelächter, und keiner wußte so recht, warum. Allerdings - nun ja, vielleicht hatte Verita recht. Unsere Sterne standen anders, und irgendwie war die Welt verändert.
Bobby und Verita waren mit dem Geschirr fertig. Bobbys Augen glänzten.
»Hast du das ernst gemeint?«
»Ernst? Was denn?«
»Das mit dem Job als Graphiker bei deinem Blatt?«
»Sicher, aber ein großes Gehalt kann ich nicht zahlen.«
»Das ist nicht wichtig. Es ist die Chance, auf die’s mir ankommt. Bisher hat mir noch nie jemand einen echten Job angeboten.«
»Nun, den hast du jetzt.«
»Was für eine Art Blatt ist es denn?«
»Im Augenblick ist es ein Reklametraktat für den Mülleimer. Aber das wird’s nicht mehr allzu lange sein. Ich werd’s gehörig umkrempeln.«
»Und was wird’s dann sein?«
»Eine Kreuzung zwischen einer Untergrund-Zeitung und Playboy. Wir werden die Leute da anpacken, wo sie wirklich lebendig sind - unterhalb der Gürtellinie, an den Eiern.«
»Da komm ich nicht ganz mit«, sagte er.
»Playboy frisiert alles zurecht«, erklärte ich. »Die trimmen ihre Artikel auf Glanzlack und ihre Mädchen auch. Die Untergrundpresse dagegen spezialisiert sich auf das Gegenstück dazu, auf schieren Dreck. Die schütten die Scheiße so kübelweise aus, daß dir die Finger stinken, wenn du bloß eins von ihren Blättern in den Händen hältst. Ich meine, es müßte da einen Mittelweg geben: Wo man sagt, wie’s wirklich ist, ohne daß der Leser das Gefühl hat, voll Dreck zu sein.«
»Aber das ist nicht das, was Lonergan will«, sagte Verita. »Er will das Blatt so, wie es jetzt ist.«
»Woraufs Lonergan ankommt, ist der Anzeigenteil«, erklärte ich. »Das ist für ihn so eine Art chemische Reinigung,
wo er sein schmutziges Geld in sauberes umwandeln kann. Der Rest des Blattes kümmert ihn einen feuchten Dreck. Den könnte man von ihm aus auf Klopapier drucken.«
»Ich weiß nicht recht«, sagte Verita zweifelnd.
»Aber ich weiß es. Ich kenne ihn schon, solange ich lebe. Er hat nur eine einzige Leidenschaft - Geld.«
»Du hast ihn Onkel John genannt«, sagte sie.
»Er ist mein Onkel, der Bruder meiner Mutter.«
Sie atmete tief ein. Jetzt begriff sie. »Du magst ihn nicht?«
»Er ist mir gleichgültig«, sagte ich. Aber das war nicht wahr. Eher schon war er mir viel zu wenig gleichgültig. Und es schien keinen Bereich in meinem Leben zu geben, den Onkel John nicht irgendwie berührte. Das begann sogar schon vor meiner Geburt. Erst bei meiner Mutter, dann bei meinem Vater.
»Ich bin müde«, sagte ich abrupt. »Ich geh ins Bett.«
»Dann werde ich besser nach Hause fahren«, erklärte Verita rasch.
»Nein«, sagte Bobby, »das brauchen Sie nicht. Ich werde auf der Couch schlafen.«
»Es ist auch viel zu spät für dich, nach Hause zu fahren, Verita«, sagte ich.
»Meinst du wirklich?«
»Natürlich meine ich das wirklich«, knurrte ich. »Komm ins Bett.« Ich ging in Richtung Schlafzimmer, blieb dann plötzlich stehen: Aus Bobbys Augen quollen Tränen. »Was hast du denn?«
»Ich liebe dich doch, Gareth«, sagte er in klagendem Ton. »Ich will dein Sklave sein. Ich möchte, daß du mich liebst.«
Ich legte einen Arm um seine Schultern und küßte ihn auf die Wange. »Ich liebe dich doch auch, Bobby, aber nicht in dieser Art. Ich fühle mich dir gegenüber wie ein großer Bruder.«
Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ich habe nie einen Bruder gehabt.«
»Ich auch nicht.«
Er lächelte. »Das gefällt mir. Das ist pur.«
»Superpur. Und jetzt geh ich ins Bett.«
Ungefähr zehn Minuten später folgte mir Verita ins Schlafzimmer. Ich konnte es kaum erwarten, sie aus den Kleidern zu schälen. Mein Glied war hart wie ein Knüppel. Wir fickten, bis ich schlappmachte; aber kommen konnte ich noch immer nicht. Kaum daß ich mich zur Seite wälzte, schlief Verita bereits. Sekunden später war auch ich weg.
Stunden schienen vergangen zu sein, als ich plötzlich aufwachte. Irgend etwas berührte mein Geschlecht, weiche, liebkosende Lippen offenbar. Noch halb im Dämmerzustand, wölbte ich meine Hände über Veritas Haar und hielt ihren Kopf so, daß mein Glied zwischen ihre Lippen glitt. Ihr Mund war warm, war die Zärtlichkeit selbst. Ein paarmal hatte ich das Gefühl, daß sie mich ganz in sich einsaugen wollte. »Oh, Baby, du kannst das so gut«, murmelte ich. Dann explodierte ich. Der Orgasmus schien das letzte Quentchen Flüssigkeit aus mir herauszupressen, ich fühlte mich leer und erschöpft. Gleich darauf fiel ich wieder in tiefen Schlaf.
Als ich das nächste Mal wach wurde, spürte ich Sonnenschein auf den geschlossenen Augenlidern. Ich setzte mich im Bett auf. Verita öffnete die Augen. Ich beugte mich zu ihr und küßte sie auf die Stirn. »Ich wußte gar nicht, daß du so gut blasen kannst«, sagte ich. »Herr des Himmels, du hast mich ja durch und durch geblasen, bis in den tiefsten Winkel.«
Ihre Augen weiteten sich. »Wovon sprichst du?«
»Von der vergangenen Nacht.«
Sie schüttelte den Kopf.
Um aufzustehen, schwenkte ich die Beine zur Seite und trat auf seinen Rücken. Er lag vor dem Bett. Ohne aufzuwachen, rutschte er ein Stück beiseite. Plötzlich kapierte ich. Und war zuerst wütend. Aber dann lachte ich.
Verita musterte mich verwirrt. »Was gibt’s denn?«
Ich streckte die Hand aus. Sie folgte mit den Augen der Richtung und spähte über den Bettrand, sah den nackten Jungen. »Guter Gott«, sagte sie; und lächelte dann.
In seinem Rolls-Coupe fuhr Bobby uns nach Beverly Hills. Ich kam mir vor wie einer dieser Beverly Hillbillies, wenn sie bei »Nate ‘n Al’s« vorbeifahren und all die New Yorker Flüchtlinge sehen, die dort Schlange stehen und darauf warten, endlich eingelassen zu werden.
Das Büro meines Onkels befand sich ein Stück weiter straßabwärts. Das Gebäude war verschlossen. Ich drückte auf den Rufknopf. Ein uniformierter Wächter spähte durch das Glasfenster.
»Lonergan«, rief ich.
Er nickte und öffnete die Tür. »Mr. Brendan?«
»Ja.«
»Mr. Lonergan erwartet Sie. Penthouse-Etage.«
»Ich habe Hunger«, sagte Bobby. »Ich warte drüben im Delikatessen-Imbiß.«
Ich nickte. »Okay.« Zusammen mit Verita folgte ich dem Wächter zum Fahrstuhl. Oben wartete bereits der Leibwächter meines Onkels auf uns. Wortlos führte er uns durch den Korridor zu Lonergans Büro und öffnete die Tür.
Mein Onkel saß hinter dem Schreibtisch, und Persky war bei ihm. Mit seinem Hollywood-Büro ließ sich das hier nicht vergleichen. Dies hier roch nach Geld - Seidenvorhänge, dicke Teppiche, Schreibtisch im Louis-quinze-Stil.
»Guten Morgen«, sagte ich.
Mein Onkel deutete auf die Stühle vor seinem Schreibtisch und drückte auf einen Knopf. Einen Augenblick später trat ein Mann durch die Seitentür ein. Unter dem Arm hielt er eine Art Aktendeckel oder Hefter.
»Mark Coler, mein Anwalt«, sagte mein Onkel. »Was an Papieren gebraucht wird, hat er bereit. Kaufverträge, Darlehensanträge, alles.«
Ich betrachtete ihn, und mir ging durch den Kopf, daß er irgendwie wirklich phantastisch war. Vor fünf Uhr früh konnte er kaum ins Bett gekommen sein, das wußte ich. Dennoch wirkte er so frisch, als habe er einmal rund um die Uhr geschlafen. Noch etwas machte ich mir klar: Er mußte überaus sicher gewesen sein, daß wir diesen Handel abschließen würden; denn von gestern abend bis heute früh hätten die Papiere nicht sämtlich vorbereitet werden können.
Coler breitete sie jetzt vor mir auf dem Schreibtisch aus. »Sie möchten sie sich ansehen?«
Ich schob sie Verita hin. »Miß Velasquez wird sie für mich prüfen.«
Coler blickte zu ihr, dann wieder zu mir. »Ist sie Juristin?«
Verita antwortete selbst. »Ich habe auf der Universität zwar mein Examen gemacht, jedoch nicht die Anwaltslaufbahn eingeschlagen. Aber ich bin amtlich zugelassene Wirtschaftsprüferin.«
Er schien beeindruckt und schwieg, während sie sich die Papiere ansah.
Ich wandte mich Persky zu. »Hat Mr. Lonergan Ihnen gesagt, daß es mir lieb wäre, wenn Sie blieben?«
»Ja«, erwiderte Persky. »Aber das kann ich mir nicht leisten. Ich muß nun mal meine Brötchen verdienen. Bin mit der Zahlung meiner Alimente ein halbes Jahr im Rückstand.«
»Ich habe nicht erwartet, daß Sie umsonst arbeiten.«
»Was würden Sie denn zahlen wollen?«
Ich hatte keine Ahnung, was die Norm war. Also taxierte ich blind. »Hundertfünfzig Dollar pro Woche, plus Gewinnbeteiligung.«
»Zieht nicht. Bei der Valley Times haben die mir bereits zweihundertfünfzig geboten.«
Zweihundertfünfzig, das war bei mir einfach nicht drin, soviel stand fest. »Hundertfünfzig wäre bei mir das höchste der Gefühle.«
»Er wird’s akzeptieren«, sagte mein Onkel.
Persky wollte protestieren, doch als er den Gesichtsausdruck meines Onkels sah, unterließ er jeden lauten Protest. »Bei einem solchen Gehalt könnte ich meine Rechnungen nicht bezahlen, Mr. Lonergan«, sagte er nur zaghaft.
Die Stimme meines Onkels klang kalt. »Aus einem Krankenhausbett lassen sich noch weniger Rechnungen bezahlen, Persky. Wenn ich Sie so glimpflich davonkommen lasse, so nur aus einem Grund: Ich will, daß aus dieser Sache was wird.«
Persky sah mich an. Er wußte, daß er keine Wahl hatte. »Ich werde für Sie arbeiten«, sagte er.
»Gut.« Ich lächelte. »Wenn’s gut läuft, werden Sie auch mehr verdienen.«
»Okay«, sagte er, »Sie sind bei mir im Wort. Ihre Hand drauf.«
Wir schüttelten uns die Hände.
»Soweit scheint alles in Ordnung zu sein«, erklärte Verita. »Allerdings ist da noch eine Sache, die ich für unerläßlich halte. Es muß eindeutig klargestellt - und entsprechend schriftlich fixiert - werden, daß beim Kauf keinerlei frühere Zahlungsverpflichtungen übernommen werden, mag es sich nun um Schulden, Steuerschulden oder was immer sonst handeln. Eine solche Garantieerklärung muß Mr. Lonergans Unterschrift tragen.«
»Dazu hat Mr. Lonergan nicht die geringste Veranlassung«, sagte Coler ärgerlich. »Er ist bei diesem Handel ja nicht Hauptbeteiligter. Außerdem haben Sie ja bereits Mr. Perskys Unterschrift.«
Verita blickte zu mir. Jetzt war es meine Sache, ihr mit durchschlagenden Argumenten beizuspringen.
»Mr. Coler«, sagte ich, »das Gehalt, das ich Mr. Persky zahlen kann, würde kaum reichen, um seine Unterschrift soviel wert sein zu lassen wie das Papier, auf dem sie steht. Mr. Lonergan hat zu mir gesagt, ich würde das Blatt frei von allen Verpflichtungen übernehmen. Wenn ich es so nicht bekommen kann, dann will ich’s überhaupt nicht.«
»Mr. Lonergan könnte nie -«, begann Coler.
Mein Onkel unterbrach ihn. »Bereiten Sie die Garantieerklärung vor, Mr. Coler. Ich werde sie unterschreiben.«
»Dafür brauche ich bis morgen Zeit. Heute ist ja niemand in meinem Büro.«
»Morgen wirst du sie haben, Gareth. Genügt dir mein Wort?«
»Ja, Onkel John.«
Mein Onkel lächelte. »Gut. Dann laß uns die übrigen Papiere unterzeichnen.«
Wir vereinbarten, daß ich mich am nächsten Morgen mit Persky im Büro treffen sollte, und als ich dann ging, war ich Besitzer einer Zeitschrift. Bei »Nate ‘n Al’s« drängten wir uns durch die Menge und setzten uns zu Bobby an den Tisch.
»Wie ist’s gelaufen?« wollte er wissen.
»Wir sind im Geschäft«, sagte ich.
Gut vierzehn Tage später erschien Lonergan bei uns im Laden. In der Hand hielt er ein Exemplar der ersten Ausgabe des neuen Hollywood Express. Er drängte sich an den Jugendlichen vorbei, die im hinteren Teil des Raums mit Aufräumungs- und Renovierungsarbeiten beschäftigt waren.
Er schleuderte das Blatt auf die Platte meines Schreibtischs. »Was, zum Teufel, soll das bedeuten? Willst du mich für dumm verkaufen?«
»Du wolltest, daß das Blatt schnell rauskommt. Also hab ich es rausgebracht.«
»Du nennst das hier ein Blatt?« donnerte er. »Außer meinen Anzeigen ist ja nichts weiter drin. Und wer, zum Teufel, glaubst du, wird sich die ansehen?«
»Wer, zum Teufel, hat sich da früher was angesehen?«
»Und dann deine Schlagzeile: >Diese Ausgabe ist nur veröffentlicht worden, um jene Leser nicht zu enttäuschen, die sich an unser hochwertiges Toilettenpapier gewöhnt haben.< Ich finde das nicht komisch.«
»Aber ich.«
»Es ist vulgär und zeugt von schlechtem Geschmack.«
»Genau«, stimmte ich zu.
»Erwartest du etwa, daß ich dir dafür dreitausendzweihundert Dollar pro Woche zahle? Dann bist du gewaltig auf dem Holzweg.«
»Du wirst zahlen, Onkel John«, sagte ich ruhig. »Wir haben einen festen Vertrag, und diesen Vertrag hast du unterschrieben. Darin steht, daß wir in jeder Ausgabe vier Seiten mit Inseraten bringen. Daß wir sonst noch etwas drucken müssen, darüber steht nichts in dem Vertrag.«
»Keinen Penny zahle ich.«
»Dann wirst du verklagt. Es ist ein absolut rechtsgültiger Vertrag.«
Er lächelte plötzlich. »Okay, ich zahle. Willst du mir jetzt sagen, worum das Ganze geht?«
»Ich werde acht bis zehn Wochen brauchen, um das Blatt so zusammenzustellen, wie ich’s rausbringen möchte. Und bis dahin brauche ich die Moneten, die durch deine Anzeigen reinkommen.«
»Das hättest du mir gleich sagen können. Ich hätte dir die Zeit gegeben.«
»Ja, aber nicht das Geld. Zweiunddreißigtausend sind ein Haufen Kohlen.«
»Wie dem auch sei - so wie’s jetzt ist, darf das Blatt auf gar keinen Fall rauskommen. Das muß auf die Steuerbehörde wie ein rotes Tuch wirken, ist dir das nicht klar?«
»Nicht mein Problem.«
»Wenn ich dir das Geld vorschieße - hältst du dann still, bis du mit deinem Blatt soweit bist?«
»Nein. Vorschüsse müssen zurückgezahlt oder sonst irgendwie beglichen werden.«
Er schwieg einen Augenblick. »Wenn ich dir fünfundzwanzigtausend gebe, ohne Rückzahlungsverpflichtung oder was auch immer, hältst du dann still?«
»Wirklich keine weiteren Bedingungen?«
»Keine.«
»Gut, einverstanden.«
Er zog sein Scheckbuch aus der Innentasche seines Jacketts, schrieb den Scheck aus, reichte ihn mir.
»Danke, Onkel John.«
»Mir bleibt nur ein Trost, Gareth«, sagte er. »Wenn ich schon zur Ader gelassen werde, so war’s doch wenigstens einer aus der Familie.«
Ich lachte. »Ich habe ja das beste Vorbild, das sich denken läßt, Onkel John.«
Er blickte sich im Laden um. »Was tun all diese Kinder hier?«
»Wir bringen die Bude ein bißchen auf Glanz. Ich habe keine Lust, das Blatt, das ich plane, in einem Scheißhaus herauszugeben.«
»Wo kommen die alle her?«
»Aus Reverend Gannons Jugend-Workshop. In ihrer Freizeit arbeiten sie für fünfzig Cents pro Stunde, was sie dann für die Kirche stiften.«
»Der Freund deines Vaters hat einen besseren Geschäftssinn als irgendeiner von uns.«
»Jesus Christus ist eben konkurrenzlos«, sagte ich.
Er blickte auf das Exemplar des Hollywood Express. »Hast du noch viele davon?«
»Nein.«
»Schade. Hätte ich das rechtzeitig gewußt, so hätten wir verhindern können, das sie rausgingen.«
»Mach dir da keine Sorgen, Onkel John. Niemand sonst wird sie zu Gesicht bekommen.«
»Wie kannst du da sicher sein?«
Ich lächelte. »Ich habe nur fünfundzwanzig Exemplare gedruckt. Und alle sind an dich gegangen.«
»Mr. Brendan.« Die Stimme klang sanft. »Tut mir leid, Sie zu stören, Mr. Brendan.«
Ich blickte auf. Es war eins der Mädchen von Reverend Gannons Jugend-Workshop. Wie entschuldigend stand sie vor mir, und ihre engen Jeans strammten sich um die Hinterbacken. Das lose geschnittene Jungenhemd, das sie trug, betonte die Wölbung ihrer Brüste. Ihre Arme und ihr Gesicht waren mit Farbe beschmiert.
»Tut mir leid, Sie zu stören«, wiederholte sie. »Aber wir sind jetzt so weit, daß wir hier mit der Arbeit anfangen könnten.«
»Schon recht. Ich will nur meinen Papierkram vom Schreibtisch nehmen, und dann bin ich euch aus dem Weg.«
»Kann ich helfen, Mr. Brendan?«
»Danke. Wenn Sie das da nehmen wollen. Mit dem Rest werde ich schon fertig.«
Sie nahm den Stapel Papiere, den ich ihr reichte. Ich hob die Schreibmaschine hoch, und wir gingen die Hintertreppe hinauf, zur Wohnung. Auf einem der Tische, die wir in das frühere Wohnzimmer gestellt hatten, luden das Mädchen und ich alles ab.
»Kann ich sonst noch irgend etwas für Sie tun, Mr. Brendan?«
»Ich glaube nicht.«
Sie machte keine Anstalten, mich allein zu lassen.
»Gibt’s noch was?« fragte ich.
»Bobby sagte, daß Sie eine Sekretärin suchen, aber daß Sie nicht viel zahlen könnten.«
»Das stimmt.«
»Ich bin Sekretärin. Ich hab eine Sekretärinnenschule besucht.«
»So? Können Sie Stenographie?«
»Nicht besonders. Aber tippen kann ich enorm schnell. Achtzig Wörter pro Minute.« Sie strich sich das lange braune Haar aus dem Gesicht. »Und aufs Ablegen und so versteh ich mich auch.«
»Wie heißen Sie?«
»Denise Brace.«
»Wo wohnen Sie?«
»Im Workshop.«
»Wie alt sind Sie?«
»Siebzehn. Nächsten Monat werde ich achtzehn.«
»Warum wohnen Sie nicht zu Hause?«
Ihre dunklen Augen begegneten meinem Blick. »Ich wurde schwanger. Mein Vater warf mich raus. Reverend Sam nahm mich auf und kümmerte sich um mich.«
»Was wurde mit dem Baby?«
»Reverend Sam sorgte dafür, daß es adoptiert wurde. Das war die beste Lösung. Ich war erst sechzehn, als es passierte.«
»Und seither sind Sie im Workshop?«
Sie nickte. »Reverend Sam ist wunderbar zu mir, zu uns allen. Er möchte nur, daß wir glücklich sind und dem Herrn dienen.«
»Und wenn ihr arbeitet, gebt ihr ihm euren gesamten Verdienst?«
»Nicht ihm. Dem Workshop.«
»Behaltet ihr denn gar nichts für euch?« fragte ich neugierig.
»Wozu?« Ihr junges Gesicht wirkte sehr ernst. »Ich brauche nichts. Alles, was wir brauchen, gibt uns ja der Workshop.«
»Gibt es noch viele wie Sie im Workshop?«
»Etwa sechzig oder siebzig. Mehr Mädchen als Jungen.«
»Und die halten’s alle genauso wie Sie? Liefern all ihr Geld für den Workshop ab?«
Sie nickte.
»Was tut ihr, wenn ihr nicht arbeitet?«
»Wir verbreiten Gottes Liebe. Wir verkaufen Traktate und Flugblätter. Wir machen uns immer nützlich.«
»Und das ganze Geld bekommt Reverend Sam?«
»Nicht Reverend Sam. Er ist an Geld nicht interessiert. Die Kirche und der Workshop bekommen es, um gute Werke zu tun.«
Lonergan hatte recht. Mit dem, was Reverend Sam da betrieb, stach er uns wohl beide aus. Ich betrachtete ihr klares, offenes Gesicht. »Du bist ein bildhübsches Mädchen, weißt du das«, sagte ich.
»Danke.« Sie lächelte. Immerhin: ohne eine gewisse Koketterie war ihr Lächeln nicht.
»Ich weiß nicht, ob ich dich für mich arbeiten lassen könnte«, fuhr ich fort. »Das wäre vielleicht allzu verführerisch. Es könnte nämlich sein, daß ich dich lieben will.«
»Das würde mir gefallen«, sagte sie nur. »Ich meine, richtig lieben. Nicht nur Küssen und Knutschen.«
»Ich weiß schon.«
»Und was ist mit Reverend Sam? Gilt so etwas nicht als Sünde?«
»Nein, bei ihm nicht. Er predigt, daß unser Körper genauso Bedürfnisse hat wie unsere Seele und daß man mit beiden Liebe ausdrücken kann.«
Ich überlegte einen Augenblick. »Gibt’s viel Sex im Workshop?«
»Nein, nicht sehr viel. Nur zwischen denen, die einander mögen.«
»Hast du keine Angst, wieder schwanger zu werden?«
Sie lachte. »Keine Gefahr. Die Oberschwester sorgt dafür, daß wir jeden Morgen beim Frühstück die Pille schlucken, und wer sie nicht verträgt, bekommt ein Pessar.«
»Und Reverend Sam? Geht der mit einem der Mädchen?«
»Nein. Reverend Sam steht über all dem. Er lebt auf einer höheren Ebene.«
»Willst du damit sagen, daß er Sex verschmäht?«
»Nein, das will ich nicht damit sagen. Wir leben alle auf verschiedenen Ebenen. Ich lebe auf der fünften Ebene. Ich darf Beziehungen zu anderen haben, denen es schon gelungen ist, die dritte Ebene zu erreichen. Aber mit Reverend Sam können nur solche auf der ersten oder der zweiten Ebene körperliche Beziehungen haben.«
»Verstehe. Und was braucht’s, um auf die anderen Ebenen hinaufzugelangen?«
»Gute Werke. Ergebenheit für die Kirche. Vollständige Aufrichtigkeit in den Beziehungen zu anderen.«
»Das ist alles?«
Sie nickte.
»Aber dein Geld mußt du auch noch abliefern.«
»Nein«, widersprach sie rasch. »Das müssen wir nicht. Wir tun es, weil wir’s tun wollen.«
»Würdest du das auch noch tun, wenn du den Job bei mir hättest?«
»Ja«, sagte sie. Ihre dunklen Augen schienen in meine zu tauchen. »Darf ich etwas fragen?«
»Sicher.«
»Ich weiß, daß Bobby Sie liebt. Und die Verita wohl auch. Und Sie - lieben Sie beide?«
»Ich weiß nicht, ob ich sie liebe«, sagte ich. »Jedenfalls habe ich beide sehr gern.«
»Ich würde gern mit Ihnen Sex haben. Glauben Sie, das könnte mal sein?«
Ich gab keine Antwort.
»Den Job müßten Sie mir deshalb nicht geben«, erklärte sie hastig.
»Das ist es nicht.«
»Was ist es dann?«
»Du bist für mich, na, sagen wir mal, nicht so leicht erreichbar. Zum einen lebst du auf einer höheren Ebene, und zum anderen bist du noch nicht achtzehn.«
Sie lächelte plötzlich. »Das ist aufrichtig«, sagte sie anerkennend. »Und Aufrichtigkeit hebt dich automatisch auf die fünfte Ebene.« Sie ging zur Tür, blickte von dort zu mir zurück. »Warte auf mich«, sagte sie. »Nächsten Monat an meinem Geburtstag werde ich wieder dasein.«
»Die Zeitungs- und Zeitschriftenvertriebe wollen erst ein Probeexemplar sehen, vorher ist mit denen gar nicht zu reden«, erklärte Persky. »Und eins haben sie alle betont: Wenn Sie keine guten Bilder bringen, brauchen Sie sich gar nicht erst zu bemühen.«
»Gute Bilder, wie meinen die das?« fragte ich.
»Weiber«, erwiderte er prompt.
»Haben Sie ihnen gesagt, welche Linie wir redaktionell verfolgen wollen?«
»Das kümmert die einen Dreck. Was den Käufer anlockt, sind Bilder. Auf den Text wirft er erst einen Blick, nachdem er ein Blatt gekauft hat.«
»Okay, dann werden wir uns Bilder beschaffen.«
»So leicht ist das nicht. Die Agenturen und die Fotografen machen Sie kaputt. Exklusiv-Fotos können wir uns nicht leisten. Dafür fehlt uns der Kies.«
»Dann schießen wir uns selbst welche.«
»Kennen Sie denn Fotografen?«
»Wir werden welche finden. Setzen Sie sich inzwischen mit den Filmstudios in Verbindung. Ich möchte, daß die mich auf ihre Presselisten setzen. Die schicken dauernd Bilder von ihren Starlets.«
»Na, solche Bilder meinen die von den Vertrieben nicht.«
»Ich weiß, aber es ist ein Anfang. Vielleicht können wir ein paar davon verwenden.«
»Ich habe eine Idee«, sagte er.
Von seinem Schreibtisch nahm er seine Aktentasche, öffnete sie. Er holte einige kleine Magazine heraus und legte sie auf die Schreibtischplatte.
Einen Augenblick starrte ich ungläubig auf die Titel. Anal Sex, Oral Sex, Lesbische Liebe, Sex Party. Ich nahm eins,
blätterte es durch. Es hielt präzise, was der Titel versprach. »Wo haben Sie die her?«
»Vom Ronzi-Vertrieb. Der Ronzi-Vertrieb versorgt mehr oder minder alle Zeitungshändler damit, und die verkaufen diese Dinger dann unter der Hand, für fünf Dollar pro Stück. Der Vertrieb macht uns einen Vorschlag. Wenn wir Ronzi den Alleinvertrieb überlassen, dann drücken die beide Augen zu, falls wir von den Bildern ein paar für unsere Zwecke klauen. Natürlich müßten wir sie so zurechtfrisieren, daß niemand erkennt, wo sie her sind.«
»Ja, aber ... wenn wir solche Bilder bringen, wird unser Express doch garantiert sofort nach Erscheinen kassiert.«
»Wir dürfen natürlich nicht die ganzen Bilder bringen, sondern nur Ausschnitte - nur die Mädchen.«
»Wer steht hinter Ronzi?« fragte ich.
Er sah mich unbehaglich an. »Keine Ahnung. Irgendwer von der Ostküste, habe ich gehört.«
»Mafia?«
»Wie gesagt - ich weiß es nicht.«
»Was wollen die noch, außer Exklusiv-Fotos?«
»Darüber haben wir nicht gesprochen.«
»Ich muß mit denen reden. Machen Sie einen Termin fest.«
»Okay, das werde ich sofort ...« Er brach ab, und ich sah, daß er hinausblickte, zum Vordereingang.
Draußen hielt eine 600er Mercedes-Limousine, schwarz lackiertes Modell. Ein Chauffeur sprang heraus und öffnete die hintere Tür.
Den Mann, der jetzt ausstieg, erkannte ich sofort. Ich hatte ihn oft im Fernsehen gesehen. Allerdings war mir seine massige Körperlichkeit noch nie so stark zu Bewußtsein gekommen. Er maß zweifellos über einsneunzig, und seine Schultern waren so breit, daß er sich ein wenig seitwärts drehen mußte, um durch den Türrahmen zu passen.
Die jungen Leute hörten auf zu arbeiten. Aus ihren gedämpften Stimmen klang Respekt. »Frieden und Liebe, Reverend Sam.«
Mit gütiger Geste hob er die Hand. »Gott ist die Liebe, meine Kinder«, sagte er mit tönender Stimme und warmem Lächeln.
»Gott ist die Liebe«, antworteten sie wie aus einem Mund.
Er trat auf meinen Schreibtisch zu. Ich erhob mich. Je näher er kam, desto kleiner wirkte alles um ihn her. »Mr. Brendan?«
»Ja, Reverend Sam.«
Er hielt mir seine Hand hin. »Gott ist die Liebe. Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Junge.«
Ich nahm seine Hand. Was spürbar wurde, war nicht nur die ungeheure körperliche Kraft, über die er offenbar verfügte, sondern auch eine Art elektrischer Strom, der ihn zu erfüllen schien. »Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Sir. Was kann ich für Sie tun?«
Mit einem Seitenblick streifte er Persky. »Können wir uns irgendwo unter vier Augen miteinander unterhalten?«
»Natürlich. Kommen Sie bitte.« Über die Hintertreppe führte ich ihn hinauf zur Wohnung und schloß hinter uns die Tür. »Ist es so recht?«
Er nickte.
Ich wies auf einen Stuhl bei dem kleinen Küchentisch. »Möchten Sie Kaffee oder sonst irgend etwas?«
»Nein, danke.« Seine Augen schienen mich abzutaxieren. »Ich bin gekommen, um Ihnen persönlich zu danken.«
»Wofür?«
»Mein Sohn, Bobby - Sie haben etwas geschafft, das mir bei ihm nie vergönnt war: Sie haben ihn auf den rechten Weg geführt.«
Ich musterte ihn verwirrt, und er lachte leise und fügte hinzu: »In mancher Hinsicht, meine ich.«
Ich stimmte in sein Lachen ein. »Ich möchte nicht, daß Sie mich zu sehr mit Lorbeeren bekränzen.«
Er lächelte. »Zum ersten Mal in seinem Leben hat ihn jemand dazu gebracht, daß er arbeitet.«
»Vielleicht hat ihm noch nie jemand einen Job angeboten.«
»O doch. Ich hab’s oft genug getan. Aber er war nicht interessiert.«
»Sie sind sein Vater«, sagte ich. »Und so zählte das aus seiner Sicht nicht weiter.«
»Das könnte sein. Jedenfalls ist er jetzt ein anderer Mensch. Er läßt sich nicht mehr so treiben.«
Ich schwieg. Ich hatte ihm nichts weiter über Bobby zu sagen. Doch ich spürte, daß er noch nicht fertig war.
»Sie wissen, daß Bobby homosexuell ist?«
Ich nickte.
»Sie auch?«
Ich lächelte. »Ich glaube nicht.«
»Sie glauben’s? Ja, sind Sie sich denn nicht sicher?«
Ich hob die Schultern. »Früher gab’s kaum etwas, worin ich mir nicht sicher war. Jetzt bin ich da zurückhaltender.«
Er blickte sich in dem kleinen Appartement um. »Wohnen Sie hier?«
»Ich werde hier wohnen, wenn Bobby mit dem Einrichten fertig ist. Im Augenblick klappert er die Althändler nach Möbeln ab.«
»Er hat mir gesagt, daß Sie genügend Inserate brauchen, um die Kosten für die Herstellung und so weiter zu decken.«
»Das stimmt.«
»Haben Sie denn schon welche?«
»Mir sind vier Seiten pro Nummer garantiert worden.«
»Hätten Sie Verwendung für mehr?«
»Natürlich.«
»Meine Kirche bedient sich regelmäßig der Werbung in Zeitungen und Zeitschriften wie auch in Rundfunk und
Fernsehen. Ich könnte selbst etwas im Anzeigenteil plazieren und außerdem auch einige Geschäftsleute aus meiner Gemeinde dazu bewegen.«
»Das wüßte ich zu schätzen«, sagte ich. »Aber wäre es nicht besser, wenn Sie sich erst einmal ansehen, was für eine Art Blatt wir da machen?«
»Haben Sie etwas gegen religiöse Werbung?«
»Nein. Aber es könnte sein, daß Ihnen unser Produkt nicht gefällt.«
»Durch Bobby bin ich bereits im Bilde. Sie werden Bilder von nackten Frauen bringen und über Sex und Drogen schreiben. Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Das gehört doch alles zum Leben. Ich bin ein Prediger, nicht ein Heiliger oder ein Moralist. Ich möchte den Menschen helfen, sich selbst zu finden und ein glückliches Leben zu führen. Versuchen Sie das auf Ihre Weise nicht auch?«
»Früher einmal. Aber die Ideale sind futsch. Das einzige, was ich jetzt noch will, ist - einen Haufen Geld machen.«
»Dagegen ist ja nicht das mindeste zu sagen.« Tief aus seiner Kehle klang ein Glucksen. »Ich hab’s ganz gut verstanden, beides miteinander zu verbinden.«
Er brauchte mir nicht lange zu erklären, wie erfolgreich er gewesen war. Daß er säckeweise Geld scheffelte, war mir bekannt.
»Ich würde mich gern als Partner bei Ihnen einkaufen«, sagte er.
»Tut mir leid, aber als ich diese Sache startete, habe ich mir eins geschworen: keine Partner.«
Er musterte mich lauernd. »Und Lonergan? Ich habe gehört, daß er beteiligt ist.«
»Da haben Sie etwas Falsches gehört. Er hat einen Vertrag, der ihm pro Ausgabe vier Anzeigenseiten sichert, welche er über seine eigene Werbeagentur weiterverkaufen kann.
Irgendwelche Anteile besitzt er nicht, und mit der Herausgabe des Blattes hat er auch nichts zu tun.«
»Klug von ihm.« Aus der Art, wie er es sagte, klang deutlich heraus, daß er begriff, wo Lonergans Interessen an diesem Blatt lagen.
»Die erste Ausgabe sollten wir so in zwei, drei Wochen fertig haben. Vielleicht schauen Sie am besten dann vorbei und lassen mich wissen, was Sie tun wollen.«
»Das weiß ich bereits. Wieviel kostet eine ganze Seite?«
»Das weiß ich noch nicht. Wir haben die genauen Sätze noch nicht durchkalkuliert.«
»Wieviel garantiert Ihnen denn Lonergan pro Seite?«
»Achthundert.«
»Halten Sie das für einen fairen Preis?«
Ich nickte.
»Ich nehme eine Seite pro Woche für ein Jahr«, sagte er und zog ein Bündel Geldscheine hervor. In aller Ruhe begann er, Tausender hinzublättern.
Als er bei vierzigtausend angelangt war, schob er den Haufen auf mich zu. »Da ich ein ganzes Jahr im voraus kaufe, habe ich sicher ein Anrecht auf zwei Wochen gratis.«
»Auf mehr als nur zwei.«
»Das genügt mir schon.«
»Sie brauchen auch nicht im voraus zu bezahlen. Was ist, wenn das Blatt eingeht?«
Er lächelte. »Nun, genau diese Vorauszahlung müßte eigentlich Ihre Chancen erhöhen, im Geschäft zu bleiben. Sie können das Geld ja dazu verwenden, ein besseres Blatt auf den Markt zu bringen.«
»Aber eine Garantie ist es trotzdem nicht.«
Er erhob sich. »Dann werde ich den Teufel spielen. Ich werde um Ihre Seele feilschen. Falls das Blatt eingeht, ehe das Jahr vorüber ist, dann können Sie zu einem meiner
Gottesdienste kommen und die Rechnung für beglichen erachten.«
Der Ronzi-Vertrieb befand sich in einem alten, einstöckigen Lagerhaus in Anaheim. Ich folgte Persky die Laderampe hinauf und in das langgestreckte, schmale Gebäude. Überall sah man Ständer und Gestelle voller Bücher und Magazine; daß sie nach irgendeinem bestimmten System aufgestellt waren, ließ sich nicht erkennen. Wir kamen an Packtischen vorbei, an denen eine Reihe von Männern arbeitete. Durch schmutzige Korridore ging es weiter zum hinteren Teil des Hauses, wo sich hinter einer gläsernen Trennwand eine Art Büro befand.
Es gab mehrere Schreibtische. Der größte stand für sich in einer Ecke. An kleineren Schreibtischen saßen zwei Frauen und ein Mann. Die beiden Frauen nahmen telefonisch Bestellungen entgegen; der Mann schien damit beschäftigt, Rechnungen auszustellen. Er hob den Kopf. »Ronzi erwartet Sie«, sagte er. »Ich werde ihn rufen.« Er hob einen Telefonhörer ab.
Wenige Minuten später trat ein überaus stämmig wirkender Italiener ein. Er hatte krauses Haar und buschige Augenbrauen und schien buchstäblich durch die Tür hereinzuwalzen. Mit einer langen Vorrede hielt er sich nicht auf. »Ich bin Giuseppe Ronzi«, sagte er. »Kommen Sie hier rüber und nehmen Sie Platz.«
Wir folgten ihm zum großen Schreibtisch. Mit seinen Pranken fegte er mehrere Bücher und Magazine von den Stühlen auf den Fußboden. Während wir uns setzten, stand eine der Frauen wortlos auf und bückte sich nach den herabgeschleuderten Sachen.
»Haben Sie ein Probeexemplar mit?« fragte er mich.
»Nein. Aber -«
Er unterbrach mich. Wütend starrte er Persky an. »Habe Ihnen doch gesagt, daß Sie ohne Probeexemplar gar nicht erst
hier aufkreuzen sollen. Bin ich ein Idiot, daß ich mit Amateuren meine Zeit verplempere!?« Er stand auf. »Gottverdammich! Es ist so schon schwer genug, in diesem Geschäft die Nase oben zu behalten. Das fehlt mir gerade noch, daß -«
»Mr. Ronzi«, sagte ich leise, »wie würde Ihnen der Alleinvertrieb des Playboy für den Bereich von LA behagen?«
Er sah mich ungläubig an. »Was haben Sie da eben gesagt?«
Ich hob meine Stimme ein wenig. »Haben Sie mich denn nicht verstanden?«
»Ich habe irgendwas von Playboy gehört.«
»Dann haben Sie richtig gehört«, sagte ich, noch lauter. »Sind Sie interessiert?«
»Wäre ich ja verrückt, wenn ich’s nicht wäre.«
»Haben Sie das auch Hugh Hefner erzählt?«
»Sie wissen genau, daß ich dazu nie Gelegenheit hatte. Er hat mich nie gefragt.«
»Dann machen Sie den gleichen Fehler nicht zum zweiten Mal.«
»Wie kann ich denselben Fehler zum zweiten Mal machen, wenn ich ihn überhaupt noch nicht gemacht habe?« schrie er. Er blickte zu Joe. »Was ist mit diesem Kerl? Ist er verrückt oder was?«
»Er ist verrückt«, sagte Joe lächelnd.
Ich stand auf. »Okay, Joe, gehen wir.«
Auch Joe erhob sich. Wir standen alle drei. »Wo, zum Teufel, wollt ihr hin?« rief Ronzi. »Ich dachte, ihr wollt eine Unterredung.«
»Sie haben gesagt, Sie wollen ein Probeexemplar. Da ich keins habe, will ich Ihre Zeit nicht vergeuden.«
»Setzt euch, setzt euch«, sagte er. »Ihr seid hier. Also können wir uns auch miteinander unterhalten.«
Ich kehrte zu meinem Stuhl zurück. »Okay.«
»Wer steht hinter Ihnen? Lonergan?«
»Wer steht hinter Ihnen? Die Mafia?«
»Werden Sie nicht rotzig. Sie wollen doch, daß wir Ihr Blatt
vertreiben, oder?«
»Weiß ich noch nicht. Sie haben mir ja noch kein Angebot gemacht.«
»Wie, zum Teufel, kann ich Ihnen ein Angebot machen, bevor ich weiß, was Sie zu verkaufen haben?«
»Das ist eine gute Frage.«
»Wenn’s genauso ‘n Wegwerf-Fetzen wird wie früher, dann will ich’s auf gar keinen Fall.«
»Ich auch nicht.«
»Ich vertreibe an nicht weniger als achttausend Händler.«
»Ausgezeichnet.«
»Liefern Sie mir ein knallfreches Blatt, und ich bring Sie bei zweitausend unter. Mit je zehn Exemplaren. Sind zusammen zwanzigtausend Stück. Jeweils zehn Cents für Sie sind glatte zwei Riesen. Das ist nicht übel.«
»Nicht für Sie, klar«, sagte ich. »Aber bei der Qualität, in der ich das Blatt bringen will, brauche ich wenigstens fünftausend, um klarzukommen.«
»Sie sind übergeschnappt. Von diesen Geilfetzen ist doch keiner so gut, daß wir’s pro Woche auf fünfzigtausend Stück bringen würden.«
»Genau dasselbe haben Sie auch zu Hefner gesagt«, warf ich ein.
»Wie oft muß ich Ihnen denn noch erklären, daß ich mit dem Mann nie ein Wort gewechselt habe?« schrie er.
Ich lachte. »Das ist doch nur so eine Redensart. Aber was Sie zu mir sagen, ist genau das, was Sie auch zu ihm gesagt hätten.«
»Sie sind noch kein Hugh Hefner.«
»Stimmt«, bestätigte ich. »Aber wissen Sie, wer ich morgen sein werde?«
Er blickte zu Joe. »Warum schleppen Sie mir bloß immer die Spinner an?«
Joe lächelte. »Wenn er bei Verstand wäre, würde er in diese Art von Geschäft bestimmt nicht einsteigen.«
Ronzi blickte wieder zu mir. »Also gut, Garantie für dreißigtausend Stück. Bar im voraus. Und ich habe den Alleinvertrieb.«
»Genügt nicht. Vierzigtausend Stück zu zwölfeinhalb Cents, auf derselben Basis. Und den Alleinvertrieb haben Sie nur fürs erste Jahr.«
»Da machen meine Partner garantiert nicht mit. Welche Sicherheit bleibt mir denn? Ich meine, das Ding kann doch ein kolossaler Blindgänger werden. Und dann sitze ich da, platt auf meinem Arsch, während Sie -« Er unterbrach sich. »Und wenn die Sache läuft, bin ich dann auf einmal ausgebootet, wie?«
»Kein Gedanke. Sie können mir ja jederzeit mehr Geld geben.«
Er krauste die Stirn. »Mir wäre wohler zumute, wenn Sie mir eine Vorstellung von dem geben könnten, was ich kaufe.«
Jetzt hatte ich ihn, und ich wußte es. Inzwischen war er fest davon überzeugt, daß er Gefahr lief, Hugh Hefner abblitzen zu lassen. Allerdings: Der Sache fehlte noch der letzte Schliff, ein Argument von entscheidender Durchschlagskraft. Keinesfalls sollte er mir wieder abspringen.
»Wer kauft diese Magazine und Blätter?« fragte ich, während ich noch grübelte.
»Na, Männer. Wer sonst?«
»Und warum kaufen sie sie?«
»Um sich aufzugeilen und sich einen runterzuholen. Die Muschis machen sie heiß. Sie suchen immer nach was Neuem.«
Ohne es zu wissen, hatte er mir gerade eine Idee gegeben. »Jetzt kommen Sie der Sache schon näher.«
»Wirklich?« Er schien verwirrt.
Ich blickte zu Joe. Gern hätte ich die Miene, die er jetzt zeigte, für einen Ausdruck von Respekt gehalten, aber wahrscheinlich sprach daraus nur Neugier: Was für eine Karte ich wohl als nächste aus dem Ärmel ziehen würde. Ich spielte Persky den Ball zu. »Okay, Joe, willst du’s ihm sagen, oder soll ich das tun?«
»Sie sind der Boß. Also sagen Sie’s ihm auch.« Aus seiner Stimme klang Unbehagen. Offenbar wollte er nicht vorschnell in was hineingezogen werden. Abwarten und Tee trinken -seine Devise.
Ich senkte meine Stimme. »Muß aber streng vertraulich bleiben. Aus diesem Büro darf kein Wort hinausdringen. Ich möchte nicht, daß mir irgendwer diesen Gag klaut.«
»Ich bin wie ein Priester bei der Beichte. Von mir erfährt kein Schwanz was«, versicherte Ronzi feierlich.
Ich lächelte. Daß ihm eine solche Rolle auf den Leib geschneidert war, hätte man kaum behaupten können. »Neue Muschis«, sagte ich.
»Neue Muschis?« wiederholte er fragend.
Ich nickte. »Die Hauptattraktion, gleich auf der Frontseite. Riesenschlagzeile: Neues Girl in der Stadt! Ein bildhübsches Betthäschen in Supermini oder Hot Pants. Hat ein Köfferchen bei sich. Zu finden in einem Bahnhof, einem Busbahnhof oder auf einem Flugplatz. Direkt auf ihrem Bauch, quer über ihrer Muschi ein Band mit großen weißen Buchstaben: Nackt auf unserem Faltbild in der Heftmitte!< Und Woche für Woche gibt’s eine neue Muschi - zweiundfünfzig pro Jahr.«
Ronzi sah mich mit offenem Mund an. »Mann, wenn das kein Genieblitz ist! Warum hast du mir denn davon nichts vorher erzählt, Joe?«
Ich half Joe aus der Klemme. »Ich hatte ihm eingeschärft, unbedingt dichtzuhalten.«
»Einfach Klasse. Und wißt ihr, was mir besonders daran gefällt? Das Girl ist innen auf dem Faltbild nackt und nicht draußen auf der Umschlagseite. Und das heißt, daß die Kerle das Heft kaufen müssen, um das Mädchen zu sehen.«
»Genau. Sie haben’s kapiert.«
»Die garantierten vierzigtausend nehme ich. Aber dazu möchte ich noch zehntausend auf Kommission, und in jeder Nummer müssen Sie mir eine freie Anzeigenseite geben.«
»Mit den zehntausend auf Kommission bin ich einverstanden, das Stück zu fünfzehn Cents. Aber mit der Gratisanzeigenseite, das wird nichts. Für eine Anzeigenseite müssen Sie achthundert Dollar berappen, wie jeder sonst.«
Ronzi blickte zu Joe. »Erklär diesem Verrückten mal, wie so was läuft. Was ich verlange, ist absolut die Norm.«
»Das stimmt, Gareth«, sagte Joe.
»Okay, ich will nicht so sein. Für die Anzeigenseite gebe ich ihm fünfzig Prozent Händlerrabatt. Kostet ihn die Seite also nur noch vierhundert.«
»Und was ist mit den zehntausend auf Kommission? Bei fünfzehn Cents pro Stück kriege ich praktisch eins dafür reingewürgt, daß ich versuche, mehr Exemplare abzusetzen«, sagte Ronzi. »Die zehntausend will ich nämlich bei den Zeitungshändlern abladen, und das heißt, daß ich den Burschen die Sache schmackhaft machen muß. Im Klartext: Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, als jeden von ihnen pro Stück mit fünf Cents extra zu füttern.«
»Mir kommen die Tränen«, sagte ich.
»Du bist ein verrückter Hund«, sagte er.
»Danke. Ich werde von meinem Anwalt einen Vertrag aufsetzen lassen.«
»Wer braucht einen Anwalt? Mein Wort ist gut genug.«
»Aber meins nicht«, sagte ich. »Den Anwalt brauchen Sie.«
Persky sprach erst, als wir uns auf der Schnellstraße in Richtung Los Angeles befanden. »Ich verstehe Sie nicht«, sagte er.
Ich steckte mir eine Zigarette an. »Da ist nichts zu verstehen.«
»Einen Mann wie Ronzi läßt man nicht ungestraft aufsitzen. Wenn Sie nicht liefern, bringt er Sie um.«
»Wir werden liefern.«
»Wann?« fragte er. »Seit einem Monat machen wir jetzt schon rum, aber bisher habe ich noch nicht mal das Papier gerochen.«
»In zwei Wochen«, sagte ich.
»Jetzt weiß ich, daß Sie wirklich verrückt sind. Sie haben gerade ein Foto-Layout verkauft, das wir überhaupt noch nicht besprochen haben, und was irgendeinen druckfertigen Text betrifft - nicht eine einzige Silbe steht bisher davon. Was meinen Sie denn, wo das herkommen soll? Vom Himmel?«
Ich sah ihn an und lächelte. »In gewisser Weise schon. Inzwischen habe ich für Sie einen anderen Job.«
»Und der wäre?« fragte er wie angewidert.
»Leiter unserer Anzeigenabteilung.«
»O nein. Nein, das laß ich mir nicht aufhängen. Normale Inserenten würden in eine Anzeige in unserem Blatt doch keinen einzigen Cent stecken.«
»Ganz recht«, sagte ich. »Normale - also die üblichen -Inserenten wohl nicht. Aber was ist mit den anderen? Denn die gibt’s todsicher auch. Es muß Tausende von Oben-Ohne-Bars, Discos und Massagesalons geben, die in normalen Blättern nicht inserieren können. Wir werden einen speziellen Unterhaltungsteil einbauen und denen jeweils eine Achtelseite davon verkaufen, und zwar zum Discount-Preis von fünfundsiebzig Dollar. Vier Seiten möchte ich mit solchen Inseraten voll haben.«
»Die kriegen Sie nie. Solche Etablissements wollen nicht in die Presse. Denen liegt daran, hübsch draußen zu bleiben. Die haben Angst, hopp genommen zu werden.«
»Seinen Namen sieht jeder gern gedruckt. Die werden schon anbeißen.«
Er schüttelte den Kopf. »Na, ich weiß nicht.«
»Für das >Ich weiß nicht< gibt’s fünfzig Dollar Gehaltserhöhung, wegen aufdämmernder Intelligenz. Für ein >Ist zu schaffen< gibt’s noch einmal hundert oben drauf.«
»Ist zu schaffen«, sagte er mit plötzlichem Enthusiasmus. Einen Augenblick später wirkte er schon wieder
sorgenumwölkt. »Aber das Blatt - in zwei Wochen schon fertig
- ja, wie denn nur.«
»Tun Sie nur Ihren Job, Joe. Ich tue meinen.«
»Du gibst eine Menge Geld aus«, sagte Verita.
Ich legte das Blatt mit dem Text aus der Hand, den ich gerade überprüft hatte.
»Sind wir knapp?«
»Nein. Aber die Kosten für diese Ausgabe belaufen sich bereits auf elftausend Dollar. Und mehr wird dafür auch nicht hereinkommen. Wenn das so ist oder bleibt, dann machen wir keinen Gewinn.«
»Die Startausgabe kostet immer mehr als normal. Wir brauchen einen Haufen Sachen. Gib mir mal eine Aufgliederung.«
Sie griff nach einem Blatt Papier. »Kosten für Druck und Papier bei dieser ersten Ausgabe - siebentausend. Wir könnten tausend Dollar einsparen, wenn du für die Titelseiten auf Glanzpapier verzichten würdest.«
»Dadurch bekommt das Blatt Klasse. Also bleibt’s dabei. Sonst würden wir uns nämlich von all den Dutzendblättern überhaupt nicht unterscheiden. Jedenfalls nicht äußerlich, nicht auf den ersten Blick.«
»Fotos, Layout und so weiter - zweieinhalbtausend. Bobby hat einen teuren Geschmack, und den Wert des Geldes scheint er überhaupt nicht zu kennen.«
»Ich habe ihm gesagt, daß er erster Klasse reisen soll. Das sind neuntausendfünfhundert. Was ist der Rest?«
»Gehälter, Spesen et cetera.«
»Da läßt sich ja nun wirklich nicht viel ändern. Die Leute müssen bezahlt werden.« Ich steckte mir eine Zigarette an. »Was sollten wir deiner Meinung nach tun?«
»Bei der nächsten Nummer unbedingt kürzer treten. Auf Glanzpapier verzichten und das Budget für Bobby halbieren.«
Ich lächelte. »Da spricht eine echte Buchhalternatur. Ich habe eine bessere Idee. Wieviel haben wir momentan auf der Bank?«
»Rund achtzigtausend Dollar.«
»Na, bitte - heben wir die Moneten doch ab, und dann los über die Grenze nach Mexiko. Mit einem solchen Sümmchen läßt sich dort ganz gut leben.«
Sie sah mich prüfend an. Meinte ich das wirklich ernst? Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. »Das wäre unehrenhaft«, sagte sie.
»Na und? Hauptsache, wir kämen auf unsere Kosten.«
Ernst schüttelte sie den Kopf. »Wenn ich dort leben wollte, wäre ich schon vor Jahren gegangen. Aber ich bin Amerikanerin. Mir gefällt es hier.«
Ich lachte. »Mir auch.«
Ihre Erleichterung war unverkennbar. »Ich fing schon an zu glauben, es sei dir ernst damit.«
»Sieh mal«, sagte ich, »so schlimm ist das mit den Kosten wirklich nicht. Die Fotos, die Bobby von Mädchen geschossen hat, reichen uns für mindestens sechs Nummern. Außerdem hat er das Schema fürs Layout ausgearbeitet. Wir brauchen die Bilder praktisch nur noch einzupassen. Von nun an, meint er, werden die Kosten bei ihm pro Woche nicht über tausend Dollar betragen.«
»Da ist mir schon wohler. Was ist mit dem Glanzpapier?«
»Das bleibt. Wir verlangen pro Exemplar fünfunddreißig Cents. Das ist zehn Cents mehr, als die anderen Blätter kosten, und es ist das erste, was dem Kunden auffällt. Es muß auch schon auf den ersten Blick den Eindruck machen, daß er für sein Geld mehr erhält.«
»Okay«, sagte sie und nahm aus ihrem Hefter eine Rechnung. »Die ist eben gekommen.«
Die Rechnung stammte von der Firma Acme Photo. Dreitausend Dollar für Kamera und Zubehör. Ich schob ihr das Stück Papier wieder zu. »Begleiche sie.«
»Er hat die teuersten Kameras gekauft. Außerdem Objektive und ein Stativ.«
»Er hätte es teurer machen können. Es handelt sich um gebrauchte Geräte. Neu hätte das zehntausend Dollar gekostet. Das spielt keine Rolle. Er wird alle Fotos selbst schießen. Dadurch sparen wir schon mal die Hundert, die uns ein Fotograf pro Stunde kosten würde.«
»Ich geb’s auf«, sagte sie.
Ich grinste. »Du machst dir zu viele Sorgen. Wie lange ist es eigentlich her, seit dich einer gelegt hat?«
Endlich lächelte sie. »Das müßtest du doch wissen. Es sei denn, du hast dir so eine Kleine von der Mission gegriffen, und ich weiß nichts davon.«
»Workshop heißt das und nicht Mission«, verbesserte ich und legte meinen Bleistift aus der Hand. Die letzten zehn Tage waren wirklich ein Schlauch gewesen. »Feierabend« hatte ich immer erst um zwei Uhr nachts gemacht. Aber so ging das eben, wenn man den ganzen Text selbst schreiben mußte. Sicher, hier und da konnte man auf was zurückgreifen, das einem die Filmfirmen zur Verfügung stellten; für kleinere Lücken, die es zu füllen galt, war das eine Lösung. Aber dann hieß es, sich verdammt noch mal selbst was aus den Fingern saugen. Eins nahm ich mir fest vor: Wenn wir genug Geld hatten, würde ich ein oder zwei Leute engagieren, die sich als Reporter wie auch als Redakteure bewähren konnten. Für mich jedenfalls war diese Art Tretmühle wirklich nichts.
Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es war fast Mitternacht, und nur wir beide befanden uns noch im Büro.
»Sag mal, wie wär’s, wenn wir zu Sneaky Pete’s am Strip fahren und ein Steak verdrücken, bevor’s dann nach Hause geht zu einem guten Fick.«
»Ich hab eine bessere Idee.«
»Ich höre.«
»Steaks hätten wir zu Hause im Kühlschrank. Die kann ich in den Grill tun, und während sie so richtig mundgerecht werden, können wir -«
»Können wir was?«
»- bumsen.«
»Deine Idee ist besser.« Ich stand auf. »Worauf, zum Teufel, wartest du denn noch?«
Ich lag tief im Schlaf, ganz tief. Rings um mich war nichts als undurchdringliche Nachtschwärze, und ich schlief jenen gleichsam endlosen Schlaf, wie man ihn wohl nur erlebt, wenn man sich in einem urgewaltigen Orgasmus völlig ergossen hat, wenn man buchstäblich wie leergepustet ist.
Und so hörte ich das Telefon nicht; aber Verita hörte es.
Sie schüttelte mich wach und schob mir den Hörer ans Ohr. »Deine Mutter«, sagte sie.
»Hallo, Mutter«, murmelte ich.
»Wer war das Mädchen?« Die Stimme meiner Mutter hallte mir ins Ohr.
»Was für ein Mädchen?« fragte ich, noch benommen.
»Das Mädchen, das sich eben am Telefon gemeldet hat.«
»Das war kein Mädchen. Das ist meine Buchhalterin.«
»Da klang mir doch etwas von einem mexikanischen Akzent durch«, sagte meine Mutter.
Ich öffnete die Augen. Meine Mutter verstand es doch immer, mich richtig wach zu machen. »Und schwarz ist sie auch noch«, sagte ich.
»Weshalb gehst du mir aus dem Weg?« fragte meine Mutter.
»Ich gehe dir nicht aus dem Weg. Es ist nur - ich spiele nicht mehr Tennis.«
»Soll das etwa witzig sein? Weißt du, was für ein Tag heute ist?«
»Herrgott, Mutter, wie soll ich das wissen? Um diese Morgenzeit weiß ich ja nicht mal, welches Jahr wir haben.«
»Es ist jetzt zehn Uhr vormittags. Kein bißchen hast du dich geändert. Ich wußte doch, daß das nicht stimmen konnte, was Onkel John mir da erzählt hat.«
»Was hat er dir denn erzählt?«
»Daß du richtig ins Lot gekommen seist und nicht einmal allerhärteste Arbeit scheutest. Nun, er hätte es besser wissen sollen. All das Geld, das er dir gegeben hat, kann er gewiß schon jetzt abschreiben.«
»Ach, Scheiße, Mutter. Komm zur Sache. Weshalb rufst du an?«
»Der Todestag deines Vaters jährt sich zum vierten Mal. Ich dachte mir, es wäre vielleicht ganz nett, wenn wir zusammen zu Abend essen würden. Du, John und ich.«
»Das bringt ihn nicht zurück, Mutter.«
»Das weiß ich«, sagte sie. »Aber es wäre doch nett, wenn wir etwas täten, das beweist, daß wir ihn nicht vergessen haben. Paßt es dir um acht?«
»Okay.«
»Binde dir eine Krawatte um, falls du noch eine hast. Ich habe einen neuen Butler und möchte nicht, daß er meinen Sohn für einen Gammler hält.« Sie legte auf.
»Das war meine Mutter«, sagte ich zu Verita, während ich die Hand nach einer Zigarette ausstreckte.
»Ich weiß.« Sie hielt mir ein brennendes Streichholz hin. »Wie ein Baby sahst du aus, so tief hast du geschlafen. Am liebsten hätte ich dich gar nicht aufgeweckt.«
»Was ist denn das?« fragte ich. Von der Küche her klangen Geräusche.
»Keine Ahnung«, sagte sie. »Hast du Bobby für letzte Nacht zurückerwartet?«
Ich schüttelte den Kopf und schwang mich aus dem Bett. Als ich die Schlafzimmertür öffnete, drang mir Geruch von gebratenem Speck in die Nase. Ich ging zur Küche.
Bobby stand am Herd. Ohne den Kopf zu drehen, sagte er: »Geh nur wieder ins Bett. Ich bringe das Frühstück.«
»Er macht uns was zu essen«, sagte ich zu Verita, als ich wieder ins Schlafzimmer trat.
»Schön, daß er mir das abnimmt.« Sie lachte. »Ich zieh mir wohl besser was an.«
Sie stand auf, doch in derselben Sekunde öffnete sich die Tür. Rasch sprang sie wieder ins Bett und zog sich die Decke über die Brüste. Bobby trat ein. Er war wie ein Butler gekleidet
- gestreifte Hosen, Weste etc. - und lächelte breit. In den Händen hielt er ein weißes Frühstückstablett. »Das Frühstück, Sir«, sagte er, während er ganz ins Zimmer trat.
Ich hörte ein Kichern. Unmittelbar hinter ihm tauchte Denise auf. Sie trug eine französische Zofentracht -superkurzes, schwarzglänzendes Röckchen, superlange, gleichfalls schwarze Nylons, winzige weiße Schürze und ein Häubchen. Auch sie hielt ein Tablett in den Händen. »Das Frühstück, Madame«, kicherte sie.
Fast feierlich placierten die beiden ihre Tabletts auf unseren Oberschenkeln.
»Teufel noch mal, was ist denn los, Bobby?« fragte ich.
Er lachte. »Trinken Sie Ihren Orangensaft und Ihren Champagner, Sir. Heute ist ein höchst bedeutsamer Tag.«
Mit breitem Grinsen zog er eine säuberlich gefaltete Zeitschrift aus seiner Jacke. »Die Morgenzeitung, Sir. Das erste Exemplar, frisch aus der Presse.«
Ich blickte auf die großen, schwarzen Buchstaben, die den Titel bildeten. Hollywood Express. Darunter befand sich zweifarbig ein kesses Bild von Denise, die auf dem Greyhound-Bahnhof aus dem Bus stieg. Ein Band, das quer über das Foto lief, verkündete: »Neues Girl in der Stadt!«
»Mensch, da hast du’s ja!« rief, nein, schrie ich.
Er lachte. »Wir waren heute früh um sechs in der Druckerei.«
»Mensch«, sagte ich wieder und blätterte um, eine Seite nach der anderen. Nichts davon war für mich neu, natürlich nicht: Ich hatte ja vorher die Probeabzüge gesehen. Und doch war alles ganz anders. Jetzt, wo ich wirklich die erste Nummer des Express in der Hand hielt, ging es wie ein elektrischer Strom durch mich hindurch.
»Gefällt’s dir?« fragte Bobby.
»He«, sagte ich als Antwort auf seine Frage, »ruf Persky an. Er soll sich schleunigst hinverfügen, damit der Vertrieb ins Rollen kommen kann.«
»Er ist bereits dort. Und die ersten fünftausend Stück sind schon auf dem Weg zu Ronzi.« Von irgendwoher zauberte er noch zwei Gläser herbei und reichte eines, mit Champagner gefüllt, Denise. »Auf den Hollywood Express«, sagte er. »Auf daß er nie entgleisen möge.«
Noch immer konnte ich nicht ganz fassen, daß dies Wirklichkeit war. Wieder blätterte ich das Heft durch - und hielt plötzlich inne. Ich war auf das Faltbild gestoßen. Und dort sah ich Denise, nackt und schön. Das Hauptfoto wie auch die anderen, kleineren, sie alle vermittelten etwas Ursprüngliches und gleichsam Urgesundes, das von diesem Mädchenkörper ausging und sofort ins Auge sprang. Es war eine Art unschuldiger sexueller Bewußtheit, die ihre ganz eigene Sprache sprach.
Ich sah, daß Verita das genauso empfand. »Was meinst du?« fragte ich sie.
»Ich werde heute vormittag die Rechnungen zahlen«, erwiderte sie schlicht.
»Die Bilder sind sensationell, Bobby. Und ich kann kaum glauben, wie schön du aussiehst, Denise.«
Sie lächelte unaffektiert. »Danke. Ich war wegen der Bilder ziemlich nervös.«
»Sie hatte Angst, zuviel von ihrer Muschi zu zeigen«, erklärte Bobby. »Ich habe ihr versichert, da brauche sie sich keine Sorgen zu machen.«
»Hast du retuschiert?«
Er schüttelte den Kopf. »Du hast doch gesagt, so was käme nicht in Frage. Nein. Ich habe sie - ganz buchstäblich -zurechtfrisiert. Macht sich doch toll, findest du nicht?«
Ich grinste. Plötzlich spürte ich einen wahren Bärenhunger. Ich machte mich über die Eier und den Speck her. »Was ist mit euch beiden?« fragte ich zwischen zwei Bissen. »Habt ihr überhaupt schon gefrühstückt?«