GORDON R. DICKSON - DER WOLFLING

Herausgegeben von Hans Joachim Alpers


Kapitel 1

Auf der Thronwelt des galaktischen Reiches gilt der Terraner James Kell nur als eine Art Haustier ohne Rechte. Aber Kell gibt sich mit dieser Rolle nicht zufrieden...

Der Stier wollte nicht angreifen.

James Kell stampfte mit dem Fuß auf den Boden und rief zu dem Tier hinüber, aber es wollte noch immer nicht angreifen -und dazu war es programmiert. Genauer gesagt, war es dazu programmiertem diesem Stadium des Stierkampfs noch Angriffsbereitschaft an den Tag zu legen.

Daran war nichts zu ändern. Die besten Tests, die für die äußere Verfassung des Stiers zur Verfügung standen, konnten keine Aussagen über die wahrscheinliche Ausdauer oder Angriffslust des Tieres machen. Der Stier war müde. Das zwang Jim dazu, den Programmabschluß zu beschleunigen und ihn jetzt zu töten.

Er ging auf den Stier zu, stampfte und brüllte wieder, und es gelang ihm, das müde Tier zu einem weiteren Angriff zu bewegen. Als ein Horn an ihm vorbeifuhr und ihn an Hüfte und Taille streifte, zog er mit aller Kraft seinen Bauch ein und spürte ein Band innerer Kälte, wo er berührt worden war. Er war wie der Stier programmiert; solange sie beide ihrer Programmierung folgten, war er sicher. Er war jedoch erst seit sechs Wochen intensiver Ausbildung Stierkämpfer. Außerdem besaß er im Gegensatz zu dem Stier freien Willen - und der freie Wille schloß die Fähigkeit ein, die Programmierung zu durchbrechen und Fehler zu machen.

Wenn er einen Fehler machte, konnte ihn dieser Stier durchaus töten.

Er bemühte sich daher, keine Fehler zu machen, sogar jetzt, wo der Stier fast am Ende seiner Kräfte angelangt war. Er brachte ihn vorsichtig noch zu einigen weiteren Angriffen.

Dann zog er sein Schwert und setzte es hinter den Hörnern zum Todesstoß an.

Der Stier grunzte, senkte sich auf die Knie und rollte auf die Seite, als er die Klinge herauszog. Während er mit unbewegtem Gesicht seine Todeszuckungen beobachtete, erschien im Sand der Arena neben ihm eine weibliche Gestalt und sah auf den gefallenen Stier herab.

Er drehte sich ihr zu. Es war Prinzessin Afuan, Tante des Groß-Kaisers und Leiterin der Delegation von Hochgeborenen, die in der offiziellen Loge auf der anderen Seite der Arena saßen. Sie waren von den kleinen, braunhäutigen menschlichen Einwohnern von Alpha Centauri III umringt. Afuan war weder klein noch braun - und auch einem auf der Erde geborenen Weißen wie Jim selbst ähnelte sie weder in ihrer Größe noch ihrer Farbe im geringsten.

Ihre Bekleidung - wenn man es so nennen wollte - bestand aus einer Art weißem, hauchdünnen, wolkigen Tuch. Es ließ ihre Arme frei, bedeckte sie aber sonst von den Achselhöhlen bis zu den Knöcheln und teilte sich nur mit der Bewegung ihrer Beine beim Gehen. Auch ihre Haut über dem wolkigen Material war weiß, aber nicht in dem Sinn, wie Jims Haut ,weiß’ war.

Afuans Haut trug die Farbe von weißem Onyx, und Jim konnte die blauen Adern erkennen, die dunkel in der Marmorsäule ihres Halses pulsierten. Ihr Gesicht war schmal, und ihre großen Augen zeigten eine verblüffende zitronengelbe Farbe. Sie machten daher unter den weißlichen Wimpern und Brauen auf beiden Seiten ihrer langen, geraden Nase den Eindruck, als seien sie geschlitzt und katzenartig obwohl ihnen die Mongolenfalte der Orientalen fehlte. Man hätte sie in einer gemeißelten, abstrakten Art sogar schön nennen können - und sie war so groß wie Jim selbst, der zwei Meter emporragte.

„Sehr unterhaltsam“, sagte sie nun zu Jim. Sie sprach die Reichssprache mit einem schnellen, fast zischenden Akzent. „Ja, dich nehmen wir auf jeden Fall mit, äh... wie lautet dein Weltenname, Wolfling?“

„Erdenmensch, Hochgeborene“, antwortete Jim.

„Aha. Na gut - komm mit zu unserem Schiff, Erdenmensch. Die Thronwelt wird dich zu schätzen wissen“, sagte sie. Sie sah an ihm vorbei zu den anderen Mitgliedern der Cuadrilla. „Aber nicht die anderen da, deine Gehilfen; es hat keinen Sinn, wenn wir das Schiff vollstopfen. Wenn wir erst einmal auf der Thronwelt sind, können wir dir alles stellen, was du für deine Nummer brauchst.“

Sie begann, sich herumzudrehen, aber Jim sprach. „Entschuldigen Sie, Hochgeborene“, sagte er. „Neue Gehilfen können Sie mir stellen, aber Kampfstiere nicht. Sie sind seit Generationen genetisch ausgewählt worden. Ich habe hier noch sechs davon kyrogenisch gelagert. Die möchte ich noch mitnehmen.“

Sie drehte sich um und sah ihn an. Ihr Gesicht war völlig undurchdringlich. Einen Augenblick lang war Jim sich nicht sicher, ob er sie durch seine Worte so sehr verärgert hatte, daß sie nun die Arbeit von fünf Jahren zunichte machen und ihn doch nicht zur Thronwelt mitnehmen würde. Dann aber begann sie zu sprechen.

„Gut“, sagte sie. „Sage dem, der dich an Bord unseres Schiffs bringt, wer es auch sein mag, daß diese Tiere für dich ebenfalls verschifft werden sollen. Sage ihm, ich hätte den Befehl dazu gegeben.“

Sie drehte sich endlich wieder um und blieb stehen, um interessiert auf den toten Stier hinabzusehen. Plötzlich, als sei ihre Bewegung ein Zeichen gewesen, waren ein Dutzend oder mehr Mitglieder ihrer Gefolgschaft im Sand der Arena erschienen und musterten den Stier und sogar Bekleidung und Ausrüstung der anderen Mitglieder der Cuadrilla. Keine der Frauen war mehr als vier oder fünf Zentimeter kleiner als Afuan - und die großen, schlanken Männer mit ihrer Onyxhaut waren zwischen zwei Meter und zwei Meter zehn groß. Im Gegensatz zu den weiblichen Hochgeborenen trugen die Männer kurze Kilts und Umhänge aus einem Material, das mehr gewöhnlichem Stoff glich. In fast allen Fällen aber war die Farbe ihrer Kleider weiß, bis auf ein einzelnes Muster in einer anderen Farbe, das sich entweder auf der Vorder- oder auf der Rückseite ihrer Umhänge befand.

Niemand machte Anstalten, Jim so zu untersuchen, wie sie das bei dem Rest der Cuadrilla taten. Er steckte sein Schwert in die Scheide, drehte sich um, ging durch den Sand unter den Sitzen der Arena bis zu einem abschüssigen betonartigen Gang, der von einer Lichtquelle, die sich offensichtlich in den Wänden selbst befand, erleuchtet wurde - ein Teil des Luxus aus dem Reich, den die lokalen Menschen von Alpha Centauri III zu gebrauchen schienen, ohne eine Anstrengung zu unternehmen, seine Funktionsweise zu verstehen.

Er erreichte die Tür zu seinem Zimmer, öffnete sie und trat ein. In dem fensterlosen Raum sah er zwei Dinge mit einem Blick.

Zunächst war da Max Holland, der Beauftragte des Spezialkomitees der UN. Das zweite waren seine eigenen Koffer, die er in der Hoffnung auf die Reise zur Thronwelt, die nun Wirklichkeit geworden war, bereits vorsorglich gepackt hatte. Nun aber waren die Koffer geöffnet und ihr Inhalt auf dem Mobiliar des Zimmers verstreut worden.

„Was soll das?“ sagte Jim. Er blieb stehen und sah auf den kleineren Mann herab. Hollands Gesicht hatte sich vor Zorn dunkel gefärbt.

„Glauben Sie ja nicht.“, fing er mit erstickter Stimme an und bekam sich dann wieder unter Kontrolle. Seine Stimme festigte sich. „Wenn sich Afuan dazu bereit erklärt hat, Sie mitzunehmen, so heißt das noch lange nicht, daß Sie manche von diesen Dingen hier mit auf die Thronwelt nehmen werden!“

„Sie sind also schon über die Einladung informiert?“ fragte Jim.

„Ich kann gut von den Lippen ablesen“, antwortete Max mit kehliger Stimme. „Ich habe Sie von dem Augenblick an, in dem Sie mit Ihrem Stierkampf begonnen haben, bis gerade jetzt, als Sie weggegangen sind, mit einem Fernglas beobachtet.“

„Und dann sind Sie vor mir hier heruntergekommen und haben sich entschlossen, sich mein Gepäck anzusehen?“ sagte Jim.

„Ganz genau!“ sagte Max. Er drehte sich scharf um und riß zwei Gegenstände an sich, die auf der Couch neben ihm gelegen hatten. Der eine war ein schottischer Kilt in dem Muster der Schwarzen Wache, an dem ein kurzes Messer in einer Scheide hing. Der zweite war ein kurzärmliges Hemd mit Schulterklappen, deren eine mit einem Schultergurt an einem Lederkoppel befestigt war, an dem ein Halfter mit einem Revolver vom Kaliber fünfundvierzig hing. Max schüttelte diese beiden Gegenstände praktisch unter Jims Nase.

„Sie gehen auf die Thronwelt eines Reichs von Menschen, das hunderttausend Jahre alt ist! Eine Welt, in der sie über primitive Waffen von der Art hier schon so lange hinaus sind, daß sie sich an sie wahrscheinlich nicht einmal mehr erinnern.“

„Genau deshalb nehme ich sie mit“, sagte Jim.

Er nahm Max den Kilt mit dem kurzen Messer und das Hemd mit dem Koppel so schnell aus der Hand, daß er einen Augenblick lang nicht zu bemerken schien, daß sie nicht mehr da waren. Jim trug beide Kleidungsstücke zu den offenen Koffern zurück und legte sie hinein. Er fing ruhig wieder damit an, sein Gepäck neu zu packen.

„Was heißt: nehme ich sie mit?“ fuhr Max ihn empört an. „Jim, Sie meinen offenbar, Sie seien für das ganze Projekt allein verantwortlich! Ich darf Sie daran erinnern -hundertzweiundsechzig Regierungen, ungefähr zwei Milliarden Dollar und die Arbeit von Tausenden von Menschen waren dazu nötig, Sie auszubilden und hierher zu bringen, wo Sie sich dazu einladen lassen konnten, auf der Thronwelt Stierkämpfer zu spielen!“

Jim antwortete nicht, sondern legte den Kilt zusammen und in einen der offenen Koffer zurück.

„Hören Sie mir zu, verdammt noch mal!“ knurrte Max ihn von hinten an. Der kleinere Mann packte Jim am Arm und versuchte, ihn herumzureißen. Jim drehte sich um.

„Ich sage Ihnen - Sie nehmen diese Dinge nicht mit! “ sagte Max.

„Doch, ich nehme sie mit“, sagte Jim.

„Ich sage, Sie nehmen sie nicht mit!“ brüllte Max ihn an. „Wofür halten Sie sich eigentlich? Sie sind nur der Mann, der dazu ausgesucht worden ist, auf die Thronwelt zu gehen und zu beobachten. Haben Sie das verstanden? Beobachten! Nicht, um Leute mit Messern zu erstechen oder sie mit Revolvern zu erschießen oder sonst irgendwie das Reich dazu zu bringen, der Erde mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als es das bisher tut. Sie sind Anthropologe, der einen Stierkämpfer spielt, und nicht irgendein romantischer Spion!“

„Das trifft für mich alles zu“, sagt Jim schnell und ein wenig kühl.

Langsam verschwand die Farbe aus Max’ Gesicht. „Mein Gott.“, sagte der Kleinere. Seine Hand fiel von Jims Arm herab. „Vor zehn Jahren wußten wir noch nichts von Ihrer Existenz - ein ganzes Reich von Welten, die von Menschen bewohnt werden, das sich von Alpha Centauri bis zum Mittelpunkt der Galaxis erstreckt. Vor fünf Jahren waren Sie nur ein Name auf einer Liste. Ich hätte Sie durchstreichen können, und dann wären Sie jetzt nicht hier. Selbst noch vor einem Jahr war ich dazu bereit, in Frage zu stellen, ob wir den richtigen Mann ausgebildet haben - und genau den Zeitpunkt haben Sie sich dazu ausgesucht, Ihre Sache so gut zu machen, daß niemand auf mich gehört hätte. Jetzt stellt sich heraus, daß ich eigentlich doch recht hatte. Ein Reich von tausend Welten vvvvv- und eine einzige kleine Erde. Sie haben uns schon einmal vergessen, und vielleicht vergessen sie uns wieder - wenn Sie zur Beobachtung zu ihnen gehen. Ich hatte vor einem Jahr also recht. Sie haben mit diesen Hochgeborenen eine Privatrechnung zu begleichen...“

Seine Stimme überschlug sich und verstummte. Er holte tief Luft und richtete sich auf.

„Vergessen Sie es“, sagte er ruhiger. „Sie gehen nicht. Ich breche das gesamte Projekt ab - auf meine eigene Verantwortung. Wenn das Schiff des Reichs erst einmal weg ist, können sie mich von der Erde so viel fragen, wie sie wollen.“

„Max“, sagte Jim fast sanft. „Es ist zu spät. Sie können mich nicht mehr aufhalten. Ich bin von Prinzessin Afuan eingeladen worden. Weder Ihnen noch dem gesamten Projekt oder auch der gesamten Erde würde es jetzt noch gestattet, gegen die Einladung etwas zu unternehmen. Glauben Sie wirklich, sie ließe das zu?“

Max stand da und starrte Jim aus dunkel umrandeten, blutunterlaufenen Augen an. Er gab keine Antwort.

„Es tut mir leid, Max“, sagte Jim, „aber früher oder später mußte es ja dazu kommen. Von jetzt an kann ich mich nicht mehr von dem Projekt leiten lassen, sondern muß meinem eigenen Urteil folgen.“

Er drehte sich wieder um und fuhr mit dem Packen fort. „Ihrem Urteil!“ Etwas Feuchtigkeit begleitete die Worte in der Luft und berührte den seitlichen und hinteren Teil von Jims Hals. „Sind Sie sich Ihres Urteils so sicher? Im Vergleich mit diesen Hochgeborenen wie Afuan sind Sie ebenso ignorant und primitiv, der gleiche Wilde wie wir alle von der Erde! Sie wissen überhaupt nichts! Vielleicht ist die Erde tatsächlich eine von ihren Kolonien, die sie vergessen haben. Oder vielleicht ist es auch nur Zufall, daß wir zur gleichen Rasse wie sie und die Menschen gehören, die wir hier auf Alpha Centauri III vorgefunden haben? Was wissen wir davon? Ich jedenfalls nichts - das gleiche gilt für alle Erdenmenschen. Für Sie auch! Erzählen Sie mir also nichts von Ihrem Urteil, Jim! Nicht, wenn die gesamte Zukunft der Erde davon abhängt, was Sie tun werden, wenn Sie dort an den kaiserlichen Hof kommen!“ Jim zuckte die Achseln. Er wendete sich wieder seinen Koffern zu und spürte, wie sein Arm heftig gepackt und daran gezerrt wurde, als Max versuchte, ihn wieder herumzudrehen.

Dieses Mal drehte sich Jim schnell um. Mit der Kante seiner rechten Hand lockerte er den Zugriff von Max und legte dann die gleiche Hand scheinbar beruhigend auf die Schulter des Kleineren. Der Daumen aber hob sich aus dem Griff der anderen vier Finger hoch und legte sich auf Max’ Hals an den richtigen Punkt hinter den Kieferknochen. Er drückte leicht zu.

Max wurde blaß und schnappte nach Luft. Er atmete kurz ein und versuchte zurückzutreten, aber der Griff von Jims Hand hielt ihn fest.

„Sie. Sie sind verrückt!“ stotterte Max. „Sie würden mich umbringen, oder etwa nicht?“

„Wenn es sein müßte“, sagte Jim ruhig. „Das ist einer der Gründe dafür, daß ich der richtige Mann für diese Aufgabe bin.“

Er lockerte seinen Griff, wendete sich ab, schloß den offenen Koffer, in den er den Kilt und das Koppel gepackt hatte, und nahm die beiden schweren Koffer auf. Er drehte sich um und ging zur Tür hinaus, bog nach links in den Gang ein, der zur Straße und zu dem Fahrzeug führte, das vor der Arena auf ihn wartete. Er sah über seine Schulter zurück zu dem anderen Mann, der aus dem Zimmer herausgekommen war, im Gang stand und ihm nachstarrte.

„Beobachten!“ brüllte Max in Englisch hinter ihm in den Gang. „Wenn Sie sonst etwas tun, bei den Hochgeborenen die Erde in Schwierigkeiten zu bringen, dann erschießen wir Sie wie einen tollen Hund, wenn Sie wieder zurückkommen!“

Jim antwortete nicht. Er trat in das helle, gelbe Sonnenlicht von Alpha Centauri III hinaus, stieg in das offene, vierrädrige, jeepähnliche Fahrzeug ein, das mit dem Fahrer hinter dem Steuer auf ihn wartete.

Kapitel 2

Der Fahrer gehörte zum Stab der Handelsdelegation von der Erde, die sich zusammen mit zwei anderen Handelsdelegationen von Sonnensystemen des Reichs und den Bewohnern von Alpha Centauri III zu verschiedenen kulturellen Darbietungen aus ihrem lokalen Bereich für die besuchenden Hochgeborenen getroffen hatten. Hinter solchen Darbietungen stand für die Teilnehmer immer die Hoffnung, bei den Hochgeborenen für sich einen Vorteil herauszuschlagen. Für die Erde hatten die Chancen, Interesse zu erwecken, am besten gestanden, da sie theoretisch ein kürzlich wiederentdeckter Teil des Reichs war. Nun sollte ihre Vorführung der Kunst des Stierkampfes zur Belustigung des Kaisers von den Besuchern zurück auf die Thronwelt gebracht werden.

Der Fahrer brachte Jim und sein Gepäck durch die sie umgebende Stadt zu dem offenen Raumhafen, einer endlosen Fläche aus bräunlichem, betonartigem Material. In einem Bereich davon stand isoliert ein riesiges eiförmiges Gebilde, das das Schiff der Hochgeborenen war. Der Fahrer brachte Jim zu diesem Schiff und hielt an.

„Soll ich warten?“ fragte der Fahrer.

Jim schüttelte den Kopf. Er hob die beiden Koffer aus dem Fahrzeug und sah zu, wie der Fahrer es wieder in Bewegung setzte und wegfuhr, bis es in Spielzeuggröße auf der Fläche des Raumhafens in der Entfernung verschwand.

Jim setzte seine Koffer ab und drehte sich um, um das Schiff anzusehen. Von außen sah es völlig glatt aus. Es besaß keine Luken, keine Luftschleusen, kein Anzeichen von Öffnungen oder Eingängen nach innen. Niemand in dem riesigen Raumschiff schien Jims Anwesenheit zu bemerken.

Er setzte sich auf einen seiner Koffer und begann zu warten.

Etwas mehr als eine Stunde lang passierte nichts. Dann, während er noch auf seinem Koffer saß, fand er sich abrupt in einem eiförmigen Raum mit grünen Wänden und einem Teppich in etwas dunklerem Grün auf dem Boden wieder. Das Mobiliar bestand aus Kissen in allen Farben und Größen, deren Durchmesser von zwanzig Zentimetern bis zu zwei Metern reichte.

„Hast du lange gewartet, Wolfling?“ fragte eine Frauenstimme. „Das tut mir leid. Ich war beschäftigt und habe mich um die anderen Tiere gekümmert.“

Er stand auf und drehte seinen Koffern den Rücken zu. Dann sah er sie. Nach Hochgeborenenmaßstab war sie klein -wahrscheinlich nicht größer als einen Meter fünfundsiebzig. Ihre Haut, auch wenn sie dem Onyx-Weiß von Prinzessin Afuan und den anderen gleichkam, zeigte einen Braunton - der helle Schatten von Braun, wie er bei den nordamerikanischen Indianern zu finden ist. Dieses Braun erstreckte sich auch auf ihre Augen, die golden gefärbt waren und kleine rötliche Lichtpunkte zeigten - nicht wie das Zitronengelb, das Jim bei Afuan gesehen hatte. Ihr Gesicht war nicht so länglich wie bei Afuan, und das Kinn war stärker abgerundet. Sie lächelte auf eine Art, die dem undurchdringlichen Gesichtsausdruck Afuans ganz und gar nicht glich. Und wenn sie lächelte, erschienen die Schatten von etwas, das Sommersprossen sehr ähnlich sah, auf ihrer Nase und ihren Wangen. Sogar ihr Haar, das sie wie die anderen hochgeborenen Frauen, die Jim in der Arena gesehen hatte, gerade nach hinten herunterhängen ließ, war deutlich gelblich-blond und nicht weiß. Es fiel außerdem nicht so gerade wie bei Afuan, sondern zeigte merkliche Locken und war dichter.

Ihr Lächeln verschwand, und ihr Gesicht verdunkelte sich abrupt durch einen plötzlichen Blutzufluß unter der Haut. Sie wurde buchstäblich rot - das letzte, was Jim in dem Gesicht einer Hochgeborenen erwartet hätte.

„So ist es richtig, glotz mich nur an!“ sagte sie heftig. „Ich schäme mich nicht deshalb!“

„Schämen? Weshalb?“ fragte Jim.

„Na.“ Sie unterbrach sich plötzlich. Ihre Röte verflog, und sie sah ihn zerknirscht an. „Das tut mir leid. Natürlich - du bist ja ein Wolfling. Du würdest den Unterschied nicht einmal erkennen, oder?“

„Offensichtlich nicht“, sagte Jim. „Ich scheine nämlich nicht zu verstehen, wovon Sie reden.“

Sie lachte - aber ein wenig traurig, wie es Jim schien, und sie tätschelte ihm mit einer leichten, beruhigenden Berührung den Arm. Das hatte er nicht erwartet.

„Du wirst es bald genug erfahren“, sagte sie, „auch wenn du ein Wolfling bist. Ich bin ein Rückfall, verstehst du. Irgend etwas in meiner Genstruktur ist atavistisch. Oh, mein Vater und meine Mutter sind ebenso hochgeboren wie jeder, der nicht dem königlichen Geschlecht entstammt. Afuan wird mich nie aus ihrem Haus verbannen. Auf der anderen Seite kann sie sich aber mit mir kaum brüsten. Mir bleiben also Aufgaben wie die Versorgung ihrer Haustiere. Das ist der Grund, warum ich dich gerade eben auf das Schiff gebracht habe.“

Sie sah auf seine beiden Koffer herab.

„Ist das da deine Ausrüstung?“ fragte sie. „Ich bringe sie für dich weg.“

Sofort verschwanden die beiden Gepäckstücke.

„Augenblick mal“, sagte Jim.

Sie sah etwas verwirrt zu ihm hoch.

„Wolltest du sie noch nicht verstaut haben?“ fragte sie. Im gleichen Augenblick standen die beiden Koffer wieder zu ihren Füßen.

„Nein“, antwortete Jim. „Es müssen nur noch einige andere Dinge an Bord gebracht werden. Ich habe Ihrer Prinzessin Afuan schon gesagt, daß ich die Stiere brauche - das sind die Tiere, mit denen ich in meiner Show arbeite. Davon sind sechs in der Stadt kyrogenisch gelagert. Sie hat mir zugesagt, daß ich sie mitbringen darf. Ich soll hier der oder dem - wer immer mich auf das Schiff bringt - ausrichten, daß sie gesagt hat, das gehe in Ordnung.“

„Oh!“ sagte die Frau nachdenklich. „Nein, versuche nicht, es mir zu sagen. Stell dir nur den Platz vor, an dem sie sich in der Stadt befinden.“

Jim führte die Anweisung aus und erstellte vor seinem geistigen Auge ein Bild des Kühlhauses hinter der Siedlung der Handelsdelegation von der Erde, wo seine Stiere gelagert wurden. Er spürte in seinem Kopf eine merkwürdige leichte Berührung - eine Art flüchtiges Gefühl, als sei sein nacktes Gehirn leicht mit einer Feder gestreift worden. Plötzlich standen er und die Frau in dem Kühlraum vor einem Stapel von sechs riesigen Verpackungskisten, von denen jede den gefrorenen Körper eines Kampfstiers mit reduzierten Vitalfunktionen enthielt.

„.... ja“, sagte die Frau nachdenklich. Abrupt standen sie wieder woanders.

Dieser neue Ort war ein großer Raum mit Metallwänden, in dem eine Ansammlung von Kisten und anderen Gegenständen in ordentlichen Haufen mit Zwischenräumen über den Fußboden verteilt waren. Auch der Stapel von Kisten mit den gefrorenen Stieren war darunter. In dem Raum herrschte deutlich angenehme Zimmertemperatur. „Diese Tiere sind eingefroren“, sagte er zu der Frau. „Und sie müssen eingefroren bleiben.“

„Oh, darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen“, unterbrach sie ihn. Dann lächelte sie ihm halb fröhlich und halb, so schien es zumindest, entschuldigend zu, weil sie ihn unterbrochen hatte. „An ihrem Zustand wird sich nichts ändern. Ich habe bei der Zentralstelle Anweisung erteilt, daß man sich darum kümmert.“

Ihr Lächeln wurde breiter.

„Na los“, sagte sie. „Strecke deine Hand aus und fühle selbst.“

Jim streckte seine Hand nach der Seite der nächsten Kiste aus. Die Temperatur änderte sich nicht, bis sich seine Finger bis auf ein oder zwei Zentimeter der Kiste genähert hatten -dort tauchten sie plötzlich in eisige Kälte ein. Er wußte, daß die Kälte nicht von den Kisten selbst kommen konnte, da die ausgezeichnet isoliert waren. Er zog seine Hand zurück.

„Ich verstehe“, sagte er. „In Ordnung. Ich mache mir keine Gedanken um meine Stiere mehr.“

„Gut“, antwortete sie.

Sofort befanden sie sich an einer anderen Stelle. Nicht in dem eiförmigen Raum, sondern in einem anderen, langgestreckten Raum, dessen eine Seite aus Glas zu bestehen schien, das den Blick auf ein Stück Strand und die Brandung einer Meeresküste freigab - die Küste eines Meeres, das sich bis zum Horizont erstreckte. Der Blick aus einem Raumschiff heraus auf einen Ozean war jedoch nicht weniger verblüffend als die anderen Dinge, die es in dem rechteckigen Raum mit seinen Glaswänden zu sehen gab.

Hier fanden sich eine Reihe von Wesen, von einem kleinen Eichhörnchen mit purpurrotem Fell bis hin zu einer Kreatur auf der anderen Seite des Zimmers, die groß und mit schwarzem Fell bedeckt war - mehr als ein Affe, aber noch weniger als ein Mensch.

„Das sind meine anderen Haustiere“, hörte er die Frau an seinem Ellbogen sagen. Er sah auf ihr lächelndes Gesicht herab. „Ich meine - in Wahrheit sind es Afuans Haustiere. Ich pflege sie nur für sie. Das hier.“

Sie blieb stehen und streichelte das kleine Eichhörnchen mit dem purpurroten Fell, das unter ihrer Hand wie eine zufriedene Katze einen Buckel machte. Es schien genausowenig wie irgendeines der anderen Tiere angekettet oder auf andere Art eingeschränkt zu sein. Trotzdem hielten sie alle etwas Abstand voneinander.

„.das hier“, wiederholte die Frau, „heißt Ifny.“

Sie hörte plötzlich auf und sprang auf die Füße.

„Entschuldige bitte, Wolfling“, sagte sie. „Du hast sicher auch einen Namen. Wie heißt du?“

„James Kell“, antwortete er ihr. „Nennen Sie mich Jim.“ „Jim“, sprach sie ihm versuchsweise mit zur Seite geneigtem Kopf nach. In ihrem Reich-Akzent wurde der Laut für das ,m’ verlängert, so daß die kurze, vertraute Form von James aus ihrem Mund musikalischer klang als im Englischen.

„Und wie heißen Sie?“ fragte Jim sie.

Sie fuhr auf und sah ihn fast schockiert an.

„Aber du solltest mich mit Hochgeborene anreden!“ sagte sie ein wenig steif. Im nächsten Augenblick aber war ihre Steifheit geschmolzen, als könne die innere Wärme ihres Charakters sie nicht ertragen. „Aber ich habe natürlich einen Namen. Ich habe sogar einige Dutzend davon. Wie du aber weißt, werden wir gewöhnlich nur mit einem Namen angeredet. Mich nennt man gewöhnlich Ro.“

Jim neigte seinen Kopf.

„Vielen Dank, Hochgeborene“, sagte er.

„Ach, nenn mich Ro .. “ Sie brach ab, als würde sie selbst bei dem erschrecken, was sie da sagte. „Wenn wir allein sind, jedenfalls. Du bist schließlich ein Mensch, auch wenn du ein Wolfling bist, Jim.“

„Da ist noch etwas, das Sie mir sagen können, Ro“, sagte Jim. „Was ist das, dieses Wolfling, das jeder zu mir sagt?“

Sie starrte ihn einen Moment lang fast ausdruckslos an.

„Aber du. nein, natürlich bist genau du derjenige, der nicht Bescheid weiß!“ sagte sie. Wieder wurde sie auf die erstaunliche Art rot, die er schon vorher bemerkt hatte. Zweifellos war ihre helle Haut trotz ihres Brauntons dafür verantwortlich, daß der Blutzustrom in ihrem Gesicht so deutlich sichtbar war. Jim erschien es jedoch ungewöhnlich, eine so deutliche Reaktion bei einer erwachsenen Frau zu sehen. „Das. das ist kein sehr freundlicher Name für dich, fürchte ich. Er bedeutet. er bedeutet etwas wie. du bist schon ein Mensch, aber einer, der in den Wäldern verlorengegangen und von wilden Tieren aufgezogen worden ist, so daß er keine Ahnung davon hat, was es wirklich heißt, ein Mensch zu sein.“

Wieder schoß ihr die Röte ins Gesicht.

„Es tut mir leid.“, sagte sie und sah zu Boden. „Ich selbst hätte dich nicht so nennen dürfen, aber ich habe nicht nachgedacht. Von jetzt an werde ich dich immer Jim nennen.“ Jim lächelte. „Das spielt keine Rolle“, sagte er.

„Doch, das tut es!“ sagte sie heftig und sah abrupt zu ihm hoch. „Ich weiß, wie es ist, wenn man sich Schimpfnamen anhören muß. Ich lasse es nie zu, daß jemand meine - Afuans - Haustiere beschimpft, und ich werde es nicht zulassen, daß jemand zu dir Schimpfnamen sagt, wenn ich etwas dagegen tun kann.“

„Also dann vielen Dank“, sagte Jim sanft. Sie tätschelte ihn wieder beruhigend am Arm.

„Komm mit, ich stelle dir meine anderen Haustiere vor“, sagte sie und ging in den Raum hinein.

Er ging mit ihr. Die Kreaturen in dem Raum schienen sich frei bewegen zu können, waren aber zur gleichen Zeit von einer unsichtbaren Barriere umgeben und beschützt, die sie davon abhielt, einander näher als ein oder zwei Meter zu kommen. Es handelte sich deutlich bei allen Lebewesen um Tiere. Sie schienen außerdem merkwürdigerweise zumindest in einem gewissen Maß Tierarten zu ähneln, die entweder auf der Erde lebten oder zu irgendeinem Zeitpunkt in der geologischen Geschichte auf der Erde gelebt hatten. Das allein war bereits interessant. Es schien die Annahme des Reichs zu unterstützen, daß die Menschen der Erde von dem gleichen Grundstock wie die des Reichs abstammten - verloren und vergessen, um wieder entdeckt zu werden, als sie sich aus eigener wissenschaftlicher Kraft bis Alpha Centauri vorgewagt hatten. Die Alternative dazu war die Annahme, daß für Menschen bewohnbare Planeten in ihrer Evolution Parallelen in einem extrem unwahrscheinlichen Ausmaß aufwiesen.

Auf der anderen Seite war auch dies möglich - Parallelen in der Fauna auf verschiedenen Welten waren noch nicht der absolute Beweis für gemeinsame Vorfahren der herrschenden Spezies.

Jim bemerkte noch etwas, das bei Ro selbst sehr interessant war. Die meisten Tiere reagierten sehr freundlich, wenn sie mit ihnen sprach oder sie streichelte. Selbst die, die sich nicht so verhielten - sie berührte auch die wildesten unter ihnen ohne Zögern -, zeigten keinerlei Feindseligkeit. Das war zum Beispiel bei einem großen katzenartigen Tier der Fall. Es war mindestens so groß wie der südamerikanische Jaguar und ähnelte ihm auch mit seinem gefleckten Fell, obwohl ein großer pferdeartiger Kopf das Bild etwas störte. Dieses katzenartige Tier gähnte und ließ sich streicheln, machte aber keine besonderen Anstalten, auf Ros Liebkosungen zu reagieren. Im Gegensatz dazu klammerte sich das affenartige Tier mit dem schwarzen Fell traurig an ihrer Hand fest und sah ihr ins Gesicht, als sie mit ihm sprach und seinen Kopf streichelte. Weitere Reaktionen zeigte es jedoch nicht.

Ro ließ schließlich seine Hand los - eigentlich zog sie sie weg - und drehte sich zu Jim um.

„Jetzt hast du sie gesehen“, sagte sie. „Vielleicht hilfst du mir manchmal bei ihrer Pflege. Eigentlich brauchen sie mehr Zuwendungen, als ich ihnen allein geben kann. Afuan vergißt manchmal monatelang, daß sie sie besitzt. Oh, dir wird das nicht passieren.“ Sie unterbrach sich plötzlich. „Verstehst du? Du sollst für den Kaiser auftreten, wenn wir auf die Thronwelt zurückkommen. Außerdem bist du kein Tier, wie ich schon sagte.“

„Vielen Dank“, sagte Jim ernst.

Sie sah ihn überrascht an und lachte dann. Sie tätschelte ihn mit der Geste am Arm, an die er sich bei ihr zu gewöhnen begann.

„Jetzt“, sagte sie, „wirst du wohl in dein eigenes Quartier gehen wollen.“

Ohne Übergang standen sie in einem Raum, in dem sie bisher noch nicht gewesen waren. Er hatte wie der Raum mit den Haustieren eine durchsichtige Glaswand, die den Blick auf den Strand und das Meer dahinter freigab. Die Wogen rollten, real oder als Illusion, bis auf zehn Meter an die Glaswand selbst heran.

„Hier wirst du wohnen“, sagte Ro. Jim sah sich um. In den Wänden fand sich kein Anzeichen einer Tür.

„Meinen Sie nicht“, sagte er, „es wäre besser, wenn Sie diesem Wolfling verraten würden, wie er von einem Raum in den anderen kommen kann?“ „In den anderen?“ wiederholte sie und runzelte fragend die Stirn. Ihm wurde plötzlich klar, daß sie ihn wörtlich genommen hatte. Er überlegte sich, was das bedeutete.

„Ich bitte um Entschuldigung“, sagte er. „Ich meine einfach: von diesem Raum in irgendeinen anderen. Welcher Raum liegt übrigens - nur interessenhalber - direkt hinter der Wand dort?“ Er zeigte auf die kahle Wand, die der Glaswand mit dem Strand und dem Meer direkt gegenüber lag.

Sie starrte die Wand an, runzelte wieder die Stirn und schüttelte schließlich den Kopf.

„Ich. ich weiß es nicht“, sagte sie. „Aber was macht das schon aus? Man betritt alle Räume auf die gleiche Art, also gibt es eigentlich keinen Unterschied. Es ist gleich, wo sie sich im Schiff befinden.“

Jim heftete diese Information im Kopf für zukünftige Verwendung ab. „Ich sollte aber doch wohl darüber Bescheid wissen, wie man von einem Zimmer in das andere kommt, nicht wahr?“ fragte er.

„Ach so“, sagte sie. „Das tut mir leid. Du weißt das natürlich nicht. Das wird alles vom Schiff erledigt. Du mußt dich auf das Schiff einstellen, und dann macht es alles, was du willst.“ Plötzlich strahlte sie auf.

„Möchtest du gern sehen, wie es auf dem Rest des Schiffs aussieht?“ fragte sie. „Ich führe dich herum. Mach es dir hier bequem, oder pack deine Koffer aus - oder was du auch sonst tun willst. Ich komme bald zurück. Wie bald soll ich zurückkommen?“

Jim nannte ihr eine Zeitspanne in den Zeiteinheiten des Reichs, die ungefähr fünfzehn Minuten entsprach.

„In Ordnung“, sagte Ro und lächelte ihm zu. „Wenn die Zeit um ist, komme ich sofort zurück.“

Sie verschwand.

Jim blieb allein zurück und untersuchte das Zimmer. Es war mit Polstern und Kissen in allen Größen ausgestattet - ganz ähnlich wie der erste Raum auf dem Schiff, den er gesehen und wo er Ro getroffen hatte. Ein großes Polster, das einen Meter dick war und einen Durchmesser von fast drei Metern hatte, hielt er für das Bett. Es lag an dem einen Ende des Raums auf dem Boden. Zunächst fand er nichts, was nach einem Bad aussah, aber sobald ihm der Gedanke gekommen war, glitt ein Teil der Wand gehorsam zur Seite und öffnete sich zu einem kleineren Raum mit einem vollständigen Bestand deutlich erkennbarer sanitärer Einrichtungen. Sogar ein Schwimmbecken war dabei - sowie einige sanitäre Installationen, denen er keinen Sinn abgewinnen konnte. Er sah zum Beispiel ein flaches, völlig trockenes Becken, das groß genug war, um sich darin ausstrecken zu können.

Er wandte sich wieder dem Hauptraum zu und sah aus den Augenwinkeln, daß die Tür zu dem Bad hinter ihm wieder zuglitt. Er hob seine beiden Koffer auf, legte sie auf das bettartige Polster und öffnete sie. Er hatte das kaum getan, als sich eine weitere Sektion der Wand öffnete und ihm den Blick in eine schrankähnliche Kammer eröffnete, die jedoch keine Stangen oder Bügel enthielt.

Versuchsweise - langsam kam er dahinter, wie die Dinge hier an Bord abliefen - begann er sich vorzustellen, daß seine Kleider in dem Schrank hingen.

Gehorsam befanden sie sich plötzlich darin - der einzige ungewöhnliche Aspekt ihres Aussehens und ihrer Aufbewahrung bestand darin, daß sie zwar so hingen, wie er sich das vorgestellt hatte, aber nichts Sichtbares sie hielt. Sie hingen senkrecht in der Luft, als würden sie von unsichtbaren Bügeln an einer unsichtbaren Stange gehalten.

Jim nickte. Er wollte gerade den Schrank gedanklich schließen, überlegte es sich dann aber anders und nahm die schottische Tracht mit dem Kilt und dem Messer von ihrem Platz in der leeren Luft herab. Er zog sie an und hing seinen leichten Anzug, den er vorher getragen hatte, an ihre Stelle, wo er mit unsichtbarer Befestigung zusammen mit den anderen Kleidern hängen blieb.

Der Schrank schloß sich, und Jim wandte sich gerade davon ab, als ein Besucher in der Mitte des Raums erschien. Es war jedoch nicht Ro, sondern einer von den männlichen Hochgeborenen - ein Mann mit onyxweißer Haut und von mindestens zwei Meter zehn Größe.

„Da bist du ja, Wolfling“, sagte der Hochgeborene. „Komm mit. Mekon möchte dich sehen.“

Plötzlich standen sie in einem Raum, in dem Jim bisher noch nicht gewesen war. Es war ein rechteckiges, langgestrecktes Zimmer, und sie standen ungefähr in der Mitte. In dem Raum befanden sich sonst keine Menschen, aber an seinem hinteren Ende lag auf einem kissenbesäten Podest zusammengerollt eine Großkatze, die in jeder Hinsicht der ähnelte, die er unter Ros Haustieren gesehen hatte. Bei ihrem Anblick hob sie ihren Pferdekopf und heftete ihre Augen auf Jim.

„Warte hier“, sagte der Hochgeborene, der Jim abgeholt hatte. „Mekon wird gleich kommen.“

Der hochgewachsene Mann verschwand. Jim fand sich mit dem katzenartigen Tier allein, das sich nun langsam erhob und ihn durch das Zimmer anstarrte.

Jim stand bewegungslos da und starrte zurück.

Das Tier gab ein merkwürdiges, winselndes Geräusch von sich - ein fast lächerlich unbedeutendes Geräusch von einem körperlich deutlich so starken Tier. Sein buschiger Stummelschwanz begann, sich steif von oben nach unten zu bewegen. Es senkte seinen schweren Kopf, bis sein Unterkiefer fast den Boden berührte, und sein Maul öffnete sich langsam und zeigte dicke Fleischfresserzähne.

Es winselte noch immer und setzte sich langsam in Bewegung. Sanft, fast zierlich, setzte es seine Vorderpfote von dem Podest herab - und dann die andere. Es bewegte sich geduckt und winselnd langsam auf ihn zu. Seine Zähne waren jetzt völlig entblößt, und das Winseln wurde lauter, als es näher kam, bis es zu einer Art singender Bedrohung wurde.

Jim wartete. Er bewegte sich weder vorwärts noch zurück.

Immer näher kam das Tier. Ungefähr ein Dutzend Meter von ihm entfernt blieb es stehen und kauerte sich allmählich nieder. Sein Schwanz zuckte jetzt wie ein Metronom, und das singende Winseln aus seiner Kehle erfüllte den gesamten Raum.

Es schien lange vor ihm mit aufgerissenem Maul winselnd zu kauern. Dann hörte das Winseln ohne Warnung auf, und es sprang durch die Luft an Jims Kehle.

Kapitel 3

Das katzenartige Tier sprang blitzschnell vorwärts nach oben in Jims Gesicht - und verschwand.

Jim hatte sich nicht bewegt. Einen Augenblick lang stand er allein in dem langgestreckten, rechteckigen Zimmer - und dann umgaben ihn plötzlich drei männliche Hochgeborene. Einer von ihnen trug das drachenartige Emblem auf der Vorderseite seines Hemds oder Umhangs. Er war derjenige, der Jim hierhergebracht hatte. Einer von den beiden anderen war nach dem Standard der Hochgeborenen fast klein - kaum acht Zentimeter größer als Jim. Der dritte war der größte von den dreien - ein schlanker, fast graziös aussehender Mann. Er trug auf seinem Gesicht einen Ausdruck, der einem Lächeln ähnelte - das war das erste Mal, daß Jim einen solchen Ausdruck auf einem rein onyxfarbenen Gesicht gesehen hatte. Dieser letzte der drei Hochgeborenen trug ein rotes Emblem, das einem Hirsch mit Geweih ähnelte.

„Ich habe dir ja gesagt, daß sie tapfer sind, diese Wolflinge“, sagte dieses letzte Mitglied der Gruppe. „Dein Trick hat nicht geklappt, Mekon.“

„Mut!“ sagte derjenige, der als Mekon angesprochen worden war, ärgerlich. „Das war zu gut, um wahr zu sein. Er hat noch nicht einen Muskel gerührt! Man könnte glauben, er sei.“ Mekon brach abrupt ab und sah hastig zu dem großen Slothiel hinüber, der sich anspannte.

„Weiter. Sprich nur weiter, Mekon“, sagte der Hochgeborene nun mit einer gewissen Schärfe in seiner Stimme. „Du wolltest etwas wie. gewarnt sagen?“ „Natürlich wollte Mekon nicht so etwas sagen.“ Es war Trahey, der sich nun fast buchstäblich zwischen die beiden anderen Männer drängte, die sich unverwandt anstarrten.

„Das möchte ich gern von Mekon selbst hören“, murmelte Slothiel.

Mekon senkte die Augen. „Ich. ich habe natürlich nichts Derartiges gemeint. Ich weiß gar nicht mehr, was ich sagen wollte“, sagte er.

„Dann darf ich wohl davon ausgehen“, sagte Slothiel, „daß ich gewonnen habe. Geht ein Lebenspunkt an mich?“

„Ein.“ Mekon wollte es zugeben, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken. Sein Gesicht verdunkelte sich durch einen Blutzufluß, der dem ähnelte, der, wie Jim bemerkt hatte, allzu leicht in Ros Gesicht stieg. „Ein Lebenspunkt an dich.“ Slothiel lachte. „Nimm’s nicht so schwer, Mann“, sagte er. „Du kannst jederzeit eine Chance bekommen, ihn zurückzugewinnen, wenn du eine anständige Wette vorzuschlagen hast.“

Mekons Wut war wieder aufgeflammt. „Na gut“, schnappte er, fuhr herum und sah Jim an. „Den Punkt habe ich abgegeben - aber ich möchte trotzdem gern wissen, warum der Wolfling nicht einmal gezuckt hat, als das Tier ihn angriff. Das ist irgendwie unnatürlich.“

„Warum fragst du ihn nicht?“ kam es lässig von Slothiel.

„Ich frage ihn ja!“ sagte Mekon und sah Jim mit brennenden Augen an. „Mach’s Maul auf, Wolfling! Warum hast du keinerlei Zeichen einer Reaktion gezeigt?“

„Prinzessin Afuan bringt mich auf die Thronwelt, um mich dem Kaiser vorzuführen“, antwortete Jim ruhig. „Ich kann wohl kaum vorgeführt werden, wenn ich von einem Tier wie dem dort schwer verletzt oder getötet werde. Deshalb mußte derjenige, der dafür verantwortlich war, daß die Katze mich angegriffen hat, sicherstellen, daß ich von ihr nicht verletzt werde.“

Slothiel war den Kopf zurück und lachte laut. Mekons Gesicht, das seine normale blasse Farbe wieder angenommen hatte, färbte sich vor Wut wieder dunkelrot.

„So!“ fuhr Mekon ihn an. „Du glaubst also, du kannst nicht berührt werden - ist es so, Wolfling? Dir werd’ ich’s zeigen.“

Er brach ab, denn plötzlich war Ro neben ihnen im Raum erschienen, und nun schob sie sich buchstäblich zwischen Jim und den wütenden Hochgeborenen.

„Was machst du mit ihm?“ rief sie. „Er soll doch bei mir bleiben! Er ist kein Spielzeug für euch andere.“

„Na, du kleine, dreckige Wilde!“ fuhr Mekon sie an. Seine Hand zuckte zu dem kleinen schwarzen Stab, der an zwei Schleifen an dem seilartigen Material hing, das sie als Gürtel über ihrem weißen Gewand trug. „Gib den Stab da her!“

Als sich seine Hand darüber schloß, griff sie selbst danach. Einen Moment lang zerrten sie beide daran herum. Er löste sich von dem Gürtel, und sie hielten ihn beide in der Hand.

„Laß los, du kleine.“ Mekon hob eine Hand, ballte seine Finger zu einer Faust, als wolle er auf Ro einschlagen. In diesem Augenblick ging Jim auf ihn zu.

Der Hochgeborene schrie plötzlich auf - beinahe hätte man es ein Kreischen in Moll nennen können -, ließ den Stab los, trat hastig zurück und hielt seinen rechten Arm mit seiner linken Hand. Seinen gesamten Unterarm entlang lief es rot aus einem dünnen Stich, und Jim steckte sein kleines Messer in die Scheide zurück.

In dem Raum herrschte plötzlich völlige, eingefrorene Stille.

Trahey, der vorher beherrschte Slothiel und sogar Ro waren völlig still und starrten auf das Blut, das von Mekons Unterarm herablief. Wären die Wände des Schiffs um sie herum zu Staub zerfallen, hätten sie nicht verblüffter und entsetzter dreinschauen können.

„Er. der Wolfling hat mich beschädigt“, stotterte Mekon und starrte wild auf seinen blutenden Arm. „Habt ihr gesehen, was er getan hat?“

Langsam hob Mekon seine Augen zu seinen beiden Gefährten hoch.

„Habt ihr gesehen, was er getan hart?“ schrie Mekon auf. „Holt mir einen Stab! Steht nicht so herum! Holt mir einen Stab!“

Trahey machte eine langsame Bewegung, als wolle er auf Ro zugehen, aber Slothiel, der plötzlich seine Augen zusammengezogen hatte, hielt Trahey am Arm fest.

„Nein, nein“, murmelte Slothiel. „Unser kleines Spiel ist plötzlich kein Spiel mehr. Wenn er Stäbe will, soll er sie sich selbst holen.“

Trahey blieb stehen. Ro verschwand plötzlich.

„Blind sollst du werden, Trahey!“ brüllte Mekon. „Dafür wirst du bezahlen! Hol mir einen Stab, sage ich!“

Trahey schüttelte langsam den Kopf, obwohl seine Lippen fast blutleer waren.

„Einen Stab - nein. Nein, Mekon“, sagte er. „Slothiel hat recht. Das mußt du schon selber tun.“

„Das werde ich!“ schrie Mekon - und verschwand.

„Ich sage noch immer, du bist ein tapferer Mann, Wolfling“, sagte Slothiel zu Jim. „Ich darf dir vielleicht einen Rat geben. Wenn Mekon dir einen Stab anbietet, dann nimm ihn nicht an.“ Trahey gab ein merkwürdiges Geräusch von sich, wie jemand, der gerade etwas sagen wollte, es sich dann aber anders überlegt hatte. Slothiel richtete seine Augen auf den anderen Hochgeborenen.

„Wolltest du etwas sagen, Trahey?“ fragte er. „Du hast vielleicht Einwände dagegen, daß ich dem Wolfling Ratschläge erteile?“

Trahey schüttelte den Kopf, warf aber Jim einen bitteren Blick zu.

Mekon erschien wieder. Sein Arm blutete noch, aber in seiner Hand hielt er zwei kurze schwarze Stäbe, die von der gleichen Art wie der waren, den Ro in den Schleifen an ihrem Gürtel getragen hatte. Einen von ihnen hielt er in der unverletzten Hand. Er trat nach vorne und schob ihn zu Jim.

„Nimm das, Wolfling!“ fuhr er ihn an.

Jim schüttelte den Kopf und zog das kleine Messer aus seinem Gürtel.

„Nein, danke“, sagte er. „Ich glaube, ich bleibe bei dem hier.“

Mekons Gesicht leuchtete wild auf, und er warf den Stab, den er in der Hand gehalten hatte, durch den Raum.

„Wie du willst!“ sagte er. „Mir ist das gleich.“

„Aber mir nicht!“ unterbrach eine neue Stimme. Es war eine Frauenstimme hinter Jim. Jim drehte sich schnell um und trat einen Schritt zurück, um jeden im Raum vor sich zu halten. Er sah, daß Ro wieder erschienen war - bei ihr war eine große Hochgeborene, die Jim als Afuan zu erkennen glaubte. Hinter den beiden Frauen ragte ein schlanker Hochgeborener auf, der möglicherweise sogar noch vier oder fünf Zentimeter größer als Slothiel war.

„Na?“ fragte Afuan, wenn sie es wirklich war. „Ist etwas vorgefallen, das die Rangabstufung geändert hat, weil du meinst, eines von meinen Haustieren niederbrennen zu können, Mekon?“

Mekon war erstarrt. Selbst sein Gesichtsausdruck, zwischen Wut und Erstaunen gefangen, schien durch eine Art Lähmung festgelegt.

Hinter den beiden Frauen lächelte der außergewöhnlich große Hochgeborene langsam. Sein Lächeln ähnelte dem lässigen Lächeln Slothiels, aber hinter ihm verbarg sich mehr Macht -und vielleicht mehr Grausamkeit.

„Ich fürchte, du hast Ihre Majestät verletzt, Mekon“, sagte er. „Das könnte dich mehr als einige Lebenspunkte kosten. Menschen sind schon aus geringeren Gründen in die KolonieWelten verbannt worden.“

Überraschenderweise kam Slothiel dem gelähmten Mekon zu Hilfe.

„Vielleicht nicht in einem solchen Fall“, sagte Slothiel. „Der Wolfling hat Mekon zuerst angegriffen. Ein Mann wie Galyan wird sicherlich verstehen können, wie ein Mann auf so etwas reagieren kann.“

Die Augen des großen Hochgeborenen, der mit Galyan angeredet worden war, wandten sich Slothiel zu. Sie schienen sich beide mit einer Belustigung anzusehen, die direkt an der Grenze zu Feindseligkeit lag. Eines Tages, so schienen die Blicke zu sagen, werden wir zusammenstoßen, aber jetzt noch nicht. Prinzessin Afuan bemerkte den Austausch, und sofort veränderte sich ihre Haltung zu energischer Vernunft.

„Unsinn!“ sagte sie. „Er ist schließlich nur ein Wolfling! -Siehst du eigentlich gern ekelhaft aus, Mann?“ Dieser letzte Satz war an Mekon gerichtet. „Heile dich!“

Mekon wachte abrupt aus seiner Trance auf und sah auf seinen verwundeten Arm herab. Auch Jims Blick richtete sich darauf. Er sah, wie der lange, oberflächliche Schnitt sich langsam schloß und festigte - ohne die üblichen Anzeichen von Schorf bei einer Heilung. Es dauerte ungefähr anderthalb Sekunden, und die Wunde war verschwunden. Zurück blieb nur die onyxweiße Haut, die aussah, als sei sie nie verletzt worden. Das getrocknete Blut auf dem Arm blieb, aber einen Augenblick später fuhr Mekon mit der Hand darüber, und auch das verschwand. Zum Schluß war sein Arm nicht nur geheilt, sondern auch sauber. Jim schob sein Messer in die Scheide an seinem Gürtel zurück.

„So ist es besser“, sagte Afuan. Sie wandte sich dem großen Mann neben ihr zu. „Ich überlasse das jetzt dir, Galyan. Sieh zu, daß Mekon eine Art von Strafgebühr zahlt.“

Sie verschwand.

„Du kannst auch gehen, Mädchen“, sagte Galyan und sah auf Ro herab. „Ich hatte nicht die Möglichkeit, den Wolfling hier bei seiner Show auf dem Planeten zuzusehen. Wenn ich mit Mekon fertig bin, möchte ich mir den Wilden gern selbst näher ansehen.“

Ro zögerte. Ihr Gesicht sah unglücklich aus.

„Geh nur“, sagte Galyan leise, aber scharf. „Ich werde deinem Wolfling nichts tun! Du bekommst ihn eher in perfektem Zustand zurück, als du glaubst.“

Ro zögerte noch eine Sekunde lang, und dann verschwand auch sie. Kurz davor warf sie Jim noch einen seltsam flehentlichen Blick zu, als wolle sie ihn vor jeder Handlung warnen, die noch zu weiteren Schwierigkeiten führen könnte.

„Komm mit mir, Wolfling“, sagte Galyan. Er verschwand. Nach einer Sekunde erschien er wieder und lächelte Jim fragend an.

„Du weißt also noch nicht, wie du dich auf dem Schiff bewegen sollst, nicht wahr?“ sagte er. „Also gut, Wolfling. Ich werde dir den Antrieb verleihen.“

Sofort fand Jim sich in einem großen, ovalen Raum mit niedriger Decke und gelben Wänden wieder, der mehr als alle anderen Räume, die er bisher an Bord des Schiffs gesehen hatte, wie ein Büro oder ein Arbeitsplatz aussah. Drei Männer waren an drei Platten, die wie Stein aussahen und in der Luft schwebten, mit etwas beschäftigt - keiner von ihnen ein Hochgeborener.

Zwei Männer waren braun und gedrungen - ungefähr die Farbe eines Weißen von der Erde mit tiefer Sonnenbräune. Sie waren nicht größer als einen Meter fünfundsechzig. Der dritte, der etwas untersuchte, das wie eine Karte aussah, war vielleicht fünfzehn Zentimeter größer und hundert Pfund schwerer als die beiden anderen. Sein Gewicht war nicht durch Fett bedingt, sondern durch ein sehr schweres, ja massives Knochengerüst und die entsprechende Muskulatur. Im Gegensatz zu den beiden kleineren Männern, die ihr langes, gerades, braunes Haar in der gleichen Frisur wie die Frauen trugen, war er völlig kahlköpfig. Sein runder, haarloser Schädel mit der grau-weißen Haut, die sich straff über die Knochen darunter spannte, fiel am stärksten ins Auge, so daß seine Augen, seine Nase und sogar seine recht großen Ohren im Vergleich dazu klein aussahen. Dieser dritte Mann stand auf, als er bemerkte, daß Galyan und Jim im Raum erschienen waren.

„Nein, nein. Es ist alles klar, Reas“, sagte Galyan. „Geh wieder an deine Arbeit.“

Der stark aussehende Mann setzte sich wortlos wieder hin und studierte weiter seine Karte.

„Reas“, sagte Galyan, machte eine Handbewegung in seiner Richtung und sah auf Jim herab. „Du würdest ihn als meine Leibwache bezeichnen, obwohl ich genausowenig wie irgendeiner der Hochgeborenen eine Leibwache brauche. Überrascht dich das?“

„Ich weiß darüber noch nicht genug, um entweder überrascht oder nicht überrascht zu sein“, antwortete Jim.

Überraschenderweise nickte Galyan, als billige er das.

„Nein, natürlich nicht“, sagte er. Er setzte sich auf das nächste Kissen und streckte einen langen Arm aus.

„Zeig mir mal dein Werkzeug“, sagte er. „Das, was du benutzt hast, um Mekon zu verletzen.“

Jim zog das Messer und reichte es mit dem Griff nach vorn hinüber. Galyan nahm es vorsichtig an und packte es mit einem Daumen und zwei gegenüberliegenden Fingern. Er hielt es hoch und berührte sanft seine Spitze und die Schneiden mit dem langen Zeigefinger seiner rechten Hand. Dann gab er es Jim zurück.

„Ich nehme an, einen gewöhnlichen Menschen könntest du mit so etwas töten“, sagte er.

„Ja“, sagte Jim.

„Sehr interessant“, sagte Galyan. Er blieb einen Moment lang still sitzen, als sei er in seine eigenen Gedanken versunken. Dann richteten sich seine Augen wieder auf Jim. „Ich nehme an, dir ist klar, daß du nicht umherlaufen und Hochgeborene mit solchen Geräten beschädigen darfst?“

Jim sagte nichts. Galyan lächelte auf sein Schweigen hin ganz ähnlich, wie er Slothiel zugelächelt hatte - ein wenig rätselhaft, ein wenig grausam.

„Du bist sehr interessant, Wolfling“, sagte er langsam. „Ausgesprochen interessant. Dir scheint nicht klar zu sein, daß du wie ein Insekt in der Hand von uns Hochgeborenen existierst. Also - jemand wie Mekon hätte schon lange vorher seine Hand geschlossen und dich erdrückt. Genau das wollte er gerade tun, als Afuan und ich ihn aufgehalten haben. Ich aber bin nicht ein Hochgeborener wie Mekon. Im Grund bin ich völlig anders als jeder Hochgeborene, den du je treffen wirst, abgesehen vom Kaiser - und da wir Cousins ersten Grades sind, ist das nicht überraschend. Ich werde meine Hand also nicht um dich schließen, Wolfling. Ich werde mich mit dir unterhalten - als seist du selbst ein Hochgeborener.“

„Danke“, sagte Jim.

„Du bedankst dich nicht bei mir, Wolfling“, sagte Galyan sanft. „Du bedankst dich nicht bei mir oder verfluchst mich oder bettelst mich an oder lobpreisest mich. Was mich betrifft, tust du gar nichts - du hörst nur zu und antwortest, wenn dir Fragen gestellt werden. Fangen wir also an. Wie bist du mit Mekon, Trahey und Slothiel in diesen Raum gekommen?“

Jim berichtete es ihm kurz und emotionslos.

„Ich verstehe“, sagte Galyan. Er faltete seine langen Hände um ein Knie, lehnte sich ein wenig auf seinem Kissen zurück und sah mit leicht geneigtem Kopf zu Jim hoch. „Du hast dich also auf die Tatsache verlassen, daß die Prinzessin dich dem Kaiser vorführen will und dich aus diesem Grund niemand zu verletzen wagen würde. Selbst wenn eine solche Überzeugung berechtigt wäre, Wolfling, so hast du trotzdem bewiesen, daß du deine Nerven außergewöhnlich gut unter Kontrolle hast. Du hast es fertiggebracht, völlig bewegungslos stehen zu bleiben, als das Tier dir ins Gesicht gesprungen ist.“

Er hörte auf zu sprechen, als wolle er Jim die Gelegenheit geben, etwas zu sagen. Als Jim das nicht tat, murmelte er fast abschätzig: „Ich gestatte es dir zu sprechen.“

„Worüber soll ich sprechen?“ fragte Jim.

Galyans zitronengelbe Augen glühten fast wie die einer Katze im Dunkeln.

„Stimmt“, murmelte er und zog dabei das ,S’ in die Länge. „Du bist äußerst ungewöhnlich - sogar für einen Wolfling. Ich habe allerdings bisher noch nicht viele Wolflinge getroffen und kann das daher vielleicht nicht besonders gut beurteilen. Für jemanden, der kein Hochgeborener ist, bist du recht gut gewachsen. Die übrigen Erdenmenschen sind wohl nicht so groß wie du, oder?“

„Im Durchschnitt nicht“, sagte Jim.

„Dann gibt es also bei euch größere Männer?“

„Ja“, sagte Jim und äußerte sich zu dem Thema nicht weiter. „So groß wie die Hochgeborenen?“ fragte Galyan. „Gibt es Männer, die so groß sind wie ich?“

„Ja“, sagte Jim.

„Aber nicht viele“, sagte Galyan mit leuchtenden Augen. „Eigentlich sind sie selten. Ist es nicht so?“

„Das stimmt“, sagte Jim.

„Im Grunde“, sagte Galyan und drückte seine Hände über seinem Knie zusammen, „könnte man sie, ehrlich gesagt, als Mißgeburten bezeichnen - sehe ich das richtig?“

„So könnte man es sagen“, antwortete Jim.

„Ja, ich dachte mir schon, daß wir die Wahrheit herausbekommen“, sagte Galyan. „Du mußt verstehen, daß wir Hochgeborenen keine Mißgeburten sind, Wolfling. Wir sind eine echte Aristokratie - eine Aristokratie, die sich nicht nur in einer geerbten Macht äußert, die allem anderen überlegen ist, was die verschiedenen Menschenrassen besitzen. Wir verfügen über eine physische, geistige und emotionelle Überlegenheit. Das ist eine Tatsache, die du wahrscheinlich bisher noch nicht erfaßt hast - und die normale Praxis sieht so aus, daß wir das von dir auf die schwere Art selbst entdecken lassen. Du aber hast mein Interesse geweckt.“

Er drehte sich zu Reas um.

„Bring mir zwei Stäbe“, sagte er.

Der grobknochige Leibwächter erhob sich von seiner Karte, durchquerte das Zimmer und kam mit zwei schwarzen Stäben in der Hand zurück. Sie sahen aus wie der in Ros Gürtel und die beiden, die Mekon geholt hatte, nachdem Jim sein Messer gegen ihn eingesetzt hatte. Ein weiterer schwarzer Stab steckte, wie Jim bemerkte, in Schleifen in dem seilartigen Gürtel, der um Reas dicke Taille geschlungen war.

„Danke, Reas“, sagte Galyan und nahm die beiden Stäbe in Empfang. Er drehte sich zu Jim um. „Ich habe dir gesagt, daß du keine weiteren Hochgeborenen wie mich finden wirst. Ich hege bemerkenswert wenige Vorurteile gegenüber niedrigeren Menschenrassen - nicht aus Sentimentalität, sondern aus praktischen Gründen. Ich möchte dir aber etwas vorführen.“

Er drehte seinen Kopf und winkte einem der kleinen, braunhäutigen Männer mit dem braunen Haar, das gerade nach hinten herabhing. Der Mann stand auf, kam zu ihnen herüber und stellte sich neben Reas. Galyan gab ihm einen der schwarzen Stäbe. Der Mann steckte ihn in seinen Gürtel.

„Reas ist, wie ich schon sagte“, erklärte Galyan, „nicht nur zum Leibwächter ausgebildet, sondern sogar dazu gezüchtet. Jetzt sieh dir an, wie er im Vergleich mit seinem Gegner hier mit seinem Stab umgeht.“

Galyan wandte sich Reas und dem anderen Mann zu, die sich nun in ungefähr anderthalb Meter Entfernung gegenüberstanden.

„Ich klatsche jetzt zweimal in die Hände“, sagte Galyan zu ihnen. „Beim ersten Mal fängst du an zu ziehen. Reas beginnt erst beim zweiten Mal. Paß auf, Wolfling!“

Galyan hob die Hände und klatschte leise zweimal. Das zweite Klatschen folgte ungefähr eine halbe Sekunde auf das erste. Auf den Laut des ersten Klatschens hin riß der kleine braune Mann den Stab aus seinem Gürtel und hob ihn gerade an, um auf Reas zu zielen, als Galyan zum zweiten Mal klatschte. Reas zog seinen Stab schnell mit einer einzigen flüssigen Bewegung.

In diesem Augenblick gab das eine Ende des Stabs, den der kleine Mann in der Hand hielt, etwas von sich, das wie eine Mischung aus der Flamme eines Schweißgeräts und der Funkenstrecke einer elektrischen Entladung aussah. Der Strahl war direkt auf Reas Brust gezielt, erreichte aber nie sein Ziel. In dem Moment, in dem es aus dem Ende des Stabs herausbrach, hatte Reas seinen Stab bereits in Stellung gebracht. Er betätigte den Stab, und die Entladung aus ihm traf auf die aus dem Stab des Kleineren, so daß beide Entladungen nach oben abgelenkt wurden.

„Sehr gut“, sagte Galyan. Die Entladungen aus beiden Stäben rissen ab, beide Männer senkten ihre Stäbe und drehten sich zu dem Hochgeborenen um. Galyan streckte die Hand aus, nahm dem kleinen braunen Mann seinen Stab ab und schickte ihn mit einer Handbewegung an die Arbeit zurück.

„Jetzt paß genau auf, Wolfling“, sagte Galyan. Er schob den Stab, den er in der Hand gehalten hatte, in zwei Schleifen in seinem eigenen Gürtel. Reas tat das gleiche mit seinem Stab, als reagierte er auf ein unsichtbares Signal.

„Jetzt sieh her, Wolfling, wie ich schon sagte“, sagte Galyan sanft. „Reas kann ziehen, wann er will.“

Reas trat nach vorne, bis er weniger als eine Armlänge entfernt vor dem sitzenden Hochgeborenen stand. Einen Augenblick lang blieb er völlig bewegungslos, dann sah er in eine Ecke des Raums. Im gleichen Moment zuckte seine Hand zu seinem Gürtel.

Plötzlich ertönte ein scharfes Klicken. Galyans Arm war ausgestreckt, und der Stab in seiner Hand hielt Reas Stab fest, der halb aus den Schlingen in seinem Gürtel herausgezogen war. Galyan lachte leise und lockerte den Druck, den er auf den anderen Stab ausübte. Er gab seinen Stab Reas zurück, der dann beide auf der anderen Seite des Raums verstaute.

„Siehst du?“ sagte Galyan zu Jim gewendet. „Jeder Hochgeborene verfügt über schnellere Reflexe als jeder einzelne Mensch der anderen Menschenrassen, von Wilden wie dir ganz zu schweigen. Nun weißt du also, warum Mekon dich durch das Herbeiholen der Stäbe zu einem Duell zwingen wollte, in dem du keinerlei Chancen gehabt hättest. Wie ich schon sagte: Wir sind eine echte Aristokratie. Nicht nur meine Reflexe sind besser als die von Reas, sondern mein Gedächtnis ist es auch. Meine Intelligenz ist größer, meine Wahrnehmungsfähigkeit und Unterscheidungsvermögen sind schärfer als bei jedem anderen Menschen - ja, das gilt sogar für die Hochgeborenen selbst. Trotzdem beschäftige ich mehr Niedriggeborene als jeder andere Hochgeborene. Fragst du dich jetzt, warum ich das tue, wo ich doch alles besser als sie erledigen kann, und zwar durch und für mich?“

„Ich nehme an“, sagte Jim, „einfach deshalb, weil Sie nicht an zwei Stellen zur gleichen Zeit sein können.“

Galyans Augen leuchteten mit neuer Intensität.

„Was ist das für ein brillanter Wolfling!“ sagte er. „Ja, andere Menschen sind mir nützlich, auch wenn sie mir unterlegen sind, und mir kommt da gerade der Gedanke, daß du und dein kleines Gerät, mit dem du Mekon beschädigt hast, mir eines Tages vielleicht nützlich werden könntet. Überrascht es dich, das zu hören?“

„Nicht, nachdem Sie mir so viel Zeit gewidmet haben“, sagte Jim.

„Immer besser“, murmelte er. „Der Wolfling hier hat ein Gehirn - natürlich nur eine grobe, graue Materie. Aber trotzdem ein Gehirn. Ich habe mich nicht getäuscht. Ja, ich werde dich vielleicht gebrauchen können, Wolfling - und weißt du, warum du mir nützlich werden könntest, wenn die Zeit dazu gekommen ist?“

„Sie haben sicherlich vor, mich auf die eine oder andere Art zu bezahlen“, sagte Jim.

„Genau“, sagte Galyan. „Uns Hochgeborenen sieht man das Alter nicht an. Ich sage es dir also jetzt gleich, Wolfling. Ich bin nach unserer Lebensspanne zwar durchaus noch nicht in den mittleren Jahren, aber auf der anderen Seite auch kein ungeschliffener Jüngling mehr, und wir haben es gelernt, mindere Menschenrassen für unsere Zwecke einzusetzen. Ich gebe ihnen als Belohnung oder Bezahlung, was auch immer sie sich am meisten wünschen.“

Er hörte auf zu sprechen. Jim wartete.

„Na, Wolfling“, sagte Galyan nach einer Minute, „was wünschst du dir am meisten? Wenn du nicht ein Wilder wärst, brauchte ich dich nicht zu fragen, aber ich kenne Wolflinge noch nicht gut genug, um über ihre Wünsche Bescheid zu wissen. Was wünschen sie sich am meisten?“

„Freiheit“, sagte Jim.

Galyan lächelte.

„Natürlich“, sagte er. „Was alle wilden Tiere sich wünschen - oder zu wünschen glauben. Freiheit. In deinem Fall bedeutet Freiheit das Recht, jederzeit gehen zu dürfen, nicht wahr?“ „Das ist die Voraussetzung dafür“, sagte Jim.

„Besonders das Recht zu gehen, würde ich meinen“, murmelte Galyan. „Du hast dir das zweifellos noch nicht überlegt, Wolfling, aber es ist einfach eine Tatsache, daß es dir unmöglich sein wird, jemals wieder an den Ort zurückzukehren, von dem wir dich mitgenommen haben, wenn wir dich erst einmal auf die Thronwelt gebracht haben. Ist dir das klar? Daß du nie wieder nach Hause zurückkehren kannst, nachdem du dich uns zu unserer Reise auf die Thronwelt angeschlossen hast?“

Jim starrte auf ihn herab.

„Nein“, sagte er. „Ich hatte durchaus vor, irgendwann in meine Heimat zurückzukehren.“

„Jetzt kennst du deine Lage“, sagte Galyan. Er hob einen schlanken Zeigefinger. „Es sei denn, du erweist dich für mich als nützlich. Wenn du dich für mich als nützlich erweisen solltest, kümmere ich mich vielleicht darum, daß du wieder nach Hause kommst.“

Er ließ sein Knie los und stand plötzlich auf. Er überragte Jim.

„Ich schicke dich jetzt wieder zu Ro zurück“, sagte er. „Behalte den Gedanken, den ich dir gerade mitgegeben habe, im Hinterkopf. Deine einzige Hoffnung, die Welt wiederzusehen, von der du gekommen bist, liegt darin, mir in irgendeiner Weise zu gefallen.“

Der Hochgeborene machte keine weitere Bewegung, aber abrupt befand sich Jim wieder in dem Raum mit der Glaswand mit den Haustieren. Ro kauerte an einem Ende und weinte über der Leiche eines der katzenartigen Tiere. Es war nicht jenes, das er vorher bei den Haustieren gesehen hatte, denn das stand nun ängstlich winselnd knapp außerhalb der Reichweite der weinenden Frau. Es war ein anderes, das tot dalag - und es sah ganz so aus, als sei es von einem Blitz in zwei Teile geschnitten worden.

Kapitel 4

Jim ging zu der Frau. Sie bemerkte nichts von seiner Gegenwart, bis er nach ihr griff und sie in seine Arme schloß. Sie sah verblüfft auf und verkrampfte sich plötzlich. Dann aber erkannte sie ihn und klammerte sich an ihm fest.

„Dir geht es gut. Wenigstens dir geht es gut.“, brachte sie mühsam heraus.

„Woher kommt das Tier?“ fragte Jim und deutete auf die tote Großkatze.

Die Frage löste eine neue Gefühlsaufwallung aus, aber dann kam die Geschichte langsam heraus. Sie hatte diese Katze genau wie die andere, die zu den Haustieren gehörte, aufgezogen. Sie war dann vor einiger Zeit von Afuan an Mekon verschenkt worden, und der hatte ihr beigebracht, auf Kommando anzugreifen.

„Sie war aber doch noch völlig in Ordnung, als ich sie das letzte Mal gesehen habe“, sagte Jim. „Wie kommt es, daß sie jetzt tot ist?“

Sie zog sich ein wenig von ihm zurück und starrte ihn zitternd und überrascht an.

„Hast du nichts davon gehört?“ fragte sie. „Afuan hat es Galyan überlassen, Mekon für das, was er getan hat, eine Buße aufzuerlegen. Und Galyan hat entschieden, daß die Buße.“ Sie schluchzte auf und deutete auf das Tier.

„Das ist aber eine merkwürdige Buße“, sagte er langsam.

„Merkwürdig?“ Sie sah verwirrt zu ihm auf. „Aber das ist doch genau die Art von Buße, die Galyan verhängen würde. Er ist ein Teufel, Jim. Jemand anders, der auf Anweisung der Prinzessin handelt, hätte ihm als Buße einen seiner Lieblingsdiener oder sonst etwas auferlegt, was er schätzt, aber Galyan hat sich dieses arme Tier ausgesucht - weil Mekon mit ihm zusammen einen Punkt verliert. O nein, keinen Lebenspunkt. Galyan ist zu schlau, um gegen jemanden wie Mekon so streng zu sein. Ein Einjahrespunkt wird es aber sicherlich werden, und Mekon hat schon zu viele Punkte, Lebenspunkte und andere, gegen sich angesammelt. Jetzt kann er sich dann und wann ernsthaft Gedanken darüber machen, daß vielleicht irgendein Unfall ihm die Verbannung einbringt.“

„Verbannung?“ fragte Jim.

„Aber natürlich. Verbannung von der Thronwelt.“ Ro unterbrach sich plötzlich und wischte sich über die Augen. Sie richtete sich auf und sah auf den Körper des toten Tieres herab. Er verschwand sofort.

„Ich vergesse immer wieder, daß du nichts davon verstehst“, sagte sie und drehte sich zu Jim um. „Es gibt so vieles, das ich dir noch beibringen muß. Alle Hochgeborenen spielen um Punkte. Das ist das einzige Spiel, das auch der Kaiser nicht verbieten kann - wenn man zu viele Punkte angesammelt hat, bedeutet das, daß man die Thronwelt für immer verlassen muß, aber das erkläre ich dir alles später. Jetzt sollte ich dir vielleicht besser beibringen, wie du von einem Raum in den anderen kommst. “

Ros Worte hatten Jim jedoch einen neuen Gedanken eingegeben.

„Einen Augenblick“, sagte er. „Sag. sagen Sie mir eines, Ro. Wenn ich jetzt noch etwas zu besorgen hätte, bevor das Schiff abfliegt, und wollte noch einmal in die Stadt - könnte ich das?“

„Oh!“ Sie schüttelte traurig den Kopf. „Ich dachte, wenigstens das wüßtest du. Das Schiff ist von der Außenwelt, auf der wir waren, schon vor einiger Zeit abgeflogen. Wir kommen nach Schiffszeit in drei Tagen auf der Thronwelt an.“ „Ich verstehe“, sagte Jim grimmig.

Ihr Gesicht wurde abrupt blaß, und sie ergriff ihn mit beiden Händen am Arm, als wolle sie ihn davon abhalten, vor ihr zurückzuweichen.

„Mach nicht so ein Gesicht!“ sagte sie. „Worum es auch immer geht, ein solches Gesicht solltest du nicht machen!“

Jim zwang sein Gesicht dazu, sich zu glätten. Er unterdrückte die plötzliche Wut, die in ihm explodiert war. Er zwang sich dazu, Ro zuzulächeln.

„In Ordnung“, sagte er. „Ich verspreche Ihnen, nicht so ein Gesicht zu machen.“

Ro hielt ihn noch immer an den Armen fest.

„Du bist so seltsam“, sagte sie. „In jeder Beziehung so seltsam. Was hat dich dazu gebracht, so finster dreinzuschauen?“

„Etwas, das Galyan zu mir gesagt hat“, antwortete er. „Nach seinen Worten kann ich nie mehr in meine Heimat zurückkehren.“

„Aber. du wirst gar nicht in deine Heimat zurückkehren wollen!“ sagte Ro ein wenig verwundert. „Du hat die Thronwelt noch nie gesehen, und deshalb weißt du natürlich nichts darüber, aber von ihr will niemand weggehen. Die einzigen, die bleiben dürfen, sind die Hochgeborenen, die im Spiel ihre Punktzahlen niedrig genug halten, sowie ihre Diener und Besitztümer. Selbst die Gouverneure der Kolonie-Welten dürfen die Thronwelt nur für kurze Zeitperioden besuchen. Wenn ihre Zeit um ist, müssen sie wieder gehen. Die Hochgeborenen aber und Menschen wie du und ich - wir dürfen bleiben.“

„Ich verstehe“, sagte er.

Sie runzelte die Stirn und sah auf seine Arme herab, die sie noch in den Händen hielt. Ihre Finger spürten sie durch die Ärmel seiner Jacke hindurch.

„Du hast so harte Muskeln wie ein Starkianer“, sagte sie verwirrt. „Außerdem bist du für jemanden, der kein Hochgeborener ist, sehr groß. Ist das auf der wilden Welt, von der du kommst, üblich, daß jemand so groß ist wie du?“

Jim lachte etwas abgehackt.

„So groß war ich schon, als ich zehn Jahre alt war“, sagte er. Der Ausdruck von leichtem Unverständnis auf ihrem Gesicht veranlaßte ihn, noch hinzuzufügen: „Zu der Zeit war erst die Hälfte meiner normalen Wachstumsperiode vorbei.“

„Und dann bist du nicht mehr weitergewachsen?“ fragte Ro. „Man hat mich nicht mehr weiterwachsen lassen“, sagte er ein wenig grimmig. „Einige unserer Ärzte haben eine Reihe von Tests mit mir veranstaltet, weil ich für mein Alter so groß war. Sie konnten keinen Fehler finden, aber sie gaben mir einen Extrakt aus der Hypophyse, um mein Wachstum zu beschränken, und das funktionierte. Ich bin nicht mehr weiter gewachsen - physisch. In anderer Beziehung aber bin ich weiter gewachsen.“

Jim unterbrach sich selbst abrupt. „Das ist jetzt gleich“, sagte er. „Sie wollten mir doch zeigen, wie ich mich innerhalb des Schiffs von einem Raum zum anderen bewegen kann.“

„Das - und noch mehr!“ Sie schien vor seinen Augen plötzlich einige Zentimeter zu wachsen, und etwas von der kalten Unnahbarkeit von Prinzessin Afuan trat in ihre Züge. „Meine Tiere können sie mir wegnehmen und verschenken oder umbringen, aber dir werden sie nichts tun. Wenn ich mit deiner Unterweisung fertig bin, weißt du mehr als genug, um überleben zu können. Ich bin ein Atavismus, mag sein, aber ich bin trotzdem eine Hochgeborene wie sie. Sogar der Kaiser selbst darf mich nicht ohne Grund von der Thronwelt verbannen - ich habe die gleichen Rechte wie jeder Hochgeborene! Komm mit, und ich fange damit an, dir zu zeigen, wie das Leben eines Hochgeborenen und Bürgers der Gesellschaft der Thronwelt aussieht!“

Zuerst brachte sie ihn zu einem Teil des Schiffs, den er bisher noch nicht gesehen hatte. Er bestand aus einem großen Raum mit hoher Decke und Metallwänden. Eine Wand war von flackernden Lichtstrahlen in verschiedenen Farben bedeckt. An dieser Wand hielt sich einer der kleinen, braunen Männer mit dem gerade herabhängenden Haar auf. Wie Jim herausfand, stellte er die gesamte Mannschaft des Schiffs dar - und eigentlich war er noch nicht einmal das. Im Grunde war er nichts weiter als ein Ingenieur für Notfälle, der für den unwahrscheinlichen Fall bereitstand, daß an dem Schiff eine kleine Reparatur oder Neueinstellung vorgenommen werden mußte.

Eigentlich wartete sich das Schiff selbsttätig. Es war nicht nur für den eigenen Betrieb verantwortlich, sondern lieferte dazu noch die Energie für die Beförderung von Menschen von einem Raum zum anderen und den Transport von sichtbaren und unsichtbaren Geräten an Bord. Es gehorchte wie ein riesiger künstlicher Hund sofort allen geistigen Launen von Prinzessin Afuan und stand in geringerem Maß für die Ausführung der Wünsche aller an Bord befindlichen Personen bereit.

„Jetzt“, wies Ro Jim an, „stellst du dich einfach hierher und entspannst dich. Laß es den Kontakt mit dir herstellen.“

„Kontakt mit mir herstellen?“ kam es von Jim als Echo zurück. Er nahm an, daß sie von Telepathie sprach, und versuchte ihr das zu sagen, fand aber dann heraus, daß er das Wort dafür in der Sprache des Reichs nicht wußte. Ro aber verstand ihn und gab ihm zu seiner erheblichen Überraschung eine vollständige und äußerst komplizierte Erklärung der Funktionsweise des Schiffs. Kurz gesagt sah es einfach so aus, daß das Schiff die elektrische Aktivität von einzelnen Gehirnen prüfte. Es gewann dadurch so etwas wie einen individuellen Code für die Handlungen und Aktivitäten einer Person. Gedanken, die man sich deutlich genug vorstellte, so erklärte Ro, lösten im Körper minimale Aktivitäten aus - kurz gesagt, reagierte der Körper auf einer sehr niedrigen Ebene auf die vorgestellte Szene, als sei diese Szene real. Das Schiff paßte seine elektrischen Impulse dieser Szene an und versetzte die entsprechende Person dadurch in diese Szene, indem sie buchstäblich zerlegt und am konkreten Ort der vorgestellten Szene wieder zusammengesetzt wurde.

Der Prozeß, mit dem das Schiff Lichtjahre von leerem Raum überbrückte, bestand in der gleichen Methode von Zerlegung und Zusammensetzung, nur auf einer größeren Ebene. Das bedeutete, daß das Schiff mit seinem gesamten Inhalt zerlegt und ein Stück weiter auf seinem Weg wieder zusammengesetzt wurde. Die Entfernung, die während dieser Sprünge zurückgelegt wurde, war bestimmten Beschränkungen unterworfen, aber da jeder Sprung mit Computergeschwindigkeit vorgenommen wurde, äußerte sich dieser Effekt als mühelose Überlichtgeschwindigkeit.

„. im Grunde“, faßte Ro zusammen, „bewegt sich das Schiff eigentlich nie wirklich, sondern verändert einfach die Koordinaten seiner Position.“ Dann folgte eine Erklärung in technischen Einzelheiten, denen Jim nicht mehr folgen konnte.

Nachdem Jim seine Vorstellungskraft ein wenig geübt hatte, spürte er trotzdem das gleiche Gefühl - wie eine Feder, die die Oberfläche seines Gehirns kitzelte -, das er empfunden hatte, als er nach Ros Anweisung vor seinem geistigen Auge ein Bild der Halle hatte entstehen lassen, in dem die gefrorenen Stiere gelagert waren. Bei seinem ersten Versuch transportierte er sich von einem Ende des Raums, in dem sie sich befanden, bis zum anderen, aber bereits Minuten später hatte er die Technik voll im Griff und bewegte sich mit Leichtigkeit im Schiff von einem Raum zum anderen. Er war jedoch auf die Räume beschränkt, die er bereits gesehen hatte.

Ro brachte ihn in ihr Quartier, und die sozialen Aspekte seiner Ausbildung begannen. Es überraschte sie beide, wieviel er in den wenigen Tagen bis zu der Landung des Schiffs auf der Thronwelt erreichte. Jim stellte verblüfft fest, daß Ro wie alle Hochgeborenen über eine enorme Fülle von Informationen über wissenschaftliche und soziale Aspekte aller Bereiche ihres Alltags verfügte. Hier fand sich eine Parallele zu ihrem Wissen um die Funktionsweise des Schiffs. In ihrem ganzen Leben würde es von ihr nie verlangt werden, auf das Muster von blinkenden Lichtern in der zentralen Steuerung des Schiffs auch nur einen Blick zu werfen, aber im Notfall hätte sie das gesamte Schiff bauen können, wenn ihr die dazu notwendigen Werkzeuge und Materialien zur Verfügung standen. Auf der anderen Seite war Ro von der Entdeckung verblüfft, daß sie Jim alles nur einmal zu erklären brauchte.

„. bist du auch wirklich sicher, daß du das alles behältst?“ Mit dieser Frage an Jim unterbrach sie sich immer wieder selbst. „Ich habe bisher noch von niemandem außer Hochgeborenen gehört, der sich nicht sehr anstrengen müßte, um Dinge zu behalten.“

Jims Antwort darauf war die wörtliche Wiederholung ihrer Erklärungen. Beruhigt, aber nicht wirklich überzeugt, stürzte sie sich dann in weitere detaillierte Ausführungen - und Jim saugte weiter Informationen über die Thronwelt, die Gesellschaft der Hochgeborenen und das Reich, das die Thronwelt und die Hochgeborenen gemeinsam beherrschten, auf wie ein Schwamm.

Ein Gesamtbild setzte sich langsam vor seinen Augen zusammen, wie ein zusammenhängender Umriß schließlich erscheint, nachdem eine bestimmte kritische Anzahl von Stücken eines Puzzles zusammengesetzt worden sind.

Merkwürdigerweise waren die Hochgeborenen keine direkten Nachkommen der Ureinwohner der Thronwelt, die sich zur Kolonisierung der anderen bewohnten Welten des Reichs aufgemacht hatten. Sie, die nicht nur theoretisch die Herrscher des Reichs waren, hatten diese Führungsposition durch Schwäche und nicht durch Stärke erreicht.

Es war wohl richtig, daß die Thronwelt am Anfang versucht hatte, die Kontrolle über die anderen kolonisierten Welten auszuüben. Dieser Versuch war jedoch durch die zwischen ihnen liegenden Entfernungen und die zeitliche Trennung, die sie mit sich brachten, schon bald zum Scheitern verurteilt. Die neueren Welten erreichten sehr schnell ihre Autonomie. Und als sich das Reich mehrere tausend Jahre später nach allen Seiten so weit ausgedehnt hatte, daß es in einigermaßen erreichbarer Nähe keine Sterne mit bewohnbaren Planeten mehr gab, war die Thronwelt praktisch vergessen. Man kannte sie nur noch als Ausgangspunkt der Ausbreitung der Menschheit im Kosmos.

Schon bevor diese Ausbreitung ihre Grenzen erreicht hatte, hatten die älteren kolonisierten Welten die Vorteile einer zentralen Organisation erkannt. Man brauchte eine normale Autorität und einen zentralen Punkt, der als Umschlagplatz für wissenschaftliche und andere Entwicklungen dienen konnte, die nicht auf der eigenen Welt erreicht worden waren. Die Thronwelt war daher mit allseitigem Einverständnis wieder in das Zentrum gerückt und als eine Art kosmische Bibliothek und Informationszentrum eingerichtet worden. Das - obwohl es zu dieser Zeit noch niemand wußte - war der Ursprung der Hochgeborenen.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die wichtigsten Wissenschaftler und kreativsten Geister der Kolonie-Welten sich langsam auf der Thronwelt sammelten. Sie bildete das intellektuelle Zentrum des von Menschen bewohnten Universums, und daher war das Leben dort am gewinnbringendsten - nicht nur, was die konkrete Bezahlung für intellektuelle Arbeit betraf, sondern auch durch die geistige Gemeinschaft und den Zugang zu neuen Informationen über ein spezifisches Feld.

Im Verlauf der nächsten Jahrtausende nahm diese Einwanderung einen Umfang an, der von der Thronwelt selbst eingeschränkt werden mußte. Die Thronwelt war in der Zwischenzeit im Vergleich mit den Koloniewelten sowohl reich als auch mächtig geworden, weil die meisten technologischen Neuentwicklungen von ihr stammten. Ihre intellektuelle Bevölkerung entwickelte sich bereits zu einer Elite, die durch die besten Köpfe der Kolonie-Welten nur spärlich vergrößert wurde und der die Bewohner der KolonieWelten, die nicht das Zeug dazu hatten, sich dieser Elite anzuschließen, aber den starken Wunsch verspürten, unter den Mächtigen zu leben, beflissen ihre Dienste antrugen.

Im Verlauf der letzten zehntausend Jahre stagnierte die Ausbreitung des Reichs nicht nur, sondern sein Hoheitsgebiet war sogar etwas geschrumpft, und die Elite der Thronwelt war zu Hochgeborenen geworden - mit speziellen eugenischen Eingriffen und Kontrollen, die ihnen die äußeren Anzeichen der Aristokratie verliehen. Die onyxweiße Haut, die zitronengelben Augen, die weißen Haare, Augenbrauen und Wimpern - all das, so erfuhr Jim, wurde nur aus dem Bedürfnis heraus entwickelt, denen, die das Reich von der Thronwelt aus regierten, äußere Merkmale ihrer Überlegenheit zu verleihen. Statt Abzeichen oder Wappen als Zugehörigkeitssignale der Aristokratie hatten sie sich außergewöhnlich große Körper und Gehirne verliehen und damit zur gleichen Zeit sichergestellt, daß niemand, der nicht dieser Elite angehörte, sich als einzelner mit ihnen messen konnte. Sie suchten sich noch immer die Genies und Hochbegabten aus den, wie sie sie nannten, niedrigeren Menschenrassen aus, aber diese Auswahl war inzwischen äußerst streng geworden, und die Ausgewählten wurden nicht selbst Mitglieder der Elite, sondern bekamen lediglich die Möglichkeit, ihre Großenkel durch Inzucht zu großen, weißhaarigen onyxhäutigen Herrschern des Imperiums zu machen.

„. du siehst“, sagte Ro schließlich zu Jim, als sie endlich die Thronwelt erreicht hatten und sich darauf vorbereiteten, das Schiff zu verlassen, „es gibt eine Möglichkeit - sogar für einen Wolfling wie dich. Oh, sie werden versuchen, dich zu vernichten, alle Hochgeborenen, wenn sie erst einmal beginnen, Verdacht zu schöpfen, daß du den Wunsch hegst, zu einem der ihren zu werden. Wenn du aber ausgebildet und darauf vorbereitet bist, werden sie es nicht schaffen. Ich helfe dir, und dann werden wir sehen, daß es ihnen nicht gelingt!“

Ihre Augen blitzten triumphierend. Jim lächelte ihr zu und lenkte die Konversation darauf, was er als nächstes zu erwarten hatte, wenn sie das Schiff verließen.

Plötzlich sah sie ernüchtert aus.

„Ich weiß es nicht“, sagte sie. „Afuan sagt es mir nicht. Sie wird dich sicher so bald wie möglich dem Kaiser vorführen wollen.“

Mit dieser Antwort im Kopf war er infolgedessen zumindest teilweise vorbereitet, als ungefähr eine Stunde nach Landung des Schiffs auf der Thronwelt seine Umgebung plötzlich verschwand und er sich in einer Arena vorfand. Sein Gepäck lag zu seinen Füßen, und vor ihm stand eine vollständige Cuadrilla - Banderilleros, Pikadores und Pferde in vollständiger Ausrüstung -, ein genaues Duplikat der Cuadrilla, die er auf Alpha Centauri III benutzt hatte. Der einzige Unterschied bestand darin, daß die Männer in ihren Stierkämpferanzügen ohne Ausnahme der Rasse der kleinen, braunen Männer mit dem glatten, langen Haar entstammten.

„Sie sind künstlich, diese Tiere“, sagte eine Stimme neben ihm. Er drehte sich um und bemerkte Afuan, die einige Meter von ihm entfernt dastand. „Das schließt auch den Stier ein, mit dem du trainierst. Sowohl das künstliche Tier als auch die Männer sind dazu programmiert, genau das zu wiederholen, was wir dich haben tun sehen, als wir dir das erste Mal zugeschaut haben. Laß sie das nur immer wiederholen, bis sie es gelernt haben.“

Die Prinzessin verschwand. Sie war offensichtlich der Meinung, sie habe alles gesagt, was gesagt werden mußte.

Jim blieb mit seiner Imitations-Cuadrilla und den mechanischen Pferden allein zurück. Er sah sich um. Die Arena war eine genaue Nachbildung der riesigen Arena auf Centauri III, in der er gegen die beiden Stiere gekämpft hatte -nur mit dem Unterschied, daß sie in einem geradezu lächerlichen Ausmaß gereinigt worden war.

Die Tribünen der Arena, die auf Alpha Centauri III aus einem braunen, betonartigen Material erbaut worden waren, schienen hier aus weißem Marmor zu bestehen. Alles war weiß, so weit das Auge reichte - selbst der Sand auf dem Boden der Arena war schneeweiß.

Jim bückte sich, öffnete einen seiner Koffer und holte das große Cape, das kleine Cape und das Schwert heraus. Er machte sich nicht die Mühe, den Stierkämpferanzug herauszuholen. Er schloß den Koffer und stellte beide hinter eines der Bretter am Rand. Eine unbekannte Quelle begann plötzlich, Musik auszustrahlen. Es war die richtige Musik. Jim paßte seine Bewegungen ihr an, stellte sich vor seine Cuadrilla und ging langsam durch das Rund auf eine rot umrandete Reihe von Sitzen zu, die deutlich die kaiserliche Loge darstellten.

Von Jims Standpunkt aus war der Blick fast unheimlich. Die langhaarigen, braunen Männer vollzogen ihre Bewegungen nicht nur mit einer professionellen Sicherheit, sondern ahmten auch noch exakt die Bewegungen der Männer nach, die er auf Alpha Centauri III zurückgelassen hatte. Sogar unbedeutende, nutzlose, persönliche Aktionen wurden kopiert. Offensichtlich hatte sich Prinzessin Afuan oder jemand anders von den Hochgeborenen genau an sie erinnert und sie in allen Einzelheiten in das Programm eingegeben, das die Männer steuerte, die nun ihre Rolle mit dem Stier zusammen spielten. Hatte sich ein Mann in einem ruhigen Moment an die Bande gelehnt, ahmte sein Duplikat auf der Thronwelt seine Haltung an der gleichen Bande genau nach, und sein Ellbogen ruhte auf den Zentimeter genau an der Stelle, wo der Ellbogen des Originals geruht hatte. Die Unheimlichkeit dieser Verdopplung verstärkte sich jedoch noch, als Jim begann, mit dem Stier selbst zu üben, wobei er sein großes Cape benutzte, denn hier handelte es sich um die Kopie einer Kopie. Nach Jims Meinung war der Effekt eine gewisse trockene Ironie. Die Hochgeborenen hatten einen imitierten Stier hergestellt, der so programmiert war, daß er genau den Bewegungen des Stiers folgte, den sie gesehen hatten. Was sie allerdings dabei nicht wußten war, daß auch er von den Biologen der Erde dazu programmiert gewesen war, genau diese Bewegungen zu vollziehen.

Sie führten das ganze Schauspiel bis zu dem Augenblick des Todesstoßes durch. Als sich Jims Schwert in den Stier senkte, brach das mechanische Tier gehorsam zusammen, genau wie es das echte auf Alpha Centauri III getan hatte. Jim sah sich nach seinen Gehilfen um, da er sich überlegte, ob es an der Zeit sei aufzuhören. Sie machten jedoch noch einen durchaus frischen Eindruck und erwarteten offensichtlich von ihm, daß er weitermachte.

Während die ganze Pantomime zum zweiten Mal aufgeführt wurde, richtete Jim einen Teil seiner Aufmerksamkeit nicht mehr auf seine eigene Arbeit, sondern sah sich das Verhalten der Männer, die er ausbildete, genau an. Ihm fiel zum ersten Mal auf, daß sie sich zwar sehr sicher bewegten, aber in ihren Bemühungen ein gewisses Ungeschick zeigten. Es war nicht so sehr geistiges Ungeschick, sondern äußerte sich in ihren Muskeln. Diese Männer führten das aus, wozu sie programmiert worden waren oder was man ihnen beigebracht hatte - und sie machten das schnell und gut. Die instinktiven Reaktionen des Körpers fehlten ihnen jedoch noch.

Jim zog das gesamte Programm noch zweimal durch, bevor er Schluß für heute machte. Obwohl seine Reaktionen auf den künstlichen Stier automatisch und ohne Anspannung erfolgt waren, war er doch rechtschaffen müde, als er das geschafft hatte. Trotzdem führte er in den nächsten vier Tagen den Stierkampf, der auf Alpha Centauri vorgeführt worden war, immer wieder durch, bis die Reaktionen der kleinen Männer mit dem langen Haar langsam nicht mehr auf Programmierung, sondern auf Erfahrung und natürlichen Reflexen basierten.

Im Verlauf dieser Zeit fand er heraus, daß er das Verhalten des Stiers durch die gleiche Art von bewußten Vorstellungen variieren konnte, deren Gebrauch ihm Ro an Bord des Schiffs beigebracht hatte. Irgendwo auf der Thronwelt befand sich eine Energiequelle, die für ihn in der Arena die gleiche Funktion wie ihr Äquivalent an Bord erfüllte. Deshalb führte er am sechsten Tag seine Cuadrilla in eine neue Version des Stierkampfes ein.

Dahinter stand die Tatsache, daß jeder von den Stieren, die kyrogenisch gelagert waren, anders programmiert worden war - nur für den Fall, daß überhaupt eine Programmierung vermutet werden sollte. Jim selbst hatte jedes einzelne Programm durchgetestet. Nun übte er mit seinen Gehilfen das

Programm ein, mit dem sie konfrontiert werden würden, wenn der letzte gelagerte Stier zum Einsatz kam. Er wählte absichtlich den letzten Stier dafür aus, weil er hoffte, daß er ihn nie wirklich einsetzen mußte und seine Cuadrilla in der Zwischenzeit vergessen hatte, daß er immer wieder die gleichen spezifischen Aktionen ohne die geringste Veränderung durchführte, falls es tatsächlich zu seinem Einsatz kam.

Im Verlauf dieser Tage fand er heraus, daß er eine Suite in einem endlosen einstöckigen Gebäude bewohnte, die aus mehreren Räumen zu bestehen schien. Im Gegensatz zu den Räumen an Bord hatten die Zimmer hier Türen und Gänge davor. Darüber hinaus schien es ihm freizustehen zu gehen, wohin er wollte, und das tat er auch. Obwohl er jedoch das Gebäude von seinen Räumen aus nach außen in einigen Teilen erforschte, traf er keine Hochgeborenen und nur einige wenige Frauen und Männer, die deutlich niedrigeren Rassen angehörten - offensichtlich Dienstboten hier auf der Thronwelt.

Ro hatte sich nicht sehen lassen. Afuan dagegen war mehrere Male aufgetaucht, hatte sich kurz nach den Fortschritten bei seinem Training erkundigt und war wieder verschwunden. Sie zeigte wegen der Zeit, die er brauchte, weder Befriedigung noch Ungeduld.

„Sie könnten mir dabei helfen, diese Kleider hier anzulegen“, sagte er. Unerwarteterweise kicherte sie, und er starrte sie verwirrt an.

„Nein, nein, ist schon gut“, sagte sie. „Es ist nur so, daß für solche Aufgaben ein Diener, ein Mensch von den niedrigeren Rassen, zuständig ist, und er führt sie für Hochgeborene aus. Nicht umgekehrt.“

Sie hob seinen Hut auf.

„Wohin kommt das?“ fragte sie.

„Noch nirgendwohin. Das ist der letzte Teil“, antwortete er. Sie legte ihn gehorsam wieder hin und half ihm nach seinen Anweisungen, den Rest des Anzugs anzulegen.

Als er voll bekleidet war, sah sie ihn voller Interesse an.

„Du siehst seltsam aus - aber gut“, sagte sie.

„Haben Sie mich in der Arena auf Alpha Centauri III nicht gesehen?“ fragte er sie.

Sie schüttelte den Kopf.

„Ich war auf dem Schiff beschäftigt - und ich hatte es eigentlich auch nicht für übermäßig interessant gehalten.“ Sie starrte ihn interessiert an, als er seine beiden Capes und sein Schwert aus dem größeren Koffer nahm. „Wofür dienen die?“

„Die Stoffstücke“, sagte er, „dienen dazu, die Aufmerksamkeit des Stiers zu erregen. Das Schwert.“ - er zog es ein Stückchen aus der Scheide, um ihr die Klinge zu zeigen - „. dient dazu, ihn zum Schluß zu töten.“

Ihre Hände flogen vor ihren Mund. Sie wurde blaß und trat zurück. Ihre Augen waren riesig groß.

„Was gibt es?“ fragte er.

Sie versuchte, etwas zu sagen, aber das einzige Geräusch, das sie ihrer Kehle entlocken konnte, hörte sich mehr wie ein kurzer Schrei als ein verständliches Wort an. Er runzelte heftig die Stirn.

„Was gibt es?“ wiederholte er. „Was stimmt denn nicht?“

„Du hast mir nicht gesagt.“ Endlich kamen die Worte klagend aus ihrem Mund. „Du hast mir nicht gesagt, daß du ihn töten wirst!“

Sie schluchzte auf, wirbelte herum und war verschwunden. Er stand da und starrte die Stelle an, wo sie gestanden hatte. Hinter ihm ertönte überraschend eine andere Frauenstimme.

„Ja“, sagte sie. Es war Prinzessin Afuans Stimme. Er selbst drehte sich schnell um und sah sie vor sich. Sie musterte ihn eindringlich. „Offenbar kann sogar ein Wolfling wie du Fehler machen. Ich dachte, du hättest in der Zwischenzeit gelernt, daß Ro eine Schwäche für alle Tier hat.“

Er sah sie kalt an.

„Sie haben recht“, sagte er ausdruckslos. „Daran hätte ich mich erinnern müssen.“

„Es sei denn.“, sagte sie und stockte. Sie beobachtete ihn mit ihren zitronengelben Augen. „Es sei denn, du wolltest sie aus irgendeinem Grund vorsätzlich ärgern. Du hast für einen Wolfling in der kurzen Zeit einen beachtlichen Eindruck gemacht. Du hast dir nicht nur die kleine Ro zur Freundin gemacht, sondern auch noch Mekon zum Feind, und du hast nicht nur Slothiels, sondern auch das Interesse von Galyan selbst geweckt.“

Sie musterte ihn mit einem scharfen Blick, hinter dem sich etwas zu verbergen schien.

„Siehst du mich?“

„Natürlich“, sagte er. Und dann verkrampfte er sich innerlich, obwohl er sorgsam Gesicht und Körper regungslos hielt.

Afuan veränderte sich nämlich plötzlich vor seinen Augen. Es war eine seltsame Veränderung, denn nicht die geringste Einzelheit an ihrer äußeren Erscheinung wandelte sich. Sogar ihr Gesichtsausdruck blieb der gleiche, aber mit einemmal war sie völlig anders.

Plötzlich, so groß, onyxhäutig, gelbäugig und weißhaarig wie sie war, wurde sie attraktiv. Nein, nicht nur attraktiv - sie strahlte eine fast überwältigende Wollust aus. Sie projizierte mehr als nur sinnliche Anziehung. Sie erfüllte ihn mit einer fast hypnotischen Begierde.

Nur die langen, einsamen Jahre innerlicher Isolation gestatteten es ihm, sich der Faszination zu widersetzen, die Afuan nun auf ihn ausstrahlte. Allein die Tatsache, daß er sich darüber klar war, daß die Lust, die sie in ihm zu erwecken versuchte, für ihn die Preisgabe von alldem bedeutete, was er auf einsamen Reisen des Geistes und der Seele gesucht und gefunden hatte, Reisen in Bereiche, in denen Geist und Seele des Menschen noch nie vorher gesucht hatten - allein das gestattete es ihm, still, entspannt, ruhig und ohne Reaktion stehen zu bleiben.

Abrupt, wieder ohne ein Anzeichen von äußerlicher Veränderung, war Afuan wieder die, die sie vorher gewesen war: kalt und unnahbar in ihrem Aussehen, auffällig, aber nicht unbedingt attraktiv nach dem Geschmack der Menschen von der Erde.

„Verblüffend“, sagte sie in einem fast sanften Ton und sah ihn aus Augen an, die - wenn es auch keine Schlitzaugen waren -leicht mongolisch aussahen. „Völlig verblüffend, besonders für einen Wolfling. Ich glaube aber, jetzt verstehe ich dich, Wilder. Irgend etwas in dir hat dich irgendwann ehrgeizig gemacht, dich mit einem Ehrgeiz erfüllt, der größer als das Universum ist.“

Eine Sekunde später vollzog Jim die geistige Übung, mit der er sich in die Arena transportierte.

Als er dort erschien, waren die Tribünen bereits von weißgekleideten Hochgeborenen gefüllt. Nicht nur das - in dem rot umrandeten Gebiet, bei dem es sich deutlich um die kaiserliche Loge handelte, saß eine Gruppe von sechs Männern und vier Frauen. Als er näher kam, erkannte er, daß auch Afuan zu dieser Gruppe gehörte. Sie saß links von jemandem, der Galyan zu sein schien. Er nahm den zentralen Platz ein, und rechts von ihm saß ein außergewöhnlich breit gebauter Hochgeborener mit leicht gelblichen Augenbrauen.

Als Jim aber näher an die Loge herankam, erkannte er, daß es sich bei dem Mann, der Galyan ähnelte, nicht um Galyan handelte. Trotzdem war die Ähnlichkeit verblüffend, und plötzlich fiel es Jim ein, daß Galyan einmal bemerkt hatte, der

Kaiser sei sein Cousin ersten Grades. Das war also ganz offensichtlich der Kaiser.

Zunächst einmal war er größer als Galyan selbst. Er saß lockerer auf seinem Stuhl als die anderen Hochgeborenen in seiner Nähe, und in seinem Blick lag für einen Hochgeborenen sehr viel Offenheit, Toleranz und dazu hohe Intelligenz. Er lächelte zu Jim herab, als er seine Zustimmung zum Beginn des Stierkampfs erteilte. Afuan sah in der Zwischenzeit mit kalten Augen auf ihn herab.

Jim hatte die Prozedur abgeschafft, den Stier einem Mitglied der Zuschauerschaft zu widmen, und auch dieses Mal führte er sie nicht wieder ein. Er ging zusammen mit seiner Cuadrilla zurück in die Mitte der Arena und fing den Stierkampf direkt an. Seine Männer wurden mit dem ungewohnten Verhalten des Stiers gut fertig, den Afuan oder ein anderer Hochgeborener offensichtlich beliebig aus den sechs kyrogenisch gelagerten Stieren ausgesucht hatte. Zum Glück war jeder Stier ein wenig anders, und Jim erkannte die Unterschiede, so daß es ihm gelang, sich an das Verhaltensmuster des Stiers in dem Augenblick anzupassen, in dem er in die Arena gestampft kam.

Trotzdem hatte er mit ihm ebenso wie in der Arena auf Alpha Centauri III alle Hände voll zu tun. Darüber hinaus wurde der kleine Freiraum, der für seine Gedanken blieb, vollständig von Afuans Bemerkung über seinen Ehrgeiz eingenommen. Die Prinzessin besaß eindeutig einen fast tödlichen Scharfblick.

Der Stierkampf ging weiter und trat schließlich in sein Endstadium. Dieser Stier behielt im Gegensatz zu seinem Artgenossen auf Alpha Centauri III bis zu dem geplanten Punkt in der Programmierung seine volle Stärke. Schließlich hob Jim fast direkt vor der kaiserlichen Loge sein Schwert über die Hörner für den Todesstoß. Danach zog er sein Schwert wieder heraus, drehte sich um und ging einige Schritte auf den Kaiser zu - sowohl aus eigenem Interesse an der Reaktion des Kaisers auf das Spektakel als auch deshalb, weil Ro ihm auf dem Schiff gesagt hatte, daß von ihm erwartet wurde, nach Abschluß seiner Darbietung dem Kaiser seine Referenz zu erweisen. Er ging bis zu der Bande selbst und sah schräg nach oben in das Gesicht des Kaisers, der nur wenige Meter von ihm entfernt saß. Der Kaiser lächelte herab. Seine Augen schienen ungewöhnlich hell zu leuchten - obwohl Jim plötzlich entdeckte, daß sie ins Leere blickten.

Der Kaiser lächelte breiter. Ein dünner Speichelfaden lief aus einem Mundwinkel. Sein Mund öffnete sich, und er sprach zu Jim.

„Wah“, sagte er, lächelte die ganze Zeit und starrte direkt durch Jim hindurch. „Wah.“

Kapitel 5

Jim blieb bewegungslos stehen. Nirgends fand sich eine Andeutung darauf, wie er sich verhalten sollte. Die restlichen Hochgeborenen in der kaiserlichen Loge - eigentlich alle Hochgeborenen in Sichtweite - schienen absichtlich den Anfall oder Gehirnschlag oder was immer es auch war, das den Kaiser gepackt hatte, völlig zu ignorieren. Nach Jims Einschätzung wurde das offensichtlich auch von ihm erwartet. Afuan und alle anderen, die in der kaiserlichen Loge saßen, verhielten sich einfach so, als sei der Kaiser in eine Privatunterhaltung mit Jim vertieft. Diese Reaktion, die keine Reaktion war, war so überzeugend und heftig, daß sie etwas von der gleichen hypnotischen Qualität gewann, die Afuan vorher eingesetzt hatte. Der einzige Unterschied in diesem Fall war die vorherrschende Entschlossenheit, nicht nur Jim, sondern auch sich selbst davon zu überzeugen, daß das, was dem Kaiser dort geschah, nicht wirklich passierte.

Dann war auf einmal alles vorbei. Der Speichel verschwand vom Kinn des Kaisers, als habe eine unsichtbare Hand ihn weggewischt. Sein Lächeln wurde fester, und seine Augen richteten sich direkt auf Jim.

„. wir sind darüber hinaus sehr stark daran interessiert, mehr über dich zu erfahren“, sagte der Kaiser plötzlich, als führte er eine Unterhaltung weiter, die schon einige Zeit im Gang war. „Du bist der erste Wolfling, den wir seit vielen Jahren hier an unserem Hof gesehen haben. Wenn du dich ausgeruht hast, mußt du mich besuchen, und wir werden uns unterhalten.“

Der Kaiser lächelte offen, frei und charmant, seine Stimme klang freundlich, und er trug einen intelligenten Ausdruck in den Augen.

„Danke, Oran“, gab Jim zurück. Ro hatte ihn angewiesen, sich auf den Kaiser immer als ,der Kaiser’ zu beziehen, solange er ihn nicht direkt ansprach - in einer direkten Unterhaltung mit ihm redete man ihn einfach mit seinem Vornamen an: Oran.

„Keine Ursache“, sagte der Kaiser und lächelte fröhlich. Er verschwand, und eine Sekunde später war kein einziger Hochgeborener mehr auf den Tribünen zu sehen.

Jim stellte sich sein eigenes Quartier vor und befand sich sofort wieder darin. Tief in Gedanken versunken begann er, seinen Anzug auszuziehen. Er mühte sich gerade mit der engen Jacke ab, als er plötzlich von hinten Hilfe dabei spürte. Er drehte sich um und sah Ro vor sich, die ihn unterstützte.

„Vielen Dank“, sagte er und lächelte ihr über die Schulter hinweg zu, als er die Jacke ausgezogen hatte. Sie half ihm weiter mit zu Boden gesenktem Blick, aber eine dunkle Röte überzog ihr Gesicht.

„Ich bin immer noch der Meinung, daß es schrecklich ist!“ murmelte sie nach unten. „Mir war aber nicht klar.“ Plötzlich hob sie ihr wieder blasses Gesicht. „Mir war das wirklich nicht klar. Dieses Tier hat versucht, dich zu töten.“

„Ja“, sagte Jim. Wieder schämte er sich insgeheim leicht, wie er das immer tat, wenn er sich daran erinnerte, daß seine Stierkämpfe programmiert und nicht ehrlich waren.

„So sieht es aus.“

„Wie auch immer“, sagte Ro mit einem fast grimmigen Ton in der Stimme, „wenn wir Glück haben, brauchst du das nie wieder zu tun. Es ist wirklich ein Glücksfall, daß der Kaiser von Anfang an Interesse an dir gezeigt hat. Und - rate mal!“

Sie hörte auf, ihm zu helfen. Er stand halb ausgezogen da und sah fragend auf sie herab.

„Was?“ fragte er.

„Ich habe einen Sponsor für dich gefunden!“ brach es aufgeregt aus ihr heraus. „Slothiel! Es hat ihm gefallen, daß du nicht gezuckt hast - als er dich zum ersten Mal gesehen hat. Außerdem ist er bereit, dich zu seinen Bekannten zu zählen. Weißt du, was das bedeutet?“

Sie sagte nichts mehr und wartete auf seine Antwort. Er schüttelte den Kopf. Sie hatte sich auf dem Schiff nicht über das geäußert, was sie jetzt ansprach.

„Das bedeutet, daß du von jetzt an nicht mehr wirklich zu der Klasse der Diener gehörst!“ platzte sie heraus. „Ich hatte die Hoffnung, für dich einen Sponsor zu finden - aber noch nicht so bald. Ich habe das bei dir nicht erwähnt, weil ich dir nicht zuviel Hoffnung machen wollte. Aber Slothiel ist sogar zu mir gekommen!“

„Tatsächlich?“ Jim runzelte innerlich die Stirn, achtete aber sorgfältig darauf, sie für Ros Blicke nach außen glatt zu halten. Er fragte sich, ob Slothiel etwas mit Afuans Besuch bei ihm zu tun hatte - oder mit dem, was Galyan ihm an Bord des Schiffs gesagt hatte. Er stand knapp davor, Ro danach zu fragen, überlegte es sich aber dann anders. Er dachte sich, daß er Ro von Afuans Besuch und der Reaktion, die sie bei ihm hatte provozieren wollen, vielleicht besser nichts sagte - zumindest zur Zeit noch nicht.

Er schreckte abrupt aus diesen Gedanken auf, als ihm zu Bewußtsein kam, daß Ro immer noch eifrig damit beschäftigt war, ihn auszuziehen, sich dabei aber nichts zu denken schien. Auch er machte sich darüber weiter keine Gedanken, aber Ros Haltung erweckte in ihm zu sehr den Eindruck der besorgten Eigentümerin. Sie erschien ihm wie eine Tierhalterin, die liebevoll ein Pferd oder einen Hund für eine Vorführung herrichtete. Außerdem brauchte Jim Hilfe und nicht liebevolle Umsorgung und Pflege.

„So ist es gut - es genügt“, sagte er und entzog sich ihrem Griff. „Mit dem Rest werde ich allein fertig.“

Er hob seinen Kilt mit dem Muster der Schwarzen Wache von dem Polster auf, auf das er ihn geworfen hatte, als er sich hastig für die Arena angezogen hatte. Er zog ihn zusammen mit einem kurzärmligen grünen Hemd an. Ro beobachtete ihn voller Stolz und Zuneigung.

„Erzählen Sie mir noch mehr von dieser Sponsoren-Angelegenheit“, sagte Jim. „Sponsor wofür?“

„Na“, sagte Ro und machte große Augen, „für die Adoption durch die Thronwelt natürlich! Weißt du das nicht mehr? Das habe ich dir doch erzählt! Dann und wann wird es einigen wenigen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten oder Talenten gestattet, von einer der Kolonie-Welten auf die Thronwelt umzuziehen und zu Mitgliedern der Hochgeborenen zu werden. Das sind dann natürlich keine echten Hochgeborenen - sie können bestenfalls darauf hoffen, daß ihre Urgroßenkel echte Hochgeborene werden. Also, dieser gesamte Vorgang heißt auf der Thronwelt Adoption, und der Adoptionsvorgang wird von einem Hochgeborenen in Gang gesetzt, der bereit ist, für den Adoptivling als Sponsor zu fungieren.“

„Denkst. denken Sie daran, mich als Hochgeborenen adoptieren zu lassen?“ fragte Jim und lächelte leicht.

„Natürlich nicht!“ Ro umarmte sich buchstäblich selbst vor Freude. „Wenn du aber erst einmal einen Sponsor gefunden hast, wird der Adoptionsvorgang eingeleitet, und du stehst als eventueller zukünftiger Hochgeborener unter dem Schutz des Kaisers, bis er dazu kommt, dich entweder anzunehmen oder abzulehnen. Das Gute dabei ist, daß niemand jemals abgelehnt wird, wenn er erst einmal einen Sponsor gefunden hat, wenn er nicht ein so schlimmes Verbrechen begeht, daß keine Alternative bleibt, als ihn von der Thronwelt zu verbannen. Wenn du Slothiel für dich als Sponsor gewinnst, dann darf dir keiner der Hochgeborenen etwas tun, wie sie sich das bei einem Diener leisten könnten. Ich meine, damit ist dein Leben geschützt. Keiner von den Hochgeborenen - nicht einmal Afuan oder Galyan - darf ohne weiteres etwas gegen dich unternehmen. Sie müssen beim Kaiser eine Beschwerde gegen dich vorbringen.“

„Ich verstehe“, sagte Jim nachdenklich. „Soll ich erwähnen, daß Slothiel das vorhat, wenn ich mit dem Kaiser spreche?“ „Mit dem Kaiser sprechen?“ Ro starrte ihn an und brach in Gelächter aus, hörte damit aber sofort wieder auf und legte ihm entschuldigend eine Hand auf den Arm. „Es tut mir leid. Ich hätte nicht lachen sollen, aber es ist gut möglich, daß du dein ganzes Leben hier verbringst und nie mit dem Kaiser sprichst.“ „Dann ist es eben dieses Mal doch möglich“, sagte Jim. „Der Kaiser hat mir nämlich nach dem Stierkampf gesagt, daß ich ihn besuchen soll, sobald ich mich ein wenig ausgeruht habe.“ Ro starrte ihn an und schüttelte langsam den Kopf.

„Das verstehst du nicht, Jim“, sagte sie mitleidig. „Das hat er nur so gesagt. Niemand besucht den Kaiser. Man sieht ihn nur dann, wenn man von ihm geholt wird. Wenn du den Kaiser sehen solltest, wirst du dich plötzlich in seiner Gegenwart finden. Bis dahin wirst du einfach warten müssen.“

Kapitel 6

Jim runzelte die Stirn.

„Das tut mir leid, Jim“, sagte sie. „Du konntest das nicht wissen, aber der Kaiser sagt oft solche Sachen, und dann kommt etwas anderes, und er vergißt es wieder. Manchmal sagt er es auch und meint es nicht wirklich, bloß weil er etwas sagen will. Das ist für ihn so, als würde er ein Kompliment machen.“

Jim lächelte langsam, und Ro wurde wieder blaß.

„Mach nicht so ein Gesicht!“ sagte sie und packte ihn wieder am Arm. „Niemand darf so wild dreinschauen.“

„Keine Sorge“, sagte Jim. Er wischte sich das Grinsen vom Gesicht. „Aber ich fürchte, Sie täuschen sich. Ich besuche den Kaiser. Wo ist er jetzt?“

„Um diese Tageszeit in Vhotans Dienstzimmer.“ Sie stockte plötzlich und sah ihn an. „Jim, du meinst es ernst! Verstehst du denn nicht? Du kannst da nicht hingehen.“ „Zeigen Sie mir nur, wo es ist“, sagte Jim.

„Nein, das tue ich nicht!“ sagte sie. „Dann gibt er nur seinen Starkianern den Befehl, dich zu töten! Vielleicht töten sie dich auch schon ohne Befehl.“

„Oh? Und warum sollten die Starkianer unseren Wilden töten wollen?“ unterbrach sie Slothiels Stimme unerwartet. Sie drehten sich um und entdeckten, daß der große Hochgeborene gerade bei ihnen im Raum erschienen war. Ro fuhr auf ihn zu, als sei er der Grund für den Streit zwischen ihr und Jim.

„Nach dem Stierkampf hat der Kaiser zu Jim gesagt, er solle sich ein wenig ausruhen und ihn dann besuchen kommen!“ sagte Ro. „Jetzt verlangt Jim von mir, ich solle ihm sagen, wie er zum Kaiser kommt! Ich habe ihm gesagt, von mir erfährt er es nicht!“

Slothiel brach in Gelächter aus.

„Zum Kaiser hingehen!“ wiederholte er lachend. „Und warum sagst du es ihm nicht? Wenn du es nicht machst, werde ich es tun.“

„Du!“ brauste Ro auf. „Und du hast gesagt, du willst als Sponsor für ihn auftreten!“

„Richtig“, meinte Slothiel lässig, „und das werde ich auch tun - weil ich den Mann bewundere und mich auf Galyans Gesicht freue, wenn er davon hört. Wenn aber - wie, sagst du, war sein Name? - Jim fest entschlossen ist, sich umbringen zu lassen, bevor ich mich um die Sponsorenschaft kümmern kann - wer bin ich denn, in sein Schicksal einzugreifen?“

Er sah Jim über Ros Kopf hinweg an, die sich zwischen die beiden Männer gedrängt hatte.

„Willst du wirklich hingehen?“ fragte Slothiel.

Wieder lachte Jim grimmig.

„Ich bin ein Wolfling“, sagte er. „Ich weiß es nicht besser.“ „Richtig“, sagte Slothiel und ignorierte Ros krampfhafte Bemühungen, ihn durch ihre Stimme und ihre Hand über seinem Mund zum Schweigen zu bringen. „Einen Augenblick. Ich schicke dich hin. Der Kaiser und Vhotan werden denken, daß du den Weg selbst gefunden hast.“

Sofort stand Jim in einem anderen Raum. Es war ein sehr großes, rundes Zimmer mit einer durchsichtigen Decke, die einen wolkigen Himmel darüber zeigte - oder waren der Himmel und die Wolken nur eine Illusion über ihm? Jim blieb keine Zeit, darüber eine Entscheidung zu fällen, denn seine gesamte Aufmerksamkeit wurde von den sechs Menschen in Anspruch genommen, die sich bereits in dem Raum befanden und ihn gerade entdeckt hatten.

Einer von dem halben Dutzend in dem Zimmer war der Kaiser. Er hatte sich bei Jims Erscheinen plötzlich mitten im Satz unterbrochen. Er stand halb von dem älteren, schwer gebauten Hochgeborenen abgewandt, der während des Stierkampfs rechts von ihm gesessen hatte. Ein weiterer Hochgeborener, den er nicht kannte, stand in ihrer Nähe mit dem Rücken zu Jim. Er drehte sich gerade um, um zu sehen, was den Kaiser unterbrochen hatte. Die drei anderen Männer in dem Raum waren muskelbepackte, grauhaarige, kahlköpfige Männer von der Art jenes Burschen, den Galyan als seinen Leibwächter bezeichnet hatte. Sie trugen lederne Lendenschurze, und in Schleifen in den Gürteln um ihren Hüften staken schwarze Stäbe. Um Körper, Arme und Beine hatten sie Bänder aus einem metallähnlichen Material geschlungen. Nach der Art zu urteilen, wie sie sich an die Konturen anschmiegten und an ihrer Stelle blieben, handelte es sich jedoch wahrscheinlich eher um Streifen aus dickem, elastischem Stoff als um Metall. Bei Jims Anblick hatten sie sofort ihre Stäbe gezogen und zielten auf ihn, als ein scharfer, kurzer Befehl des Kaisers sie aufhielt.

„Nein!“ sagte der Kaiser. „Das ist.“ Er schien Jim eine Sekunde lang genau anzusehen, ohne ihn zu erkennen. Dann breitete sich ein frohes Lächeln auf seinem Gesicht aus. „Ach, richtig, das ist ja der Wolfling!“

„Genau!“ schnappte der ältere Hochgeborene. „Und was tut der hier? Neffe, du solltest.“

„Nein, nein“, unterbrach der Kaiser ihn. Er ging auf Jim zu und lächelte ihn breit an. „Ich habe ihn hierher eingeladen. Weißt du das nicht mehr, Vhotan? Ich habe die Einladung nach dem Stierkampf ausgesprochen.“

Nun hatte sich der hochgewachsene Körper des Kaisers zwischen Jim und die drei muskulösen, bewaffneten Leibwächter geschoben. Er blieb eine Schrittlänge seiner langen Beine von Jim entfernt stehen und lächelte zu ihm herab.

„Du bist natürlich gekommen“, sagte der Kaiser, „sobald du konntest, nicht wahr, Wolfling? Sicher wolltest du uns nicht beleidigen, indem du uns warten ließest.“

„Ja, Oran“, antwortete Jim.

Inzwischen war der ältere Mann namens Vhotan, der offensichtlich der Onkel des Kaisers war, vorgetreten und stand neben seinem Neffen. Die zitronengelben Augen unter den buschigen, gelblichen Augenbrauen sahen wütend auf Jim herab.

„Mein Neffe“, sagte er, „du darfst diesen Wilden auf keinen Fall mit so etwas durchkommen lassen. Wird das Protokoll erst einmal durchbrochen, so ist damit ein Präzedenzfall für tausend Wiederholungen geschaffen!“

„Na, na, Vhotan“, sagte der Kaiser, drehte dem älteren Hochgeborenen beschwichtigend den Kopf zu und lächelte. „Wie viele Wolflinge haben wir denn hier auf der Thronwelt, die die Palastgesetze nicht kennen? Nein, ich habe ihn hierher eingeladen. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich ihm sogar gesagt, ich sei an einer Unterhaltung mit ihm interessiert - und jetzt glaube ich, das bin ich auch.“

Er trat zur Seite, bückte sich und setzte sich auf eines der großen, polsterartigen Kissen, die für die Hochgeborenen die Rolle der Möbel übernommen hatten.

„Setz dich, Wolfling“, sagte er. „Du auch, Onkel - und du, Lorava.“ Er sah zu dem dritten Hochgeborenen auf, einem schlanken jungen Mann, der gerade zu ihnen gekommen war. „Setzen wir uns doch alle hierher und unterhalten uns ein wenig mit diesem Wolfling. Woher kommst du, Wolfling? Du kommst doch aus dem Teil unseres Reichs, der am Rand der Galaxis liegt, oder?“

„Ja, Oran“, antwortete Jim. Er hatte sich bereits hingesetzt. Auch Vhotan ließ sich widerwillig auf einem Polster neben dem Kaiser nieder. Der junge Hochgeborene namens Lorava ging hastig zwei Schritte auf sie zu und setzte sich auf ein Kissen neben ihnen.

„Eine verlorene Kolonie. Eine verlorene Welt“, meinte der Kaiser nachdenklich fast zu sich selbst, „voller wilder Menschen - und zweifellos noch wilderer Tiere?“

Er sah Jim fragend an.

„Ja“, sagte Jim, „bei uns gibt es noch eine recht stattliche Anzahl von wilden Tieren - obwohl im Verlauf besonders der letzten Jahrhunderte ihre Anzahl zurückgegangen ist. Der Mensch neigt dazu, wilde Tiere zu verdrängen.“

„Der Mensch neigt dazu, selbst andere Menschen manchmal zu verdrängen“, sagte der Kaiser. Einen Augenblick lang schien hinter seinen Augen ein kleiner Schatten vorbeizuziehen, als erinnere er sich an einen eigenen privaten Kummer. Jim beobachtete ihn interessiert genau. Es war kaum zu glauben, daß das der gleiche Mann war, der in der Arena gesabbert und zusammenhanglose Geräusche von sich gegeben hatte.

„Aber die Männer dort - und die Frauen - sind sie alle wie du?“ fragte der Kaiser und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Jim.

„Wir sind alle verschieden, Oran“, sagte Jim.

Der Kaiser lachte.

„Natürlich!“ sagte er. „Und da ihr gesunde Wilde seid, schätzt ihr die Unterschiede und versucht nicht, euch alle in eine allgemeine Schablone einzupassen. Wie wir überlegenen Wesen, wir Hochgeborenen von der Thronwelt!“ Seine Hochstimmung ließ etwas nach. „Wie ist es gekommen, daß wir zufällig eure Welt gefunden haben, nachdem sie vor so vielen Jahrhunderten - oder Jahrtausenden - verlorengegangen ist?“

„Das Reich hat uns nicht gefunden“, sagte Jim. „Wir sind auf eine abgelegene Welt des Reichs gestoßen.“

Eine Sekunde lang herrschte Stille in dem Raum, bis sie durch prustendes, wieherndes Gelächter des jungen Lorava unterbrochen wurde.

„Er lügt!“ brach es aus Lorava heraus. „Sie haben uns gefunden? Wenn sie uns finden konnten, wie kommt es dann, daß sie überhaupt verlorengegangen sind?“

„Ruhe!“ fuhr Vhotan Lorava an. Er wandte sich wieder Jim zu. Er und der Kaiser machten ernste Gesichter. „Sagst du uns hier, daß dein Volk in völlige Barbarei zurückgefallen ist, nachdem es den Kontakt mit dem Reich verloren hat, dann eine Wende vollzogen hat und selbst wieder eine Zivilisation entwickelt hat - dabei auch die Beherrschung des Raumflugs?“

„Ja“, sagte Jim knapp.

Für eine lange Sekunde starrte Vhotan durchdringend in Jims Augen. Dann wandte er sich dem Kaiser zu.

„Das wäre vielleicht eine Überprüfung wert, Neffe“, sagte er.

„Überprüfung wert. ja.“, murmelte der Kaiser, aber er schien mit seinen Gedanken nicht bei der Sache zu sein. Er sah Jim nicht mehr an, sondern schaute durch den Raum ins Leere. Ein Ausdruck sanfter Melancholie war in sein Gesicht getreten. Vhotan sah ihn an und stand auf. Der ältere Hochgeborene trat zu Jim hinüber, tippte ihm mit einem langen Zeigefinger auf die Schulter und bedeutete ihm, er solle aufstehen.

Jim erhob sich. Hinter dem Kaiser, der noch immer dasaß und geistesabwesend vor sich hinstarrte, stand auch Lorava auf. Vhotan führte sie beide ruhig zum anderen Ende des Zimmers und wandte sich an Lorava.

„Ich rufe dich später zurück, Lorava“, sagte er brüsk.

Lorava nickte und verschwand. Vhotan wandte sich wieder Jim zu.

„Wir haben hier einen Antrag von Slothiel. Er will die Sponsorschaft für deine Adoption übernehmen“, sagte Vhotan schnell. „Prinzessin Afuan hat dich hierhergebracht, und du hattest, soviel ich weiß, auch mit Galyan Kontakt. Entspricht das alles den Tatsachen?“

„Ja, das ist richtig“, sagte Jim.

„Aha.“ Vhotan blieb einen Augenblick mit nachdenklich gesenkten Augen stehen. Dann richtete er seinen scharfen Blick wieder auf Jim. „Hat jemand von diesen dreien dich auf die Idee gebracht, hierherzukommen?“

„Nein“, antwortete Jim. Er lächelte dem großen, breitschultrigen alten Mann leicht zu, der ihn mit seiner Masse überragte. „Es war meine eigene Idee, hierherzukommen - als Antwort auf die Einladung des Kaisers. Ich habe das lediglich zwei Menschen gegenüber erwähnt: Slothiel und Ro.“

„Ro?“ Vhotan runzelte die Stirn. „Ach ja, die Kleine, die Rückentwicklung in Afuans Haushalt. Bist du sicher, daß sie dich nicht auf die Idee gebracht hat hierherzukommen?“

„Völlig sicher. Sie hat versucht, mich aufzuhalten“, sagte Jim. „Und was Slothiel anbetrifft - als ich ihm von meinem Plan erzählt habe, hat er gelacht.“

„Gelacht?“ wiederholte Vhotan und schnaubte. „Schau mir in die Augen, Wolfling!“

Jim richtete seinen eigenen Blick auf die beiden zitronengelben Augen unter den buschigen, leicht gelblichen Augenbrauen. Unter seinem Blick schienen die Augen stärker zu leuchten und vor dem Gesicht des Alten zu schwimmen, bis sie zu verschmelzen drohten.

„Wie viele Augen habe ich?“ hörte er Vhotans tiefe Stimme brummen.

Zwei Augen schwammen wie zwei gelb-grüne Sonnen aufeinander zu, die vor ihm leuchteten. Sie versuchten, sich zu vereinigen. Jim spürte einen Druck auf sich, der dem hypnotischen Einfluß ähnelte, den Afuan vor dem Stierkampf auf ihn auszuüben versucht hatte. Er spannte sich innerlich an, und die Augen trennten sich.

„Zwei“, sagte er.

„Du täuschst dich, Wolfling“, sagte Vhotan. „Ich habe nur ein Auge. Ein einziges!“

„Nein“, sagte Jim. Die beiden Augen blieben getrennt. „Ich sehe zwei.“

Vhotan schnaubte wieder. Sein Blick hörte abrupt auf, in Jim zu brennen, und der hypnotische Druck ließ nach.

„Na gut, ich sehe, so bekomme ich es nicht heraus“, sagte Vhotan fast zu sich selbst. Er richtete wieder einen scharfen

Blick auf Jim, aber auf die normale und nicht die hypnotische Art. „Ich nehme aber an, dir ist klar, daß ich es leicht herausbekommen kann, ob du lügst oder die Wahrheit sagst.“

„Davon bin ich ausgegangen“, sagte Jim.

„Ja.“ Vhotan machte wieder ein nachdenkliches Gesicht. „Hier gibt es eine Menge mehr, als man bei oberflächlicher Betrachtung glauben möchte. Also, der Kaiser kann natürlich Slothiels Antrag auf eine Sponsorenschaft genehmigen, aber ich glaube, du wirst mehr als das brauchen. Laß mich überlegen.“

Vhotan drehte abrupt seinen Kopf nach rechts und sprach in die leere Luft.